BGHSt 45, 97 - Verbotsirrtum bei Strafvereitelung vom Ausland aus
Zum Verbotsirrtum beim Delikt der Strafvereitelung, wenn der Täter Ausländer ist und nur im Ausland handelt, dadurch aber den Begünstigten der inländischen Strafverfolgung entzieht.
StGB §§ 9 Abs. 1, 17, 258 Abs. 1
2. Strafsenat
 
Urteil
vom 19. Mai 1999 g.E. u.a.
- 2 StR 86/99 -
Landgericht Frankfurt am Main
 
Aus den Gründen:
I.
Das Landgericht hat die beiden Angeklagten vom Vorwurf der Strafvereitelung zugunsten des später wegen Betrugs und Kreditbetrugs verurteilten Immobilienkaufmanns Dr. Jürgen Schneider und seiner Ehefrau freigesprochen; das Verhalten der Angeklagten, die den Eheleuten Schneider zur Flucht in die USA verhalfen und ihnen dort ein Versteck beschafften, erfülle zwar den objektiven Tatbestand der Strafvereitelung, doch hätten sie dabei - nicht ausschließbar - in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum und mithin schuldlos gehandelt.
Gegen diesen Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft; sie rügt mangelnde Sachaufklärung und Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel wird vom Generalbundesanwalt vertreten; es hat Erfolg.
II.
1. Das Landgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:
Anfang 1994 erkannte Dr. Jürgen Schneider, daß sein System, mehrere große Bauvorhaben durch hohe Bankkredite zu finanzieren, ins Wanken geraten war. Er entwarf mit Datum vom 4. April einen Brief an die Deutsche Bank, in dem er auf seine kritische Lage hinwies, um ein Moratorium bat und ankündigte, sich auf ärztlichen Rat zeitweilig zurückzuziehen und seinen Aufenthaltsort geheimzuhalten. Mit der Bitte, ihm dabei behilflich zu sein, wandte er sich an Dr. D., der den Kontakt zum Angeklagten vermittelte. Der Angeklagte, ein Geschäftsmann, der die ägyptische, kanadische und Schweizer Staatsangehörigkeit besitzt, lebt mit seiner mitangeklagten Ehefrau, einer Schweizer Bürgerin, die bei der S. Air beschäftigt ist, in Genf.
Am 25. März trafen sich dort die Eheleute Schneider mit Dr. D. und den Angeklagten. Dabei zeigte Dr. Schneider den Entwurf seines Briefes an die Deutsche Bank, brachte seinen Reisewunsch vor und händigte dem Angeklagten für die notwendigen Vorbereitungen 20000 DM aus. Reiseziel sollten die USA sein. Die Eheleute Schneider kehrten zunächst wieder heim.
Am 1. April flog Dr. Schneider, nachdem er den Brief an die Deutsche Bank abgesandt hatte, nach Wien, tags darauf nach Zürich und fuhr von dort mit seiner Ehefrau nach Genf. Am 5. April übergab er dem Angeklagten 500000 DM; hiervon sollten alle Ausgaben im Zusammenhang mit der Reise bestritten werden.
Am 6. April flog der Angeklagte mit den Eheleuten Schneider über Zürich nach Washington D.C. Die Mitangeklagte hatte die Buchungen vorgenommen, der Angeklagte die Rückflugscheine bezahlt. Am Ankunftsort besorgte er den Eheleuten Schneider, die jetzt den Namen Meier führten, Hotelzimmer.
Am 13. April buchte der Angeklagte für sich und die Eheleute Schneider, deren Flugscheine er auf Aliasnamen ausstellen ließ, einen Flug nach Miami. Dort wohnten sie bis zum Monatsende im Hotel. Mitte April erfuhren die Angeklagten, daß Dr. Schneider in Deutschland von der Ermittlungsbehörde gesucht wurde, den Angeklagten beschlich ein "ungutes Gefühl". Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main hatte auf Anzeige der Deutschen Bank am 13. April ein Ermittlungsverfahren gegen Dr. Schneider eingeleitet und erwirkte Ende des Monats einen auf den Vorwurf des Betrugs und Bankrotts gestützten Haftbefehl. Am 25. April flog die Mitangeklagte ebenfalls nach Miami; sie brachte deutsche Zeitschriften mit, in denen über das Strafverfahren berichtet wurde. Am 27. April kam auch der Italiener P. hinzu; ihn hatte der Angeklagte gebeten, sich um die Eheleute Schneider zu kümmern, damit diese nicht in Erscheinung zu treten brauchten. Der Angeklagte und P. mieteten sodann zwei Ferienappartements, das eine für P., das andere für die Eheleute Schneider. Der Angeklagte versah P. mit dem nötigen Geld aus dem von Dr. Schneider gezahlten Betrag. Danach kehrten beide Angeklagte nach Genf zurück.
Dort suchte der Angeklagte einen Rechtsanwalt auf, schilderte ihm seine Situation und fragte, wie er sich verhalten solle; der Anwalt erklärte ihm, daß er sich nach Schweizer Strafrecht nicht strafbar gemacht habe. Der Angeklagte war "erleichtert"; er unterrichtete seine gleichfalls bis dahin besorgte Ehefrau, die nun ebenfalls "wieder ruhig schlafen konnte".
Im ersten Halbjahr 1995 wurde der Angeklagte durch Polizei und Untersuchungsrichter in Genf als Zeuge vernommen; dabei leugnete er ebenso wie seine informatorisch gehörte Ehefrau, den Aufenthalt der Eheleute Schneider zu kennen. Er half ihnen auch weiterhin, unter anderem dadurch, daß er Geld an P. schickte.
Am 18. Mai 1995 wurden die Eheleute Schneider in Miami aufgespürt und festgenommen; am 23. Februar 1996 wurden sie nach Deutschland ausgeliefert.
2. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht ausgeführt, den Angeklagten sei nicht nachzuweisen, "daß sie wußten, sich durch ihr Verhalten nach deutschem Recht strafbar zu machen"; ihnen komme ein Verbotsirrtum zugute. Die Auskunft des Schweizer Rechtsanwalts, der Angeklagte habe sich "nach seinem Landesrecht" nicht strafbar gemacht, treffe zu. Diese Auskunft habe den Angeklagten genügen dürfen. Sie hätten sich nicht über die "strafrechtliche Einschätzung ihrer Tätigkeit in Deutschland" informieren müssen, da sie nicht "auf deutschem Boden gehandelt" hätten.
III.
Der Freispruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand. ...
1. ...
a) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß die Angeklagten den objektiven Tatbestand der Strafvereitelung (§ 258 Abs. 1 StGB) verwirklicht haben, indem sie Dr. Schneider bei seiner Flucht in die USA unterstützt, ihm dort einen geheimgehaltenen Aufenthalt verschafft und dadurch seine Strafverfolgung wegen der später abgeurteilten Straftaten erheblich verzögert haben (Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 258 Rdn. 5). Für diese Tat gilt das deutsche Strafrecht: sie ist im Inland begangen (§ 3 StGB). Die Angeklagten, selbst Ausländer, haben zwar ausschließlich im Ausland, nämlich in der Schweiz und in den USA, gehandelt; doch ist eine Straftat nicht nur an dem Ort begangen, wo der Täter gehandelt hat, sondern auch dort, wo der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist (§ 9 Abs. 1 StGB). Bei dem Vergehen gegen § 258 Abs. 1 StGB besteht dieser Erfolg in der Vereitelung einer von deutschen Gerichten zu verhängenden Strafe (oder Maßnahme); er tritt daher im Inland ein und begründet mithin die Anwendung des deutschen Strafrechts (BGHSt 44, 52, 56 f.).
b) Die Angeklagten haben die Strafvereitelung wenn schon nicht absichtlich, so doch zumindest wissentlich begangen. Der erforderliche direkte Vorsatz (BGHSt 38, 345, 348) braucht nur Tathandlung und Vereitelungserfolg zu umfassen, während für die Kenntnis der Vortat bedingter Vorsatz genügt (Lackner, StGB 23. Aufl. Rdn. 14; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. Rdn. 22 f.; Ruß in LK 11. Aufl. Rdn. 21 f., jeweils zu § 258, ebenso für den früheren § 346 StGB: BGH LM Nr. 2 zu § 346 StGB und BGHSt 15, 18, 21). Diese Voraussetzungen lagen nach den Feststellungen spätestens ab Mitte April 1994 vor, als die Angeklagten erfuhren, daß Dr. Schneider in Deutschland von der Ermittlungsbehörde gesucht wurde ...
c) Zu Unrecht hat das Landgericht den Angeklagten einen (unvermeidbaren) Verbotsirrtum zugute gehalten, da ihnen nicht nachzuweisen sei, daß sie gewußt hätten, sich "nach deutschem Recht strafbar zu machen".
Schon der damit gewählte Ansatz ist rechtsfehlerhaft. Für die Annahme eines Verbotsirrtums reicht es nicht aus, daß der Täter in Unkenntnis seiner Strafbarkeit und des anzuwendenden Strafgesetzes gehandelt hat (BGHSt 2, 194, 202; 10, 35, 41; 15, 377, 383; BGH NStZ 1996, 236 f.; Cramer in Schönke/Schröder a.a.O. § 17 Rdn. 4; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT 5. Aufl. S. 453 f.). Schon gar nicht kommt es auf die - noch speziellere - Kenntnis der Strafbarkeit nach deutschem Recht an (Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977 S. 69). Der Verbotsirrtum setzt nach seiner gesetzlichen Umschreibung voraus, daß dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun (§ 17 Satz 1 StGB). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach dem Rechtsgut, das der betreffende Straftatbestand schützt. Demgemäß unterliegt einem Verbotsirrtum, wer die vom verwirklichten Straftatbestand umfaßte spezifische Rechtsgutsverletzung nicht als Unrecht erkennt (BGHSt 15, 377 ff.). Daß den Angeklagten diese Einsicht gefehlt hat, belegen die Urteilsfeststellungen nicht:
Das Rechtsgut, das durch § 258 StGB geschützt wird, ist die deutsche Strafrechtspflege (Lackner und Ruß a.a.O. jeweils Rdn. 1 zu § 258). Die Angeklagten haben den objektiven Tatbestand dieses Gesetzes erfüllt. Sie haben einen in Deutschland straffällig gewordenen deutschen Staatsangehörigen der deutschen Strafverfolgung entzogen. Sie haben dies - was die subjektive Tatseite anlangt - wissentlich getan. Sie haben demzufolge gewußt, daß ihr Handeln die von der deutschen Strafjustiz gegen Dr. Schneider betriebene Strafverfolgung erheblich verzögern würde. Damit war ihnen zugleich - wenn auch womöglich nur in laienhafter Vorstellung - bewußt, die deutsche Strafrechtspflege zu beeinträchtigen und insoweit das durch § 258 StGB geschützte Rechtsgut zu verletzen.
Wieso ihnen gleichwohl die Einsicht in das dieser Rechtsgutsverletzung spezifische Unrecht gefehlt haben könnte, bleibt unerklärt. Anhaltspunkte dafür enthält das angefochtene Urteil nicht. Strafvereitelung wird nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland bestraft. Ausländische Strafrechtsordnungen kennen vergleichbare Straftatbestände, die ebenfalls dem Schutz der jeweils nationalen Strafrechtspflege dienen. Dies gilt namentlich für die Schweiz, den Heimat- und Aufenthaltsstaat der Angeklagten; auch dort ist Strafvereitelung strafbar (Begünstigung, Art. 305 Abs. 1 SchweizStGB: "Wer jemanden der Strafverfolgung entzieht, wird mit Gefängnis bestraft"). Der deutsche Strafvereitelungstatbestand war mithin für die Angeklagten nicht in dem Sinne fremd, daß es in der Rechtsordnung ihres Heimatstaats an einer Entsprechung gefehlt hätte (lex aliena). Daß ihr Handeln nicht gegen eine von Schweizer Behörden betriebene, sondern gegen eine deutsche, aus ihrer Sicht also ausländische Strafverfolgung und damit gegen ein fremdes Rechtsgut gerichtet war, konnte für sie kein Anlaß sein, ihr Tun für erlaubt zu halten. Denn es liegt auf der Hand und ist für jeden erkennbar, daß ein Staat, der zum Schutz der eigenen Strafrechtspflege Strafvereitelung ahndet, keinen Grund hat, Ausländer, die im Inland eine hier eingeleitete Strafverfolgung vereiteln, von der Strafdrohung auszunehmen. So würde - im spiegelbildlich gedachten Fall - der Straftatbestand des Schweizer Rechts (Art. 305 Abs. 1 SchweizStGB) selbstverständlich auch einen Deutschen erfassen, der einen Beschuldigten der Schweizer Strafverfolgung entzieht.
Die Rechtsauskunft, die der Angeklagte von dem Genfer Anwalt erhielt und an seine Ehefrau weitergab, entlastet keinen der beiden; sie konnte einen Verbotsirrtum nicht begründen. Dabei kommt es nicht darauf an, daß sie an der Bewertung der bereits vorher begangenen Vereitelungshandlungen ohnehin nichts zu ändern vermochte, da sich ein etwa vorhandenes Unrechtsbewußtsein nicht rückwirkend beseitigen läßt. Die Auskunft war schon inhaltlich ungeeignet, die Angeklagten in einen Irrtum über das Unerlaubte ihres Tuns zu versetzen. Zwar durften sie sich auf die Auskunft verlassen, dies umso mehr, als sie zutreffend war: nach Art. 305 Abs. 1bis SchweizStGB wird jemand, der einen anderen ausländischer Strafverfolgung entzieht, nur bestraft, wenn diese Verfolgung bestimmten (hier nicht in Betracht kommenden) Verbrechen gilt. Doch ist dies hier ohne Bedeutung. Die Auskunft bezog sich lediglich auf die Rechtslage in der Schweiz. Die Angeklagten haben aber den Strafvereitelungstatbestand des deutschen Strafrechts verwirklicht; ihr Handeln beeinträchtigte das Rechtsgut der deutschen Strafrechtspflege. Das der Verletzung dieses Rechtsguts entsprechende Unrechtsbewußtsein konnte durch eine Auskunft über die Rechtslage nach Schweizer Recht nicht berührt werden. Den Angeklagten wäre allenfalls eine Auskunft zustatten gekommen, die ihr Handeln (auch) nach der Rechtsordnung Deutschlands für unbedenklich erklärt hätte; eine solche Auskunft ist ihnen jedoch nicht erteilt worden. Letztlich konnten sie aus der Erklärung des Anwalts über die Unbedenklichkeit ihres Verhaltens nach Schweizer Recht auch nicht etwa schließen, daß die Rechtsordnung gerade desjenigen Landes, das die von ihnen vereitelte Strafverfolgung betrieb, ihr Verhalten gestatte. Daß sie einen solchen Schluß gleichwohl gezogen haben sollten, lag fern; Anhaltspunkte hierfür bieten die Feststellungen nicht. Das freisprechende Urteil ist deshalb aufzuheben.
2. ...
3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung gibt der Senat zu bedenken:
Der Strafvereitelungstatbestand kann - entgegen der von der Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung geäußerten Ansicht - nicht erst von dem Zeitpunkt ab verwirklicht werden, in dem die Vortat zum Gegenstand eines förmlichen Ermittlungsverfahrens gemacht worden ist; es genügt vielmehr, daß auf Grund der Vortat ein verfolgbarer materieller Strafanspruch des Staates besteht (statt aller: Ruß a.a.O. § 258 Rdn. 3, 6).