BVerfGE 10, 59 - Elterliche Gewalt
Die zwischen den Eltern bestehende sittliche Lebensgemeinschaft und ihre gemeinsame, unteilbare Verantwortung gegenüber dem Kinde führen in Verbindung mit dem umfassenden Gleichberechtigungsgebot der Verfassung im Bereich der elterlichen Gewalt zu voller Gleichordnung von Vater und Mutter.
 
Urteil
des Ersten Senats vom 29. Juli 1959
- 1 BvR 205, 332, 333, 367/58, 1 BvL 27, 100/58 -
in den verbundenen Verfahren
I. über die Verfassungsbeschwerden 1. der Rechtsanwältin Maria M., 2. der Ehefrau Amalie T., 3. der Ehefrau Gertrud G., 4. der Ehefrau Ingeborg H., gegen § 1628 und § 1629 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 (BGBl. I S. 609).
II. wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 1629 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 (BGBl. I S. 609) -- Vorlagen des Amtsgerichts Köln (Vorlagebeschluß vom 24. Juli 1958 -- 16 VII H 9642 -) und des Amtsgerichts Bensberg (Vorlagebeschluß vom 13. November 1958 -- 6 C 1098/58 -).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL:
§ 1628 und § 1629 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 (BGBl. I S. 609) sind nichtig.
 
Gründe:
 
A.
Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über die elterliche Gewalt haben durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 (BGBl. I S. 609) eine neue Fassung erhalten. Nach § 1626 Abs. 1 steht das minderjährige Kind unter der elterlichen Gewalt des Vaters und der Mutter. Nach Absatz 2 haben der Vater und die Mutter, soweit sich nicht aus Einzelbestimmungen etwas anderes ergibt, kraft ihrer elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen; die Sorge für die Person und das Vermögen umfaßt die Vertretung des Kindes. Nach § 1627 haben die Eltern die elterliche Gewalt in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohle des Kindes auszuüben und müssen bei Meinungsverschiedenheiten versuchen, sich zu einigen.
§ 1628 und § 1629 Abs. 1 BGB, die in diesem Verfahren zu prüfenden Vorschriften, haben folgenden Wortlaut:
    § 1628
    (1) Können sich die Eltern nicht einigen, so entscheidet der Vater, er hat auf die Auffassung der Mutter Rücksicht zu nehmen.
    (2) Das Vormundschaftsgericht kann der Mutter auf Antrag die Entscheidung einer einzelnen Angelegenheit oder einer bestimmten Art von Angelegenheiten übertragen, wenn das Verhalten des Vaters in einer Angelegenheit von besonderer Bedeutung dem Wohle des Kindes widerspricht oder wenn die ordnungsmäßige Verwaltung des Kindesvermögens dies erfordert.
    (3) Verletzt der Vater beharrlich seine Verpflichtung, bei Meinungsverschiedenheiten den Versuch einer gütlichen Einigung zu machen und bei seinen Entscheidungen auf die Auffassung der Mutter Rücksicht zu nehmen, so kann das Vormundschaftsgericht der Mutter auf Antrag die Entscheidung in den persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten des Kindes übertragen, wenn dies dem Wohle des Kindes entspricht.
    § 1629 Abs. 1
    Die Vertretung des Kindes steht dem Vater zu; die Mutter vertritt das Kind, soweit sie die elterliche Gewalt allein ausübt oder ihr die Entscheidung nach § 1628 Abs. 2, 3 übertragen ist.
I.
Die Beschwerdeführerinnen sind Ehefrauen und Mütter minderjähriger Kinder. Ihre Verfassungsbeschwerden richten sich unmittelbar gegen § 1628 und § 1629 Abs. 1 BGB. Die Beschwerdeführerinnen halten beide Bestimmungen für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 2 GG. Sie sind der Ansicht, daß ihr durch diese Verfassungsnormen gewährleisteter Status als Mütter durch das Gesetz verletzt sei.
II.
Den Anträgen der Amtsgerichte Köln und Bensberg nach Art. 100 Abs. 1 GG liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der noch minderjährige Wilhelm Reinhard F. hat vor dem Amtsgericht in Köln die Vaterschaft gegenüber dem Kind Heinz H. anerkannt und sich in vollstreckbarer Form zur Zahlung einer Unterhaltsrente verpflichtet. Sein Vater hat die Einwilligung gemäß § 111 BGB erteilt. Der Vormundschaftsrichter, der über die Genehmigung der Zahlungsverpflichtung zu entscheiden hat, hält diese für unwirksam, also nicht genehmigungsfähig, weil nicht auch die Mutter des Erzeugers ihre Einwilligung nach § 111 BGB erteilt habe. Nach Auffassung des Richters ist der Vater grundsätzlich nur gemeinsam mit der Mutter zur gesetzlichen Vertretung des Minderjährigen berufen. Der Richter möchte deshalb die Genehmigung versagen.
Die Firma T. hat den minderjährigen Willi K. vor dem Amtsgericht in Bensberg auf Zahlung des Kaufpreises für einen französischen Fernsprachkurs verklagt mit der Behauptung, der Beklagte habe den Kaufvertrag mit Genehmigung seines Vaters abgeschlossen. Im Prozeß wird der Beklagte von seinem Vater vertreten. Das Gericht ist der Ansicht, daß die Vertretung durch den Vater nicht genüge, daß der Beklagte vielmehr nur durch die Eltern gemeinsam vertreten werden könne. Es möchte deshalb die Klage durch Prozeßurteil abweisen.
Beide Richter sehen sich an der beabsichtigten Entscheidung durch § 1629 Abs. 1 BGB gehindert. Sie halten die Bestimmung für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 2 GG, der Vormundschaftsrichter in Köln auch mit Art. 6 Abs. 2 GG. Dieser hat deshalb das Genehmigungsverfahren, der Richter in Bensberg den Prozeß ausgesetzt, und beide haben gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber erbeten, ob § 1629 (Abs. 1) BGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Von Gleichberechtigung könne nur die Rede sein, wenn der Einfluß von Vater und Mutter auf Maßnahmen, die das Kind betreffen, gleich groß sei. Der berechtigte Einfluß der Mutter auf das Schicksal des Kindes aber werde durch die alleinige Vertretungsmacht des Vaters erheblich beeinträchtigt. Praktische Bedenken gegen eine Gesamtvertretung des Kindes durch die Eltern seien gegenüber der klaren Regelung des Grundgesetzes ohne Bedeutung, zumal Gesamtvertretung in der Zeit zwischen dem 1. April 1953 und dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes (1. Juli 1958) ohne ernstliche Schwierigkeiten praktiziert worden sei.
III.
Der Bundesminister der Justiz hat namens der Bundesregierung zu den verfassungsrechtlichen Fragen Stellung genommen, ohne einem der Normenkontrollverfahren beizutreten. Nach seiner Ansicht sind § 1628 und § 1629 Abs. 1 BGB mit dem Grundgesetz vereinbar.
Der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) sei als "Konkretisierung" des allgemeinen Gleichheitssatzes ein "Unterfall" des Art. 3 Abs. 1 GG, nicht eine "lex specialis" in dem Sinne, daß die für den allgemeinen Gleichheitssatz geltenden Regeln nicht anzuwenden seien. Das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 GG erlaube insbesondere im Hinblick auf die objektiven biologischen oder funktionalen Unterschiede von Mann und Frau nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses auch eine verschiedene rechtliche Regelung und greife nicht ein, wo die Nichtbeachtung der besonderen Wesensart der Frau es ihr erschweren würde, ihr Selbst zu verwirklichen. Daraus, daß der Bundesgerichtshof (Urteil vom 5. Februar 1958, FamRZ 1958 S. 178) vor Erlaß des Gleichberechtigungsgesetzes die Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuches über Alleinvertretung durch den Vater für nichtig und Gesamtvertretung durch beide Elternteile für geboten gehalten habe, könne für die Gesetzgebung nichts gefolgert werden; nur dem Gesetzgeber, nicht aber den Gerichten habe Art. 3 GG die Freiheit gelassen, in den Schranken des Grundgesetzes Wertmaßstäbe zu setzen.
Ferner dürfe Art. 3 Abs. 2 GG nicht isoliert, sondern müsse in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG gesehen werden, der auf dem Gebiet des Familienrechts Schutz und Erhaltung von Ehe und Familie in ihrer christlich-abendländischen Prägung und Grundstruktur zum Ziele habe. Art. 3 Abs. 2 GG stehe also einer Regelung nicht entgegen, die durch die Interessen von Ehe und Familie im abendländisch-christlichen Sinne gefordert werde.
Die in Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 GG enthaltenen Wertmaßstäbe bezögen sich aber auch formell auf verschiedene Bereiche. Der Grundsatz der Gleichberechtigung betreffe seiner Natur nach nur das Verhältnis zwischen Mann und Frau untereinander und das Verhältnis dieser Gruppen zum Staat, nicht aber ihr Verhältnis zu Dritten. Eine von Art. 3 Abs. 2 GG abweichende Regelung sei jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn die Rechtsstellung des Dritten, wie die des Kindes, im Grundgesetz besonders geschützt sei. Das Wohl des Kindes gehe zumindest im Bereich der elterlichen Gewalt den Interessen der Eltern vor.
Der Gesetzgeber habe sich der Tatsache nicht verschließen dürfen, daß es Fälle gebe, in denen die Eltern sich nicht einigen könnten. Von einer gesetzlichen Regelung für solche Konfliktsfälle abzusehen, sei um des Wohles des Kindes willen nicht möglich. Eine Aufteilung der Entscheidungsbefugnis zwischen Vater und Mutter nach dem jeweiligen Geschlecht des Kindes oder nach Sachgebieten sei aus verschiedenen Gründen nicht zu empfehlen. Die Einschaltung des als Drittinstanz allein in Betracht kommenden Vormundschaftsgerichts sei mit dem in Art. 6 Abs. 2 GG gewährleisteten Erziehungsrecht der Eltern unvereinbar, über das die staatliche Gemeinschaft nur zu wachen habe. Die Möglichkeit, das Vormundschaftsgericht anzurufen, könne überdies uneinsichtigen Eltern einen Anreiz bieten, ihre Meinungsverschiedenheiten nicht im Schoße der Familie auszutragen; zu einer solchen möglichen Störung der Ehe dürfe der Gesetzgeber nicht den Weg weisen. Schließlich würde der Richter vor injustiziable Fragen gestellt werden und seine Entscheidung möglicherweise zu spät kommen.
Der Gesetzgeber habe daher die Entscheidungsbefugnis bei Meinungsverschiedenheiten einem Elternteil übertragen müssen. Er habe sich für den Vater entschieden, weil das dem Herkommen und der tatsächlichen Übung in den meisten Familien entspreche. Dem Vater sei jedoch mit den größeren Rechten auch eine größere Verantwortung zugefallen. Die Stellung der Mutter sei nach Möglichkeit verbessert worden.
Die Vorschrift über die gesetzliche Vertretung des Kindes schließe sich an die Entscheidungsbefugnis des Vaters an. Auch erforderten die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs und das Wohl des Kindes eine eindeutige Regelung des Vertretungsrechts.
IV.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einer Äußerung gemäß § 80 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG mitgeteilt, er sei bisher stillschweigend von der Gültigkeit des § 1629 BGB ausgegangen, ohne zu der verfassungsrechtlichen Frage Stellung zu nehmen. Der für Familienrechtssachen zuständige IV. Zivilsenat hat mitgeteilt, daß noch kein Verfahren anhängig geworden sei, bei dem die Gültigkeit des § 1629 BGB zur Entscheidung stünde. Er hat in diesem Zusammenhang auf sein Urteil vom 5. Februar 1958 (FamRZ 1958 S. 178) hingewiesen; dort ist ausgesprochen, daß für ein minderjähriges eheliches Kind seit Geltung des Art. 3 Abs. 2 GG (1. April 1953), das heißt für eine Zeit, in der "der Gleichberechtigungsgrundsatz ohne ausdrückliche Einzelregelungen, wie sie der Gesetzgebung in einem gewissen Rahmen vorbehalten sind, verwirklicht werden muß ...", grundsätzlich Gesamtvertretung durch beide Eltern bestehe.
V.
Die Verfassungsbeschwerden und die Normenkontrollverfahren sind zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden. In der mündlichen Verhandlung waren die Beschwerdeführerinnen zu I 1 bis 3 und die Bundesregierung vertreten.
 
B.
Sämtliche Verfahren sind zulässig.
Die unmittelbar gegen die Normen gerichteten Verfassungsbeschwerden sind zulässig, weil die Beschwerdeführerinnen als Mütter minderjähriger Kinder selbst, gegenwärtig und unmittelbar von dem Gesetz betroffen sind (vgl. BVerfGE 1, 97 [101]).
Das Gesetz regelt für den Fall von Meinungsverschiedenheiten das Entscheidungsrecht des Vaters und gibt dem Vater allein die Vertretungsmacht in persönlichen wie in vermögensrechtlichen Angelegenheiten des Kindes. Damit bestimmt es unmittelbar die Rechtsstellung der Mutter in der Familie, ohne daß zur Durchführung des Gesetzes noch ein Vollziehungsakt der öffentlichen Gewalt notwendig wäre.
Der Zulässigkeit des Vorlagebeschlusses des Amtsgerichts Köln steht es nicht entgegen, daß er nicht in einem Prozeß, sondern in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ergangen ist (vgl. BVerfGE 4, 45 [48]). In dem Beschluß wird die verfassungsrechtliche Prüfung des § 1629 BGB in vollem Umfang beantragt; aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch, daß lediglich die Regelung des § 1629 Abs. 1 gemeint ist.
 
C.
§ 1628 und § 1629 Abs. 1 BGB sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
I.
Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Welche Strukturprinzipien diese Institute bestimmen, ergibt sich zunächst aus der außerrechtlichen Lebensordnung. Beide Institute sind von Alters her überkommen und in ihrem Kern unverändert geblieben; insoweit stimmt der materielle Gehalt der Institutsgarantie aus Art. 6 Abs. 1 GG mit dem hergebrachten Recht überein. Ehe ist auch für das Grundgesetz die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zur grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft, und Familie ist die umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern, in der den Eltern vor allem Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder erwachsen. Dieser Ordnungskern der Institute ist für das allgemeine Rechtsgefühl und Rechtsbewußtsein unantastbar.
Doch erschöpft sich der institutionelle Gehalt des Art. 6 Abs. I GG hierin nicht. Es erschließen sich weitere wesentliche Elemente aus den besonderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes. Hier kommt vor allem das umfassende Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG in Betracht. Der Grundgesetzgeber ist von der Vereinbarkeit des Art. 6 mit Art. 3 Abs. 2 GG ausgegangen; das Bundesverfassungsgericht hat dies für Art. 6 Abs. 1 GG bereits ausgesprochen; danach sind Mann und Frau auch in Ehe und Familie gleichberechtigt (BVerfGE 3; 225 [242]).
Das Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau in Ehe und Familie hat seine volle Bedeutung auch für die Ordnung des Verhältnisses der Eltern zu den Kindern. Art. 6 Abs. 2 GG bezeichnet Pflege und Erziehung der Kinder als "das natürliche Recht der Eltern und die zuvorderst ihnen obliegende Pflicht". Schon aus der zwischen den Eltern bestehenden engen Gemeinschaft und ihrer gemeinsamen Verantwortung gegenüber dem Kinde folgt die Gleichstellung von Vater und Mutter auch im Verhältnis zu den Kindern. Da diese Verantwortung unteilbar ist, trifft sie die Eltern in gleicher Weise. Ihre Verpflichtung, in dieser Verantwortung füreinander einzutreten und einander zu ergänzen, ist wechselseitig; Vater und Mutter sind in Gleichordnung zu sittlicher Gemeinschaft verbunden.
1. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes bestätigt diese Auslegung. Die Regelung des Art. 6 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG geht zurück auf Art. 119 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung. In der Nationalversammlung wurde bei der Beratung dieser Bestimmung gegen den Antrag, in den Entwurf einen Satz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Ehe und Familie aufzunehmen, ausdrücklich geltend gemacht, das Entscheidungsrecht des Mannes müsse bei Meinungsverschiedenheiten in der Familie erhalten bleiben. Hierauf wurde erwidert, "durch die jetzt geltenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (sei) den Frauen und damit auch der Ehe vielfach Unrecht geschehen" (Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung, 70. Sitzung am 30. Juli 1919, Prot. S. 2087 [2126] und Drucks. Nr. 680, 711). Als Ergebnis der Beratung wurde in den Art. 119 Abs. 1 die Bestimmung aufgenommen, daß die Ehe - als Grundlage des Familienlebens - auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter beruht.
Die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates machen vollends deutlich, daß der Verfassungsgeber nicht hinter der Ordnung der Weimarer Reichsverfassung zurückbleiben, sondern das Prinzip der Gleichberechtigung umfassend auf allen Rechtsgebieten und namentlich auch im bürgerlichen Recht verwirklichen wollte. Der Abg. Dr. Strauss unterstrich das durch den Hinweis auf die Belastung und Bewährung der Frauen in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Er sagte wörtlich (Verhandlungen des Hauptausschusses, 42. Sitzung am 18. Januar 1949, S.538 f.):
    "... daß der Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau uns zum mindesten seit 1918 bereits so in Fleisch und Blut übergegangen ist, daß uns die Debatte etwas überrascht hat ... Wir sind uns über den Grundsatz von vornherein einig gewesen. Das ist auch eine Selbstverständlichkeit. Gerade die vergangenen Jahre haben wohl jedem Mann einschließlich der Junggesellen vor Augen geführt, daß die Aufgaben der Frau fast sogar noch schwerer - auch physisch schwerer - sind als die des Mannes. Die meisten deutschen Frauen sind nun schon seit Jahren berufstätig, ebenso die Männer, aber sie haben zusätzlich zu den Aufgaben der Männer noch die Aufgaben des Haushalts und der Kindererziehung. Viele deutsche Männer haben erst in diesen Jahren erfahren, was Haushaltsarbeit bedeutet, besonders wenn sie gezwungen waren, an dieser Haushaltsarbeit mitzuwirken. Infolgedessen dürfte es gar keinen Zweifel - abgesehen von einigen Hinterwäldlern - auch unter den Junggesellen darüber geben, daß wir die Gleichberechtigung der Frau in jeder Beziehung, nicht nur bei den staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten, anerkennen und verlangen, und daß, soweit noch juristisch Widersprüche bestehen, diese Widersprüche beseitigt werden müssen.
    Wir müssen also eine Formulierung finden, die diesen Gesichtspunkt voll verwirklicht. Das kann man am besten entsprechend unserem Antrag dadurch, daß man das Wort ,staatsbürgerlich' streicht und in den Überleitungsbestimmungen, wie das meines Wissens schon geschehen ist, eine Frist setzt, bis zu deren Ablauf das noch entgegenstehende allgemeine Recht, insbesondere das Ehegüterrecht, an diesen Grundsatz angeglichen wird. Ich glaube also, die Öffentlichkeit kann jetzt feststellen, daß diese Angelegenheit in einer Weise geklärt ist, die innerhalb des Hauses keine Meinungsverschiedenheiten mehr zeigt."
Hierin bestand allgemeine Übereinstimmung (vgl. Abg. Dr. v. Mangoldt, Frau Dr. Weber und Dr. Dehler in der 26. Sitzung des Grundsatzausschusses am 30. November 1948, StenProt. S. 59/61; Frau Selbert in der 42. Sitzung des Hauptausschusses am 18. Januar 1949, S. 540). Der Beschluß des Parlamentarischen Rates erscheint so als eine Entscheidung, die in vollem Bewußtsein ihrer Tragweite getroffen wurde, als die Erfüllung lang erhobener Forderungen, die sich nicht nur aus den gesellschaftlichen Wandlungen des letzten Jahrhunderts und der veränderten Stellung der Frau im sozialen Leben und in der Familie mit Notwendigkeit ergaben; sie hatten ihre Berechtigung auch und gerade in den tatsächlichen Lebensverhältnissen erwiesen, wie sie vor und bei der Entstehung des Grundgesetzes gegeben waren.
Um jeden Zweifel daran auszuräumen, daß das Grundgesetz auch die Gleichberechtigung der Frau als Mutter gewollt habe, genügt ein Blick auf die gerade dahin zielenden jahrzehntelangen Bestrebungen von Frauenverbänden. So forderte eine von Sera Proelss und Marie Raschke verfaßte Denkschrift "Die Frau im neuen bürgerlichen Gesetzbuch" (S. 34) schon im Jahre 1895 die gleiche elterliche Gewalt für Vater und Mutter (vgl. ferner etwa Marianne Weber "Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung", 1907, S. 457 f.; Denkschrift des Bundes deutscher Frauenvereine, 1923, S. 37f.; Gutachten und Referate für den 36. Deutschen Juristentag - 1931 - [Bd. 1 S. 584 ff., 608 ff.; Bd. 2 S. 92 ff.]). Es ist nicht vorstellbar, daß ein Verfassungsgeber, der die umfassende Gleichberechtigung der Frau auch im Zivilrecht wollte, für dieses wichtige Gebiet eine Einschränkung hätte zulassen wollen, ohne es ausdrücklich zu sagen.
2. Praxis und Wissenschaft sind in den Jahren zwischen dem Inkrafttreten des Grundsatzes der Gleichberechtigung (1. April 1953) und dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes (1. Juli 1958) überwiegend von der vollen Gleichordnung der Eltern in der Familie ausgegangen.
Die Verwaltung hat mindestens vorsorglich die Notwendigkeit gemeinsamer Vertretung der Kinder durch die Eltern angenommen. Das kommt z. B. in den Erlassen der Landesinnenminister auf dem Gebiete des Staatsangehörigkeitsrechts zum Ausdruck, in denen die nachgeordneten Behörden angewiesen wurden, vom 1. April 1953 ab nur von Vater und Mutter gemeinsam gestellte Anträge entgegenzunehmen. So heißt es für Baden-Württemberg in einem Erlaß vom 22. August 1953 (GABl. S. 264): "Da die gesetzliche Vertretung eines Kindes beiden Eltern gemeinsam zusteht, müssen bei einem Entlassungsantrag nach § 19 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes beide Elternteile, vorausgesetzt, daß sie das Recht zur Sorge für die Person des Kindes haben, den Entlassungsantrag stellen." Die Länder Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben etwa zu derselben Zeit entsprechende Regelungen getroffen. Ebenso hat die Bundeswehr bis zum Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes Minderjährige nur mit Zustimmung beider Eltern als Freiwillige eingestellt (Kurzmitteilungen über personelle Grundsatzfragen, hrsg. vom Bundesminister für Verteidigung, Nr. 6 vom 4. Oktober 1956).
Die Rechtsprechung hat sich in jenen fünf Jahren unter Führung des Bundesgerichtshofs mit wenigen Ausnahmen für gemeinsame Entscheidung und Gesamtvertretung der Eltern ausgesprochen, vor allem der IV. Senat des Bundesgerichtshofs. In dem Beschluß vom 2. Mai 1956 (BGHZ 20, 313) hat er zum Entscheidungsrecht den Leitsatz entwickelt:
    "Das Vormundschaftsgericht ist in entsprechender Anwendung der §§ 1797, 1798 BGB zur Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit der nach dem 31. März 1953 grundsätzlich gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über eine das Sorgerecht betreffende Angelegenheit auch dann zuständig, wenn die Voraussetzungen des § 1666 nicht gegeben sind. Ausschlaggebend für die Entscheidung sind nur die Belange des Kindes."
In dem Urteil vom 5. Februar 1958 (FamRZ 1958 S. 178), also nach Veröffentlichung des Gleichberechtigungsgesetzes, hat der IV. Senat ferner ausgesprochen, daß ein minderjähriges eheliches Kind in der Zeit zwischen dem Inkrafttreten des Art. 3 Abs. 2 GG und dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes von beiden Eltern gemeinsam vertreten wird - also für eine Zeit, in der "der Gleichberechtigungsgrundsatz ohne ausdrückliche Einzelregelungen, wie sie der Gesetzgebung in einem gewissen Rahmen vorbehalten sind, verwirklicht werden muß". In gleichem Sinne, wie hier der Bundesgerichtshof, haben entschieden:
    BGHSt, MDR 1957 S. 52; BayObLGZ 1953, 372; 1954, 275; BayObLGSt 1956, 8; OLG Frankfurt, FamRZ 1954 S.21; NJW 1955 S.1725; FamRZ 1957 S. 55; OLG Hamm, NJW 1953 S. 1226, 1354 OLG Karlsruhe, NJW 1956 S. 672; OLG Stuttgart, NJW 1955 S. 1721.
Es sind nur einige abweichende Entscheidungen von Amts- und Landgerichten bekannt geworden. Ferner hat nach Verkündung des Gleichberechtigungsgesetzes das Bayerische Oberste Landesgericht in einer Entscheidung vom 12. Dezember 1957 (FamRZ 1958 S. 67) unter Aufgabe seiner bisher vertretenen Meinung die Alleinvertretung des Kindes durch den Vater und sein Entscheidungsrecht auch für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes als verfassungsmäßig angesehen.
Mit der herrschenden Praxis in Verwaltung und Rechtsprechung stimmte die in der Wissenschaft überwiegend vertretene Meinung überein. Auf dem 38. Deutschen Juristentag (1950) wurde das schon 1931 erörterte Thema (siehe oben S. 69) wiederaufgenommen. Die bürgerlich-rechtliche Abteilung stimmte der Ansicht des Referenten Prof. Dr. Ulmer zu, daß das Grundgesetz eine Regelung fordere, nach der Vater und Mutter die elterliche Gewalt gemeinschaftlich ausüben; in wichtigen Streitfällen müsse das Vormundschaftsgericht entscheiden (38. DJT [1950] B 53f., 98f., 102). Ebenso deuteten das Grundgesetz z. B. :
    Dölle, JZ 1953 S. 353 (361) und in Festgabe für Erich Kaufmann, 1950 S. 19 (29f., 38f.);
    Lauterbach, in Palandt BGB 15. Aufl. 1956, § 1627, Vorbem. A;
    Neuhaus, Zschr. f. Ausl. u. Intern. PrivR 1954 S. 588 ff.;
    Siebert, NJW 1955 S. 1 (3 ff.);
    Scheuner, in Familienrechtsreform, hrsg. von Dombois und Schumann, 1954 S. 42 (54, 56);
    Zweigert, JZ 1951 S. 90.
Die gegenteilige Auffassung vertraten insbesondere
    Bosch, SJZ 1950 Sp. 625 ff. und Neue Rechtsordnung in Ehe und Familie, 1954 S. 64-68;
    Conrad, Grundprobleme einer Reform des Familienrechts (Heß 12 der Veröffentlichung der Arbeitsgemeinschaft f. Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen), 1954 S. 52 (74);
    Dürig, FamRZ 1954 S. 2 (4 f.),
vor allem mit der Begründung, die eigenständige Ordnung der Familie erfordere grundsätzlich die Entscheidungszuständigkeit des Vaters.
Schließlich trägt das Gleichberechtigungsgesetz selbst der verfassungsgebotenen Gleichberechtigung als Strukturelement der Familie auch in der Beziehung der Eltern zum Kinde Rechnung: An die Spitze der Bestimmungen über die elterliche Gewalt stellt es die Regel, daß Vater und Mutter gleichermaßen das Recht und die Pflicht haben, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen und das Kind zu vertreten; sie haben die elterliche Gewalt in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohle des Kindes auszuüben (§§ 1626, 1627 BGB). Dem entspricht es, daß die früher primär nur den Vater treibende Unterhaltspflicht jetzt gleichgeordnet neben ihm der Mutter auferlegt ist (§ 1606 BGB).
II.
Wirkt das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 und 3 über Art. 6 Abs. 1 und 2 GG in die Ordnung der elterlichen Gewalt hinein, so ist zunächst zu prüfen, ob etwa bereits die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 2 und 3 GG entwickelten Auslegungsgrundsätze eine Beschränkung der elterlichen Gewalt der Mutter zulassen. Dies ist zu verneinen.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgesprochen, daß die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG immer auf dem Vergleich von Lebensverhältnissen beruht, die nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Elementen gleich sind, und daß grundsätzlich der Gesetzgeber darüber zu entscheiden hat, welche Elemente der zu ordnenden Lebensverhältnisse maßgebend dafür sind, sie im Recht als gleich oder ungleich zu behandeln (BVerfGE 6, 273 [280]). Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß der Gesetzgeber, wenn Mann und Frau beteiligt sind, in gleichem Maße die Freiheit habe, an funktionale oder biologische Unterschiede als an ungleiche Elemente der Lebensverhältnisse anzuknüpfen und demgemäß Mann und Frau verschieden zu behandeln.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet vielmehr die für den allgemeinen Gleichheitssatz bestehende Gestaltungsfreiheit gerade ihre Grenze "in den Konkretisierungen des Gleichheitssatzes durch die Verfassung selbst", insbesondere also in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG (BVerfGE 3, 225 [240]). Die Freiheit des Gesetzgebers, innerhalb gewisser äußerster Grenzen der Gerechtigkeit die Vergleichspaare zu bestimmen, an denen er die Lösung seiner jeweiligen gesetzgeberischen Aufgabe orientiert, wird ihm in den Fällen des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG genommen. Hier ist es ihm untersagt, bestimmte Verschiedenheiten der Menschen durch Verschiedenheit der rechtlichen Ordnung zu berücksichtigen, weil der Verfassungsgeber diese Verschiedenheiten, gemessen an der weitgehenden Gleichheit aller Menschen, als unerheblich für die künftige, von ihm gewollte Rechtsordnung ansah. Wollte man dem Gesetzgeber im Wirkungsbereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG eine ähnliche Gestaltungsfreiheit zugestehen wie im Bereich des allgemeinen Gleichheitssatzes, so würde dies zu dem unannehmbaren Ergebnis führen, daß "eine einfache gesetzgebende Mehrheit und eine ihr sekundierende der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts eben doch Diskriminierungen - z. B. der Frauen, der Juden, der Angehörigen irgendeiner politischen Partei oder Religionsgesellschaft - einführen" könnte, sofern die Mitglieder jener Verfassungsorgane nur der Meinung sind, "unter den gegebenen Umständen sei diese Diskriminierung "reasonable" und also "gerecht" (Thoma, DVBl. 1951 S. 457 [459]). Nur soweit verschiedene Wege zur Verwirklichung der Gleichberechtigung gangbar sind, bleibt die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers erhalten.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings ausgeführt, daß die Differenzierungsverbote des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG auf die hier genannten Qualifikationen beschränkt seien, während z. B. im Bereich des Familienrechts im Hinblick auf die objektiven biologischen oder funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschiede nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses auch eine andere rechtliche Regelung erlaubt oder sogar notwendig sein könne (BVerfGE 3, 225 [242]).
Mit dem Hinweis auf diese Entscheidung läßt sich aber eine Zurücksetzung der Frau als Mutter nicht rechtfertigen; das Bundesverfassungsgericht hatte dort an solche Differenzierungen gedacht, die den "zur Verwirklichung der Gleichberechtigung aufgestellten Forderungen als selbstverständliche Voraussetzung zugrunde" liegen (BVerfGE aaO), z. B. an Bestimmungen zum Schutze der Frau als Mutter und über die besondere Art ihrer Leistungen für die Familiengemeinschaft.
Das Bundesverfassungsgericht hat des weiteren klargestellt, daß "objektive" biologische Unterschiede nur dann zu verschiedener Behandlung im Recht führen dürfen, wenn sie das zu ordnende Lebensverhältnis so entscheidend prägen, daß etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten und die verschiedene rechtliche Regelung also mit den Begriffen "Benachteiligen" und "Bevorzugen" nicht mehr sinnvoll zu erfassen ist (BVerfGE 6, 389 [422 f.]). Dies gilt entsprechend auch für Differenzierungen im Hinblick auf funktionale Unterschiede. Mögen auch die Begriffe "Bevorzugen" und "Benachteiligen" zunächst für Individualverhältnisse gedacht sein und demgemäß die Stellung des Einzelnen in einer als Gemeinschaft gestalteten Institution nicht genau bezeichnen, so treffen sie doch sinngemäß auch die Situation, in der ein grundsätzlich gleichgeordnetes Mitglied von der gleichverantwortlichen Mitwirkung an der Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben ausgeschlossen wird; eine solche Zurücksetzung fällt unter das Verbot der Benachteiligung.
Eine Benachteiligung des einen oder anderen Ehegatten in diesem Sinne liegt nicht vor, wenn das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 1360 n. F.) anerkennt, daß die Ehefrau ihre Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts erfüllt, während der Ehemann seiner Verpflichtung durch Erwerbstätigkeit nachkommt (vgl. BVerfGE 3, 225 [242]). Anderes gilt, wo die Erfüllung der gleichen Verantwortung der Eltern unteilbar ist, also für ihre persönliche Beziehung zu den Kindern. Dieser Lebenstatbestand hat zwar in der Person des Vaters und der Mutter -durch das Geschlecht bedingt - eine verschiedene Färbung. Gerade die Anknüpfung an derartige Unterschiede männlicher und weiblicher Art im sozialen Bereich ist jedoch durch Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ausgeschlossen, wenn diese Bestimmung überhaupt einen Sinn haben soll; denn eine solche "verschiedene Färbung" wird jedes Lebensverhältnis aufweisen. Auf die Erwägung, daß Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nicht eingreife, wo "die Nichtbeachtung der besonderen Wesensart der Frau oder der sonstige Unterschied der Geschlechter es der Frau erschweren würde, ihr Selbst zu verwirklichen, also ihre Persönlichkeit unter Bewahrung ihrer Wesensart zu entfalten", braucht nicht näher eingegangen zu werden; denn die Gleichordnung der Mutter mit dem Vater in Rechten und Pflichten ist nicht geeignet, die Selbstverwirklichung der Frau zu beeinträchtigen.
Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Bestimmungen über die elterliche Gewalt ist maßgebend, daß die bestehenden Verschiedenheiten - mag man sie biologisch oder funktional nennen - die Beziehungen von Vater und Mutter zu den Kindern keineswegs so entscheidend verschieden prägen, daß die vergleichbaren Elemente daneben zurücktreten müssen. Diese überwiegen vielmehr derart, daß die Beziehungen beider Eltern zu den Kindern ihrem Wesensgehalt nach gleich sind.
III.
Die rechtliche Behandlung von Vater und Mutter in den Bestimmungen über die elterliche Gewalt ist also ohne Rücksicht auf etwa bestehende funktionale oder biologische Unterschiede an Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zu messen. Die Vereinbarkeit einer Vater und Mutter ungleich behandelnden Bestimmung mit der Verfassung hängt somit zunächst davon ab, ob die Mutter dadurch benachteiligt ist. Läßt sich dies feststellen, so ist die Bestimmung angesichts des Gleichberechtigungsgebots verfassungsrechtlich nur dann haltbar, wenn sie auf übergreifende, das heißt auch dem Gleichberechtigungsgebot gegenüber sich durchsetzende verfassungsrechtliche Wertentscheidungen gestützt werden kann.
1. Die zur Prüfung gestellten Normen benachteiligen die Frau als Mutter.
Das Entscheidungsrecht (§ 1628 BGB) und seine Entsprechung im außerhäuslichen Bereich, die Vertretungsmacht (§ 1629 Abs. 1 BGB), sind gesetzliche Ausformungen der elterlichen Gewalt. Mit der Vertretung ist allein der Vater betraut, und ihm steht im Konfliktsfall allein die Entscheidung zu; die Mutter tritt in seine Rechte nur ein, wenn er sie nicht wahrnehmen kann oder darf. Daß Vater und Mutter ungleich behandelt sind, ist augenfällig.
Zwar ist die väterliche Gewalt im modernen Recht nicht mehr wie vordem ein Herrschaftsrecht, sondern ein mit Verantwortung verknüpftes Recht, ein Sozialrecht, das durch die Pflicht, dem Wohle des Kindes zu dienen, gebunden ist. Aber durch diese Verknüpfung mit Verantwortung hört die größere Zuständigkeit des Vaters nicht auf, ein Vorrecht zu sein; mit der Verantwortung und der Pflicht sind hier eben auch Einfluß und Recht untrennbar verknüpft. Der verfassungsrechtlichen Forderung nach Gleichberechtigung der Mutter wird nicht dadurch genügt, daß bei Uneinigkeit dem Vater aufgegeben ist, auf die Auffassung der Mutter Rücksicht zu nehmen, und daß diese zur Abwehr einer Entscheidung des Vaters, die in Angelegenheiten von besonderer Bedeutung dem Wohle des Kindes widerspricht, das Gericht anrufen kann. Es ist auch in den meisten Fragen nicht ersichtlich, wie der Vater auf die Auffassung der Mutter soll Rücksicht nehmen können, nachdem der Versuch einer Einigung mißlungen ist; außerdem bleibt es der Mutter versagt, im Konfliktsfall in gleichem Maße wie der Vater positiv auf die ihrer Vorstellung vom Wohle des Kindes entsprechende Sorge und Erziehung hinzuwirken; sie kann nur zu verhüten suchen, daß der Vater sein Entscheidungsrecht mißbraucht.
In allen Angelegenheiten, die nicht von besonderer Bedeutung für das Wohl des Kindes sind, bleibt es im Falle von Meinungsverschiedenheiten endgültig bei der Entscheidung des Vaters. Die Mutter hat hier weder vor noch nach seiner Entscheidung eine über den Versuch zu überzeugen hinausgehende Einwirkungsmöglichkeit. Hierin jedenfalls liegt eine klare Benachteiligung der Mutter; sie wird durch § 1628 Abs. 3 BGB schon deshalb nicht aufgewogen, weil der Nachweis der Voraussetzungen dieser Bestimmung, vor allem der der "beharrlichen" Pflichtverletzung des Vaters, für die Mutter überaus schwer ist.
Aber auch in Angelegenheiten von besonderer Bedeutung macht das Gesetz der Mutter bei Differenzen mit dem Vater die Erfüllung ihrer Erziehungs- und Sorgepflicht gegenüber dem Kinde fast unmöglich. Selbst dann, wenn es sich für sie um eine Gewissensfrage handelt, wird sie - abgesehen auch hier von der Möglichkeit, den Vater zu überzeugen - darauf verwiesen, Entscheidungen und Maßnahmen des Mannes durch Anrufung des Gerichts anzugreifen.
Der rechtliche Einfluß der Mutter auf das Schicksal ihrer Kinder ist hiernach bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Vater gering. Der äußere Tatbestand für einen Antrag nach § 1628 Abs. 2 BGB deckt sich weitgehend mit den Voraussetzungen für ein Eingreifen des Vormundschaftsgerichts nach § 1666 BGB (vgl. BayObLG, FamRZ 1959 S. 293 [294]). Der wesentliche rechtliche Unterschied liegt darin, daß im letzten Fall Verschulden hinzukommen muß. Praktisch fällt das aber wenig ins Gewicht, weil eine Verletzung des Wohles des Kindes in einer Angelegenheit von besonderer Bedeutung meist auch verschuldet sein wird. Zudem kann der Vormundschaftsrichter den Vorwurf, der Vater verletze rechtsmißbräuchlich das Wohl seiner Kinder, ohne Rücksicht auf etwaige Reaktionen des Vaters erheben. Die Mutter muß sie bedenken; denn es ist schwer vorstellbar, daß eine Ehe in erträglicher Weise fortgesetzt werden kann, wenn die Mutter einen Antrag auf Übertragung der Entscheidungsgewalt mit der Begründung verlangt hat, die Entscheidung des Vaters in einer Angelegenheit von besonderer Bedeutung widerspreche dem Wohle des Kindes.
Bei der hier in Rede stehenden Zurücksetzung der Mutter handelt es sich nicht um eine Grenzsituation, die um ihrer vergleichsweisen Unbeträchtlichkeit willen hinzunehmen wäre, sondern um den Kern der Gleichordnung der Eltern, soweit sie einer rechtlichen Durchsetzung bedarf. Die Mutter wird dadurch zurückgesetzt, daß ihr Einfluß und ihre Autorität gemindert sind, weil das Gesetz bei Meinungsverschiedenheiten das Entscheidungsrecht dem Vater anvertraut; diese Benachteiligung wird noch dadurch verstärkt, daß im Zusammenhang mit dem Entscheidungsrecht dem Vater allein die Vertretungsmacht für das Kind übertragen ist, so daß Entscheidungen, auch in wichtigsten Fragen, ohne Mitwirkung, ja ohne Vorwissen der Mutter realisiert werden können. Diese Benachteiligung der Mutter ist für eine verfassungsrechtliche Betrachtung aus mehreren Gründen besonders empfindlich: sie stärkt einmal rechtlich die schon faktisch stärkere Position des Mannes; sie schwächt ferner die Stellung der Frau gerade in dem Bereich, in dem ihr Wesen am tiefsten wurzelt und sich entfaltet - dem der Mutterschaft-, während ihr nahezu auf allen anderen Gebieten, dem Grundgesetz folgend, volle Gleichberechtigung eingeräumt worden ist; sie trifft schließlich gerade die Frau, die an ihrer Ehe festhält, während das Gesetz ihr bei geschiedener oder dauernd getrennter Ehe volle Gleichberechtigung gewährt (§§ 1671, 1672 BGB n. F.).
Die Norm, die der Gesetzgeber an die Spitze der neuen Regelung der elterlichen Gewalt gestellt hat, wiegt diese Benachteiligung nicht auf, wenn die Bedeutung des Leitbildes, das in dieser Norm liegt, auch nicht verkannt werden darf. Während nach § 1627 BGB a. F. der Vater kraft der elterlichen Gewalt das Recht und die Pflicht hat, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen, setzt das Gleichberechtigungsgesetz in der Neufassung des § 1627 die Regel, daß die Eltern ihre Gewalt in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohle des Kindes auszuüben haben, und das Gesetz verleiht dieser Regel durch den Zusatz Gewicht, daß die Eltern bei Meinungsverschiedenheiten versuchen müssen, sich zu einigen. Es entspricht damit der allgemeinen Überzeugung, daß dem Wohle des Kindes gerade durch die einverständliche Erziehung und Sorge von Vater und Mutter am besten gedient ist. Zugleich versucht es, diese Überzeugung eben durch die Positivierung zu stärken. Das aufgestellte Leitbild aber wird verdunkelt, das Gebot gleicher Verantwortung für Erziehung und Sorge wird entwertet durch die in § 1628 anschließende Bestimmung, daß bei Meinungsverschiedenheiten der Vater entscheidet. Das Leitbild spiegelt somit nur die Grundsituation der Familie, in der die Eltern einig oder zur Einigung bereit sind, so daß das Leben sich von selbst, unabhängig von der Rechtsordnung, regelt. Die Frage rechtlicher Gleichordnung gewinnt aber Bedeutung nur, wenn sich die Eltern nicht einigen können, und gerade für diesen Fall ist das Leitbild vom Gesetz aufgegeben worden.
Die Wirkung dieser Regelung erschöpft sich nicht in der Verweisung der Mutter auf die Anrufung des Vormundschaftsgerichts. In der Erkenntnis, daß es die Einigung der Ehegatten erschweren würde, wenn von vornherein feststünde, daß der Mann im Konfliktsfall entscheiden könnte, hat der Bundestag auf Antrag seines Rechtsausschusses das Entscheidungsrecht des Mannes in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten (§ 1354 BGB) beseitigt (BT II/1953, zu Drucks. 3409, S. 35). Naturgemäß wird ebenso die Einigungsbereitschaft des Vaters durch das Bewußtsein gemindert, ihm stehe bei der Sorge für die Kinder im Konfliktsfall die Entscheidung zu. § 1628 Abs. 1 BGB verschiebt also mittelbar die Positionen der Eltern unvermeidlich für den gesamten Bereich der Entscheidungsbildung zum Nachteil der inneren Bindung der Familie und zugleich zum Nachteil der Mutter und ihres Einflusses auf die Kinder.
In der Literatur wird nun die Ansicht vertreten (Bosch, FamRZ 1959 S.265 [266]), eine Benachteiligung der Mutter liege nicht vor, weil § 1628 Abs. 1 mit § 1356 Abs. 1 BGB "zusammengesehen" werden müsse; dadurch werde die natürliche Aufgabenteilung der Eltern bestätigt: die Frau könne im Rahmen ihrer selbständigen Haushaltsführung auch die in diesem Rahmen gelegenen Kindesangelegenheiten selbständig regeln und entscheiden. Im Ergebnis werde danach die Mutter "fast stets", der Vater "nur äußerst selten und ausnahmsweise" entscheiden.
Für eine solche "verfassungskonforme" Auslegung bietet die Entstehungsgeschichte keinerlei Anhalt; sie widerspricht überdies den herkömmlichen Interpretationsgrundsätzen, aus denen sich ergibt, daß für das Spezialgebiet der elterlichen Gewalt die besondere und erschöpfende Regelung der §§ 1626 ff. an die Stelle des im Titel "Wirkungen der Ehe im Allgemeinen" in einem Satz ausgesprochenen allgemeinen Grundsatzes der selbständigen Haushaltsführung tritt. Auch wird übersehen, daß sich irgendwelche wesentlichen Entscheidungen in Fragen der Sorge und Erziehung nicht unter den Begriff der Haushaltsführung bringen lassen.
2. Die Zurücksetzung der Mutter bei der Regelung der elterlichen Gewalt wird nicht durch übergreifende verfassungsrechtliche Gesichtspunkte gerechtfertigt, d. h. durch Wertentscheidungen, hinter denen das Prinzip der Gleichberechtigung der Frau in der Familie zurücktreten müßte. Als solche Wertentscheidungen sind die Einheit der Familie und das Wohl des Kindes berufen worden, jedoch ohne überzeugende Begründung.
a) Die Frage nach der Wechselbeziehung von "Gleichberechtigung" und "Einheit der Familie" darf nicht dahin gestellt werden, ob die zu prüfende Regelung noch mit der Einheit der Familie vereinbar ist, was zweifellos zu bejahen wäre. Die zu prüfenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches stünden mit dem Grundgesetz vielmehr nur dann in Einklang, wenn eine Gleichordnung der Eltern im Rahmen der Familieneinheit unmöglich wäre; denn Gleichberechtigung der Eltern ist das Prinzip des Grundgesetzes. Es läßt Ausnahmen nur zu, wenn sich erweisen ließe, daß seine uneingeschränkte Durchführung die Einheit der Familie zerstören, mindestens ernstlich gefährden würde.
b) Die Frage, ob die Einheit der Familie die primäre Zuständigkeit des Vaters für die Konfliktentscheidung notwendig fordert, ist vielfach auf der Grundlage naturrechtlicher Vorstellungen erörtert worden. Die verfassungsrechtliche Prüfung an diesen Vorstellungen zu orientieren, verbietet sich jedoch schon durch die Vielfalt der Naturrechtslehren, die zutage tritt, sobald der Bereich fundamentaler Rechtsgrundsätze verlassen wird, und die sich vor allem bei der Erörterung der innerhalb der naturrechtlichen Diskussion selbst sehr bestrittenen Fragen des Verhältnisses "Naturrecht und Geschichtlichkeit", "Naturrecht und positives Recht" zeigt. Für die hier vorzunehmende Prüfung kommt daher als Maßstab nur das Grundgesetz in Betracht.
c) Aus der allgemeinen Werteordnung der Verfassung, die sich zur Würde des Menschen, zur Freiheit und zur Gleichheit bekennt, folgt für das Elternrecht die Regel: "Soviel gleiche Freiheit wie möglich." Es bleibt aber die Frage, ob das Entscheidungsrecht des Vaters notwendig ist, weil in einer aus zwei Personen bestehenden Gemeinschaft nicht nach Mehrheit entschieden werden kann und weil etwa die Entscheidung einer Drittinstanz rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Das Argument, in einer Gemeinschaft von zweien müsse im Streitfall einer entscheiden, hat viel von seiner Überzeugungskraft eingebüßt, weil es in gleicher Weise auch für das Entscheidungsrecht des Mannes als Ehemann (§ 1354 BGB) vorgebracht worden ist und den Gesetzgeber doch nicht gehindert hat, diese Bestimmung ersatzlos zu streichen und sich auf die Einsicht der Ehegatten und die Macht der täglichen Notwendigkeiten zu verlassen. Im übrigen erweisen Beispiele aus verschiedenen Rechtsgebieten die These als irrig, daß in einer Gemeinschaft von zwei Personen das Entscheidungsrecht einem zustehen müsse. Gerade auch im Familienrecht gibt es seit langem Fälle der Koordinierung, so für die Eltern selbst (§ 1747 BGB, § 3 Abs. 3 EheG, § 2 Abs. 2 RelKindErzG), ferner bei mehreren Vormündern (§ 1797 BGB), ähnlich bei Beistandschaft (§ 1690 BGB a. F.) und Pflegschaft (§ 1629 BGB a. F.).
Die Willensbildung einer Gemeinschaft kann auch von einem anderen Prinzip getragen werden als dem der Abstimmung oder des "Stichentscheids", nämlich von der Pflicht zur Verständigung und zur Treue gegenüber der Gemeinschaft. Diese Pflicht mag zwar nicht so automatisch wirken wie eine Entscheidung durch Abstimmung oder durch einen Partner allein; sie ist jedoch stark genug, um notwendige gemeinsame Entscheidungen herbeizuführen (vgl. BVerfGE 1, 299 [315]). Im Alltag der Familie ergeben sich solche gemeinsamen Entscheidungen ohne weiteres daraus, daß die Eltern einander für die Sachbereiche, mit denen der eine oder andere besonders zu tun hat, die Entscheidung überlassen. Für die wenigen grundsätzlichen Entscheidungen gibt das Wohl des Kindes und der Familie einen Maßstab, der in aller Regel genügen wird, um sicherzustellen, daß ein konkreter Entschluß durch natürliche Übereinstimmung oder durch beiderseitiges oder einseitiges Nachgeben zustande kommt. In den fünf Jahren praktischer Verwirklichung der Gleichberechtigung der Eltern sind die Vormundschaftsgerichte nur in vereinzelten Fällen von nicht getrennt lebenden Eheleuten angerufen worden (vgl. die von der Abg. Dr. Dr. Marie-Elisabeth Lüders bei der Beratung des Gleichberechtigungsgesetzes im Bundestag auf Grund amtlicher Unterlagen mitgeteilten Zahlen: BT II/1953, StenBer. S. 11778). Das legt die Vermutung nahe, daß man dieser Form der Willensbildung, der Übereinstimmung der Ansichten und der Bereitschaft zum Nachgeben vertrauen darf, so daß die ausdrückliche Einsetzung einer Entscheidungsinstanz nicht erforderlich wäre. Ließe sich ausnahmsweise eine Einigung nicht erzielen, so wäre selbst das Unterbleiben einer Entscheidung mindestens dann nicht unbedingt schädlich, wenn das Eingreifen des Vormundschaftsgerichts nach § 1666 BGB durch Gesetzgebung oder Rechtsprechung schon bei Erfüllung des objektiven Tatbestandes, also ohne Verschulden eines Sorgeberechtigten, ermöglicht würde. So ist jedenfalls Schweden im Bereich der persönlichen Sorge seit 1920 verfahren (vgl. Müller-Freienfels, JZ 1957 S. 685 [695]; Simson, Zschr. f. Ausl. u. Intern. PrivR 1953 S. 141 [143]).
Hält man es jedoch für erforderlich, für das Zustandekommen einer Entscheidung gesetzlich Vorsorge zu treffen, so läge es in der Tradition des deutschen Rechts, für den Fall, daß Uneinigkeit der Eltern das Wohl der Kinder gefährdet, die Anrufung des Vormundschaftsgerichts zur Entscheidung zu ermöglichen. Die vormundschaftsgerichtliche Lösung in der einen oder anderen Form hat auch in der öffentlichen Diskussion im Vordergrund gestanden (vgl. z.B. den Vorschlag des 38. DJT, 1950 und die übereinstimmenden Vorschläge von SPD, FDP und 13 Abgeordneten der CDU/CSU [BT II/1953, Umdr. 1031 neu, 1032 Ziff. 2, 1037 Ziff. 2a]). Entgegen den vorgebrachten Bedenken ist das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, daß bei Beschränkung auf den ernsten Fall einer Gefährdung des Wohles des Kindes diese Lösung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre. Sie ist es namentlich auch dann nicht, wenn man sich zu dem Grundsatz der "Subsidiarität" in dem Sinne bekennt, daß in erster Linie die kleinere Gemeinschaft wirken soll und mit staatlichen Mitteln erst einzugreifen ist, wenn es unausweichlich wird, und wenn man weiter annimmt, daß dieses Prinzip in Art. 6 Abs. 2 GG ("zuvorderst") Ausdruck gefunden hat. Zum Inhalt des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG als Freiheitsgarantie für Ehe und Familie gehört es allerdings, diese prinzipiell in erster Linie wirken und den Staat nur insoweit eingreifen zu lassen, als sie nicht ausreichen (vgl. BVerfGE 7, 320 [323]). Dem Staat ist hiernach allgemein Zurückhaltung geboten.
Das Vormundschaftsgericht würde dementsprechend nach den bisher diskutierten Vorschlägen nicht an Stelle des Vaters als primär entscheidendes Organ in die Familie einzuführen sein.
In dem durch Beseitigung des Letztentscheidungsrechts des Mannes frei gewordenen Raum sollten vielmehr die Ehegatten und Eltern gemeinsam in gleicher Freiheit und Verantwortung das Schicksal der Familie, insbesondere die Erziehung der Kinder, gestalten. Wie bereits ausgeführt, ist anzunehmen, daß sich weitaus die meisten Meinungsverschiedenheiten innerhalb dieser Gemeinschaft von selbst erledigen werden. Nur wenn Eltern in einem wichtigen Punkt an dieser Aufgabe scheitern und das Wohl des Kindes es fordert, soll nach den bisher erörterten Vorschlägen der Vormundschaftsrichter als entscheidende Instanz "letzter Linie" bereitstehen. Damit wäre dem Grundsatz der Subsidiarität staatlichen Eingreifens Rechnung getragen; das Vormundschaftsgericht würde keine andere Rolle übernehmen als die, die ihm in zahlreichen ähnlichen Fällen zukommt, vielfach ohne daß Mißbrauch elterlicher Gewalt oder Pflichtwidrigkeit eines Sorgeberechtigten vorzuliegen braucht (vgl. - abgesehen von § 1643 BGB - z. B. §§ 1630 Abs. 2, 1666, 1671, 1672, 1727, 1750 Abs. 1, 1751, 1797 BGB, § 3 Abs. 3 EheG, § 2 Abs. 3 RelKindErzG). Das Vormundschaftsgericht nimmt in allen diesen Fällen das "Wächteramt" (Art. 6 Abs. 2 GG) der staatlichen Gemeinschaft wahr, dessen verfassungsrechtlicher Sinn es ist, objektive Verletzungen des Wohles des Kindes zu verhüten, unabhängig von einem Verschulden der Eltern.
Übrigens begegnet gerade vom Standpunkt des Subsidiaritätsprinzips aus die generelle gesetzliche Zuweisung von Entscheidungsrecht und Vertretungsmacht an den Vater Bedenken, weil dadurch mit einer allgemeinen Norm in den freien Ablauf der verfassungsmäßig den Eltern gemeinsam zustehenden Entscheidungsbildung eingegriffen wird (vgl. Elisabeth Schwarzhaupt, Gesellschaft und bürgerliches Recht, in: Hessische Hochschulwochen 21. Bd. [1959] S. 38 [54]). Eine solche normativ in alle Ehen eingreifende Formung des ehelichen Lebens wiegt schwerer als die gesetzliche Bereitstellung einer richterlichen Entscheidungsinstanz nur für die ernsten Konfliktsfälle. Das Prinzip des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG fordert gerade offenzulassen, wie die Entscheidungen in der Familie sich bilden. Dies entspricht auch allein der einem weltanschaulich nicht einheitlichen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland gestellten gesetzgeberischen Pflicht, das Recht so zu normieren, daß es den Bürgern die Freiheit läßt, bei der Gestaltung ihres Ehe- und Familienlebens ihren religiösen und weltanschaulichen Verpflichtungen mit allen Konsequenzen nachzuleben (vgl. v. Nell-Breuning, Wirtschaft und Gesellschaft heute, Bd. II S. 319). Es muß hiernach den Ehegatten überlassen bleiben, auch im Bereich der elterlichen Gewalt ihre Ehe unter Wahrung der Gleichberechtigung der Geschlechter zu führen oder den Vater im Konfliktsfall entscheiden zu lassen. Tatsächlich vollzieht sich auch die Willensbildung von Familie zu Familie und von Fall zu Fall verschieden. In diesen natürlichen Vorgang greift aber § 1628 Abs. 1 BGB ein.
d) Auch die praktischen Bedenken, die gegen die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts erhoben worden sind, können dem Gleichberechtigungsprinzip gegenüber kein entscheidendes Gewicht haben - zumal es nach den Erfahrungen der Jahre 1953 bis 1958 scheint, als ob ihre Bedeutung überschätzt würde. Die Verzögerung einer wichtigen Entscheidung ist auch nicht ausgeschlossen, wenn der Vater allein entscheidet (vgl. z.B. KG in JFG 13, 33 und KGJ 46, 45 sowie das in der mündlichen Verhandlung vorgetragene, nicht veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Mai 1954 - 4 StR 859/53 -), und ebensowenig bei der jetzigen Regelung der elterlichen Gewalt, wenn die Mutter das Vormundschaftsgericht anruft.
Die Gefahr, daß die Vormundschaftsgerichte quantitativ oder hinsichtlich des Inhalts der von ihnen zu treffenden Entscheidung überfordert würden, ist durch die Erfahrung nicht bestätigt worden, wie die bereits erwähnten Mitteilungen der Abg. Dr. Dr. Lüders bei der Beratung des Gleichberechtigungsgesetzes im Bundestag ergeben. Auch sind aus jenen Jahren keine Klagen darüber bekannt geworden, daß dem Richter "injustiziable" Fragen zur Entscheidung vorgelegt worden seien. Es handelt sich um Fragen des Wohles des Kindes, wie sie der Vormundschaftsrichter ihrer Art nach auch in hergebrachten Fällen zu entscheiden hat. Im übrigen hat der Vormundschaftsrichter, falls ihm die Entscheidungszuständigkeit im Sinne eines der obenerwähnten Gesetzesvorschläge zugewiesen werden sollte, im allgemeinen keine eigentliche Sachentscheidung zu treffen, sondern nur entweder Gruppen von Angelegenheiten einem Elternteil zu übertragen oder, bei Einzelentscheidungen, dem Vorschlag eines Elternteiles zu folgen, es sei denn, daß die Vorschläge beider Eltern das Wohl des Kindes gefährden. Die Rechtsprechung aus der fraglichen Zeit zeigt, daß für den Richter genügend objektive Anhaltspunkte vorhanden waren, um sich ein Urteil darüber zu bilden, ob die Auffassung von Vater oder Mutter dem Wohle des Kindes besser dient. Das beweist vor allem die langjährige Rechtsprechung zu dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung, das dem Richter die Aufgabe stellt, durch eine Analyse der tatsächlichen Gegebenheiten das Verhältnis der konkreten Ehe und Familie zu einer bestimmten Religion aufzuhellen und auf Grund des so festgestellten Tatbestandes über die größere oder geringere Übereinstimmung der einen oder der anderen Meinung mit der Situation in dieser Familie zu entscheiden. Die Entscheidungen, die der Vormundschaftsrichter bei schwerwiegenden, unlöslichen Konflikten zu treffen hätte, wären sachlich jedenfalls nicht schwieriger; geeignete objektive Kriterien für die Entscheidung ließen sich auch da finden.
e) Die Gleichordnung der Eltern im Entscheidungsrecht gefährdet auch nicht das Wohl des Kindes.
Die in § 1627 BGB aufgestellte Grundregel, wonach die elterliche Gewalt dem Vater und der Mutter zusteht, die sie in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohle des Kindes auszuüben haben, bringt in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 2 GG die Überzeugung zum Ausdruck, daß die gemeinsame, einverständliche Erziehung dem Wohle des Kindes am besten dient. Können sich die Eltern nicht einigen, so wird es sich häufig um eine gestörte Ehe handeln. Gerade dann aber bedarf es um des Kindes willen des gleichberechtigten mütterlichen Einflusses in verstärktem Maße; denn wie Erfahrungen zeigen, besteht bei brüchiger Ehe häufig die Gefahr, daß das Interesse des Vaters am Wohle der Kinder sich mit seiner Entfremdung von der Mutter mindert. In solcher Lage kann die Mutter ihre Pflicht gegenüber dem Kinde nur erfüllen, wenn das Gesetz ihr den gleichen Einfluß gewährt wie dem Vater. Erschwert es ihr dies, indem es die Entscheidung ausnahmslos dem Vater anvertraut und sie darauf verweist, das Gericht anzurufen, so verleitet es sie dazu, um des Friedens willen sogar Entscheidungen des Vaters hinzunehmen, denen entgegenzutreten sie um ihres Gewissens und um des Kindes willen verpflichtet wäre.
Hiergegen kann nicht eingewandt werden, daß die Mutter auch bei Gleichordnung der Eltern ihre Meinung nur mit Hilfe des Richters gegen den Vater durchsetzen könnte. Denn die Lage ist von vornherein psychologisch verschieden, je nachdem ob beide Teile den gleichen Einfluß haben und damit beide grundsätzlich auf eine Einigung angewiesen sind oder ob der eine sich im Besitze der Entscheidungsbefugnis weiß. Ferner ist es etwas anderes, wenn Vater oder Mutter allein oder gemeinsam einen vormundschaftsgerichtlichen Spruch erbitten, weil man sich nicht darüber einigen könne, was dem Wohle des Kindes am besten diene, als wenn der harte Antrag aus § 1628 Abs. 2 oder gar Abs. 3 BGB gestellt wird.
Dafür, daß die Gleichordnung der Eltern nicht weniger geeignet ist, dem Wohle des Kindes zu dienen, als das Entscheidungsrecht des Vaters, spricht auch die volle Gleichordnung in einigen besonders wichtigen Fällen nach geltendem Recht (bei Adoption - § 1747 BGB -, bei Einwilligung zur Eheschließung - § 3 Abs. 3 EheG - und bei Wechsel der religiösen Erziehung - § 2 Abs. 2 RelKindErzG -). Es ist nicht einzusehen, warum die Sicherung des mütterlichen Einflusses bei anderen wichtigen Entscheidungen weniger Bedeutung haben und zum Wohle des Kindes weniger beitragen sollte als in jenen Fällen.
IV.
Da das Entscheidungsrecht des Vaters für die Mutter eine Benachteiligung darstellt, die sich nicht aus übergreifenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen rechtfertigen läßt, verstößt § 1628 Abs. 1 BGB gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG; er ist deshalb nichtig. Mit dem Wegfall des § 1628 Abs. 1 BGB werden die beiden folgenden Absätze gegenstandslos; sie werden daher von der Nichtigkeit mit ergriffen .
Auch § 1 629 Abs. 1 BGB kann in seiner gegenwärtigen Fassung nicht aufrechterhalten bleiben. Abgesehen davon, daß er ausdrücklich auf § 1628 Abs. 2 und 3 verweist, steht er in einem engen inneren Zusammenhang mit § 1628 Abs. 1. Die Bestimmung über das alleinige Vertretungsrecht des Vaters leitet sich aus seinem Entscheidungsrecht her. § 1629 Abs. 1 BGB "verlängert" dieses Entscheidungsrecht in den außerhäuslichen Bereich: Weil der Vater im Konfliktsfall allein entscheidet, soll er auch das Kind allein vertreten. Das ergibt sich eindeutig aus der Entstehungsgeschichte des Gleichberechtigungsgesetzes; man hielt es nicht für sinnvoll, der Mutter die Mitvertretung bei Entscheidungen zu übertragen, die unter Umständen gegen ihren Willen getroffen worden sind (vgl. Regierungsentwurf : BT II/1953, Drucks. 224 S. 59). Auch im Bundestag wurde die Vertretungsmacht des Vaters als Folge seines Entscheidungsrechts behandelt (BT III 1953, zu Drucks. 3409 S. 41). § 1629 Abs. 1 BGB läßt sich nicht aus diesem Zusammenhang mit dem Entscheidungsrecht lösen. Könnte er unabhängig von der Regelung in § 1628 BGB als eine selbständige Normierung des Alleinvertretungsrechts des Vaters verstanden werden, so entstünde ein schwer erklärbarer Widerspruch zu § 1626 Abs. 2 letzter Halbsatz. Dort ist das Prinzip ausgesprochen, daß die Vertretungsbefugnis ein Teil des Sorgerechts ist, das seinerseits den wichtigsten Inhalt der Vater und Mutter gemeinsam zustehenden elterlichen Gewalt bildet. Von dieser Grundlage aus wäre ohne den Zusammenhang mit § 1628 BGB nicht zu verstehen, warum § 1629 Abs. 1 allgemein das Alleinvertretungsrecht des Vaters festgelegt haben sollte. Erklärt sich diese Bestimmung nur aus dem besonderen, engen Zusammenhang mit § 1628 Abs. 1, so ist sie schon deswegen ebenfalls verfassungswidrig und daher nichtig.
Damit ist nicht gesagt, daß eine Alleinvertretung des Kindes durch einen Elternteil schon an sich und unter allen Umständen eine durch den Gleichberechtigungssatz verbotene Diskriminierung des andern Elternteils wäre. Eine Gesamtvertretung durch die Eltern in allen Angelegenheiten ist zwar nicht undurchführbar, wie die Erfahrungen in den fünf Jahren elterlicher Gleichberechtigung erwiesen haben. Es mag jedoch Fälle geben, in denen verständige Rücksicht auf die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs die Vertretung durch einen Elternteil allein geboten erscheinen läßt. Dabei darf selbstverständlich der Einfluß des mit der Entscheidung nicht einverstandenen anderen Teils, der präsumtiv ebenfalls das Wohl des Kindes im Auge hat, nicht schutzlos bleiben. In der bisherigen Diskussion sind bereits Vorschläge in dieser Richtung gemacht worden.