BVerfGE 23, 353 - Breitenborn-Gelnhausen
Zur Frage der Vereinbarkeit der sog. Vorbelastungsregelung in § 14 Abs. 2 Nr. 1 des Finanzausgleichsgesetzes des Landes Hessen vom 27. März 1958 (GVBl. S. 43) mit Art. 28 Abs. 2 GG.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 21. Mai 1968
-- 2 BvL 2/61 --
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 14 Absatz 2 Nr. 1 des Finanzausgleichsgesetzes des Landes Hessen vom 27. März 1958 (GVBl. S. 43), soweit er bestimmt, dass die Steuerkraftzahlen um den Betrag erhöht werden, um den die Steuerkraftmesszahlen einzelner Gemeinden 160 vom Hundert der Bedarfsmesszahlen übersteigen - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Main) vom 15. Dezember 1960 (I/1-843/58) -
Entscheidungsformel:
§ 14 Absatz 2 Nr. 1 des Finanzausgleichsgesetzes des Landes Hessen vom 27. März 1958 (GVBl. S. 43) war mit dem Grundgesetz auch insoweit vereinbar, als er bestimmt, daß die Steuerkraftzahlen um den Betrag erhöht werden, "um den die Steuerkraftmeßzahlen einzelner Gemeinden 160 vom Hundert der Bedarfsmeßzahlen übersteigen".
 
Gründe:
 
A. -- I.
1. Bei dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Main) ist eine Klage der hessischen Gemeinde Breitenborn, Amt Wächtersbach (AW), Kreis Gelnhausen, gegen den Landkreis Gelnhausen anhängig, mit der sich die Klägerin gegen die für das Jahr 1958 veranschlagte Kreisumlage wendet. Sie beantragt, den Umlagebescheid 1958 insoweit aufzuheben, als der Landkreis mehr als 45 000 DM fordert, und macht geltend, daß die in der Berechnung der Kreisumlage enthaltenen, auf § 14 Abs. 2 Nr. 1 des Hessischen Gesetzes zur Regelung des Finanzausgleichs (Finanzausgleichsgesetz - Hess. FAG - in der Fassung vom 27. März 1958 [GVBl. S. 43 ff.]) beruhende sog. "Vorbelastung" ungerechtfertigt sei, da diese Vorbelastung die Finanzhoheit der Gemeinde beeinträchtige sowie gegen den Gleichheitssatz verstoße und deshalb weder mit der Hessischen Verfassung noch mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
§ 14 Hess. FAG regelt die Kreisumlage für die kreisangehörigen Gemeinden. Er lautet:
    (1) Soweit die sonstigen Einnahmen der Landkreise zum Ausgleich des Haushalts nicht ausreichen, haben die Landkreise eine Kreisumlage von ihren Gemeinden und den gemeindefreien Grundstücken zu erheben.
    (2) Umlagegrundlagen sind:
    1. die Steuerkraftmeßzahlen gemäß § 7 mit der Maßgabe, daß die Gewerbesteuerausgleichszuschüsse in voller Höhe den Steuerkraftzahlen der Wohngemeinden hinzugefügt werden; sie werden um den Betrag erhöht, um den die Steuerkraftmeßzahlen einzelner Gemeinden 160 vom Hundert der Bedarfsmeßzahlen übersteigen; dies gilt nicht, wenn in dem Rechnungsjahr, für das die Kreisumlage beschlossen wird, die Steuerkraftmeßzahl der Gemeinde 160 vom Hundert der Bedarfsmeßzahl nicht mehr übersteigt.
    2. 75 vom Hundert der Gemeindeschlüsselzuweisungen. Änderungen auf Grund des § 8 Abs. 5 bleiben unberücksichtigt.
    3. die Einnahmen der Gemeinden an Vergnügungssteuer in dem Kalenderjahr, das dem Ausgleichsjahr vorangeht.
    (3) Die Umlagen sollen 32 vom Hundert der Umlagegrundlagen nicht übersteigen. Die Aufsichtsbehörde kann einen höheren Umlagesatz genehmigen. Der Umlagesatz kann nach dem 30. November des jeweils laufenden Rechnungsjahres nicht mehr erhöht werden.
    (4) Die gemeindefreien Grundstücke und die Gemeinden, deren Steuerhebesätze erheblich unter dem Kreisdurchschnitt liegen, sind mit einem besonderen Vomhundertsatz der Umlagegrundlagen heranzuziehen.
    (5) Das Nähere über das Verhältnis der Umlagesätze und über die Heranziehung der gemeindefreien Grundstücke sowie der Gemeinden, deren Steuerhebesätze unter dem Kreisdurchschnitt liegen, bestimmen der Minister der Finanzen und der Minister des Innern.
Die sog. Vorbelastungsregelung in § 14 Abs. 2 Nr. 1 ("sie werden um den Betrag erhöht, um den die Steuerkraftmeßzahlen einzelner Gemeinden 160 vom Hundert der Bedarfsmeßzahlen übersteigen") bewirkt, daß gewisse Gemeinden stärker zur Kreisumlage herangezogen werden als andere.
Die Vorbelastungsregelung des Hessischen Finanzausgleichsgesetzes 1958 ist in den nachfolgenden Ausgleichsgesetzen mit der Maßgabe beibehalten worden, daß der Vomhundertsatz von 160 auf 170 erhöht wurde.
2. Die Gemeinde Breitenborn AW ist eine kleine Gemeinde; sie hatte an dem für das Haushaltsjahr 1958 maßgeblichen Stichtag (30. Juni 1956) 753 Einwohner. Die Frankfurter Firma "..." betreibt in der Gemeinde einen Zweigbetrieb. Bei der wirtschaftlichen Bedeutung des Werkes ist die Gewerbesteuereinnahme der Gemeinde verhältnismäßig hoch.
Im Rechnungsjahr 1957 belief sich die Steuereinnahme der Gemeinde Breitenborn AW aus den Grundsteuern A und B bei einem Hebesatz von 140 v. H. auf 20 481 DM. Für die Gewerbesteuer ergab sich, bezogen auf den nach den Ausführungsbestimmungen zum Hess. FAG maßgebenden Zeitraum vom 1. Oktober 1956 bis 30. September 1957 (Hess.StA 1958 S. 558 zu § 7 Hess.FAG), ein Betrag von 122 067 DM. Die Gemeinde Breitenborn AW hatte den Hebesatz der Gewerbesteuer Anfang 1957 von 200 auf 175 v. H. herabgesetzt, so daß der Berechnung bis zum 31. März 1957 der höhere, für die restliche Zeit der niedrigere Hebesatz zugrunde zu legen war.
Für die Berechnung der Umlagegrundlage waren außer § 14 Hess.FAG vor allem die §§ 6 und 7 dieses Gesetzes maßgebend. Die nach diesen Bestimmungen und den Ausführungsverordnungen für die Gemeinde Breitenborn AW festgestellte Umlagegrundlage belief sich für das Jahr 1958 auf 305 428 DM. Bei dem vom Landkreis Gelnhausen festgesetzten Hebesatz von 32 v. H. ergab sich eine Kreisumlage von 97 737 DM.
II.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Main) hält - in Übereinstimmung mit der Klägerin im Ausgangsverfahren - die hessische Vorbelastungsregelung für verfassungswidrig. Es hat durch Beschluß vom 15. Dezember 1960 das Verwaltungsstreitverfahren ausgesetzt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt zur Entscheidung darüber, ob § 14 Abs. 2 Nr. 1 des Hessischen Finanzausgleichsgesetzes mit der dort getroffenen Regelung: "sie (die Steuerkraftzahlen) werden um den Betrag erhöht, um den die Steuerkraftmeßzahlen einzelner Gemeinden 160 v. H. der Bedarfsmeßzahlen übersteigen" gegen Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes verstößt.
In dem Vorlagebeschluß wird ausgeführt:
    Für die zu treffende Entscheidung komme es auf die Gültigkeit oder Nichtigkeit des § 14 Abs. 2 Nr. 1 FAG an, da aus keinem anderen Gesichtspunkt die Klage unbegründet sei.
1. Die gesetzliche Vorschrift über die Vorbelastungsregelung stelle einen nicht mehr zulässigen Eingriff des Landesgesetzgebers in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden dar. Praktisch habe die Vorbelastungsregelung eine Aushöhlung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts zur Folge und könne als nicht mehr gerechtfertigt anerkannt werden. Kommunale Selbstverwaltung und soziale Gerechtigkeit in Form eines alle Unterschiede beseitigenden Finanzausgleichs zwischen den verschiedenen öffentlichen Verwaltungs- und Aufgabenträgern schlössen sich gegenseitig aus. Es komme auch im vorliegenden Falle auf das Maß des Eingriffs und seine praktischen Auswirkungen an.
Zwar sei, wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden habe, im Rahmen des Art. 28 Abs. 2 GG eine Regelung nicht ausgeschlossen, "die auf Grund der geschichtlichen Entwicklung des Kommunalrechts als mit dem Wesen der Selbstverwaltung vereinbar angesehen" werden könne. Die Vorbelastungsregelung habe in der geschichtlichen Entwicklung des Kommunalrechts jedoch keine Vorgängerin. Sie stelle eine vollkommen neue Institution dar. Letzten Endes könne nicht unberücksichtigt bleiben, daß zur Finanzhoheit und damit zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht die Finanzverantwortung gehöre. Sie sei aber völlig ausgehöhlt, wenn den Gemeinden keine eigene Gestaltungsfreiheit mehr bleibe.
2. Die Gemeinden hätten auf die Mehrzahl der für die Umlagefestsetzung maßgebenden Größen keinen Einfluß mehr. So könnten die Gemeinden nicht beeinflussen: ihre Steuerbedarfsmeßzahl; die tatsächlich eingegangenen Steuereinnahmen für den zurückliegenden Zeitraum, der maßgebend sei; den Hundertsatz der Vorbelastung und die Höhe des Vorbelastungsbetrages. Eine mittelbare Einwirkung hätten die Gemeinden auf die Höhe der zu zahlenden Kreisumlage nur dadurch, daß sie für den maßgebenden Berechnungszeitraum des Istaufkommens der Gewerbesteuer die Hebesätze für die Gewerbesteuer beschlössen und damit die entscheidenden Grundbeträge der Gewerbesteuer für die Steuerkraftzahlen beeinflußten. Dies habe aber deshalb keine große praktische Bedeutung, weil eine nachträgliche Änderung nicht möglich sei und bei Beschlußfassung der Gewerbesteuerhebesätze nicht bekannt sein könne, welche Beträge an Gewerbesteuern tatsächlich eingenommen würden. Ein beschränkter Einfluß auf die Höhe der zu zahlenden Kreisumlage bestehe noch darin, daß die Gemeinden über die von ihrer Bevölkerung gewählten Kreistagsabgeordneten auf eine Herabsetzung des Umlagehebesatzes hinwirken könnten. Einen geringeren Einfluß könnten die Gemeinden noch dadurch ausüben, daß sie ihren Finanzbedarf drosselten. Allen diesen Bestrebungen seien aber für die Gemeinde enge Grenzen gesetzt. Die meisten Ausgaben seien gesetzlich festgelegt. Der Spielraum für freie Gestaltung, der sog. echte Gemeindefinanzbedarf, sei auch bei den Gemeinden in der Regel gering. Den größeren Posten stellten die gesetzlich zugewiesenen Selbstverwaltungsangelegenheiten und der sog. "Auftragsbedarf" dar. Die Einkünfte aus Vermögen ließen sich ebenfalls nicht wesentlich durch die Gemeinden ändern.
Gerade in Hessen seien die Gemeinden in stärkerem Umfang als in allen anderen Bundesländern durch die Vorbelastungsregelung eingeschränkt. Für die betroffenen Gemeinden sei es praktisch ausgeschlossen, einen geringeren Hebesatz als etwa 150 v. H. zu beschließen. Die kritische Grenze sei schon ohne Vorbelastung für alle Gemeinden der Hebesatz von etwa 80 v. H. Ein Vergleich mit dem im Gebiet des Landkreises Gelnhausen für das Rechnungsjahr 1957 errechneten Durchschnittshebesatz von 226 v. H. und für das Land Hessen von 279 v. H. zeige, daß eine unter die Vorbelastungsregelung fallende Gemeinde auch bezüglich der Höhe des zu beschließenden Hebesatzes für die Gewerbesteuer kaum noch Gestaltungsmöglichkeiten besitze. Als tragender Pfeiler der gemeindlichen Finanzen müsse aber nach Ansicht der Kammer die Gewerbesteuer mindestens zu einem bestimmten Teil der Gemeinde zufließen. Die Gemeinde habe durch die betreffenden Gewerbebetriebe Mehraufwendungen für Aufgaben, die die Gewerbebetriebe direkt oder indirekt ausgelöst hätten. Wenn bei einem Hebesatz von 150 v. H. und einem Umlagehebesatz von 32 v. H. die Gemeinden je nach der Höhe der Gewerbesteuereinnahmen etwa den gleichen Betrag, den sie als Gewerbesteuer erhalten, als Kreisumlage zu zahlen hätten, so läge die kritische Grenze noch wesentlich höher. Denn auch bei einem Hebesatz von 200 v. H. seien noch 2/3 bis 3/4 der Gewerbesteuereinnahmen als Umlage an den Kreis zu zahlen. Selbst bei einem Hebesatz von 300 v. H., der erfahrungsgemäß schon als sehr hoch zu bezeichnen sei, betrage die Kreisumlage noch etwa die Hälfte der Gewerbesteuereinnahme.
3. Die von der Kammer vertretene Auffassung werde noch besonders durch den Umstand verstärkt, daß die im Hessischen Finanzausgleichsgesetz vorgesehenen Ansätze für die Berechnung der sog. Steuerbedarfsmeßzahl trotz der Kompliziertheit der gesamten Materie sehr grob und darüber hinaus noch unvollständig seien, wenn auf den Finanz- und nicht auf den Steuerbedarf abgestellt sei.
Bei dem derzeitigen System des Umlagerechts würden gerade diejenigen kreisangehörigen Gemeinden besonders hart getroffen, die ihre Einnahmen aus der Gewerbe- und Grundsteuer und nicht aus Vermögenseinkünften oder sonstigen Finanzquellen bezögen.
4. Der Vorlagebeschluß enthält eine Anzahl von Tabellen, in denen unter Zugrundelegung verschiedener angenommener Ausgangszahlen (z. B. Gewerbesteuer-Aufkommen) und Hebesätze die entsprechenden Kreisumlagen mit und ohne Vorbelastung errechnet sind. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ergibt sich aus diesen Gegenüberstellungen, daß in jedem denkbaren Fall ein nicht mehr zu rechtfertigender Teil der Einnahmen aus der Gewerbesteuer durch die Kreisumlage abgeschöpft werde.
III.
Von den gemäß §§ 82 Abs. 1, 77 BVerfGG Äußerungsberechtigten hat sich der Hessische Ministerpräsident für die Hessische Landesregierung geäußert. Außerdem hat der Bundesminister der Finanzen zu dem Vorlagebeschluß Stellung genommen.
1. Der Hessische Ministerpräsident führt im wesentlichen folgendes aus:
Daß die beanstandete Vorschrift des Finanzausgleichgesetzes die Finanzhoheit der Gemeinden in ihrem Wesensgehalt antaste - also Finanzkraft und Finanzfreiheit der Gemeinden innerlich aushöhle -, könne nicht anerkannt werden.
Seit Einführung der neuzeitlichen Verwaltungsorganisation seien die Gemeinden in der Regel mit Umlagen zugunsten höherer kommunaler Verbände belastet gewesen. Das Grundgesetz habe die Zulässigkeit von Umlagen in Art. 106 Abs. 6 Satz 3 ausdrücklich anerkannt. Es könne nicht bezweifelt werden, daß eine Umlage zugunsten der Kreise nach der objektiven Steuerkraft statt nach dem tatsächlichen Steueraufkommen der Gemeinden festgesetzt werden dürfe. Das sei immer so üblich gewesen und werde heute in allen Bundesländern so gehandhabt. Auch das Länderfinanzausgleichsgesetz gehe bei der Berücksichtigung der Gemeindesteuern von der Steuerkraft und nicht von dem Steueraufkommen aus. Eine andere Lösung müßte zu großen Ungerechtigkeiten führen, weil sich sonst gerade die reichen Gemeinden durch Manipulierung der Hebesätze auf Kosten der ärmeren ihren Pflichten entziehen könnten. Ebensowenig könne beanstandet werden, wenn die finanzstarken Gemeinden mit höheren Beiträgen als finanzschwache zu Umlagen herangezogen würden. Die Maßnahme führe zu einem Ausgleich in der Finanzkraft, wie er auf anderem Wege durch die Zuweisungen im Wege des Finanzausgleichs erzielt werden solle. Im Wesen eines Finanzausgleichs liege es, daß er den Schwachen fördere und zu diesem Zweck den Starken in größerem Umfang zu Gemeinleistungen heranziehe. Die ungewöhnlich starke wirtschaftliche und soziale Umschichtung der letzten Jahre, die Ballung von Menschen- und von Finanzkraft in wenigen Gebieten, die wachsenden zivilisatorischen und kulturellen Bedürfnisse auch der Bewohner des flachen Landes und das wachsende Mißverhältnis zwischen armen und reichen Gemeinden, das nicht zuletzt durch die unterschiedliche Entwicklung der Steueraufkommen im Lande hervorgerufen werde, machten einen gerechten Finanzausgleich auf dem herkömmlichen Wege trotz gewaltig ansteigender Ausgleichsmassen immer schwieriger und führten zu einer stetig wachsenden Bedeutung des Finanzausgleichs. Daraus erkläre es sich, daß in letzter Zeit immer wieder die Einführung eines kommunalen Finanzausgleichs gefordert werde. Die vom Verwaltungsgericht beanstandete Vorbelastungsregelung sei ein erster Versuch zu einem kommunalen Finanzausgleich auf der Kreisebene. Über die Umlage für den Landeswohlfahrtsverband komme sie auch auf Landesebene zugunsten der steuerschwächeren kreisfreien Städte und Landkreise zur Wirkung. Im übrigen habe schon die Berechnung der Schlüsselzuweisungen und der Kreisumlage nach fiktiven Hebesätzen, die sich in den Finanzausgleichsgesetzen aller Länder der Bundesrepublik fänden, in abgeschwächter Form eine ähnliche Wirkung wie die Vorbelastungsregelung. Die Hessische Regierung bestärke für den kleinen Kreis der besonders steuerstarken Gemeinden - den sog. "hochabundanten" Gemeinden - nur diese Wirkung und damit den Zwang, die Realsteuern nach durchschnittlichen Hebesätzen zu erheben. Diese Wirkung sei auch stets politisch erwünscht und widerspreche nicht der richtig verstandenen Aufgabe des kommunalen Finanzausgleichs. Sie trage dazu bei, die willkürliche Bildung von Steueroasen zu verhindern. Die Tendenz zur Zusammenballung ertragskräftiger und standortmäßig nicht gebundener Betriebe in solchen Gemeinden werde abgeschwächt. An dieser Entwicklung könne man bei der Bestimmung des Wesensgehaltes der Finanzhoheit nicht vorbeigehen.
Ein Verstoß gegen das Recht der Gemeinden auf Eigenleben könne unter diesen Umständen nur dann in Betracht kommen, wenn der vom Finanzausgleichsgesetz bewirkte Finanzausgleich zu einer zu weit gehenden Nivellierung der Finanzkraft der Gemeinden führen würde. Die Darstellung der Wirkung der Vorbelastungsregelung in den Tabellen des Verwaltungsgerichts sei insoweit aber völlig irreal, als die Wirkung von Änderungen der Hebesätze der Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital auch bei Hebesätzen gezeigt werde, die für Industrie- und Arbeiterwohngemeinden überhaupt nicht vorkämen. Auch im übrigen ergäben die vom Verwaltungsgericht errechneten Zahlen kein zutreffendes Bild. Wenn die Gemeinde Breitenborn AW die Kreisumlage des Rechnungsjahres 1958 als besonders drückend ansehe, so beruhe dies darauf, daß sie einen zu niedrigen Hebesatz für die Gewerbesteuer beschlossen habe.
2. Die Äußerung des Bundesministers der Finanzen entspricht im wesentlichen den Ausführungen des Hessischen Ministerpräsidenten. Der Bundesminister weist besonders noch auf folgendes hin:
Der Vorlagebeschluß gehe nicht auf die Frage ein, ob die angefochtene Vorschrift mit Art. 106 Abs. 6 GG vereinbar sei. Diese Frage dürfte aber gleichfalls zu bejahen sein, da Art. 106 Abs. 6 Satz 3 GG ausdrücklich zulasse, daß die Realsteuern als Bemessungsgrundlage für Umlagen zugrunde gelegt würden. Die stärkere Heranziehung einzelner Gemeinden mit überdurchschnittlicher Steuerkraft sei mit dem Wesen einer Umlage vereinbar. Auch unter dem Gesichtspunkt der Realsteuergarantie könnten daher keine Einwendungen gegen § 14 Abs. 2 Nr. 1 Hess.FAG erhoben werden.
IV.
Auch die Klägerin im Ausgangsverfahren hat sich zur Sache geäußert. Sie stimmt den Darlegungen des Vorlagebeschlusses zu und macht zusätzlich folgendes geltend:
1. Der Streit über die Abgrenzung des Kernbereichs der Selbstverwaltung müsse im vorliegenden Verfahren nicht notwendig ausgetragen werden. Die Gemeinden besäßen nämlich im Grundgesetz außer der allgemeinen institutionellen Garantie der Selbstverwaltung - deren Wirksamkeit wegen der Unbestimmtheit des Begriffs "Rahmen der Gesetze" zugegebenermaßen immer etwas ungewiß sei - spezielle verfassungsrechtliche Positionen, die wegen ihrer Aufnahme in das Verfassungsgesetz in jeder Weise "fest" gegenüber der allgemeinen Gesetzgebung seien und auch nicht durch einen bloßen gesetzlichen "Rahmen" relativiert werden könnten. Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 GG enthalte die Garantie eigener Festsetzung der Realsteuer-Hebesätze und Art. 106 Abs. 6 GG eine Realsteuer-Garantie zugunsten der Gemeinden.
a) Gegen Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 GG verstoße eine landesgesetzliche Norm, deren wesentlicher Inhalt darin bestehe, auf die Gemeinden den Zwang auszuüben, die Realsteuer in einer Mindesthöhe zu erheben. Die Verfassungsnorm lasse zwei Auslegungen zu. Entweder bedeute die "Ausnahme der Festsetzung der Hebesätze", daß den Gemeinden eine in die Kompetenzverteilungsregelung des Art. 105 GG eingebettete spezielle verfassungsmäßige Garantie der eigenverantwortlichen Entscheidung über die Höhe der Hebesätze gewährt werde. Wolle man nicht soweit gehen und wolle man legislative Einflußnahme auf die gemeindliche Entscheidung über die Festsetzung der Hebesätze für zulässig erachten, so stehe die Entscheidungskompetenz für Regelungen dieser Art nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 GG dem Bund und nicht den Ländern zu; denn der Bund habe von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht. Beide Auslegungen führten zu demselben Ergebnis, nämlich daß dem Land Hessen, wie den übrigen Bundesländern auch, die Kompetenz zur legislativen Einflußnahme auf die Höhe der Hebesätze fehle.
b) Auch Art. 106 Abs. 6 Satz 3 GG sei verletzt.
Text, Zusammenhang und Geschichte des Art. 106 Abs. 6 GG geböten unabweisbar die Auslegung, daß die Landesgesetzgebung als "Umlage" nur insoweit Abgaben vorsehen dürfe, als das Grundgesetz sie als "Umlage" im Sinne der Verfassungsnorm verstehen könne, und daß sie ferner daran gebunden sei, nur die "Realsteuern" als Bemessungsgrundlage zu verwenden.
Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Vorbelastungsregelung komme es im übrigen entscheidend darauf an, ob sich der durch die Vorbelastungsregelung auf Kreisebene praktizierte Finanzausgleich noch in den historisch gewachsenen Begriff der Kreisumlage und damit auch der Umlage im Sinne des Art. 106 Abs. 6 GG einfüge. Diese Frage sei zu verneinen.
Die Mehr- und Minderbelastung zum Ausgleich unterschiedlichen Nutzens der Kreistätigkeit für die Gemeinden sei ein traditioneller Bestandteil der deutschen Kreisumlagen. Sie näherten die Kreisumlage einem Beitrag der Gemeinden an. Ein extremer Ausgleich, der auf den Nutzen der Kreiseinrichtungen für die einzelnen Gemeinden keinerlei Rücksicht mehr nehme, widerspreche der Entwicklung des Rechtes der Kreisumlagen und damit dem Umlagebegriff des Art. 106 Abs. 6 GG.
Die Vorbelastungsregelung des § 14 Abs. 2 Nr. 1 Hess.FAG weiche von der legitimen Ausgleichsfunktion des Landkreises in eklatanter Weise ab. Es habe den Anschein, als ob dem Gesetzgeber bei der Einführung der Vorbelastung eine Art von "Einkommensteuer" von Gemeinden vorgeschwebt hätte. Abgesehen davon, daß die Maßstäbe der Vorbelastung denen einer "Steuer" nicht entsprächen, sei es keinem Land gestattet, von seinen Gemeinden eine solche Steuer zu erheben.
2. § 14 Abs. 2 Nr. 1 Hess.FAG sei überdies mit Art. 3 GG nicht vereinbar.
Es sei schon zu beanstanden, daß finanzkräftige Gemeinden "mit hohen Einnahmen aus Erwerbsvermögen" geschont würden und damit auch deren Steuerzahler. Ganz offenkundig werde der Gleichheitssatz aber verletzt, wenn innerhalb der Selbstverwaltungskörperschaften die Umlage differenziert werde nach zufälligen Gesichtspunkten, die mit der Finanzkraft der Gemeinden nicht korrespondieren müßten, und die daher eine Ungleichheit zwischen Gemeinden desselben Landkreises und zwischen deren Steuerzahlern schüfen.
V.
Die Regierung des Landes Hessen ist dem Verfahren beigetreten, hat aber auf mündliche Verhandlung verzichtet. Nach § 25 Abs. 1 BVerfGG ist daher eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich.
 
B.
Die Vorlage ist zulässig.
1. Die Hessische Landesverfassung enthält in Art. 137 eine, wenn auch nicht wörtlich, so doch inhaltlich mit Art. 28 Abs. 2 GG übereinstimmende institutionelle Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Sie hat in Art. 130 ff. auch eine Verfassungsgerichtsbarkeit begründet und in Art. 133 die konkrete Normenkontrolle, allerdings in einem von Art. 100 Abs. 1 GG abweichenden Verfahren, vorgesehen. Trotzdem ist das Bundesverfassungsgericht für die Entscheidung zuständig. Es hat die Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG auch dann bejaht, wenn für inhaltsgleiche oder entsprechende Normen einer Landesverfassung gleichfalls eine Prüfungszuständigkeit des Landesverfassungsgerichts bestehen sollte (BVerfGE 17, 172 [180]).
2. Das vorlegende Gericht hat dargetan, daß seine Entscheidung von der Gültigkeit oder Nichtigkeit des § 14 Abs. 2 Nr. 1 Hess.FAG abhängt, da die Klage der Gemeinde Breitenborn AW aus keinem anderen Grunde unbegründet ist.
 
C.
Die sog. Vorbelastungsregelung des § 14 Abs. 2 Nr. 1 Hess. FAG vom 27. März 1958 war mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
1. Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung. Den Gemeinden ist ein grundsätzlich alle örtlichen Angelegenheiten umfassender Aufgabenbereich sowie die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich zuerkannt. Den Gemeindeverbänden wird die Eigenverantwortlichkeit im Rahmen des ihnen gesetzlich eingeräumten Aufgabenbereichs garantiert (BVerfGE 17, 172 [181]; 21, 117 [128 f.] mit weiteren Nachweisen). Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und Eigenverantwortlichkeit ist indessen nicht absolut. "Moderne Selbstverwaltung beruht nicht auf Immunitätsprivilegien im Stile mittelalterlicher Städtefreiheit" (Köttgen, Hdb. der kommunalen Wissenschaft und Praxis - Hdb.kommWiPrax. - Bd. I S. 212). Sie ist der gesetzlichen Einwirkung zugänglich. Das Bundesverfassungsgericht hat im Anschluß an die Entscheidung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich vom 10./11. Dezember 1929 zu Art. 127 WRV (Lammers-Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, Bd. 2, S. 107) wiederholt ausgesprochen, daß Beschränkungen der kommunalen Selbstverwaltung jedenfalls insoweit mit Art. 28 Abs. 2 GG vereinbar sind, als sie deren Kernbereich unangetastet lassen (BVerfGE 21, 117 [130]; 22, 180 [205] mit weiteren Nachweisen). Was zu diesem Kernbereich gehört, läßt sich allerdings nicht in eine allgemein gültige Formel fassen. Es kommt auf den Einzelfall an. Bei der Bestimmung des Kernbereichs ist der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen (BVerfGE 17, 172 [182]).
2. Die Landkreise, die ursprünglich - in Preußen als landrätliche und steuerrechtliche Kreise - rein staatliche Verwaltungsbezirke waren, entwickelten sich immer stärker zu festgefügten, die kreisangehörigen Gemeinden verbindenden Selbstverwaltungskörperschaften. Der fortschreitenden Integration der Kreise in die Selbstverwaltungsorganisation entsprechend änderte sich im Lauf der Zeit auch das System ihrer Finanzierung. Hierfür war charakteristisch die Entwicklung in Preußen, die maßgeblichen Einfluß auf die Gesamtentwicklung ausübte und 1942 für kurze Zeit zu einer reichseinheitlichen Regelung führte.
Nach der Preußischen Kreisordnung - Preuß KrO - vom 13. Dezember 1872 (GS S. 661) berechneten die Kreise für die steuerpflichtigen kreisangehörigen Bürger Zuschläge zur Einkommensteuer und zur Realsteuer. Das sich hieraus ergebende Kreissteuersoll wurde den kreisangehörigen Städten zur Unterteilung mit der Maßgabe überwiesen, daß sie die Kreislasten nach der Individualveranlagung als Kreissteuer von den Pflichtigen einziehen oder aber das Gesamtsoll als Ausgabeposten in den Gemeindehaushalt einstellen konnten (Kontingentübernahme; vgl. Berkenhoff, Hdb. komm. WiPrax., Bd. III, S. 357 ff.; Wagener, Die Städte im Landkreis, Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, Bd. XVII, Göttingen 1955, S. 57 ff.). Die Praxis zeigte sehr bald einen deutlichen Trend zur Kontingent-Übernahme, der durch das Kreis- und Provinzial-Abgabengesetz vom 23. April 1906 (PrGS S. 159) legalisiert wurde. Nach dem Inkrafttreten seiner Bestimmungen über die "direkte Kreissteuer" waren die kreisangehörigen Gemeinden unmittelbar zur Aufbringung dieser "Kreissteuern" verpflichtet. Die Bezeichnung "direkte Kreissteuer" war allerdings mißverständlich; es handelte sich nicht um eine Steuer, die privaten Einzelwirtschaften auferlegt war. Die Kreisabgabe erhielt, wenn auch verhältnismäßig spät, die der Sache entsprechende Bezeichnung "Kreisumlage" (Preußisches Änderungsgesetz vom 24. März 1931 [GS S. 25]). Sie diente der Deckung des Spitzenbedarfs in den Landkreisen, wurde aber allmählich zur wesentlichsten Einnahmequelle der Kreise, die mehr als die Hälfte ihres Finanzbedarfs deckte (vgl. Berkenhoff, aaO, S. 363). Die Umlagegrundlagen wurden nach Faktoren errechnet, die einerseits auf realen Zahlen, andererseits auf Repräsentativwerten beruhten. Alle Bundesländer haben dieses System übernommen.
Angesichts der historischen Entwicklung kann nicht anerkannt werden, daß - wie die Klägerin im Ausgangsverfahren vorträgt - die Höhe der kreisumlage zumindest auch nach der Leistung des Kreises für die einzelnen Gemeinden und dem Nutzen, den die Gemeinde aus den Kreiseinrichtungen zieht, bestimmt sein müsse. Der Grundsatz der "Äquivalenz", der noch in § 13 PreußKrO 1872 zum Ausdruck kam, ist überholt. Die Kreisumlage ist zu einem wesentlichen Element des Finanzausgleichs zwischen gleichermaßen und mit gleichwertigen Selbstverwaltungsaufgaben betrauten Körperschaften geworden.
3. Das vorlegende Gericht verkennt dies nicht. Es hält aber die in den anderen Bundesländern nicht eingeführte hessische Vorbelastungsregelung für bedenklich, weil sie ohne Vorbild sei und der Tradition nicht entspreche.
Diese Bedenken sind indessen nicht gerechtfertigt. Die Bezugnahme der Rechtsprechung auf die historisch begründete Gestaltung des Selbstverwaltungswesens bedeutet nicht, daß alles beim alten bleiben müsse und daß eine neue Einrichtung schon deshalb nicht hingenommen werden könne, weil sie neu und ohne Vorbild ist. Eine Fortbildung des überkommenen Systems, besonders im Bereich des sowieso dauernden Experimenten ausgesetzten Finanzausgleichs, ist sicherlich nicht ausgeschlossen. Es kann sich also nur darum handeln, ob die Änderungen in der Linie einer vernünftigen Fortentwicklung des überkommenen Systems liegen und nicht zu einer Aushöhlung der Selbstverwaltung der kreisangehörigen Gemeinden führen.
II.
1. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, die hessische Vorbelastungsregelung verletze Art. 28 Abs. 2 GG, weil sie notwendigerweise dahin führen müsse, daß in den betroffenen Gemeinden ein nicht mehr tragbarer Teil ihrer Einnahmen abgeschöpft werde. Es hat dies mit einer Anzahl von Zahlentabellen zu belegen versucht. Indessen bedarf es keines Eingehens im einzelnen auf diese statistischen Aufstellungen. Denn es kann für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Vorbelastungsregelung nicht darauf ankommen, welches Ergebnis das Umlagesystem und insbesondere die Vorbelastung in einem einzelnen Jahr unter Zugrundelegung verschiedener Zahlen, Prozentsätze und Berechnungsmaßstäbe hat. Entscheidend ist, wie es sich im ganzen und im Gesamtgefüge auswirkt. In einem solchen Zusammenhang gesehen verstößt die hessische Vorbelastungsregelung nicht gegen die Selbstverwaltungsgarantie.
a) Wie schon erwähnt, sind die Kreise und die kreisangehörigen Gemeinden im Lauf der geschichtlichen Entwicklung zu einer Gemeinschaft geworden, die nicht nur territorial, sondern auch nach Zweckbestimmung und Funktion aufs engste verbunden und verflochten ist. Die Aufgaben von Kreis und Gemeinde überschneiden sich häufig. Sie betreffen die Gemeindebürger, die gleichzeitig auch Kreiseingesessene sind. Die Zuständigkeit der einen oder anderen dieser beiden Selbstverwaltungskörperschaften bestimmt sich weitgehend nicht nach der Wesensart der Aufgaben, sondern nach organisatorischer oder wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit und Leistungskraft, d. h. danach, ob etwas wirksamer im kleineren Rahmen der Gemeinde oder im größeren des Kreises durchgeführt werden kann. Die Grenzen sind fließend; sie können sich ändern, und sie ändern sich. Die Gemeinden sind im Rahmen des Kreises nicht etwa in sich und gegen den Kreis abgeschlossen.
Bei Berücksichtigung dieser Stellung der Kreise und ihrer Gemeinden innerhalb der Selbstverwaltung kann es nicht als selbstverwaltungsfeindlich angesehen werden, wenn das Betätigungsfeld der kreisangehörigen Gemeinden, insbesondere hinsichtlich der freiwilligen Aufgaben, durch eine finanzielle Belastung im Interesse des Kreises eingeschränkt wird. Dem Landesgesetzgeber ist ein weiter Spielraum für die Gestaltung des Finanzausgleichs zuzubilligen.
b) Ein Umlagesystem bedarf notwendigerweise einer gewissen Schematisierung. Seine Grundlagen beruhen zum Teil auf Fakten, die in der Vergangenheit liegen und nicht mehr beeinflußt werden können (Veranlagung nach früherem Einkommen) und zum Teil auf Maßnahmen, die für die Steuerperiode gelten (z. B. Festsetzung von Hebesätzen). Das ist bekannt; jede kreisangehörige Gemeinde muß sich darauf einstellen. Die sog. kommunale Finanzhoheit kann sich nicht darin erschöpfen, daß die Gemeinde das, was sie einnimmt, nach ihren Bedürfnissen verwendet, sondern sie besteht auch darin, daß die Gemeinde sich in eigenverantwortlicher Regelung ihrer Finanzen auf die ihr obliegenden Verpflichtungen einstellt. Sie muß - abgesehen von einer etwaigen Schaffung von Rücklagen - vor allem die Hebesätze nach realistischen Gesichtspunkten festsetzen.
Nach den Berichten des Hessischen Statistischen Landesamts (Arb. Nr. L I 3 j/58 vom 23. März 1960, S. 13) waren unter 2701 hessischen Gemeinden nur 5, deren Hebesätze für die Realsteuer zwischen 1 und 80 v. H. betrugen; in weiteren 59 Gemeinden fanden sich Hebesätze von 81 bis 150 v. H., in 2357 Gemeinden solche zwischen 190 und 350 v. H. Im ganzen Bundesgebiet errechnete sich im Rechnungsjahr 1958 der Durchschnittshebesatz auf 298 v. H., in Hessen auf 257 v. H. und in den hessischen kreisangehörigen Gemeinden auf 272 v. H. (vgl. Statistische Berichte des Statistischen Bundesamts vom 29. Januar 1959). Die Gemeinde Breitenborn AW hatte ihren Hebesatz für die Gewerbesteuer im Jahr 1958 von 200 auf 175 v. H., also weit unter den Durchschnitt, gesenkt. Da nach dem Berechnungssystem der Umlagegrundlagen die Kreisumlage um so höher ist, je niedriger die Realsteuerhebesätze sind, mußte die Festsetzung des verhältnismäßig geringen Hebesatzes für die Gewerbesteuer zu der besonders hohen Belastung der Gemeinde führen. Diese von der Gemeinde selbst herbeigeführte Folge besagt aber nichts gegen die Zulässigkeit der gesetzlichen Regelung als solcher. Die Klägerin im Ausgangsverfahren hat in den folgenden Jahren, offenbar in Erkenntnis der Zusammenhänge, den Gewerbesteuerhebesatz auf 245 v. H. erhöht und damit nicht nur höhere Gewerbesteuereinnahmen, sondern auch eine günstigere Berechnung der Kreisumlage erreicht.
c) Die Schematisierung bietet auf der einen Seite den Vorteil, daß sie den sonst jährlich wiederkehrenden Streit um die Finanzierung der verschiedenen Körperschaften vermeidet und eine Disposition auf längere Dauer ermöglicht. Sie birgt auf der anderen Seite aber auch das Risiko, daß unter Umständen in einem bestimmten Jahr Härten eintreten. Abgesehen von den Fällen leichtsinniger Finanzgebarung können absinkende Steuereinnahmen bei den Gemeinden die Umlagebelastung sehr fühlbar machen und die Bewegungsfreiheit stark beeinträchtigen, da die geringeren Einnahmen im laufenden Jahr bei der Berechnung der Umlagegrundlagen nicht mehr berücksichtigt werden. Um hiergegen Schutz zu gewähren, besteht in Hessen wie in allen Bundesländern ein "Ausgleichsstock", aus dem "zum Ausgleich außergewöhnlicher Belastungen und zum Ausgleich von Härten bei der Durchführung dieses Gesetzes besondere Zuschüsse an Gemeinden und Landkreise gewährt" werden können und dem jährlich aus dem Aufkommen der Kreisumlage ein Betrag zuzuführen ist, der "mindestens 5 vom Hundert der den kreisangehörigen Gemeinden zustehenden Schlüsselzuweisungen entspricht" (vgl. §§ 28, 29 Hess.FAG).
Der Ausgleichsstock mit den sog. "Bedarfszuweisungen" gewährleistet, daß auch in den Fällen, in denen der unvermeidlicherweise starre Finanzausgleich Notlagen einzelner Gemeinden zur Folge hat, ein Ausgleich erfolgt. Im Gesamtgefüge des kommunalen Finanzausgleichs ist daher Vorsorge dagegen getroffen, daß die kreisangehörigen Gemeinden durch Abgaben und Umlagen ihrer Mittel beraubt werden und damit der Kernbereich ihrer Finanzverantwortlichkeit beeinträchtigt wird. Dies gilt auch für die besondere Inanspruchnahme der "hochabundanten" Gemeinden durch die hessische Vorbelastung.
2. Der Landesgesetzgeber hatte sachgerechte Gründe dafür, die besonders steuerstarken Gemeinden in erhöhtem Maße zur Finanzierung der Kreise heranzuziehen. Abgesehen von dem allgemeinen Grundsatz, daß notwendige Lasten nach der Leistungsfähigkeit differenziert werden dürfen, ist die Vorbelastungsregelung auch aus folgendem Gesichtspunkt gerechtfertigt.
Es liegt in der Natur der Sache, daß Gemeinden das Bestreben haben, industrielle Unternehmungen zur Ansiedlung auf ihrem Gebiet anzureizen. Günstige Gewerbesteuerhebesätze sind ein Mittel hierzu. In kleinen Gemeinden, in denen bereits ein ansehnlicher Gewerbebetrieb besteht, ist die Versuchung, den Hebesatz für die Gewerbesteuer niedrig zu halten, schon infolge des Einflusses, den der Gewerbesteuerpflichtige in der Regel hat, verhältnismäßig groß. Dem Landesgesetzgeber muß aber daran gelegen sein, die Bildung von "Steueroasen" zu verhindern und die Streuung der Niederlassung von Gewerbebetrieben über das ganze Land hinweg zu fördern. Hierin liegt ein legitimes politisches und landesplanerisches Motiv für die besondere Heranziehung der "hochabundanten" Gemeinden zur Kreisumlage.
3. Das vorlegende Gericht hält die Vorbelastungsregelung auch deshalb für verfassungswidrig, weil sie die "hochabundanten" Gemeinden zur Festsetzung bestimmter hoher Hebesätze zwingt und ihnen jedenfalls keinen Spielraum nach unten lasse.
Die Gemeinden sind bei der Festsetzung der Hebesätze nicht völlig frei; es ist ihnen nicht gewährleistet, daß sie ihre Entscheidungen nur nach ihren Interessen und ohne Rücksicht auf ihre Verpflichtungen treffen können. Das Wesen der gemeindlichen Finanzhoheit besteht nicht darin, daß die Gemeinde frei schalten kann, sondern darin, daß sie verantwortlich disponiert und bei ihren Maßnahmen auch ihre Stellung innerhalb der Selbstverwaltung des modernen Verwaltungsstaates und die sich daraus ergebende Notwendigkeit des Finanzausgleichs in Betracht zieht. Deshalb kann darin, daß die Umlageverpflichtung die "hochabundanten" Gemeinden möglicherweise zur Festsetzung von höheren als ihnen genehmen Hebesätzen veranlaßt, eine Beeinträchtigung der - richtig verstandenen - Finanzhoheit nicht gesehen werden.
III.
1. Die Klägerin im Ausgangsverfahren ist der Ansicht, daß der Landesgesetzgeber mit der Vorbelastungsregelung und dem dadurch bewirkten Zwang zur Festsetzung bestimmter Hebesätze nicht den Finanzausgleich geregelt, sondern in Wirklichkeit Normen für die Hebesätze gegeben und daß ihm hierfür die Zuständigkeit gefehlt habe. Diese Auffassung ist jedoch nicht gerechtfertigt.
Die Festsetzung der Hebesätze wird immer durch den Zwang beeinflußt, Einnahmen zu erzielen, die der Gemeinde die Erfüllung ihrer Verpflichtungen ermöglichen. In diesem Sinne wirkt auch die Umlagelast auf die Höhe der Hebesätze ein. Ein Finanzausgleichsgesetz, das die Grundlagen der Umlage festlegt, ist deshalb aber nicht etwa ein Gesetz, das die Materie "Hebesatz" normiert. Es bleibt ein Finanzausgleichsgesetz, das jedenfalls in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers fällt. Ob ein solches Gesetz verfassungsmäßig ist, ist nicht eine Frage der Gesetzgebungskompetenz, sondern der Vereinbarkeit mit der grundgesetzlichen Selbstverwaltungsgarantie. Hierzu ist oben unter II das Erforderliche gesagt.
2. Die Klägerin im Ausgangsverfahren hält die Vorbelastungsregelung auch deswegen für verfassungswidrig, weil sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 2. Mai 1967 (BVerfGE 21, 362 ff.) ausgesprochen, daß Art. 3 GG nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen.
Allerdings bedeutet dies nicht, daß es ein verfassungsrechtliches Willkürverbot im Verhältnis von Hoheitsträgern zueinander überhaupt nicht gäbe. Das Willkürverbot ist nicht nur grundrechtlich gesichert; es ist vielmehr zugleich ein Element des objektiven Gerechtigkeitsprinzips und damit des das Grundgesetz beherrschenden Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit (vgl. Dürig in Maunz-Dürig, GG, Art. 19 III Rdnr. 32 sub b; Fuß, DVBl. 1958, 739 [743 sub 2]). Der allgemeine Gleichheitssatz, der in Art. 3 Abs. 1 GG als Grundrecht des Einzelnen garantiert ist, gilt daher darüber hinaus "als selbstverständlicher ungeschriebener Verfassungsgrundsatz in allen Bereichen und für alle Personengemeinschaften" (BVerfGE 6, 84 [91]).
Die hessische Vorbelastungsregelung widerspricht diesem rechtsstaatlichen Willkürverbot nicht. Sie beruht auf dem allgemeinen Grundsatz, daß bei gemeinsamen Aufgaben jedes Glied nach seiner Leistungskraft - auch der besonderen - beitragen muß; sie greift nicht in die richtig verstandene Finanzverantwortlichkeit der betroffenen Gemeinden ein, und der Landesgesetzgeber hatte sachgerechte Gründe, sie einzuführen. Auch hierzu ist oben unter II das Erforderliche ausgeführt.
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
(gez.) Seuffert, Henneka, Dr. Leibholz, Geller, Dr. v. Schlabrendorff, Dr. Rupp, Dr. Kutscher