BVerfGE 22, 163 - Kindergeld des Stiefvaters |
1. Der Ausschluß des Anspruches des Stiefvaters auf Zweitkindergeld für ein in seinen Haushalt aufgenommenes uneheliches Kind seiner Ehefrau, dessen Vater Kinderzuschlag nach Besoldungsrecht erhielt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG), war mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 5 GG nicht vereinbar. |
2. Die in Art. 6 Abs. 5 GG enthaltene Wertentscheidung verpflichtet den Gesetzgeber, das ihm Mögliche zu tun, um das Aufwachsen eines unehelichen Kindes in einer "Ersatzfamilie" zu fördern. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 11. Juli 1967 |
– 1 BvL 23/64 – |
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld für zweite Kinder und die Errichtung einer Kindergeldkasse vom 18. Juli 1961 (BGBl. I S. 1001) – Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Februar 1964 – L 5 a Ar 1422/63 (Kg) –. |
Entscheidungsformel: |
§ 3 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld für zweite Kinder und die Errichtung einer Kindergeldkasse (Kindergeldkassengesetz – KGKG –) vom 18. Juli 1961 (Bundesgesetzbl. I Seite 1001) war insoweit nichtig, als er den Anspruch des Stiefvaters auf Zweitkindergeld für ein in seinen Haushalt aufgenommenes uneheliches Kind seiner Ehefrau ausschloß, dessen Vater auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses Bezüge unter Anwendung besoldungsrechtlicher Vorschriften über Kinderzuschläge erhielt. |
Gründe: |
A. – I. |
1. Nach dem Kindergeldkassengesetz (KGKG) vom 18. Juli 1961 (BGBl. I S. 1001) hatten Personen mit zwei oder mehr Kindern Anspruch auf Zahlung von Kindergeld für das zweite Kind, sofern ihr Jahreseinkommen 7200 DM nicht überstieg (§ 1 Abs. 1 KGKG). Als Kinder im Sinne des Gesetzes galten nach der entsprechend anwendbaren Regelung des Kindergeldgesetzes (KGG) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften der Kindergeldgesetze vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1061) auch eheliche oder uneheliche Stiefkinder unter 18 Jahren, die in den Haushalt des Stiefvaters oder der Stiefmutter aufgenommen waren (§ 7 KGKG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KGG; vgl. jetzt § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Bundeskindergeldgesetzes vom 14. April 1964 – BGBl. I S. 265 –). Der Anspruch auf Zweitkindergeld entfiel jedoch für Kinder von Beamten oder Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes. Die einschlägige Vorschrift des § 3 KGKG lautete in dem hier maßgeblichen Teil:
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§ 3 Ausnahmen
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(1) Anspruch auf Zweitkindergeld besteht nicht für Kinder 1. von Personen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis stehen und Bezüge unter Anwendung besoldungsrechtlicher Vorschriften über Kinderzuschläge erhalten, 2. ... |
2. Das Bundeskindergeldgesetz (BKGG), das mit Wirkung vom 1. Juli 1964 an die Stelle des Kindergeldgesetzes und des Kindergeldkassengesetzes getreten ist (vgl. § 47 BKGG), hat den Ausschluß des Anspruchs auf Kindergeld für zweite Kinder und weitere Kinder in den Fällen, in denen für das Kind bereits Kindergeldzuschläge nach Beamtenrecht oder öffentlichem Dienstrecht gezahlt werden, grundsätzlich beibehalten. § 7 Abs. 1 Nr. 1 BKGG entspricht fast wörtlich dem § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG; jedoch können durch Rechtsverordnung zur Vermeidung von Härten Ausnahmen zugelassen werden (§ 7 Abs. 7 BKGG).
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II. |
1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat aus erster Ehe eine 1956 geborene Tochter, aus seiner jetzigen Ehe eine 1960 geborene Tochter. In seinem Haushalt lebt außerdem ein im Jahre 1958 geborener außerehelicher Sohn seiner jetzigen Ehefrau, dem der Kläger seinen Namen erteilt hat. Der Vater dieses Kindes hat die Vaterschaft anerkannt und sich zur Unterhaltszahlung verpflichtet – zur Zeit des Vorlagebeschlusses in Höhe von 80 DM monatlich. Er steht als Beamter im bayerischen Staatsdienst und bezog nach Art. 18 Abs. 1 Nr. 7 des Bayerischen Besoldungsgesetzes vom 14. Juni 1958 (GVBl. S. 101) einen monatlichen Kinderzuschlag von 30 DM. Die Kindergeldkasse lehnte unter Berufung auf § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG die Zahlung von Zweitkindergeld für den Stiefsohn des Klägers ab; die hiergegen erhobene Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg.
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2. Auf die vom Kläger eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht den Rechtsstreit ausgesetzt und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber erbeten,
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"ob § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Kindergeldkassengesetzes (in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 Nr. 7 des Bayerischen Besoldungsgesetzes) mit Art. 3 GG vereinbar ist."
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Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kann die Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG, wonach Doppelleistungen der öffentlichen Hand für ein und dasselbe Kind ausgeschlossen werden sollten, bei unehelichen Kindern zu Ergebnissen führen, die mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar sind. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut sowie nach Sinn und Zweck lasse die Vorschrift nur die Auslegung zu, daß dem Stiefvater des unehelichen Kindes eines Beamten das Zweitkindergeld zu versagen sei. Hierdurch werde das uneheliche Kind eines Beamten, der Anspruch auf Kinderzuschlag habe, schlechter gestellt als ein unter gleichen Bedingungen lebendes uneheliches Kind, dessen Erzeuger in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen oder freiberuflich tätig sei, da im letzteren Falle der Stiefvater Zweitkindergeld erhalte. Dieser Unterschied werde durch die familienrechtlichen Vorschriften nicht ausgeglichen, weil der Unterhaltsanspruch eines unehelichen Kindes gegen seinen Vater sich nicht nach dessen Leistungsfähigkeit richte; der Kindergeldzuschlag nach Besoldungsrecht komme daher dem unehelichen Kind weder unmittelbar noch mittelbar zugute.
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3. Das Bundessozialgericht, das sich nach § 82 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG geäußert hat, teilt im Ergebnis die Auffassung des vorlegenden Gerichts. Der Gesetzgeber habe eine durch gewisse Unterschiede zwischen dem Kinderzuschlag und dem Kindergeld gebotene Differenzierung unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unterlassen. Der gesetzgeberische Zweck der Kindergeldregelung, nicht primär einen bestimmten Unterhaltspflichtigen, sondern die Familie, die tatsächlich für das Kind sorge, zu entlasten, werde bei der für das uneheliche Kind eines Beamten sorgenden Familie ausnahmsweise nicht erreicht, weil der Gesetzgeber nicht berücksichtigt habe, daß in diesen Fällen der Kinderzuschlag kein Äquivalent für das Zweitkindergeld darstelle.
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Die Bundesregierung hält § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG für vereinbar mit dem Grundgesetz. Eine verfassungswidrige ungleiche Behandlung des Klägers liege nicht vor. Die zur Prüfung gestellte Norm entspreche der konsequenten Durchführung des Grundsatzes, daß die Gewährung des Kindergeldes nicht zu Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln führen dürfe. Dies müsse auch gelten, wenn der für den Anspruch auf Zweitkindergeld in Betracht kommende Elternteil nicht personengleich mit dem Kinderzuschlagsberechtigten sei. Der Kinderzuschlag führe in den zahlreichen Fällen, in denen er höher sei als die vom Gericht festgesetzte Unterhaltsrente, immerhin mittelbar zu einer höheren Unterhaltszahlung. Die Bundesregierung prüfe allerdings seit einiger Zeit, ob trotz dieser Bedenken insbesondere in Härtefällen eine Ausnahme möglich sei, und habe deswegen bei der Gesetzesberatung des Bundeskindergeldgesetzes die Ermächtigung des § 7 Abs. 7 angeregt.
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B. |
Die Vorlage ist zulässig; sie bedarf jedoch der eingrenzenden Auslegung. Aus den Gründen des Vorlagebeschlusses ergibt sich, daß das Landessozialgericht § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG nur insoweit zur Prüfung stellen will, als diese Vorschrift dem Stiefvater eines unehelichen Kindes seiner Ehefrau, das in seinem Haushalt lebt, das Zweitkindergeld versagt, weil der Vater des Kindes auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses Kinderzuschlag erhält. In diesem Rahmen ist die Norm für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts erheblich.
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C. |
In dieser Begrenzung war die Norm mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
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I. |
Zwar kommt eine Verletzung der Grundrechte der betroffenen Kinder aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Betracht. Der Anspruch auf Kindergeld steht stets nur einem Elternteil (einschließlich der Stief- oder Pflegeeltern) zu, nicht aber den Kindern selbst.
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Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt jedoch darin, daß die Anwendung der Norm in dem hier zur Prüfung stehenden Geltungsbereich zu einer ungerechtfertigten Differenzierung im Kreise der nach § 7 KGKG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KGG an sich empfangsberechtigten Personen führt: Die Stiefväter einer bestimmten Gruppe von unehelichen Kindern ("Beamtenkinder") werden im Vergleich zu den Stiefvätern einer anderen Gruppe von unehelichen Kindern ("Nicht-Beamtenkinder") ohne sachgerechten Grund benachteiligt.
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1. Vergleicht man diese beiden Gruppen miteinander, so liegt eine ungleiche Behandlung nur vor, wenn die Auslegung der zur Prüfung gestellten Norm durch das vorlegende Gericht zutrifft. Dies ist zu bejahen. Nach der Auslegung des Landessozialgerichts greift die Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG nicht nur dann ein, wenn ohne sie der Anspruch auf besoldungs- oder tarifrechtlichen Kinderzuschlag mit dem Kindergeldanspruch bei ein und derselben Person zusammentreffen würde; vielmehr genügt es, daß irgend jemand als Angehöriger des öffentlichen Dienstes für das betreffende Kind Kinderzuschlag erhält, um den Anspruch auf Zweitkindergeld für jede andere nach §§ 1 Abs. 1, 7 KGKG i.V.m. § 2 Abs. 1 KGG als anspruchsberechtigt in Betracht kommende Person, also auch für den Stiefvater, auszuschließen. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes, wonach Doppelleistungen für ein und dasselbe Kind vermieden werden sollen; sie wird auch im Schrifttum und in der Rechtsprechung einhellig vertreten. Danach ergibt sich, daß unter sonst gleichen Bedingungen die Stiefväter unehelicher "Beamtenkinder" in der Tat schlechter stehen als die Stiefväter unehelicher Kinder, deren Vater in der privaten Wirtschaft oder freiberuflich tätig ist.
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2. Für die Frage, ob diese ungleiche Regelung nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Prüfungsmaßstäben dem Art. 3 Abs. 1 GG entspricht, kommt es darauf an, ob der Gesetzgeber bei der grundsätzlich in seinem Ermessen liegenden Auswahl der Elemente, die für die Bewertung bestimmter Sachverhalte als "gleich" oder "ungleich" im Sinne der konkreten gesetzlichen Regelung maßgebend sein sollen, sachgerecht verfahren ist.
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a) Die Kindergeldgesetze dienen allgemein dem sozialpolitischen Zweck eines "Familienlastenausgleichs" (vgl. BVerfGE 11, 105 [115 ff.]). Dabei wollte der Gesetzgeber gerade diejenigen kinderreichen Familien erfassen, die nicht schon auf andere Weise aus öffentlichen Mitteln einen Ausgleich für die durch Kinder bedingten besonderen Lasten erhielten (vgl. u. a. die Begründung zum Regierungsentwurf des Kindergeldkassengesetzes – BTDrucks. III/2648, S. 11). Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es als sachgerecht, wenn nach dem Grundgedanken des § 3 Abs. 1 KGKG – ebenso wie nach § 3 Abs. 2 KGG und § 7 Abs. 1 BKGG – das Kindergeld nur subsidiären Charakter hat; es soll entfallen, wenn bereits aus anderem Rechtsgrund eine vergleichbare Kinderbeihilfe aus öffentlichen Mitteln gezahlt wird.
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Freilich bestehen, wie auch das Bundessozialgericht hervorgehoben hat, gewisse Unterschiede zwischen den beiden Leistungen: Der Kinderzuschlag nach dem Recht des öffentlichen Dienstes wird bereits vom ersten Kinde an gezahlt. Das Kindergeld wird allgemein nur für dritte und weitere Kinder gewährt, für das zweite Kind nur bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze. Kinderzuschlag und Kindergeld unterscheiden sich auch in der Höhe. Dies beruht letzten Endes auf einer verschiedenen Funktion beider Leistungen. Der Kinderzuschlag ist ein Bestandteil der Dienstbezüge, der dem Angehörigen des öffentlichen Dienstes die Erfüllung seiner Unterhaltspflichten gegenüber seinen Kindern erleichtern soll. Demgegenüber ist das Kindergeld eine staatliche Sozialleistung, die primär die besonderen Lasten der Familie mit mehreren Kindern wenigstens teilweise ausgleichen soll.
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c) Trotz dieser Unterschiede zwischen dem Kindergeld und dem Kinderzuschlag widerspricht es grundsätzlich nicht dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der Gesetzgeber generell beide Leistungen als gleichartig ansieht und daher im Falle der Zahlung von Kinderzuschlag den Anspruch auf Kindergeld ausschließt. Für eine gewährende Staatstätigkeit nach Art der Kindergeldregelung ist dem Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen, insbesondere darf er bei der Ordnung von Massenerscheinungen typisieren (vgl. Bundesverfassungsgericht vom 20. Juni 1967 – 1 BvL 29/66 –; BVerfGE 17, 1 [23]). Danach läßt sich die Subsidiarität des Kindergeldes gegenüber dem Kinderzuschlag rechtfertigen, sofern der mit der Kindergeldregelung erstrebte Effekt im wesentlichen auch durch den Kinderzuschlag erreicht wird oder wenigstens typischerweise miterreicht werden kann. Dies ist der Fall, wenn der Kinderzuschlag an denselben Elternteil gezahlt wird, der sonst Anspruch auf Zweitkindergeld hätte, oder jedenfalls an eine Person, die mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt lebt, weil der Kinderzuschlag unter diesen Umständen der für das Kind sorgenden Familie – und damit auch dem Kind – zugute kommt. Die verschiedene Höhe der beiden Leistungen fällt dabei nicht ins Gewicht, weil der Kinderzuschlag – auch in dem hier maßgebenden Zeitraum – jedenfalls nicht niedriger war als das Zweitkindergeld und eine eventuelle Differenz beim dritten und weiteren Kind typischerweise dadurch ausgeglichen wird, daß der Kinderzuschlag schon für das erste Kind gezahlt wird.
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Anders liegt es jedoch, wenn der Kinderzuschlagsberechtigte und derjenige, der an sich Anspruch auf das Kindergeld hätte, nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben. Hier kann die mit der Kindergeldregelung beabsichtigte Entlastung der dieses Kind und andere Kinder betreuenden Familie durch die Zahlung des Kinderzuschlags unmittelbar nicht erreicht werden. Bei ehelichen Stiefkindern könnte sich der Kinderzuschlag wenigstens mittelbar zugunsten der das Kind betreuenden Familie auswirken, weil er die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen erhöht, die nach den familienrechtlichen Vorschriften einen maßgebenden Faktor für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs bildet (vgl. §§ 1601, 1603 BGB). Ob diese Erwägung ausreicht, um die verschiedene Behandlung von Stiefvätern ehelicher "Beamtenkinder" und Stiefvätern ehelicher "Nicht-Beamtenkinder" als sachlich einleuchtend erscheinen zu lassen, bedarf hier keiner Entscheidung.
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Denn in der hier interessierenden Fallgruppe der unehelichen Stiefkinder besteht nicht einmal die Chance einer derartigen mittelbaren Begünstigung. Dies beruht, wie das vorlegende Gericht und das Bundessozialgericht eingehend dargelegt haben, auf. der besonderen, von der allgemeinen familienrechtlichen Regelung abweichenden Gestaltung des Unterhaltsanspruchs für uneheliche Kinder. Nach § 1708 Abs. 1 BGB ist der Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes gegen seinen Vater nach Art eines schuldrechtlichen Zahlungsanspruchs geregelt. Die Höhe des Anspruchs bemißt sich allein nach der Lebensstellung der Mutter, wobei die Praxis sich an festen Mindestssätzen orientiert; der Anspruch ist von der Leistungsfähigkeit des Vaters ganz unabhängig.
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Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung, besonders ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 und 5 GG ist freilich bestritten. Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm des Kindergeldrechts ist davon auszugehen, daß Praxis und Rechtsprechung § 1708 Abs. 1 BGB ganz überwiegend als gültig behandeln und demgemäß bei der Bemessung; des Unterhaltsanspruchs die Leistungsfähigkeit des Vaters unberücksichtigt lassen.
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Es trifft auch nicht zu, daß – wie die Bundesregierung meint – die Zahlung des Kinderzuschlags wenigstens mittelbar zu einer Erhöhung der Unterhaltsleistung des unehelichen Vaters führe, weil die besoldungsrechtliche Regelung den Anspruch auf Kinderzuschlag davon abhängig mache, daß der Vater mindestens den doppelten Betrag an Unterhalt zahle. Das Bundessozialgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß sich hieraus keine Verpflichtung zu einer erhöhten Unterhaltsleistung ergibt; vielmehr genügt es, wenn der Vater den vereinbarten oder gerichtlich festgesetzten Unterhalt leistet, sofern dieser nur das Doppelte des Kinderzuschlags beträgt. Außerdem kann sich die besoldungsrechtliche Regelung auch dahin auswirken, daß bei Überschuldung des Vaters überhaupt kein Kinderzuschlag gezahlt wird. Im übrigen liegen die von den Gerichten zugrunde gelegten Mindestsätze für den Unterhalt unehelicher Kinder eher höher als der doppelte Betrag des Kinderzuschlags; sie waren auch in dem hier maßgebenden Zeitpunkt jedenfalls nicht niedriger.
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Hieraus ergibt sich, daß § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG im Zusammenwirken mit der genannten Unterhaltsregelung zu einer Benachteiligung der Familien mit unehelichen Stiefkindern führt, die nach dem Ziel und dem System der Kindergeldregelung sachlich nicht gerechtfertigt werden kann. Es ist nicht einzusehen, warum zwei in ganz gleichen Vermögensverhältnissen lebende Familien, die außer einem anderen Kind noch ein uneheliches Stiefkind betreuen und für das letztere gleichhohe Alimente erhalten, verschieden behandelt werden, indem die eine Familie als Ausgleich für die mit der Betreuung der Kinder verbundenen Lasten Kindergeld erhält, die andere Familie aber leer ausgeht, weil der Erzeuger des unehelichen Kindes Beamter ist.
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II. |
Diese Regelung kann auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, es handele sich bei den benachteiligten Familien um Einzelfälle, deren Besonderheiten der Gesetzgeber bei einer notwendig typisierenden Regelung außer acht lassen dürfe. Daß die uneheliche Mutter einen anderen Mann heiratet als den Kindesvater und das Kind in dem gemeinsamen Haushalt der Mutter und des Stiefvaters aufwächst, kommt häufig vor: Die benachteiligte Gruppe weist also ihrerseits typische Merkmale auf, und ihre Benachteiligung beruht auf der Sonderregelung des Unterhaltsrechts für die unehelichen Kinder.
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Die Pflicht des Gesetzgebers, dieser besonderen Situation der unehelichen Kinder Rechnung zu tragen, insbesondere die Auswirkung der von ihm selbst geschaffenen oder beibehaltenen Unterhaltsregelung zu berücksichtigen, ergibt sich vor allem aus Art. 6 Abs. 5 GG. Diese Verfassungsvorschrift enthält nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls eine verfassungsrechtliche Wertentscheidung, die der Gesetzgeber auch im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes zu beachten hat (BVerfGE 8, 210 [216 f.]; 17, 148 [153]). Diese Wertentscheidung kann auch dann verfehlt sein, wenn die gesetzliche Regelung die unehelichen Kinder im Verhältnis zu den ehelichen Kindern oder einzelne Gruppen unehelicher Kinder im Verhältnis zu anderen Gruppen mittelbar schlechter stellt.
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Dies ist hier der Fall. Die Zahlung oder Nichtzahlung des Kindergeldes an den Stiefvater eines unehelichen Kindes wirkt sich nicht nur wirtschaftlich auf die Lage des Kindes aus. Der Stiefvater eines unehelichen Kindes wird in der freiwillig übernommenen Pflicht, an diesem Kinde Vaterstelle zu vertreten und sich insbesondere um seine Erziehung und Ausbildung zu kümmern, moralisch bestärkt, wenn er für die übernommene Last wenigstens einen gewissen finanziellen Ausgleich erhält (vgl. BVerfGE 17, 148 [153 ff.]). Nach den Erfahrungen der Praxis bildet gerade die finanzielle Belastung der Stiefvater-Familie durch die Aufnahme des unehelichen Kindes oft Stoff für Konflikte, die sich nachteilig auf die Entwicklung des Kindes auswirken.
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Die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 5 GG verpflichtet den Gesetzgeber allgemein, die gleichen Bedingungen nicht nur für die leibliche, sondern auch für die seelische Entwicklung des unehelichen Kindes zu schaffen wie für das eheliche Kind. Da die entscheidende Benachteiligung für die Entwicklung des unehelichen Kindes im Fehlen der Familiengemeinschaft mit Vater und Mutter liegt, bedeutet diese Aufgabe auch, daß der Gesetzgeber das ihm Mögliche tun muß, um das Aufwachsen des Kindes in einer "Ersatzfamilie" zu fördern. Dem entspricht es, wenn die Kindergeldregelung auch die Stiefväter unehelicher Kinder in die gewährte soziale Familienhilfe einbezieht. Dagegen ist es mit dem Verfassungsgebot nicht vereinbar, wenn der Gesetzgeber bestimmten "Ersatzfamilien" die gebotene Entlastung ohne Ausgleich wieder versagt und damit mittelbar die Eingliederung des Kindes in diese Familie und seine harmonische Entwicklung erschwert.
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III. |
Die zugunsten der Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung vorgetragenen Argumente können demgegenüber nicht durchgreifen.
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Die Ansicht der Bundesregierung, es sei durchaus sachgemäß, wenn die Kinderbeihilfe (in Form des besoldungsrechtlichen Zuschlags) nicht dem Stiefvater, sondern dem im öffentlichen Dienst stehenden unterhaltspflichtigen Vater zufließe, weil bei ihm wegen seiner Beamtenstellung die Erfüllung der Unterhaltspflicht als gesichert anzusehen sei, berücksichtigt nicht, daß die Funktion des Kindergeldes primär in einer Entlastung der das Kind betreuenden Familie liegt. Außerdem beruht die größere Sicherheit des Unterhaltsanspruchs gegen den Beamten nicht auf dem Kinderzuschlag, sondern darauf, daß der Beamte feste, leicht feststellbare und pfändbare Bezüge hat.
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Die Regelung kann auch nicht deswegen aufrechterhalten werden, weil nach Ansicht der Bundesregierung nur auf diese Weise Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln für ein und dasselbe Kind vermieden werden könnten. Die Bundesregierung ist selbst der Auffassung, daß der Grundsatz des Ausschlusses von Doppelleistungen keine absolute Gültigkeit beanspruchen kann. Dies ergibt sich schon aus der Begründung zum Regierungsentwurf des Bundeskindergeldgesetzes, wonach der Grundsatz durch den Zusatz "nach Möglichkeit" eingeschränkt wird (BT-Drucks. I V/818 S. 15 zu § 7), vor allem aber aus der mit Zustimmung der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren eingefügten Ermächtigung der § 7 Abs. 7 und § 8 Abs. 4 BKGG. Danach kann der Bundesarbeitsminister zur Vermeidung von Härten durch Rechtsverordnung bestimmen, daß Kindergeld gewährt wird, wenn der Kinderzuschlag oder die vergleichbare Kinderbeihilfe nicht an eine Person gezahlt wird, die in dem gleichen Haushalt lebt wie das Kind. Diese Ergänzung ist vom Bundestagsausschuß für Arbeit wie folgt begründet worden:
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"Da im öffentlichen Dienst Kinderzuschläge zu Lohn und Gehalt gewährt werden, ist der Anspruch auf Kindergeld nach § 7 allgemein ausgeschlossen, wenn ein Elternteil des Kindes im öffentlichen Dienst beschäftigt ist. Lebt das Kind in diesem Fall in dem Haushalt eines anderen Elternteils, so kann der Ausschluß für diesen unter Umständen eine Härte darstellen. Diese Ermächtigung ... soll die Möglichkeit geben, solche Härten im Verordnungswege zu beseitigen." (Schriftlicher Bericht, BT-Drucks. IV/1961 S. 4 zu § 7)
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Der Gesetzgeber wollte also gerade für Fälle der hier vorliegenden Art die Zahlung von Kindergeld neben der Zahlung von Kinderzuschlag ermöglichen.
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IV. |
Der festgestellte Verfassungsverstoß muß zu einer teilweisen Nichtigerklärung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG führen. Diese ist möglich, weil sie den Kreis der Anspruchsberechtigten nicht grundsätzlich erweitert, sondern nur eine Ausnahmevorschrift für eine abgrenzbare Gruppe von Fällen beseitigt. Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber es in Kenntnis des Verfassungsverstoßes für diese Fälle bei der Regel belassen und die Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KGKG entsprechend eingeschränkt hätte. In diese Richtung weist auch die Ermächtigung in § 7 Abs. 7 BKGG.
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(gez.) Dr. Müller Dr. Berger Dr. Scholtissek Dr. Stein Ritterspach Dr. Haager Rupp-v. Brünneck Dr. Böhmer |