BGE 106 Ia 238
 
45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 8. Oktober 1980 i.S. Lüthi gegen Marthaus und Kons., Einwohnergemeinde Solothurn und Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde)
 
Regeste
Art. 89 Abs. 2 OG.
 


BGE 106 Ia 238 (238):

Aus den Erwägungen:
1. Die Beschwerdegegner halten die Beschwerde für verspätet, weil sie zwar binnen 30 Tagen seit Zustellung der verwaltungsgerichtlichen Erwägungen, nicht aber innert der gleichen Frist nach dem vorgängigen Erhalt des Urteilsdispositivs eingereicht worden sei. Nach Art. 89 Abs. 2 OG kann, sofern von Amtes wegen nachträglich Entscheidungsgründe zugestellt werden, die staatsrechtliche Beschwerde noch innert dreissig Tagen seit Eingang der Ausfertigung erhoben werden. Von Amtes wegen geschieht eine solche nachträgliche Zustellung, wenn das Gesetz sie in allgemeiner Weise - also nicht bloss für den Fall, dass eine Partei es verlangt oder gegen das Urteil ein Rechtsmittel eingelegt werden kann - vorschreibt oder wenn die Zustellung auf ständiger Praxis beruht und in jedem Fall erfolgt (BGE 99 Ia 558, mit Hinweisen). Art. 89 Abs. 2 OG gelangt dagegen nicht zur Anwendung, wenn die Gerichtskanzlei eines Kantons von Fall zu Fall und nach eigenem Gutdünken darüber befindet, ob sie einer oder beiden Parteien ein begründetes Urteil zustellen will.
Nach dem eingeholten Amtsbericht vom 19. Mai 1980 wird in Fällen, in denen - wie hier - die Urteilsberatung nicht am Verhandlungstag stattfand, anstelle der mündlichen Eröffnung eine Urteilsanzeige zugestellt. Diese wird nicht als formelle Urteilseröffnung betrachtet, weshalb sie weder als Gerichtsurkunde noch eingeschrieben, sondern mit gewöhnlicher Post zugestellt wird. Für dieses Vorgehen besteht nach dem Amtsbericht keine ausdrückliche Rechtsgrundlage. Hingegen wird nach ständiger Praxis des kantonalen Verwaltungsgerichts ein begründetes Urteil nach der mündlichen Urteilseröffnung oder der stellvertretenden schriftlichen Mitteilung des Urteilsdispositivs in allen Fällen zugestellt, und zwar unabhängig vom Begehren einer Prozesspartei. Damit sind die Voraussetzungen zur Anwendung von Art. 89 Abs. 2 OG gegeben, d.h. die vorliegende Beschwerde durfte noch innert dreissig Tagen seit Eingang der begründeten Urteilsausfertigung eingereicht werden.