BVerfGE 17, 269 - Arzneimittelgesetz
Zu Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 36 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzesüber den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) vom 16. Mai 1961 (BGBl. I S. 533).
 
Urteil
– 1 BvR 371 und 373/61 –
 
Entscheidungsformel:
1. § 36 Absatz 2 Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) vom 16. Mai 1961 – Bundesgesetzbl. I S. 533 – verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Artikel 12 Absatz 1 GG, soweit er das Aufsuchen von Bestellungen auf Tierarzneimittel in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie in Betrieben des Gemüse-, Obst-, und Weinbaus, der Imkerei und der Fischerei verbietet.
2. In § 36 Absatz 2 Satz 1 dieses Gesetzes ist der Satzteil "oder auf die Bestellungen bei diesen Betrieben aufgesucht" nichtig.
 
Gründe:
I.
1. Die Abgabe von Arzneimitteln sowohl der Humanmedizin wie der Tierheilkunde im Einzelhandel ist gemäß § 28 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) – AMG – vom 16. Mai 1961 – BGBl. I S. 533 – grundsätzlich den Apotheken vorbehalten. Dieses Apothekenmonopol wird durch das Dispensierrecht der Ärzte (d. h. das Recht, auch apothekenpflichtige Arzneimittel vorrätig zu halten und abzugeben) durchbrochen; es spielt bei Tierärzten eine bedeutende Rolle und hat dazu geführt, daß die Apotheken vom Vertrieb von Tierarzneimitteln weitgehend ausgeschaltet sind. Arzneimittel, die "ausschließlich zu anderen Zwecken als zur Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden zu dienen bestimmt sind", dürfen gemäß § 31 Abs. 1 AMG (von Ausnahmen abgesehen) auch außerhalb der Apotheken abgegeben, vorrätig gehalten oder feilgehalten werden. Die freiverkäuflichen Tierarzneimittelwerden fast durchweg von Spezialfabriken hergestellt und über ihre Handelsvertreter unmittelbar an die Tierhalter vertrieben. Bei diesen Tierarzneimitteln handelt es sich um Tierpflege- und -aufzuchtmittel, um Präparate zur Förderung der Verdauung, des Wachstums und der Legetätigkeit der Hühner, um Mittel zur Ungeziefervertilgung, zur Desinfektion und ähnliches. Sie werden vom Landwirt auf Vorrat gekauft und vielfach als "Stallmittel" bezeichnet.
§ 36 AMG verbietet grundsätzlich das Feilbieten und das Aufsuchen von Bestellungen auf Arzneimittel im Reisegewerbe. Hiervon nimmt er eine Reihe von freiverkäuflichen Mitteln der Humanmedizin aus; ferner erlaubt er den Vertrieb an Gewerbetreibende im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes, nimmt aber hiervon wiederum den Vertrieb von Tierarzneimitteln an landwirtschaftliche und ähnliche Betriebe aus. § 36 AMG lautet:
    (1) Das Feilhalten von Arzneimitteln und das Aufsuchen von Bestellungen auf Arzneimittel im Reisegewerbe sind verboten; ausgenommen von dem Verbot sind fabrikmäßig verpackte, nur mit ihren verkehrsüblichen deutschen Namen bezeichnete, für den Verkehr außerhalb der Apotheken zugelassene und in ihrer Wirkung allgemein bekannte Pflanzen, Pflanzenteile und Preßsäfte aus frischen Pflanzen und Pflanzenteilen, sofern sie ohne Lösungsmittel mit Ausnahme von Wasser hergestellt sind, Bademoore sowie für den Verkehr außerhalb der Apotheken zugelassene Mineralwässer, Heilwässer, Meerwässer und deren Salze in ihrem natürlichen Mischungsverhältnis sowie ihre Nachbildungen.
    (2) Das Verbot des Absatzes 1 erster Halbsatz findet keine Anwendung, soweit der Gewerbetreibende andere Personen im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes aufsucht, es sei denn, daß es sich um Arzneimittel handelt, die für die Anwendung an Tieren in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie in Betrieben des Gemüse-, Obst-, Garten- und Weinbaus, der Imkerei und der Fischerei feilgeboten oder auf die Bestellungen bei diesen Betrieben aufgesucht werden. Dies gilt auch für Handlungsreisende und andere Personen, die im Auftrag und im Namen eines Gewerbetreibenden tätig werden.
§ 36 AMG verbietet also nicht nur wie schon die Gewerbeordnung in ihrer ersten Fassung (vgl. § 56 Abs. 1 Nr. 5 der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869) das Feilbieten von Tierarzneimitteln, sondern darüber hinaus auch den bisher üblichen Vertriebsweg durch Aufsuchen von Bestellungen in landwirtschaftlichen und ähnlichen Betrieben.
2. Die Beschwerdeführer sind Handelsvertreter einer Firma, die fast ausschließlich Tierarzneimittel herstellt und sie, soweit sie zum Verkehr außerhalb der Apotheken zugelassen sind, unmittelbar an Landwirte liefert. Die Beschwerdeführer sind nur für diese Firma tätig, W. als Bezirksdirektor, St. als Generalvertreter. Ihnen sind Untervertreter unterstellt, die die Landwirte ihres Bezirks in regelmäßigen Abständen aufsuchen, um von ihnen Bestellungen auf die Erzeugnisse ihrer Firma entgegenzunehmen, die sie über die Beschwerdeführer an die Herstellerfirma zur Auslieferung weiterleiten. Zum Teil sind die Untervertreter hauptberuflich und dann nur für die Herstellerfirma tätig, zum Teil arbeiten sie nebenberuflich und vertreiben dann gelegentlich auch Erzeugnisse anderer Firmen, z.B. Futtermittel.
Die Beschwerdeführer wenden sich unmittelbar gegen § 36 Abs. 2 Satz 1 AMG. Sie halten ihn wegen Verstoßes gegen Art. 12 und Art. 14 GG insoweit für verfassungswidrig, als er das Aufsuchen von Landwirten zur Entgegennahme von Bestellungen auf apothekenfreie Tierarzneimittel untersagt. Das Verbot des Feilbietens beanstanden sie nicht. "Tierarzneimittelvertreter" sei ein Spezialberuf, der sich von dem anderer Handelsvertreter, auch anderer Arzneimittelvertreter, unterscheide. Der Vertreter werde für seine Tätigkeit besonders ausgebildet und wende sich mit einem besonderen Arzneimittelsortiment, das nicht beliebig ausgewechselt werden könne, an einen bestimmten Kundenkreis, der gleichfalls nicht beliebig geändert werden könne. Insbesondere sei ein Ausweichen in andere Warensorten, etwa Futtermittel, oder eine Verlagerung des Absatzes auf Apotheken und Drogerien nicht ohne weiteres möglich. Die neue gesetzliche Regelung vernichte deshalb ihre Existenz. Sie verletze den Wesensgehalt der Berufsfreiheit, zumindest beschränke sie unzulässig ihr Grundrecht auf freie Berufswahl. Selbst wenn man in § 36 AMG nur eine Regelung der Berufsausübung erblicke, sei der Eingriff so einschneidend, daß er nur gerechtfertigt werden könnte, wenn er zur Abwehr drohender ernster Gefahren für wichtige Interessen des Gemeinwohls unerläßlich sei. Dies sei nicht der Fall. Insbesondere treffe die Befürchtung nicht zu, daß die Tierarzneimittelvertreter durch ihre Tätigkeit zur Verschleppung von Seuchen beitrügen. Das Betreten der Ställe sei ihnen ausdrücklich verboten und für das Aufsuchen von Bestellungen auch nicht erforderlich. Da alle freiverkäuflichen Tierarzneimittel ohne Unterschied vom Aufsuchen von Bestellungen ausgenommen seien, werde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Zugleich liege ein unzulässiger Eingriff in das Eigentum vor; § 36 Abs. 2 Satz 1 AMG wirke als entschädigungslose Enteignung ihres Gewerbebetriebes.
3. Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerden nicht für begründet. § 36 Abs. 2 Satz 1 AMG greife nicht in die Freiheit der Berufswahl ein. Die Regelung der Absatzwege für Arzneimittel, die das Arzneimittelgesetz nicht nur für das Reisegewerbe, sondern ebenso für das stehende Gewerbe getroffen habe, stelle für die beteiligten Berufszweige eine Abgrenzung der Berufstätigkeit und somit eine Regelung der Berufsausübung dar. Die Tätigkeit der Tierarzneimittelvertreter als solche werde nicht verboten. Das Arzneimittelgesetz treffe nur einen Teilbereich ihrer Berufstätigkeit, nämlich nur das Aufsuchen von Bestellungen bei Landwirten. Sie könnten statt der landwirtschaftlichen Betriebe Apotheken, Drogerien, Tierärzte und Landhandelsgeschäfte aufsuchen.
Die Beschränkung der Berufsausübung werde durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Einem gewandten Vertreter stünden alle Möglichkeiten zu Gebote, dem sachunkundigen Landwirt überflüssige und ungeeignete Mittel aufzureden. Damit werde ein Anreiz zu einem unnötigen oder schädlichen Gebrauch von Arzneimitteln gegeben. Der Landwirt werde vielfach davon abgehalten, rechtzeitig den Tierarzt beizuziehen, was den Verlust von wertvollen Tieren zur Folge habe. Auch sei erfahrungsgemäß mit dem Vertrieb von Arzneimitteln im Reisegewerbe häufig eine unerlaubte Ausübung der Heilkunde verbunden. Außerdem würden die Tierhalter veranlaßt, anzeigepflichtige Tierseuchen selbst zu behandeln und sich der Anzeigepflicht und den für sie unangenehmen seuchenpolizeilichen Maßnahmen zu entziehen. Dies könne die Ausbreitung der Seuche und erhebliche Tierverluste zur Folge haben. Schließlich trage die Tätigkeit der Tierarzneimittelvertreter an sich schon zur Verschleppung von Tierseuchen bei, da sie erfahrungsgemäß in kurzen Abständen zahlreiche Ställe aufsuchten. Da viele Tierkrankheiten auch auf Menschen übertragbar seien, könne hierdurch zugleich die Volksgesundheit gefährdet werden.
Die Regelung verletze auch nicht die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG.
Die Bundesregierung hat Auszüge aus Erfahrungsberichten der Veterinärverwaltungen der Länder vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung wurden als Auskunftspersonen die Fabrikanten Dr. Sch. und V., der Oberregierungs- und -veterinärrat Dr. Br., der Regierungsveterinärdirektor Dr. Bl. und der Präsident der Bundesapothekerkammer (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerkammern) Dr. Kl. gehört.
II.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig und begründet.
1. § 36 AMG regelt den Absatzweg für Arzneimittel, indem er ihren Vertrieb im Reisegewerbe grundsätzlich verbietet. Er tritt an die Stelle der entsprechenden Bestimmungen der Gewerbeordnung und ist seiner Natur nach eine Norm des Gewerberechts. Er will die Abgabe von Arzneimitteln dem leichter kontrollierbaren stehenden Gewerbe vorbehalten, um etwaigen Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Tier vorzubeugen. Soweit das Gesetz neue Beschränkungen des Vertriebs im Reisegewerbe enthält, greift es aber auch in die Berufstätigkeit der Arzneimittelvertreter ein. Insoweit ist es an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen.
2. Die Beschwerdeführer gehen davon aus, daß sie zusammen mit ihren Untervertretern einem besonderen Beruf "Tierarzneimittelvertreter" angehörten, der durch § 36 AMG beseitigt werde. Wie groß die Zahl der Angehörigen dieses "Spezialberufs" ist, ließ sich nicht ermitteln. Die Schätzungen der Auskunftspersonen schwanken zwischen etwa 500 und 3 000. Hierauf kommt es jedoch für die Annahme eines besonderen Berufs nicht entscheidend an. Es gibt Berufe, bei denen infolge einer spezialisierten Ausbildung oder eines der Sache nach beschränkten Betätigungsfeldes die Zahl ihrer Angehörigen von Natur aus begrenzt ist. Daß diese Tierarzneimittelvertreter über die Vermittlung der üblichen Branchenkenntnisse hinaus eine besondere Berufsausbildung genossen haben, ließ sich nicht feststellen. Dies wäre zwar ein nicht unwichtiges Indiz für die Annahme eines besonderen Berufs, kann aber für sich genommen nicht ausschlaggebend sein. Von größerer Bedeutung ist der ganze Zuschnitt ihrer Berufstätigkeit: sie wenden sich an einen bestimmten Personenkreis – Landwirte –, beschränken sich auf ein bestimmtes Warensortiment – freiverkäufliche Tierarzneimittel – und wirken in einer bestimmten Art am Absatz mit – durch Aufsuchen von Bestellungen. Damit ist ihre Berufstätigkeit inhaltlich so festgelegt und von der anderer Handelsvertreter abgegrenzt, daß der Gesetzgeber sie als geschlossene Gruppe erfassen konnte. Dazu kommt, daß diese Tierarzneimittelvertreter sich der oben bezeichneten Tätigkeit mit ihrer ganzen Arbeitskraft widmen, daß es sich also nicht nur um einen Teilbereich ihrer Berufstätigkeit handelt, etwa neben dem Verkauf von Futtermitteln oder anderen Erzeugnissen, an denen ihr Abnehmerkreis interessiert sein könnte.
Wie Dr. Sch. als Auskunftsperson glaubhaft dargelegt hat, ist diesen Tierarzneimittelvertretern eine Anpassung ihrer beruflichen Tätigkeit an die neue gesetzliche Regelung etwa durch Änderung des Abnehmerkreises oder des Warensortiments nicht möglich. Die Apotheken sind, wie der Präsident der Bundesapothekerkammer bestätigt hat, zwar an einer stärkeren Einschaltung in den Vertrieb der apothekenpflichtigen Tierarzneimittel, weniger dagegen an dem Absatz der freiverkäuflichen interessiert. Auch Drogerien und andere Einzelhandelsgeschäfte kommen als Abnehmer dieser Erzeugnisse kaum in Frage. Die Herstellerfirmen könnten Apotheken, Drogerien und Einzelhandelsgeschäfte bei einer Umstellung ihrer Werbung auch ohne Vertreternetz beliefern. Sie müßten sogar weitgehend auf die Vermittlung von Vertretern verzichten, um eine Überteuerung ihrer Produkte zu vermeiden, da sich bei einer solchen Änderung des Absatzweges eine Handelsstufe einschalten würde. Auch der Übergang zu einem anderen Warensortiment, etwa Futtermitteln, ist den Beschwerdeführern kaum möglich, da Futtermittelerzeugung wie Futtermittelabsatz nach der Darstellung der Auskunftspersonen in festen Händen sind und höchstens der eine oder andere Tierarzneimittelvertreter, keinesfalls aber eine größere Zahl von ihnen, in diesem Handelszweig unterkommen könnte.
Alles dies könnte dafür sprechen, einen besonderen Beruf des Tierarzneimittelvertreters anzunehmen. Dann würde sich der Zwang zur Beendigung der Berufstätigkeit als eine Beschränkung der Berufswahl darstellen, denn zu ihr gehört auch die freie Entscheidung, den einmal ergriffenen Beruf fortzusetzen oder ihn freiwillig aufzugeben (vgl. BVerfGE 7, 377 [401]). Aus der von der Bundesregierung angezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Januar 1959 (BVerfGE 9, 73) kann nicht gefolgert werden, daß die Abgrenzung der Abgabebefugnis für Heilmittel in jedem Falle eine Regelung der Berufsausübung ist. Der damals behandelte Fall unterschied sich von dem vorliegenden gerade dadurch, daß dort den Drogisten die Ausübung ihrer Tätigkeit nicht unmöglich gemacht wurde.
Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die hier angegriffene Bestimmung als eine Beschränkung der Berufswahl oder nur als eine Regelung der Berufsausübung zu verstehen ist, denn für ihre rechtliche Beurteilung ist dies ohne Bedeutung. Auch wenn man eine Regelung der Berufsausübung annimmt, hat sie eine so einschneidende Wirkung für die betroffene Berufsgruppe, daß dieser Eingriff in die Berufsfreiheit nur zulässig wäre, wenn er durch wichtige Gründe des gemeinen Wohls gefordert würde (vgl. BVerfGE 11, 30 [42 f.]; Urteil vom 22. Mai 1963; 1 BvR 78/56).
3. Entgegen dem Vortrag der Bundesregierung konnte sich das Gericht nicht davon überzeugen, daß solche wichtigen Belange des Gemeinwohls durch die Tätigkeit der Tierarzneimittelvertreter gefährdet würden.
a) Der Schutz der menschlichen Gesundheit als eines besonders hohen Gutes liegt im öffentlichen Interesse und darf daher auch mit Mitteln angestrebt werden, die in das Grundrecht der Berufsfreiheit empfindlich eingreifen. Es leuchtet ein, daß durch den Vertrieb von Arzneimitteln der Humanmedizin im Reisegewerbe die Volksgesundheit gefährdet würde, zumal mit dieser Tätigkeit häufig eine unerlaubte Ausübung der Heilkunde verbunden wäre. Dagegen ist nicht einzusehen, daß durch das bloße Aufsuchen von Bestellungen auf freiverkäufliche Tierarzneimittel ein Gut von gleicher Bedeutung für die Allgemeinheit gefährdet werden könnte.
Der Landwirt betreibt die Tierhaltung vornehmlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Hier steht bei der Anwendung Veterinärpharmazeutischer Mittel meist nicht die Gesunderhaltung des Tieres um ihrer selbst willen im Vordergrund, sondern die Steigerung des Nutzens, wenn auch beides oft zusammentreffen mag. Daß Landwirte durch die Überredungskunst der Vertreter veranlaßt werden sollten, etwa einen unnötigen Arzneimittelvorrat anzulegen oder unwirksame oder für die Gesundheit des Tieres vielleicht schädliche Mittel anzuschaffen und am Tier anzuwenden, ist kaum zu befürchten. Dem wirkt die durch Schulung und Erfahrung gewonnene Sachkunde der Bauern und ihre bekannte Sparsamkeit bei der Wirtschaftsführung entgegen. Sollte dennoch in einigen Fällen die befürchtete Beeinflussung durch die Vertreter Erfolg haben, so würden hierdurch zunächst nur wirtschaftliche Einzelinteressen betroffen, die einen so schweren Eingriff in die Berufsfreiheit nicht rechtfertigen.
b) Es mag sein, daß der Tierarzneimittelvertreter, wenn er Tierarzneimittel feilbieten dürfte, geneigt sein könnte, die Wirksamkeit seiner Mittel an kranken Tieren zu demonstrieren und damit Heilkunde auszuüben. Doch kann dies dahinstehen, da die Beschwerdeführer sich ausdrücklich nur gegen das Verbot des Aufsuchens von Bestellungen wenden. Sollte dies gelegentlich, insbesondere bei der Einführung neuer Mittel, mit einem Feilbieten verbunden sein, so wäre es als strafbarer Verstoß gegen § 36 in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Nr. 9 AMG zu verfolgen.
Im übrigen sind im Gegensatz zu den Verhältnissen bei dem Vertrieb von Arzneimitteln der Humanmedizin Strafverfahren wegen unerlaubter Ausübung der Heilkunde gegen Tierarzneimittelvertreter, die Bestellungen aufsuchen, kaum bekanntgeworden. Dies mag damit zusammenhängen, daß anders als in der Humanmedizin für die Tierheilkunde grundsätzlich Kurierfreiheit besteht. Nur die Ausübung der Tierheilkunde im Umherziehen durch Personen, die hierzu nicht approbiert sind, ist verboten (§ 56 Abs. 1 Nr. 4 GewO in der Fassung des Vierten Bundesgesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung vom 5. Februar 1960, BGBl. I S. 61). Davon kann aber bei den Tierarzneimittelvertretern im Rahmen ihrer Routinetätigkeit, die im Aufsuchen von Bestellungen besteht, auch dann nicht die Rede sein, wenn sie gelegentlich Ratschläge für die Verwendung der von ihnen angebotenen Mittel erteilen. Anders wäre es nur dann, wenn ihre Berufstätigkeit fast zwangsläufig nur zusammen mit einer Ausübung der Heilkunde erfolgreich durchgeführt werden könnte. Hierfür ist nichts dargetan.
c) Tierarzneimittel, die der Landwirt vorrätig hält, dienen der Vorbeugung und zur "Ersten Hilfe" bei Verletzungen und leichten Erkrankungen der Tiere. Eine ernste Gefahr, daß der Landwirt gerade hiermit Seuchenfälle behandelt, ist nicht nachgewiesen. Es handelt sich um freiverkäufliche Mittel, die in erster Linie der Stall- und Tierhygiene dienen und, wie Dr. Bl. erklärt hat, zur Anwendung am gesunden Tier bestimmt sind. Zur Behandlung von Krankheiten sind sie ungeeignet. Hiervon abgesehen würde eine Verschiebung des Absatzweges durch das Verbot des Aufsuchens von Bestellungen gerade diese Gefahr nicht ausschalten, da sich der Landwirt die Mittel zur Selbstbehandlung dann auf andere Weise beschaffen könnte.
d) Es wird vor allem auch befürchtet, daß durch die Tätigkeit der Beschwerdeführer und ihrer Untervertreter der Verschleppung von Tierseuchen mit ihren für die Volksernährung nachteiligen Folgen Vorschub geleistet werde. Bei den Tierseuchen, die auf Menschen übertragbar sind (Zoonosen), spielt auch der Gesundheitsschutz der Bevölkerung eine Rolle. Die Gefahr der Seuchenausbreitung soll darin liegen, daß die Tierarzneimittelvertreter bei dem Aufsuchen von Bestellungen regelmäßig nacheinander in verschiedene Ställe kämen. Bei der von den Beschwerdeführern behaupteten und nicht widerlegten Arbeitsweise der Tierarzneimittelvertreter ist der Nachweis hierfür jedoch nicht erbracht. Daß die Firmen ihren Vertretern verboten haben, die Stalle zu betreten, bietet zwar noch keine Gewähr dafür, daß die Vertreter sich in allen Fallen an dieses Verbot halten. Dr. Bl. hat jedoch selbst angegeben, daß die Vertreter eingeführter Firmen, die die Landwirte in regelmäßigen Zeitabständen aufsuchen und Bestellungen entgegennehmen, in der Regel nicht in die Ställe gehen. Vor allem kommen zahlreiche andere Personen wie Viehhändler und Futtermittelverkäufer häufig in kurzen Zeitabständen in verschiedene Ställe, ohne daß gegen sie ähnliche Maßnahmen ergriffen würden, obwohl die Gefahr der Seuchenverschleppung durch sie nicht weniger groß ist. Inwiefern eine besondere Gefährdung gerade durch die Berufstätigkeit der Tierarzneimittelvertreter eintreten soll, ist nicht dargetan; hier dürften die allgemeinen seuchenpolizeilichen Vorschriften genügen.
Die behaupteten Gefahren vermögen somit auch unter Berücksichtigung der von der Bundesregierung unter Hinweis auf Veterinärberichte dargelegten Einzelfalle einen so schwerwiegenden Eingriff in die Berufstätigkeit der Beschwerdeführer nicht zu rechtfertigen.
4. In der mündlichen Verhandlung ist geltend gemacht worden, daß im Reisegewerbe Mittel vertrieben würden, die – wie eine Antibiotika enthaltende Eutersalbe – geeignet seien, die menschliche Gesundheit zu gefährden, oder auch solche, die die positive Tuberkulinreaktion verhinderten und dadurch die Bekämpfung der Rindertuberkulose erheblich erschwerten. Das gegebene Abwehrmittel wäre in diesen Fällen eine andere Abgrenzung zwischen apothekenpflichtigen und freiverkäuflichen Tierarzneimitteln. Wenn die Beschwerdeführer meinen, daß die Apothekenpflichtigkeit dem Aufsuchen von Bestellungen nicht entgegenstehe, sofern nur die Auslieferung über eine Apotheke erfolge, so kann offenbleiben, ob dies zutrifft. Unzuträglichkeiten, die sich hieraus ergeben, könnten jedenfalls durch ein die Rechtslage klarstellendes Verbot des Aufsuchens von Bestellungen auf apothekenpflichtige Mittel beseitigt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist verletzt, wenn der Gesetzgeber zu dem schärfsten Mittel eines gänzlichen Verbots des Aufsuchens von Bestellungen gegriffen hat, ohne den Versuch gemacht zu haben, solchen Gefahren mit weniger strengen Mitteln entgegenzutreten.
5. § 36 Abs. 2 Satz 1 AMG verstößt daher gegen das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG. Zur Beseitigung der verfassungswidrigen Beschränkung der Berufsfreiheit der Beschwerdeführer genügt es, in § 36 Abs. 2 Satz 1 AMG die Worte "oder auf die Bestellungen bei diesen Betrieben aufgesucht" zu streichen.