Die mündliche Anhörung des Verurteilten vor der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes kann je nach Sach- und Verfahrenslage auch vor einem beauftragten oder ersuchten Richter stattfinden.
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StPO § 454 Abs. 1 Satz 3, § 462 a Abs. 1 und 5
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3. Strafsenat
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Beschluß
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vom 13. September 1978 g.O.
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- 7 BJs 282/74 / StB 187/78 -
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Oberlandesgericht Düsseldorf
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Aus den Gründen:
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Gegen den Verurteilten wird eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und 4 Monaten vollzogen, auf die das Oberlandesgericht Düsseldorf wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit erkannt hat. Zwei Drittel der Strafe hat er bis zum 16. Juli 1978 verbüßt. Durch den angefochtenen Beschluß hat das nach § 462 a Abs. 5 StPO zur Entscheidung berufene Oberlandesgericht es abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten ist nach § 304 Abs. 4 Nr. 5, § 454 Abs. 2 StPO zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg.
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I.
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Zu Unrecht beanstandet der Verurteilte das Verfahren bei der mündlichen Anhörung, die hier nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO zwingend vorgeschrieben ist.
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1. Der Verurteilte verbüßt die Strafe in der Justizvollzugsanstalt Da. Nachdem die Akten dem Oberlandesgericht am 11. Juli 1978 vorgelegt worden waren, hat es am nächsten Tag beschlossen, das Amtsgericht Da. um die mündliche Anhörung zu ersuchen. Der Verurteilte ist daraufhin am 17. Juli 1978 dem Richter des Amtsgerichts Da. vorgeführt und von ihm zur Frage der bedingten Entlassung gehört worden. Dabei hat er Erklärungen abgegeben, die in einem Protokoll festgehalten worden sind. Am 19. Juli 1978 sind die Akten an das Oberlandesgericht zurückgelangt; am folgenden Tag hat es über die Strafaussetzung entschieden.
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2. § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO bestimmt, daß der Verurteilte vor der Entscheidung nach § 57 StGB "mündlich zu hören" ist, wenn nicht eine der Ausnahmen des Satzes 4 dieser Vorschrift vorliegt. Das gleiche gilt für die in § 463 Abs. 3 StPO genannten Entscheidungen über Maßnahmen der Besserung und Sicherung, insbesondere also für den Beschluß über die Aussetzung der Vollstreckung einer Unterbringung (§ 67c Abs. 1, § 67d Abs. 2 StGB).
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Über die Förmlichkeiten der mündlichen Anhörung enthält das Gesetz keine nähere Weisung, sie sind im einzelnen umstritten (vgl. Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 23. Aufl. § 454 Rn. 12 ff.). Während Einigkeit darüber besteht, daß die mündliche Anhörung durch einen Richter vorgenommen werden muß (OLG Düsseldorf MDR 1975, 597; Schäfer a.a.O. Rn. 11), gehen die Auffassungen darüber auseinander, ob und unter welchen Voraussetzungen die Strafvollstreckungskammer oder (in den Fällen des § 462a Abs. 5 StPO) der an ihrer Stelle zuständige Strafsenat des Oberlandesgerichts die Anhörung einem beauftragten oder ersuchten Richter übertragen darf. Einige Oberlandesgerichte sind der Meinung, das zur Entscheidung berufene Gericht müsse den Verurteilten selbst anhören, und zwar in voller Besetzung (so OLG Schleswig - 1. Strafsenat - NJW 1975, 1131; OLG Nürnberg MDR 1975, 684; OLG Köln NJW 1975, 1527; OLG Celle NJW 1975, 2254; OLG Stuttgart NJW 1976, 2274; OLG Koblenz NJW 1977, 1071; OLG Hamm NJW 1978, 284). Andere lassen die Anhörung durch einen beauftragten Richter jedenfalls dann genügen, wenn er als Mitglied des Gerichts auch an der Entscheidung mitwirkt (so OLG München NJW 1976, 254, 256; OLG Karlsruhe MDR 1976, 512; OLG Düsseldorf NJW 1976, 158; OLG Hamburg NJW 1977, 1071; OLG Koblenz MDR 1977, 160; ebenso OLG Schleswig - 2. Strafsenat - SchlHA 1975, 115). Eine dritte Auffassung geht darüber zum Teil noch hinaus; sie läßt die mündliche Anhörung aus Gründen, die im wesentlichen auf die Erfordernisse der Praxis abstellen, auch durch einen ersuchten Richter zu (so OLG Düsseldorf NJW 1976, 256; Schäfer a.a.O. § 454 Rn. 23; a.A. OLG Koblenz JR 1976, 117 mit zust. Anm. Rieß S. 118; Kleinknecht, StPO 33. Aufl. § 454 Rn. 11).
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3. Der Senat ist der Ansicht, daß die Anhörung des Verurteilten durch den beauftragten oder ersuchten Richter in besonderen Fällen dem Gesetz genügt. Ob - unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls - die Anhörung durch den beauftragten Richter immer schon dann ausreicht, wenn er als Mitglied des Gerichts an dem Beschluß über die Aussetzung der Strafe oder Unterbringung mitwirkt, kann hier nach dem Sachverhalt offen bleiben. Die Auffassung des Senats beruht auf folgenden Erwägungen:
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a) Nach seinem Wortlaut besagt § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht, daß die Strafvollstreckungskammer oder (in den Fällen des § 462a Abs. 5 Satz 1 StPO) der Strafsenat des Oberlandesgerichts den Verurteilten in der für die Entscheidung vorgeschriebenen Besetzung hören muß. Der Beschluß gemäß § 57 StGB und die nach § 463 Abs. 3 StPO gleichgestellten Entscheidungen ergehen im Vollstreckungsverfahren, das nicht von der Formstrenge des Erkenntnisverfahrens beherrscht wird. Deshalb ist es nicht richtig, aus dem Fehlen einer Vorschrift über die Zulässigkeit der Anhörung durch den beauftragten oder ersuchten Richter zu schließen, der gesamte Spruchkörper müsse die Anhörung vornehmen.
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b) Sinn und Zweck der neugeschaffenen Vorschriften über das Verfahren bei der bedingten Entlassung sprechen allerdings dafür, daß der Verurteilte nicht nur Gelegenheit haben soll, sich vor der Entscheidung mündlich zu äußern, sondern daß sich das zuständige Gericht auch einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von ihm verschaffen soll (vgl. OLG Schleswig NJW 1975, 1131; Rieß JR 1976, 118). Nach der Begründung zum Regierungsentwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (BT-Drucks. 7/550 S. 309), von der der Gesetzgeber sich ersichtlich hat bestimmen lassen, ist die in § 454 StPO getroffene Regelung über das Verfahren bei Aussetzung eines Strafrestes die wichtigste Verfahrensvorschrift für die Tätigkeit der Strafvollstreckungskammer. Durch die zwingende mündliche Anhörung soll erreicht werden, daß sie den unmittelbaren Kontakt mit dem Verurteilten in der Strafanstalt aufnimmt. Darin liegt eine der wesentlichen kriminalpolitischen Zielsetzungen der Einrichtung der Strafvollstreckungskammer. Sie läßt sich am besten verwirklichen, wenn der vollbesetzte Spruchkörper den Verurteilten selbst anhört.
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c) Daraus folgt aber nicht, daß eine Anhörung durch alle zur Entscheidung berufenen Richter ohne Rücksicht auf die Erfordernisse der Praxis ausnahmslos geboten wäre. Die Verfahrenslagen, denen sich die Gerichte vor der Entscheidung gegenübersehen, sind für eine so strikte Auslegung der Vorschrift zu unterschiedlich.
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aa) Es gibt Sachverhalte, bei denen auch unter Berücksichtigung des kriminalpolitischen Anliegens des Gesetzes die Anhörung durch den beauftragten Richter ausreicht, weil dem persönlichen Eindruck des Gerichts nach Lage des Falles nur geringere Bedeutung zukommt; so etwa dann, wenn die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten in voller Besetzung schon einmal gehört hat und er alsbald nach Ablehnung der Strafaussetzung gemäß § 57 Abs. 1 StGB erneut die bedingte Entlassung beantragt, ohne daß eine Sperrfrist (§ 57 Abs. 5 StGB) entgegensteht. Ähnlich kann es sein, wenn es sich um die Anhörung eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten handelt, mit dem eine Verständigung nicht möglich ist. Zu denken ist schließlich an Fälle aus dem Bereich des § 57 Abs. 2 StGB, bei denen nach dem Urteil keine besonderen Umstände in der Tat und der Persönlichkeit des Täters vorliegen.
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bb) Die Erfahrung hat weiter gezeigt, daß es darüber hinaus Fälle gibt, in denen die Anhörung durch den beauftragten oder sogar den ersuchten Richter namentlich im Hinblick auf die Entfernung zwischen dem Sitz der Strafvollstreckungskammer und der Vollzugsanstalt allein angemessen erscheint.
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Die örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer richtet sich zwar nach der Strafanstalt, in die der Verurteilte im maßgebenden Zeitpunkt (§ 462a Abs. 1 Satz 1 StPO) aufgenommen ist. Das besagt aber nicht, daß sich das Gericht und diese Anstalt auch am selben Ort befinden. Selbst wo das der Fall ist, kann der Verurteilte zur Zeit der mündlichen Anhörung in eine - möglicherweise weit entfernte - Anstalt desselben oder eines anderen Landgerichtsbezirks verlegt worden sein, ohne daß die vorher begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer dadurch entfiele (vgl. BGHSt 26, 165 f; 26, 187 [189 f]; 26, 278 f.). Die örtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts, das nach 462a Abs. 5 StPO anstelle der Strafvollstreckungskammer entscheidet, knüpft nicht einmal im Prinzip an den Sitz der Strafanstalt an; sie richtet sich ausschließlich nach der Zuständigkeit im ersten Rechtszug. Zwar kann Unzuträglichkeiten in diesem Bereich zum Teil durch Abgabe des Verfahrens an die Strafvollstreckungskammer begegnet werden (§ 462a Abs. 5 Satz 2 und 3 StPO). Das geschieht jedoch nicht immer. Es gibt sonach Verfahrenslagen, in denen es im Interesse einer geordneten Strafrechtspflege liegen kann, dem unangemessenen Aufwand an Zeit und Arbeitskraft entgegenzuwirken, der mit der Notwendigkeit der Anhörung durch den ganzen Spruchkörper verbunden wäre. § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO ist deshalb so auszulegen, daß jedenfalls dann, wenn ein solcher Aufwand in Frage steht, die mündliche Anhörung durch den beauftragten oder ausnahmsweise sogar den ersuchten Richter ausreicht.
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Unter welchen Voraussetzungen das der Fall ist, läßt sich nicht allgemein umschreiben. Maßgebend ist stets der Einzel fall. Dabei wird es wesentlich auf die Entfernung und die Verkehrsverbindungen zwischen dem Gericht und der Anstalt ankommen, in der sich der Verurteilte befindet. Daneben können aber auch die Bedeutung der Sache und die Schwierigkeit der zu treffenden Entscheidung eine Rolle spielen; desgleichen die Frage, ob sich die Entscheidung durch die Einschaltung eines ersuchten Richters zum Nachteil des Verurteilten verzögert.
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4. Nach diesen Grundsätzen ist das vom Oberlandesgericht eingeschlagene Verfahren nicht zu beanstanden. Die Entfernung zwischen Düsseldorf, dem Sitz des Oberlandesgerichts, und Da., wo der Verurteilte bei der Anhörung inhaftiert war, ist erheblich. Der Sachverhalt, der dem Oberlandesgericht zur Entscheidung unterbreitet war, ist einfach. Es handelt sich um einen Fall mit einer Freiheitsstrafe von weniger als zwei Jahren, für den bei Abgabe nach § 462a Abs. 5 Satz 2 StPO die kleine Strafvollstreckungskammer zuständig gewesen wäre (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG). Das Verfahren ist trotz Einschaltung des ersuchten Richters in kürzester Frist abgeschlossen worden. Vom ersten Eingang der Akten beim Strafsenat bis zum Erlaß des angefochtenen Beschlusses sind nur 9 Tage verstrichen. Daß der Verurteilte infolge der Anhörung durch den ersuchten Richter irgendwie benachteiligt worden sein könnte, ist nicht ersichtlich.
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II.
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Auch in der Sache selbst ist die sofortige Beschwerde unbegründet.
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