BVerfGE 18, 429 - Verschollenheitsrente |
Der Gesetzgeber darf ein von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend angewandtes Gesetz nicht rückwirkend ändern, um die Rechtsprechung für die Vergangenheit ins Unrecht zu setzen und zu korrigieren. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 31. März 1965 |
-- 2 BvL 17/63 -- |
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 52 des Bundesversorgungsgesetzes in Verbindung mit Artikel IV § 4 Absatz 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (Erstes Neuordnungsgesetz) vom 27. Juni 1960 (BGBl. I S. 453) - Vorlagebeschluß des Landgerichts Mainz vom 18. Juni 1963 - 2 O 315/61 -. |
Entscheidungsformel: |
Artikel IV § 4 Absatz 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (Erstes Neuordnungsgesetz) vom 27. Juni 1960 (BGBl. I S. 453) ist nichtig. |
Gründe: |
A. -- I. |
1. Der Unteroffizier August W...hat am 8. Mai 1943 vor dem Gericht der 113. Infanteriedivision in Frankreich folgende Erklärung abgegeben:
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"Ich verpflichte mich als Vater des von der Marie Katharina ... am 13. März 1943 geborenen unehelichen Kindes namens Heide Marie ..., dem Kinde -- von seiner Geburt ab -- bis zur Vollendung seines 16. Lebensjahres als Unterhalt eine im voraus zu entrichtende Geldrente von monatlich 30 RM ... zu zahlen und die Kosten dieser Verhandlung zu tragen. Wegen Erfüllung dieser Verbindlichkeiten unterwerfe ich mich der sofortigen Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde. Ich beabsichtige, die Kindesmutter in Kürze zu heiraten."
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W... heiratete 1944, allerdings nicht die Mutter der Heide Marie... Er kehrte 1945 aus dem Krieg zurück. Am 1. Juni 1945 meldete er sich polizeilich in W... (Landkreis M...), dem Aufenthaltsort seiner Ehefrau. Am 14. Juli 1945 meldete er sich in W... ab und in N... (Landkreis M...) an; dort wohnte er bei seinen Eltern. Am 10. September 1946 verzog er wieder unter polizeilicher Abmeldung nach W..., wo er dann polizeilich gemeldet war und wohnte. Die inzwischen gleichfalls verheiratete Mutter des unehelichen Kindes Heide Marie ... wohnte und wohnt in R...(Landkreis N...), das auf der anderen Rheinseite liegt.
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Die Mutter beantragte am 7. Dezember 1949 beim Versorgungsamt Landau für ihr uneheliches Kind Verschollenheitsrente. Dazu gab sie die eidesstattliche Erklärung ab:
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"Ich erkläre an Eides Statt, daß ich seit dem 12.7.1943 sowohl von dem Kindesvater als auch von einer anderen amtlichen oder privaten Stelle keine Nachricht erhalten habe, aus der geschlossen werden kann, daß sich der Kindesvater noch am Leben befindet."
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Der Bürgermeister von N...bestätigte dem Versorgungsamt am 25. September 1949:
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"Über den Aufenthalt des Herrn August W...ist hier nichts bekannt. W...gilt immer noch als vermißt."
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Außerdem lag dem Versorgungsamt die Geburtsurkunde für das uneheliche Kind vor, in der der Randvermerk eingetragen war:
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"Der Unteroffizier August W...hat durch Erklärung vor dem Gericht der 113. Infanteriedivision am 8. Mai 1943 die Vaterschaft zu dem neben bezeichneten Kind anerkannt."
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Mit Bescheid vom 30. Januar 1950 bewilligte das Versorgungsamt die Verschollenheitsrente. Die Zahlungen wurden Ende 1958 eingestellt, nachdem anläßlich einer Überprüfung der Akten Verschollener festgestellt worden war, daß August W... noch lebt.
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Bis einschließlich Dezember 1958 hat das Versorgungsamt für das uneheliche Kind Renten und Heilbehandlungskosten in Höhe von 6352,35 DM gezahlt.
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2. Das Versorgungsamt hat den als Vater des unehelichen Kindes in Anspruch Genommenen am 13. Juli 1959 zur Erstattung seiner Leistungen aufgefordert. W...hat die Erstattung mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 23. Juli 1959 abgelehnt. Daraufhin hat ihn "die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Land Rheinland-Pfalz, dieses vertreten durch den Herrn Sozialminister, dieser vertreten durch den Herrn Direktor des Landesversorgungsamts Koblenz", beim Landgericht Mainz am 30. Dezember 1961 auf Zahlung von 6352,35 DM verklagt. Die Klage ist rechtlich auf den Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag gestützt (§§ 683, 679 BGB).
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Der Beklagte hat in diesem Rechtsstreit vorgetragen: Er habe bei Abgabe der Erklärung vom 8. Mai 1943 gewußt, daß er nicht der Vater des Kindes sein könne, habe die Erklärung aber abgegeben, weil er damals beabsichtigte, die Kindsmutter zu heiraten. Ihm seien aber unmittelbar nach der Abgabe seiner Erklärung Bedenken gekommen; er habe deshalb nach Rücksprache mit seinem Batterieoffizier seine Erklärung widerrufen. Seitdem habe er von der Sache nichts mehr gehört bis zum Schreiben des Versorgungsamts vom 13. Juli 1959; er habe deshalb die Angelegenheit für erledigt betrachtet. Daß in der Zeit von 1943 bis 1945 von seiner Besoldung Unterhaltsbeiträge für das Kind einbehalten und abgeführt worden seien, habe er nicht gewußt und auch nicht wissen können, weil seine Besoldung unmittelbar auf sein Bankkonto in der Heimat überwiesen wurde und Soldabrechnungen und Kontoauszüge ihm in der damaligen Zeit nicht zugingen.
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Er könne nicht Vater des Kindes sein, weil er im Sommer 1942, insbesondere in der Empfängniszeit (16. Mai bis 14. September 1942), bei seiner Einheit in Frankreich und nicht im Urlaub gewesen sei; er habe erst zur Zuckerrübenernte Ende Oktober oder Anfang November 1942 Urlaub erhalten und bei dieser Gelegenheit die Kindsmutter gesehen und mit ihr geschlechtlich verkehrt.
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Das Versorgungsamt habe zu Unrecht eine Verschollenheitsrente gewährt. Er sei zu keinem Zeitpunkt vermißt oder verschollen gewesen. Die falsche Auskunft des Bürgermeisters von N... habe er nicht zu vertreten. Das Versorgungsamt habe das Nächstliegende unterlassen: bei der Kindsmutter die Anschrift seiner Eltern zu erfragen und sich an diese wegen des Verbleibs ihres Sohnes zu wenden. Dann hätte sich sofort die Unrichtigkeit der eidesstattlichen Versicherung der Kindsmutter und der Erklärung des Bürgermeisters herausgestellt. Heute, zwanzig Jahre nach dem Kriegsende, sei er infolge dieser Fehlleistung der Verwaltung in einem Beweisnotstand.
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II. |
Das Landgericht Mainz hat sein Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 52 des Bundesversorgungsgesetzes -- BVG -- in Verbindung mit Art. IV § 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (Erstes Neuordnungsgesetz) vom 27. Juni 1960 -- NOG -- mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Zum Verständnis der Rechtslage ist folgendes zu bemerken:
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1. Die Frage, ob eine zu Unrecht gezahlte Verschollenheitsrente von dem Unterhaltspflichtigen nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag der leistenden Kasse zu erstatten ist, ist anfänglich von einigen unteren Gerichten bejaht, von anderen verneint worden (vgl. einerseits Landgericht Frankenthal, Urteil vom 30. April 1958, MDR 1958, 603; andererseits Landgericht Berlin, Urteil vom 18. Februar 1958, NJW 1958, 831). Der Bundesgerichtshof hat, nachdem er die Frage im Urteil vom 20. November 1958 (NJW 1959, 382) nur angeschnitten hatte, aber dann dahingestellt sein lassen konnte, mit seiner Entscheidung vom 4. Juni 1959 (BGHZ 30, 162) die Frage höchstrichterlich dahin geklärt, daß der Erstattungsanspruch nicht besteht, sich insbesondere nicht aus den Grundsätzen über die Geschäftsführung ohne Auftrag begründen läßt (ebenso Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 1960 [L/M Nr. 11 zu § 683 BGB] und Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. März 1963 [FamRZ 1963, 352]).
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2. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 4. Juni 1959 ist dann der Gesetzgeber tätig geworden: er fügte durch Art. I NOG u.a. dem § 52 Abs. 1 BVG zwei Sätze an, so daß er nunmehr lautet:
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(1) Ist eine Person, deren Hinterbliebenen eine Rente zustehen würde, verschollen, so wird diesen die Rente schon vor der Todeserklärung gewährt, wenn das Ableben des Verschollenen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Stellt sich heraus, daß der Verschollene noch lebt, so gelten Leistungen nach Satz 1 als auch zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gewährt; er ist von dem Zeitpunkt an zum Ersatz nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag verpflichtet, von dem an er seinen gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht nachgekommen ist. Weitergehende Ansprüche bleiben unberührt.
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Das Neuordnungsgesetz ist nach Art. IV § 4 Abs. 1 mit seinem Art. I am 1. Juni 1960, im übrigen am Tage nach seiner Verkündung in Kraft getreten. Art. IV § 4 Abs. 2 bestimmt sodann:
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§ 52 Abs. 1 Sätze 2 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes gilt auch insoweit, als Leistungen vor dem 1. Juni 1960 gewährt worden sind.
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Bei den Beratungen im Parlament wurde dazu im schriftlichen Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen vom 6. Mai 1960 (BT-Drucks. III/Nr. 1825, S. 9) die Auffassung vertreten, es handle sich insoweit nur um die Beseitigung einer Rechtsunsicherheit, also nicht um eine konstitutive rückwirkende gesetzliche Anordnung, sondern um eine deklaratorische Klarstellung (eine authentische Interpretation) durch Gesetz. Der Bundesgerichtshof vertritt demgegenüber in seinem Urteil vom 13. Juni 1960 (L/M Nr. 11 zu § 683 BGB) die Auffassung, daß die Regelung in Art. IV § 4 Abs. 2 NOG konstitutiv rückwirkend sei, also nicht nur deklaratorischen Charakter habe.
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3. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hängt seine Entscheidung von der Entscheidung der dem Bundesverfassungsgericht vorgelegten Frage ab. Es hält Art. IV § 4 Abs. 2 NOG für verfassungswidrig. Die hier angeordnete Rückwirkung sei unzulässig, weil sie mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar sei; außerdem verletze § 52 BVG n.F.den Gleichheitssatz, weil der Rückerstattungsanspruch nur gegen den vermeintlich Verschollenen und nicht auch gegen den zu Unrecht für tot Erklärten statuiert worden sei.
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III. |
1. Das Bundessozialgericht hat sich gemäß § 80 Abs. 4 BVerfGG wie folgt geäußert: Die Neufassung des § 52 BVG enthalte nur eine deklaratorische Klarstellung, weil ohnehin richtiger Ansicht nach sich die Erstattungspflicht aus den Grundsätzen über die Geschäftsführung ohne Auftrag schon vor dem 1. Juni 1960 ergeben habe. Doch könne das dahingestellt bleiben. Wenn man die Neuregelung in § 52 Abs. 1 BVG als konstitutiv auffasse, ordne Art. IV § 4 Abs. 2 NOG ihre rückwirkende Geltung an, soweit von ihr Leistungen des Versorgungsamts aus der Zeit vor dem 1. Juni 1960 erfaßt werden. Aber diese Rückwirkung sei mit rechtsstaatlichem Denken vereinbar, weil hier ein Vertrauensschutz des in Anspruch Genommenen nicht verletzt werde; immerhin lägen aus der Zeit vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 4. Juni 1959 mehrere Urteile unterer Gerichte vor, die den Erstattungsanspruch nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag anerkannt hätten. Außerdem habe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Literatur Widerspruch erfahren. Das Vertrauen des in Anspruch Genommenen sei auch nicht schutzwürdig, weil die Verschollenheitsrente die Funktion von Unterhaltsersatz habe und der Unterhaltspflichtige nicht verdiene, durch sie von seiner Unterhaltspflicht befreit zu werden. Art. 3 GG sei ebenfalls nicht verletzt. Zwar sei es richtig, daß die Regelung in § 52 Abs. 1 BVG nur für Verschollenheitsrenten gelte, die "bei nicht für tot erklärten Verschollenen" gewährt worden seien; es sei auch wohl kein zureichender Grund ersichtlich, weshalb dieser Erstattungsanspruch nicht auch in den Fällen gelten sollte, in denen der Verschollene bereits für tot erklärt worden sei. Aber damit sei noch nicht gesagt, daß die Rechtslage hinsichtlich der noch nicht für tot erklärten Verschollenen und die der für tot erklärten Verschollenen grundlos und deshalb im Widerspruch zu Art. 3 GG verschieden geregelt sei; denn das Gesetz könne dahin verstanden werden, daß es hinsichtlich der für tot erklärten Verschollenen eine Lücke lasse, die im Wege der Analogie durch entsprechende Anwendung des § 52 Abs. 1 BVG von der Rechtsprechung geschlossen werden könne. Dann aber würden die beiden miteinander verglichenen Gruppen gleichbehandelt werden, so daß Art. 3 GG nicht verletzt sein könne.
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2. Der Bundesgerichtshof hat gemäß § 80 Abs. 4 BVerfGG mitgeteilt, daß bei ihm noch ein Verfahren anhängig sei, in dem "darüber zu befinden sein wird, ob die vom Neuordnungsgesetz vorgesehene Rückwirkung anerkannt oder die Sache dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt werden soll". Dieses Verfahren ist inzwischen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im vorliegenden Verfahren ausgesetzt worden.
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3. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat sich namens der Bundesregierung wie folgt geäußert:
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Nach 1949 habe zunächst kein Anlaß bestanden, eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dahin zu treffen, daß Verschollenheitsrenten von dem zu Unrecht als verschollen angenommenen Unterhaltspflichtigen, sofern er wieder auftaucht, zu erstatten sind. Erst durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage (Urteile vom 4. Juni 1959 und vom 13. Juni 1960) sei ein Bedürfnis nach ergänzender Regelung im Bundesversorgungsgesetz entstanden. In der Sache wiederholt das Ministerium dieselben Überlegungen, die das Bundessozialgericht vorgetragen hat. Das Ministerium meint, daß die überwiegende Meinung in der Literatur und der Rechtsprechung von der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschrift ausgehe.
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B. -- I. |
Die Vorlage ist zulässig.
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II. |
§ 52 Abs. 1 Satz 2 und 3 BVG ist nichtig, soweit er kraft Art. IV § 4 Abs. 2 NOG rückwirkend gilt.
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1. Ob die Neuregelung im Ersten Neuordnungsgesetz unvereinbar mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit ist, hängt zunächst davon ab, ob ein Fall echter Rückwirkung vorliegt. Wäre die Rechtslage vor und nach dem 1. Juni 1960, dem Tag des Inkrafttretens des Art. I NOG, dieselbe, so könnten verfassungsrechtliche Bedenken aus dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen grundsätzlichen Verbot rückwirkender belastender Gesetze von vornherein nicht durchgreifen.
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Vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 52 BVG konnte die Versorgungsbehörde die Rente, die sie nach § 52 gezahlt hatte, von dem Unterhaltspflichtigen, der zu Unrecht als verschollen galt, weder ganz noch in der Höhe seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Rentenempfänger zurückfordern; insbesondere ergab sich ein solcher Anspruch nicht nach den Grundsätzen über die Geschäftsführung ohne Auftrag.
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Allerdings ist nicht ernsthaft mehr bestritten, daß die Grundsätze über die Geschäftsführung ohne Auftrag ebenso wie die über die Verwahrung auch im öffentlichen Recht, ohne dort ausdrücklich normiert zu sein, entsprechend gelten. Ob die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag, soweit sie nicht im öffentlich-rechtlichen Bereich durch Gesetz ausdrücklich für anwendbar erklärt sind, auf Verhältnisse zu beschränken sind, innerhalb deren sich die Beteiligten wie im bürgerlichen Recht gleichgeordnet gegenüberstehen und der Leistende (der "Geschäftsführer") genau das erbracht hat, wozu der andere, von dem die Erstattung verlangt wird, verpflichtet ist, mag dahingestellt bleiben. Selbst wenn man annimmt, daß die Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag im vorliegenden Fall anwendbar sind, läßt sich aus ihnen der Ersatzanspruch der rentenzahlenden Behörde gegen den Unterhaltspflichtigen nicht begründen: Denn die Haftung für Aufwendungsersatz hängt nach § 677 BGB davon ab, daß einer (hier das Versorgungsamt) "ein Geschäft für einen anderen besorgt" und damit als Dritter die Leistung des Unterhaltspflichtigen erbringt und "erfüllt" (vgl. § 267 BGB). Dazu ist nach allgemeiner, in Rechtsprechung und Literatur einmütig vertretener Auffassung nötig, daß der Geschäftsbesorger das Bewußtsein und die Absicht hat, ein fremdes Geschäft zu besorgen und daß dieser Wille in den Fällen, in denen der Handelnde ein gegenständlich eigenes Geschäft besorgt (hier die Rente zahlt), nach außen irgendwie in Erscheinung tritt (vgl. z.B. Palandt, 24. Aufl., Anm. 2b zu § 677 BGB; RGR Kommentar, 11. Aufl., Anm. 2 zu § 677 BGB und die dort zitierte Judikatur). Das Versorgungsamt hat, wenn es die Rente bewilligt und gewährt hat, eine ihm obliegende Aufgabe erfüllt, nämlich das Bundesversorgungsgesetz ausgeführt. Es hat sein eigenes Geschäft, nicht ein fremdes Geschäft besorgt. Der Wille und die Absicht gingen auch bei der Bewilligung und Auszahlung der Rente objektiv auf Erfüllung dieser eigenen Aufgabe und der im Bundesversorgungsgesetz statuierten Leistungspflicht.
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Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die einen Anspruch der Versorgungsbehörde gegen den Unterhaltspflichtigen auf Ersatz der von ihr an den Unterhaltsberechtigten gewährten öffentlich-rechtlichen Leistungen verneint (BGHZ 30, 162; L/M Nr. 11 zu § 683 BGB), ist deshalb zuzustimmen. Mit diesen Entscheidungen war, entsprechend der Aufgabe eines oberen Bundesgerichts, die Rechtslage bis zum Inkrafttreten des Art. I NOG höchstrichterlich geklärt.
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2. § 52 Abs. 1 BVG n.F.bestimmt seit 1. Juni 1960, daß die Leistung der öffentlichen Hand nach Satz 1, also die Zahlung der Verschollenheitsrente, "als auch zur Erfüllung seiner (des Verschollenen) gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gewährt" gilt und daß der Verschollene von dem Zeitpunkt an zum Ersatz nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag verpflichtet ist, von dem an er seinen gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht nachgekommen ist. Damit ist die Rechtslage gegenüber der vor dem 1. Juni 1960 geltenden geändert worden. Selbst nach der Vorstellung des Gesetzgebers kann es sich entgegen der während der Beratungen des Gesetzes geäußerten Auffassung nach dem klaren Wortlaut der Neufassung des § 52 Abs. 1 BVG nicht um eine "deklaratorische Klarstellung" gehandelt haben. Denn sie sagt ausdrücklich, daß die Leistung der Verschollenheitsrente als auch zur Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung gewährt "gilt"; das heißt aber, daß gerade das Erfordernis jeder Geschäftsführung ohne Auftrag, nämlich Bewußtsein und Absicht, ein Geschäft für einen anderen zu führen, nicht vorzuliegen braucht. Der Gesetzgeber hat also die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs akzeptiert, ist von ihr ausgegangen und hat, weil aus Geschäftsführung ohne Auftrag der Rückforderungsanspruch nicht begründet werden kann, für die Zukunft jene Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag anwendbar gemacht, indem er das notwendige, aber fehlende Tatbestandsmerkmal der Besorgung eines fremden Geschäfts fingiert.
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Die objektive Rechtslage vor und nach Inkrafttreten der Neufassung des § 52 Abs. 1 BVG ist also verschieden.
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3. Art. IV § 4 Abs. 2 NOG bestimmt, daß § 52 Abs. 1 Satz 2 und 3 BVG auch insoweit gilt, als Leistungen vor dem 1. Juni 1960 gewährt worden sind. Damit ist dem § 52 Abs. 1 Satz 2 und 3 rückwirkende Kraft beigelegt worden. Der Unterhaltspflichtige, der für gezahlte Verschollenheitsrenten aus der Zeit vor dem 1. Juni 1960 keinem Ersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag ausgesetzt war, ist nun verpflichtet, nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag jene Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz zu ersetzen. Er wird rückwirkend mit einer Ersatzpflicht belastet, -- einer Ersatzpflicht, die ihn besonders hart trifft, weil sie, anders als die Zahlung verhältnismäßig kleiner laufender Unterhaltsrenten, auf die Zahlung einer relativ großen Summe geht -- es handelt sich in der Regel um Beträge zwischen 3000 DM und 15 000 DM (Kaub, KOV 1961, 169) -- und weil er sich auf sie nicht einrichten konnte.
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4. Das Bundesverfassungsgericht hat die Grenzen einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rückwirkung einer belastenden gesetzlichen Vorschrift -- außerhalb des absoluten Rückwirkungsverbots im Strafrecht -- wie folgt bestimmt: Grundsätzlich ist eine verschlechternde Rückwirkung unvereinbar mit dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit, zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit gehört, die ihrerseits für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz bedeutet. Dieser Vertrauensschutz greift ausnahmsweise nicht durch -- d.h. Rückwirkung ist insoweit zulässig --,
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(1) wenn der Bürger nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit dieser Regelung rechnen mußte, (2) wenn das geltende Recht unklar und verworren ist, (3) wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen darf, (4) wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 13, 261 [271 f.]). |
Keiner dieser Fälle, die eine Rückwirkung gestatten, liegt im gegenwärtigen Verfahren vor. Insbesondere kann man nach dem unter B. II. 1. Ausgeführten nicht sagen, die Rechtslage sei vor der Novellierung des § 52 BVG unklar und verworren gewesen. Sie war völlig klar; sie war nur in der Rechtsprechung der unteren Gerichte teilweise verkannt worden. Der Versuch des Gesetzgebers, die Rechtsprechung rückwirkend zu korrigieren, sie gleichsam für die Vergangenheit ins Unrecht zu setzen, gibt keinen Anlaß, den Bereich einer verfassungsrechtlich zulässigen Rückwirkung belastender Gesetze zu erweitern.
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