BGE 120 Ib 59
 
10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. Februar 1994 i.S. Komitee für eine umweltgerechte Bahn 2000 gegen Schweizerische Bundesbahnen, Kreisdirektion II, und Präsident der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 6 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Legitimation zur Anfechtung der Aussteckung für ein Eisenbahnprojekt.
 
Sachverhalt
Auf Gesuch der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), Kreisdirektion II, eröffneten die Präsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommissionen, Kreise 6, 7 und 8, im Dezember 1992 das kombinierte Plangenehmigungs- und Enteignungsverfahren für die im Rahmen des Konzeptes "Bahn 2000" zu erstellende Neubaustrecke Mattstetten-Rothrist. Vor der öffentlichen Auflage der Pläne, die in allen betroffenen Gemeinden vom 18. Januar bis 8. März 1993 stattfand, überprüften die Schätzungskommissions-Präsidenten stichprobeweise die Aussteckungen und ordneten vereinzelt Ergänzungen an.
Mit Eingabe vom 8. März 1993 hat das "Komitee für eine umweltgerechte Bahn 2000" in der Gemeinde Kirchberg gegen das Neubau-Projekt Einsprache erhoben und unter anderem geltend gemacht, die vorgenommene Aussteckung sei ungenügend und müsse wiederholt werden. Insbesondere seien Aufschüttungen, Anböschungen und Überführungen nicht profiliert worden, sodass sich der Laie, der im Lesen von Plänen ungeübt sei, vom Projekt kein verlässliches Bild habe machen können. Diese Einwendungen sind vom Präsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 6, mit Entscheid vom 28. Juli 1993 abgewiesen worden.
Gegen den Entscheid des Schätzungskommissions-Präsidenten hat das "Komitee für eine umweltgerechte Bahn 2000" beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Es rügt erneut, dass die Profilierung auf der ganzen Neubaustrecke mangelhaft gewesen sei und die Auswirkungen des Projekts auf die Umgebung nur ungenügend habe erkennen lassen.
Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein aus folgenden
 
Erwägungen:
a) Die Beschwerdeführerin leitet ihre Legitimation aus Art. 103 lit. c OG ab und beruft sich in diesem Zusammenhang auf Art. 25 Abs. 2 der Verordnung über die Planvorlagen für Eisenbahnbauten (PVV-EB; SR 742.142.1) in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 und Art. 14 Abs. 1 des Bundesbeschlusses über das Plangenehmigungsverfahren für Eisenbahn-Grossprojekte (BB PVEB; SR 742.100.1). Die Bestimmung von Art. 25 Abs. 2 PVV-EB verweist jedoch nur auf die allgemeinen Legitimationsvorschriften und räumt - im Gegensatz zu Art. 12 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451) und Art. 55 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz (USG; SR 814.01) - den ideellen Organisationen kein zusätzliches Beschwerderecht ein. Das Komitee, das keine gesamtschweizerische Natur- und Heimatschutzvereinigung im Sinne von Art. 12 Abs. 1 NHG bildet und nicht zu den vom Bundesrat zur Beschwerde ermächtigten Umweltschutzorganisationen gehört, könnte daher nur aufgrund von Art. 103 lit. a OG Beschwerde führen, wenn es wie eine natürliche Person in seinen eigenen Interessen betroffen wäre oder wenn es seinen Statuten gemäss die Interessen einer Mehrheit oder doch einer grossen Anzahl seiner Mitglieder vertreten würde, von denen jedes selbst zur Einreichung einer Beschwerde legitimiert wäre (BGE 113 Ib 364 E. 2a S. 365, BGE 104 Ib 381 S. 382 ff.).
Das "Komitee für eine umweltgerechte Bahn 2000" behauptet nicht, wie ein Anwohner oder ein in das Enteignungsverfahren einbezogener Grundeigentümer betroffen zu sein. Es macht indessen geltend, als Mitglieder gehörten ihm 52 politische Gemeinden des Oberaargaus und des solothurnischen Wasseramtes sowie über 900 vornehmlich aus dem Einzugsgebiet der Neubaustrecke stammende Einzelpersonen an, die in ihrer Mehrheit durch das Projekt unmittelbar betroffen seien und selbst zur Einreichung einer Einsprache oder Beschwerde befugt wären. Ob dem so sei, wird jedoch nicht belegt und liesse sich auch durch das angebotene Nachreichen einer blossen Mitgliederliste nicht beweisen. Weitere Abklärungen in dieser Richtung können jedoch schon deshalb unterbleiben, weil das beschwerdeführende Komitee nach dem Gesagten zu den von ihm erhobenen generellen Einwendungen gegen die Aussteckung und Profilierung des Projekts nur legitimiert sein könnte, wenn seine Mitglieder zu einer solchen allgemeinen Kritik befugt wären. Das trifft jedoch, wie sich im folgenden erweist, nicht zu.
b) Zweck der Aussteckung ist, die durch das Werk bedingten Veränderungen im Gelände offenkundig zu machen und damit den Werkplan, aus dem Art, Umfang und Lage des Werkes, Sicherheitszonen und weitere Vorkehren ersichtlich sein müssen (Art. 27 Abs. 1 EntG), zu veranschaulichen und zu verdeutlichen. Die Pläne, die Aussteckung und die allenfalls zusätzlich anzubringende Profilierung sollen dem Betroffenen ein Bild über das Werk und dessen Auswirkungen verschaffen und es ihm dadurch ermöglichen, seine Rechte im fraglichen Zeitpunkt des Verfahrens wirksam zu verteidigen, d.h. seine Einsprache gegen das Werk in Kenntnis der Sache vorzubringen und seine Entschädigungsforderung zu begründen (Art. 35 und 36 EntG; BGE 109 Ib 132, 137 E. 4b und c). Wie in BGE 118 Ib 510 E. 2dd S. 516 dargelegt, steht dieser Anspruch, über das geplante Werk ins Bild gesetzt zu werden, nicht nur den Enteigneten, sondern auch den Privaten zu, die durch das Projekt zwar nicht in ihren Rechten, aber doch in schutzwürdigen Interessen betroffen werden. Soll also die Aussteckung den Betroffenen gestatten, ihre Rechte und Interessen im Einspracheverfahren zu wahren, so muss die Befugnis zur Einreichung einer Beschwerde gegen die Aussteckung ebenso weit reichen wie die Legitimation zur Einsprache selbst, kann aber auch nicht weiter gehen als diese.
c) Einsprache gegen ein im kombinierten Verfahren zu genehmigendes Eisenbahnprojekt kann gemäss Art. 25 Abs. 2 PVV-EB erheben, wer nach dem Enteignungsgesetz dazu berechtigt oder nach dem VwVG Partei ist. Die Einsprachelegitimation richtet sich also gleich wie die Beschwerdebefugnis nach den allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege (vgl. Art. 11 des Eisenbahngesetzes). Zur Einsprache ist mithin berechtigt, wer durch die Projektpläne berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (Art. 48 VwVG). Dieses Interesse kann rechtlicher oder auch nur tatsächlicher Natur sein, doch muss der Einsprecher durch das Projekt stärker als jedermann betroffen sein und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehen (BGE 116 Ib 447 E. 1b S. 450, BGE 115 Ib 387 E. 2a S. 389, je mit Hinweisen). Diese Nähe der Beziehung zum Streitgegenstand muss bei Bauprojekten insbesondere in räumlicher Hinsicht gegeben sein (vgl. die Übersicht in BGE 112 Ib 154 S. 159 f.).
Zu dieser Voraussetzung der räumlichen Nähe ist zunächst in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Nationalstrassenbau festgehalten worden, dass der vom Strassenbau betroffene Private nicht allgemein an der geplanten Linienführung Kritik üben dürfe. Vielmehr habe er konkret aufzuzeigen, inwiefern das Ausführungsprojekt im Bereiche seines Grundstücks gegen Bundesrecht verstosse (BGE 118 Ib 206 S. 214 f., BGE 112 Ib 543 S. 550, BGE 111 Ib 26 S. 29 f., 290 E. 1 S. 291 f.). Insoweit unterscheide sich das Beschwerderecht des Privaten von jenem der Organisationen, die aufgrund von Art. 103 lit. c OG und der Spezialgesetzgebung zur Beschwerde legitimiert sind, durch das Projekt selbst nicht betroffen sein müssen und deshalb nicht nur Abschnitte, sondern das ganze Werk in Frage stellen können (vgl. BGE 118 Ib 206 E. 8c S. 215 f.). Nun besteht, wie das Bundesgericht bereits im nicht publizierten Entscheid vom 12. Januar 1993 i.S. Sch. gegen SBB und EVED erklärt hat, kein Grund, den Privaten im eisenbahnrechtlichen Plangenehmigungsverfahren anders zu behandeln als im nationalstrassenrechtlichen Einspracheverfahren. Wohl sieht das Eisenbahnrecht - mit Ausnahme des Bundesbeschlusses über den Bau der schweizerischen Eisenbahn-Alpentransversale vom 4. Oktober 1991 (vgl. Art. 11; SR 742.104) - keine generelle Projektierung vor und besteht daher keine Bindung an einen insbesondere die allgemeine Linienführung festlegenden Genehmigungsbeschluss des Bundesrates. Ähnliche Wirkungen können indessen von den Grundsatzentscheiden des Parlamentes über die Neubaustrecken ausgehen (s. Art. 16 Abs. 3 BB PVEB). Ausschlaggebend für die Begrenzung des Beschwerderechts ist aber, dass sich - wie dargelegt - die Einsprache- und Beschwerdebefugnis des Privaten auch im eisenbahnrechtlichen Plangenehmigungsverfahren nach den allgemeinen Bestimmungen über die Bundesrechtspflege richtet, welche nach dem Gesagten eine vor allem örtlich nahe Beziehung des Einsprechers zum umstrittenen Projekt verlangt und sein persönliches Betroffensein voraussetzt (vgl. auch BGE 115 Ib 424 E. 4c S. 432 f.).
d) Können somit die Privaten im eisenbahnrechtlichen Einsprache- und Beschwerdeverfahren nur insoweit zugelassen werden, als sie Einwendungen gegen das Projekt bzw. gegen die Aussteckung im Bereiche ihrer Grundstücke erheben, und sind sie zu Rügen, die sich gegen den Streckenteil ausserhalb dieses Bereiches richten, nicht befugt, so kann auch der die Interessen solcher Anwohner vertretende Verein nicht legitimiert sein, allgemein das Projekt anzufechten oder generell die Aussteckung der ganzen Strecke zu kritisieren. Auf die Beschwerde des "Komitees für eine umweltgerechte Bahn 2000" ist daher nicht einzutreten. Übrigens besteht umso weniger Anlass, von dieser noch aus der Zeit vor Einführung des Umweltschutzgesetzes stammenden Rechtsprechung abzuweichen, als der Gesetzgeber durch die Übertragung des Beschwerderechts an die gesamtschweizerischen Organisationen dafür gesorgt hat, dass die Umweltschutzanliegen bei der Projektierung öffentlicher Werke nunmehr unabhängig von den privaten Interessen der Betroffenen wahrgenommen werden können.