BGHSt 45, 183 - Überprüfung abgeschlossener Durchsuchung
Für die Überprüfung der Art und Weise des Vollzugs einer nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO richterlich angeordneten abgeschlossenen Durchsuchung kann der Betroffene die richterliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO jedenfalls dann beantragen, wenn die beanstandete Art und Weise des Vollzugs nicht ausdrücklicher und evidenter Bestandteil der richterlichen Anordnung war.
EGGVG §§ 23 ff.; StPO § 98 Abs. 2 Satz 2, § 105 Abs. 1 Satz 1
5. Strafsenat
 
Beschluss
vom 25. August 1999 betr.O.
- 5 AR (VS) 1/99 -
Oberlandesgericht Stuttgart
 
Gründe:
Die Vorlegungssache betrifft die Frage des Rechtsweges für die Überprüfung von Art und Weise des Vollzugs einer abgeschlossenen richterlich angeordneten Durchsuchung.
I.
1. In einem Ermittlungsverfahren in einer Wirtschaftsstrafsache ordnete das Amtsgericht Stuttgart mit Beschluß vom 28. September 1998 gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO die Durchsuchung der Geschäftsräume einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft an. Zu den Modalitäten des Vollzugs dieser Durchsuchung enthielt der Beschluß keine Hinweise. Noch am selben Tag wurde der Durchsuchungsbeschluß vollzogen. Der Geschäftsführer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wurde von zwei Polizeibeamten, welche die Durchführung der unmittelbar bevorstehenden Durchsuchung sichern sollten, am Verlassen der Kanzleiräume zur Wahrnehmung eines auswärtigen Termins gehindert. Mit seinem an das Oberlandesgericht Stuttgart gerichteten Schreiben vom 15. Oktober 1998 begehrte der Geschäftsführer gemäß §§ 23 ff. EGGVG die Feststellung, daß es rechtswidrig gewesen sei, ihn am Verlassen der Kanzleiräume zu hindern.
2. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Art und Weise des Vollzugs einer nach § 105 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO richterlich angeordneten Durchsuchung der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht (§ 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog) zuständig. Der subsidiäre Rechtsweg nach § 23 EGGVG scheide deshalb aus. Das Oberlandesgericht ist ferner der Meinung, daß jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in welchem die richterliche Durchsuchungsanordnung keinerlei Hinweise zu den Modalitäten ihrer Vollziehung enthält, bei nachträglicher Beanstandung der Rechtmäßigkeit der Art und Weise des Vollzugs zunächst der mit dieser Frage befaßte Ermittlungsrichter gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO analog und nicht sogleich das Beschwerdegericht gemäß §§ 304 ff. StPO über den Antrag zu befinden hat.
Es möchte die Sache deshalb - unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. OLG Stuttgart StV 1993, 235, 236) - an den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts entsprechend § 17 a GVG verweisen. An der Rückgabe der Akten an das Amtsgericht zur Entscheidung über den Antrag sieht sich das Oberlandesgericht jedoch durch die entgegenstehende Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (NStZ 1983, 232; 1986, 326; 1989, 85), des Oberlandesgerichts Karlsruhe (NStZ 1991, 50) und des Oberlandesgerichts Celle (StV 1985, 138) gehindert, die in Fällen der vorliegenden Art (Feststellung der Rechtswidrigkeit der Art und Weise einer erledigten Vollziehung einer richterlichen Durchsuchungsanordnung) den Rechtsweg nach § 23 EGGVG für eröffnet halten.
Das Oberlandesgericht hat deshalb die Sache nach § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt (der Beschluß ist abgedruckt in NStZ 1999, 374):
    Ist für die Überprüfung der Art und Weise des Vollzugs einer nach § 105 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO richterlich angeordneten abgeschlossenen Durchsuchung weiterhin der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet?
3. Der Generalbundesanwalt hält die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts im Ergebnis für zutreffend. Er verneint jedoch die Vorlegungsvoraussetzungen nach § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG, weil der rechtliche Ansatz der abweichenden Entscheidungen durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überholt sei, und verweist dazu u.a. auf den Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 5. August 1998 (BGHSt 44, 171). Er hat deshalb beantragt, die Sache an das Oberlandesgericht Stuttgart zurückzugeben.
II.
1. Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben.
a) Das Oberlandesgericht würde mit der beabsichtigten Entscheidung mindestens von Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamm (NStZ 1983, 232; 1986, 326) und Celle (StV 1985, 138) abweichen.
b) Eine (abweichende) Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu der Vorlegungsfrage liegt - soweit ersichtlich - nicht vor. Die Entscheidung des 3. Strafsenats (BGHSt 28, 206) betraf eine bereits vollzogene Durchsuchungsanordnung des Generalbundesanwalts. Soweit dort a.a.O. S. 208 die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach §§ 23 ff. EGGVG generell - also ohne Differenzierung zwischen richterlicher und nicht-richterlicher Anordnung - für die Überprüfung der Art und Weise einer bereits abgeschlossenen Vollziehung angesprochen ist, geht der Senat davon aus, daß sich das tragend nur auf die entschiedene Fallgestaltung - Anordnung durch den Generalbundesanwalt - bezieht, was sich auch durch den auf die Anfrage des 5. Strafsenats (wistra 1998, 353) ergangenen Beschluß des 3. Strafsenats (wistra 1999, 66) ergibt.
Die Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts Stuttgart, die Entscheidungen der genannten Oberlandesgerichte seien nicht eindeutig durch die höchstrichterliche Rechtsprechung überholt, ist zumindest vertretbar. Zwar wäre es ebenso vertretbar, mit dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg (StV 1999, 301) von einer Überholung, namentlich durch die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auszugehen (vgl. BGHSt 44, 171). Insbesondere im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung BGHSt 44, 265, in der die Frage der Überprüfung von Art und Weise des Vollzugs einer richterlich angeordneten Durchsuchung ausdrücklich offengelassen wurde, konnte das Oberlandesgericht Stuttgart davon ausgehen, daß Zweifel über die Reichweite der späteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs bestehen. In einem solchen Fall ist die Vorlage - abweichend von der Senatsentscheidung BGHSt 44, 171, 173 - zulässig (vgl. BGHSt 13, 129, 132; 34, 90, 92; BGHSt 45, 140).
a) Vom Senat zu entscheiden ist allerdings nur die hier vorliegende Fallgestaltung, bei der die Art und Weise des beanstandeten Vollzugs nicht schon in der richterlichen Anordnung ausdrücklich geregelt ist.
Soweit die Art und Weise des Vollzugs bereits in der richterlichen Anordnung ausdrücklich und eindeutig geregelt ist - etwa die Zuziehung von Angestellten bei der Durchsicht von EDV-Anlagen oder die Bezeichnung der zu durchsuchenden Räume (vgl. BGHSt 44, 265; Nack in KK 4. Aufl. § 105 Rdn. 3, 4, 13) - könnte sich die Frage stellen, ob gegen eine solche Anordnung sogleich die Beschwerde gegeben ist (vgl. dazu mit beachtlichen Argumenten Fezer NStZ 1999, 151, 152 und Eisele StV 1999, 299, 300; siehe auch den Beschluß des BVerfG - Kammer - NJW 1999, 273, der auch, soweit es um die Durchsicht der Handakten ging, die Art und Weise des Vollzugs betrifft).
Hierüber hat der Senat ebensowenig zu entscheiden wie über die Frage der Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel gegen Entscheidungen eines erstinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichts oder des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (vgl. dazu BGHSt 44, 265; BGH wistra 1999, 66).
b) Bezüglich der Gründe, welche ausschlaggebend dafür sind, daß der Betroffene bei Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses die richterliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO beantragen kann, verweist der Senat auf seine Entscheidung BGHSt 44, 265. Die dort genannten Gründe gelten im wesentlichen auch - wie das Oberlandesgericht Stuttgart und das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg (StV 1999, 301) zu Recht annehmen - für die vorliegende Fallgestaltung. Auch hier gilt:
Der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 96, 44) den Fachgerichten auferlegten besonderen Verpflichtung aus Art. 19 Abs. 4 GG, eine unübersichtliche Rechtslage zu klären, ist gerade auch in Fällen der vorliegenden Art nachzukommen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen Durchsuchungsanordnungen und Durchsuchungsmaßnahmen in schwer zu durchschauender Weise mehrfach gespalten sind. Das machen insbesondere die vom Oberlandesgericht Stuttgart zitierten Entscheidungen des OLG Hamm (NStZ 1983, 232) und des OLG Celle (StV 1985, 138) deutlich. Ein Zuständigkeitsstreit, insbesondere begründet in der Abgrenzung von Rechtmäßigkeit der Anordnung und Rechtmäßigkeit des Vollzugs, und das Ergehen divergierender Entscheidungen wären so schwerlich zu vermeiden.
Das Argument aus § 100 d Abs. 6 StPO (vgl. BGHSt 44, 265) gilt bei der richterlich angeordneten Durchsuchung noch in stärkerem Maße, denn bei dieser § 33 a StPO nachgebildeten Regelung kann der Betroffene das anordnende Gericht anrufen.
3. Um Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der richterlichen Entscheidung nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO und einer etwaigen Beschwerdemöglichkeit gegen richterliche Anordnungen über die Modalitäten des Vollzugs - die allerdings wegen § 306 Abs. 2 StPO weniger gewichtig sind - möglichst auszuschließen, ist der Senat der Ansicht, daß der Weg des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO stets dann zu beschreiten ist, wenn zumindest zweifelhaft ist, ob die beanstandete Art und Weise des Vollzugs in der richterlichen Durchsuchungsanordnung geregelt ist. Der Senat entscheidet daher:
Für die Überprüfung der Art und Weise des Vollzugs einer nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO richterlich angeordneten abgeschlossenen Durchsuchung kann der Betroffene die richterliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO jedenfalls dann beantragen, wenn die beanstandete Art und Weise des Vollzugs nicht ausdrücklicher und evidenter Bestandteil der richterlichen Anordnung war.
Der subsidiäre Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG ist in diesem Fall nicht eröffnet.