BGHSt 46, 292 - Völkerrechtliche Strafverfolgungspflicht |
1. Die im Völkermordtatbestand des § 220a Abs. 1 StGB vorausgesetzte Absicht, eine nationale, rassische oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, ist ein tatbezogenes Merkmal und fällt deshalb nicht unter § 28 StGB. |
2. Nach § 6 Nr. 9 StGB ist deutsches Strafrecht auf im Ausland von Ausländern begangene Straftaten anwendbar, wenn die Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens völkerrechtlich zur Verfolgung dieser Auslandsstraftaten verpflichtet ist. Eine Verfolgungspflicht ergibt sich aus dem IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten jedenfalls dann, wenn ein internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt und die Straftaten die Voraussetzungen einer "schweren Verletzung" dieses Abkommens i.S.d. Art. 147 erfüllen. |
3. Der bewaffnete Konflikt in Bosnien-Herzegowina zwischen den bosnischen Serben und der zentralen Regierung in Bosnien-Herzegowina war zumindest im Jahre 1992 auch nach dem offiziellen Rückzug der jugoslawischen Armee am 19. Mai 1992 ein bewaffneter internationaler Konflikt (Anschluß an das Urteil der Berufungskammer des Internationalen Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien vom 15. Juli 1999 in der Sache v. Dusko Tadic IT-94-1-A). |
4. Der Begriff der Folter des Art. 147 der IV. Genfer Konvention erfaßt jedes zweckbezogene Zufügen schwerer körperlicher oder seelischer Leiden, das durch staatliche Organe oder mit staatlicher Billigung begangen wird. Die Folter ist gegenüber der "unmenschlichen Behandlung", die keine auf das Quälen eines Menschen gerichtete Absicht voraussetzt, der engere Begriff. |
StGB § 220a, § 6 Nr. 9, IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten Art. 146, 147 |
3. Strafsenat |
Urteil |
vom 21. Februar 2001 g.S. |
- 3 StR 372/00 - |
Oberlandesgericht Düsseldorf |
Aus den Gründen: |
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten, einen bosnischen Serben, wegen Beihilfe zum Völkermord in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung (von über einer Woche Dauer) in 56 Fällen und in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
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1. Der Senat hat in seiner Grundsatzentscheidung BGHSt 45, 64 zur Begründung der deutschen Gerichtsbarkeit für die Verfolgung von Völkermord bereits entschieden, daß für ein im Ausland von Ausländern an Ausländern begangenes Verbrechen des Völkermordes (§ 220a StGB) nach § 6 Nr. 1 StGB kraft Weltrechtsprinzips deutsches Strafrecht gilt. Hiervon geht das Oberlandesgericht aus. Es hat auch zutreffend die tatbestandlichen Voraussetzungen des Völkermordes gemäß § 220a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB als erfüllt angesehen.
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Nach den Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte an einer in seinem Heimatort Osmaci und dessen Umgebung am 27. und 28. Mai 1992 durchgeführten militärischen serbischen Aktion gegen die dort lebende muslimische Bevölkerung, die darauf gerichtet war, diese systematisch zu vertreiben oder zu eliminieren. Dabei wurden die Häuser der Muslime durchsucht und geplündert, die Frauen und Kinder überwiegend verschleppt und an der Kampflinie ausgesetzt, die männlichen muslimischen Bewohner körperlich mißhandelt oder getötet und die Mehrzahl der Männer festgenommen und in Gefangenenlager abtransportiert. Diese Aktion in Osmaci war Teil der von der politischen Führung der bosnischen Serben betriebenen Aggressionspolitik zur ethnisch-kulturellen Vereinheitlichung der von den Serben in Bosnien-Herzegowina beanspruchten Gebiete. Zu diesem Zweck gingen ab April 1992 die von der jugoslawischen Volksarmee (JNA) unterstützte bosnisch-serbische Armee und paramilitärische Gruppen in Abstimmung mit der politischen und militärischen Führung der bosnischen Serben etwa gleichzeitig in verschiedenen Orten an der Nord- und Ostgrenze Bosniens gegen die dort lebenden muslimische Bevölkerung vor. Der Angeklagte, der das Erstarken des serbischen Nationalismus in Bosnien-Herzegowina ab Herbst 1991 miterlebt hatte und dessen Ziele befürwortete, brachte diese Einstellung auch durch nationalistische und diskriminierende Äußerungen gegenüber muslimischen Bürgern seines Heimatortes zum Ausdruck. Er gehörte ab März/April 1992 zu den Serben in Osmaci, die uniformiert und bewaffnet in der Öffentlichkeit auftraten und die serbischen Militärverbände unterstützten, die seit dem 1. Mai 1992 zunächst die um Osmaci liegenden muslimischen Dörfer angriffen. Bereits vor dem 27./28. Mai 1992 ließ er sich deshalb in Uniform und mit einem automatischen Gewehr bewaffnet zur Bewachung der serbischen Militärkommandantur einteilen. An der am 27. und 28. Mai 1992 durchgeführten Militäraktion zur Verhaftung und Vertreibung der muslimischen Bevölkerung beteiligte er sich in der Weise, daß er die Verladung und den Abtransport der Bewohner eines Dorfes persönlich überwachte, eigenhändig und unter Mitwirkung weiterer Serben muslimische Männer verfolgte, festnahm und den Führern des bosnischserbischen Militärs übergab und fünf Gefangene selbst körperlich erheblich mißhandelte. Außerdem gehörte er zu dem Bewachungspersonal in Kula, wo die Gefangenen über Nacht festgehalten und verhört wurden und wo sie, soweit sie nicht zur Exekution ausgesondert worden waren, mit Bussen in die Internierungslager abtransportiert wurden.
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2. Dieses Verhalten des Angeklagten hat das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei als Beihilfe zum Völkermord gemäß § 220a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB, § 27 StGB, begangen zum Nachteil der Bevölkerungsgruppe der muslimischen Bevölkerung in und um Osmaci und dessen Umgebung, gewürdigt. Auch seine Annahme, für die Beihilfe zum Völkermord gemäß § 220a Abs. 1 StGB genüge es, daß der Haupttäter die tatbestandlich vorausgesetzte Absicht hatte und der Gehilfe dies weiß, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Eine Milderung nach § 28 StGB kommt nicht in Betracht, da die Völkermordabsicht kein persönliches, sondern ein tatbezogenes Merkmal ist.
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Wie der Senat bereits entschieden hat, erhalten die unter die verschiedenen Tatmodalitäten des § 220a Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 StGB fallenden objektiven Tathandlungen ihren besonderen Unrechtsgehalt als Völkermord, der sie von gemeinen Delikten wie Tötungsverbrechen oder schweren oder gefährlichen Körperverletzungen unterscheidet, erst durch die von § 220a Abs. 1 StGB vorausgesetzte Absicht, eine unter den Schutz dieser Vorschrift fallende Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören (vgl. BGHSt 45, 64). Der erstrebte Erfolg, eine Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, muß nicht erreicht werden, es genügt, daß er von der Täterabsicht erfaßt wird. Durch dieses gesetzliche Merkmal, das den erstrebten Erfolg im Subjektiven als überschießende Innentendenz gleichsam vorweg erfaßt, wird nicht der Täter, sondern die Tat als ganzes und damit ihr besonderes Unrecht gekennzeichnet. Die vom Tatbestand des § 220a Abs. 1 StGB vorausgesetzte Absicht ist deshalb ein subjektives Unrechtsmerkmal, ähnlich den Absichtsmerkmalen der §§ 242, 243, 267 StGB (vgl. BGHSt 22, 375 [380 f.]) oder der verfassungsfeindlichen Absicht i.S.d. § 94 StGB a.F. (vgl. BGHSt 17, 215; Roxin in LK 11. Aufl. § 28 Rn. 23 und 70), die anerkanntermaßen nicht zu den besonderen persönlichen Merkmalen i.S.d. § 28 StGB zählen, weil sie nur ins Subjektive verlegte Merkmale des objektiven Tatbestands darstellen (vgl. Cramer in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 28 Rn. 20; Jescheck/Weigend, AT 5. Aufl. § 61 VII 4 a, S. 658; vgl. zu § 220a StGB: Jähnke in LK 11. Aufl. § 220a Rn. 12; Eser in Schönke/Schröder a.a.O. § 220a Rn. 6; Ambos NStZ 1998, 138, 139).
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3. Es gefährdet den Bestand des Urteils nicht, daß das Oberlandesgericht ohne nähere Begründung meint, nicht feststellen zu können, welche konkreten objektiven und subjektiven Tatanteile der Angeklagte an den festgestellten Tötungshandlungen zum Nachteil einzelner muslimischer Männer hatte. Das Oberlandesgericht hat zwar nur darlegen wollen, warum es den Angeklagten nicht auch wegen Beihilfe zu einem oder mehreren Delikten nach §§ 211, 212 StGB schuldig gesprochen hat. Damit setzt es sich aber zugleich in Widerspruch zu seiner Würdigung der Beteiligung des Angeklagten als Beihilfe zu § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB.
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§ 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist eine Begehungsalternative des Völkermordes, die als Tatbestandsmerkmal die vorsätzliche Tötung eines Menschen voraussetzt, so daß der Sachverhalt, der wegen Völkermordes nach § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB festgestellt werden muß, jeweils auch eine Verurteilung zumindest wegen Totschlags trägt (BGHSt 45, 64 [70]). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB und die für die Beihilfe hierzu erforderlichen objektiven und subjektiven Förderungshandlungen des Angeklagten hat das Oberlandesgericht jedoch festgestellt und rechtlich zutreffend gewürdigt. Es hat dem Angeklagten in diesem Zusammenhang angelastet, daß er sich am 28. Mai 1992 seit den Vormittagsstunden im Bereich des sogenannten Lesesaals, in dem die gefangenen Muslime die Nacht über festgehalten worden waren, aufgehalten und Anteil an dem genommen hat, was sich dort und in seinem Umkreis abspielte. Es hat festgestellt, daß der Angeklagte spätestens im Verlauf des Vormittags des 28. Mai 1992 von der vorgesehenen Liquidierung bestimmter Muslime Kenntnis erlangt hatte und dies billigte. Unter den zur Liquidierung aussortierten Männer waren u.a. A., F. und F. A., M. und H. I. sowie E. B., die der Angeklagte zum Teil selbst am Vortag festgenommen und mißhandelt hatte. Nach den Feststellungen wurden drei dieser Männer später getötet. Ausweislich der Urteilsgründe sah der Angeklagte auch, daß in der Nähe des Lesesaals ein Lkw bereit stand, der für den Abtransport der zur Liquidierung vorgesehenen Männer bestimmt war, welche Personen ihn besteigen mußten oder auf seine Ladefläche geworfen wurden. Ebenso ist dem Angeklagten - so das Urteil - die Erschießung zweier namentlich genannter weiterer muslimischer Männer im Verlauf der Verladeaktion der zum Abtransport in die Gefangenenlager bestimmten Muslime nicht entgangen, da er u.a. in der Reihe der ein Spalier bildenden Serben stand, durch das die gefangenen Muslime unter Schlägen zum Bus hingetrieben wurden. Daß das Oberlandesgericht diese Feststellungen für nicht ausreichend erachtet hat, den Angeklagten auch wegen Beihilfe zum Mord zum Nachteil der namentlich genannten fünf Muslime, deren Tötung festgestellt worden ist, schuldig zu sprechen, beschwert den Angeklagten nicht.
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4. Auch soweit das Oberlandesgericht den Angeklagten der Beihilfe zur Freiheitsberaubung in 56 und der gefährlichen Körperverletzung in fünf Fällen schuldig gesprochen und die Anwendbarkeit deutschen Rechts insoweit auf § 6 Nr. 9 StGB gestützt hat, hält das Urteil rechtlicher Nachprüfung stand.
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a) Nach § 6 Nr. 9 StGB gilt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts für im Ausland begangene Taten, die aufgrund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen wurden. § 6 Nr. 9 StGB erfaßt jedoch nur solche Taten, zu deren Verfolgung im Einzelfall eine völkervertragliche Verfolgungspflicht der Bundesrepublik Deutschland besteht, was mit dem Gesetzeswortlaut des § 6 Nr. 9 StGB "zu verfolgen sind" zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Gribbohm in LK 11. Aufl. § 6 Rn. 66 f.; vgl. auch BGH NJW 1991, 3104; Eser a.a.O. § 6 Rn. 10, Hoyer in SK-StGB § 6 Rn. 4). Ein derartiges Abkommen ist die IV. Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949 (IV. GK) mit den Zusatzprotokollen I und II vom 8. Juni 1977 (Gribbohm a.a.O. vor § 3 Rn. 29 und § 6 Rn. 78; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 6 Rn. 1; Eser a.a.O. Rn. 11). Die Bundesrepublik Deutschland ist dem IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 mit Gesetz vom 21. August 1954 (BGBl. 1954 II 78 1), bezüglich der Zusatzprotokolle vom 11. Dezember 1990 (BGBl. 1990 II 1550) beigetreten, ebenso im Jahre 1954 die ehemalige Föderative Volksrepublik Jugoslawien (BGBl. 1954 II 976, 1003). Unabhängig von der Frage, ob Bosnien-Herzegowina schon als einer der Nachfolgestaaten der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien mit dem Tag seiner Unabhängigkeitserklärung vom 6. März 1992 die Verpflichtung aus dieser IV. GK ohne weiteres übernommen hat, ist Bosnien-Herzegowina selbst am 31. Dezember 1992 mit Wirkung vom 6. März 1992 allen vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 beigetreten (BGBl. 1993 II 1190).
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b) Nach Art. 2 der IV. GK findet das Abkommen in allen Fällen eines erklärten Krieges oder eines anderen bewaffneten Konflikts Anwendung, der zwischen zwei oder mehreren Vertragsparteien entsteht, auch wenn der Kriegszustand von einer der Parteien nicht anerkannt wird (Abs. 1), aber auch in allen Fällen vollständiger oder teilweiser Besetzung des Gebiets einer der Vertragsparteien, selbst wenn diese Besetzung auf keinen bewaffneten Widerstand stößt (Abs. 2). Nach Art. 4 Abs. 1 dieses Abkommens unterfallen solche Personen seinem Schutz, der sich im Fall eines Konflikts oder einer Besetzung zu irgendeinem Zeitpunkt und gleichgültig auf welche Weise im Machtbereich einer am Konflikt beteiligten Partei oder einer Besatzungsmacht befinden, deren Angehörige sie nicht sind. Die Verpflichtung einer Vertragspartei zur Strafverfolgung von Verletzungen des Abkommens ist in Art. 146 Abs. 1 der IV. GK auf die Personen beschränkt, die eine der in Art. 147 der IV. GK umschriebenen schweren Verletzungen des Abkommens gegen geschützte Personen begangen oder den Befehl zu einer solchen schweren Verletzung erteilt haben. Die Vertragsparteien des Abkommens sind nicht nur zur Verfolgung solcher Personen, die schwerer Verletzungen nach Art. 147 der IV. GK beschuldigt werden, verpflichtet, sondern auch dazu, sie ungeachtet ihrer eigenem Nationalität vor ihre eigenen Gerichte zu stellen (Art. 146 Abs. 2 Satz 1 IV. GK). Nach Art. 148 der IV. GK kann zudem keine der Vertragsparteien sich oder eine andere Partei von den Verantwortlichkeiten befreien, die ihr oder einer anderen Partei infolge einer schweren Verletzung i.S.d. Art. 147 der IV. GK zufallen.
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c) Die auf die völkervertragsrechtliche Verfolgungsverpflichtung aus der IV. GK gestützte Anwendbarkeit des § 6 Nr. 9 StGB im vorliegenden Fall setzt, jedenfalls nach herkömmlichem Verständnis (vgl. dazu Kreß EuGRZ 1996, 638, 645; Werle JZ 2000, 755, 759), voraus, daß die Übergriffe der bosnischen Serben gegen die muslimische Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina im Rahmen der sogenannten ethnischen Säuberungen auch nach dem offiziellen Rückzug der jugoslawischen Volksarmee (JNA) aus Bosnien-Herzegowina am 19. Mai 1992 noch im Zusammenhang mit einem internationalen Konflikt i.S.d. Art. 2 der IV. GK standen.
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Das hat das sachverständig beratene Oberlandesgericht anhand der von ihm hierzu festgestellten Umstände und Gegebenheiten zur Tatzeit in Bosnien-Herzegowina rechtsfehlerfrei dargelegt. Seine Bewertung steht im Einklang mit dem Urteil der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in der Sache gegen Dusko Tadic vom 15. Juli 1999 (ICTY-Appeals Chamber Prosecutor v. Dusko Tadic, Judgement 15.7.1999; www.un.org/icty/tadic/appeal/judgement).
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aa) Der Internationale Gerichtshof ist in diesem Urteil aufgrund einer Gesamtbetrachtung der Verhältnisse in Bosnien-Herzegowina, der faktischen Kräfteverteilung sowie der politischen Entwicklung bis hin zum Dayton-Paris-Abkommen vom 14. Dezember 1995 davon ausgegangen, daß es sich bei der bewaffneten Auseinandersetzung im muslimisch-serbischen Konflikt in Bosnien-Herzegowina wegen der nach dem offiziellen Rückzug der jugoslawischen Armee am 19. Mai 1992 andauernden Verwicklung der Republik Jugoslawien in die militärischen Auseinandersetzungen - auch - um einen internationalen Konflikt handelte. Soweit staatliche jugoslawische Truppen nicht an konkreten Auseinandersetzungen beteiligt waren, kommt es nach Auffassung des Internationalen Strafgerichtshofs darauf an, ob dem auswärtigen Staat, nämlich (Rest-) Jugoslawien, das Verhalten der nichtstaatlichen Truppen, d.h. konkret der bosnischen Serben, als eigenes zugerechnet werden kann, so daß die Aktivitäten der bosnischen Serben de facto als Aktivitäten der Republik Jugoslawien bzw. der JNA erscheinen. Dies ist dann der Fall, wenn diese Truppen oder paramilitärischen Einheiten im Großen und Ganzen unter der Kontrolle Jugoslawiens standen und damit zu dessen de facto-Organen geworden sind (vgl. Urteil der Berufungskammer in der Sache Tadic vom 15. Juli 1999 Nr. 83 ff., 157 ff., 162; vgl. hierzu auch Ambos NStZ 2000, 71; Kreß, Resolution 827 [1993] des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen betreffend den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, Vorbemerkungen in Grützner/Pötz, IRG 2. Aufl. Bd. III 27, Rn. 24 f.). Zu einem vergleichbaren Ergebnis, nämlich daß der Konflikt zwischen der JNA und der Armee der bosnischen Serben auf der einen und der bosnischen Regierung auf der anderen Seite zumindest während des gesamten Jahres 1992 angedauert hatte und deshalb ein internationaler Konflikt gewesen sei, war schon zuvor eine andere erstinstanzliche Kammer des Internationalen Gerichtshofs im sogenannten Celebici-Verfahren (ICTY Prosecutor v. Delalic et al. Judgement vom 16. November 1998 - IT-96-21-T, Nr. 211 ff.) gekommen, ebenso das Minderheitenvotum der Richterin McDonald in dem erstinstanzlichen Urteil des Verfahrens gegen Tadic vom 7. Mai 1997 (vgl. dazu Kreß in Fischer/Lüder [Hrsg.], Völkerrechtliche Verbrechen vor dem Jugoslawien-Tribunal, nationalen Gerichten und dem Internationalen Strafgerichtshof S. 15, 24 ff.).
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bb) Daß die Teilnahme des Angeklagten an der serbischen Säuberungsaktion in und um Osmaci am 27./28. Mai 1992 zum Nachteil der dort lebenden muslimischen Bewohner gemessen an diesen Grundsätzen eine Teilnahme an Aggressionshandlungen der bosnischen Serben im Rahmen des internationalen Konflikts zwischen Bosnien-Herzegowina und der Republik Jugoslawien darstellte, belegen die Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts mit hinreichender Deutlichkeit. Danach wußte der Angeklagte um die Entwicklungen des Konflikts, war beteiligt an militärischen Vorbereitungen der Überfälle der serbischen Armee auf die muslimischen Dörfer im April/Mai 1992 in der Umgebung von Osmaci und nahm Weisungen bosnisch-serbischer Militärs zur Verfolgung und Festnahme flüchtiger muslimischer Männer entgegen. Er war an der Bewachung und den Verhören der muslimischen Gefangenen in Kula beteiligt. Er erschien für die vernommenen Zeugen ersichtlich wie ein Teil der bosnisch-serbischen Militärs, in deren Handlungen und Aktivitäten er sich nahtlos einfügte.
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cc) Schließlich ist das Oberlandesgericht auch zu Recht davon ausgegangen, daß die unter Mitwirkung des Angeklagten aus ihren Dörfern vertriebenen, körperlich mißhandelten oder getöteten Muslime zu den "geschützten Personen" i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der IV. GK gehörten, selbst wenn sie offiziell dieselbe - bosnische - Staatsangehörigkeit wie die bosnisch-serbischen Täter besaßen. Auch insoweit hat sich das Oberlandesgericht an die Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der IV. GK durch den Internationalen Gerichtshof in dem genannten Berufungsurteil gegen Tadic angelehnt. Die Berufungskammer des Internationalen Gerichtshofs hat bei der Beurteilung der Frage, wer zu den "geschützten Personen" zu zählen ist, entgegen dem Wortlaut des Art. 4 der IV. GK nicht auf die formale Staatsangehörigkeit der Beteiligten abgestellt, sondern darauf, ob die jeweilige Person bei materieller Betrachtung als dem Staat zugehörig angesehen werden kann, in dessen Gewalt sie sich befindet. Das ist für die muslimischen Bosnier, die sich für die Zeit der bewaffneten Auseinandersetzung in der Gewalt der bosnischen Serben befanden, zu verneinen, da die bosnischen Serben als de facto-Organe (Rest-) Jugoslawiens handelten und die bosnischen Muslime sich unter diesen Umständen in den Händen des feindlichen Jugoslawiens befanden. Auch dann, wenn die bosnischen Muslime - noch - die jugoslawische Staatsangehörigkeit besessen haben sollten, kommt es nicht allein auf die formale Bindung an einen bestimmten Staat, sondern darauf an, ob die muslimischen Bosnier Schutz von dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie innehaben, erhielten und ihm Loyalität schulden würden. Dies war im Verhältnis zwischen den muslimischen Bosniern und (Rest-) Jugoslawien nicht der Fall, so daß die muslimische Bevölkerung trotz jugoslawischer Staatsangehörigkeit nach den Grundsätzen des Internationalen Gerichtshofs als "geschützte" Personen anzusehen sind, wenn sie in die Gewalt der bosnischen Serben bzw. des bosnisch-serbischen Militärs geraten und deren Willkürakten ausgesetzt waren (vgl. zum Ganzen Urteil der Berufungskammer des Internationalen Gerichtshofs in der Sache gegen Tadic vom 15. Juli 1999, Nr. 163 ff., insbesondere Nr. 167 bis 169; Kreß in Grützner/Pötz, a.a.O. Rn. 25 und Fn. 79; Ambos NStZ 2000, 71 f.).
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dd) Der Senat macht sich die weite Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der IV. GK durch den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zu eigen. Sie ermöglicht es, Sinn und Zweck des auf höchstmöglichen Schutz von Zivilpersonen gerichteten Art. 4 der IV. GK auch in den schwierig zu beurteilenden Fällen ethnisch bedingter Konflikte, die zu einem Zerfall eines Staates in einzelne Teile führen, hinreichend Rechnung zu tragen. Ein solcher effektiver Schutz von Zivilpersonen in derartigen bewaffneten Konflikten ist nur gewährleistet, wenn sie auch dann bei Übergriffen der gegnerischen militärischen Kräfte und deren Parteigänger als geschützte Personen gelten, wenn sie formal (noch) dieselbe Nationalität haben wie ihre Gegner. Gemessen an diesen Grundsätzen waren die muslimischen Bewohner von Osmaci geschützte Personen i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der IV. GK. Dies gilt vorliegend vor allem auch deshalb, weil die von der Republik Jugoslawien und der Jugoslawischen Armee gesteuerten Übergriffe der bosnischen Serben gegen die muslimischen Bewohner von Osmaci auf dem Boden des unabhängigen Staates Bosnien-Herzegowina stattfanden, der nach seiner Unabhängigkeitserklärung vom 6. März 1992 am 6. April 1992 von der Europäischen Union anerkannt worden und am 22. Mai 1992 Mitglied der Vereinten Nationen geworden war.
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Der Senat kann deshalb offenlassen, ob die im völkerstrafrechtlichen Schrifttum vordringende Ansicht zutrifft, daß internationale und innerstaatliche Konflikte im Hinblick auf die Strafbarkeit der Verstöße gegen die IV. GK gleichbehandelt werden können und schon nach gegenwärtiger Rechtslage die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aus §6 Nr. 9 StGB auch bei innerstaatlichem Konflikt hinsichtlich schwerer Verstöße gegen Art. 3 der IV. GK ohne Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot abgeleitet werden kann (vgl. dazu Ambos NStZ 1999, 226, 228 f.; Werle ZStW 109 [1997], 808, 818 ff., 825; ders. JZ 2000, 755, 759; vgl. auch Kreß in Fischer/Lüder, Völkerrechtliche Verbrechen S. 15, 19 f.).
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d) Jedenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Oberlandesgericht schließlich auch angenommen, daß sämtliche nach § 239 Abs.2 StGB, § 223a StGB a.F. strafbaren Handlungen des Angeklagten als "schwere Verletzungen" i.S.d. Art. 147 des IV. GK anzusehen sind.
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Als "schwere Verletzungen" gelten nach Art. 147 der IV. GK namentlich vorsätzliche Tötung, Folterung oder unmenschliche Behandlung, vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit, rechtswidrige Verschleppung oder rechtswidrige Gefangenhaltung.
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aa) Daß die vom Oberlandesgericht unter § 239 Abs.2 StGB subsumierten Verhaftungen mit anschließender Internierung von 56 muslimischen Männern in Gefangenenlagern, deren Gefangenschaft unter menschenunwürdigen und grausamen Bedingungen teilweise über ein Jahr dauerte, nach ihrer Art und Schwere die Merkmale der "rechtswidrigen Verschleppung" bzw. der "rechtswidrigen Gefangenschaft" des Art. 147 der IV. GK erfüllen, versteht sich ohne weiteres. Allerdings erscheint die Wertung des Oberlandesgerichts, die vom Angeklagten eigenhändig oder im Zusammenwirken mit weiteren Serben begangenen gefährlichen Körperverletzungen zum Nachteil von fünf namentlich benannten Personen stellten "Folterungen" i.S.d. Art. 147 der IV. GK dar, nicht in allen Fällen rechtsbedenkenfrei.
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Der Begriff der Folter wird durch Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrige Behandlung oder Strafe (UN-Anti-Folterkonvention vom 10. Dezember 1984 [BGBl. 1990 II 247f.]) völkerrechtlich definiert. Die Folter wird nicht nur in Art. 147 der IV. GK, sondern auch beim Folterverbot des Art. 3 MRK, Art. 7 IPbürgR neben der unmenschlichen Behandlung als besondere Form völkerrechtswidrigen Verhaltens aufgeführt. Somit kann davon ausgegangen werden, daß mit den Begriffen der Folter und der unmenschlichen Behandlung in völkerrechtlich relevanten Vorschriften jeweils vergleichbare Verhaltensweisen gemeint sind, die entweder verboten sind oder geächtet werden sollen (so auch EGMR NJW 2001, 56, Leitsatz 4). Folter ist dabei der engere Begriff. Er erfaßt vorsätzliche schwere körperliche oder psychische Mißhandlungen einer Person durch staatliche Organe oder durch mit staatlicher Billigung tätig werdende Personen. Die Zufügung schwerster körperlicher oder seelischer Qualen muß dabei vorbedacht und gewollt sein. Folter setzt heute allerdings nicht mehr zwingend, wie noch der engere rechtshistorische Folterbegriff, als Zweck der Mißhandlung die Erlangung von Informationen oder die Erzwingung eines Geständnisses voraus. Nach der Definition des Art. 1 Abs. 1 der UN-Anti-Folterkonvention genügt vielmehr auch die absichtliche Zufügung großer körperlicher oder seelischer Schmerzen oder Leiden zum Zwecke der Einschüchterung anderer, der Diskriminierung einer Person als Angehöriger einer bestimmten Gruppe oder zum Zweck der Bestrafung; damit kann jede zweckbezogene Quälerei eines Menschen durch staatliche Organe oder mit staatlicher Billigung dem Begriff der Folter unterfallen (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. Art. 3 MRK/Art. 7 IPbürgR Rn. 18 f. m.w.N.). Demgegenüber ist für eine "unmenschliche" oder "grausame" Behandlung im Sinne dieser Vorschriften keine hierauf gerichtete Absicht erforderlich. Folter ist deshalb die verschärfte und vorbedachte Form der unmenschlichen oder grausamen Behandlung. Ob eine schwere Mißhandlung von Menschen als Folter bewertet werden kann, hängt nach der Rechtsprechung des EGMR von den Umständen des Einzelfalles ab, wie der Dauer der Behandlung, ihren physischen und psychischen Folgen sowie u. U. vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (vgl. EGMR EuGRZ 1979, 149, 153 f. und bei Strasser EuGRZ 1990, 86 f.). Bei der Abgrenzung der Folter von der unmenschlichen Behandlung ist aber zu beachten, daß die zunehmend höheren Anforderungen an den Schutz der Menschenrechte und die Grundfreiheiten es erforderlich machen, die herkömmliche Definition der UN-Anti-Folterkonvention "im Lichte der heutigen Verhältnisse" auszulegen (EGMR NJW 2001, 56, 60 m.w.N.). Dies kann zur Folge haben, daß in der Vergangenheit nur als "unmenschliche oder erniedrigende Behandlung" eingestufte Verhaltensweisen künftig als "Folter" qualifiziert werden können. Ob dies der Fall ist, insbesondere, ob das "Mindestmaß an Schwere" erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. EGMR a.a.O.).
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Demgegenüber wird der Begriff der Folter in Art. 7 Abs. 2 Buchst. c des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) vom 17. Juli 1998 (BGBl. 2000 II 1394 ff.) lediglich dahin definiert, "daß einer im Gewahrsam oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden". Eine notwendige Verbindung des Zufügens von großen Schmerzen oder Leiden mit irgendeinem verfolgten Zweck ist nach dieser Definition nicht vorgesehen. Ob damit der Folterbegriff des Art. 1 Abs. 1 der UN-Anti-Folterkonvention dahin erweitert werden soll, daß es auf eine bisher erforderliche Absicht des Täters nicht mehr ankommt, erscheint fraglich; denn neben der Folter in Art. 7 Abs. 1 Buchst. f werden in Art. 7 Abs. 1 Buchst. k des IStGH-Statuts andere "unmenschliche Handlungen ähnlicher Art", mit denen vorsätzlich große Leiden usw. verursacht werden, als Unterfälle des Verbrechens gegen die Menschlichkeit genannt. Daraus folgt, daß zwischen "Folter" und "unmenschlichen Handlungen ähnlicher Art" auch nach der Grundkonzeption des IStGH-Statuts ein Unterschied bestehen muß. Jedenfalls soll der Folter nicht der Charakter als typischerweise von staatlichen Organen gestütztes Delikt genommen werden. Es geht ersichtlich vor allem darum, die Folter bei massenhafter und systematischer Begehung im Zusammenhang mit einem ausgedehnten Angriff gegen die Zivilbevölkerung als Anwendungsfall des völkerstrafrechtlichen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu kennzeichnen (vgl. zur V. Sitzung der Vorbereitungskommission des Internationalen Strafgerichtshofs: Ambos NJW 2001, 405, 406). Die konkrete Auslegung des Folterbegriffs in Art. 7 Abs. 1 des IStGH-Statuts, der für diese Fälle zukünftig die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs begründen soll, kann hier jedoch offenbleiben, da der bisher völkerrechtlich anerkannte und auch zur Tatzeit geltende Folterbegriff der engere und deshalb hinsichtlich seiner Anwendbarkeit der für den Angeklagten günstigere ist.
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bb) Gemessen an den zu Art. 1 Abs. 1 UN-Anti-Folterkonvention sowie Art. 3 MRK und Art. 7 IPbürgR entwickelten Auslegungsmaßstäben, die auch für die Auslegung des Art. 147 der IV. GK herangezogen werden können, ist die Bewertung der massiven und schwersten Mißhandlungen des E. B. durch den Angeklagten als Folter rechtlich vertretbar. Dies gilt im Ergebnis ebenso für die Gesamtheit der Mißhandlungen des A. A. sowie des I. B. und des M. C., insbesondere im Hinblick auf die Folgen der Mißhandlungen dieser Männer durch den Angeklagten und weitere Serben. Zweifelhaft erscheint hingegen, insbesondere mit Blick auf die erforderliche Absicht, ob die Tätlichkeit des Angeklagten gegen den zuvor von anderen Serben festgenommenen und körperlich mißhandelten F. A., schon die Bewertung als Folter rechtfertigt. Insoweit hat das Oberlandesgericht lediglich festgestellt, daß der Angeklagte diesem Tatopfer, das als Folge der vorherigen Mißhandlung durch andere Serben und ohne Zutun des Angeklagten blutende Gesichtsverletzungen davongetragen hatte, einmal mit dem Gewehrkolben auf den Kopf schlug, so daß dieses aufschrie und erneut frisches Blut über sein Gesicht lief. Das Verhalten des Angeklagten darf jedoch nicht losgelöst von den Gesamtumständen des Geschehens am 27. Mai 1992 gesehen werden; zu berücksichtigen ist auch, daß die muslimischen Bewohner der Dörfer Like und Seher an diesem Tag systematisch aus ihren Häusern vertrieben wurden, die Männer sich aus Angst vor körperlichen Übergriffen und Gefangennahme in der Umgebung auf Feldern und in den Wäldern zu verstecken suchten, wo sie unter Teilnahme des Angeklagten systematisch aufgespürt und unter Mißhandlungen und Beleidigungen zu einem Sammelpunkt getrieben wurden, um später von den Familien getrennt in die Gefangenschaft abtransportiert zu werden. Angesichts der Gesamtheit der Tatumstände liegt jedenfalls eine "unmenschliche Behandlung" im Sinne einer die Menschenwürde des betroffenen Tatopfers mißachtenden Zufügung von schweren körperlichen und seelischen Leiden vor (vgl. zu dem Begriff Gollwitzer a.a.O. Rn. 22 f.), so daß die Tätlichkeiten des Angeklagten auch insoweit unter Art. 147 der IV. GK fallen, und seine Verurteilung nach § 223a StGB a.F. auch diesbezüglich auf § 6 Nr. 9 StGB gestützt werden kann.
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e) Im übrigen hat das Oberlandesgericht im Anschluß an die bisherige Rechtsprechung, die über den Wortlaut des § 6 StGB hinaus einen legitimierenden Anknüpfungspunkt im Einzelfall verlangt, der einen unmittelbaren Bezug der Strafverfolgung im Inland herstellt und die Anwendung innerstaatlichen (deutschen) Strafrechts rechtfertigt, geprüft, ob solche Anknüpfungstatsachen vorliegen (vgl. dazu zuletzt BGHSt 45, 64 [66] zu § 6 Nr. 1 StGB m.w.N.; insoweit ablehnend Werle JZ 1999, 1181, 1182 f.; ders. JZ 2000, 755, 759; Lüder NJW 2000, 269 f.; Lagodny/Nill-Theobald JR 2000, 205, 206; offengelassen in Bundesverfassungsgericht, Beschl. vom 12. Dezember 2000 - 2 BvR 1290/99 - unter III 6 c [S. 22]). Diese hat es zutreffend darin gesehen, daß der Angeklagte, der von 1969 bis 1989 kontinuierlich in der Bundesrepublik Deutschland gelebt und gearbeitet hatte, nach wie vor seine Wohnung hier innehatte und auch in den letzten Jahren dorthin regelmäßig zurückgekehrt war, um seine ihm in Deutschland gewährte Rente abzuholen und sich beim Arbeitsamt zu melden, bei dem er noch als Arbeitsuchender registriert war. Der Senat neigt jedoch dazu, jedenfalls bei § 6 Nr. 9 StGB, solche zusätzlichen legitimierenden Anknüpfungstatsachen für nicht erforderlich zu halten (vgl. auch Ambos NStZ 1999, 226, 227; 1999, 404, 405; a.A. BGH NStZ 1999, 236; Bay0bLG NJW 1998, 392, 393). Wenn nämlich die Bundesrepublik Deutschland in Erfüllung einer völkerrechtlich bindenden, aufgrund eines zwischenstaatlichen Abkommens übernommenen Verfolgungspflicht die Auslandstat eines Ausländers an Ausländern verfolgt und nach deutschem Strafrecht ahndet, kann schwerlich von einem Verstoß gegen das Nichteinmischungsprinzip die Rede sein (noch offen gelassen in BGHSt 45, 64 [69]). Der Senat braucht diese Frage auch jetzt nicht abschließend zu entscheiden, weil das Urteil des Oberlandesgerichts insoweit jedenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist.
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