BGE 95 II 419
 
59. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Dezember 1969 i.S. Vögtlin gegen Bächtold AG Immobilien- und Treuhandgesellschaft
 
Regeste
Grundstückkauf.
 
Sachverhalt


BGE 95 II 419 (420):

Aus dem Tatbestand:
Vögtlin gehörte einer einfachen Gesellschaft an, die in den Jahren 1964 bis 1966 in Mittenägeri auf der der Bächtold AG Immobilien- und Treuhandgesellschaft gehörenden Liegenschaft "Aegeripark" ein Gebäude mit 21 Wohnungen und Nebenräumen erstellte. Die Grundeigentümerin beabsichtigte, an der Liegenschaft Stockwerkeigentum zu begründen. Am 7. Dezember 1965 schloss sie mit Vögtlin einen öffentlich beurkundeten "Vorvertrag zum Abschluss eines Kaufvertrages". Vögtlin versprach ihr darin, ihr acht bestimmte Stockwerke und fünf Plätze zum Abstellen von Motorwagen abzukaufen. Der Preis jeden Kaufgegenstandes wurde im Vertrag (Abschnitt I B) genannt, so ein Preis von Fr. 230 700.-- für die Fünfzimmerwohnung Nr. 18. Alle Kaufpreise zusammen betrugen Fr. 1062 000.-- und sollten durch Verrechnung mit einer Darlehensforderung Vögtlins an die Verkäuferin von Fr. 523 800.-- (sog. Konsortialdarlehen) und mit Hilfe eines durch Grundpfand im 1. Range gesicherten Darlehens der Bank Widemann & Co. AG von Fr. 540 000.-- getilgt werden (Abschnitt II 2). Das Grundpfand an der Wohnung Nr. 18 sollte eine Forderung dieser Bank von Fr. 120 000.-- sichern (Abschnitt I B). Unter Ziff. II 5 anerkannten die Vertragschliessenden, dass dem gesamten Kaufpreis "eine voraussichtliche Gesamtkostensumme der gesamten Überbauung von Fr. 2 850 000" zugrunde liege. Bei Überschreitung dieser Summe sollte Vögtlin am Mehrbetrag mit 44% nachschusspflichtig sein. Nach II Ziff. 6 sollten als Gesamtbaukosten sämtliche auf dem Baukonto verbuchten Ausgaben, abzüglich eines Betrages von Fr. 100 000.-- gelten. Um die allfällige Nachschusspflicht sicherzustellen, erklärte sich Vögtlin bereit, die Wohnung Nr. 18 zugunsten der Verkäuferin mit einer Grundpfandverschreibung im II. Rang von Fr. 50 000.-- zu belasten. Der Vorvertrag wurde bis 30. Juni 1967 in dem Sinne befristet, dass der Käufer bis zu diesem Tage die Kaufgegenstände entweder auf Dritte oder auf seinen Namen im Grundbuch eintragen lassen müsse.
Vögtlin verkaufte in der Folge sieben Stockwerke und vier Abstellpätze an Dritte. Das Recht auf Nutzung des fünften

BGE 95 II 419 (421):

Abstellplatzes liess er sich am 15. Dezember 1966 selber ein räumen.
Am 15. Dezember 1966 schloss Vögtlin ferner mit der Bächtold AG einen öffentlich beurkundeten Kaufvertrag ab über das letzte der vom Vorvertrag erfassten Stockwerke, nämlich die Wohnung Nr. 18, sowie über einen Miteigentumsanteil am Garagestockwerk. Der Kaufpreis wurde auf Fr. 260 000.-- festgesetzt. Dieser wurde bis zum Betrage von Fr. 200 000.-- beglichen durch Übernahme der I. Hypothek, Verrechnung und Barzahlung, und für die restlichen Fr. 60 000.-- "durch Übernahme der bestehenden Grundpfandverschreibung von Fr. 50 000.-- unter gleichzeitiger Umwandlung und Erhöhung n einen Inhaberschuldbrief im II. Rang".
Der Kaufvertrag enthält ferner folgende Bestimmung:
"Mit dem Abschluss dieses Kaufvertrages sind die Bestimmungen von Ziff. 5 und 6 des Vorvertrages vom 7. Dezember 1965 erfüllt. Es wird insbesondere festgestellt, dass damit auch die Nachschusspflicht für 44 % gemäss Vorvertrag, ergebend Fr. 60'000.--, von Herrn Kurt Vögtlin geleistet ist. Der Vorvertrag vom 7. Dezember 1965 wird hiermit als erfüllt aufgehoben und die Parteien erklären sich hiermit gegenseitig unter allen Titeln klag- und schadlos auseinandergesetzt..."
Am 15. Februar 1967 beanstandete Vögtlin den vereinbarten Kaufpreis. Er schrieb der Bächtold AG:
"Sie haben mir am 9. Dezember 1966 eröffnet, dass ich mich mit rd. Fr. 64'000.-- an der Baukostenüberschreitung zu beteiligen hätte. Ich war damals in einer unbeschreiblichen moralischen Verfassung... und war unzurechnungsfähig. In dieser Verfassung habe ich nicht gemerkt, dass ich Ihnen durch Errichtung des Schuldbriefes von Fr. 60'000.-- für die Überschreitung mein Todesurteil in die Hand spielte.
Heute muss ich feststellen, dass Ihre Rechnung auf keinen Fall stimmt... Eine Besprechung ist notwendig...
Die Bächtold AG antwortete am 1. März 1967:
"... Die von Ihnen und uns ermittelte Summe der Kostenüberschreitung Aegeri-Park von Fr. 60'000.-- zu Ihren Lasten stellt - wie Sie wissen - einen ungefähren Betrag dar, in der Meinung, die Angelegenheit per Saldo noch im Jahre 1966 erledigt zu haben. Nachdem Sie das Problem neu aufwerfen, sind wir selbstverständlich bereit, den genauen Betrag zu ermitteln, doch hat alsdann dieser verbindliche Wirkung, auch wenn er höher als Fr. 60'000.-- ausfallen sollte, wovon wir, auch unter Würdigung gewisser Einwendungen Ihrerseits, überzeugt sind...


BGE 95 II 419 (422):

Die in der Folge zwischen den Parteien geführten Verhandlungen über die Frage der Kostenüberschreitung führten zu keiner Einigung.
Vögtlin klagte daher gegen die Bächtold AG auf Herausgabe des unbeschwerten Inhaberschuldbriefes von Fr. 60 000.-- und Zahlung von Fr. 17 377.30, eventuell auf Zahlung von Fr. 77 377.30.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage ab. Das Bundesgericht weist auf Berufung des Klägers hin die Sache an die Vorinstanz zurück.
 
Aus den Erwägungen:
a) Dem Handelsgericht ist darin beizupflichten, dass das Einverständnis der Beklagten, den im Kaufvertrag vereinbarten Betrag von Fr. 60 000.-- unter bestimmten Bedingungen herabzusetzen, nicht vom Gegenversprechen des Klägers, ihn unter bestimmten Bedingungen zu erhöhen, losgelöst werden darf. Denn die eine Zusicherung wäre ohne die andere nicht gemacht worden. Beide sind synallagmatisch verknüpft. Die Vereinbarung kann nur als Ganzes gültig oder nichtig sein. Ob sie einer Form bedurfte, darf daher nicht lediglich anhand des bedingten Versprechens der Beklagten entschieden werden, z.B. in unmittelbarer oder sinngemässer Anwendung des Art. 115 OR, sondern das bedingte Gegenversprechen des Klägers ist mitzuberücksichtigen.
b) VON TUHR/SIEGWART äussern sich an der vom Handelsgericht angerufenen Stelle über den Sinn des Art. 12 OR. Das Handelsgericht will also vermutlich sagen, diese Norm hätte die öffentliche Beurkundung erfordert.
Art. 12 OR bestimmt, wenn für einen Vertrag die schriftliche Form gesetzlich vorgeschrieben sei, gelte diese Vorschrift auch

BGE 95 II 419 (423):

für jede Abänderung, mit Ausnahme von ergänzenden Nebenbestimmungen, die mit der Urkunde nicht im Widerspruch stehen. Diese Bestimmung ist nach bewährter Lehre sinngemäss auf Verträge anzuwenden, die der öffentlichen Beurkundung bedürfen (VON TUHR/SIEGWART I S. 229 Anm. 70; BECKER Art. 12 N. 5; OSER/SCHÖNENBERGER Art. 12 N. 9). Darnach hätte die Abänderung des im Vertrag vom 15. Dezember 1966 vereinbarten Kaufpreises der öffentlichen Beurkundung bedurft, denn der Preis ist nicht lediglich eine ergänzende Nebenbestimmung des Kaufes.
Art. 12 OR ist indessen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Parteien verhandelten vom 15. Februar 1967 an nicht über die Abänderung einer Verpflichtung aus dem Kaufvertrag vom 15. Dezember 1966. Aus diesem Rechtsgeschäft bestanden keine vertraglichen Pflichten mehr. Das Eigentum an den Kaufgegenständen war schon auf den Kläger übertragen. Dieser seinerseits hatte die Kaufpreisschuld von Fr. 260 000.-- erfüllt, insbesondere auch insoweit, als sie in der Verpflichtung zur Ausstellung und Übertragung von Schuldbriefen bestanden hatte; denn es wird nicht behauptet, die Parteien hätten verabredet, von Art. 855 ZGB abzuweichen, wonach die Errichtung eines Schuldbriefes die ihr zu Grunde liegende Schuld durch Neuerung tilgt. Dagegen war ungewiss und streitig, ob der Kläger einen Teil des bereits geleisteten Kaufpreises zurückverlangen könne. Der Kläger war der Auffassung, einen solchen Rückforderungsanspruch zu haben. Er machte im Briefe vom 15. Februar 1967 geltend, er sei beim Abschluss des Kaufvertrages "unzurechnungsfähig" gewesen. Damit wollte er sagen, es habe ihm die Handlungsfähigkeit gefehlt oder er habe sich in einer ausserordentlichen seelischen Verfassung irreführen oder übervorteilen lassen oder jedenfalls über die Voraussetzungen, unter denen er auf Grund des Vorvertrages Fr. 60 000.-- hätte zahlen müssen, geirrt. Dieser Sinn ergibt sich namentlich aus dem Satze: "Heute muss ich feststellen, dass Ihre Rechnung auf keinen Fall stimmt...". Indem die Beklagte sich auf das hin am 1. März 1967 einverstanden erklärte, den genauen Betrag der Baukosten zu ermitteln und darüber abzurechnen, und indem der Kläger diesen Vorschlag annahm, schlossen die Parteien einen Vergleich ab. Unter einem solchen ist die durch gegenseitige Zugeständnisse zustandegekommene vertragliche Beseitigung eines Streites oder einer Ungewissheit über ein bestehendes Rechtsverhältnis

BGE 95 II 419 (424):

zu verstehen (BGE 20 1192 f., 36 I 769, 41 II 617, 48 II 107, 54 II 190, 82 II 375; Bundesgericht in Semjud 42 582; § 779 BGB). Im vorliegenden Falle war das aus dem angeblichen Willensmangel entstandene Rechtsverhältnis (Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung) ungewiss und streitig, und die beidseitigen Zugeständnisse lagen darin, dass die vorgeschlagene Abrechnung unbekümmert darum, ob sie einen Anspruch des Klägers oder einen solchen der Beklagten ergeben würde, verbindlich sein sollte.
c) Nach Art. 11 Abs. 1 OR bedürfen die Verträge zu ihrer Gültigkeit nur dann einer besonderen Form, wenn das Gesetz eine solche vorschreibt. Für den aussergerichtlichen Vergleich sieht das Gesetz keine besondere Form vor. Er ist deshalb an sich formlos gültig (MONFRINI, La transaction extrajudiciaire dans le CO, Thèse Lausanne 1937 S. 89; SEETHALER, Der aussergerichtliche Vergleich, Diss. Zürich 1946 S. 71; MEIER-HAYOZ, Vergleich, SJK 463 S. 4). Es verhält sich grundsätzlich selbst dann nicht anders, wenn das ungewisse oder streitige Rechtsverhältnis, das Anlass zum Vergleich gab, einer besonderen Form bedurfte oder aus dem Abschluss eines formbedürftigen Rechtsgeschäftes entstanden war. So bedarf z.B. der Vergleich, der einen Streit über die Wirkungen oder über die Anfechtung eines Grundstückkaufes beilegt, nicht wegen seines Zusammenhanges mit diesem Vertrag schlechthin der öffentlichen Beurkundung. Eine besondere Form muss nur eingehalten werden, wenn die im Vergleich getroffenen Abreden (oder einzelne von ihnen) die Merkmale eines formbedürftigen Vertrages aufweisen. Öffentlich zu beurkunden ist z.B. ein Vergleich, in dem die eine Partei der anderen verspricht, ein Grundstück zu verkaufen oder aus einem anderen Rechtsgrunde Grundeigentum zu übertragen (Art. 216 Abs. 1 OR, Art. 657 ZGB; MEIER-HAYOZ, Vergleich, SJK 463 S. 4; MEIER-HAYOZ N. 22 zu Art. 657 ZGB), nicht aber ein Vergleich, durch den eine Partei im Hinblick auf bestimmte an sich formlos gültige Versprechen der Gegenpartei auf die Anfechtung eines bereits gültig beurkundeten Grundstückkaufes verzichtet.
Im vorliegenden Falle haben die Parteien im Vergleich nicht die Veräusserung von Grundeigentum (Stockwerkeigentum) versprochen. Die im Kaufvertrag vom 15. Dezember 1966 vereinbarte Übertragung der Fünfzimmerwohnung und des Miteigentums

BGE 95 II 419 (425):

am Garagestockwerk blieb unangetastet. Die Parteien haben auch nicht die Kaufpreisschuld aus dem erwähnten Vertrag abgeändert. Es bestand keine Kaufpreisschuld mehr, denn der Preis war schon geleistet. Vereinbart wurde nur, dass je nach dem Ergebnis der Abrechnung auf Grund der tatsächlichen Baukosten entweder a) die Beklagte ihre Forderung aus dem Schuldbrief II. Ranges herabsetze oder erlasse oder allenfalls dem Kläger einen bestimmten Geldbetrag zahle oder b) der Kläger der Beklagten einen bestimmten Geldbetrag zukommen lasse. Die gegenseitigen Versprechen auf diese alternativ bedingten Leistungen hatten einen selbständigen Rechtsgrund. Er bestand nicht im Kauf, sondern ausschliesslich im Vergleich. Die beiden Versprechen brauchten daher nicht öffentlich beurkundet zu werden.
d) Zum gleichen Ergebnis kommt man, wenn man argumentiert, die Parteien hätten durch den Vergleich an die Stelle der im Kauf vom 15. Dezember 1966 enthaltenen Kaufpreisabrede teilweise, nämlich soweit sie die Nachschusspflicht wegen erhöhter Baukosten betraf, wieder die Bestimmungen der Ziffern II/5 und 6 des Vorvertrages vom 7. Dezember 1965 treten lassen wollen, ohne im übrigen den Kauf als solchen anzutasten. Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich der Vergleich inhaltlich einfach als Aufhebung der Abrede vom 15. Dezember 1966. Diese Aufhebung konnte gemäss Art. 115 OR formlos erfolgen, denn nach bewährter Lehre ist diese Bestimmung nicht nur auf die Aufhebung von Forderungen, sondern auch auf die Aufhebung von Rechtsgeschäften anwendbar (VON TUHR/SIEGWART I S. 229; BECKER Art. 115 N. 3; OSER/SCHÖNENBERGER Art. 115 N. 1).
Die Aufhebung hatte zur Folge, dass wieder die Abrede nach Ziffern II/5 und 6 des Vorvertrages in Kraft trat, die durch jene vom 15. Dezember 1966 ersetzt worden war. Der Vorvertrag aber war öffentlich beurkundet worden, ist also formgültig. Die Beklagte hat allerdings in der Klageantwort geltend gemacht, der Vorvertrag habe unter den Parteien schon lange vor dem Abschluss des Kaufvertrages vom 15. Dezember 1966 als in wesentlichen Punkten aufgehoben gegolten, besonders hinsichtlich der Bestimmung unter Ziffer II/6, wonach Fr. 100 000 von den auf dem Baukonto verbuchten Ausgaben abzuziehen seien. Darauf kommt aber für die Frage der Gültigkeit des Vergleichs vom Frühjahr 1967 nichts an. Entweder ist die behauptete

BGE 95 II 419 (426):

Abänderung des Vorvertrages seinerzeit gültig vereinbart worden, dann ist durch den Vergleich vom Frühjahr 1967 wieder der abgeänderte Vorvertrag in Kraft getreten; oder sie hat nicht stattgefunden oder war wegen Formmangels ungültig, dann hat der Vergleich wieder den unabgeänderten Vorvertrag in Kraft gesetzt.