BGE 99 II 67
 
12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. März 1973 i.S. X. AG gegen Lloyd's Underwriters.
 
Regeste
Versicherungsvertrag.
2. Vertragsbestimmung, wonach der Versicherer für Schaden nicht haftet, der daraus entsteht, dass die vom Versicherungsnehmer im Antragsformular beschriebenen Sicherheitsvorkehren ohne Zustimmung des Versicherers aufgehoben oder abgeändert werden (Wegbedingung der Haftung des Versicherers für den Fall der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit im Sinne von Art. 29 VVG). Betrifft die Angabe des versicherten Juweliers über die Mindestzahl der während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen eine Sicherheitsvorkehr im Sinne dieser Vertragsbestimmung? Auslegung dieser Klausel (Erw. 3).
3. Bedeutet die Unterschreitung der vom Versicherungsnehmer angegebenen Mindestzahl der anwesenden Betriebsangehörigen eine wesentliche Gefahrserhöhung? (Art. 28 VVG; Erw. 4). Pflicht derkantonalen Gerichte, das Bundesrecht von Amtes wegen anzuwenden (Erw. 4 Abs. 1). Folgen einer vom Versicherungsnehmer herbeigeführten Gefahrserhöhung (Erw. 4 lit. a, b): Die Anwendung von Art. 28 Abs. 1 VVG setzt u.a. eine Anderung mit Bezug auf eine erhebliche Gefahrstatsache voraus. Begriff der Gefahrstatsache; Vermutung der Erheblichkeit (Art. 4 VVG). Die Antwort des Versicherungsnehmers auf die Frage nach der Mindestzahl der Anwesenden betrifft eine als erheblich zu vermutende Gefahrstatsache (Erw. 4 c). Besteht zwischen dieser Antwort und weitern Antworten des Versicherungsnehmers ein Widerspruch, um dessen Behebung der Versicherer sich hätte bemühen sollen? (Erw. 4 d). Nachweis, dass die Angabe des Versicherungsnehmers über die Mindestzahl der Anwesenden den Entschluss des Versicherers, den Vertrag zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, nicht beeinflusst hat; Verwerfung der Einrede der Gefahrserhöhung auf Grund dieses Nachweises (Erw. 4 e, f).
4. Kürzung der Versicherungsleistung wegen Mitverschuldens des Versicherungsnehmers bei Beantwortung der Frage nach der Mindestzahl der Anwesenden? (Erw. 5).
 
Sachverhalt


BGE 99 II 67 (69):

A.- Die X. AG betreibt als Grossistin für Edelsteine ein Etagengeschäft in Zürich. Sie pflegte ihre Handelsware bei den Lloyd's Underwriters, London, gegen Gefahren von grundsätzlich jeder Art zu versichern. Dabei wurde jedes Jahr auf Grund eines neuen Antrags eine neue Pauschal-Versicherungspolice für Juweliere (Jewellers'Block Policy) ausgestellt. Am 20. September 1968 unterzeichnete sie einen englisch verfassten

BGE 99 II 67 (70):

Antrag für eine Versicherung zu US $250'000.--, der u.a. die folgenden Fragen und Antworten enthält:
"Questions Answers
... ...
3. Employees
(a) How many employees have you? (a) 4
(b) What is the minimum number of employees
including principals in the sales section of
your premises at any time during business
hours, including lunchtime? (b) 5".
In Beantwortung der Frage 4 über die Warenlagerwerte (stock values) bezifferte die Antragstellerin den durchschnittlichen Gesamtwert (average total value) der eigenen Ware und der ihr anvertrauten Ware auf US $90'000.-- bzw. 60'000.-- und den Höchstwert (maximum value) der beiden Kategorien in den letzten zwölf Monaten auf US $300'000.--. Unter den Ziffern 11-19 gab sie Auskunft über die bestehenden Sicherheitsvorkehren (protections). Gestützt auf diesen Antrag und die Zahlung der Prämie von US $ 5'000.-- stellten ihr Lloyd's unter Verwendung eines französisch abgefassten, mit Angaben in englischer Sprache ausgefüllten und ergänzten Formulars eine für die Zeit vom 31. Dezember 1968 bis und mit 30. Dezember 1969 gültige Police aus. Da der Londoner Versicherungsmakler der Versicherungsnehmerin die Papiere für eine neue Jahresversicherung erst im Januar 1970 zustellte, wurde die Deckung gemäss Police für das Jahr 1969 um 30 Tage (d.h. bis und mit 29. Januar 1970) erstreckt.
B.- Am 27. Januar 1970 überfielen zwei Männer, die Schusswaffen trugen, das Geschäft der Versicherungsnehmerin, in welchem sich nur Fräulein X. (die Tochter des massgebenden Aktionärs X.) und eine Sekretärin befanden, und raubten eigene Ware der Versicherungsnehmerin im Werte von US $263'844.01 und Konsignationswaren Dritter im Werte von US $237'256.25. Eigene Ware und Konsignationsware für mindestens US $30'000.-- bzw. 100'000.-- konnten wieder beigebracht werden.
Die Versicherungsnehmerin erhob Anspruch auf die Versicherungssumme von US $250'000.--. Die Versicherer erklärten durch Schreiben ihrer Beauftragten vom 10. März und 3. Juni 1970 den Rücktritt vom Vertrage und verweigerten jede Leistung, weil die Versicherungsnehmerin nach den Ermittlungen des von ihnen beigezogenen Schadensexperten bei

BGE 99 II 67 (71):

Beantwortung von Frage 4 den Durchschnitts- und den Höchstwert der bei ihr liegenden Ware viel zu niedrig beziffert und ihnen damit eine erhebliche Gefahrstatsache unrichtig mitgeteilt habe (Art. 6 VVG). Eventuell machten sie Unterversicherung geltend (Art. 69 Abs. 2 VVG). Die Versicherungsnehmerin bestritt die Richtigkeit des Expertenbefundes und die ihr gestützt darauf vorgeworfene Anzeigepflichtverletzung und machte geltend, eine Kürzung der Versicherungsleistungen wegen Unterversicherung sei schon deshalb unzulässig, weil die Versicherung eines Teilschadens vereinbart worden sei.
C.- Im September 1970 klagte die Versicherungsnehmerin gegen die Versicherer beim Handelsgericht des Kantons Zürich auf Zahlung der vollen Versicherungssumme.
Die Beklagten hielten an den schon vor dem Prozess erhobenen Einreden fest und machten in der Klageantwort vom 27. November 1970 ausserdem geltend, laut Police sei vereinbart, dass die im Fragebogen beschriebenen Sicherheitsmassnahmen und -einrichtungen ohne Zustimmung der Versicherer weder aufgehoben noch abgeändert werden dürfen und dass die Versicherer im Falle der Verletzung dieser Vereinbarung für den daraus entstandenen Schaden nicht haften ("Il est entendu et convenu que les mesures et installations de sécurité décrites dans le questionnaire ne seront ni supprimées, ni modifiées sans le consentement des assureurs. Si l'assuré contrevenait à cette convention les assureurs ne répondraient pas des dommages survenant de ce fait"); mit ihrer Antwort auf die Frage 3 b habe die Klägerin die Obliegenheit übernommen, die Geschäftsräume während der Geschäftszeiten mit mindestens fünf Personen besetzt zu halten; dabei handle es sich um eine vertraglich festgelegte Vorsichtsmassnahme und Sicherheitsvorkehrung; die Klägerin habe die in Frage stehende Obliegenheit aufs schwerste verletzt, da sich zur Zeit des Schadensfalles nur zwei Damen im Geschäft aufgehalten hätten; das berechtige die Beklagten nach der erwähnten Vertragsklausel und nach Art. 29 Abs. 1 VVG zur Leistungsverweigerung; für den Fall, dass der Richter dieser Auffassung nicht folgen sollte, müsste die Anwesenheit von nur zwei Damen in den Geschäftsräumen der Klägerin angesichts der grossen dort liegenden Werte als grobe Fahrlässigkeit gewürdigt werden, welche die Beklagten nach Art. 14 Abs. 2 VVG zu einer Kürzung ihrer Leistung um mindestens 40% berechtige.


BGE 99 II 67 (72):

Die Klägerin bezeichnete die Einreden der Beklagten als unbegründet und verwies gegenüber dem für die streitige Versicherung verwendeten, dem Eidgenössischen Versicherungsamt nicht vorgelegten englischen Fragebogen auf die von diesem Amt genehmigten, für Abschlüsse in der Schweiz bestimmten Fragebogen in deutscher und französischer Sprache, in denen nach dem Höchstwert des Lagers und nach der Zahl der Angestellten nicht gefragt wird.
Das Handelsgericht erachtete die im englischen Fragebogen enthaltenen Antworten als für die Klägerin verbindlich und nahm an, die Klägerin habe damit, dass sie nicht für die regelmässige Anwesenheit von fünf Personen in den Geschäftsräumen gesorgt habe, wenn nicht eine Obliegenheit verletzt, so doch auf alle Fälle gegenüber dem deklarierten Zustand eine wesentliche Gefahrserhöhung herbeigeführt (Art. 28 VVG), die auf den Eintritt des befürchteten Ereignisses einen Einfluss ausgeübt habe (Art. 32 Ziff. 1 VVG); diese Gefahrserhöhung berechtige die Beklagten nach Art. 28 Abs. 1 VVG und nach der Vertragsklausel über die Sicherheitsmassnahmen zur Leistungsverweigerung. Deshalb wies es die Klage am 8. Mai 1972 ab, ohne die übrigen Einreden der Beklagten zu prüfen.
D.- Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache sei zur quantitativen Bestimmung der Ansprüche der Klägerin an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen die Abweisung der Berufung, eventuell die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Beurteilung ihrer Begehren auf "a) Abweisung der Klage infolge Anzeigeverletzung, b) eventuell Reduktion des eingeklagten Betrages wegen Unterversicherung, c) subeventuell zusätzliche Reduktion wegen Mitverschuldens der Klägerin bei der Beantwortung von Frage 3 im Fragebogen."
Das Bundesgericht hebt das Urteil des Handelsgerichts auf und weist die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
 
Erwägungen:
1. Die Berufungsschrift enthält keinen materiellen Antrag, wie er nach Art. 55 Abs. 1 lit. b OG grundsätzlich erforderlich ist, sondern die Klägerin verlangt nur die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache an die

BGE 99 II 67 (73):

Vorinstanz. Ein solcher Antrag genügt nach der Rechtsprechung, wenn das Bundesgericht bei Gutheissung der vom Berufungskläger verfochtenen Rechtsauffassung kein Sachurteil fällen kann, sondern den Fall zur weitern Abklärung des Tatbestands an die Vorinstanz zurückweisen muss (BGE 95 II 436 Erw. 1 mit Hinweisen). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Falle erfüllt. Das Fehlen eines materiellen Antrags schadet daher der Klägerin nicht.
Die Tatsache, dass die Beklagten das englische Antragsformular dem Eidgenössischen Versicherungsamt entgegen den damals geltenden Vorschriften nicht zur Genehmigung vorgelegt hatten, konnte nur Folgen öffentlich-rechtlicher Art auslösen. Auf die Gültigkeit des Vertrags, der unter Verwendung dieses Formulars abgeschlossen wurde, hat das Fehlen der Genehmigung des Formulartextes durch die Aufsichtsinstanz keinen Einfluss (KOENIG, Schweiz. Privatversicherungsrecht, 3. Aufl., S. 26/27; ROELLI/KELLER, Kommentar zum VVG, I S. 28 Anm. 8).
Die Verbindlichkeit des Versicherungsvertrags, welche die Klägerin mit ihren Einwendungen gegen die Massgeblichkeit des als Vertragsgrundlage verwendeten Formulars in Frage stellt, ist im übrigen Voraussetzung der Klage auf Zahlung der Versicherungssumme.
3. Die Beklagten begründeten die Verweigerung jeder Leistung im kantonalen Verfahren ausschliesslich damit, dass die Klägerin mit der angeblich zu niedrigen Bewertung ihres Warenlagers im Versicherungsantrag ihre Anzeigepflicht verletzt und mit der Unterschreitung der von ihr angegebenen Zahl der in den Geschäftsräumen anwesenden Personen eine vertragliche Obliegenheit verletzt habe. Sie erklärten in der Duplik

BGE 99 II 67 (74):

ausdrücklich, Art. 28 VVG über die Gefahrserhöhung stehe im vorliegenden Prozess nicht zur Diskussion; die Leistungsverweigerung werde nicht mit Gefahrserhöhung begründet. Vor Bundesgericht halten sie an der - vom Handelsgericht nicht abschliessend geprüften - Auffassung fest, dass die Antwort der Klägerin auf die Frage 3 b in Verbindung mit der wiedergegebenen Policenklausel über die Sicherungsvorkehren die Obliegenheit der Klägerin begründet habe, während der Geschäftszeit mindestens fünf Personen in den Geschäftsräumen zu belassen, und dass die Klägerin mit der ohne Zustimmung der Beklagten erfolgten Senkung der Personenzahl auf zwei diese Obliegenheit verletzt habe, was die Beklagten nach der erwähnten Klausel zur Leistungsverweigerung berechtige.
Art. 29 Abs. 1 VVG erlaubt Vertragsabreden, wonach der Versicherungsnehmer bestimmte Obliegenheiten (d.h. Nebenpflichten) übernimmt, um die Gefahr zu vermindern oder eine Gefahrserhöhung zu verhüten, und Art. 29 Abs. 2 VVG lässt grundsätzlich die Vertragsbestimmung zu, dass der Versicherer, wenn eine solche Obliegenheit verletzt wird, an den Vertrag nicht gebunden ist. Auf eine derartige Vertragsbestimmung kann sich jedoch der Versicherer nach der zuletzt genannten Vorschrift nicht berufen., wenn die Verletzung der Obliegenheit keinen Einfluss auf den Eintritt des befürchteten Ereignisses und auf den Umfang der ihm obliegenden Leistung gehabt hat. Ferner bleibt dem Versicherungsnehmer die Exkulpation nach Art. 45 Abs. 1 VVG vorbehalten (vgl. zu alledem KOENIG, S. 127 ff., 197-199; ROELLI/KELLER, S. 426 ff. zu Art. 29 VVG).
Die Klausel des vorliegenden Versicherungsvertrags, aus welcher die Beklagten das Recht zur Leistungsverweigerung wegen Verletzung einer Obliegenheit ableiten, sieht vor, dass die Versicherer für den Schaden nicht haften, der daraus entsteht, dass die im Fragebogen beschriebenen Sicherheitsmassnahmen und -einrichtungen (les mesures et installations de sécurité décrites dans le questionnaire) ohne ihre Zustimmung aufgehoben oder abgeändert werden. Diese Klausel ist nach dem Gesagten grundsätzlich zulässig. Die Tatsache, dass die Klägerin die im Fragebogen unter Ziffer 3 b angegebene Mindestzahl von während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen (employees including principals) nicht aufrechterhielt, fällt unter diese Klausel und rechtfertigt unter Vorbehalt der Exkulpation nach Art. 45

BGE 99 II 67 (75):

Abs. 1 VVG die Leistungsverweigerung der Beklagten, wenn die Angabe der Klägerin über die Mindestzahl der Anwesenden als Beschreibung einer Sicherheitsmassnahme oder -einrichtung aufzufassen ist und die Unterschreitung der angegebenen Zahl für den eingetretenen Schaden kausal war. Fehlt es dagegen an einer dieser Voraussetzungen (oder an beiden), so scheitert die Einrede der Obliegenheitsverletzung.
Die Zahl der Betriebsangehörigen eines Juwelengeschäfts, die während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesend sind, kann für den Versicherer, der den Warenvorrat u.a. gegen alle Arten des Diebstahls durch Dritte versichert, bei der Beurteilung der Gefahr eine gewisse Rolle spielen (vgl. Erw. 4 c hienach). Das erlaubt aber nicht den Schluss, dass der Versicherungsnehmer mit der Angabe dieser Zahl im Fragebogen des Versicherers eine Sicherheitsmassnahme oder -einrichtung beschreibe. Die blosse Tatsache, dass sich in einem Juwelengeschäft während der Geschäftszeit eine bestimmte Anzahl von Betriebsangehörigen aufhalten, um dort ihre geschäftliche Tätigkeit auszuüben, stellt keine Sicherheitsvorkehr im üblichen Sinne dieses Wortes dar, und es besteht kein Grund, diesem Ausdruck im Rahmen der von den Beklagten angerufenen Policenklausel einen weitern als den üblichen Sinn beizulegen. Dass die Frage 3 b eine Sicherheitsvorkehr im Sinne dieser Klausel betreffe, kann um so weniger angenommen werden, als der Fragebogen der Beklagten den Sicherheitsvorkehren unter der Überschrift "Protections" einen besondern Abschnitt (Fragen 11-19) widmet, wo die Beklagten sich mit Ausnahme der Frage, ob das Geschäftshaus zur Nachtzeit vom Antragsteller oder von einem Angestellten oder Hauswart bewohnt sei, ausschliesslich nach gewissen baulichen Verhältnissen und nach technischen Schutzeinrichtungen und -massnahmen erkundigen. Für die Klägerin war es deshalb gegeben, die Vertragsklausel über die im Fragebogen beschriebenen Sicherheitsvorkehren auf die Massnahmen und Einrichtungen zu beziehen, die sie bei Beantwortung der Fragen 11-19 erwähnt hatte. Auf jeden Fall aber lässt der von den Beklagten verfasste Text der Police nicht klar erkennen, dass die Beklagten auch in der Antwort auf die unter der Überschrift "Employees" stehende Frage 3 b die Beschreibung einer Sicherheitsvorkehr im Sinne der erwähnten Vertragsklausel erblicken möchten. Vertragsbestimmungen, die in guten Treuen verschieden aufgefasst werden können, sind

BGE 99 II 67 (76):

nach dem Vertrauensprinzip, das sich aus Art. 2 ZGB ergibt, zu Ungunsten des Vertragspartners auszulegen, der den Vertrag verfasst hat (BGE 87 II 95 f. Erw. 3 mit Hinweisen, BGE 92 II 348, BGE 97 II 73 f. Erw. 3). Diese Regel (sog. Unklarheitenregel) gilt namentlich auch für die Auslegung von Versicherungsverträgen (vgl. die angeführten Entscheide). Daher muss sich die Klägerin nicht vorwerfen lassen, sie habe damit, dass sie die Zahl der im Geschäft Anwesenden unter fünf sinken liess, gegen die Vertragsklausel betreffend die Aufrechterhaltung der im Fragebogen beschriebenen Sicherheitsvorkehren verstossen. Aus diesem Grunde ist die Einrede der Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit zu verwerfen, ohne dass zu prüfen wäre, ob das erwähnte Verhalten der Klägerin für den Schaden kausal sei.
4. Obwohl die Beklagten im kantonalen Verfahren erklärt hatten, die Leistungsverweigerung werde nicht mit Gefahrserhöhung begründet, durfte und musste die Vorinstanz prüfen, ob die in den Prozess eingeführten Tatsachen den Beklagten erlauben, die von ihnen verlangte Leistung wegen Gefahrserhöhung zu verweigern. Das Bundesrecht ist nämlich vom kantonalen Richter (wie gemäss Art. 63 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 OG vom Bundesgericht) unabhängig von der Begründung der Parteianträge von Amtes wegen anzuwenden (KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft nach schweiz. Recht, 1954, S. 104/05; LEUCH, Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl. 1956, S. 224/25; GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1958, S. 69/70, 132, und ZSR 1961 II 34; VOYAME, ZSR 1961 II 108lit. d a.E.; ebenso die seitherige Rechtsprechung des Bundesgerichts: BGE 89 II 339 f. Erw. 2, BGE 90 II 40 Erw. 6 b, BGE 95 II 252 Erw. 3), und weder das Bundesrecht (Art. 28 VVG) noch die gemäss Bundesrecht zu beachtenden Bestimmungen des vorliegenden Versicherungsvertrags machen den Hinfall der Leistungspflicht des Versicherers wegen wesentlicher Gefahrserhöhung davon abhängig, dass dieser ausdrücklich geltend macht, beim Sachverhalt, mit dem er seine Leistungsverweigerung begründet, handle es sich um eine solche Gefahrserhöhung. Dass die Beklagten nicht bloss die Erhebung dieses Einwands unterlassen, sondern vor Handelsgericht geradezu erklärt haben, Art. 28 VVG stehe nicht zur Diskussion, die Leistungsverweigerung werde nicht mit Gefahrserhöhung, sondern nur mit Verletzung der Anzeigepflicht und einer vertraglichen

BGE 99 II 67 (77):

Obliegenheit begründet (Erw. 3 hievor), bedeutet nicht etwa einen Verzicht auf den Rücktritt vom Vertrag, der nach Art. 32 Ziff. 4 VVG den Eintritt der Rechtsfolgen der Gefahrserhöhung ausschlösse, sondern jene Erklärung betraf nur die für den Richter nicht massgebende rechtliche Begründung des tatsächlich erfolgten Rücktritts. Die Frage, ob eine wesentliche Gefahrserhöhung im Sinne des Gesetzes vorliege, ist daher materiell zu prüfen.
a) Wenn überhaupt eine solche Gefahrserhöhung vorliegt, kann es sich nur um eine solche "mit Zutun des Versicherungsnehmers" im Sinne des bereits angeführten Art. 28 VVG handeln; denn die Klägerin bestimmte die Zahl der Betriebsangehörigen, die sich während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen aufzuhalten hatten.
b) Die Tatsache, dass der Versicherungsnehmer im Laufe der Versicherung eine wesentliche Gefahrserhöhung herbeigeführt hat, bewirkt nach Art. 28 Abs. 1 VVG unter Vorbehalt von Art. 32 VVG ohne weiteres, dass der Versicherer für die Folgezeit an den Vertrag nicht gebunden ist. Die in der vorliegenden Police enthaltenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen lauten im gleichen Sinne. Der Eintritt der erwähnten Rechtsfolge hängt also nicht etwa davon ab, dass sich der Versicherer innert einer bestimmten Frist vom Vertrag lossagt. Die Klausel der Versicherungsbedingungen, wonach der Versicherer an den Vertrag gebunden bleibt, wenn er nicht innert 14 Tagen seit der dem Versicherungsnehmer vertraglich vorgeschriebenen Mitteilung der Gefahrserhöhung (Art. 28 Abs. 3 VVG) vom Vertrage zurücktritt, greift im vorliegenden Falle nicht ein, weil hier eine solche Mitteilung nicht erfolgt ist.
c) Die Gefahrserhöhung ist nach Art. 28 Abs. 2 VVG wesentlich, "wenn sie auf der Änderung einer für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsache (Art. 4) beruht, deren Umfang die Parteien beim Vertragsabschlusse festgestellt haben". Die Anwendung von Art. 28 Abs. 1 VVG setzt also u.a. voraus, dass eine Änderung mit Bezug auf eine Tatsache eingetreten ist, die der Versicherungsnehmer nach Art. 4 Abs. 1 VVG auf eine Frage des Versicherers hin diesem mitzuteilen hatte, und dass diese Gefahrstatsache im Sinne von Art. 4 Abs. 2 VVG erheblich war.
Gefahrtatsachen sind alle Tatsachen, die bei Beurteilung der Gefahr in Betracht fallen, mit andern Worten den Versicherer

BGE 99 II 67 (78):

über den Umfang der zu deckenden Gefahr aufklären können, also nicht nur solche Tatsachen, welche die Gefahr verursachen, sondern auch solche, die bloss einen Rückschluss auf das Vorliegen von die Gefahr verursachenden Tatsachen gestatten (BGE 55 II 58, BGE 72 II 130 oben, BGE 75 II 163 Erw. 3; ROELLI/KELLER, S. 96/97 § 2). Erheblich sind nach Art. 4 Abs. 2 VVG "diejenigen Gefahrstatsachen, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, einen Einfluss auszuüben". Die Gefahrstatsachen, auf welche die schriftlichen Fragen des Versicherers in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind, werden nach Art. 4 Abs. 3 VVG als erheblich vermutet.
Soll der Warenvorrat eines Juwelengeschäfts u.a. gegen Diebstahl jeder Art, also z.B. gegen Raub in seinen mannigfachen Formen und gegen Trick- und Einschleichdiebstahl versichert werden, so kann die Zahl der Betriebsangehörigen, die sich während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen aufhalten, den Versicherer bei der Beurteilung der versicherten Gefahr interessieren, da eine schwache personelle Besetzung der Räume unter Umständen einen solchen Diebstahl erleichtert. Die Zahl der anwesenden Betriebsangehörigen hat daher als Gefahrstatsache zu gelten.
Diese Zahl ist Gegenstand der Frage 3 b des von den Beklagten im vorliegenden Fall verwendeten Fragebogens. Da das Geschäft der Klägerin nach ihren eigenen Angaben ein Engrosgeschäft ("Wholesale 100%") ohne Detailverkauf ("Retail"), Produktion ("Manufacturing") oder Pfandleihtätigkeit ("Pawnbroking") darstellt, ist der in Frage 3 b verwendete Ausdruck "sales section of your premises" im Falle der Klägerin nach Treu und Glauben auf die Gesamtheit der Geschäftsräume zu beziehen. Mit der Frage 3 b haben sich die Beklagten also in für die Klägerin klarer und unmissverständlicher Weise nach der Mindestzahl der während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen erkundigt. Daher ist nach Art. 4 Abs. 3 VVG zu vermuten, es handle sich dabei um eine im Sinne von Art. 4 Abs. 2 VVG erhebliche Gefahrstatsache. Dass die in Frage stehende Zahl bei einer objektiven, vernünftigen Würdigung (vgl. ROELLI/KELLER, S. 97/98) überhaupt nicht geeignet gewesen sei, den Vertragswillen der

BGE 99 II 67 (79):

Beklagten zu beeinflussen, was die Vermutung der Erheblichkeit entkräften würde, lässt sich nicht sagen. Daher ist zunächst davon auszugehen, dass die Antwort der Klägerin auf die Frage 3 b eine im Sinne von Art. 4 Abs. 2 VVG erhebliche, d.h. zur Beeinflussung des Vertragswillens der Beklagten an sich geeignete Gefahrstatsache betreffe.
d) Die Klägerin will ihre Antwort auf die Frage 3 b nicht gegen sich gelten lassen. Sie behauptet, für die Beklagten sei klar erkennbar gewesen, dass diese Antwort mit den Antworten auf die Fragen 3 a und 7 in unlösbarem Widerspruch stehe und geradezu unsinnig sei; nach BGE 90 II 456 hätten die Beklagten für eine Behebung dieser Widersprüche sorgen müssen.
Der Versicherer ist im allgemeinen nicht verpflichtet, den Gefahrstatsachen nachzuforschen und die Angaben des Versicherungsnehmers über solche Tatsachen zu überprüfen (BGE 73 II 56 Erw. 6, BGE 90 II 456; ROELLI/Keller, S. 161). Er ist jedoch nach Treu und Glauben gehalten, Unklarheiten und Widersprüche, die sich aus dem Wortlaut des Versicherungsantrags unmittelbar ergeben, zu beseitigen oder beseitigen zu helfen (vgl. den zuletzt angeführten Entscheid).
Wie bereits ausgeführt (lit. c hievor), ist der Ausdruck "sales section", der in Frage 3 b verwendet wird, im vorliegenden Falle auf die Gesamtheit der Geschäftsräume zu beziehen. Die Behauptung der Klägerin, bei einer Aktiengesellschaft könne es keine "principals" geben, wie sie in Frage 3 b erwähnt werden, trifft nicht zu. Das englische Hauptwort "principal" bezeichnet im Handelswesen nicht bloss den Geschäftsinhaber, sondern ist auf jede leitende Persönlichkeit, insbesondere auf einen "Chef" anwendbar (Langenscheidts Handwörterbuch Englisch, Englisch-Deutsch, 11. Aufl. 1969, Art. principal, II 5, S. 481; Harrap's Standard French and English Dictionary, English-French, 1955, Art. principal, II 1, S. 954), was X., der den Versicherungsantrag unterzeichnete und unstreitig des Englischen mächtig ist, zweifellos wusste. Bei der Klägerin hatte mindestens der Haupt- oder Alleinaktionär X., der im Geschäftsbetrieb massgebend mitwirkte, die Stellung eines solchen "principal". Bei dieser Sachlage brauchten die Beklagten nicht ohne weiteres anzunehmen, zwischen der Antwort auf die Frage 3 a (die Klägerin habe vier "employees") und der Antwort auf die Frage 3 b (die Mindestzahl der während

BGE 99 II 67 (80):

der Geschäftszeit in der "sales section" anwesenden "employees including principals" betrage fünf) bestehe ein Widerspruch, welcher der Aufklärung bedürfe.
Heikler ist das Problem, ob sich die Antworten auf die Fragen 3 a und 3 b mit der Antwort auf Frage 7 vereinbaren lassen. Diese Frage betrifft das gemäss lit. B der "Special Conditions" nur bis zu US $ 150'000.-- versicherte "Outdoor risk" (Aussenrisiko). Die Beklagten forderten die Klägerin mit dieser Frage auf, ihnen in bezug auf alles versicherte Gut, das "by yourselves and your employees (e.g. travellers, outside salesmen, messengers and delivery hands but NOT Brokers)", d.h. "durch Sie (Klägerin) selbst und Ihre Angestellten (z.B. Reisende, externe Verkäufer, Boten und Lieferpersonal, aber NICHT Makler)", an Orte ausserhalb der Geschäftsräume verbracht wird, die Namen aller "principals, travellers and outside salesmen" zu nennen, die in der Stadt oder im Lande des Geschäftssitzes oder anderswo versicherte Ware mit sich führen, und für jede Person die Zahl der (Reise-) Tage sowie den Mittel- und Höchstwert der mitgeführten Ware anzugeben. In ihrer Antwort auf Frage 7 gab die Klägerin für die Stadt des Geschäftssitzes die folgenden vier Namen an: "Fräulein X., X., W, B". (Für die beiden andern Gebiete nannte sie nur die drei zuletzt genannten Personen). Rechneten die Beklagten von den vier erwähnten Personen nur X., den Unterzeichner des Versicherungsantrags, zu den "principals", was angesichts des geringen Personalbestands der Firma nahelag, so blieben für die Kategorie der "travellers and outside salesmen" drei Personen übrig. Diese hatten nach den Beispielen, mit denen in Frage 7 der Begriff der "employees" erläutert wurde, als Angestellte zu gelten. Hatte die Klägerin gemäss ihrer Antwort auf Frage 3 a im ganzen vier Angestellte und entfielen davon drei auf die Reisenden und externen Verkäufer, so konnte nur ein anderer Angestellter vorhanden sei. Mit einem reisenden "principal", drei Reisenden oder externen Verkäufern und einem andern Angestellten, d.h. mit insgesamt fünf Personen, von denen vier zeitweise unterwegs waren, liess sich die ständige Anwesenheit von fünf Personen in den Geschäftsräumen während der Geschäftszeit offensichtlich nicht aufrechterhalten. Das musste aber auch dann noch zum mindesten als schwierig erscheinen, wenn von den vier namentlich erwähnten Personen ausser X. noch eine weitere Person (z.B. Fräulein X.) zu den

BGE 99 II 67 (81):

"principals" gezählt und folglich angenommen wurde, neben zwei reisenden "principals" seien zwei reisende Angestellte und zwei andere Angestellte, insgesamt also sechs zum Betrieb gehörende Personen vorhanden. Dass immer nur höchstens eine dieser Personen unterwegs sei, war angesichts der Gesamtzahl der angegebenen Reisetage (145) und der Möglichkeit von Krankheiten und andern Abhaltungen wenig wahrscheinlich. Betrachteten die Beklagten die Antworten auf die Fragen 3 a und 3 b im Zusammenhang mit der Antwort auf Frage 7, so mussten ihnen also Zweifel darüber aufsteigen, ob die Angabe unter Ziffer 3 b stimmen könne, dass während der Geschäftszeit ständig (at any time) fünf Personen (employees including principals) in den Geschäftsräumen anwesend seien. Die gleiche Überlegung gilt auch schon für die Antworten im Fragebogen vom 25. September 1967, welcher der Versicherung für das Jahr 1968 zugrunde lag (Zahl der Angestellten: 2; Mindestzahl der anwesenden employees including principals: 3; principals, travellers und outside salesmen im Sinne von Frage 7: Frau Z., Fräulein X. und X. mit insgesamt 180 Reisetagen; reisende Angestellte je nachdem, ob nur X. oder auch Fräulein X. als "principal" angesehen wurde: 2 oder 1; nicht reisende Angestellte: 0 oder 1; gesamter Personalbestand folglich entweder ein reisender "principal" und zwei reisende Angestellte = drei Personen, oder zwei reisende "principals", ein reisender Angestellter und ein anderer Angestellter = vier Personen, was für die Aufrechterhaltung einer ständigen Präsenz von drei Personen ungenügend oder doch sehr knapp war).
Es kann sich allerdings fragen, ob die Beklagten verpflichtet gewesen seien, die Antworten auf die Fragen 3 a, 3 b und 7 in dieser Weise miteinander zu vergleichen. Als Grund für die Bejahung dieser Frage lässt sich anführen, dass die Angabe einer Mindestpräsenz von 5 (Vorjahr 3) Personen bei 4 (Vorjahr 2) Angestellten und 4 (Vorjahr 3) zeitweise auf Reisen befindlichen "principals" und Angestellten schon auf den ersten Blick (ohne die hievor angestellte Berechnung) recht auffällig war. Ob den Beklagten in dieser Hinsicht eine pflichtwidrige Unterlassung vorzuwerfen sei und welche Rechtsfolgen an eine solche Unterlassung zu knüpfen wären, kann jedoch offen bleiben, wenn sich ergibt, dass die Unterschreitung der unter Ziffer 3 b angegebenen Mindestzahl von während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen

BGE 99 II 67 (82):

die Leistungsverweigerung der Beklagten unter dem Gesichtspunkte der Gefahrserhöhung aus einem andern Grunde nicht zu rechtfertigen vermag.
e) Beruft sich der Versicherer zur Begründung seiner Leistungsverweigerung auf eine Angabe des Versicherungsnehmers über eine Gefahrstatsache, die nach Art. 4 VVG an und für sich als erheblich zu gelten hat, so bleibt dem Versicherungsnehmer der Nachweis vorbehalten, dass seine Angabe über diese Tatsache den Willensentschluss des Versicherers im konkreten Fall in Wirklichkeit nicht beeinflusst hat, mit andern Worten, dass der Versicherer den Vertrag so, wie er zustandekam, auch dann geschlossen hätte, wenn die Angabe über die betreffende Tatsache gefehlt oder anders gelautet hätte (BGE 39 II 309, 75 II 163, 165, 92 II 352 Erw. 5; ROELLI/KELLER, S. 98/99; vgl. auch KOENIG S. 176 f. Anm. 2).
Im vorliegenden Falle steht fest, dass die Beklagten speziell für die schweizerische Kundschaft bestimmte Antragsformulare in deutscher und in französischer Sprache (mit dem Datumvermerk 1.1.48) geschaffen haben, welche die Fragen nach der Zahl der Angestellten und nach der Mindestzahl der während der Geschäftszeit in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen sowie nach den Namen der reisenden "principals, travellers and outside salesmen" nicht enthalten. Diese Formulare wurden auch noch verwendet, nachdem das englische Formular (mit dem Datumvermerk 11.3.65), das die erwähnten Fragen enthält, geschaffen worden war. Die Beklagten liessen der Klägerin noch für die Versicherungen pro 1966 und 1967 das französisch abgefasste Formular vorlegen (Anträge vom 3. September 1965 und 26. August 1966). Sogar dem Schreiben von 11. Mai 1970, mit welchem eine Maklerfirma der Klägerin mitteilte, dass einige "Underwriters" anscheinend bereit seien, einen neuen Anschluss in Betracht zu ziehen, lag neben dem englischen ein schweizerisches Formular bei. Als die Beklagten der Klägerin für die Versicherung pro 1968 erstmals das englische Formular vorlegen liessen, machten sie die Klägerin nicht darauf aufmerksam, dass dieses Formular neue Fragen über für die Beklagten wesentliche Punkte enthalte, wie das angesichts der unstreitig schon seit mehreren Jahren bestehenden Geschäftsbeziehungen nahegelegen und dem Gebote von Treu und Glauben entsprochen hätte, wenn die neu verlangten Angaben für die Entschliessung der Beklagten wirklich wesentlich

BGE 99 II 67 (83):

gewesen wären. Trotz den beträchtlichen Unterschieden, welche die Anträge für die Versicherungsjahre 1968 und 1969 in den Angaben über die Zahl der Angestellten (2 bzw. 4) und über die Mindestzahl der Anwesenden (3 bzw. 5) aufweisen, forderten die Beklagten für diese beiden Jahre bei im übrigen gleichen Verhältnissen die gleiche Prämie. Während der vorprozessualen Auseinandersetzungen der Parteien, die vom Schadensfall (27. Januar 1970) bis in dem Sommer 1970 dauerten, beriefen sich die Beklagten nicht auf die Tatsache, dass die Klägerin die im Antrag vom 20. September 1968 angegebene Mindestzahl von Anwesenden nicht aufrechterhalten hatte. Diesen Einwand brachten sie vielmehr erst in der Klageantwort vom 27. November 1970 vor. Den Übergang von den früher verwendeten schweizerischen Formularen zum englischen begründeten sie in der Klageantwort nur damit, dass der massgebende Leiter der Klägerin, X., das Englische besser beherrsche, sowie damit, dass die Beklagten bei ihrer Entschliessung über die Annahme und Tarifierung eines Risikos der in Frage stehenden Art in vermehrtem Masse auch auf den (im englischen Formular neu erfragten) maximalen Lagerbestand abstellten.
In Anbetracht all dieser Umstände muss angenommen werden, dass die Antwort auf die Frage 3 b des englischen Formulars den Beklagten jedenfalls im Falle der Klägerin gleichgültig war und ihren Entschluss, die Warenvorräte der Klägerin zu den vereinbarten Bedingungen zu versichern, in Wirklichkeit nicht beeinflusste. Hiebei bleibt es auch dann, wenn man mit ROELLI/KELLER (a.a.O. S. 99; vgl. auch BGE 39 II 309 Mitte) annehmen will, zum Nachweis, dass eine an sich erhebliche Tatsache ohne Einfluss auf die Entschliessung des Versicherers geblieben sei, genüge nicht, "dass der Versicherungsnehmer dartut, dass der Versicherer bei frühern oder bei andern - mit Dritten abgeschlossenen - Versicherungen auf eine bestimmte Gefahrstatsache kein Gewicht gelegt hat"; vielmehr müsse der Nachweis der Unerheblichkeit für den konkreten Vertragsabschluss erbracht werden. Im vorliegenden Falle ist nämlich, wie ausgeführt, nicht bloss dargetan, dass sich die Beklagten bei frühern Abschlüssen mit der Klägerin und offenbar auch bei Abschlüssen mit andern schweizerischen Kunden für die Mindestzahl der in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen nicht interessierten. Vielmehr steht fest, dass die Beklagten im Verkehr mit der Klägerin noch in einer Zeit, da

BGE 99 II 67 (84):

bereits ein Formular mit der Frage nach dieser Zahl vorlag, Formulare ohne diese Frage verwendeten, und dieser Umstand ist nur ein Glied in einer ganzen Kette von Indizien, die in ihrer Gesamtheit darauf schliessen lassen, dass die erwähnte Zahl für die Beklagten beim Abschluss der streitigen Versicherung für das Jahr 1969 (und bei deren Verlängerung um 30 Tage) keine Rolle spielte. Anders als durch Schlüsse, die mit Hilfe der allgemeinen Lebenserfahrung aus den gesamten Umständen, insbesondere aus dem Verhalten des Versicherers, gezogen werden, lässt sich der grundsätzlich zulässige Beweis, dass eine bestimmte Gefahrstatsache die Entschliessung des Versicherers im konkreten Falle nicht beeinflusste, in der Regel nicht erbringen. Solche Schlüsse unterliegen im Berufungsverfahren der Überprüfung durch das Bundesgericht (BGE 92 II 352 f. Erw. 5; vgl. auch BGE 39 II 309, BGE 75 II 163/64).
f) Betraf die Frage 3 b eine für den Abschluss und die Bedingungen des streitigen Vertrags effektiv nicht erhebliche Gefahrstatsache, so fehlt gemäss lit. c hievor eine Grundvoraussetzung für die Anwendung von Art. 28 Abs. 1 VVG. Die Einrede der Gefahrserhöhung ist deshalb zu verwerfen, ohne dass noch zu prüfen wäre, ob die Parteien im Sinne von Art. 28 Abs. 2 VVG den "Umfang" der fraglichen Tatsache "beim Vertragsabschlusse festgestellt haben" (vgl. zu diesem Erfordernis einerseits KOENIG S. 188/89, anderseits ROELLI/KELLER, S. 401/02), ob die von den Beklagten geltend gemachte Unterschreitung der Mindestzahl der in den Geschäftsräumen anwesenden Betriebsangehörigen als "wesentliche" Gefahrserhöhung angesehen werden könnte und ob sich die Klägerin, falls alle Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 28 VVG erfüllt wären, auf Art. 32 Ziff. 1 VVG berufen könnte, wonach die an die Gefahrserhöhung geknüpften Rechtsfolgen nicht eintreten, wenn die Gefahrserhöhung "auf den Eintritt des befürchteten Ereignisses und auf den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung keinen Einfluss ausgeübt hat".
5. Erlaubt die Unterschreitung der von der Klägerin unter Ziff. 3 b des Fragebogens angegebenen Mindestzahl der Anwesenden den Beklagten aus den angeführten Gründen nicht, ihre Leistung wegen Verletzung einer Obliegenheit oder wegen Gefahrserhöhung zu verweigern, so ist das auf die gegenteilige Auffassung gestützte Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie prüfe, ob

BGE 99 II 67 (85):

die Beklagten berechtigt seien, ihre Leistung wegen Verletzung der Anzeigepflicht bei Beantwortung von Frage 4 zu verweigern oder ihre Leistung wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des befürchteten Ereignisses (Art. 14 Abs. 2 VVG) oder wegen Unterversicherung (Art. 69 Abs. 2 VVG) zu kürzen. Dagegen kommt nicht in Frage, die Leistung der Beklagten im Sinne von Eventualantrag c der Berufungsantwort deswegen zu kürzen, weil der Klägerin ein erhebliches Mitverschulden bei der Beantwortung von Frage 3 b vorzuwerfen sei, das eine allfällige culpa in contrahendo der Beklagten (vgl. Erw. 4 d hievor; Nichtabklärung von Widersprüchen im Antrag) grossenteils kompensieren würde (vgl. BGE 90 II 458 f. Erw. 6); denn für die Annahme, dass die Antwort der Klägerin auf die Frage 3 b den Beklagten nicht erlaube, jede Leistung zu verweigern, ist nicht eine den Beklagten möglicherweise vorzuwerfende culpa in contrahendo, sondern die Tatsache entscheidend, dass die Klägerin mit ihrer Antwort auf die erwähnte Frage keine von ihr aufrechtzuerhaltende Sicherheitsvorkehr beschrieben hat und dass die Entschliessung der Beklagten durch diese Antwort überhaupt nicht beeinflusst wurde.