BGer 6B_826/2018 |
BGer 6B_826/2018 vom 07.11.2018 |
6B_826/2018 |
Urteil vom 7. November 2018 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
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Gerichtsschreiberin Rohrer.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Nichteintreten auf Berufung (Raub usw.),
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Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 20. August 2018 (SK 18 319).
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Sachverhalt: |
A. |
Das Regionalgericht Oberland erklärte X.________ am 6. Juni 2018 des mehrfachen und unter Offenbarung von besonderer Gefährlichkeit begangenen Raubes, der Freiheitsberaubung, der Geiselnahme, der sexuellen Nötigung und des Hausfriedensbruchs schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren sowie zur Bezahlung von Schadenersatz und Genugtuung an die Geschädigten.
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B. |
Mit Eingabe vom 23. Juli 2018 meldete X.________ Berufung an. Das Obergericht des Kantons Bern trat mit Beschluss vom 20. August 2018 auf das Rechtsmittel infolge Verspätung nicht ein.
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C. |
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt zusammengefasst, das Urteil des Regionalgerichts Oberland vom 6. Juni 2018 und der Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern vom 20. August 2018 seien aufzuheben. Zudem sei er unter Anordnung von Bewährungshilfe aus der Haft zu entlassen. Rechtsanwalt A.________ sei ihm als amtlicher Verteidiger beizugeben.
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Es sind die kantonalen Akten, indes keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
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Erwägungen: |
1. |
Der Beschwerdeführer gelangte am 27. August 2018 (Postübergabe) mit Beschwerde an das Bundesgericht. Der am 11. Oktober 2018 (Postübergabe) eingereichte Nachtrag ist unbeachtlich, da dieser erst nach Ablauf der 30-tägigen Beschwerdefrist und damit verspätet eingereicht wurde (Art. 100 Abs. 1 BGG). Dasselbe gilt für das bei der Vorinstanz eingereichte Schreiben des Beschwerdeführers vom 15. Oktober 2018 (Postübergabe), welches von jener an das Bundesgericht weitergeleitet wurde.
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2. |
Anfechtungsobjekt des bundesgerichtlichen Verfahrens bildet der kantonal letztinstanzliche Beschluss der Vorinstanz vom 20. August 2018 (Art. 80 Abs. 1 BGG). Soweit der Beschwerdeführer die Aufhebung des Urteils des Regionalgerichts Oberland vom 6. Juni 2018 verlangt, wendet er sich nicht gegen den letztinstanzlichen Entscheid, weshalb auf die Beschwerde in diesem Punkt nicht einzutreten ist. Ebenso verhält es sich hinsichtlich des Antrags auf Haftentlassung, da diese Frage ebenfalls nicht Gegenstand des vorinstanzlichen, angefochtenen Beschlusses bildet.
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3. |
3.1. Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Nichteintretensentscheids. Er führt dabei im Wesentlichen aus, seine damalige Verteidigerin, Rechtsanwältin B.________, habe keine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil angemeldet und ihn dadurch völlig in Stich gelassen. Dies obschon ein entsprechendes Tätigwerden unerlässlich gewesen wäre. Das Verhalten seiner amtlichen Verteidigerin sei für ihn unverständlich. Man habe nicht mehr unterscheiden können, was diese sage und was diese mache. Der Beschwerdeführer macht damit dem Sinn entsprechend eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte geltend. Hieraus scheint er zu schliessen, dass die Vorinstanz auf seine verspätete Berufung hätte eintreten sollen.
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3.2. Die Bestimmungen von Art. 29 Abs. 3 BV, Art. 32 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK garantieren den Anspruch des Beschuldigten auf sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung seiner Parteiinteressen (BGE 138 IV 161 E. 2.3 S. 164; 126 I 194 E. 3d S. 198; Urteil 6B_28/2018 vom 7. August 2018 E. 8.3). Die Strafbehörden haben gemäss den in Art. 3 StPO normierten Grundsätzen des Strafverfahrensrechts für ein faires Strafverfahren zu sorgen. Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung (Art. 130 StPO) vor, so achtet die Verfahrensleitung gemäss Art. 131 Abs. 1 StPO darauf, dass unverzüglich ein Verteidiger bestellt wird. Notwendige Verteidigung im strafprozessualen Sinn bedeutet, dass der Betroffene in Anbetracht der rechtlichen und tatsächlichen Umstände in den verschiedenen Stadien des Strafverfahrens zwingend und ohne entsprechendes Ersuchen vertreten sein muss und dass er darauf auch mit einer persönlichen Verteidigung durch ihn selbst nicht verzichten kann (BGE 143 I 164 E. 2.2 S. 166; 131 I 350 E. 2.1 S. 352 f. mit Hinweisen). Das Rechtsinstitut der notwendigen Verteidigung dient der Sicherung eines fairen Verfahrens (BGE 131 I 185 E. 3.2.4 S. 192 f.). Bestimmt die beschuldigte Person bei notwendiger Verteidigung trotz Aufforderung der Verfahrensleitung keine Wahlverteidigung oder verfügt die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel, ordnet die Verfahrensleitung eine amtliche Verteidigung an (Art. 132 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StPO). Ist das Vertrauensverhältnis zwischen der beschuldigten Person und ihrer amtlichen Verteidigung erheblich gestört oder eine wirksame Verteidigung aus anderen Gründen nicht mehr gewährleistet, so überträgt die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung einer anderen Person (Art. 134 Abs. 2 StPO). Wird von den Behörden untätig geduldet, dass der amtliche Verteidiger seine anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum Nachteil des Beschuldigten in schwerwiegender Weise vernachlässigt, kann darin eine Verletzung der von Verfassung und EMRK gewährleisteten Verteidigungsrechte liegen (BGE 131 I 185 E. 3.2.3 S. 192; 126 I 194 E. 3d S. 198 f.; je mit Hinweisen). Als schwere Pflichtverletzung fällt aber nur sachlich nicht vertretbares bzw. offensichtlich fehlerhaftes Prozessverhalten des Verteidigers in Betracht, sofern die beschuldigte Person dadurch in ihren Verteidigungsrechten substanziell eingeschränkt wird (Urteil 6B_28/2018 vom 7. August 2018 E. 8.3 mit Hinweis). Eine solche schwerwiegende Vernachlässigung liegt etwa vor bei krassen Frist- und Terminversäumnissen (Urteil 6B_89/2014 vom 1. Mai 2014 E. 1.5 mit Hinweisen). Ein solche Nachlässigkeit wäre dem notwendig verteidigten Beschuldigten nicht anzurechnen, sofern ihm selbst kein eigener diesbezüglicher Vorwurf gemacht werden kann (BGE 143 I 284 E. 1.3 S. 287; Urteile 6B_1111/2017 vom 7. August 2018 E. 2 und 6B_354/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 1.3; je mit Hinweisen).
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3.3. Aus den Akten geht hervor, dass dem Beschwerdeführer am 15. Mai 2017 Rechtsanwältin B.________ als notwendige amtliche Verteidigerin beigegeben wurde (kantonale Akten, act. 816). Am 6. Juni 2018 wurde der Beschwerdeführer vom Regionalgericht Oberland unter anderem zu sieben Jahren Haft verurteilt. Gleichentags nahm Rechtsanwältin B.________ das schriftliche Urteilsdispositiv in Empfang (kantonale Akten, act. 1091 und act. 1113). Am 23. Juli 2018 meldete der Beschwerdeführer mit einer persönlichen Eingabe Berufung an. In dieser ersuchte er unter anderem um einen Wechsel der notwendigen amtlichen Verteidigung und fügte an, er habe jegliches Vertrauen in seine Anwältin verloren (kantonale Akten, act. 1128 f.). Die Verfahrensleitung der Vorinstanz erachtete die Berufung als verspätet, stellte einen Nichteintretensentscheid in Aussicht und gab den Parteien Gelegenheit, zum beabsichtigten Vorgehen Stellung zu nehmen (kantonale Akten, act. 1134 f.). Der Beschwerdeführer führte in der Folge aus, das Verhalten von Rechtsanwältin B.________ sei für ihn unbegreiflich. Er könne nicht mehr unterscheiden, was von ihr getan, was von ihr gesagt und/oder was von ihr gedacht werde. Die Fortführung der notwendigen amtlichen Verteidigung sei nicht mehr möglich. Es liege ein Vertrauensbruch vor. Der Einsatz eines anderen Rechtsvertreters sei nötig (kantonale Akten, act. 1142 f.). Auch Rechtsanwältin B.________ reichte eine Stellungnahme ein. Darin hielt sie fest, eine Zusammenarbeit sei, wie bereits der vom Beschwerdeführer persönlich eingereichten Berufung entnommen werden könne, nicht mehr möglich. Es sei ihr deshalb nicht möglich, sich namens ihres Klienten zum beabsichtigten Verfahren zu äussern (kantonale Akten, act. 1147). Auf die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe des Beschwerdeführers ging sie nicht ein.
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Die Vorinstanz erliess daraufhin ihren Nichteintretensentscheid. Sie führte aus, der Beschwerdeführer habe sich in seiner Eingabe nicht zur Eintretensfrage geäussert. Die Berufung sei verspätet, weshalb darauf nicht eingetreten werden könne. Zu den vom Beschwerdeführer gegenüber seiner amtlichen Verteidigerin vorgebrachten Vorwürfen äusserte sie sich indessen nicht.
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Der Umstand, dass von der notwendigen amtlichen Verteidigerin keine Berufung angemeldet wurde, vermag für sich allein genommen eine sachgemässe Verteidigung des Beschwerdeführers nicht in Frage zu stellen. Angesicht der vom Beschwerdeführer geäusserten Kritik, namentlich seiner Rüge, es sei nicht zu unterscheiden, was von seiner Verteidigerin getan, gesagt und/oder gedacht werde, hätte die Vorinstanz jedoch die Gründe, weshalb keine fristgerechte Berufungsanmeldung erfolgte, in Wahrnehmung ihrer Amtsermittlungspflicht (Art. 6 und Art. 139 Abs. 1 StPO) näher abklären müssen. Sie hätte insbesondere prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer in der Phase nach Eröffnung des erstinstanzlichen Urteils hinreichend verteidigt gewesen war oder ob die verspätete Berufungsanmeldung auf ein mit einer angemessenen Verteidigung unvereinbares Fehlverhalten von Rechtsanwältin B.________ zurückzuführen ist, so dass dem Beschwerdeführer für die verspätete Berufungsanmeldung kein Vorwurf gemacht und ihm das Fristversäumnis nicht entgegengehalten werden könnte. Dies umso mehr, als dass auch Verteidigerin B.________ in ihrer Stellungnahme ausführte, eine Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer sei nicht mehr möglich, ohne sich aber zu den ihr gegenüber erhobenen Vorwürfen zu äussern.
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Da der angefochtene Beschluss hierzu keinerlei Feststellungen enthält, lässt sich nicht beurteilen, ob das Recht des Beschwerdeführers auf wirksame Verteidigung gewahrt wurde und die Vorinstanz auf die von ihm am 23. Juli 2018 persönlich angemeldete Berufung zu Recht nicht eingetreten ist. Die Sache ist daher an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die nötigen Abklärungen tätige und anschliessend neu entscheide. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass die notwendige Verteidigung bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens (vgl. BGE 129 I 281 E. 4.3 S. 287 f.; Urteile 6B_1111/2017 vom 7. August 2018 E. 2 und 6B_354/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 1.4) und damit auch für ein allfälliges Fristwiederherstellungsverfahren zu gewähren ist, weshalb die Vorinstanz dem Beschwerdeführer hierfür gegebenenfalls einen neuen notwendigen amtlichen Verteidiger bzw. eine neue notwendige amtliche Verteidigerin beizugeben hätte.
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4. |
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers braucht daher nicht eingegangen zu werden.
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Der Mangel, der zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt, ist verfahrensrechtlicher Natur. Daher kann auf einen vorgängigen Schriftenwechsel verzichtet werden (vgl. etwa Urteil 6B_280/2017 vom 9. Juni 2017 E. 3).
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Auf die Erhebung von Gerichtskosten ist vorliegend zu verzichten (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG). Über eine Parteientschädigung ist nicht zu befinden, da dem Beschwerdeführer keine Kosten der Rechtsvertretung erwachsen sind (Art. 68 BGG). Der Antrag des Beschwerdeführers, dass ihm Rechtsanwalt A.________ als amtlicher Veteidiger im bundesgerichtlichen Verfahren beizugeben sei, wird mit dem vorliegenden Entscheid gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern vom 20. August 2018 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
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2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Entschädigung ausgerichtet.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 7. November 2018
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Rohrer
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