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Urteilskopf

109 IV 68


20. Urteil des Kassationshofes vom 2. August 1983 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 41 Ziff. 1 StGB. Bedingter Strafvollzug für Zusatzstrafe.
Die Gewährung des bedingten Strafvollzugs ist ausgeschlossen, wenn die Strafdauer der früher verhängten Grundstrafe(n) und der neuen Zusatzstrafe insgesamt 18 Monate übersteigt. Besondere Problematik, wenn die "Zusatzstrafe" Teil einer neuen Gesamtstrafe ist, mit welcher auch nach der früheren Verurteilung begangene Delikte geahndet werden.

Sachverhalt ab Seite 69

BGE 109 IV 68 S. 69

A.- S. ist in den Jahren 1977 bis 1979 zu folgenden unbedingten Freiheitsstrafen verurteilt worden:
25. März 1977 45 Tage Gefängnis
11. April 1978 4 Wochen Haft
20. Oktober 1978 1 Jahr Gefängnis (bestätigt durch Urteil des Obergerichtes vom 13. November 1979)
Wegen eines Einbruchdiebstahls, begangen am 1./2. Juni 1976 in Stallikon, sowie wegen eines versuchten Versicherungsbetrugs, begangen im April 1979 (oder im Juni 1979), sprach das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft S. am 24. Mai 1983 im Appellationsverfahren des Diebstahls, des versuchten Betrugs, der Sachbeschädigung sowie des Hausfriedensbruchs schuldig und verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten als Teilzusatzstrafe zu den durch die Urteile vom 25. März 1977, 11. April 1978 und 13. November 1979 ausgefällten Strafen. Die Gewährung des bedingten Strafvollzugs erachtete das Obergericht für ausgeschlossen, weil die Teilzusatzstrafe zusammen mit den drei verbüssten Grundstrafen die Limite von 18 Monaten (Art. 41 Ziff. 1 StGB) überschreitet.

B.- S. führt gegen diesen Entscheid des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich ausschliesslich gegen die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Art. 68 Ziff. 2 StGB schreibt vor, dass eine Tat, welche bei rechtzeitiger Abklärung zusammen mit anderen Delikten durch eine Gesamtstrafe gemäss Art. 68 Ziff. 1 StGB hätte geahndet werden können, im Rahmen eines nachträglichen separaten Verfahrens nicht schwerer zu bestrafen sei, als wenn die Mehrheit strafbarer Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wäre. Der Täter soll durch die Aufteilung der Strafverfolgung in mehrere Verfahren weder benachteiligt noch besser gestellt werden (BGE 102 IV 244, BGE 94 IV 50, BGE 80 IV 225). Dieser Grundsatz muss sinngemäss auch für die Frage gelten, ob die Gewährung des bedingten Strafvollzuges wegen der Höhe der Strafe gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zulässig oder ausgeschlossen ist.
Geht es nur um eine eigentliche Zusatzstrafe gemäss Ziff. 2 von Art. 68 StGB, durch welche ein oder mehrere vor der ersten
BGE 109 IV 68 S. 70
(rechtskräftigen) Verurteilung begangene Delikte geahndet werden, so ist gemäss konstanter Praxis die aus Grundstrafe und Zusatzstrafe sich ergebende gesamte Strafdauer dafür massgebend, ob für die Zusatzstrafe objektiv der bedingte Strafvollzug noch in Betracht kommt (BGE 76 IV 75, BGE 80 IV 10, BGE 94 IV 49). Überschreitet die gesamte Strafdauer die Grenze von 18 Monaten nicht, so ist der bedingte Strafvollzug für die Zusatzstrafe nicht ausgeschlossen, selbst wenn der für die Grundstrafe zuständige Richter seinerzeit den bedingten Strafvollzug aus subjektiven Gründen nicht gewährte; die Prognose wird neu geprüft. Wird durch die Zusatzstrafe die gesetzliche Grenze von 18 Monaten überschritten, so entfällt die Möglichkeit des bedingten Strafvollzugs für diese Zusatzstrafe. Ein in einem solchen Fall für die rechtskräftige Grundstrafe gewährter bedingter Strafvollzug bleibt bestehen, obschon das neue Verfahren zeigt, dass bei gleichzeitiger Beurteilung aller Delikte das dann zur Anwendung kommende Strafmass den bedingten Strafvollzug gesamthaft ausgeschlossen hätte. Da die Rechtskraft des die Grundstrafe betreffenden Urteils nicht angetastet wird, hat die Aufspaltung auf zwei Verfahren (Art. 68 Ziff. 2 StGB) somit in derartigen Fällen eine gewisse Besserstellung bezüglich der Möglichkeit des bedingten Strafvollzugs zur Folge.

2. Von den erwähnten Präjudizien unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt insofern, als die neue (zweite) Strafe nur teilweise Zusatzstrafe ist, nämlich soweit es um die Bestrafung der vor dem Zeitpunkt der ersten Verurteilung begangenen Delikte (Einbruch in Stallikon) geht, nicht aber bezüglich der Bestrafung des Versuchs eines Versicherungsbetruges, der während des kantonalen Rechtsmittelverfahrens betreffend Urteil vom 20. Oktober 1978 (1 Jahr Gefängnis) begangen wurde (vgl. BGE 102 IV 242, BGE 94 IV 54). Die Bemessung einer Freiheitsstrafe für Handlungen, die der Täter teils vor, teils nach einer früheren Verurteilung beging, sollte richtigerweise unter Berücksichtigung des Grundgedankens von Art. 68 Ziff. 2 StGB erfolgen. Das Bundesgericht hat jedoch in BGE 75 IV 162 in Anbetracht der praktischen Schwierigkeiten einer überzeugenden Kombination von Art. 68 Ziff. 1 und Ziff. 2 StGB erklärt, das Bundesrecht sei nicht verletzt, wenn in einem solchen Fall aus der Urteilsbegründung nicht hervorgehe, ob für die vor einer früheren Verurteilung begangenen Taten im Sinne von Art. 68 Ziff. 2 StGB nur eine "zusätzliche" Bestrafung erfolgt sei. Lässt sich aber aufgrund der Erwägungen der Vorinstanz ohne weiteres feststellen, welcher Anteil der neuen Strafe
BGE 109 IV 68 S. 71
ungefähr als Zusatzstrafe zu einem früheren Urteil zu betrachten ist, so entspricht es der korrekten Anwendung von Art. 68 und Art. 41 Ziff. 1 StGB, die objektive Möglichkeit des bedingten Strafvollzuges davon abhängig zu machen, ob diese in der neuen Gesamtstrafe enthaltene Zusatzstrafe zusammen mit der zugehörigen Grundstrafe die Limite von 18 Monaten übersteigt oder nicht. Es wäre stossend, wenn für eine Bestrafung, welche nach der dargelegten Praxis als selbständige Zusatzstrafe nicht bedingt ausgesprochen werden könnte, der bedingte Strafvollzug zulässig wäre, sobald sie zum Bestandteil einer neuen Gesamtstrafe wird, weil der Täter nach der früheren Verurteilung erneut delinquiert hat. Der negative Umstand der Begehung weiterer Delikte nach der Verurteilung kann nicht eine Besserstellung hinsichtlich der (objektiven) Zulässigkeit des bedingten Strafvollzugs zur Folge haben. Nach der ratio legis ist nicht zweifelhaft, dass der Ausschluss des bedingten Strafvollzuges infolge der Strafdauer nicht dadurch teilweise aufgehoben wird, dass ein Teil der Strafe (Zusatzstrafe) wegen des Zusammentreffens mit späteren Delikten in eine neue Gesamtstrafe eingeht. Allerdings können sich besondere Probleme ergeben, wenn die nach der früheren Verurteilung begangenen Taten viel grösseres Gewicht haben als die für eine frühere Verfehlung in der Gesamtstrafe enthaltene "Zusatzstrafe". Ob in einem solchen Fall wegen des geringen Zusammenhangs der neuen Gesamtstrafe mit einer den bedingten Strafvollzug objektiv ausschliessenden Grundstrafe die Gewährung des bedingten Strafvollzugs unzulässig sein soll oder nicht, kann hier offen bleiben. Die integrierte "Zusatzstrafe" stellt im vorliegenden Fall eindeutig den weitaus überwiegenden Teil der Gesamtstrafe dar - nach den überzeugenden Darlegungen des Obergerichts mindestens 5 der insgesamt 6 Monate - und es erscheint daher als gerechtfertigt, die Frage der objektiven Zulässigkeit davon abhängig zu machen, ob diese "Zusatzstrafe" zusammen mit der zugehörigen Grundstrafe die Grenze von 18 Monaten überschreitet. Die Argumentation des angefochtenen Entscheids ist somit bundesrechtskonform.

3. Bei der Berechnung der für die Zulässigkeit des bedingten Strafvollzugs massgebenden gesamten Strafdauer sind ausser der Grundstrafe auch allenfalls bereits zu dieser Grundstrafe ausgefällte Zusatzstrafen zu berücksichtigen (BGE 80 IV 10). Eine andere Frage ist, ob sämtliche zwischen der Begehung des Deliktes und seiner nachträglichen Beurteilung ausgefällten selbständigen Strafen als Grundstrafen zu addieren sind und zusammen mit der
BGE 109 IV 68 S. 72
Zusatzstrafe das für die Limite des Art. 41 StGB entscheidende Strafmass ergeben. Im vorliegenden Fall ist die Vorinstanz so vorgegangen und in der Nichtigkeitsbeschwerde wird dies nicht beanstandet. Für eine abweichende Lösung, etwa für die Bestimmung einer Zusatzstrafe nur zu einer der drei inzwischen ausgesprochenen separaten Strafen (zur ersten, zur letzten oder zur längsten?) lassen sich keine überzeugenden Gründe finden. Muss die nachträgliche Beurteilung nach der Vorschrift des Gesetzes (Art. 68 Ziff. 2 StGB) so erfolgen, "dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die mehreren strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären", so entspricht es diesem Grundgedanken, im Falle einer Mehrheit separater Verurteilungen, die nach der Regel des Art. 68 Ziff. 2 StGB als Grundstrafen in Betracht kommen, die Summe derselben als Basis für die Bemessung der Zusatzstrafe zu nehmen, mit welcher eine zu allen diesen Verurteilungen im Verhältnis der retrospektiven Realkonkurrenz stehende Tat geahndet wird.
Dass auf diese Weise der bedingte Strafvollzug für die Zusatzstrafe ausgeschlossen ist, sobald sie zusammen mit der Summe der seit der Tat für andere Handlungen erlittenen Bestrafungen die Limite von 18 Monaten Freiheitsentzug überschreitet, steht zu Zweck und Ziel von Art. 41 Ziff. 1 StGB nicht im Widerspruch. Der bedingte Strafvollzug ist objektiv nicht mehr zulässig, wenn der Täter durch ein oder mehrere Delikte, die gemäss Art. 68 Ziff. 1 oder Ziff. 2 StGB einer gesamthaften Beurteilung zu unterwerfen sind, eine Strafe von mehr als 18 Monaten verwirkt hat. Wird eine Zusatzstrafe gemäss Art. 68 Ziff. 2 StGB ausgefällt, so ist es folgerichtig, Strafmass und Zulässigkeit des bedingten Strafvollzuges so zu bestimmen, wie wenn alle zwischen der Begehung der nun nachträglich zu beurteilenden Tat und dem Zeitpunkt ihrer Beurteilung erfolgten Verurteilungen wegen anderer Delikte jetzt gesamthaft vorzunehmen wären. Die Zusatzstrafe stellt bei dieser Betrachtungsweise die für die noch nicht geahndete Verfehlung zusätzlich (zu den rechtskräftigen Strafen) erforderliche Bestrafung dar. Kommt der bedingte Strafvollzug objektiv in Betracht, so werden die subjektiven Voraussetzungen ex nunc nach den Umständen im Zeitpunkt der nachträglichen Beurteilung geprüft.

4. In der Nichtigkeitsbeschwerde wird nachdrücklich geltend gemacht, der Beschwerdeführer habe sich nach der Verbüssung der verschiedenen unbedingten Strafen erfolgreich wieder in die Gesellschaft eingegliedert. Es könne nun nicht der Sinn des
BGE 109 IV 68 S. 73
Gesamtstrafenprinzips sein, in dieser Situation den bedingten Strafvollzug zu verweigern, weil eine jetzt zu beurteilende Tat in eine frühere deliktische Phase falle und vor den rechtskräftigen Verurteilungen begangen worden sei.
Unter der Annahme, dass die Schilderung der Bewährung und sozialen Eingliederung zutrifft, was hier nicht abzuklären ist, kommt diesem Argument im Blick auf das Resozialisierungsziel erhebliches Gewicht zu. Der Gesetzgeber hat jedoch die Gewährung des bedingten Strafvollzugs nicht einfach von den Erfordernissen und Erwartungen der Resozialisierung abhängig gemacht, sondern mit der Limite von 18 Monaten der Möglichkeit eines bedingten Aufschubs von Freiheitsstrafen eine starre, objektive Schranke gesetzt. Damit ist die Anwendung von Art. 41 StGB durch ein objektives Kriterium klar begrenzt. Da diese Grenze weder durch eine Beurteilung in verschiedenen Verfahren noch durch den Zeitablauf zwischen Tat und Beurteilung aufgehoben wird, ist es möglich, dass im konkreten Einzelfall der durch eine weiter zurückliegende Tat bewirkte Ausschluss des bedingten Strafvollzuges unter dem Aspekt der Resozialisierung als unzweckmässig erscheint. Eine ähnliche Interessenlage kann sich aber auch - ohne Auswirkungen von Art. 68 StGB - bei einem einzelnen schwereren Delikt ergeben, wenn bis zur Beurteilung längere Zeit verstrichen ist, der Täter sich inzwischen eine Existenz aufgebaut hat und der Vollzug einer Freiheitsstrafe ihn aus einer positiven Entwicklung herausreisst. Der Konflikt, der in solchen Fällen zwischen der objektiven 18-Monate-Schranke und dem Resozialisierungsziel entstehen kann, lässt sich nicht durch Auslegung von Art. 41 Ziff. 1 StGB lösen. Stossende Härten sind allenfalls auf dem Wege der Begnadigung zu mildern.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

Inhalt

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Sachverhalt

Erwägungen 1 2 3 4

Dispositiv

Referenzen

BGE: 80 IV 10, 102 IV 244, 94 IV 50, 80 IV 225 mehr...

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