BVerfGE 13, 248 - Rentenverzögerung
Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG kann der normsetzenden Exekutive unter besonderen Umständen Differenzierungen verbieten, die durch die ihr erteilte gesetzliche Ermächtigung an sich noch gedeckt wären.
 
Urteil
des Ersten Senats vom 13. Dezember 1961 auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 1961
– 1 BvR 1137/59, 278/60 –
in dem Verfahren über die zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden I. 1. des Herrn... [bis] 31.... – 1 BvR 1137/59 – , II. des... – 1 BvR 278/60 – , gegen Vorschriften der Zweiten und Dritten Verordnung zur Änderung der Ersten, Zweiten und Dritten Verordnung zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes.
 
Entscheidungsformel:
Die Regelungen der Zweiten und Dritten Verordnung zur Änderung der Ersten, Zweiten und Dritten Verordnung zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 25. Februar 1960 (Bundesgesetzbl. I S. 130) und vom 8. Mai 1961 (Bundesgesetzbl. I S. 521) verletzen das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit sie den monatlichen Rentenhöchstbetrag des § 83 Absatz 2 und des § 95 Absatz 1 des Bundesentschädigungsgesetzes erst mit Wirkung vom 1. April 1959 und nicht schon mit Wirkung vom 1. April 1957 erhöhen. Sie sind insoweit verfassungswidrig.
 
Gründe:
 
A.
1. Das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz – BEG) in der Fassung vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 559) regelt u. a. die Entschädigung für Schaden im beruflichen Fortkommen. Es wird entweder eine Kapitalentschädigung oder eine Rente gewährt (SS 74, 81 BEG). Die Kapitalentschädigung hängt von der Dauer der Erwerbsbehinderung ab; sie wird errechnet auf der Grundlage von drei Vierteln der Dienstbezüge, die einem vergleichbaren Bundesbeamten im Zeitpunkt seiner Entlassung zugestanden hätten (§§ 76, 78, 92), und darf für den einzelnen Verfolgten 40 000 Deutsche Mark nicht übersteigen (§ 123 Abs. 1). An ihrer Stelle kann der Verfolgte unter gewissen Voraussetzungen eine Rente wählen (§§ 81, 82, 93, 94). Diese wird bei Schädigung in einem selbständigen Beruf ohne Rücksicht auf die Höhe der Kapitalentschädigung auf Lebenszeit geleistet (§ 81 Satz 2); errechnet wird sie auf der Grundlage von zwei Dritteln der Versorgungsbezüge eines vergleichbaren Bundesbeamten (§ 83 Abs. 1 Satz 1). Bei Schädigung in einem unselbständigen Beruf hingegen sind das Lebensalter des Verfolgten und die ihm zustehende Kapitalentschädigung angemessen zu berücksichtigen (§ 93 Satz 2). In beiden Fällen ist der Höchstbetrag der monatlichen Rente 600 DM (§ 83 Abs. 2; § 95 Abs. 1). Stirbt der Verfolgte, nachdem er die Rente gewählt hat, so erhält die Witwe 60 % der ihm zustehenden Rente (§ 85 Abs. 2, § 97 Abs. 1).
§ 126 Abs. 1 BEG ermächtigt die Bundesregierung, zur Durchführung des Gesetzes Rechtsverordnungen über die Entschädigung wegen Schadens im beruflichen Fortkommen zu erlassen und dabei Tabellen für das zugrunde zu legende durchschnittliche Diensteinkommen und die durchschnittlichen Versorgungsbezüge vergleichbarer Bundesbeamten aufzustellen. Anschließend bestimmt § 126 Abs. 2 BEG:
    "Die Bundesregierung wird ferner ermächtigt, durch Rechtsverordnung die monatlichen Höchstbeträge der Rente nach § 83 Abs. 2, § 95 Abs. 1 angemessen zu erhöhen, wenn sich die Dienst- und Versorgungsbezüge der Bundesbeamten auf Grund gesetzlicher Vorschriften erhöhen."
Ähnliche Ermächtigungen finden sich hinsichtlich der Entschädigung wegen Schadens an Leben und an Körper und Gesundheit (§§ 27, 42). Die Bundesregierung ist hier insbesondere ermächtigt, die monatlichen Mindestrenten angemessen zu erhöhen, wenn sich die Dienst- und Versorgungsbezüge der Bundesbeamten auf Grund gesetzlicher Vorschriften erhöhen. Rechtsverordnungen auf Grund aller dieser Ermächtigungen bedürfen nach Art. 80 Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrats.
Die Bundesregierung hat mehrere Durchführungsverordnungen zum Bundesentschädigungsgesetz erlassen. Die Dritte Verordnung zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes (3. DV-BEG) vom 20. März 1957 (BGBl. I S. 269) enthält nähere Bestimmungen über die Entschädigung für Schäden im beruflichen Fortkommen, darunter die der Bemessung von Kapitalentschädigung und Rente zugrunde zu legenden "Übersichten" über das durchschnittliche Diensteinkommen und die durchschnittlichen Versorgungsbezüge vergleichbarer Bundesbeamten. Diese Verordnung trat ebenso wie das Bundesentschädigungsgesetz selbst mit Wirkung vom 1. Oktober 1953 in Kraft (§ 241 BEG, § 43 3. DV-BEG).
2. Nach der Neuregelung der Besoldung der Bundesbeamten durch das Bundesbesoldungsgesetz vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 993) beabsichtigte die Bundesregierung eine Änderung der Durchführungsverordnungen; neben einer allgemeinen Erhöhung der Verfolgtenrenten durch Ergänzung der Übersichten sah ihr Entwurf auch eine Erhöhung der Mindestbeträge der Renten bei Schaden an Leben, Körper und Gesundheit um rund 10% und der Höchstbeträge der Renten bei Schaden im beruflichen Fortkommen um 5 % auf monatlich 630 DM vor (BR Drucks. 25/58). Im Bundesrat hielt zwar der federführende Sonderausschuß für Wiedergutmachungsfragen eine Erhöhung der Höchstsätze einstimmig für geboten, weil alle anderen Renten um mehr als 5 % hinaufgesetzt worden seien. Dem trat aber der Finanzausschuß entgegen, da weder eine gesetzliche Verpflichtung noch ein begründeter Anlaß dazu bestehe. Ihm folgte der Bundesrat; er lehnte die strittigen Bestimmungen – Art. III Nr. 1 und 2 des Regierungsentwurfes – ab (190. Sitzung vom 14. März 1958, BR Prot. 1958, 74 f.).
Die Bundesregierung leitete ihren Entwurf – insoweit unverändert – dem Bundesrat erneut zu mit dem Hinweis, zwar bestehe keine unmittelbare rechtliche, wohl aber eine moralische Verpflichtung, die Höchstbeträge hinaufzusetzen (vgl. BR Drucks. 157/58). Der Bundesrat blieb nach eingehender Erörterung in der 196. Sitzung bei seinem früheren Beschluß (197. Sitzung vom 24. Oktober 1958, BR Prot. 1958, 219). Demgemäß enthielt die (Erste) Verordnung zur Änderung der Ersten, Zweiten und Dritten Verordnung zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 16. Dezember 1958 (BGBl. I S. 941) keine Erhöhung der Höchstbeträge der Renten wegen Schadens im beruflichen Fortkommen, während die Renten im allgemeinen und insbesondere auch die Mindestbeträge der Renten für Schaden an Leben, Körper und Gesundheit mit Rückwirkung auf den 1. April 1957 erhöht wurden (Art. VII der Verordnung).
Im Hinblick auf die frühere ablehnende Haltung des Bundesrats sah die Bundesregierung davon ab, in ihrem am 29. Oktober 1959 dem Bundesrat vorgelegten Entwurf einer Zweiten Verordnung zur Änderung der Ersten, Zweiten und Dritten Verordnung zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes erneut eine Erhöhung der Höchstbeträge vorzusehen (BR Drucks. 345/59). Diesmal aber griff der Bundesrat seinerseits auf den früheren Vorschlag der Bundesregierung zurück. Während der Sonderausschuß für Wiedergutmachung die Erhöhung mit Rückwirkung auf den 1. April 1957 befürwortete, schlug der Finanzausschuß eine Erhöhung mit Wirkung vom 1. April 1959 vor. Er begründete seine Ansicht damit, seit der letzten Beschlußfassung des Bundesrats in dieser Sache hätten sich die Lebenshaltungskosten nicht unwesentlich verändert (BR Drucks. 345/1/59). Der Bundesrat schloß sich der Ansicht des Finanzausschusses an (213. Sitzung vom 18. Dezember 1959, BR Prot. 1959, 281).
Demgemäß setzte die Zweite Verordnung zur Änderung der Ersten, Zweiten und Dritten Verordnung zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 25. Februar 1960 (BGBl. I S. 130) die Rentenhöchstbeträge mit Wirkung vom 1. April 1959 auf 630 DM hinauf (Art. III, Zweiter Abschnitt, Nr. 1 und 2; Art. VI Satz 2).
Art. III der Dritten Verordnung zur Änderung der Ersten, Zweiten und Dritten Verordnung zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 8. Mai 1961 (BGBl. I S. 521) erhöhte erneut einen großen Teil der Renten des Bundesentschädigungsgesetzes, dabei auch die Höchstbeträge des § 83 Abs. 2 und des § 95 Abs. 1 BEG. Nach der durch Art. III Nr. 1 und 3 dieser Verordnung verfügten Änderung der §§ 22 a und 33 a der 3. DV-BEG sind die monatlichen Höchstbeträge nunmehr:
    vom 1. April 1959 bis 31. Mai 1960 630 DM
    vom 1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1960 660 DM
    ab 1. Januar 1961 700 DM
Für die Zeit bis zum 31. März 1959 bewendet es also bei dem im Gesetz selbst vorgesehenen Höchstbetrag von 600 DM.
3. Die Beschwerdeführer erhalten wegen Schadens im beruflichen Fortkommen die gesetzliche Höchstrente, also für die Zeit vor dem 1. April 1959 je 600 DM monatlich, die Beschwerdeführerinnen zu I 20), 23) und 26) als Witwen Verfolgter je 60 % hiervon. Alle Beschwerdeführer wenden sich dagegen, daß die Rentenhöchstbeträge erst mit Wirkung vom 1. April 1959 und nicht schon vom 1. April 1957 hinaufgesetzt worden seien; dadurch werde ihr Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
4. Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung erhielten Gelegenheit zur Äußerung. Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerden für unzulässig, da sie in Wahrheit gegen ein Unterlassen der normsetzenden Exekutive gerichtet seien; es fehle aber an einem klaren Verfassungsauftrag. Hilfsweise hält die Bundesregierung die Verfassungsbeschwerden für unbegründet.
In der mündlichen Verhandlung waren die Beschwerdeführer zu I) und die Bundesregierung vertreten.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.
Die Verfassungsbeschwerden richten sich, wie die Beschwerdeführer zu I) in der mündlichen Verhandlung klargestellt haben, dagegen, daß die normsetzende Exekutive in der Zweiten und ebenso in der Dritten Änderungsverordnung für das Inkrafttreten der erhöhten Höchstbeträge einen späteren Zeitpunkt festgesetzt hat als für die übrigen Rentenerhöhungen. Das ist auch der Inhalt der Ausführungen des Beschwerdeführers zu II). Es wird also geltend gemacht, daß die normsetzende Exekutive durch positives Handeln das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt habe, und Abhilfe durch Feststellung dieser Verletzung begehrt. Eine Verfassungsbeschwerde mit diesem Ziel ist zulässig (vgl. BVerfGE 6, 246). Die Jahresfrist des § 93 Abs. 2 BVerfGG, die auch für Rechtsverordnungen gilt, ist gewahrt.
 
C.
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Art. 3 Abs. 1 GG kann der normsetzenden Exekutive unter besonderen Umständen Differenzierungen verbieten, die durch die ihr erteilte gesetzliche Ermächtigung an sich noch gedeckt wären (vgl. BVerfGE 6, 273 [281]).
1. a) § 126 BEG enthält – ähnlich wie die §§ 27 und 42 – in seinen beiden Absätzen verschiedene Ermächtigungen. Die allgemeine Ermächtigung des Absatzes 1 soll den Gesetzgeber von technischen Details entlasten, deren Regelung infolge der Verwendung der Beamtenbezüge als Maßstab für die Entschädigungsleistungen notwendig wird; zugleich soll sie vom Gesetz weithin vorgeschriebene Anpassungen der Renten an die jeweiligen Beamtenbezüge auf einfachem Wege ermöglichen (vgl. den Wortlaut des § 18 Abs. 3 und des § 31 Abs. 4). Diesem Zweck dienen auch die Ermächtigungen zur Erhöhung der Mindestrenten in § 27 Abs. 2 und § 42 Abs. 2 und die umstrittene Ermächtigung zur Erhöhung der Rentenhöchstbeträge in § 126 Abs. 2 BEG.
Weder Absatz 1 noch Absatz 2 des § 126 BEG verpflichten die Bundesregierung ausdrücklich, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen. Für § 126 Abs. 1 ergibt sich aber eine solche Verpflichtung daraus, daß ohne diese Durchführungsbestimmungen die Entschädigungsregelung des Bundesentschädigungsgesetzes nicht praktikabel ist. Der in beiden Absätzen in gleicher Weise gebrauchte Ausdruck "Ermächtigung" muß also nicht notwendig im Sinne völliger Freiheit der ermächtigten Stelle verstanden werden. Wird aber für den Fall, daß eine gesetzgeberische Maßnahme zugunsten einer bestimmten Gruppe ergeht, die Exekutive ermächtigt, eine andere Gruppe entsprechend zu begünstigen, so wird diese Ermächtigung in der Regel den Sinn haben, daß von ihr Gebrauch gemacht werden soll. Daher kann in der Ermächtigung des § 126 Abs. 2 ein einem gesetzlichen Auftrag nahekommender Hinweis erblickt werden. Eine solche Deutung des § 126 Abs. 2 entspricht auch dem Geist der Wiedergutmachungsgesetzgebung, die der grundsätzlichen Pflicht zur Angleichung der Wiedergutmachungsrenten an die jeweiligen Beamtenbezüge genügen will (vgl. Nr. 1 7 des von der Bundesregierung mit Vertretern der Conference on Jewish Material Claims against Germany am 10. September 1952 vereinbarten Protokolls Nr. 1 – BGBl. 1953 II S. 85). Eine strikte Bindung des Verordnunggebers enthält § 126 Abs. 2 BEG auch bei diesem Verständnis nicht, wie schon die Ermächtigung zur "angemessenen" Regelung zeigt.
b) Eine Bindung kann sich aber aus der verfassungsrechtlichen Stellung des Verordnunggebers ergeben: Während der Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Spielraum für seine Gestaltung besitzt und dabei auch Gleich- wie Ungleichstellungen anordnen kann, wenn sie sachgerecht sind, ist der Verordnunggeber enger gebunden. Er kann verfassungsrechtlich von vornherein einen Gestaltungsraum nur innerhalb der ihm jeweils auf Grund des Art. 80 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen haben. Das Gleichheitsgebot bedeutet dann für den Verordnunggeber, daß er im wohlverstandenen Sinne der ihm erteilten Ermächtigung zu handeln hat. Nur so wird die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auch im Verhältnis zum Verordnunggeber gewahrt.
c) Daraus ergibt sich folgendes: Hat eine allgemeine Erhöhung der Beamtenbezüge von Gewicht stattgefunden, so mag der Verordnunggeber unter Umständen schon hierdurch verpflichtet sein, von seiner Ermächtigung aus § 126 Abs. 2 BEG Gebrauch zu machen, Das kann jedoch dahinstehen; denn jedenfalls besteht diese Verpflichtung dann, wenn der Verordnunggeber – hier auf Grund anderer Ermächtigungen des gleichen Gesetzes – jene Erhöhung zum Anlaß genommen hat, die Wiedergutmachungsrenten allgemein hinaufzusetzen. Sonst verzerrt sich die vom Gesetzgeber gewollte Relation der Renten zueinander; eine Korrektur von Entscheidungen des Gesetzgebers über die Angemessenheit der den verschiedenen Gruppen von Verfolgten zukommenden Entschädigungen liegt aber außerhalb der Grenzen der Ermächtigung.
2. Das Bundesentschädigungsgesetz begrenzt fast überall die den Geschädigten zustehenden Leistungen durch Festsetzung von Höchstbeträgen; nur dadurch konnte erreicht werden, daß alle Berechtigten einigermaßen entschädigt wurden. Verfassungsrechtlich sind solche Höchstgrenzen unbedenklich; ihr gesetzespolitischer Zweck rechtfertigt aber noch nicht ohne weiteres, sie bei einer allgemeinen Erhöhung der Leistungen auszunehmen.
Die Rentenhöchstbeträge für Schäden im beruflichen Fortkommen wirken sich vor allem für die früher Selbständigen aus. Die früher in unselbständigen Berufen tätig Gewesenen haben in den meisten Fällen eine Versorgung durch Sozialrenten oder betriebliche Alterssicherung; für sie bedeuten die Wiedergutmachungsrenten nur eine zusätzliche Versorgung (Begründung zu § 36 a des Entwurfs des Dritten Änderungsgesetzes, BTII/1953, Drucks. 1949 S. 146). Daher legte bereits Nr. 1 8 des erwähnten Protokolls Nr. 1 das Recht der früher freiberuflich Tätigen fest, anstelle der Kapitalentschädigung eine Rente zu wählen, ohne für die in unselbständigen Berufen Geschädigten ein entsprechendes Recht vorzusehen. Von dieser Überlegung geht auch das Bundesentschädigungsgesetz aus. Infolge der Anrechnung nicht nur des durch anderweitige Verwertung der Arbeitskraft erzielten Einkommens, sondern auch der Zuwendungen früherer Arbeitgeber auf die – auch die Rente mitbestimmende – Kapitalentschädigung (§ 92 Abs. 3) gelangen nur wenige Verfolgte, die früher in unselbständigen Berufen tätig waren, in den Genuß einer Rente, die den Höchstbetrag des § 95 Abs. 1 BEG überschreiten würde. Das Schwergewicht der Rentenregelung liegt daher bei den Renten für die Selbständigen.
Bei dieser Gruppe führt die unmittelbare Abhängigkeit der Rente von den Versorgungsbezügen vergleichbarer Bundesbeamten dazu, daß die Höchstgrenze sich nur auf die beiden obersten Altersgruppen der den Beamten des höheren Dienstes vergleichbaren Geschädigten auswirkt, während alle anderen den Betrag von 600 DM monatlich nicht erreichen. Nach der § 22 der 3. DV-BEG als Anlage 4 beigegebenen Besoldungsübersicht (BGBl. 1957 I S. 280) sind dies die Gruppen der Rentenberechtigten vom vollendeten 45. Lebensjahr ab; nur für sie ist auf der Grundlage der damals geltenden Besoldungsvorschriften die Höchstgrenze des § 83 Abs. 2 BEG wirksam geworden. Diese Höchstgrenze war auch der Ausgangspunkt für den Gebrauch der Ermächtigung des § 126 Abs. 2. Deshalb entsprach es dem Sinn des Gesetzes nicht, wenn die Beibehaltung der Höchstgrenze von 600 DM monatlich in der Ersten Änderungsverordnung die beiden genannten Gruppen von Rentenempfängern auf dem Stande vom 1. April 1957 festhielt, obwohl sonst die Renten des Bundesentschädigungsgesetzes im allgemeinen und insbesondere die im Vordergrund stehenden Renten der Freiberuflichen erhöht wurden. Bei den engen Grenzen des dem Verordnunggeber zustehenden Ermessens wäre diese Differenzierung nur zulässig gewesen, wenn besondere Gründe sie als "angemessen" hätten erscheinen lassen.
3. Solche Gründe sind nicht ersichtlich.
a) Die Bundesregierung hat darauf hingewiesen, daß die Leistungen des Bundesentschädigungsgesetzes nicht allgemein erhöht worden seien; weder die an verschiedenen Stellen vorgesehenen Festrenten noch die Kapitalentschädigungen noch auch die für diese durchweg geltenden Höchstgrenzen seien hinaufgesetzt worden.
Dieser Einwand ist nicht begründet. Außer Betracht zu bleiben haben zunächst die Festrenten der §§ 156 und 168 BEG. Die Empfänger dieser Renten gehören nicht zu den nach § 4 BEG voll Entschädigungsberechtigten; daher haben sie nur einen "nach Art und Umfang beschränkten Anspruch auf Entschädigung" (§ 149); die ihnen gewährte Festrente trägt den Charakter einer Härteregelung. Auszuscheiden haben ferner die Renten bei Versorgungsschäden (§ 136); bei ihnen bestand der Schaden gerade im Verlust einer festen Rente. Eine Abhängigkeit von den Beamtenbezügen besteht in all diesen Fällen nicht, weshalb auch keine Ermächtigung der Bundesregierung zu ihrer Änderung vorgesehen ist.
Ebensowenig ist von Bedeutung, daß die verschiedenen Kapitalentschädigungen und die hierfür festgesetzten Höchstbeträge nicht hinaufgesetzt wurden. Zwischen Kapitalentschädigung und Rente bestehen erhebliche sachliche Unterschiede. Die Kapitalentschädigung vermeidet jede Ungewißheit, insbesondere die der individuellen Lebensdauer eines Rentenbeziehers. Mit ihrer Gewährung soll zugunsten wie zu Lasten des Empfängers die Wiedergutmachung abgeschlossen sein. Zu ihrer Anpassung an Veränderungen der Beamtenbezüge oder der Lebenshaltungskosten besteht kein Anlaß; die Bundesregierung war hierzu auch nicht ermächtigt.
Unbegründet ist der Einwand der Bundesregierung, gerade bei den Schäden im beruflichen Fortkommen lege das Gesetz eine Relation der Höchstrente zu dem Höchstbetrag der Kapitalentschädigung – 40 000 DM, § 123 BEG – zugrunde, die nicht einseitig verschoben werden dürfe. Abgesehen davon, daß das Gesetz für die im Vordergrund stehende Rente der früher freiberuflich Tätigen in § 81 Satz 2 ausdrücklich bestimmt, daß die Rente von der Höhe der Kapitalentschädigung unabhängig ist, kennt das Gesetz den von der Bundesregierung behaupteten speziellen Zusammenhang zwischen der Höchstrente und dem Höchstkapital nicht; es hat ja zu einer Erhöhung der Rentenhöchstbeträge ermächtigt, ohne eine entsprechende Änderung des Höchstbetrages der Kapitalentschädigung zur Voraussetzung zu machen.
Allerdings ist die Rentenregelung für die früher Selbständigen wegen ihrer Lösung von der Kapitalentschädigung vielfach angegriffen worden. Es wurde eingewandt, die Regelung führe dazu, daß schon bei geringfügigen Schäden im beruflichen Fortkommen unter Umständen eine Rente gezahlt werden müsse, die – anders als die Kapitalentschädigung – außer Verhältnis zu dem Gewicht des erlittenen Schadens stehe. Diese Bedenken mögen an sich nicht unberechtigt sein; nachdem aber der Gesetzgeber sich für diese Regelung entschieden hatte, konnte es nicht Sache einer Durchführungsverordnung sein, diese Entscheidung zu korrigieren, noch weniger, durch Ablehnung einer Erhöhung der Rentenhöchstbeträge eine solche Korrektur unter Beschränkung auf einzelne Gruppen Geschädigter vorzunehmen.
b) Ebensowenig trägt der im Bundesrat vorgebrachte Hinweis darauf, daß Rentenleistungen aus anderen Gesetzen nicht gleichzeitig erhöht worden seien. Es ist offensichtlich, daß der Sachbezug zwischen den verschiedenen im Bundesentschädigungsgesetz geregelten Renten viel enger ist als der zwischen diesen Renten einerseits und den für einen Vergleich vorzugsweise in Betracht kommenden Renten nach dem Bundesversorgungsgesetz oder den Sozialversicherungsgesetzen andererseits. Das gilt insbesondere, wenn – wie hier – innerhalb einer Gruppe Verfolgter, nämlich der im beruflichen Fortkommen Geschädigten, differenziert wird, je nachdem, wie hoch die bisher gezahlte Rente ist. Bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise kann daher aus dem Umstand, daß andere Renten nicht gleichzeitig erhöht wurden, nichts für eine ungleiche Behandlung der einzelnen im Bundesentschädigungsgesetz geregelten Renten für Schäden im beruflichen Fortkommen untereinander hergeleitet werden.
c) Zur Rechtfertigung der verzögerten Erhöhung der Höchstrenten hat die Bundesregierung ferner vorgetragen, diese Erhöhung sei bereits bei Erlaß des Bundesentschädigungsgesetzes im Jahre 1956 vorweggenommen worden, denn damals seien die im Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. September 1953 (BGBl. I S. 1387) festgesetzten Höchstbeträge von 500 DM auf 600 DM erhöht worden. Dieser Gesichtspunkt vermag die Schlechterstellung der Empfänger von Höchstrenten in den Änderungsverordnungen nicht zu rechtfertigen. Ganz abgesehen davon, daß im Bundesergänzungsgesetz ein Höchstbetrag nur vorgesehen war, soweit der Schaden im beruflichen Fortkommen einen selbständigen Beruf betraf (§ 33 Abs. 2 Satz 2 BErgG), hatte der Verordnunggeber von der Rechtslage nach dem Bundesentschädigungsgesetz auszugehen.
d) Die verspätete Erhöhung der Höchstrenten kann auch nicht mit dem Sozialstaatsprinzip gerechtfertigt werden. Zwar kann dieses Prinzip bei der Erhöhung staatlicher Leistungen eine Differenzierung nach dem Grade der sozialen Schutzbedürftigkeit der Empfänger rechtfertigen. Bei den Empfängern der Höchstrenten wegen Schadens im beruflichen Fortkommen läßt sich aber eine verminderte Schutzbedürftigkeit nicht feststellen. Das Recht, eine solche Rente zu wählen, setzt voraus, daß der Geschädigte das 65. (als Frau das 60.) Lebensjahr vollendet hat oder – wenn der Berufsschaden in einem selbständigen Berufe erlitten wurde – keine Erwerbstätigkeit ausübt, die ihm eine ausreichende Lebensgrundlage bietet, und daß ihm die Aufnahme einer solchen Tätigkeit auch nicht zuzumuten ist. Die Renten tragen also ausgesprochenen Versorgungscharakter und sind der Höhe nach an den früheren Lebensverhältnissen der Verfolgten orientiert. Gerade in den Fällen, in denen die Höchstrente eingreift, wird ohnehin ein voller Ausgleich der erlittenen Einbuße häufig nicht erzielt.
e) Schließlich kommen finanzielle Erwägungen im vorliegenden Falle nicht entscheidend in Betracht. Die Erhöhung der Höchstbeträge hätte Mehraufwendungen von 1,5 bis 2 Millionen DM pro Jahr gefordert; ihre Verzögerung um 2 Jahre entlastete die Haushalte des Bundes und der Länder nur um insgesamt 3 bis 4 Millionen DM. Soweit im Bundesrat finanzielle Erwägungen vorgetragen wurden, bezogen sie sich auch nicht auf die zusätzliche Belastung durch die Erhöhung der Höchstbeträge, sondern waren Ausdruck der Sorge darüber, daß die finanzielle Gesamtbelastung der Länder durch die Wiedergutmachungsgesetzgebung sich als wesentlich höher erwies, als man zunächst angenommen hatte.
 
D.
Sind die Verfassungsbeschwerden nach allem begründet, so kann dies doch nicht zu einer Nichtigerklärung der Normen führen, auf denen die von den Beschwerdeführern angegriffene Nichterhöhung der Rentenhöchstbeträge vom 1. April 1957 an beruht, denn damit könnte das Anliegen der Beschwerdeführer nicht erfüllt werden, die schon von diesem Zeitpunkt ab in den Genuß der erhöhten Leistungen kommen wollen. Ihrer begründeten Beschwer abzuhelfen ist aber das Institut der Verfassungsbeschwerde bestimmt. Es bleibt daher nur übrig, festzustellen, daß die Nichterhöhung der Höchstrenten für die Zeit vom 1. April 1957 bis 31. März 1959 verfassungswidrig ist. Dies muß dazu führen, nicht nur die dahin gehende Bestimmung der heute maßgeblichen Dritten Änderungsverordnung, sondern auch die sachlich damit übereinstimmenden Vorschriften der Zweiten Änderungsverordnung für verfassungswidrig zu erklären.
Gegen eine Feststellung der Verfassungswidrigkeit mit Wirkung vom 1. April 1957 bestehen hier auch keine Bedenken. Es kann offenbleiben, ob eine Regelung im Sinne des § 126 Abs. 2 BEG auch dann noch "angemessen" wäre, wenn eine Hinaufsetzung mit einer gewissen Verspätung gegenüber einer Erhöhung der Beamtenbezüge erfolgt wäre. Im vorliegenden Falle ergibt sich, daß sie bei zutreffender Beurteilung der Rechtslage durch den Verordnunggeber auch tatsächlich zu diesem Zeitpunkt in Kraft gesetzt worden wäre. Unter diesen Umständen war das Gericht – anders als in dem durch Beschluß vom 11. Juni 1958 (BVerfGE 8, 1 [10]) entschiedenen Fall – in der Lage, selbst auszusprechen, auf welche Weise ein dem Grundgesetz entsprechender Zustand herzustellen ist.