1. Das Normenkontrollverfahren dient nicht nur der Prüfung, ob der normative Gehalt eines Gesetzes inhaltlich mit einer Norm des Grundgesetzes vereinbar ist; es umfaßt vielmehr auch Meinungsverschiedenheiten "über die förmliche ... Vereinbarkeit" des Gesetzes mit dem Grundgesetz, damit also auch die Frage nach der Kompetenz des Landes zum Erlaß eines Gesetzes.
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2. Die Freiheit der Bildung der öffentlichen Meinung ist durch Art. 5 GG mitgarantiert.
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3. Öffentliche Meinung und politische Willensbildung des Volkes kann nicht identifiziert werden mit staatlicher Willensbildung, d. h. mit der Äußerung der Meinung oder des Willens eines Staatsorgans in amtlicher Form.
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4. Verfassungsorgane handeln organschaftlich, d. h. sie üben Staatsgewalt aus, nicht nur wenn sie rechtsverbindliche Akte setzen, sondern auch wenn sie von Befugnissen Gebrauch machen, die nicht unmittelbar verbindliche Wirkungen hervorrufen.
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5. Die Volksbefragungsgesetze von Hamburg und Bremen eröffnen dem Staatsvolk eine Mitwirkung an der Staatswillensbildung; die Abstimmung der Bürger stellt sich essentiell als Teilhabe an der Staatsgewalt, als ein Stück Ausübung von Staatsgewalt im status activus dar. In dieser Eigenschaft macht der Bürger nicht von seinen gegen den Staat gerichteten Grundrechten der freien Meinungsäußerung oder des Petitionsrechts Gebrauch.
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6. Während die im gesellschaftlich-politischen Raum erfolgende Bildung der öffentlichen Meinung und die Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes sich ungewollt und durch alle verfassungsrechtlich begrenzten Kompetenzräume hindurch unter Mitbeteiligung aller lebendigen Kräfte nach dem Maße ihres tatsächlichen Gewichtes und Einflusses vollziehen, ist das Tätigwerden des Volkes als Staatsorgan - gleichgültig in welcher Form und mit welcher Wirkung es geschieht - im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat durch Kompetenznormen verfassungsrechtlich begrenzt.
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7. Die Zuständigkeit der Bundesorgane zur ausschließlichen eigenverantwortlichen Bewältigung einer Sachaufgabe wird nicht erst dann von den Ländern beeinträchtigt, wenn sie ein Stück dieser Aufgabe dem Bund dadurch entziehen, daß sie selbst es sachlich regeln, sondern schon dann, wenn sie die Bundesorgane durch den in einer von ihnen angeordneten amtlichen Volksbefragung liegenden politischen Druck zwingen wollen, die von ihnen getroffenen Sachentscheidungen zu ändern.
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8. Eine "Instruktion" der Mitglieder der Landesregierung im Bundesrat durch das Landesvolk, auch eine bloß rechtlich unverbindliche in der Weise, daß sich die Vertreter im Bundesrat daran orientieren und sie zur Richtschnur ihres Handelns im Bundesrat machen, ist nach der Struktur des Bundesrats ausgeschlossen.
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Urteil
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des Zweiten Senats vom 30. Juli 1958
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-- 2 BvF 3, 6/58 --
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in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung, ob das hamburgische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 9. Mai 1958 (GVBl. I S. 141) und das bremische Gsetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 20. Mai 1958 (GBl. S. 49) mit dem Grundgesetz vereinbar sind, Antragsteller: Die Bundesregierung.
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Entscheidungsformel:
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Das hamburgische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 9. Mai 1958 (GVBl. I S.141) und das bremische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 20. Mai 1958 (GBl. S. 49) sind nichtig.
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Gründe:
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A. -- I.
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Der Deutsche Bundestag lehnte am 25. März 1958 Anträge der Fraktionen der Oppositionsparteien ab, die darauf hinausliefen, die Bundesregierung zu ersuchen, auf die Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen zu verzichten und anzustreben, daß in keinem Teil Deutschlands Atomwaffen gelagert oder Atomwaffenanlagen errichtet werden. Im Anschluß daran wurde in der Öffentlichkeit, insbesondere von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die Forderung nach einer allgemeinen Volksbefragung über Atomwaffen erhoben. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei brachte im Bundestag ein entsprechendes Gesetz ein; es fand im Bundestag keine Mehrheit.
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Am 9. Mai 1958 erließ die Freie und Hansestadt Hamburg ein Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen (GVBl. I S. 141). Danach sollen die Wahlberechtigten folgende Fragen beantworten (§ 1):
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In den §§ 3 bis 13 des Gesetzes wird in Anlehnung an das hamburgische Bürgerschaftswahlgesetz das Verfahren für die Durchführung der Volksbefragung geregelt: "Stimmberechtigt" sind die am Tage der Volksbefragung Wahlberechtigten. Es ist vom Senat ein Leiter der Volksbefragung zu bestellen. Die Stimmbezirke der letzten Wahl zur hamburgischen Bürgerschaft bilden die Abstimmungsbezirke. Der Abstimmung liegt eine vorher öffentlich auszulegende Stimmliste zugrunde. Abstimmen kann nur, wer in sie eingetragen ist oder wer einen Stimmschein besitzt. Für jeden Abstimmungsbezirk ist ein Abstimmungsvorsteher und ein Abstimmungsvorstand zu berufen. Die Berufenen sind zur ehrenamtlichen Mitwirkung nach Maßgabe des hamburgischen Wahlgesetzes verpflichtet. Es werden amtliche Stimmzettel hergestellt, auf denen die gestellten Fragen nur durch Ankreuzen "oder in anderer Weise" mit Ja oder Nein beantwortet werden können. Die Abstimmungshandlung ist öffentlich, die Stimmabgabe geheim. Über die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Stimmzettels entscheidet der Abstimmungsvorstand. Das Ergebnis der Volksbefragung wird von einem Ausschuß festgestellt.
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Der Senat wird schließlich ermächtigt, die erforderlichen Durchführungsbestimmungen zu erlassen, insbesondere über die Tätigkeit, Beschlußfähigkeit und das Verfahren der Abstimmungsorgane, über den Beginn und Schluß der Volksbefragung, über die Volksbefragung in den Kranken- und Pflegeanstalten und in sonstigen Anstalten Hamburgs, über die Zahlung einer Vergütung für ehrenamtlich tätige Personen. Auf Grund dieser Ermächtigung hat der Senat die 44 Paragraphen umfassende Stimmordnung für die Volksbefragung über Atomrüstung vom 20. Mai 1958 (GVBl. I S. 170) erlassen.
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Die Freie Hansestadt Bremen verkündete am 23. Mai 1958 ein Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 20. Mai 1958 (GBl. S. 49); danach sollen die im Lande Bremen Wahlberechtigten folgende Fragen beantworten (§ 2):
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Über den Sinn der Volksbefragung bestimmen die §§ 1 und 3:
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Das Gesetz regelt das Verfahren über die Durchführung der Volksbefragung durch Bezugnahme auf das bremische Wahlgesetz, das sinngemäß angewendet werden soll (§ 5). Es wird die "Abstimmung durch Brief" zugelassen (§ 5 Abs. 3) und klargestellt, daß jede Frage nur mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, daß Zusätze unzulässig sind und den Stimmschein ungül tig machen (§ 2 Abs. 2). Auf Grund der Ermächtigung des § 5 Abs. 2 hat der Senat die Durchführungsverordnung vom 3. Juni 1958 (GBl. S. 53) erlassen und darin die sinngemäße Anwendung der Landeswahlordnung angeordnet.
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II.
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Die Bundesregierung hält diese Landesgesetze für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz und hat deshalb beantragt festzustellen:
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1. Das hamburgische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 9. Mai 1958 (GVBl. I S. 141) ist nichtig.
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2. Das bremische Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen vom 20. Mai 1958 (GBl. S. 49) ist nichtig.
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Zur Begründung hat sie vorgetragen:
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Die in den Gesetzen angeordnete Volksbefragung betreffe Angelegenheiten der Verteidigung und der auswärtigen Politik, die zur ausschließlichen Gesetzgebungs-, Regierungs- und Verwaltungszuständigkeit des Bundes gemäß Art. 73 Ziff. 1, 65, 65a, 87a, 87b GG gehörten. Die angeordnete Volksbefragung sei weder Erhebung einer Statistik noch Meinungsforschung. Ebensowenig könnten die Gesetze damit gerechtfertigt werden, daß den dem Bundesrat angehörenden Mitgliedern der Landesregierung von Hamburg und Bremen durch das Ergebnis der Volksbefragung eine Grundlage für ihre Haltung im Bundesrat bei der dort zu erwartenden Beratung über die Fragen einer atomaren Ausrüstung der Bundeswehr, die Lagerung von atomaren Waffen und der Anlage von Abschußbasen für atomare Sprengkörper im Gebiet der Bundesrepublik gegeben werden solle. Die Gesetze seien auch deshalb mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie der Beschränkung plebiszitärer Einrichtungen durch das Grundgesetz zuwiderliefen. Die Einführung plebiszitärer Elemente in den Willensbildungsprozeß des Bundesrates würde überdies die Grundlage des Bundesratssystems angreifen.
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Die Freie und Hansestadt Hamburg und die Freie Hansestadt Bremen - diese unter Hinweis auf § 3 ihres Gesetzes - haben dagegen ausgeführt: Das Ergebnis der Volksbefragung sei rechtlich unverbindlich. Durch die Gesetze könne deshalb in die ausschließliche Gesetzgebungs-, Regierungs- und Verwaltungszuständigkeit des Bundes nicht eingegriffen worden sein. Die Gesetze regelten insbesondere weder die Ausrüstung der Bundeswehr noch ein Stück der auswärtigen Angelegenheiten des Bundes. Man könne nur fragen, ob der Bund ein ausschließliches Gesetzgebungsrecht auf dem Gebiet der Volksbefragung habe; das sei zu verneinen. Die Gesetze dienten ausschließlich Landeszwecken und seien deshalb nur nach Landesverfassungsrecht zu beurteilen, danach aber zulässig; das hamburgische Gesetz sei überdies als ein Gesetz über "Statistik für Landeszwecke" zu qualifizieren. Daß sich in einem demokratischen Staatswesen die zuständigen Verfassungsorgane in einer für sie unverbindlichen Weise über die Auffassungen ihres Landesvolks zu einer weittragenden, hochpolitischen, die Existenz des Volkes berührenden Frage unterrichteten, sei legitim, um so mehr, als die Mitglieder der Landesregierungen im Bundesrat über den Gegenstand der Befragung verantwortlich mitzuberaten und mitzuentscheiden hätten. Die Gesetze beschränkten sich darauf, dem Bürger Gelegenheit zu geben, in einer geordneten Weise von seinem Grundrecht der freien Meinungsäußerung und dem verfassungsmäßig garantierten Recht zur Petition Gebrauch zu machen. Insbesondere aber stelle sich die Volksbefragung als ein in der Demokratie unentbehrliches Mittel der Vorformung des politischen Willens, als ein Stück Bildung der öffentlichen Meinung dar, die das Grundgesetz in Art. 5 mit besonderem verfassungsrechtlichen Schutz ausstatte.
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III.
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Das Bundesverfassungsgericht hat die das hamburgische und das bremische Gesetz betreffenden Verfahren zum Zwecke der gemeinsamen Entscheidung verbunden. In der mündlichen Ver handlung haben neben dem Antragsteller die Vertreter der Länder Hamburg und Bremen für Senat und Bürgerschaft ihre Rechtsauffassung dargelegt. Der Deutsche Bundestag, der beschlossen hatte, sich in diesem Verfahren zu äußern, war durch den Bundestagsabgeordneten Hoogen vertreten; er schloß sich den Ausführungen der Bundesregierung an. Der Bundesrat hat von der ihm nach § 77 BVerfGG gegebenen Gelegenheit zur Äußerung keinen Gebrauch gemacht.
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B. -- I.
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Die Bundesregierung hat, wie sich aus Antrag und Begründung ergibt, das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG angerufen. Ob der Bundesregierung zur Verfolgung ihres Ziels noch andere verfassungsrechtliche Wege offengestanden hätten, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden. Dem Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG geht von Rechts wegen ein anderes Verfahren nicht vor.
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Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG liegen vor; das Normenkontrollverfahren dient, wie sich aus dem Wortlaut der Verfassungsvorschrift ergibt, nicht nur der Prüfung, ob der normative Gehalt eines Gesetzes inhaltlich mit einer Norm des Grundgesetzes vereinbar ist; es umfaßt vielmehr auch Meinungsverschiedenheiten "über die förmliche ... Vereinbarkeit" des Gesetzes mit dem Grundgesetz, damit also auch die Frage nach der Kompetenz des Landes zum Erlaß eines Gesetzes.
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II.
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1. Die angegriffenen Gesetze unterscheiden sich durch eine Reihe von Besonderheiten von anderen Gesetzen: sie regeln nicht einen Lebenssachbereich, der in den Gesetzgebungskatalogen des Grundgesetzes als selbständiger Gegenstand der Gesetzgebung erscheint. Sie sind insofern Maßnahmegesetze, als in ihnen nur eine einmalige Veranstaltung angeordnet wird, mit deren Durch führung sie gegenstandslos werden. Die beiden Gesetze regeln außerdem für diese einmalige Veranstaltung das Verfahren, und zwar in allen erheblichen Einzelheiten in Übereinstimmung mit den Regeln für die Wahlen zum Parlament. Die Gesetze und die in ihnen angeordnete Volksbefragung stehen in einem so notwendigen inneren Zusammenhang, daß die Gesetze ihren Sinngehalt erst von der Volksbefragung her gewinnen und der Rechtscharakter der Volksbefragung durch die Gesetze geprägt wird.
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2. Die beiden Gesetze sind nicht Gesetze über Statistik. Zwar kann sich eine statistische Erhebung nicht nur auf Daten und Fakten, insbesondere solche unpolitischer Art, beziehen, sondern wo immer es auf die Quantität einer unbekannten Vielzahl von Einzeltatsachen und auf das Größenverhältnis der verschiedenen Quantitäten zueinander ankommt- auch auf die Ermittlung "innerer Tatsachen und Vorgänge" und auf die Feststellung politischer Wertungen und Meinungen der Bürger. Aber sie erschöpft sich begrifflich in der Erhebung des Tatsachenmaterials; ihr wohnt niemals die Absicht inne, politische Aktionen zu bewirken; Statistik besitzt in diesem Sinne nicht fordernden, sondern dienenden Charakter. Statistik kann deshalb nur eine Registrierung ohne Beeinflussung der zu registrierenden beeinflußbaren Verhältnisse sein. Die Veranstaltung der Volksbefragungen in Hamburg und Bremen soll aber offensichtlich politischen Druck erzeugen; um das Ja der zu Befragenden ist bereits ein lebhafter Kampf der politischen Parteien entbrannt, der sich vor dem Abstimmungstag in derselben Weise wie in einem Wahlkampf verstärken würde. Hinzu kommt, daß die Grundsätze über die Durchführung der Volksbefragung unvereinbar sind mit den Grundsätzen, die einer Statistik adäquat sind: unter dem Gesichtspunkt einer korrekten Statistik erscheint es mindestens bedenklich, daß nur die Wahlberechtigten befragt werden und damit beispielsweise ein Teil der Wehrpflichtigen von der Befragung ausgeschlossen wird, daß es ungültige Stimmen gibt, daß die für Statistiken notwendige Auskunftspflicht fehlt und daß es im Hinblick auf die Höhe der Abstimmungsbeteiligung und auf die in verschiedener Weise mögliche Wertung der Zahl jener, die an der Befragung nicht teilnehmen, kein statistisch zuverlässiges Ergebnis geben kann. In allen diesen Punkten ist die Durchführung der Befragung dagegen sachgerecht geregelt, wenn sie nicht statistisches Zahlenmaterial erheben soll, sondern unmittelbar auf einen politischen Zweck gerichtet ist.
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3. Die Gesetze sind auch nicht schlicht Mittel zur Meinungserforschung; die darin angeordneten Volksbefragungen sind nicht demoskopische Umfragen. Gewiß ist das Ergebnis der Volksbefragungen rechtlich unverbindlich. Diese Parallele zur demoskopischen Umfrage kann aber nicht den wesentlichen Unterschied zwischen beiden Einrichtungen ausräumen: Meinungsumfrage, Demoskopie ist eine nichtamtliche Veranstaltung; sie geht aus und wird durchgeführt regelmäßig von Privaten (Einzelnen, Instituten, Verbänden), auch wenn diese im Einzelfall für eine staatliche Stelle arbeiten. Während es nach den Volksbefragungsgesetzen nur zulässig ist, auf bestimmte Fragen vorbehaltlos und unmotiviert mit Ja oder Nein zu antworten, beruht Meinungserforschung auf der Analysierung einer nuancierten Stellungnahme eines "repräsentativen" Querschnitts der Bevölkerung zu einer Vielzahl von Teilfragen, von deren Beantwortung die Stellungnahme zum eigentlichen Gegenstand der Umfrage abhängig ist. Deshalb bedient sich die Meinungsforschung des Fragebogens, des Interviews, läßt konditionale Antworten und Antworten mit Einschränkungen und Vorbehalten zu. Das Ergebnis der Meinungserforschung läßt sich erst auf Grund einer umfangreichen, bestimmten Regeln unterworfenen Wertung und Bearbeitung der Antworten der Befragten gewinnen.
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4. In der modernen Demokratie spielt die öffentliche Meinung eine entscheidende Rolle. Der Freiheit der Bildung dieser öffentlichen Meinung kommt eine so große Bedeutung zu, daß sie mit Fug als durch Art. 5 GG mitgarantiert angesehen wird (vgl. Ridder in Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 2 S. 249 ff., 265, 285 ff.). Das Grundgesetz selbst geht als selbstverständlich von der in der Demokratie bestehenden Notwen digkeit einer "politischen Willensbildung des Volkes" aus, wenn es in Art. 21 GG von den Parteien sagt, daß sie daran mitwirken. Die in der "öffentlichen Meinung" zum Ausdruck kommenden Tendenzen und Stellungnahmen zu politischen Fragen mag man als "Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes" bezeichnen. Öffentliche Meinungsbildung und Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes erfahren aber keine Schmälerung und keine Minderung ihrer Bedeutung und ihres Gewichts in der Demokratie, wenn sie ihrem Wesen entsprechend als eine Erscheinung des gesellschaftlich-politischen und nicht des staatsorganschaftlichen Bereichs begriffen werden. In sie gehen ein ohne daß damit eine erschöpfende Darstellung des Integrationsprozesses gegeben würde, der zur öffentlichen Meinung und politischen Willensbildung des Volkes führt - die vielfältigen, sich möglicherweise widersprechenden, ergänzenden, gegenseitig beeinflussenden Wertungen, Auffassungen und Äußerungen des Einzelnen, der Gruppen, der politischen Parteien, Verbände und sonstigen gesellschaftlichen Gebilde, die ihrerseits von einer Vielzahl von (politisch relevanten) Tatsachen, zu denen auch Entscheidungen des Staates und Äußerungen und Maßnahmen staatlicher Organe gehören, beeinflußt sind. Öffentliche Meinung und politische Willensbildung des Volkes kann aber nicht identifiziert werden mit staatlicher Willensbildung, d. h. der Äußerung der Meinung oder des Willens eines Staatsorgans in amtlicher Form. Auch das Grundgesetz geht von dieser Unterscheidung aus: Einerseits handelt Art. 21 Abs. 1 GG von der politischen Willensbildung des Volkes, andererseits handelt Art. 20 Abs. 2 GG von der Bildung des Staatswillens, und zwar von der Ausübung der vom Volk ausgehenden und unter Umständen auch vom Volk selbst als Staatsorgan wahrgenommenen Staatsgewalt. Die entscheidende Frage ist also nicht, ob das Ergebnis der in den beiden Gesetzen angeordneten Volksbefragungen einen Faktor im Prozeß der Bildung der öffentlichen Meinung oder der politischen Willensbildung des Volkes darstellt - eine Frage, die natürlich zu bejahen ist -, sondern die, ob sich die Volksbe fragung darin erschöpft, und noch genauer die, ob sie eine Veranstaltung des gesellschaftlich-politischen oder des staatsorganschaftlichen Bereichs ist oder - anders ausgedrückt - in welcher Eigenschaft der Befragte angesprochen und zur Beantwortung aufgerufen wird. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, daß die Länder Hamburg und Bremen als Gliedstaaten der Bundesrepublik auf Grund einer gesetzlichen Regelung die Befragung durchführen, daß die wahlberechtigten Bürger, also das Staatsvolk, sich genau so wie bei verbindlichen Volksabstimmungen, Volksbegehren und Volksentscheiden äußern sollen. Der Aktivbürger soll in derselben Weise und nach denselben Regeln wie bei Wahlen zum Parlament und bei Volksabstimmungen von seinem Stimmrecht Gebrauch machen. Seine Betätigung soll sich unter demselben Schutz vollziehen, den die Rechtsordnung für Wahlen und Abstimmungen des Volkes (vgl. § 108 d StGB) geschaffen hat: Die Stimmabgabe erfolgt geheim; die Bestimmungen des V. Abschnitts des Strafgesetzbuchs über "Verbrechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte" sollen nach übereinstimmender Auffassung aller Verfahrensbeteiligten Anwendung finden. Die angegriffenen Gesetze schaffen also die Rechtsgrundlage für eine Betätigung des Bürgers im status activus, für eine Teilnahme des Bürgers als Glied des Staatsvolkes bei der Ausübung von Staatsgewalt; nach den Gesetzen soll das Volk als Verfassungsorgan des demokratischen Staates an der Bildung des Staatswillens teilhaben. Daß es daran nicht in einer rechtsverbindlich "entscheidenden" Weise teilhat, spricht nicht gegen die dargelegte Qualifikation der Volksbefragung. Verfassungsorgane handeln organschaftlich, d. h. sie üben Staatsgewalt aus, nicht nur wenn sie rechtsverbindliche Akte setzen, sondern auch, wenn sie von Befugnissen Gebrauch machen, die nicht unmittelbar verbindliche Wirkungen hervorrufen: so z.B. wenn der Bundespräsident dem Bundestag den Bundeskanzler vorschlägt (Art. 63 GG), wenn Bundestag oder Bundesrat eine Maßnahme der Bundesregierung billigt oder mißbilligt, wenn das Volk in den Gebietsteilen nach Art. 29 GG abstimmt, wenn ein Land nach Art. 32 Abs. 2 GG zu einem völkerrechtlichen Vertrag des Bundes gehört wird, wenn die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates vom Bundespräsidenten vor der Verkündung des Verteidigungsfalles nach Art. 59a Abs. 2 Satz 2 GG angehört werden, wenn der Bundesrat zu den Gesetzesvorlagen der Bundesregierung nach Art. 76 Abs. 2 GG Stellung nimmt. Bei dieser Rechtslage ist es nicht möglich, allein das Verfassungsorgan Staatsvolk an der Staatswillensbildung nur dann als beteiligt anzusehen, wenn seiner Äußerung rechtlich verbindliche Wirkung, "entscheidende" Bedeutung zukommt. Demnach eröffnen die beiden Gesetze - ob zulässigerweise oder unzulässigerweise ist hier noch ohne Belang dem Staatsvolk eine Mitwirkung an der Staatswillensbildung; die Abstimmung der Bürger stellt sich essentiell als Teilhabe an der Staatsgewalt, als ein Stück Ausübung von Staatsgewalt im status activus dar. In dieser Eigenschaft macht der Bürger nicht von seinen gegen den Staat gerichteten Grundrechten der freien Meinungsäußerung oder des Petitionsrechts Gebrauch. Im übrigen kann auch schon deshalb keine Rede davon sein, daß die Volksbefragung dem Bürger nur die Möglichkeit verschaffe, von diesen beiden Grundrechten sachgemäß Gebrauch zu machen, weil sowohl die Äußerung einer Meinung als auch die Einreichung einer Petition nicht durch geheime Stimmabgabe erfolgen kann.
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III.
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Während die im gesellschaftlich-politischen Raum erfolgende Bildung der öffentlichen Meinung und die Vorformung der politischen Willensbildung des Volkes sich ungeregelt und durch alle verfassungsrechtlich begrenzten Kompetenzräume hindurch unter Mitbeteiligung aller lebendigen Kräfte nach dem Maße ihres tatsächlichen Gewichts und Einflusses vollziehen, ist das Tätigwerden als Staatsorgan - gleichgültig in welcher Form und mit welcher Wirkung es geschieht - im freiheitlich-demokrati schen Rechtsstaat durch Kompetenznormen verfassungsrechtlich begrenzt.
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Im Bundesstaat ist die Staatsgewalt der Länder und damit der Kompetenzbereich, in dem überhaupt das Staatsorgan Landesvolk tätig werden darf, durch die Verfassung des Gesamtstaates begrenzt. Die Volksbefragungsgesetze von Hamburg und Bremen überschreiten die verfassungsrechtlichen Grenzen, die das Grundgesetz den Ländern zieht:
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1. Angelegenheiten der Verteidigung gehören zur ausschließlichen Kompetenz des Bundes; das folgt für den Bereich der Gesetzgebung aus Art. 73 Nr. 1 GG, für den Bereich der Exekutive (einschließlich der Regierung) aus Art. 65a, 87a, 87b GG (Art. 87b Abs. 2 GG enthält nur für den Bereich des Wehrersatzwesens und des Schutzes der Zivilbevölkerung die Möglichkeit einer beschränkten Beteiligung der Länder). Für die Gesamtaufgabe "Verteidigungswesen", soweit es sich um die Bundeswehr und ihre Ausrüstung handelt, ist also uneingeschränkt und allein der Bund zuständig. Inwieweit für "auswärtige Angelegenheiten" im Hinblick auf Art. 32 Abs. 2, 3 GG die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes gegenüber der Rechtslage im Bereich des Verteidigungswesens eine Modifikation erleidet, kann hier dahinstehen.
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Nun ist gewiß richtig, daß weder die beiden Gesetze noch das sich an der Abstimmung beteiligende Staatsvolk von Hamburg und Bremen in der Weise in jene ausschließliche Bundeskompetenz eingreifen, daß unmittelbar eine Angelegenheit der Verteidigung - etwa der Ausrüstung der Bundeswehr - gestaltet oder sachlich geregelt würde. Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. Entscheidend ist der eindeutig erkennbare Zweck, den Gesetz und Volksabstimmung in Hamburg und Bremen verfolgen: Die Bundesregierung hat sich auf dem Gebiet des Verteidigungswesens, insbesondere hinsichtlich der Ausrüstung der Bundeswehr, für eine bestimmte Politik entschieden und dafür die Zustimmung des Bundestags gefunden. Die Opposition im Bundestag hält diese politische Entscheidung für falsch und bekämpft sie leidenschaftlich. Sie vermag sich im Bundestag nicht durchzusetzen, glaubt aber sicher zu sein, daß ihre Auffassung von der Mehrheit des Volkes geteilt wird. Sie hofft, der von einer ihren Erwartungen entsprechenden Volksbefragung ausgehende politische Druck werde so stark sein, daß die Bundesregierung gezwungen wird, ihre politische Entscheidung aufzugeben und den Wünschen der Opposition zu entsprechen. Das kommt in den Ausführungen der Sprecher der Sozialdemokratischen Fraktion im Bundestag (vgl. Abg. Dr. Karl Schmid in der 23. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 18. April 1958, StenProt. S.1222, Abg. Dr. Heinemann in der 26. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 25. April 1958, StenProt. S. 1477 und 1479, Abg. Dr. Arndt in der 26. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 25. April 1958, StenProt. S. 1495 B, und insbesondere Abg. Metzger in der 31. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 13. Juni 1958, StenProt. S. 1700 C) unzweideutig zum Ausdruck. Dasselbe gilt auch für die Volksbefragungen in Hamburg und Bremen. Das ergibt sich aus den Ausführungen des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg auf der Großkundgebung vor dem Hamburger Rathaus am 17. April 1958 und aus dem inneren Zusammenhang, in dem die Volksbefragungsaktion in Hamburg und Bremen zu den Anstrengungen der Sozialdemokratischen Partei im Bunde steht; daran vermag auch § 1 des bremischen Gesetzes nichts zu ändern. Das klare Ziel der Volksbefragungsaktion der Länder - die zuständigen Verfassungsorgane des Bundes zu zwingen, eine von ihnen für richtig gehaltene und getroffene Entscheidung im Bereich des Verteidigungswesens zu ändern - stellt aber einen von den Ländern her versuchten Eingriff in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes dar; die Zuständigkeit der Bundesorgane zur ausschließlich eigenverantwortlichen Bewältigung einer Sachaufgabe wird nicht erst dann von den Ländern beeinträchtigt, wenn sie ein Stück dieser Aufgabe dem Bund dadurch entziehen, daß sie selbst es sachlich regeln, sondern schon dann, wenn sie die Bundesorgane durch den in einer von ihnen angeordneten amtlichen Volksbefragung lie genden politischen Druck zwingen wollen, die von ihnen getroffenen Sachentscheidungen zu ändern, also einen Landesstaatswillen bilden wollen, um ihn dem verfassungsmäßig gebildeten Bundesstaatswillen entgegenzusetzen.
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2. Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz für Volksbefragungsgesetze untersucht. Wie ausgeführt, nimmt das Volk bei einer nur konsultativen Volksbefragung an der Ausübung von Staatsgewalt teil, wie es dies auch bei Wahlen und Volksabstimmungen tut. Über die Zuständigkeit des Bundes und der Länder zum Erlaß von Wahlgesetzen und Abstimmungsgesetzen enthält der allgemeine Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes (Art. 73-75 GG) keine Vorschrift. Gleichwohl ist bis zu diesem Rechtsstreit noch niemals ernsthaft bezweifelt worden, daß weder der Bund Wahlgesetze für die Wahlen zu den Landesparlamenten noch ein Land ein Wahlgesetz für eine Wahl zum Bundestag erlassen könnte und daß ein Land ein Volksbegehren oder einen Volksentscheid über einen Gegenstand der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes nicht zulassen dürfte. Ebensowenig könnte der Bund, wenn das Grundgesetz überhaupt eine Volksbefragung zulassen sollte, durch Gesetz eine Volksbefragung über eine Frage anordnen, die eine Materie der ausschließlichen Landeszuständigkeit betrifft, oder umgekehrt ein Land eine Volksbefragung über einen Gegenstand der ausschließlichen Bundeszuständigkeit anordnen. Maßnahme- und Verfahrensgesetze von der Art des hamburgischen und bremischen Volksbefragungsgesetzes erhalten ihre verfassungsrechtliche Qualifikation erst aus dem Sachbereich, auf den sie sich beziehen; insofern gehören sie nicht zu einem selbständigen Gegenstand im Sinne der Kompetenzverteilung, die das Grundgesetz für den Bereich der Gesetzgebung getroffen hat. Es handelt sich nicht um ein Gesetz über Volksbefragungen, sondern um die Anordnung einer konkreten Volksbefragung, so daß es darauf ankommt, ob der Gegenstand der Volksbefragung zur Zuständigkeit des Landes gehört. Es gilt in dieser Beziehung das gleiche, was das Grundgesetz ausdrücklich über die Zuständig keit zur Gesetzgebung für den Fall von Gesetzen über Statistik bestimmt hat: Auch ein Gesetz über Statistik gewinnt seinen Sinn erst im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Statistik; es kann der Bewältigung einer Bundesaufgabe oder der Bewältigung einer Landesaufgabe, in diesem Sinne Bundeszwecken oder Landeszwecken dienen; je nachdem ist zum Erlaß eines Gesetzes über Statistik entweder ausschließlich der Bund zuständig oder sind die Länder zuständig (vgl. Art. 73 Nr. 11 GG). In ähnlicher Weise ist die Kompetenz des Bundes zur konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet der Enteignung nach Art. 74 Nr. 14 GG beschränkt; er besitzt sie nur, "soweit sie (die Enteignung) auf den Sachgebieten der Art. 73 und 74 in Betracht kommt".
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3. Die beiden Gesetze können nicht damit gerechtfertigt werden, daß, wie es die Begründung zum hamburgischen Gesetz andeutet und das bremische Gesetz in § 1 ausdrücklich ausspricht, die Volksbefragung der Orientierung der Mitglieder der Landesregierung im Bundesrat dienen soll. Damit werden die Gesetze nicht zu Gesetzen über eine Volksbefragung "für Landeszwecke", zu deren Erlaß das Land in Analogie der oben erwähnten Kompetenzverteilung für Gesetze über die Statistik befugt wäre. Es liegt auf der Hand, daß Art. 73 Nr. 11 GG seinen Sinn verlöre, wenn der Umstand, daß eine Angelegenheit Gegenstand der Beratung und Erörterung im Bundesrat sein könnte, ausreichen würde, die zum Zwecke der Materialbeschaffung für die Mitglieder der Landesregierung vom Land für erforderlich gehaltene Statistik als eine "Statistik für Landeszwecke" zu werten und die Zuständigkeit des Landes zum Erlaß eines entsprechenden Gesetzes über die Statistik zu begründen. Da der Bundesrat als Bundesverfassungsorgan in allen Gebieten der ausschließlichen Bundeszuständigkeit Gelegenheit hat, zu Worte zu kommen, bliebe bei solcher Auslegung für eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung über die Statistik für Bundeszwecke überhaupt kein Raum mehr. Entsprechendes muß dann aber auch für die Begrenzung der Landes zuständigkeit zum Erlaß von Gesetzen über eine Volksbefragung "für Landeszwecke" gelten.
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Unabhängig davon gilt folgendes: Der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan des Bundes. Dieses kollegiale Organ "besteht" aus Mitgliedern der Landesregierungen (Art. 51 Abs. 1 GG); es wird nicht "aus den Ländern gebildet"; Art. 50 GG umschreibt nur zutreffend die Funktion dieses Bundesverfassungsorgans, wenn es dort heißt: "Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit". Diese Mitwirkung wird aber kraft der Entscheidung der Bundesverfassung nur durch die Mitglieder der Landesregierungen vermittelt. Die Rechtsstellung der Mitglieder des kollegialen Organs "Bundesrat" gründet im Grundgesetz. Dieses hat das vor allem auf dem Gedanken der Repräsentanz des Landesstaatsvolks beruhende Senatsprinzip gerade nicht verwirklicht, sondern sich für das Bundesratsprinzip entschieden, d.h. für eine Vertretung der Landesregierungen in diesem föderativen Bundesorgan. Im Parlamentarischen Rat haben auch Anhänger des sogenannten Bundesratsprinzips die Auffassung vertreten, daß die Mitglieder dieses Bundesverfassungsorgans weisungsfrei sein sollten (vgl. Nachweis bei Scupin in Bonner Kommentar Anm. 5 zu Art. 51 S. 5). Die Staatspraxis leitet aus dem Recht der Landesregierung, ihre Vertreter im Bundesrat zu bestellen und abzuberufen, ein Recht der Landesregierung zu Weisungen an ihre Mitglieder im Bundesrat ab. Das besagt jedoch noch nichts dafür, daß das Landesparlament oder gar das Landesvolk zu einem Hineinwirken in die Entscheidungen des Bundesrats befugt seien. Wenn die Landesregierung über "Weisungen" an ihre Mitglieder, die die Landesregierung im Bundesrat vertreten, Einfluß auf die Staatswillensbildung im Bund nehmen kann, so handelt es sich jedenfalls nicht um ein Übergreifen in die Wahrnehmung von Kompetenzen des Bundes, um die Bildung von Landesstaatswillen an Stelle von Bundesstaatswillen, sondern um das Tätigwerden eines Landesorgans, das durch die eigenartige Struktur des Bundesrats von Bundesverfassungs wegen berufen ist, mittelbar an der Bildung des Bundeswillens selbst mitzuwirken. Soweit das Landesparlament - auch wegen der Haltung der Landesregierung im Bundesrat - die Landesregierung oder ein Mitglied der Landesregierung nach Landesverfassungsrecht zur Rechenschaft ziehen kann, ist dies in der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament begründet; das Parlament befaßt sich also hier mit der von ihm abhängigen Regierung, nicht mit Bundesangelegenheiten; seine Maßnahmen können unter dem Gesichtspunkt der bundesstaatlichen Ordnung nicht als ein Hinübergreifen in Zuständigkeiten des Bundes qualifiziert werden. Aus dieser Überlegung folgt aber zugleich, daß sie keine Begründung für eine konsultative Volksbefragung im Land abgeben kann. Eine "Instruktion" der Mitglieder der Landesregierung im Bundesrat durch das Landesvolk, auch eine bloß rechtlich unverbindliche in der Weise, daß sich die Vertreter im Bundesrat daran orientieren und sie zur Richtschnur ihres Handelns im Bundesrat machen, ist nach der Struktur des Bundesrats ausgeschlossen. Eine vom Land zu diesem Zweck angeordnete Volksbefragung widerspricht dem Grundgesetz.
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IV.
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Demnach ist eine konsultative Volksbefragung in den Ländern, wie sie in dem hamburgischen und bremischen Gesetz betreffend die Volksbefragung über Atomwaffen angeordnet ist, mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie in eine ausschließliche Gesetzgebungs-, Regierungs- und Verwaltungskompetenz des Bundes übergreift. Die beiden Gesetze sind wegen ihres Widerspruchs mit der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes nichtig.
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V.
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Nach dem bisher Dargelegten kommt es nicht mehr darauf an, ob gegen die beiden Gesetze noch weitere verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht werden könnten, ob sie etwa im Widerspruch stehen zur repräsentativen Ausprägung der demo kratischen Ordnung im Grundgesetz, ob in ihrem Erlaß ein verfassungsrechtlich erheblicher Mißbrauch der Landesstaatsgewalt für Zwecke der Bundespolitik liegt, ob sie mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung in Widerstreit geraten, ob sich aus der Art der Fragestellung verfassungsrechtliche Bedenken ergeben. Auf Prüfung und Entscheidung dieser Fragen mußte im vordringlichen Interesse einer raschen Entscheidung des Rechtsstreits verzichtet werden.
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