BVerfGE 42, 345 - Bad Pyrmont |
Urteil |
des Zweiten Senats vom 22. September 1976 auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 1976 |
- 2 BvH 1/74 - |
in dem Verfahren betreffend den Verfassungsrechtsstreit über die Vereinbarkeit des niedersächsischen Vierten Gesetzes zur Neugliederung der Gerichte im Anschluß an die kommunale Gebietsreform - Neuordnung in den Räumen Hameln und Grafschaft Schaumburg/Schaumburg-Lippe - vom 20. Februar 1974 (Nds. GVBl. S. 117) mit Art. 1 Abs.. e des Schlußprotokolls zum Staatsvertrag zwischen Preußen und Waldeck-Pyrmont über die Vereinigung des Gebietsteils Pyrmont mit Preußen vom 29. November 1921 (PrGS 1922 S. 37, Waldeckisches RegBl. 1922 S. 55, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Bd. II s. 7), Antragsteller: für das untergegangene Land Waldeck-Pyrmont die Stadt Bad Pyrmont, vertreten durch den Stadtdirektor - Bevollmächtigter: Prof. Dr. Hans Schneider, Ludolf-Krehl-Straße 44, Heidelberg -, Antragsgegner: für das Land Niedersachsen die Niedersächsische Landesregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Hannover - Bevollmächtigter: Ministerialdirigent Dr. Jung, Niedersächsisches Ministerium der Justiz, Hannover -. |
Entscheidungsformel: |
1. Der Antrag festzustellen, die in dem Vierten Gesetz zur Neugliederung der Gerichte im Anschluß an die kommunale Gebietsreform - Neuordnung in den Räumen Hameln und Grafschaft Schaumburg/Schaumburg-Lippe - vom 20. Februar 1974 (Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsbl. S. 117) angeordnete Aufhebung des Amtsgerichts Bad Pyrmont verstoße gegen Artikel 1 Absatz e des Schlußprotokolls zum Staatsvertrag zwischen Preußen und Waldeck-Pyrmont über die Vereinigung des Gebietsteils Pyrmont mit Preußen vom 29. November 1921 (Preußische Gesetzsammlung 1922 S. 37, Waldeckisches Regierungsbl. 1922 S. 55, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Bd. II s. 7), wird zurückgewiesen. |
2. Das Land Niedersachsen hat an die Stadt Bad Pyrmont 1 000 000 DM (in Worten: eine Million Deutsche Mark) zu zahlen. |
3. Das Land Niedersachsen hat der Stadt Bad Pyrmont die ihr entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten. |
Gründe |
A. - I. |
Im Schlußprotokoll zum Staatsvertrag zwischen Preußen und Waldeck - Pyrmont über die Vereinigung des Gebietsteils Pyrmont mit Preußen vom 29. November 1921 ist vereinbart, daß das Amtsgericht in Bad Pyrmont erhalten bleibt. Im Rahmen der Neugliederung der Gerichte in Niedersachsen ist das Amtsgericht Bad Pyrmont aufgelöst worden. Die Beteiligten streiten darüber, ob dies mit dem Schlußprotokoll vereinbar ist.
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II. |
Nachdem bereits durch frühere Staatsverträge zwischen Preußen und dem Freistaat Waldeck - Pyrmont Preußen Einfluß auf weite Teile der inneren Verwaltung Waldeck - Pyrmonts sowie u.a. das Recht zur anderweitigen Organisation der Justiz- und Verwaltungsbehörden erhalten hatte, führten Verhandlungen über den vollen Anschluß an Preußen zum Abschluß des Staatsvertrages zwischen Preuße und Waldeck - Pyrmont über die Vereinigung des Gebietsteils Pyrmont mit Preußen am 29. November 1921 und des Schlußprotokolls vom gleichen Tag (im folgenden: Staatsvertrag und Schlußprotokoll). An diesem Tage wurden die Texte von den Bevollmächtigten der Vertragspartner ausgetauscht.
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Der Staatsvertrag und das Schlußprotokoll wurden vom Preußischen Landtag durch Gesetz vom 22. Februar 1922 genehmigt; das Gesetz wurde am 24. Februar 1922 verkündet (PrGS S. 37). Die entsprechenden staatsrechtlichen Beschlüsse wurden auf seiten des Landes Waldeck-Pyrmont am 15. und 16. Februar und am 25. März 1922 gefaßt; Staatsvertrag und Schlußprotokoll sind im Waldeckischen Regierungsblatt 1922 S. 55 verkündet. Das nach Art. 18 Abs. 2 WRV erforderliche Reichsgesetz ist am 24. März 1922 (RGBl. I S. 281) ergangen. Nach § 3 dieses Gesetzes ist der Vertrag am 1. April 1922 in Kraft getreten.
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Das Preußische Gesetz vom 22. Februar 1922 nebst Anlagen (Staatsvertrag und Schlußprotokoll) ist ferner unter Nr. 39 der Anlage zum Zweiten Gesetz zur Bereinigung des niedersächsischen Rechts vom 30. März 1963 (Nds GVBl S. 147) aufgeführt und auf Grund dessen in der Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Bd. II S. 7 abgedruckt.
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Der Staatsvertrag regelt neben der Einverleibung des Gebietsteils Pyrmont in die preußischen Gebietskörperschaften, den Kreis Hameln und die Provinz Hannover, u.a. den Übergang der Staatshoheitsrechte auf Preußen, die Einführung der preußischen Verfassung und - im wesentlichen - auch des sonstigen preußischen Rechts, die Staatsangehörigkeit der Pyrmonter Bürger, die Erweiterung des Provinziallandtages und des Kreistages um Pyrmonter Abgeordnete, die Übernahme der Waldeck-Pyrmonter Staatsbeamten sowie den Übergang des auf den Gebietsteil Pyrmont entfallenden Staatsvermögens.
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Das schon im Staatsvertrag erwähnte Schlußprotokoll, in das nach der Eingangsformel "mit den Vereinbarungen des Vertrags selbst gleichverbindliche Erklärungen aufgenommen worden" sind, enthält u.a. Bestimmungen über das Eigentum an Staatsstraßen, über den Übergang des Vermögens, über die Übernahme einer bestehenden Staatsanleihe sowie über die Bildung eines Zweckverbandes für das bisherige Pyrmonter Domänium. Unter Art. 1 Abs. e ist vereinbart:
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Das Amtsgericht in Bad Pyrmont bleibt erhalten. Preußen wird seinen Einfluß dahin geltend machen, daß das Finanzamt und das Zollamt in Bad Pyrmont verbleiben.
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III. |
Die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Staatsvertrages zum Gebietsteil Pyrmont gehörenden Einzelgemeinden sind heute sämtlich in die Stadt Bad Pyrmont eingegliedert.
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Der zunächst selbständig gebliebene Gebietsteil Waldeck ist durch den Staatsvertrag zwischen Preußen und Waldeck über die Vereinigung Waldecks mit Preußen vom 23. März 1928 (Preußisches Gesetz vom 25. Juli 1928 [PrGS S. 179], Waldeckisches Gesetz vom 4. April 1928 [Waldeckisches RegBl. S. 89], Reichsgesetz vom 7. Dezember 1928 [RGBl. I S. 401]) nach Preußen eingegliedert worden und gehört heute zum Lande Hessen.
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IV. |
Das auf Grund der Königlichen Verordnung vom 6. Oktober 1868 (PrGS S. 897) errichtete Amtsgericht Bad Pyrmont, dessen Gerichtssprengel nach 1922 vergrößert wurde, umfaßte vor der Auflösung einen Bezirk von etwa 25.000 Einwohnern. Es war mit einer Richterplanstelle, drei Stellen des gehobenen Justizdienstes, vier Stellen des mittleren Dienstes, fünf Stellen des Kanzleidienstes, einer Stelle des einfachen Dienstes und einer Stelle des Gerichtsvollzieherdienstes ausgestattet.
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Die im Anschluß an die im Land noch nicht abgeschlossene kommunale Neugliederung begonnene Neugliederung der Gerichtsbezirke führte bis jetzt zu einer Verringerung der Zahl der Amtsgerichte von etwa 150 vor zehn Jahren auf nunmehr 79. Im Zuge dieser Neueinteilung der Gerichtsbezirke wurde durch das Vierte Gesetz zur Neugliederung der Gerichte im Anschluß an die kommunale Gebietsreform - Neuordnung in den Räumen Hameln und Grafschaft Schaumburg/Schaumburg-Lippe - vom 20. Februar 1974 (Nds GVBl S. 117) das Gesetzl über die Organisation der ordentlichen Gerichte vom 16. Juli 1962 (Nds GVBl S. 85), zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Neugliederung der Gerichte im Anschluß an die kommunale Gebietsreform vom 8. Februar 1973 (Nds GVBl S. 36) dahingehend geändert, daß u.a. das Amtsgericht Bad Pyrmont aufgehoben wurde, indem in der Anlage zu dem bezeichneten Gesetz vom 16. Juli 1962 das Amtsgericht Bad Pyrmont gestrichen wurde. Das Gebiet des Amtsgerichts Bad Pyrmont wurde dem des Amtsgerichts Hameln zugeschlagen. Das Neugliederungsgesetz ist am 1. März 1974 in Kraft getreten (§ 2).
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V. |
1. Die Antragstellerin beantragt festzustellen:
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Die in dem Vierten Gesetz zur Neugliederung der Gerichte im Anschluß an die kommunale Gebietsreform - Neuordnung in den Räumen Hameln und Grafschaft Schaumburg/Schaumburg-Lippe - vom 20. Februar 1974 (Nds GVBl S. 117) angeordnete Aufhebung des Amtsgerichts Bad Pyrmont verstößt gegen Art. 1 Abs. e des Schlußprotokolls zu dem Staatsvertrag zwischen Preußen und Waldeck-Pyrmont über die Vereinigung des Gebietsteils Pyrmont mit Preußen vom 29. November 1921 (PrGS 1922 S. 37, Waldeckisches RegBl 1922 S. 55, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Bd II S. 7). Das Land Niedersachsen ist verpflichtet, die Aufhebung des Amtsgerichts Bad Pyrmont rückgängig zu machen. Das Land Niedersachsen hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen der Rechtsverfolgung zu ersetzen. |
Sie trägt zur Begründung ihres Antrages vor:
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Sie verfolge in diesem Verfahren nicht eigene Rechte, sondern mache Rechte des untergegangenen Landes Waldeck-Pyrmont aus dem Staatsvertrag geltend. Dazu sei sie als einzige Repräsentantin der Bevölkerung des ehemaligen Gebietsteils Pyrmont des Freistaates Waldeck-Pyrmont legitimiert. Da die frühere zum Waldeckischen Gebiet gehörenden Einzelgemeinden durch zahlreiche Eingliederungsmaßnahmen erheblich umgestaltet worden seien und zuletzt im Jahre 1973 mit dem ehemaligen Kreis Frankenberg zum hessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg zusammengeschlossen worden seien, sei es praktisch nicht möglich, in diesem Gebietsteil handlungsfähige und legitimierte Repräsentanten des ehemaligen Staates Waldeck-Pyrmont zur Wahrnehmung der Rechte aus dem Staatsvertrag zu finden.
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Der Antrag sei heute gegen das Land Niedersachsen zu richten, da das Land hinsichtlich der früher zu Preußen gehörenden Landesteile Rechtsnachfolger Preußens sei. Das Land Niedersachsen habe die Fortgeltung anderer mit Preußen abgeschlossener Staatsverträge ausdrücklich anerkannt und auch die in dem hier in Rede stehenden Staatsvertrag geregelten Rechte in Anspruch genommen. Die Rechtsnachfolge des Landes Preußen in den Staatsvertrag folge vor allem aus der Aufnahme des Staatsvertrages samt Anlagen in die bereinigte Sammlung des niedersächsischen Rechts.
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Art. 1 Abs. e des Schlußprotokolls enthalte eine unbedingte und unbefristete Bestandsgarantie für das Amtsgericht in Bad Pyrmont. Die Vertragspartner hätten mit langwährenden Verpflichtungen gerechnet, wie sich u.a. aus § 9 des Staatsvertrages ergebe, wonach der Nießbrauch am Bade Pyrmont für 60 Jahre einer noch zu gründenden Gesellschaft übertragen werden solle; selbst für die Zeit danach sei noch eine Regelung getroffen worden.
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Zwar gelte auch für Staatsverträge, daß sie unter der Regelung der clausula rebus sic stantibus stünden. Die Voraussetzungen für eine Anwendung lägen im vorliegenden Fall jedoch nicht vor: Es treffe zwar zu, daß in den letzten Jahren das Bedürfnis nach der Bildung größerer Verwaltungseinheiten stark gewachsen sei. Es sei grundsätzlich auch anzuerkennen, daß die Bezirke der verschiedenen Verwaltungsbehörden nach Möglichkeit den gleichen Zuschnitt haben sollten. Die ausnahmslose Verwirklichung des Prinzips der Einräumigkeit sei jedoch dann nicht geboten, wenn Besonderheiten bestünden. Insbesondere im Verhältnis der Gerichtssprengel zu den Bezirken der allgemeinen Verwaltung komme diesem Prinzip geringere Bedeutung zu, da die Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht sehr umfangreich sei, die Unabhängigkeit der Gerichte spreche sogar hier für eine Trennung der räumlichen Zuständigkeitsbereiche.
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Die Aufhebung des Amtsgericht Pyrmont werde damit begründet, daß ein leistungsfähiges Amtsgericht heute ein Größe erfordere, die die Beschäftigung von mindestens vier planmäßig angestellten Richtern rechtfertige; die Richtigkeit dieser These sei jedoch keinesfalls bewiesen. Die anhängigen Verfahren würden jedenfalls an größeren Gerichten nicht schneller zum Abschluß gebracht. Auch in anderen Bundesländern, die mit der Neuordnung der Gerichtsorganisation begonnen hätten (z. B. Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen), bestünden nach wie vor auch Amtsgerichte mit einer oder zwei Richterplanstellen. Aber selbst wenn sich die Vorstellungen über die angemessene Größe von Amtsgerichtsbezirken und damit die maßgeblichen Verhältnisse seit Abschluß des Staatsvertrages grundlegend verändert hätten, so sei die Aufrechterhaltung des Amtsgerichts Bad Pyrmont für das Land Niedersachsen nicht unzumutbar. Von der Veränderung der Verhältnisse dürfe nicht einfach auf die Unzumutbarkeit geschlossen werden; vielmehr müßten besondere Gesichtspunkte hinzutreten, aus denen sich die Unzumutbarkeit ergebe. Dabei seien auch die Interessen der Antragstellerin zu berücksichtigen. Diese habe ein erhöhtes Interesse an der Aufrechterhaltung ihres Amtsgerichts, da inzwischen auch das Zollamt und das Finanzamt abgezogen worden seien; dadurch entstehe die Gefahr, daß die Stadt den Charakter als Mittelzentrum verlöre. Das führe auch zu finanziellen Verlusten. Wenn das Land eine Mindestgröße der Amtsgerichtsbezirke für erforderlich halte, so hätte es den Bezirk des Amtsgerichts Bad Pyrmont um den nördlich von Bad Pyrmont gelegenen Teil des Landkreises Hameln-Pyrmont, die Gemeinden Aerzen und Emmertal, erweitern können. Das Amtsgericht Hameln, zu dessen Bezirk diese Gebiete gehörten, hätte seinen Charakter als großes Amtsgericht nicht verloren, da sein Einzugsbereich durch andere Maßnahmen vergrößert worden sei.
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Auch die Verwirklichung des Prinzips der Einräumigkeit der Verwaltung erlaube es, daß zwei Amtsgerichte innerhalb eines Landkreises bestünden, wie z. B. die Reform in Baden-Württemberg beweise.
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Schließlich sei es zwar verständlich, daß das Land ein Interesse an der möglichst einheitlichen Verwirklichung seines Reformkonzepts habe; es habe sein Konzept jedoch selbst nicht lückenlos realisiert, da auch jetzt noch einige Amtsgerichte mit nur einer oder zwei Richterplanstellen und ca 25.000 Gerichtseingesessenen bestünden.
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2. Das Land Niedersachsen beantragt, die Anträge zurückzuweisen, und trägt dazu vor:
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Zur Geltendmachung der Rechte aus dem Schlußprotokoll sei nur der Landkreis Hameln-Pyrmont als die für den ehemaligen Landesteil Pyrmont zuständige oberste Gebietskörperschaft befugt.
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Vor allem aber sei zweifelhaft, ob die in Rede stehende Verpflichtung Preußens aus dem Schlußprotokoll heute auf das Land Niedersachsen übergangen sei.
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Jedenfalls sei Niedersachsen aber auf Grund des Eingreifens der clausula rebus sic stantibus nicht mehr zur Erhaltung des Amtsgerichts Bad Pyrmont verpflichtet.
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Die für die gebietliche Organisation der Amtsgerichte maßgebenden Verhältnisse hätten sich seit 1921 grundlegend verändert: Dem allgemein anerkannten Bedürfnis nach größeren Verwaltungseinheiten sei durch die kommunale Neugliederung Rechnung getragen worden. Das von der Landesregierung verfolgte Prinzip der Einräumigkeit der Verwaltung fordere nunmehr eine Anpassung der Gerichtssprengel an die Bezirke der Verwaltungsbehörden. Kleinstgerichte, wie das Amtsgericht Bad Pyrmont, genügten den heute an die Rechtspflege zu stellenden Anforderungen nicht mehr. Die zunehmende Vermehrung des Wissensstoffes und die Kompliziertheit der Lebensverhältnisse erforderten eine Spezialisierung der Richter auf einzelne bedeutsame Rechtsgebiete. Diese Spezialisierung setze die Möglichkeit zur Arbeitsteilung voraus, die nur an Amtsgerichten mit mehreren Richtern möglich sei. Bei Kleinstgerichten ergäben sich immer häufiger Probleme aus der Unter- oder Überbelastung einzelner Gerichte sowie aus der Notwendigkeit von Vertretungen im Falle von Erkrankungen und des Urlaubs. Größere Amtsgerichte seien auch auf Grund ihrer zentraleren Lage und der Möglichkeit zum Gedankenaustausch mit Kollegen für die Richter attraktiver.
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Unter Berücksichtigung all dieser Überlegungen habe es im Bund im Rahmen der Vorbereitung zu einer Justizreform mehrere Vorschläge mit dem Ziel der Festsetzung einer Mindestgröße für Amtsgerichte gegeben. Die zur Vorbereitung eingesetzten Kommissionen hätten eine Mindestgröße von 60.000 Gerichtseingesessenen für einen Amtsgerichtsbezirk vorgeschlagen.
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Unabhängig von dem bundesrechtlichen Versuch zur Festschreibung einer Mindestgröße für Amtsgerichte hätten zahlreiche Bundesländer (z. B. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein) damit begonnen, kleinere Amtsgerichte aufzulösen. Das Land strebe für die Amtsgerichte eine Besetzung mit mindestens vier Richtern an. Die Auflösung kleinerer Amtsgerichte mit nur ein oder zwei Richterplanstellen sei in Niedersachsen noch nicht abgeschlossen. Daher könne sich die Antragstellerin auch nicht darauf berufen, daß das Land sein Konzept selbst nicht ausnahmslos verfolge. Das Land halte vielmehr an seinem Ziel fest, alle kleineren Amtsgerichte aufzulösen.
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Die grundlegende Änderung der Verhältnisse habe zur Folge, daß die Aufrechterhaltung des Amtsgerichts Bad Pyrmont für das Land Niedersachsen unzumutbar sei.
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Die Konzeption einer Aufhebung aller kleineren Amtsgerichte vertrage vernünftigerweise keine Ausnahme, die dem Reformziel zuwiderlaufe. Für Pyrmont komme auch nicht die von der Antragstellerin zur Erhaltung des Amtsgerichts vorgeschlagene Lösung einer Vergrößerung des Amtsgerichtssprengels um die nördlich von Bad Pyrmont gelegenen Teile des Landkreises Hameln-Pyrmont in Betracht, da dieses Gebiet raumordnerisch zum Nahbereich des Mittelzentrums Hameln gehöre. Die Gemeinden Aerzen und Emmertal seien auch verkehrsmäßig nach Hameln orientiert. Die Verkehrsverbindungen aus diesem Gebiet nach Bad Pyrmont seien dagegen recht ungünstig. Im übrigen könne auch durch eine Erweiterung des Amtsgerichts Bad Pyrmont um diese beiden Gemeinden mit je etwa 11.000 Einwohnern die vom Land angestrebte Richtzahl von etwa 60.000 Gerichtseingesessenen für ein Amtsgericht nicht erreicht werden.
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Eine dem Prinzip der Einräumigkeit der Verwaltung zuwiderlaufende Aufrechterhaltung des Amtsgerichts Bad Pyrmont würde die erforderliche Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern und Jugend-, Vormundschafts- und Zivilgerichten, zwischen Kataster- und Grundbuchämtern, zwischen Sozialämtern und Zivil- sowie Strafgerichten oder zwischen Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Ordnungswidrigkeiten und Strafgerichtsbarkeit in unzumutbarer Weise erschweren.
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B. - I. |
Der in einem Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG, §§ 13 Nr. 8, 71 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG gestellte Antrag ist zulässig.
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1. Der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht ist gegeben, da es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt. Die Qualität des hier in Rede stehenden Rechts richtet sich nach der des Schlußprotokolls. Das Schlußprotokoll hat - wie die Eingangsformel des Schlußprotokolls zeigt - als sog Annex zum Staatsvertrag Teil an dessen rechtlichem Charakter. Der Staatsvertrag ist ein verfassungsrechtlicher Vertrag, da die in ihm geregelten Gegenstände wie die Eingliederung des Teils eines Staatsgebiets in das Gebiet eines anderen Staates und der dadurch bedingte Wechsel der staatlichen Hoheitsrechte, die Einführung der preußischen Verfassung und die Überleitung des sonstigen preußischen Rechts, die Absprachen über die Staatsangehörigkeit der Pyrmonter Bürger dem Verfassungsrecht zuzurechnen sind (vgl BVerfGE 22, 221 [229 f.]).
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2. Die Antragstellerin klagt nicht aus eigenem Recht, sondern macht ein Recht des untergegangenen Freistaates-Waldeck-Pyrmont geltend. Dazu sind die noch bestehenden "obersten" Selbstverwaltungskörperschaften, die als Repräsentanten der Bevölkerung des untergegangenen Landes angesehen werden können, legitimiert (vgl BVerfGE 3, 267 [280]; 4, 250 [268]; 22, 221 [231]; 34, 216 [226]; 38, 231 [237]). Das ist hier die Antragstellerin, da ihr alle früher zum Gebietsteil Pyrmont gehörenden Gemeinden zwischenzeitlich eingegliedert worden sind, nicht der Landkreis Hameln-Pyrmont, da dessen Gebiet über das der Antragstellerin weit hinausreicht.
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Obwohl Vertragspartner Preußens der Staat war, der die Gebiete Waldeck und Pyrmont umschloß, ist die zusätzliche Beteiligung einer Gebietskörperschaft, in der heute die früher zum Gebietsteil Waldeck gehörende Bevölkerung repräsentiert erscheint, in diesem Verfahren nicht erforderlich; denn die Frage, ob ein Anspruch auf die Erhaltung des Amtsgerichts in Bad Pyrmont besteht, berührt nur die Interessen der Bevölkerung von Bad Pyrmont; infolgedessen besteht die Gefahr, daß in derselben Sache mehrere Kläger mit unter Umständen verschieden Anträgen auftreten, nicht; außerdem hätte auch die Weigerung der noch in Betracht kommenden Antragsteller, das in Rede stehende Recht mitzuverfolgen, keinen Einfluß auf die Antragsbefugnis der Antragstellerin (vgl BVerfGE 22, 221 [233]; 34, 216 [227]). Es bedarf deshalb nicht der Prüfung, ob die nach Hessen eingegliederten ehemals waldeckischen Gebietsteile heute noch durch eine Gebietskörperschaft repräsentiert erscheinen.
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3. Der Antrag war gegen das Land Niedersachsen zu richten. Dazu bedarf es keiner abschließenden Klärung der Frage, auf welchem Wege im einzelnen das Land Niedersachsen Rechtsnachfolger Preußens geworden ist; jedenfalls treffen die Pflichten aus dem hier in Rede stehenden Staatsvertrag heute das Land Niedersachsen. Wenn Art. 55 Abs. 1 der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung vom 13. April 1951 in der Fassung des Gesetzes vom 28. März 1972 (Nds GVBl S. 171) an das im ehemaligen Land Hannover in Kraft gewesene Recht, also bei der Kurzlebigkeit dieses Landes im wesentlichen an das in der früheren preußischen Provinz Hannover geltende preußische Recht anknüpft, so wird dadurch Kontinuität in der Rechtsordnung begründet, die auch die von Preußen abgeschlossenen Staatsverträge erfaßt. Außerdem hat das Land Niedersachsen durch die Aufnahme des Staatsvertrages in seine bereinigte Gesetzessammlung zum Ausdruck gebracht, daß es sich an den Staatsvertrag gebunden fühlt. Dementsprechend hat das Land auch seinerseits stets die sich aus dem Vertrag ergebenden, dem Land günstigen Rechtspositionen (beispielsweise aus § 8 des Staatsvertrages) in Anspruch genommen. Schließlich gehen Vereinbarungen, die sich - wie hier - auf ein bestimmtes Gebiet beziehen (sog radizierte Vereinbarungen) im Zweifel mit dem Übergang des Gebiets auf den neuen Gebietsherrn über.
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4. Das Neugliederungsgesetz ist am 1. März 1974 in Kraft getreten; der Antrag ist am 24. April 1974 eingegangen; die Sechsmonatsfrist des § 64 Abs. 3 in Verbindung mit § 71 Abs. 2 BVerfGG ist somit gewahrt.
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II. |
Der Antrag ist unbegründet.
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1. Art. 1 Abs. e des Schlußprotokolls enthält eine Bestandsgarantie für das Amtsgericht Bad Pyrmont. Die Existenz eines Amtsgerichts in Bad Pyrmont ist jedenfalls über den hier in Frage stehenden Zeitpunkt seiner Auflösung (1974) hinaus garantiert worden. Wenn eine unbeschränkte Bestandsgarantie hinsichtlich der staatlichen Behördenorganisation innerhalb eines Staatsvertrages auch etwas Außergewöhnliches darstellt, so kann sie im Einzelfall doch gewollt sein, wenn sich dies aus besonders gewichtigen Umständen ergibt. So liegen die Dinge hier: Dem Wortlaut nach ist Art. 1 Abs. e Satz 1 weder befristet noch in sonstiger Weise beschränkt. Mit diesem Wortlaut wäre eine Auslegung der Klausel nicht vereinbar, die dahin ginge, daß das Amtsgericht Bad Pyrmont nur im Zusammenhang mit der Eingliederung Pyrmonts nach Preußen nicht aufgehoben werden durfte, und es danach lediglich bis zu einer sachlich begründeten Neuordnung, die alle Gerichte in gleicher Weise träfe, zu erhalten sei. Eine solche Auslegung würde auch dem Zweck der Klausel widersprechen: Das Amtsgericht sollte als Ausgleich für die durch die Eingliederung des Landesteils Pyrmont bedingte Einbuße an Gewicht der Stadt Pyrmont erhalten bleiben; die Bedeutung Pyrmonts innerhalb des kleinen Landes war relativ größer als sie nun innerhalb Preußens wurde. Um dieses Ausgleichs willen verzichtete Preußen insoweit sogar auf die ihm durch die vorausgegangenen Staatsverträge eingeräumte und in sein Ermessen gestellte Befugnis zur anderweitigen Organisation der Justizbehörden. Eine zeitliche Einschränkung der Garantie läßt sich auch nicht aus dem Gesamtinhalt des Vertrages herleiten. Im Gegenteil zeigt besonders § 9 Abs. 1 des Staatsvertrages, wonach einer noch zu gründenden Gesellschaft der Nießbrauch am Bade Pyrmont für 60 Jahre übertragen werden sollte, daß die Parteien mit längerfristigen Verpflichtungen, die über das Jahr 1980 hinausgehen, rechneten. Die Existenz so weitgehender ausdrücklicher Verpflichtungen verbietet eine diesen Zeitpunkt unterschreitende Auslegung anderer Vertragsklauseln mit der Begründung, daß die Vertragspartner eine Bindung bis in das Jahr 1974 nicht gewollt haben konnten.
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2. Eine vertraglich unbeschränkt und vorbehaltlos gegebene Garantie steht jedoch unter dem Vorbehalt der clausula rebus sic stantibus, die ungeschriebener Bestandteil des Bundesverfassungsrechts ist (vgl BVerfGE 34, 216 [231]). Ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall führt dazu, daß die Aufhebung des Amtsgerichts Bad Pyrmont nicht in Widerspruch mit Art. 1 Abs. e des Schlußprotokolls steht.
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Nach den vom Senat in der Entscheidung zum Coburger Staatsvertrag (BVerfGE 34, 216 ff) entwickelten Grundsätzen, an denen festzuhalten ist, findet die clausula rebus sic stantibus Anwendung, "wenn sich die Verhältnisse, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestanden haben, mittlerweile grundlegend geändert haben und angesichts dieser Veränderung das Festhalten am Vertrag oder an einer Einzelvereinbarung innerhalb des Vertrags für den Verpflichteten unzumutbar geworden ist" (BVerfGE 34, 216 [232]).
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a) Die für die Gerichtsorganisation eines Landes erheblichen Verhältnisse haben sich seit Abschluß des Staatsvertrages grundlegend geändert. Mit dem Ausbau des Rechtsstaates und der fortschreitenden Verrechtlichung aller Lebensbereiche sind die Anforderungen an die Qualität der Rechtsprechung gestiegen. Die richterliche Entscheidung bedarf heute mehr denn je der sachlichen Überzeugungskraft. Zugleich haben die Zahl der Gesetze, die Kompliziertheit der Regelungen und der Umfang der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugenommen. Den unter diesen Umständen heute an eine leistungsfähige Rechtsprechung zu stellenden Anforderungen vermögen kleine Amtsgerichte mit nur ein oder zwei Richterplanstellen schwerlich zu genügen. Die Erhaltung und Steigerung der Qualität der Rechtsprechung verlangt im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine weitgehende Spezialisierung des Richters. Spezialisierung setzt eine Arbeitsteilung unter den Richtern eines Gerichts voraus; sie ist nur möglich an einem größeren Amtsgericht mit mehreren Richtern. Hinzu kommt, daß eine den modernen Bedürfnissen entsprechende Ausstattung der Gerichte mit Literatur und erst recht der Einsatz moderner bürotechnischer Hilfsmittel - einschließlich elektronischer Datenverarbeitungsanlagen - wirtschaftlich sinnvoll nur an größeren Gerichten möglich ist.
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Die Zentralisierung des Gerichtswesens in größeren Gerichtseinheiten wird - heute anders als vor 50 Jahren - ermöglicht und erleichtert durch die Verbesserung der Verkehrs- und Postwege, die Einrichtung eines dichten Fernsprechnetzes und die zunehmende Motorisierung der Bevölkerung; der rechtssuchende Bürger überwindet heute die weiteren Entfernungen zum größeren Gericht leichter und rascher als 1922 den Weg zum ortsnahen Gericht. Schließlich sind die tatsächlichen Verhältnisse auch durch die kommunale Neugliederung teilweise einschneidend verändert worden. Das grundsätzlich anzuerkennende Prinzip der Einräumigkeit der Verwaltung (vgl BVerfGE 34, 216 [233]) fordert aber wegen der häufig erforderlichen Zusammenarbeit und des erstrebenswerten Informationsaustausches besonders auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach Möglichkeit eine Anpassung der Bezirke der Gerichte erster Instanz an die Bezirke der Unterstufe der inneren Verwaltung (BVerfGE 34, 216 [233 f.]).
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b) Angesichts dieser grundlegenden Veränderungen ist das Festhalten an der Pflicht des Art. 1 Abs. e für das Land Niedersachsen auch unzumutbar geworden. Schon eine Ausnahme vom Prinzip der Einräumigkeit der Verwaltung würde - selbst wenn zwei Amtsgerichte innerhalb der Grenzen eines Kreises errichtet würden - auf Grund unterschiedlicher örtlicher Zuständigkeiten und der Dislozierung der Amtssitze die Zusammenarbeit zwischen Amtsgerichten und den verschiedenen Verwaltungsbehörden erschweren.
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Vor allem aber: Wenn sich das Land Niedersachsen aus schwerwiegenden politischen Erwägungen, denen das Bundesverfassungsgericht nicht mit eigenen politischen Erwägungen entgegentreten kann, entschlossen hat, die kleinen Amtsgerichte mit nur ein oder zwei Richterplanstellen aufzulösen, so ist grundsätzlich auch das Interesse an der vollständigen Durchführung dieses Konzepts anzuerkennen. Ebenso wie die Neugliederung der Staatsverwaltung (BVerfGE 34, 216 [234]) verträgt auch eine Neugliederung der Bezirke der erstinstanzlichen Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit vernünftigerweise keine Ausnahme, die erkennbar dem mit der Reform verfolgten Zweck zuwiderläuft. Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, daß das Land selbst sein Konzept noch nicht "lupenrein" verwirklicht habe, weil noch Amtsgerichte mit ein oder zwei Richterplanstellen existieren. Das Land hat versichert, daß auch diese Gerichte aufgehoben werden sollen. Es liegt auf der Hand, daß ein umfassendes Reformkonzept nur schrittweise verwirklicht werden kann. Das Land ist auf Grund des Staatsvertrages auch nicht verpflichtet, mit der Auflösung des Amtsgerichts Bad Pyrmont bis zum "letzten Akt" der Reform zuzuwarten und das Amtsgericht Bad Pyrmont als letztes aufzulösen.
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Eine mit dem Reformkonzept Niedersachsens vereinbare Möglichkeit, das Amtsgericht Bad Pyrmont aufrechtzuerhalten, ist nicht ersichtlich.
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Die ständige Einrichtung einer Nebenstelle des Amtsgerichts Hameln in Bad Pyrmont, sei es auch nur beschränkt auf einige wenige Rechtsgebiete, steht unter Berücksichtigung der für die Bildung größerer Gerichtseinheiten maßgeblichen Gesichtspunkte der Erhaltung eines kleinen Amtsgerichts gleich, und kommt daher als zumutbare Alternative nicht in Betracht.
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Die regelmäßige Abhaltung von Gerichtstagen in Bad Pyrmont könnte zwar die mit der Aufhebung des Amtsgerichts für die Bevölkerung von Bad Pyrmont uU verbundenen Schwierigkeiten mildern, stellt aber ebenfalls keine ausreichende Alternative zur Aufhebung des Amtsgerichts dar.
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Die Verlegung des Amtsgerichts Hameln nach Bad Pyrmont ist ausgeschlossen, weil damit der Sitz des Gerichts an den Rand seines Sprengels verlegt würde, - ein bei den ungünstigen Verkehrsverbindungen gänzlich unzumutbares Ergebnis für die große Mehrheit der Gerichtseingesessenen.
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Auch die Vergrößerung des Sprengels des Amtsgerichts Bad Pyrmont um die nördlich angrenzenden Teile des Kreises, die Gemeinden Aerzen und Emmertal, kommt nicht in Betracht. Zunächst würde durch die Zuschlagung der Gemeinden Aerzen und Emmertal zum Sprengel des Amtsgerichts Bad Pyrmont noch nicht der vom Land angestrebte Richtwert von 60.000 Einwohnern für jedes Amtsgericht erreicht, da in diesen Gebieten nur je etwa 11.000 Einwohner leben. Die in Frage stehenden Gebiete sind seit je entsprechend den geographischen Verhältnissen raumordnerisch, insbesondere auch verkehrsmäßig eng der Stadt Hameln zugeordnet - sie sind insbesondere dem städtischen Verkehrsnetz angeschlossen -, so daß eine Zuschlagung dieser Gebiete zum Amtsgerichtsbezirk Bad Pyrmont in Widerspruch zur sonstigen Orientierung der dort ansässigen Bevölkerung nach Hameln stünde. Eine Lösung, die zwar den Interessen der Bevölkerung Bad Pyrmonts entgegenkäme, dafür aber zu erheblichen Nachteilen für die benachbarten Bevölkerungsteile führen würde, stellt keine Alternative zur Auflösung des Amtsgerichts dar; der Sinn der staatsvertraglichen Garantie ist die Erhaltung des Amtsgerichts zum Vorteil der Stadt und ihrer Bevölkerung, - aber nicht auf Kosten der Nachbarbevölkerung, dh nicht unter Inkaufnahme ganz erheblicher Nachteile für die fast gleichgroße Zahl von Bürgern zweier angrenzender Gemeinden.
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In Ermangelung einer sinnvollen Alternative zur Aufhebung des Amtsgerichts Bad Pyrmont ist die Garantie des Art. 1 Abs. e des Schlußprotokolls infolge der grundlegenden Änderung der Verhältnisse heute für das Land Niedersachsen unzumutbar geworden. Unter diesen Umständen ist das Land Niedersachsen nicht mehr durch Art. 1 Abs. e des Schlußprotokolls gehindert, im Zuge der Neugliederung der Gerichte auch das Amtsgericht Bad Pyrmont aufzulösen.
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3. Die Rechtsfolge des Eintritts der clausula rebus sic stantibus ist zunächst nicht der Wegfall der vertraglichen Verpflichtung, sondern die Pflicht der Beteiligten, nach einer Anpassung der vertraglichen Vereinbarung an die veränderten Verhältnisse zu suchen. Daraus hat das Bundesverfassungsgericht die Folgerung gezogen, daß der sich auf die clausula rebus sic stantibus Berufende grundsätzlich verpflichtet ist, mit dem aus dem Vertrag Berechtigten in ernsthafte Verhandlungen einzutreten, die die Anpassung der Vereinbarung an die neuen Verhältnisse zum Ziel haben (BVerfGE 34, 216 [236 f.]). Diese Pflicht hat das Land verletzt. Die Stadt hat sich zwar wiederholt unter Darlegung ihrer Auffassung schriftlich gegen die geplante Aufhebung des Amtsgerichts an die Landesregierung und die Landtagsabgeordneten gewandt, ihre Vertreter wurden auch einmal zu einer Aussprache im Ministerium empfangen, zu keiner Zeit ließ das Land jedoch ernsthaft über die Belassung des Amtsgerichts in Bad Pyrmont, über mögliche Alternativen zur geplanten Aufhebung und über die Folgen einer Aufhebung mit sich reden. Daraus läßt sich indessen hier keine die Auflösung des Gerichts in Frage stellende Folgerung ziehen, weil, wie dargelegt, auch das verfassungsrechtlich geforderte, aber unterbliebene Prozedere zu keinem anderen Ergebnis als der Aufhebung des Amtsgerichts Bad Pyrmont hätte führen können.
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Ist eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse - wie hier - nicht möglich, so kommt zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen den vertraglichen Leistungen und Gegenleistungen nur ein angemessener Ausgleich in Gestalt einer Geldleistung in Betracht, der weder einen Schadensersatz noch eine Entschädigung darstellt (vgl BVerfGE 34, 216 [237]). Der Senat hält hier die Zuerkennung eines Ausgleichs in Geld für geboten, weil die staatsvertragliche Bestandsgarantie für das Amtsgericht Bad Pyrmont gerade dem durch die Eingliederung nach Preußen bedingten Bedeutungsverlust, den die Stadt Bad Pyrmont erlitten hat, entgegenwirken sollte.
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Für die Höhe der Geldleistung waren folgende Gesichtspunkte von Bedeutung: Die Antragstellerin wird durch die Auflösung des Amtsgerichts finanzielle Einbußen hinzunehmen haben. Zum einen werden die bisher am Gericht Beschäftigten ihren Wohnsitz an den neuen Beschäftigungsort verlegen. Zum anderen ist ein Rückgang an Besuchern der Stadt, die bisher zu den Gerichtsterminen angereist sind, zu erwarten. Die Bürger der Stadt müssen nunmehr zur Wahrnehmung ihrer Gerichtstermine nach Hameln reisen. Schließlich verliert die Stadt ihre besondere Bedeutung als "Gerichtsstätte". Der damit verbundene "Verlust an Zentralität" kann nicht nur die weitere Entwicklung der Stadt beeinträchtigen, sondern auch zur Folge haben, daß die Stadt bei zukünftigen, von der Bedeutung der Gemeinde abhängig gemachten Förderungsmaßnahmen des Bundes oder des Landes weniger berücksichtigt wird oder unberücksichtigt bleibt. Darnach erscheint als Ausgleich für den Wegfall der Verpflichtung aus Art. 1 Abs. e des Schlußprotokolls eine Geldleistung in Höhe von einer Million Deutsche Mark angemessen. Eine solche Ablösung der vertraglichen Garantie ist andererseits auch unter den gegenwärtigen finanziellen Verhältnissen dem Lande Niedersachsen zumutbar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 Abs. 3 BVerfGG.
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