BGE 98 II 281
 
41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. November 1972 i.S. Häcki gegen Häcki.
 
Regeste
Vertrag über eine noch nicht angefallene Erbschaft.
2. Der Vertrag, den ein Erbe unter Mitwirkung und Zustimmung des Erblassers im Sinne von Art. 636 Abs. 1 ZGB mit einem Miterben oder einem Dritten abschliesst, bindet bloss den Veräusserer und den Erwerber, nicht auch den Erblasser, und gibt dem Erwerber nur einen obligatorischen Anspruch gegen den Veräusserer auf das Betreffnis, das diesem bei der Erbteilung zukommt. Die für die Gültigkeit des Vertrags erforderliche Mitwirkung und Zustimmung des Erblassers besteht darin, dass dieser gegenüber den Vertragsparteien eindeutig sein Einverständnis mit dem Vertragsinhalt äussert (Erw. 5 lit. d). Zeitpunkt dieser Äusserung (Erw. 5 lit. e).
3. Der Vertrag bedarf zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form im Sinne von Art. 12 ff. OR (Erw. 5 lit. f; Bestätigung der Rechtsprechung). Dagegen ist für die Gültigkeit des Geschäfts nicht notwendig, dass der Erblasser sein Einverständnis schriftlich äussert (Erw. 5 lit. g; Änderung der Rechtsprechung).
 


BGE 98 II 281 (282):

5. Verträge, die ein Erbe über eine noch nicht angefallene Erbschaft ohne Mitwirkung und Zustimmung des Erblassers mit einem Miterben oder einem Dritten abschliesst, sind nach Art. 636 Abs. 1 ZGB nicht verbindlich. Aus dieser Bestimmung folgt durch Umkehrschluss, dass Verträge über eine noch nicht angefallene Erbschaft gültig zustandekommen können, wenn der Erblasser mitwirkt und zustimmt. Das Einverständnis des Erblassers nimmt solchen Verträgen den anstössigen Charakter, der ihnen wegen einer damit verbundenen Spekulation auf seinen Tod anhaften kann, und bietet unter Umständen dem Erben, der seine künftigen Erbansprüche ganz oder teilweise einem Miterben oder einem Dritten abtritt, einen gewissen Schutz vor wucherischer Ausbeutung (BGE 42 II 194, BGE 56 II 350, BGE 57 II 25 unten; LEEMANN, SJZ 1915/16 S. 149; ESCHER, 3. Aufl. 1960, N. 2, und TUOR/PICENONI, 1964, N. 1 und 2 zu Art. 636 ZGB; TUOR/SCHNYDER, ZGB, 8. Aufl. 1968, S. 423; A. BECK, Grundriss des schweiz. Erbrechts, 1970, S. 151).
Die Auslegung des Erfordernisses der "Mitwirkung und Zustimmung" des Erblassers, die rechtliche Natur des Vertrags über eine noch nicht angefallene Erbschaft und die Frage der Form dieses Vertrags sind umstritten.
a) E. HUBER (Zum schweiz. Sachenrecht, 1914, S. 94 Anm. 3), LEEMANN (a.a.O.) und TUOR (1. Aufl. 1929, N. 6 ff. zu Art. 636 ZGB) nahmen entgegen dem Gesetzeswortlaut an, ein solcher Vertrag bedürfe zu seiner Gültigkeit nicht der Mitwirkung und Zustimmung, sondern bloss der Mitwirkung oder der Zustimmung des Erblassers. Im Falle der Mitwirkung liege ein Erbvertrag vor, der auch den Erblasser binde, "dinglich" wirke (d.h. den Erbanspruch auf den Miterben oder den Dritten übergehen

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lasse) und der Formvorschrift des Art. 512 ZGB unterliege; im Falle der blossen Zustimmung des Erblassers handle es sich um einen rein obligatorischen, den Erblasser nicht bindenden Vertrag zwischen dem Erben, dessen Erbansprüche Vertragsgegenstand sind, und dem Miterben oder dem Dritten. HUBER und TUOR betrachteten für diesen obligatorischenVertrag wie für den in Art. 635 ZGB geregelten Vertrag über eine angefallene Erbschaft die Schriftform als Gültigkeitserfordernis, wogegen LEEMANN unter Hinweis auf Art. 11 OR eine besondere Form als nicht erforderlich bezeichnete. Für die Zustimmung des Erblassers forderte TUOR die Schriftform, während HUBER und LEEMANN (S. 150) eine formlose Erklärung für ausreichend hielten.
b) Das Bundesgericht hat in BGE 56 (1930) II 349 unter Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Art. 635 und 636 ZGB erklärt, ein Vertrag über die Abtretung von Erbanteilen (oder der Erbschaft) an einen Dritten gebe, "wenn entweder der Erbanteil bereits angefallen ist oder aber der Erblasser mitwirkt und zustimmt, dem Dritten zwar kein Recht auf Mitwirkung bei der Teilung..., wohl aber einen Anspruch auf den Anteil, der dem abtretenden Erben aus der Teilung zugewiesen wird". Damit hat das Bundesgericht mindestens implicite verneint, dass im Fall der Mitwirkung des Erblassers bei einem Vertrag über eine noch nicht angefallene Erbschaft stets ein Erbvertrag vorliege, welcher der Form eines solchen bedürfte und "dinglich" wirken, d.h. dem Abtretenden die Stellung eines Erben entziehen und dem dritten Empfänger der Abtretung erlauben würde, bei der Teilung als Erbe mitzuwirken. In BGE 57 II 23 ff. Erw. 1 hat es dann gestützt auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des Art. 636 die Lehrmeinungen verworfen, nach denen zur Gültigkeit eines Vertrags über eine noch nicht angefallene Erbschaft nur entweder die Mitwirkung oder die Zustimmung des Erblassers erforderlich ist, und entschieden, die blosse Zustimmung des Erblassers genüge nicht, sondern der Erblasser müsse sich "am Vertragsabschluss beteiligen ... in einer Weise, die keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass er mit der Verfügung seines Präsumtiverben über seine künftige Erbschaft einverstanden ist"; diese Mitwirkung müsse "in schriftlicher Form erfolgen, wie überhaupt der ganze Vertrag zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form bedarf"; diese Form sei für die Teilung der angefallenen Erbschaft und für den Vertrag über

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Abtretung angefallener Erbanteile vorgeschrieben (Art. 634/35 ZGB), und es sei "nicht einzusehen, wieso die Antizipation derartiger Geschäfte in der Form hätte erleichtert werden wollen"; der über seine künftige Erbschaft verfügende Erbe selbst sei "gar nicht gebunden, solange der Vertrag nicht auch - im Sinne des Einverständnisses - vom Erblasser unterzeichnet worden ist (was freilich auch im Korrespondenzwege geschehen kann)".
c) Dieser Rechtsprechung folgen ESCHER (3. Aufl., N. 9 b zu Art. 636 ZGB) und BECK (a.a.O.). Der Kommentar TUOR/PICENONI gibt in N. 6 ff. zu Art. 636 zunächst die von TUOR in der 1. Auflage vertretene Auffassung wieder, zitiert dann aber in N. 17 den Entscheid BGE 57 II 23 ff., ohne ihn grundsätzlich zu kritisieren, und bemerkt in N. 17 a, diese Praxis lasse es als ratsam erscheinen, den Erblasser seine Zustimmung zugleich mit dem Abschluss des schriftlichen Abtretungsvertrags auf demselben unterschriftlich erteilen zu lassen; indessen müsse auch die zum voraus oder nachträglich gegebene schriftliche Zustimmung (z.B. in Form eines Briefs an die Vertragsparteien) genügen, sofern daraus eindeutig der Wille des Erblassers und der davon betroffene Abtretungsvertrag hervorgehe; eine allgemeine zum voraus gegebene Zustimmung genüge dagegen nicht; die Möglichkeit der erbrechtlich wirksamen Mitwirkung des Erblassers durch Erbvertrag werde durch den Entscheid des Bundesgerichts natürlich nicht berührt. Nach TUOR/SCHNYDER (S. 424) beschränkt sich der Unterschied zwischen der seinerzeit von Tuor und der vom Bundesgericht vertretenen Auffassung im Endergebnis darauf, "dass wohl nach der ersten Auffassung, nicht aber nach jener des Bundesgerichts, auch eine Zustimmung des Erblassers, die nicht den Vertragsparteien gegenüber (sondern in einer einseitigen Erklärung wie in einem Testamente) ausgedrückt wird, als genügend betrachtet werden müsste", und dürfte es im übrigen nicht immer leicht sein, "die Grenze zwischen einer eigentlichen Mitwirkung und einer blossen Zustimmung zu ziehen".
d) An der dargestellten Rechtsprechung ist auf jeden Fall insoweit festzuhalten, als sie unter der "Mitwirkung" des Erblassers im Sinne von Art. 636 ZGB nicht dessen Teilnahme an einem Erbvertrag versteht, sondern den unter Mitwirkung und Zustimmung des Erblassers abgeschlossenen Vertrag über eine noch nicht angefallene Erbschaft als einen Vertrag eigener Art

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zwischen dem seinen Anteil veräussernden Erben und dem Erwerber auffasst und aus dem Erfordernis einer Mitwirkung des Erblassers nur ableitet, dieser müsse sich dadurch, dass er gegenüber den Vertragsparteien eindeutig sein Einverständnis mit der getroffenen Vereinbarung kundgibt, am Vertragsabschluss beteiligen. Die Möglichkeit, den Erblasser nicht bloss auf diese Weise, sondern als Partei eines Erbvertrags in eine Vereinbarung über seine Erbschaft einzubeziehen (und damit die Anwartschaft des Erwerbers durch eine Bindung des Erblassers zu sichern und dem Abtretenden die Eigenschaft eines Erben zu entziehen), ergibt sich schon aus Art. 494 ff. ZGB und brauchte daher in Art. 636 ZGB nicht erwähnt zu werden. Der Umstand, dass das Gesetz die Gültigkeit eines Vertrags über eine noch nicht angefallene Erbschaft aus den in Erwägung 5 Abs. 1 hievor angeführten Gründen vom Einverständnis des Erblassers abhängig macht, ändert nichts daran, dass es sich bei einem solchen Vertrag wie bei dem in Art. 635 Abs. 2 ZGB geregelten Vertrag mit einem Dritten über eine angefallene Erbschaft um einen Vertrag zwischen dem Veräusserer und Erwerber handelt, der nur diese Personen bindet und nicht "dinglich" wirkt, d.h. die erbrechtliche Stellung der Beteiligten nicht beeinflusst, sondern dem Erwerber nur einen obligatorischen Anspruch gegen den Veräusserer auf das diesem bei der Teilung zugewiesene Betreffnis (oder, falls der Veräusserer der einzige Miterbe des Erwerbers oder der einzige Erbe ist, auf die ganze Erbschaft) gewährt. Die neuere Lehre ist denn auch einhellig der Auffassung, dass ein Vertrag über eine noch nicht angefallene Erbschaft, wenn es sich nicht um einen Erbvertrag gemäss Art. 494 ff. ZGB handelt, nur im erwähnten Sinne obligatorisch wirkt (TUOR, N. 18, ESCHER, N. 13, TUOR/PICENONI, N. 18 a zu Art. 636 ZGB; TUOR/SCHNYDER, S. 423; BECK, S. 151).
e) Wie schon in BGE 57 II 26 mit dem Hinweis auf den "Korrespondenzweg" angedeutet, braucht der Erblasser sein Einverständnis nicht in Gegenwart der Vertragsparteien und auch nicht gerade im Zeitpunkt, da diese unter sich einig werden, zu bekunden. Dem Erfordernis, dass er sich durch eine eindeutige Kundgabe seines Einverständnisses am Vertragsabschluss beteiligt, ist Genüge getan, wenn er den ihm - z.B. durch Zustellung eines Entwurfs - im einzelnen bekanntgegebenen Vertragsbestimmungen zustimmt, bevor die Parteien den Vertrag unterzeichnen, oder wenn er sich mit dem von den Parteien

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abgeschlossenen Vertrag nach Bekanntgabe des Vertragsinhalts an ihn einverstanden erklärt. Das gilt wenigstens dann, wenn im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unter den Parteien bzw. der Zustimmung des Erblassers nicht infolge des zeitlichen Abstands zwischen den beiden Akten oder aus andern Gründen am Fortdauern des Einverständnisses des Erblassers bzw. des Vertragswillens der Parteien zu zweifeln ist.
f) Art. 636 ZGB sagt nichts über die Form des hier vorgesehenen Vertrags. Der Vertrag im Sinne von Art. 636 hat jedoch wie die Verträge im Sinne von Art. 635 Abs. 1 und 2 eine Erbschaft (oder einen Erbanteil) zum Gegenstand und erzeugt praktisch die gleichen Rechtswirkungen, wie sie nach Art. 635 Abs. 2 dem Vertrag eines Erben mit einem Dritten über eine angefallene Erbschaft zukommen (vgl. lit. d a.E. hievor). Schon deshalb liegt es nahe, das in Art. 635 Abs. 1 für den Vertrag unter Miterben über eine angefallene Erbschaft aufgestellte Erfordernis der schriftlichen Form, das auch für den Vertrag im Sinne von Art. 635 Abs. 2 gilt (ESCHER, N. 29, TUOR/PICENONI, N. 21 zu Art. 635 ZGB; TUOR/SCHNYDER, S. 420/21), auf den Vertrag im Sinne von Art. 636 ZGB entsprechend anzuwenden. Dazu kommt, dass der Schutz vor Übereilung und die sichere Feststellung des Vertragsinhalts, denen die schriftliche Form dient, bei einem Vertrag nach Art. 636 noch wichtiger sind als bei einem Vertrag nach Art. 635, da der Vertrag über eine noch nicht angefallene Erbschaft ein ausgesprochen aleatorisches Geschäft ist, das besonders sorgfältige Überlegung verlangt, und da der Erbfall, bei dem der Vertrag seine Hauptwirkung äussert, oft erst viele Jahre nach dem Vertragsabschluss eintritt. An der in BGE 57 II 26 vertretenen und von der neuern Lehre (ESCHER, N. 10, TUOR/PICENONI, N. 14 zu Art. 636 ZGB; TUOR/SCHNYDER, S. 423; BECK, S. 151) geteilten Auffassung, dass der Vertrag über eine noch nicht angefallene Erbschaft zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form bedarf, ist daher festzuhalten. Anderseits ist diese Form mit BGE 57 II 26 und den eben erwähnten Autoren auch für den Fall als ausreichend zu erachten, dass die Erbschaft Liegenschaften enthalten sollte (was bei Vertragsabschluss nicht oder doch nicht sicher vorausgesehen werden kann).
Für die schriftliche Form gelten nach Art. 7 ZGB die Vorschriften von Art. 12 ff. OR.
g) Im Interesse der Sicherung des Beweises ist wünschbar, dass die nach Art. 636 ZGB für die Gültigkeit des Vertrags

BGE 98 II 281 (287):

notwendige Äusserung des Erblassers gegenüber den Vertragschliessenden, er sei mit demVertragsinhalt einverstanden, schriftlich festgehalten wird. Die in BGE 57 II 26 ohne nähere Begründung vertretene Auffassung, die Schriftform sei hinsichtlich dieser Äusserung wie hinsichtlich des Vertrages selbst geradezu Gültigkeitserfordernis, vermag jedoch nicht zu überzeugen. Der Erblasser geht mit dieser Äusserung, wie in lit. d hievor dargetan, keine Verpflichtung ein, so dass sich das Erfordernis der Schriftform nicht damit rechtfertigen lässt, der Erblasser müsse in seinem Interesse vor Übereilung geschützt werden. Um dem Vertrag über eine noch nicht angefallene Erbschaft den anstössigen Charakter zu nehmen und dem Erblasser eine gewisse Kontrolle der getroffenen Abmachungen zu ermöglichen (vgl. Erw. 5 Abs. 1 hievor), ist nicht erforderlich, dass der Erblasser seine Erklärung schriftlich abgibt, sondern hiefür genügt, dass der Erblasser in voller Kenntnis des Vertragsinhalts entscheiden kann, ob er dem Vertrag zustimmen will oder nicht. Da es sich bei der Kundgabe des Einverständnisses um eine äusserst einfache Erklärung handelt, macht auch deren Inhalt die schriftliche Fixierung nicht nötig. Daher ist in Abweichung von BGE 57 II 26 anzunehmen, dass es genügt, wenn der Erblasser sein Einverständnis gegenüber den Vertragsparteien formlos äussert, sei es ausdrücklich, sei es durch schlüssiges Verhalten (immer vorausgesetzt, dass es sich um eine klare und eindeutige Äusserung handelt). Es besteht kein zureichender Grund dafür, die nach Art. 636 ZGB erforderliche Zustimmungserklärung des Erblassers gegenüber den Vertragschliessenden in formeller Beziehung strenger zu behandeln als die Genehmigung eines formbedürftigen Geschäfts, das ein urteilsfähiger Unmündiger oder Entmündigter oder eine unter Mitwirkungsbeiratschaft stehende Person allein abgeschlossen hat, durch den Vormund oder den Beirat oder den inzwischen (voll) handlungsfähig gewordenen Vertragspartner selbst, welche Genehmigung formlos erfolgen kann (BGE 75 II 340 ff.).