BVerfGE 15, 165 - Vorauswahl
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 29. November 1962
durch den gemäß § 91 a BVerfGG gebildeten Ausschuß
- 2 BvR 587/62 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Studenten ..., Marburg/Lahn, ... gegen das Gesetz über die Wahlen zum Landtag des Landes Hessen (Landtagswahlgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Juli 1962 GVBl. S. 343) nebst Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde vom 2. November 1962 wird verworfen.
Damit erledigt sich auch der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
 
Gründe:
I.
Nach dem § 13 des hessischen Landtagswahlgesetzes in der Fassung des Art. 1 Ziff. 2 des Gesetzes zur Änderung des Landtagswahlgesetzes und des Wahlprüfungsgesetzes vom 4. Juli 1962 (GVBl. S. 314) können Wähler, die am Wahltage an der Stimmabgabe verhindert sind, einen Wahlschein beantragen, der sie an den sieben dem Wahltag vorangehenden Tagen in besonderen Wahllokalen (sog. Vorauswahl) oder am Wahltag in jedem Wahlbezirk des Landes zur Stimmabgabe ermächtigt.
Ein Wahlberechtigter, der in Hamburg studiert, rügt die Verletzung der Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl mit dem Hinweis, daß ihm durch die Nichteinführung der Briefwahl sein Wahlrecht genommen werde, da er weder während der Vorauswahl noch am Wahltermin (11. November 1962) selbst in Hessen sein könne. Im übrigen sei die Vorauswahl, mit der die Briefwahl "umgangen" werde, auch mit dem Gleichheitssatz unvereinbar, weil dadurch die am Wahltag nicht in Hessen anwesenden Wahlberechtigten verschieden behandelt würden.
Der Beschwerdeführer hat ferner beantragt, dem Lande Hessen die Durchführung der Landtagswahl solange zu untersagen, bis allen nicht am Wahltage in Hessen anwesenden Wahlberechtigten die Möglichkeit zur freien Wahl gegeben sei.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet.
Die Wahlfreiheit besteht darin, daß jeder Wahlberechtigte sein Wahlrecht frei, d.h. ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben kann. Durch sie soll vor allem die freie Wahlbetätigung geschützt werden. Grundsätze für die technische Ausgestaltung der Wahlrechtsausübung lassen sich aus diesem Grundsatz nicht herleiten (BVerfGE 7, 63 [69]).
Die "Vorauswahl" verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Der Grundsatz der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl in seiner gegenüber dem allgemeinen Gleichheitssatz formalisierten Bedeutung verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen oder das Stimmgewicht dieser Gruppen verschieden zu bewerten. Eine solche verschiedene Behandlung ist in dem § 13 des Landtagswahlgesetzes nicht enthalten. Der Gesetzgeber hat dagegen nicht die verfassungsrechtliche Pflicht, dafür zu sorgen, daß alle Aktivbürger, die aus einem in ihrer Person oder in der Ausübung ihres Berufes liegenden Grunde freiwillig oder unfreiwillig ihr Wahlrecht am Wahlort nicht auszuüben vermögen, von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können, Wenn der Bund und die Länder im Laufe der letzten Jahre geglaubt haben, in zunehmendem Ausmaß in ihren Wahlgesetzen die Briefwahl einführen zu sollen, so hat der Gesetzgeber diese Regelung getroffen, ohne von Verfassungs wegen dazu rechtlich verpflichtet gewesen zu sein (BVerfGE 12, 139 [142 f.]). Daher kann aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber die Einführung der Briefwahl unterlassen hat, nicht ein Schluß auf die Verletzung des Gleichheitssatzes durch die jetzt im hessischen Landeswahlgesetz vorgesehene Regelung gezogen werden.