BVerfGE 4, 178 - Landesgesetze über die Verwaltungsgerichtsbarkeit
1. Recht im Sinne des Art. 125 Nr. 1 GG ist die gesamte Regelung eines bestimmten Sachgebietes, einer begrifflich selbständigen, in sich abgeschlossenen Rechtsmaterie.
2. Für die einheitliche Geltung innerhalb einer Besatzungszone kommt es bei den nach 1945 erlassenen Rechtsvorschriften nicht auf die Identität der Rechtsquelle an, sondern auf die inhaltliche Übereinstimmung. Dabei können sachliche Abweichungen, die durch die von Land zu Land bestehenden Unterschiede in Behördenorganisation und -zuständigkeiten bedingt sind, im allgemeinen außer Betracht bleiben.
3. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG steht einer landesrechtlichen Regelung nicht entgegen, die das "negative Entscheidungsmonopol" des Landesverfassungsgerichts auf vorkonstitutionelles Landesrecht erstreckt.
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 11. Mai 1955
-- 1 BvO 1/54 --
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung, 1. ob § 50 des württembergisch-badischen Gesetzes Nr. 110 über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 16. Oktober 1946 -- RegBl. S. 221 -- als Bundesrecht fortgilt, 2. ob Art. 88 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 153 -- GBl. S. 173 -- den Art. 100 Abs. 1 GG verletzt, -- Vorlage des Verwaltungsgerichtshofes Stuttgart (4 S. 363/53) --.
Entscheidungsformel:
1. Das württembergisch-badische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 16. Oktober 1946 (RegBl. S. 221) gilt nicht als Bundesrecht fort.
2. Art. 88 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953 (GBl. S. 173) verletzt nicht das Grundgesetz, soweit er die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes nach Art. 68 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung auf das vor Inkrafttreten der Verfassung geltende Landesrecht erstreckt.
 
Gründe:
 
A. -- I.
Der Studienrat Dr. B. in Freiburg hat mit Klageschrift vom 17. Dezember 1953 eine Beschwerdeentscheidung des Kultusministeriums Baden-Württemberg, mit welcher seine Einstufung in eine höhere Besoldungsgruppe abgelehnt worden war, vor dem Verwaltungsgerichtshof in Stuttgart angefochten. In diesem Verfahren sind im Hinblick auf Art. 67 Abs. 3 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953 (LV) Zweifel über die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs entstanden.
Der Verwaltungsgerichtshof selbst vertrat bei der Erörterung der Frage mit den Prozeßparteien die Auffassung, daß Art. 67 Abs. 3 LV ("Gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im ersten Rechtszug ist ein Rechtsmittel zulässig") die Zweistufigkeit der Verwaltungsrechtspflege im Lande Baden-Württemberg unmittelbar hergestellt habe. Die durch § 50 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 16. Oktober 1946 (RegBl. S. 221 -- VGG) für das Gebiet des ehemaligen Landes Württemberg-Baden begründete Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs für die Anfechtung ministerieller Verwaltungsakte in erster und einziger Instanz sei daher nur noch gegeben, wenn § 50 VGG nach Art. 125 GG Bundesrecht geworden sei und damit auch der Landesverfassung vorgehe. Von der Beantwortung dieser Frage hänge das weitere Verfahren ab, weil der Rechtsstreit, falls § 50 VGG nicht als Bundesrecht fortgelte, an das nachgeordnete Verwaltungsgericht zu verweisen sei.
Da die Prozeßparteien sich dieser Rechtsauffassung nicht anschlossen, hat der Verwaltungsgerichtshof auf Grund des Art. 126 GG, des § 86 Abs. 2 und des § 80 BVerfGG über das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber beantragt, ob § 50 VGG nach Art. 125 Nr. 1 GG als Bundesrecht fortgilt.
Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, daß § 50 VGG nach Art. 125 Nr. 1 GG Bundesrecht geworden sei. Einheitliche Geltung innerhalb einer Besatzungszone sei gegeben, weil die inhaltlich übereinstimmenden Gesetze über die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 1946/1947 in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone trotz einiger Änderungen, die das hessische Gesetz durch das Gesetz vom 30. Juni 1949 erfahren hat, bis zu dem für die Anwendung des Art. 125 GG maßgebenden Zeitpunkt 7. September 1949 -- in ihren wesentlichen Teilen unverändert fortbestanden hätten. Daß gerade § 50 VGG im Lande Hessen nicht mehr gegolten habe, stehe nicht entgegen, weil bei Anwendung des Art. 125 GG nicht nur die übereinstimmenden Teile, sondern auch die übrigen Bestimmungen eines Gesetzes als Bundesrecht anzusehen seien.
II.
Der Antrag ist dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, den Regierungen der Länder sowie dem Anfechtungskläger und dem Vertreter des öffentlichen Interesses zugestellt worden. Die Landesregierung von Baden-Württemberg, der Vertreter des öffentlichen Interesses und die Bundesregierung (Bundesminister des Innern) haben sich mit im wesentlichen übereinstimmender Begründung dahin geäußert, daß § 50 VGG nicht Bundesrecht geworden sei.
Die Landesregierung von Baden-Württemberg ist dem Verfahren beigetreten, hat aber auf mündliche Verhandlung verzichtet.
 
B. -- I.
Der Antrag ist nach § 86 Abs. 2 BVerfGG zulässig. In den Gründen des Vorlagebeschlusses wird ausgeführt, daß die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs in erster Instanz nur gegeben sei, wenn § 50 VGG als Bundesrecht fortgelte. Das ist dann richtig, wenn die Auffassung des vorlegenden Gerichts von der Bedeutung des Art. 67 Abs. 3 LV zutrifft. Von dieser Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht auszugehen, da sie nicht offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 2, 181 [190]). Über die Frage der Weitergeltung des § 50 VGG bestehen zwischen dem vorlegenden Gericht und den Prozeßparteien Meinungsverschiedenheiten, die im Verfahren erheblich sind, weil das vorlegende Gericht den Rechtsstreit unter Umständen an ein Verwaltungsgericht verweisen muß, wenn § 50 VGG nicht als Bundesrecht fortgilt.
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen (BVerfGE 2, 213 [217]).
II.
§ 50 VGG gilt nicht als Bundesrecht fort. Nach Art. 125 Nr. 1 GG wird "Recht, das Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft", für seinen Geltungsbereich Bundesrecht, "soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich gilt".
1. In den Jahren 1946 und 1947 sind von den Ländern der amerikanischen Besatzungszone nach gemeinsamen Beratungen die folgenden Gesetze über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in fast gleicher Fassung erlassen worden:
    das bayerische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 25. September 1946 (GVBl. S. 281);
    das württemberg-badische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 16. Oktober 1946 (RegBl. S. 221);
    das hessische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 31. Oktober 1946 (GVBl. S. 194);
    das bremische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 5. August 1947 (GBl. S. 171).
Die Gesetze gliedern sich in Vorschriften über die Organisation der Verwaltungsrechtspflege, die Besetzung der Gerichte und die rechtliche Stellung der Richter (Erster Abschnitt), über die Zuständigkeit (Zweiter Abschnitt), das Verfahren im allgemeinen (Dritter Abschnitt), Anfechtungssachen (Vierter Abschnitt), und Parteistreitigkeiten (Fünfter Abschnitt), die zulässigen Rechtsmittel (Sechster Abschnitt) und die Verfahrenskosten (Siebenter Abschnitt). Der Achte Abschnitt enthält Schluß- und Übergangsbestimmungen.
§ 50 des württemberg-badischen Gesetzes, das für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in Stuttgart weiterhin gilt, hat folgenden Wortlaut:
    "(1) Erläßt ein Minister den Verwaltungsakt oder im Falle des § 48 den Beschwerdebescheid, so ist die Anfechtungsklage beim Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Durch Verordnung kann das gleiche auch für Verwaltungsakte oder Beschwerdebescheide anderer Behörden bestimmt werden.
    (2) Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet im ersten und letzten Rechtszug. Die für das Verwaltungsgericht geltenden Vorschriften dieses Abschnittes sind auf den Verwaltungsgerichtshof sinngemäß anzuwenden."
In Bayern, Hessen und Bremen galt dieselbe Vorschrift in fast gleicher Fassung.
Das hessische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 31. Oktober 1946 wurde durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 30. Juni 1949 (GVBl. S. 79) an mehreren Stellen geändert, während die übrigen Länder der amerikanischen Besatzungszone bis zum 7. September 1949 -- dem Zeitpunkt des erstmaligen Zusammentritts des Bundestages -- Änderungsgesetze nicht erlassen haben.
2. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren gehört nach allgemein herrschender und richtiger Auffassung zur konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Nr. 1 GG (vgl. Herrfahrdt in Bonner Kommentar, Anm. II Ziff. 2 zu Art. 74 GG, v. Mangoldt in "Das Bonner Grundgesetz" Anm. 2 zu Art. 74 GG).
3. Zweck des Art. 125 Nr. 1 GG ist es, einer weiteren Rechtszersplitterung auf solchen Gebieten, für die eine bundeseinheitliche Regelung jedenfalls grundsätzlich in Betracht kommen kann, vorzubeugen und eine in größeren Gebieten innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bereits bestehende Übereinstimmung in der Regelung einer solchen Materie für die Wiederherstellung der Rechtseinheit auszunutzen. Der Begriff "Recht" in Art. 125 Nr. 1 GG kann daher nicht jede einzelne Bestimmung meinen, weil dann auf vielen Rechtsgebieten ein unübersichtliches Nebeneinander von bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften entstehen, die Rechtszersplitterung also eher noch zunehmen würde. Ebensowenig aber ist "Recht" schlechthin gleichbedeutend mit "Gesetz". Eine dem Zweck des Art. 125 Nr. 1 GG und den praktischen Bedürfnissen Rechnung tragende Auslegung muß vielmehr zu dem Ergebnis führen, daß jeweils nur die gesamte Regelung eines bestimmten Sachgebietes, also einer "begrifflich selbständigen, in sich abgeschlossenen Rechtsmaterie" (Holtkotten in Bonner Kommentar, Anm. II Ziff. 1 zu Art. 125 GG) den Rang von Bundesrecht erhalten soll. So ist der Fall denkbar, daß ein Gesetz teils als Bundes-, teils als Landesrecht fortgilt; es muß im Einzelfall ermittelt werden, was als eine selbständige und in sich abgeschlossene Rechtsmaterie anzusehen ist (vgl. BVerfGE 4, 74 [84]). 4. Das so bestimmte "Recht" wird Bundesrecht, "soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich" gilt. Das Wort "soweit" bedeutet hier nicht nur so viel wie "wenn", sondern bezieht sich auch auf den Umfang der sachlichen Übereinstimmung. Nach den Ausführungen unter 3. muß aber der zufolge inhaltlicher Übereinstimmung fortgeltende Teil immer als eine "selbständige Rechtsmaterie" anzusehen sein.
Das Erfordernis der einheitlichen Geltung wird von der herrschenden Meinung hinsichtlich der nach 1945 erlassenen Rechtsvorschriften mit Recht dahin ausgelegt, daß es nicht auf die Identität der Rechtsquelle ankomme, sondern inhaltliche Übereinstimmung genüge. Damit ist nicht vollständige Übereinstimmung im Wortlaut gemeint. Auch sachliche Abweichungen, die durch die von Land zu Land bestehenden Unterschiede in Behördenorganisation und -zuständigkeit bedingt sind, können im allgemeinen außer Betracht bleiben, zumal da der Bundesgesetzgeber auch sonst solche Fragen den Ländern zu eigener Regelung durch Ausführungsvorschriften zu überlassen pflegt. Im übrigen muß aber völlige inhaltliche Übereinstimmung bestehen. Ließe man allgemein "unerhebliche" Abweichungen zu, so würde man ein Kriterium einführen, das bei der praktischen Anwendung immer neue Zweifel hervorrufen müßte. Bestehen also -- abgesehen von den erwähnten Ausnahmefällen -- Unterschiede in der sachlichen Regelung, so greift Art. 125 Nr. 1 GG nicht ein.
5. Das Erfordernis der einheitlichen Geltung ist auf den Zeitpunkt zu beziehen, an dem der Bundestag zum ersten Male zusammengetreten ist, also den 7. September 1949 (BVerfGE 2, 136 [139]; 4, 74 [83]).
6. Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, daß § 50 VGG nicht Bundesrecht geworden ist.
Die Gesetze über die Verwaltungsgerichtsbarkeit regeln das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten der Länder zusammenfassend und erschöpfend. Das ist ein in sich abgeschlossenes, klar umgrenztes Rechtsgebiet, aus dem man nicht einzelne Teile herauslösen und als besondere Rechtsmaterien behandeln kann.
Es kommt also darauf an, ob die Verwaltungsgerichtsgesetze im ganzen am 7. September 1949 in der amerikanischen Zone den gleichen Inhalt gehabt haben. Dies ist zu verneinen. Während bei Gesetzen materiellrechtlichen Inhalts Abweichungen in Verfahrensbestimmungen unter Umständen nicht hindern, einheitliche Geltung anzunehmen, können in einem Gesetz, das gerade die Einführung eines einheitlichen Verfahrens für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten bezweckt, solche Abweichungen nur dann unbeachtet bleiben, wenn sie sich zwangsläufig aus grundsätzlichen Unterschieden in der staatsrechtlichen Struktur der einzelnen Länder ergeben.
Die Änderungen, die das hessische Gesetz vom 30. Juni 1949 am hessischen Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgenommen hat, gehen jedoch darüber hinaus. Zunächst ist gerade die Vorschrift des § 50 für Hessen aufgehoben worden. Diese Neuregelung der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit für die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen ministerielle Verwaltungsakte beruht nicht auf Besonderheiten des Staats- und Verwaltungsaufbaus in Hessen; sie hat ihren Grund in allgemeinen rechtspolitischen Erwägungen (vgl. die Ausführungen des Staatssekretärs Dr. Brill in der 55. Sitzung der ersten Wahlperiode des Hessischen Landtages vom 9. März 1949 -- StenBer. S. 1985 ff. -).
Das hessische Änderungsgesetz hat aber außerdem für die Anfechtung bestimmter Verfügungen der Preisbehörde -- im Gegensatz zu der grundsätzlichen Regelung in § 22 VGG -- die Zuständigkeit der Amtsgerichte begründet; es hat ferner besondere Ausschüsse für die Entscheidung über Einsprüche gegen Verfügungen unterer Verwaltungsbehörden geschaffen. Es hat die Möglichkeit der Zurückweisung einer Berufung durch den Verwaltungsgerichtshof in vereinfachter Form erweitert, die Erhebung einer Widerklage in der Berufungsinstanz ausgeschlossen und schließlich für bestimmte Fälle die Beschwerde gegen Anordnungen des Gerichts über die Aussetzung der Vollziehung abgeschafft. Damit sind wesentliche Teile der vorher größtenteils übereinstimmenden Verfahrensordnung geändert worden, so daß von einer einheitlichen Geltung des VGG innerhalb einer Besatzungszone in dem in Art. 125 Nr. 1 GG gemeinten Sinne nicht mehr gesprochen werden kann.
7. Die Entscheidung über den Antrag zu Ziff. 1 kann in Anwendung der §§ 88, 82 Abs. 1 und 78 Satz 2 BVerfGG unbedenklich auf das ganze VGG ausgedehnt werden. Dies empfiehlt sich vor allem deshalb, weil für die weitere gesetzgeberische Arbeit sowohl im Lande Baden-Württemberg -- Angleichung des Verfahrensrechtes innerhalb der früheren Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern -- als auch in den übrigen Ländern der amerikanischen Besatzungszone Klarheit über die Rechtslage erwünscht ist.
 
C. -- I.
Der Verwaltungsgerichtshof hat für den Fall, daß § 50 VGG nicht als Bundesrecht fortgilt, auf Grund des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG und des § 80 BVerfGG eine Entscheidung darüber beantragt, ob Art. 88 LV insoweit das Grundgesetz verletze, als er die Prüfungszuständigkeit des Staatsgerichtshofes auf das sogenannte vorkonstitutionelle Recht erstreckt.
Art. 88 LV hat folgenden Wortlaut:
    "Landesrecht im Sinne der Art. 68 Abs. 1 Nr. 2 und 3 und 76 ist auch das vor Inkrafttreten dieser Verfassung geltende Recht."
Art. 68 LV lautet, soweit er hier in Betracht kommt:
    "(1) Es wird ein Staatsgerichtshof gebildet. Er entscheidet ...
    3. ... über die Vereinbarkeit eines Landesgesetzes mit dieser Verfassung, nachdem ein Gericht das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. I des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ausgesetzt hat, ..."
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, daß er, wenn § 50 VGG als Landesrecht fortgelte, nach Art. 88 LV in Verbindung mit Art. 68 Abs. 1 Nr. 3 LV die Entscheidung des Staatsgerichtshofes für Baden-Württemberg über die Vereinbarkeit des § 50 VGG mit Art. 67 Abs. 3 LV einholen müsse. Diese in der Landesverfassung begründete Vorlagepflicht laufe aber Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zuwider, der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1953 (BVerfGE 2, 124) -- im Gegensatz zu Art. 88 LV -- das sogenannte vorkonstitutionelle Recht nicht umfasse. Der Verwaltungsgerichtshof erblickt in dieser Erweiterung der Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes auf dem Gebiete der Normenkontrolle eine Einschränkung des im Grundgesetz garantierten unmittelbaren Prüfungsrechtes der Gerichte.
Die Landesregierung von Baden-Württemberg, der Vertreter des öffentlichen Interesses und die Bundesregierung (Bundesminister des Innern) sind der Auffassung, daß Art. 88 LV das Grundgesetz nicht verletze.
II.
Der Antrag ist zulässig.
Das vorlegende Gericht beantragt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG, weil es der Auffassung ist, daß die Vorlagepflicht nach Art. 88 LV in Verbindung mit Art. 68 Abs. 1 Nr. 3 LV in ihrer Ausdehnung auf vorkonstitutionelle Rechtsnormen dem Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG widerspreche. Es wird also nach Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG eine Entscheidung wegen eines Verstoßes gegen Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG beantragt.
Der Antrag beruht auf der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, daß Art. 67 Abs. 3 LV die Zweistufigkeit der Verwaltungsrechtspflege auch für jene Fälle, in denen der Verwaltungsgerichtshof bisher in erster und einziger Instanz zuständig war, unmittelbar hergestellt habe. Wenn § 50 VGG nicht als Bundesrecht fortgilt, muß der Verwaltungsgerichtshof nach seiner -- auch für die Beurteilung der Zulässigkeit des Antrags durch das Bundesverfassungsgericht maßgebenden -- Rechtsauffassung zu der Schlußfolgerung gelangen, daß die Bestimmung mit Art. 67 Abs. 3 LV im Widerspruch stehe. Da das Gericht aber in diesem Falle den Rechtsstreit an das nachgeordnete Verwaltungsgericht verweisen müßte, hängt nunmehr die Entscheidung im Sinne des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG von der Gültigkeit des § 50 VGG ab. Aber auch auf die Frage der Vereinbarkeit des Art. 88 LV mit Art. 100 Abs. 1 GG kommt es für diese Entscheidung an, weil je nach der Bejahung oder Verneinung der Vorlagepflicht der Verwaltungsgerichtshof selbst oder der Staatsgerichtshof über die Vereinbarkeit des § 50 VGG mit Art. 67 Abs. 3 LV zu entscheiden hat.
III.
Art. 88 LV verletzt nicht Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.
Das Bundesverfassungsgericht hat das Wort "Gesetz" in Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dahin ausgelegt, daß damit nur das Gesetz im formellen Sinne und nicht das vor Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassene Gesetz zu verstehen ist (BVerfGE 1, 184; 2, 124). In der erstgenannten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht bereits zu erkennen gegeben, daß es eine landesverfassungsrechtliche Bestimmung, die das Entscheidungsmonopol des Landesverfassungsgerichts darüber hinaus auch auf Rechtsverordnungen ausdehnt, nicht für unvereinbar mit Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erachtet. Es hat daher die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, der unter "Gesetz" im Sinne des Art. 92 der bayerischen Verfassung das Gesetz im materiellen Sinne versteht (VGHE n.F. Bd. 4 II S. 63 [69]), nicht beanstandet (BVerfGE 1, 184 [201]). Ebensowenig wird Art. 100 Abs. 1 Satz 1 verletzt, wenn eine Landesverfassung die Entscheidung über die Unvereinbarkeit "vorkonstitutionellen" Landesrechts mit der Landesverfassung dem Landesverfassungsgericht vorbehält. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG will die Befugnis der Gerichte, Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, verfassungskräftig und auch für die Länder bindend festlegen. Gleichzeitig sichert er ein Mindestmaß von Entscheidungskompetenz der Verfassungsgerichte in Bund und Ländern. Diese sollen hiernach jedenfalls dann allein zur Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zuständig sein, wenn es sich um ein formelles Gesetz handelt, das unter der Verfassung ergangen ist. Das bedeutet aber nicht, daß im übrigen die Befugnis der Gerichte, Gesetze wegen Verstoßes gegen höherrangige Normen nicht anzuwenden, vom Grundgesetz nach jeder Richtung garantiert wäre. In einem so betont föderativ gestalteten Staat wie der Bundesrepublik Deutschland stehen die Verfassungsräume des Bundes und der Länder grundsätzlich selbständig nebeneinander. Das Grundgesetz gibt für die Verfassungen der Länder nur wenige Normativbestimmungen. Im übrigen können die Länder ihr Verfassungsrecht und damit auch ihre Verfassungsgerichtsbarkeit nach eigenem Ermessen ordnen. Schon deshalb ist nicht anzunehmen, daß das Grundgesetz eine in einem Land getroffene Regelung der Landesverfassungsgerichtsbarkeit antasten will, wenn es dies nicht ausdrücklich ausspricht oder diese Regelung ihrer Struktur nach mit dem Grundgesetz unverträglich ist. Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 100 Abs. 1 GG gibt dafür keinen Anhalt. Andererseits kann es gewichtige sachliche Gründe dafür geben, daß der Verfassungsgeber eines Landes das negative Entscheidungsmonopol des Landesverfassungsgerichts weiter ausdehnt, als es im Grundgesetz geschehen ist, so etwa wenn in einem neu gebildeten Lande die Gefahr verschiedenartiger Gesetzesauslegung in den einzelnen Landesteilen besonders groß ist.
Unter diesen Umständen gibt es keinen entscheidenden rechtlichen Grund dafür, daß das Grundgesetz mit der von ihm getroffenen Ordnung der Normenkontrolle auf Antrag der Gerichte diese Materie in jeder Hinsicht habe abschließend regeln wollen. Das Bundesverfassungsgericht befindet sich mit dieser Auffassung in Übereinstimmung mit dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof, der seine Prüfungskompetenz nach Art. 92, 65 der bayerischen Verfassung auch für vorkonstitutionelles Landesrecht in Anspruch nimmt (Entscheidungen vom 6. November 1954 -- BayGVBl. S. 335 -- und vom 13. Januar 1955 -- GVBl. S. 34 -).