BGE 117 Ib 367 - Erben X
 
45. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 15. November 1991
i.S. Eidg. Steuerverwaltung gegen Erben X. und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Art. 114bis Abs. 3 BV, Art. 130 Abs. 1 BdBSt, Art. 6 Ziff. 2 EMRK; Steuerstrafrecht; Erbenhaftung; Unschuldsvermutung; Überprüfung von Bundesgesetzen.
1. Die Überprüfung von Bestimmungen des BdBSt auf ihre Verfassungsmässigkeit ist nach Art. 114bis Abs. 3 BV ausgeschlossen (E. 1).
2. Können Bestimmungen des BdBSt daraufhin geprüft werden, ob sie mit der EMRK übereinstimmen? (E. 2).
3. Die in Art. 130 Abs. 1 BdBSt verankerte Haftung der Erben für die vom Erblasser verwirkten Nachsteuern und Bussen verstösst nicht gegen die Unschuldsvermutung gemäss Art. 6 Ziff. 2 EMRK (E. 3-5).
 
Sachverhalt
A.
X. ist am 18. Oktober 1988 gestorben. Er hinterliess als gesetzliche Erben seine Ehefrau sowie vier Kinder. Nach dem Tod des Erblassers entdeckten die Erben, dass er Vermögen und Vermögensertrag nicht vollständig versteuert hatte. Sie machten deshalb Anzeige bei der kantonalen Steuerverwaltung.
Die Kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer Luzern führte in der Folge ein Hinterziehungsverfahren durch. Am 9. März 1990 verfügte sie für die rechtskräftig veranlagten Steuerjahre 1983 bis 1988 eine Nachsteuer von Fr. ... und eine Busse von Fr. ... . Nachsteuer und Busse auferlegte sie den Erben des Steuerpflichtigen zur Zahlung (Art. 130 Abs. 1 BdBSt).
Gegen diese Verfügung erhoben die Erben beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Beschwerde mit dem Antrag, die Busse, nicht aber die Nachsteuer sei aufzuheben. Sie vertraten den Standpunkt, die Busse verstosse gegen Art. 4 BV und gegen Art. 6 Ziff. 2 EMRK (Unschuldsvermutung). Sie treffe an der unrichtigen Versteuerung kein Verschulden.
Mit Urteil vom 18. März 1991 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde gut und hob die Busse auf, im wesentlichen mit folgender Begründung:
Soweit Art. 130 Abs. 1 BdBSt die Erben ohne Rücksicht auf ein eigenes Verschulden für die vom Erblasser verwirkten Bussen haftbar erkläre, verstosse er gegen Art. 4 BV. Das Verwaltungsgericht müsse allerdings die Bestimmungen des BdBSt anwenden, auch wenn sie verfassungswidrig seien (gemäss Art. 113 Abs. 3 bzw. Art. 114bis Abs. 3 BV). Diese Bindungswirkung bestehe jedoch nicht, soweit die Vereinbarkeit von Bestimmungen des BdBSt mit jenen der EMRK in Frage stünden, weil das Völkerrecht dem Landesrecht vorgehe.
Das Verwaltungsgericht erwog sodann, Art. 6 Ziff. 2 EMRK verpflichte als Beweisregel die Strafverfolgungsbehörden, die Schuld des Angeklagten zu beweisen. Daneben komme der Bestimmung auch für den Gesetzgeber Bedeutung zu. Dieser dürfe keine Normen erlassen, die eine Umkehrung der Beweislast zur Folge hätten oder gar den Entlastungsbeweis ausschlössen. Das sei aber bei Art. 130 Abs. 1 BdBSt der Fall, soweit die Erben "ohne Rücksicht auf ein eigenes Verschulden" für die vom Erblasser verwirkten Steuerbussen haftbar seien. Art. 130 Abs. 1 BdBSt sei insoweit nicht anwendbar, und die gestützt auf diese Bestimmung gegenüber den Erben ausgesprochene Busse sei aufzuheben.
Hiegegen führt die Eidg. Steuerverwaltung Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Nachsteuer- und Bussenverfügung der Kantonalen Verwaltung für die direkte Bundessteuer zu bestätigen.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hat auf eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet. Die Erben schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und bestätigt die Nachsteuer- und Bussenverfügung der Kantonalen Verwaltung für die direkte Bundessteuer.
 
Auszug aus den Erwägungen:
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 1
 
Erwägung 2
a) Die Europäische Menschenrechtskonvention ist als ein von der Bundesversammlung genehmigter Staatsvertrag für die rechtsanwendenden Behörden nicht weniger verbindlich als ein Bundesgesetz (oder eine der Bundesgesetzgebung gleichgestellte Rechtsverordnung des Bundesrates, Art. 113 Abs. 3, Art. 114bis Abs. 3 BV). Allein damit ist die Frage nicht entschieden, welche Bestimmung vorzugehen hat, wenn eine Vorschrift eines Bundesgesetzes mit einer Norm der Konvention im Widerspruch steht. Diese Frage hat auch in der Doktrin zu zahlreichen Kontroversen geführt.
b) Verschiedene Autoren vertreten die Meinung, dass das Bundesgericht im Falle eines Konfliktes zwischen einem Bundesgesetz und einem Staatsvertrag nach allgemeinen Auslegungsregeln vorzugehen, beispielsweise die lex specialis oder die lex posterior anzuwenden habe (vgl. die Nachweise bei WALTER KÄLIN, Der Geltungsgrund des Grundsatzes "Völkerrecht bricht Landesrecht", in Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen, Festgabe Schweizerischer Juristentag 1988, ZBJV 124bis/1988 S. 49). Andere Autoren sind der Ansicht, dass Art. 113 Abs. 3 bzw. Art. 114bis Abs. 3 BV den Konflikt nicht löst, wenn ein Staatsvertrag einem Bundesgesetz widerspricht, und in diesem Fall nach dem Grundsatz des Primats des Völkerrechts die staatsvertragliche Regel Vorrang hat, und zwar unabhängig davon, ob der Staatsvertrag oder das Gesetz früher zustande gekommen ist (ARTHUR HAEFLIGER, Das Erfordernis einer nationalen Beschwerde bei Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, in Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen [a.a.O.], S. 37, sowie PETER SALADIN, Völkerrechtliches ius cogens und schweizerisches Landesrecht, ebenda, S. 81 f., beide mit weiteren Nachweisen). Zahlreiche Urteile räumen dem Staatsvertrag den Vorrang vor dem Bundesgesetz ein (BGE 113 II 362; 111 V 202; 110 V 76; 109 Ib 173; 106 Ib 402; 105 Ib 296). Zwar betreffen viele von ihnen Auslieferungsfälle, bei denen schon das Gesetz (vgl. Art. 1 Abs. 1 Rechtshilfegesetz, SR 351.1) die internationalen Vereinbarungen vorbehält; doch hat das Bundesgericht betont, das Prinzip gelte für alle Rechtsgebiete. Der einzige Vorbehalt geht dahin, dass der Gesetzgeber die Verletzung internationalen Rechts bewusst in Kauf genommen haben könnte und dass in einem solchen Fall auch das Bundesgericht an das völkerrechtswidrige Gesetz gebunden sei (BGE 99 Ib 43 ff., bestätigt in 112 II 13 E. 8; ferner 111 V 203 E. 2b; s. dazu auch ANDRÉ GRISEL, A propos de la hiérarchie des normes juridiques, ZBl 88/1987 S. 390/91).
c) Bei der Europäischen Menschenrechtskonvention handelt es sich allerdings um einen besonderen Staatsvertrag, da die in ihr enthaltenen Garantien, soweit sie Grundrechte verbürgen, ihrer Natur nach verfassungsrechtlichen Inhalt haben. Die Konvention garantiert einen Mindeststandard an Grundrechten, welche die Verfassungen zahlreicher Staaten enthalten oder welche die Mitgliedstaaten als ungeschriebene Verfassungsrechte anerkennen. Das Bundesgericht hat aus dieser inhaltlichen Beziehung der durch die Konvention geschützten Rechte mit den verfassungsmässigen Rechten im Urteil Diskont- und Handelsbank AG vom 19. März 1975 (BGE 101 Ia 67) - nur wenige Monate nach dem Inkrafttreten der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Schweiz - den Verfahrensgrundsatz hergeleitet, dass die Verletzung der in der Konvention enthaltenen Rechte verfahrensmässig gleich zu rügen sei wie die Verletzung verfassungsmässiger Rechte. Das bedeutet namentlich, dass staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung solcher Rechte die Erschöpfung des Instanzenzuges und gegebenenfalls das Vorliegen eines Endentscheides voraussetzen (Art. 86 Abs. 2, 87 OG; BGE 101 Ia 69; im gleichen Sinn BGE 102 Ia 199 E. 3).
Diese verfahrensmässige Gleichstellung der durch die Konvention geschützten mit den verfassungsmässigen Rechten ist durchaus berechtigt und folgerichtig. Es kann indessen nicht übersehen werden, dass das Bundesgericht sich im erwähnten Urteil nur mit dieser verfahrensrechtlichen Frage auseinandergesetzt hat. Es rechtfertigt sich unter diesen Umständen nicht, aus jenem Entscheid zu schliessen, dass es den rechtsanwendenden Behörden verwehrt wäre, Bundesgesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse daraufhin zu überprüfen, ob sie sich mit der Konvention im Einklang befinden.
d) Die besondere Natur der durch die Konvention geschützten Rechte spricht zwar dafür, sie bei der Grundrechtskonkretisierung zu beachten, was in der Praxis nicht nur durch entsprechende Auslegung der Bundesgesetze (z.B. BGE 114 Ia 180 ff., 106 Ia 406), sondern auch in Weiterentwicklung der in der Bundesverfassung enthaltenen Rechte geschieht. Sie wirft jedoch die Frage auf, ob die Überprüfung von Bundesgesetzen unter dem Gesichtspunkt der durch die Konvention geschützten Rechte nicht ebenso ausgeschlossen ist wie unter dem Gesichtspunkt der verfassungsmässigen Rechte. Den rechtsanwendenden Behörden ist es nach Art. 113 Abs. 3 BV und Art. 114bis Abs. 3 BV untersagt, Bundesgesetze auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfen, und es stellt sich die Frage, ob die Menschenrechtskonvention nicht auch in dieser Hinsicht der Verfassung gleichzustellen sei (Urteil vom 10. März 1989, ASA 59 S. 489 E. 3c). Diese Frage hat auch in der Literatur zu zahlreichen Kontroversen Anlass gegeben (für die Überprüfung der Konventionsmässigkeit der Bundesgesetze: WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, S. 45; vgl. auch LUZIUS WILDHABER, Erfahrungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZSR NF 120/1979 II 342 f.; JÖRG PAUL MÜLLER, Die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Schweiz, ZSR NF 94/1975 I 379 f.; PETER SALADIN, Grundrechte im Wandel, 3. Auflage 1982, S. XII f. Gegen eine Überprüfung: HAEFLIGER, a.a.O., S. 39/40; ferner ANDREAS AUER, Die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 99 ff., N 168 ff., 171. Vgl. jetzt auch J. P. MÜLLER, in Kommentar zur Bundesverfassung, Einleitung zu den Grundrechten, N 211).
e) Art. 113 Abs. 3 BV und Art. 114bis Abs. 3 BV binden das Bundesgericht und die übrigen rechtsanwendenden Organe nicht nur an die Bundesgesetze und allgemeinverbindlichen Bundesbeschlüsse, sondern auch an die genehmigten Staatsverträge. Aus den Materialien zu Art. 113 Abs. 3 BV ergibt sich klar, dass der Verfassungsgeber seinerzeit ausschliesslich die Gewaltenteilung zwischen der Bundesversammlung - der u.a. die Konkretisierung der Verfassung in der Gesetzgebung obliegt - und dem Bundesgericht regeln wollte. Völkerrechtliche Überlegungen spielten offenbar bei der Aufnahme der Staatsverträge in Art. 113 Abs. 3 BV keine Rolle (W. HALLER, in Kommentar zur Bundesverfassung, Art. 113 N 142 ff., besonders N 144). Aus dieser Bestimmung kann daher für die Rangordnung der beiden Rechtsquellen gerade nichts abgeleitet werden (im gleichen Sinn GRISEL, a.a.O., S. 390; KÄLIN, a.a.O. [ZBJV 124bis/1988], S. 62; AUER, a.a.O., S. 104 N 174; OLIVIER JACOT-GUILLARMOD, La primauté du droit international face à quelques principes directeurs de l'Etat fédéral suisse, ZSR NF 104/1985 I S. 403 ff.; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage 1976, Band I, S. 81).
Art. 114bis Abs. 3 BV verbietet demnach nicht, allgemein anerkannte Prinzipien anzuwenden, die das Verfassungsrecht und Völkerrecht in Einklang bringen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang namentlich das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, das für die Schweiz am 6. Juni 1990 in Kraft getreten ist (SR 0.111) und das in Art. 26 und 27 nun ausdrücklich den Grundsatz des Vorrangs des vertraglichen Völkerrechts enthält. Dieser Grundsatz verlangt von allen rechtsanwendenden Organen in der Schweiz eine völkerrechtskonforme Auslegung des Landesrechts und mithin auch von Art. 114bis Abs. 3 BV.
Auch wenn die Wahrnehmung der völkerrechtlichen Beziehungen ausschliesslich den politischen Behörden, vorab dem Bundesrat (Art. 102 Ziff. 8 BV), obliegt, rechtfertigt es sich nicht, die Harmonisierung von Landesrecht und durch die Schweiz abgeschlossenen Völkerrechtsverträgen nur den politischen Instanzen zu überlassen. Das bedeutet keinen Einbruch in den Grundsatz der Gewaltenteilung, da aus rechtlicher Sicht alle Behörden verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Kompetenzen das die Schweiz bindende Völkerrecht zu respektieren und anzuwenden (in diesem Sinne auch die gemeinsame Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz und der Direktion für Völkerrecht, Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung, vom 26. April 1989, VPB 53/1989 S. 393 ff., besonders Ziff. 14 ff. [französischer Text: S. 437 ff.]). Es spricht daher auch nichts dagegen, dass der Richter die Bundesgesetze auf ihre Übereinstimmung mit der Konvention prüft. Natürlich kann er nicht eine Gesetzesbestimmung aufheben, weil sie dem Völkerrecht widerspricht; er könnte höchstens im konkreten Einzelfall die betreffende Norm nicht anwenden, wenn sie sich als völkerrechtswidrig erweist und zu einer Verurteilung der Schweiz führen könnte.
Art. 114bis Abs. 3 BV statuiert im übrigen nur ein Anwendungsgebot, kein Prüfungsverbot. Dem Bundesgericht ist es nicht verwehrt, eine Norm daraufhin zu prüfen, ob sie der Verfassung oder der Konvention widerspricht, wie es auch den Gesetzgeber einladen kann, eine verfassungs- oder konventionswidrige Norm zu ändern (vgl. auch BGE 103 Ia 55 Nr. 11, 105 Ib 168; s. dazu KÄLIN, a.a.O. [E. 2d], S. 36 ff.). Schon aus diesem Grund rechtfertigt es sich, die Erbenhaftung auf ihre Vereinbarkeit mit der Konvention zu prüfen. Dabei ist zunächst das System der Erbenhaftung gemäss der Regelung im Beschluss über die direkte Bundessteuer darzulegen.
 
Erwägung 3
Sind die hinterzogene Steuer oder die Busse beim Tode des Steuerpflichtigen noch nicht bezahlt, so gehen die daraus erwachsenden Verpflichtungen auf die Erben über, und diese haften dafür solidarisch bis zur Höhe ihrer Erbteile (Steuersukzession; Art. 130 Abs. 1 Satz 1 BdBSt). In ein hängiges Verfahren treten die Erben an Stelle des Erblassers ein (Verfahrenssukzession; Art. 130 Abs. 1 Satz 2 BdBSt). Wird die Hinterziehung erst nach dem Tode des Steuerpflichtigen entdeckt, so wird das Verfahren gegenüber seinen Erben angehoben und durchgeführt, und "diese haften bis zur Höhe ihrer Erbteile solidarisch für die vom Erblasser hinterzogene Steuer und die von ihm verwirkten Bussen ohne Rücksicht auf ein eigenes Verschulden" (ebenda Satz 3). Die Erben des verstorbenen Steuerpflichtigen treten somit, entsprechend dem allgemeinen Grundsatz der Steuernachfolge (Art. 10 BdBSt), steuerrechtlich und auch strafsteuerrechtlich seine Nachfolge an.
 
Erwägung 4
4.- Die in Art. 130 Abs. 1 BdBSt getroffene Regelung, dass die Erben für die vom Erblasser hinterzogenen Steuern und verwirkten Bussen haften, ist im schweizerischen Steuerrecht keine Einzelerscheinung. Sie ist auch in den kantonalen Steuergesetzen anzutreffen und wurde während Jahrzehnten im Bund und in den Kantonen in Hinterziehungsfällen zur Anwendung gebracht. Dies ist heute noch der Fall, wenn auch in der Steuerrechtslehre die Erbenhaftung vermehrt in Zweifel gezogen wird (WALTER ROBERT PFUND, Das Steuerstrafrecht, S. 115 ff.; PETER BÖCKLI, Harmonisierung des Steuerstrafrechts, ASA 51 S. 123 ff.; URS R. BEHNISCH, Das Steuerstrafrecht im Recht der direkten Bundessteuer, S. 122 f.; URS-VIKTOR INEICHEN, Deliktsfähigkeit der juristischen Personen und Erbenhaftung, Nach- und Strafsteuerrecht im Wandel, Luzerner Rechtsseminar 1990, S. 10 ff. Demgegenüber wird die Strafsteuerhaftung der Erben befürwortet etwa von: ERNST HÖHN, Tendenzen im schweizerischen Steuerstrafrecht, ASA 41 S. 286; FERDINAND ZUPPINGER, Verschuldensprinzip und Steuerstrafrecht, Steuerrecht im Rechtsstaat, Festschrift für Francis Cagianut, S. 218 f.; KÄNZIG, Wehrsteuer, 1. Auflage, N 3 zu Art. 130).
a) Die Notwendigkeit der Erbenhaftung wird vor allem damit begründet, dass sich die Hinterziehung durch den Erblasser auf das den Erben hinterlassene Vermögen auswirke. Die vom Erblasser hinterzogenen Steuern würden das Nachlassvermögen erhöhen, was den Erben zugute komme. Wenn die Erben lediglich die Nachsteuer schuldeten, so sei dies geradezu ein Anreiz für den Steuerpflichtigen, zu Lebzeiten Einkommen und Vermögen zu hinterziehen. Wegen der zeitlichen Begrenzung der Nachsteuerpflicht (Befristung des Rechts, das Nachsteuerverfahren einzuleiten) liessen sich dabei echte Vorteile erzielen. Hingegen vermindere die zu Lebzeiten entdeckte und geahndete Steuerhinterziehung das Nachlassvermögen direkt oder indirekt. Es dürfe deshalb keine Rolle spielen, ob der Erblasser die Strafsteuer noch selbst bezahlt habe oder ob die Hinterziehung erst nach seinem Tode entdeckt und verfolgt werde (vgl. etwa HÖHN, a.a.O., S. 286).
b) In der Tat entspricht es der zivilrechtlichen Ordnung, dass die Erben des verstorbenen Steuerpflichtigen bis zum Betrage ihres Erbteils für alle Steuerschulden haften, soweit diese nicht schon vor dem Tode des Erblassers bezahlt worden sind. Die zivilrechtliche Erbfolge ist die Universalsukzession. Mit dem Tode des Erblassers erwerben die Erben von Gesetzes wegen die Erbschaft als Ganzes (Art. 560 ZGB). Dieser Ordnung entspricht im Steuerrecht, dass die Erben auf dem Wege der Steuersukzession für alle Steuerschulden des Erblassers und somit auch für die dem Erblasser wegen Steuerhinterziehung auferlegten Strafsteuern und Bussen haften. Mit der Regelung des Art. 130 Abs. 1 BdBSt, dass in ein hängiges Hinterziehungsverfahren die Erben an Stelle des Erblassers eintreten und dass das Verfahren gegenüber den Erben anzuheben und durchzuführen ist, wenn die Hinterziehung erst nach dem Tode des Erblassers entdeckt wird, werden nur im Ergebnis alle Fälle unabhängig ihrer zeitlichen Komponente gleich behandelt; d.h. unabhängig davon, ob die Steuerforderungen und Bussen schon zu Lebzeiten des Erblassers rechtskräftig festgesetzt worden sind oder ob sie erst nach seinem Tode veranlagt werden.
c) Es trifft auch nicht zu, wie Kritiker der Erbenhaftung geltend machen, dass die Erben für eine Tat bestraft werden, die nicht von ihnen, sondern vom Erblasser begangen worden ist. Die Steuerbusse wird grundsätzlich nach dem Verschulden des Erblassers festgesetzt und trifft den fehlbaren Steuerpflichtigen bzw. seinen Nachlass. Die Erben sind als Rechtsnachfolger lediglich dafür haftbar, beschränkt auf ihren Erbteil, dass die Busse bezahlt wird. Dass die Strafe nicht die Erben trifft, geht mit aller Deutlichkeit daraus hervor, dass die Erben sich ihrer Verpflichtungen aus der Erbschaft entledigen können, indem sie die Erbschaft ausschlagen (Art. 566 ZGB).
Dass die Erben aufgrund der Steuersukzession richtigerweise für alle Steuerforderungen und somit auch für Steuerbussen haften, soweit sie schon vor dem Tode des Erblassers festgesetzt worden sind, anerkennen übrigens auch Gegner der Erbenhaftung (BÖCKLI, a.a.O., ASA 51 S. 124; s. auch W. R. PFUND, Das neue Verwaltungsstrafrecht des Bundes, unter besonderer Berücksichtigung des Steuerstrafrechts, ASA 42 S. 170; BEHNISCH, a.a.O., S. 124 bei Fn. 607; anderer Ansicht INEICHEN, a.a.O., S. 14). Dann ist es aber folgerichtig, wenn nach Art. 130 Abs. 1 BdBSt die Erben auch für die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch nicht rechtskräftig veranlagten Strafsteuern haften.
d) Richtig ist, dass die Hinterziehungsbusse nach Art. 129 BdBSt eine echte Strafe darstellt (BGE 116 IV 266; s. auch WALTER KÄLIN/LISBETH SIDLER, Verschuldensgrundsatz und Öffentlichkeitsprinzip: Die Strafsteuer im Lichte von Verfassung und EMRK, ASA 60 S. 169 ff.). Das hat zur Folge, dass die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Strafrechts (Art. 1-110 StGB) Anwendung finden, soweit nicht der Beschluss über die direkte Bundessteuer selbst Bestimmungen aufstellt (Art. 333 Abs. 1 StGB; BGE 114 Ib 30 f.). Indem Art. 130 Abs. 1 BdBSt eine Haftung der Erben nicht nur für Nachsteuern, sondern auch für Steuerbussen vorsieht, weicht er vom bürgerlichen Strafrecht ab, bei dem eine Bussenschuld nicht vererbt wird (Art. 48 StGB). Die Abweichung ist aber durch die besonderen Bedürfnisse des Fiskalrechts begründet.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es im Fiskalrecht nicht nur um die Nach- und Strafsteuersukzession der Erben geht, sondern auch um die - nach allgemeinem Strafrecht nicht deliktsfähigen - juristischen Personen, die gemäss Art. 130 Abs. 4 BdBSt für die im Geschäftsbetrieb oder bei der Liquidation von ihren Organen begangenen Hinterziehungen strafbar sind. In beiden Fällen liegt der steuerrechtlichen Ordnung die Überlegung zugrunde, dass es in hohem Masse unbefriedigend und der Wirksamkeit der fiskalischen Ordnung abträglich wäre, wenn die Erben in den Genuss der Früchte einer vom Erblasser begangenen Steuerhinterziehung kämen (was bei einem Verzicht auf die Erbenhaftung für Bussen jedenfalls teilweise der Fall wäre) bzw. wenn die juristische Person vom Ergebnis eines schuldhaften Verhaltens ihres Organs, wodurch sie unrechtmässig bereichert würde, profitieren könnte.
e) Gegen die Erbenhaftung wird in der Literatur eingewendet, dass die Erben angesichts der drohenden Bussen und Nachsteuern dazu gezwungen und verführt würden, ihre bisherige Steuerehrlichkeit aufzugeben und das vom Erblasser verheimlichte Einkommen weiterhin nicht zu versteuern. Dieser Einwand ist durchaus beachtlich (vgl. dazu namentlich die von WALTER ROBERT PFUND, Das Steuerstrafrecht, S. 115 ff. und besonders S. 119, geübte Kritik). Die neuen Bundesgesetze über die direkte Bundessteuer (DBG, AS 1991 1184) und über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG, AS 1991 1256) vom 14. Dezember 1990 sehen denn auch vor, dass keine Busse zu erheben sei, wenn "die Erben an der unrichtigen Versteuerung kein Verschulden trifft und sie das ihnen Zumutbare zur Feststellung der Steuerhinterziehung getan haben" (Art. 179 Abs. 2 DBG, Art. 57 Abs. 3 StHG); damit werden Ziele verwirklicht, die schon vor geraumer Zeit als erstrebenswert bezeichnet wurden (s. auch ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, Steuerharmonisierung, S. 301; BÖCKLI, a.a.O., ASA 51 S. 125 f.). Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Erben nicht persönlich bestraft werden, auch wenn das von ihnen - verständlicherweise - manchmal so empfunden werden mag.
 
Erwägung 5
a) Die Vermutung der Schuldlosigkeit gemäss Art. 6 Ziff. 2 EMRK ist zunächst eine Regel der Beweiswürdigung. Nach der Praxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte findet sie ihre Ausprägung vor allem im Grundsatz in dubio pro reo. Danach ist es Sache der Strafverfolgungsbehörde, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und ist im Zweifelsfall zugunsten des Angeklagten zu entscheiden (vgl. BGE 106 IV 88/89; VOGLER, in Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, N 405 ff. und 418 zu Art. 6; STEFAN TRECHSEL, Struktur und Funktion der Vermutung der Schuldlosigkeit, SJZ 77/1981 S. 321 f.). Sodann schützt Art. 6 Ziff. 2 EMRK als Beweislastregel auch vor Umkehrungen der Beweislast. Nicht der Angeklagte hat somit seine Unschuld zu beweisen, sondern die Strafverfolgungsbehörde seine Schuld; das Gericht muss ihn aber zum Gegenbeweis antreten lassen (VOGLER, a.a.O., N 414 ff. zu Art. 6; TRECHSEL, a.a.O., S. 320 f.).
Diese Regeln haben indes mit dem Problem der Haftung für Steuerbussen, die wegen schuldhafter Steuerhinterziehung dem Erblasser bzw. seinem Nachlass auferlegt werden, nichts zu tun. Die Busse ist nicht die Folge eines die Beschwerdegegner treffenden Verschuldens. Sie ist vielmehr unter Berücksichtigung des Verschuldens des Verstorbenen festgesetzt worden, wobei dem Umstand, dass die Erben die Steuerhinterziehung des Erblassers freiwillig angezeigt haben, strafmindernd - durch Reduktion der Busse auf einen Viertel des normalen Masses - berücksichtigt worden ist. Diese Tatsache ändert jedoch nichts daran, dass die Steuerbusse primär den fehlbaren Steuerpflichtigen bzw. seinen Nachlass trifft. Würde den Erben trotz freiwilliger Meldung die Strafminderung verweigert, so wären sie insoweit schlechtergestellt als der Erblasser, der die von ihm begangene Hinterziehung jederzeit hätte anzeigen können und damit eine erhebliche Herabsetzung der Busse erwirkt hätte (BGE 89 I 45 ff., besonders S. 47/48).
c) Bedenklich scheint unter dem Gesichtswinkel der Unschuldsvermutung etwa Art. 130 Abs. 3 BdBSt, der die vom vertraglichen Vertreter begangene Steuerhinterziehung der vertretenen Person zurechnet, "sofern diese nicht nachweist, dass sie nicht imstande gewesen wäre, die Handlung zu verhindern oder deren Auswirkungen rückgängig zu machen". Das Bundesgericht hat in älteren Entscheiden angenommen, nach dieser Bestimmung müsse der Steuerpflichtige den Beweis antreten, dass ihn kein Verschulden an der unrichtigen Versteuerung treffe (vgl. etwa BGE 89 I 406 E. 2). In neueren Entscheiden wurde dagegen jeweils geprüft, ob der Steuerpflichtige schuldhaft gehandelt hat. Damit wird der Unschuldsvermutung des Art. 6 Ziff. 2 EMRK Rechnung getragen (Urteile vom 6. Februar 1970, in ASA 39 S. 263 E. 3 und S. 433 E. 3b, sowie vom 29. September 1986, in Der Steuerentscheid 1988, B 101.2, Nr. 6).
Diese Bedenken sind bei der Erbenhaftung jedoch nicht angebracht. Art. 130 Abs. 1 BdBSt bewirkt keine solche Umkehrung der Beweislast. Die Beschwerdegegner haben nicht zu beweisen, dass sie unschuldig sind. Vielmehr haben die Behörden das Verschulden des verstorbenen Steuerpflichtigen nachzuweisen. Dass im vorliegenden Fall der Erblasser schuldhaft Steuern hinterzogen hat, wird im übrigen mit Recht von keiner Seite bestritten. Das Verschuldensprinzip ist gewahrt.