BVerfGE 47, 46 - Sexualkundeunterricht
1. Die individuelle Sexualerziehung gehört in erster Linie zu dem natürlichen Erziehungsrecht der Eltern im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG; der Staat ist jedoch aufgrund seines Erziehungsauftrages und Bildungsauftrages (Art. 7 Abs. 1 GG) berechtigt, Sexualerziehung in der Schule durchzuführen.
2. Die Sexualerziehung in der Schule muß für die verschiedenen Wertvorstellungen auf diesem Gebiet offen sein und allgemein Rücksicht nehmen auf das natürliche Erziehungsrecht der Eltern und auf deren religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen, soweit diese für das Gebiet der Sexualität von Bedeutung sind. Die Schule muß insbes. jeden Versuch einer Indoktrinierung der Jugendlichen unterlassen.
3. Bei Wahrung dieser Grundsätze ist Sexualerziehung als fächerübergreifender Unterricht nicht von der Zustimmung der Eltern abhängig.
4. Die Eltern haben jedoch einen Anspruch auf rechtzeitige Information über den Inhalt und den methodisch-didaktischen Weg der Sexualerziehung in der Schule.
5. Der Vorbehalt des Gesetzes verpflichtet den Gesetzgeber, die Entscheidung über die Einführung einer Sexualerziehung in den Schulen selbst zu treffen.
Das gilt nicht, soweit lediglich Kenntnisse über biologische und andere Fakten vermittelt werden.
 
Beschluß
des Ersten Senates vom 21. Dezember 1977
-- 1 BvL 1/75, 1 BvR 147/75 --
I. in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 28 des hamburgischen Schulgesetzes vom 9. Dezember 1966 (GVBl. I S. 257) und des § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 des hamburgischen Schulverfassungsgesetzes vom 12. April 1973 (GVBl. I S. 91) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. November 1974 (BVerwG VIII C 8.73) - 1 BvL 1/75 -;
II. In den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. des Stadtrechtsdirektors Dr. A. ..., 2. seiner Ehefrau A ..., 3. ihrer Tochter A ... - vertreten durch die Beschwerdeführer zu 1) und 2) - gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 4. März 1975 (IX 1416/74) - 1 BvR 147/75 -.
Entscheidungsformel:
1. § 28 des Schulgesetzes (SchulG) der Freien und Hansestadt Hamburg vom 9. Dezember 1966 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt I S. 257) und § 2 Absatz 1 Satz 1 und 2 des Schulverfassungsgesetzes (SchVG) vom 12. April 1973 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt I S. 91) waren insoweit mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig, als diese Vorschriften die Einführung einer Sexualerziehung nach den Richtlinien für die Sexualerziehung in den Schulen der Freien und Hansestadt Hamburg vom Jahre 1970 der Schulbehörde überließen.
2. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) wird zurückgewiesen; die übrigen Verfassungsbeschwerden werden verworfen.
 
Gründe:
 
A.
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren betreffen Fragen der Einführung und Erteilung des Sexualkundeunterrichts in öffentlichen Schulen.
I.
1. Das Bundesverwaltungsgericht - VII. Senat - begehrt in dem Normenkontrollverfahren 1 BvL 1/75 die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber, ob § 28 des hamburgischen Schulgesetzes (SchulG) vom 9. Dezember 1966 (GVBl. I. S. 257) und § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 des hamburgischen Schulverfassungsgesetzes (SchVG) vom 12. April 1973 (GVBl. I. S. 91) insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar waren, als diese Vorschriften die Entscheidung über die Einführung einer Sexualerziehung nach den Richtlinien für die Sexualerziehung in den Schulen der Freien und Hansestadt Hamburg vom Jahre 1970 der Schulbehörde überließen.
Die genannten Vorschriften in der zur Prüfung vorgelegten Fassung lauteten:
    § 28 SchulG
    Die zuständige Behörde leitet, verwaltet und beaufsichtigt das gesamte staatliche Schulwesen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Selbstverwaltung.
    § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchVG
    Die zuständige Behörde leitet und beaufsichtigt das staatliche Schulwesen unter Berücksichtigung der in diesem Gesetz niedergelegten Grundsätze der Selbstverwaltung. Die zuständige Behörde bestimmt den Lehr- und Erziehungsauftrag der Schule und ist allgemein oder im Einzelfall gegenüber den Schulen weisungsbefugt.
2. Der Vorlage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
a) Am 3. Oktober 1968 beschloß die Ständige Konferenz der Kultusminister "Empfehlungen zur Sexualerziehung in den Schulen" (Sammlung der Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. 1 Beschluß Nr. 659; im folgenden abgekürzt: KMK-Empfehlungen), in denen Aufgabe und Durchführung dieser Erziehung im wesentlichen wie folgt umschrieben werden:
    ... Sexualerziehung ist in erster Linie Aufgabe der Eltern. Die Schule ist auf Grund ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages verpflichtet, bei dieser Aufgabe mitzuwirken. Während sich die Sexualerziehung im Elternhaus in einer privaten Sphäre vollzieht, steht sie in der Schule im Rahmen einer öffentlichrechtlichen Ordnung. Das bedeutet, daß Sexualerziehung in der Schule andere Voraussetzungen und Formen als im Elternhaus hat, obwohl sie das gleiche Ziel anstrebt.
    In der Schule sollen Schülerinnen und Schüler zu den Fragen der menschlichen Sexualität ein sachlich begründetes Wissen erwerben. Dieses Wissen soll es ihnen ermöglichen, auf diesem Gebiet Zusammenhänge zu verstehen, sich angemessen sprachlich auszudrücken und sich ein Urteil - auch über schwierige und ungewöhnliche Erscheinungen - zu bilden. Sexualerziehung in der Schule soll dazu beitragen, daß die jungen Menschen ihre Aufgaben als Mann oder Frau erkennen, ihr Wertempfinden und Gewissen entwickeln und die Notwendigkeit der sittlichen Entscheidung einsehen.
    ... Sexualerziehung in der Schule muß wissenschaftlich fundiert und methodisch durchdacht sein.
    ... Während sich die Sexualerziehung im Elternhaus als individuelle Erziehung vollzieht, handelt es sich in der Schule in der Regel um Erziehung in der Klassengemeinschaft oder in Gruppen. Diese Erziehung kann erst zur vollen Wirkung kommen, wenn sie auf der individuellen Erziehung aufbaut, sie fortsetzt und ergänzt. Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule auf dem Gebiet der Sexualerziehung ist deshalb notwendig.
    ... Um die Sexualerziehung in Elternhaus und Schule aufeinander abzustimmen, soll den Eltern Gelegenheit gegeben werden, ihre Erfahrungen und Fragen in Elternversammlungen zu diskutieren. Sie sollen rechtzeitig darüber informiert werden, welche Richtlinien zur Sexualerziehung in der Schule gelten und welche Themen in den Lehrplänen vorgesehen sind; sie haben dann die Möglichkeit, diese Fragen schon vorher mit ihren Kindern zu besprechen.
    ... Während der ersten sechs Schuljahre sollen die Kinder über die biologischen Grundtatsachen der Fortpflanzung des Menschen (Zeugung, Schwangerschaft, Geburt), über die körperlichen und seelischen Veränderungen während der Pubertät sowie über Menstruation und Pollution unterrichtet werden.
    ... Bis zum Ende des neunten oder zehnten Schuljahres sollen im Unterricht - unter Vermeidung enzyklopädischer Zielsetzung - behandelt werden:
    Zeugung, Schwangerschaft und Geburt beim Menschen, geschlechtliche Probleme der Heranwachsenden (z. B. Verhalten der Geschlechter zueinander, verfrühte Sexualbetätigung, Masturbation),
    soziale und rechtliche Grundlagen des Geschlechts- und Familienlebens (z. B. Verlöbnis, Ehe, Familie, Rechte und Pflichten der Eltern, Rechte des ehelichen und des unehelichen Kindes),
    sozialethische Probleme der menschlichen Sexualität sowie strafrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend und über sexuelle Vergehen (z. B. Empfängnisverhütung, Promiskuität, Prostitution,
    Homosexualität, Vergewaltigung, Abtreibung, Kuppelei, Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, Triebverbrechen).
    Bis zum Ende des dreizehnten Schuljahres und in den berufsbildenden Schulen sollen die oben genannten Themen vertieft behandelt werden, insbesondere die ethischen, rechtlichen und sozialen Probleme der menschlichen Sexualität unter Einschluß abnormer Formen menschlichen Sexualverhaltens.
    ... Sexualerziehung in der Schule ist nicht an ein bestimmtes Fach gebunden, sondern vollzieht sich in verschiedenen Unterrichtsfächern und in außerunterrichtlichen Schulveranstaltungen. Es ist darauf zu achten, daß die Beiträge der Unterrichtsfächer und die sonstigen Bemühungen um Sexualerziehung in der Schule so aufeinander abgestimmt werden, daß die oben angegebenen Unterrichtsziele für die verschiedenen Alters- und Klassenstufen erreicht werden. Nicht alle Unterrichtsfächer können in gleichem Maße zur Sexualerziehung beitragen ...
    Die für die Sexualerziehung notwendigen Lehrinhalte werden in die Lehrpläne der einzelnen Fächer aufgenommen. ...
b) Gemäß diesen Empfehlungen erließ die Schulbehörde in Hamburg im Jahre 1970 "Richtlinien für die Sexualerziehung in den Schulen der Freien und Hansestadt Hamburg".
An der Ausarbeitung dieser Richtlinien waren zahlreiche Gremien außerhalb des hamburgischen Parlaments (der Bürgerschaft) beteiligt, die allerdings nur beratende Funktion hatten. Die Deputation der Schulbehörde stimmte dem dritten Entwurf der Richtlinien zu. In einer Parlamentsdebatte wurde zwar deutlich, daß alle Fraktionen die Richtlinien billigten (VII. Wahlperiode, Plenarprotokolle zu den Verhandlungen, Bd. 5, 70. Sitzung am 5. Juli 1972, S. 3703 f. [3707]). Die Bürgerschaft selbst wurde jedoch nicht tätig. Die Richtlinien wurden lediglich als Sonderdruck (Freie und Hansestadt Hamburg, Schulbehörde, 1970) an die Schulen sowie an Eltern und Schülerräte verteilt.
In den "Vorbemerkungen" zu diesen Richtlinien wird darauf hingewiesen, daß Erziehungsziele formuliert werden sollen, über die trotz tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten über Grundfragen der Sexualität auch in einer pluralistischen Gesellschaft weitgehend Einhelligkeit bestehe:
    In erster Linie gilt es, freie, mündige und selbstverantwortliche Menschen heranzubilden. Dazu hat die Sexualerziehung einen wesentlichen Beitrag zu leisten.
    Zweitens soll den jungen Menschen eine Grundlage für ein glückliches und erfülltes Leben durch Bejahung der Sexualität vermittelt werden. Dieses Ziel umfaßt nicht nur eine angemessene und positiv gerichtete Information über die sexuellen Gegebenheiten der menschlichen Fortpflanzung, sondern auch die Hervorhebung der Bedeutung von Ehe und Familie.
    Drittens ist von ganz wesentlicher Bedeutung, welche Beurteilung die Sexualität des Menschen unabhängig von den Zusammenhängen der Fortpflanzung erfährt. Sexualität als eine der Quellen von Lust und Lebensfreude muß heute auch in der Erziehung junger Menschen ausdrückliche Anerkennung finden. Eine Sexualerziehung, die sich vorwiegend nur negative Ziele setzt, indem sie abschirmt oder unterdrückt, kann den Anforderungen unserer Zeit nicht mehr genügen.
    Viertens gilt für die Sexualerziehung wie für jede schulische Erziehung, daß durch Information und Diskussion auch Grenzen aufgezeigt werden, die notwendig sind, um das Zusammenleben von Menschen zu ermöglichen. Die Schule hat sich in ihrer Erziehungsarbeit nicht nur an der Zukunft des jungen Menschen und an seinen individuellen Möglichkeiten zu orientieren, sondern sie muß auch beachten, daß sie selbst ein Teil jener gesellschaftlichen Ordnung ist, die in bestimmten Grenzen die freie Entfaltung des Individuellen im Zusammenleben der Menschen erst möglich macht.
Die genannten Erziehungsziele lassen sich so deuten: Erziehung zu einem verantwortlichen geschlechtlichen Verhalten soll den jungen Menschen befähigen, sein gegenwärtiges und künftiges Leben bewußt und in freier Entscheidung selbst zu gestalten. Nicht sexuelle Libertinage ist das Leitbild, aber auch nicht Prüderie und sexuelle Unterdrückung. Angestrebt wird eine Lebensführung, in der Sexualität als wesentlicher Bestandteil menschlichen Daseins anerkannt und bejaht wird, ohne daß Schwierigkeiten und mögliche Komplikationen verharmlost werden.
Weiter hießt es:
    Ebenso bedenklich wie eine angstmachende Sexualerziehung ist eine Verharmlosung der Problematik menschlichen Sexualverhaltens. Entscheidungsfreiheit im sexuellen Bereich ist nicht gleichbedeutend mit sexuellem Konsumverhalten, sondern soll eine bewußte Lebensführung unter Einbeziehung der sexuellen Triebkräfte und ihrer Einordnung in das Ganze des individuellen, gesellschaftlichen und generativen Lebenszusammenhangs sein. Dabei wird es immer wieder zu inneren und äußeren Konflikten kommen. Der junge Mensch muß deshalb darüber informiert werden, daß es wie auf vielen anderen Lebensgebieten so auch auf dem Gebiet der sexuellen Lebensführung Konfliktmöglichkeiten sehr verschiedener Art gibt. Es ist wichtig, daß ein kritisches Verständnis für geltende Normen entwickelt wird.
    Sexualerziehung in der Schule vollzieht sich in einem Rahmen, der durch das geltende Recht abgesteckt wird. Daran ist, bei aller Freiheit in der Diskussion mit den Schülern, auch der einzelne Lehrer gebunden.
Zur Durchführung der Sexualerziehung wird dargelegt:
    Die Sexualerziehung in der Schule unterscheidet sich charakteristisch von der im Elternhaus. Während eine individuelle Erziehung im Elternhaus im allgemeinen sehr stark auf der Wirkung von Vorbildern aufbaut, stehen in der Schule Informationsvermittlung und rationale Klärung von Vorstellungen und gedanklichen Positionen, die auf künftige Realsituationen bezogen sind, im Vordergrund. Beide Erziehungsformen haben ihre besonderen Stärken, aber auch ihre Schwächen. Sie müssen sich deshalb gegenseitig ergänzen. Eine wechselseitige Information von Elternhaus und Schule ist daher unumgänglich.
    Die für die einzelnen Klassenstufen festgelegten Themen müssen nicht in der ganzen Ausführlichkeit und Gründlichkeit behandelt werden. Es handelt sich vielfach um Stationen einer propädeutisch verstandenen Einführung in die komplizierten Zusammenhänge der menschlichen Sexualität. Diese Einführung soll sich zudem allmählich und in altersgemäßer Form vollziehen. Im übrigen sprechen auch jugendpsychologische Erfahrungen für einen frühen Beginn der sachlichen Information. Kinder in den Altersstufen vor der Pubertät können unbefangener mit diesem Sachwissen umgehen als später. Deswegen gilt besonders für die Sexualerziehung: "Lieber ein Jahr zu früh als eine Stunde zu spät!"
    Da die Sexualerziehung kein Unterrichtsfach, sondern Unterrichtsprinzip ist, müssen mehrere Unterrichtsfächer zu dieser Erziehungsaufgabe beitragen. Für die Schulpraxis wirft das schwierige Fragen auf. Es ist aber zu erwarten, daß für die verschiedenen Klassenstufen und Schularten durchaus geeignete Formen der fachlichen Zusammenarbeit gefunden werden können. Für die oberen Klassen können auch Fachleute außerhalb der Schule um Mitarbeit gebeten werden (z. B. Ärzte, Psychologen, Juristen).
Die Richtlinien selbst geben in ihrem ersten Teil wörtlich die KMK-Empfehlungen wieder. In ihrem zweiten Teil enthalten sie darüber hinaus Angaben zum Lehrstoff für die einzelnen Klassenstufen und Schularten sowie Hinweise zur Didaktik und Methodik der Sexualerziehung in der Schule. Dort heißt es u. a.:
    Die Eltern haben einen Anspruch darauf, über die Inhalte, Formen und Ziele der Sexualerziehung in der Schule informiert zu werden. Dies bedeutet nicht, daß die Schule in ihrer Tätigkeit abhängig wäre von der Zustimmung aller einzelnen Eltern. Entscheidend ist, daß die Eltern auf Grund rechtzeitiger und umfassender Informationen die Maßnahmen einleiten können, die ihnen richtig zu sein scheinen. Im Rahmen des Unterrichts verwendete Lehr- und Lernmittel sollen den Eltern zugänglich gemacht werden. Zu Elternversammlungen kann die Schule Fachleute hinzuziehen, z. B. Ärzte und Psychologen. Es empfiehlt sich auch, die Eltern auf geeignete Literatur hinzuweisen.
c) Die Kläger des Ausgangsverfahrens, Eltern von drei Kindern, die damals öffentliche Schulen in Hamburg besuchten, hielten eine nach diesen Richtlinien durchgeführte Sexualerziehung ihrer Kinder in der Schule mangels einer gesetzlichen Grundlage für rechtswidrig und für einen unzulässigen Eingriff in ihr Elternrecht.
Sie forderten die Schulbehörde deshalb auf, sich bei der Unterrichtung der Kinder über sexuelle Fragen auf eine angemessene Information über die sexuellen Gegebenheiten der menschlichen Fortpflanzung und auf die Hervorhebung der Bedeutung der Ehe und Familie zu beschränken. Da sie damit nicht durchdrangen, erhoben sie Unterlassungsklage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg, das ihrem Begehren durch Urteil vom 25. April 1972 (DÖV 1973 S. 54) mit der Begründung stattgab, die Sexualerziehung an den hamburgischen Schulen sei rechtswidrig, da sie nur aufgrund eines formellen Landesgesetzes hätte eingeführt werden dürfen. § 28 des hamburgischen Schulgesetzes biete für die Einführung der Sexualerziehung keine ausreichende gesetzliche Grundlage.
Dieses Urteil hob das Hamburgische Oberverwaltungsgericht auf die Berufung der Beklagten durch Entscheidung vom 3. Januar 1973 (DÖV 1973 S. 574 = Hamburgisches Justizverwaltungsblatt 1972/1973 S. 247) auf. Es führte in den Urteilsgründen aus, das hamburgische Landesrecht biete für die Einführung der Sexualerziehung eine ausreichende Rechtsgrundlage. § 28 SchulG überlasse in rechtlich zulässiger Weise die nähere Bestimmung und Ausgestaltung des Unterrichts der zuständigen Behörde. Danach sei auch die Bestimmung der Unterrichtsgegenstände und der damit zusammenhängenden Bildungs- und Erziehungsziele Sache der zuständigen Behörde. Die auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinien über die Sexualerziehung verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Sie verletzten insbesondere keine Grundrechte der Kläger.
Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts legten die klagenden Eltern Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein.
3. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 80 ff. BVerfGG die oben bezeichnete Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt. Die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Rechtsvorschriften sei aus folgenden Erwägungen zu verneinen:
Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und das in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG niedergelegte Demokratieprinzip, die nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern verbindlich seien, verpflichteten den Gesetzgeber, in grundrechtsrelevanten Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen. Dies gelte auch für die Regelung des Schulwesens, dessen wesentliche Merkmale der Gesetzgeber selbst festzulegen habe. Aus Art. 7 Abs. 1 GG ergebe sich nicht, daß die Schulverwaltung ohne gesetzliche Grundlage zur Regelung des Schulwesens befugt wäre. Der Begriff der staatlichen Schulaufsicht umfasse zwar die Gesamtheit der staatlichen Herrschaftsrechte über die Schule und räume den Ländern als Trägern der Schulhoheit auch eine weitgehende Gestaltungsfreiheit bei der inhaltlichen Festlegung der Erziehungs- und Unterrichtsziele und der Bestimmung des Unterrichtsstoffes ein, sage aber nichts darüber aus, daß zur Ausübung dieser Befugnisse die Exekutive ohne Beteiligung des Parlaments berechtigt wäre. Unter der Geltung des Grundgesetzes lasse sich ebensowenig aus der herkömmlichen Einordnung des Schulverhältnisses als "besonderes Gewaltverhältnis" oder aus Gewohnheitsrecht rechtfertigen, daß das Schulverhältnis ein gesetzesfreier Raum sei, der von der Schulverwaltung ausgefüllt werden könne.
Zu den wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen, deren Festlegung jedenfalls in den Grundzügen dem Gesetzgeber vorbehalten sei, gehörten die Bildungs- und Erziehungsziele, dies zumal in einem Bereich wie der hier streitigen Sexualerziehung, die besonders stark das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte elterliche Erziehungsrecht berühre. Bei der hier in Frage stehenden Sexualerziehung werde der Gesetzgeber mit der Festlegung der Erziehungsziele in den Grundzügen auch die grundlegende Entscheidung zu treffen haben, ob die Sexualerziehung als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip, wie dies die Richtlinien der Schulbehörde der Beklagten vorsehen, oder als fachgebundener Unterricht mit einer etwaigen Wahl- oder Befreiungsmöglichkeit durchgeführt werden solle. Die gesetzliche Regelung müsse ferner gewährleisten, daß die Sexualerziehung in der Schule für die vielfältigen unterschiedlichen Wertvorstellungen auf diesem Gebiet offen sei und nicht zu einer einseitigen Indoktrinierung der Schüler führe. Allerdings sei eine lückenlose gesetzliche Regelung des Schulverhältnisses weder erforderlich noch bei dem Wesen der Schule sinnvoll, weshalb auf - unter Umständen auch generalklauselartige - Ermächtigungen für den Erlaß von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zur Ausfüllung des in den Grundzügen durch Gesetz und gegebenenfalls ergänzend durch Rechtsverordnung festgelegten Bildungs- und Erziehungsziele nicht verzichtet werden könne.
§ 28 SchulG und § 2 Abs. 1 Satz 1 SchVG stellten jedoch keine ausreichende gesetzliche Grundlage dar. Die Entscheidung über die inhaltliche Bestimmung der Lehr- und Erziehungsziele werde allgemein der Schulverwaltung überlassen. Eine verfassungskonforme Auslegung der zur Prüfung gestellten Rechtsvorschriften, wie sie das Verwaltungsgericht zu § 28 SchulG vorgenommen habe, stehe im Widerspruch zu dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 2 SchVG und dem daraus klar erkennbaren Willen des hamburgischen Gesetzgebers und sei deshalb nicht möglich. Eine Übergangslösung, in deren Rahmen für eine angemessene Übergangszeit von dem Erfordernis der gesetzlichen Regelung abgesehen und die Fortgeltung der Richtlinien für die Sexualerziehung hingenommen werden könne, hält der Senat für unzulässig. Sie sei wegen der Neuartigkeit des von der Beklagten in den Richtlinien umfassend geregelten Sexualkundeunterrichts nicht gerechtfertigt.
a) Der Senat der Freien und Hansestadt teilt die Zweifel des Bundesverwaltungsgerichts an der Verfassungsmäßigkeit der Sexualerziehung in den hamburgischen Schulen nicht. Zur Einführung der Sexualerziehung habe es eines Gesetzes nicht bedurft. § 28 SchulG und § 2 SchVG seien für die Einführung und die Durchführung der Sexualerziehung eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Zwar möge es bei "besonderen Gewaltverhältnissen" notwendig sein, manche Regelungen, die bislang von der Verwaltung getroffen worden seien, aufgrund einer gewandelten Rechtsauffassung in ein Gesetz aufzunehmen oder durch eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung abzusichern. Hieraus könne aber nicht gefolgert werden, die Bildungs- und Erziehungsziele müßten vom Gesetzgeber festgelegt werden. Diese Forderung sei nur berechtigt, wenn und soweit es sich um Eingriffe in die rechtlich geschützte Sphäre des Einzelnen handele. Die Unterrichtung und Erziehung der Schüler seien aber staatliche Leistungen, die zugunsten dieser jungen Menschen erbracht würden; sie seien deswegen nicht der dem Allgemeinvorbehalt des Gesetzes unterliegenden Eingriffsverwaltung zuzurechnen. Angesichts der weitgehenden "Gestaltungsfreiheit der Länder bei der Festlegung von Erziehungsprinzipien und Unterrichtsgegenständen" (BVerfGE 34, 165 [181] - hess. Förderstufe) sei es nicht vorstellbar, daß die Sexualerziehung in den hamburgischen Schulen Rechte der Schüler oder ihrer Eltern verletze.
Ebensowenig sei ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip erkennbar. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts berücksichtige nicht die Besonderheiten der hamburgischen Deputationsverfassung gemäß Art. 56 der Verfassung der Freien und Hansestadt, §§ 7 ff. des Gesetzes über Verwaltungsbehörden in der Fassung vom 30. Juli 1952. Danach würden bei den Fachbehörden Deputationen aus den in die Behörde entsandten Senatoren und fünfzehn bürgerlichen Mitgliedern (Deputierten) gebildet; diese würden - wie auch die Senatoren gemäß Art. 34 der Verfassung - vom Parlament aus den zur Bürgschaft wählbaren Einwohnern der Freien und Hansestadt Hamburg gewählt. Sie wirkten nach § 9 Abs. 1 des Gesetzes u. a. bei Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung mit. Auf diese Weise würden die Richtlinien für die Sexualerziehung auch vom Volke mitgetragen.
b) Die übrigen Landesregierungen haben auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts die in ihren Ländern ergangenen Regelungen über den Sexualkundeunterricht mitgeteilt. Alle Bundesländer - mit Ausnahme von Baden-Württemberg - haben auf der Grundlage der durch Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 3. Oktober 1968 gegebenen Empfehlungen eigene Richtlinien zum Sexualkundeunterricht erlassen und mit deren Anwendung begonnen. In Baden-Württemberg hat sich das Kultusministerium zunächst darauf beschränkt, in einer Bekanntmachung vom 20. Januar 1969 (Kultus und Unterricht, Amtsblatt des Kultusministeriums Baden-Württemberg, S. 137) die KMK-Empfehlungen zu veröffentlichen mit dem Hinweis, daß die Schulen anhand dieser Empfehlungen auf freiwilliger Grundlage Sexualunterricht durchführen könnten. Endgültige Richtlinien für die Sexualerziehung an den Schulen des Landes Baden-Württemberg sind bisher nicht ergangen. In keinem Bundesland wird fachspezifischer, sondern überall fächerübergreifender Sexualkundeunterricht erteilt, wie dies in den KMK- Richtlinien empfohlen wird.
Soweit die Landesregierungen zum Vorlagebeschluß des Bundesverwaltungsgerichts Stellung genommen haben, wird überwiegend der Rechtsauffassung entgegengetreten, daß der Gesetzgeber die Erziehungs- und Bildungsziele der Schule im einzelnen festlegen müsse.
c) Die Kläger des Ausgangsverfahrens haben auf ihre dort abgegebenen Stellungnahmen verwiesen. Ergänzend haben sie ausgeführt: Wenn der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg meine, die Unterrichtung und Erziehung der Schüler seien staatliche Leistungen, die zugunsten dieser jungen Menschen erbracht würden und deshalb dem Gesetzesvorbehalt nicht unterlägen, so sei dies unzutreffend. Das ergebe sich bereits daraus, daß eine Schulpflicht bestehe. Nach richtiger Ansicht sei das Schulverhältnis sowohl aus Elementen der Leistungsverwaltung als auch der Eingriffsverwaltung zusammengesetzt. Bei der in Hamburg praktizierten Sexualerziehung seien wiederholt in eklatanter Weise Rechte der Eltern und Schüler verletzt worden. Im übrigen sei die Frage aufzuwerfen, ob Freiwilligkeit bei der schulischen Sexualerziehung nicht im Grunde die liberalste Lösung wäre, die unserem Staate am besten anstünde, wenn überhaupt eine schulische Sexualerziehung in der in Hamburg praktizierten Form stattfinden solle. Durch die Einschaltung der Deputationen sei dem Demokratieprinzip nicht hinreichend Rechnung getragen worden. Alleiniger Gesetzgeber sei im demokratischen Staat das Parlament. Im übrigen seien die Deputationen nicht unmittelbar gewählt und könnten nur Empfehlungen geben.
4. Das hamburgische Schulgesetz vom 9. Dezember 1966 ist durch das "Schulgesetz der Freien und Hansestadt Hamburg vom 17. Oktober 1977" (GVBl. I. S. 297) aufgehoben worden und am 25. Oktober 1977 außer Kraft getreten. Das neue Gesetz trifft in § 2 eine ausdrückliche Regelung über den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule und in § 5 über die Sexualerziehung. Diese Vorschrift lautet:
    § 5 Sexualerziehung
    (1) Die Sexualerziehung gehört zu den Aufgaben der Schule.
    (2) Durch die Sexualerziehung werden die Schüler mit den Fragen der Sexualität altersgemäß vertraut gemacht. Die Sexualerziehung muß für die vielfältigen unterschiedlichen Wertvorstellungen auf diesem Gebiet offen sein. Sie darf zu keiner einseitigen Beeinflussung führen.
    (3) Die Sexualerziehung wird im Unterricht mehrerer Fächer (fächerübergreifend) durchgeführt.
    (4) Die Erziehungsberechtigten sind über Ziel, Inhalt und Form der Sexualerziehung rechtzeitig zu unterrichten.
    (5) Das Nähere über Inhalt und Umfang des Unterrichts sowie seine Zuordnung zu den einzelnen Klassenstufen und Fächern regelt die zuständige Behörde.
§ 46 dieses Gesetzes hat auch dem § 2 Abs. 1 SchVG eine neue Fassung gegeben.
II.
1. Die Beschwerdeführer zu 1) und 2) in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 147/75 sind die Eltern der minderjährigen Beschwerdeführerin zu 3), die am 27. August 1974 als damals Zehnjährige in das Gymnasium Weinheim aufgenommen wurde. Die Eltern stellten bei der Durchsicht der Schulbücher ihrer Tochter fest, daß das für die Klasse 5 bestimmte Biologiebuch "Das Tier", Band 1 (2. Aufl. 1973, Ernst Klett Verlag, Stuttgart) unter Nr. 32 a (Fortpflanzung bei Säugetieren) als Bild Nr. 32 a, 2 das Foto eines eine Stute bespringenden Hengstes und unter Nr. 8 b (Das Kind) beim Kapitel "Begattung und Befruchtung" eine Beschreibung des Zeugungsvorgangs mit folgendem Text enthielt:
    Begattung und Befruchtung. Wie kommt es zur Entwicklung eines Kindes. Wie wir wissen, müssen sich zwei Keimzellen miteinander vereinen, eine weibliche Eizelle und eine männliche Spermazelle. Dies kann bei der körperlichen Vereinigung von Mann und Frau geschehen. Dabei führt der Mann das versteifte Glied in die Scheide der Frau ein, wobei die Spermien abgegeben werden. Die Übergabe der Spermien nennt man Begattung. Die Spermien wandern durch die Bewegung ihres Schwanzfadens über die Gebärmutter in die Eileiter. Treffen sie mit einem reifen Ei zusammen, dann dringt eine Spermazelle mit Kopf und Mittelstück in die Eizelle ein und verschmilzt mit ihr. Dabei vereinigen sich die beiden Kerne, welche die Erbanlagen von Vater oder Mutter enthalten. Diesen Vorgang nennt man Befruchtung.
Die Beschwerdeführer zu 1) und 2) beantragten daraufhin bei der Schulleitung des Gymnasiums, ihre Tochter von dem im Rahmen des Biologieunterrichts erteilten Sexualkundeunterricht freizustellen. Dies lehnte das Gymnasium ab. Dagegen wandten sich die Eltern an das Verwaltungsgericht mit dem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, die dem Land Baden-Württemberg bis zum rechtskräftigen Abschluß des Hauptverfahrens einstweilen untersage, in der Klasse 5 L 3 des Gymnasiums Weinheim Sexualkundeunterricht zu erteilen und hierfür das Biologiebuch "Das Tier", Band 1, zu verwenden. Zur Begründung führten sie aus, der Sexualkundeunterricht stehe im Widerspruch zum Erlaß des Kultusministeriums vom 20. Januar 1969, wonach der Sexualkundeunterricht freiwillig sei, entbehre im übrigen einer gesetzlichen Grundlage und verletze darüber hinaus das durch Art. 6 Abs. 2 GG garantierte elterliche Erziehungsrecht sowie die durch Art. 1 und 2 GG geschützte Intimsphäre von Eltern und Kindern und die Menschenwürde der Eltern. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag ab.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wies die hiergegen eingelegte Beschwerde zurück, weil die Beschwerdeführer einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hätten. Er führte in der Begründung aus, das Fehlen einer gesetzlichen Regelung könne jedenfalls für eine angemessene Übergangszeit in dem Bereich einer schulischen Sexualerziehung hingenommen werden, der sich - wie hier - ausschließlich mit der Vermittlung grundlegender biologischer Sachinformationen über die Fortpflanzung des Menschen, losgelöst von jedem sozialethischen Bezug, befasse und damit unmittelbar durch den in Art. 7 Abs. 1 GG vorausgesetzten staatlichen Bildungsauftrag gedeckt sei. Die Antragsteller könnten sich zur Glaubhaftmachung ihres Anspruchs daher auch nicht auf ihr elterliches Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie auf den Schutz der Intimsphäre von Eltern und Kindern (Art. 2 Abs. 1 GG) und auf die Wahrung der Menschenwürde der Eltern (Art. 1 GG) mit Erfolg berufen. Der Kultusminister habe mit Erlaß vom 22. Januar 1975 klargestellt, daß der Biologieunterricht insoweit nicht freiwillig sei.
2. Die Beschwerdeführer haben gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der damit verbundene Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen worden (BVerfGE 40, 7).
Zur Begründung führen die Beschwerdeführer aus, die Sexualaufklärung durch die Schule stelle einen durch Art. 7 Abs. 1 GG nicht gedeckten Eingriff in ihr elterliches Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG), in ihre familiäre Intimsphäre (Art. 2 Abs. 1 GG) und ihre Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Der Sexualkundeunterricht in den unteren Gymnasialklassen und für Kinder im Alter der Beschwerdeführerin zu 3) führe zu irreparablen Entwicklungsschäden der Kinder, insbesondere zu einer verfrühten Sexualisierung und zu einer dadurch bedingten vorzeitigen Lockerung der Familienbande.
Durch die Übernahme der Sexualerziehung greife der Staat in unzulässiger Weise in die natürlichen Erziehungsrechte der Eltern ein. Der Staat müsse trotz seines Aufsichtsrechts aus Art. 7 Abs. 1 GG die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder achten und für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen so offen sein, wie sich dies mit einem geordneten staatlichen Schulsystem vertrage. Die augenblickliche Regelung verstoße insofern formell und materiell gegen Art. 2 Abs. 1 GG, als ein derartiger Eingriff in die Intimsphäre der Familie, wie sie die Sexualerziehung darstelle, nicht mehr den Freiheitsraum lasse, der dem Bürger nach der Verfassung garantiert werde.
Die sexuelle Aufklärung des Kindes gegen den Willen der Familie vor Eintritt oder ohne Rücksicht auf dessen Reife verletze die Menschenwürde des Kindes wegen der mit einer vorzeitigen Sexualisierung verbundenen Schäden. Daneben verstoße die obligatorische Schulaufklärung auch gegen die Würde der Eltern, da nur diese allein befugt seien, Zeitpunkt und Art der Aufklärung zu bestimmen. Aus diesen Gründen dürften die Länder allenfalls einen fakultativen Sexualkundeunterricht anbieten. Eine zulässige Freistellung sei jedoch dann nicht möglich, wenn es sich um einen fächerübergreifenden Sexualkundeunterricht wie in Weinheim handele.
Schließlich liege auch ein Verstoß gegen Art. 4 GG vor; denn die Sexualerziehung der Schule stelle zugleich einen Eingriff in das Recht auf Gewissensfreiheit dar. Die ethische Einstellung der unterrichtenden Lehrer decke sich nämlich keineswegs immer mit der Einstellung der Kinder und ihrer Eltern, weshalb die erzwungene Teilnahme eines Kindes am Sexualkundeunterricht der Schule immer dann gegen die Gewissensfreiheit verstoße, wenn z. B. der bei dem einzelnen Kind und seinen Eltern bestehenden Haltung zur Keuschheit in einem erzwungenen Sexualkundeunterricht nicht entsprechend Rechnung getragen werde.
3. Das Kultusministerium Baden-Württemberg ist der Ansicht, daß der von der Beschwerdeführerin zu 3) besuchte Unterricht über sexualkundliche Themen keine Überschreitung der Befugnisse der Schule bedeute und deshalb der Erziehungsauftrag der Schule nicht mit dem Erziehungsrecht der Eltern kollidiere. Eine Verletzung der Menschenwürde liege nicht vor. Die gelegentliche Erwähnung sexueller Themen im Rahmen eines ordnungsgemäßen Biologieunterrichts verletze nicht die Intimsphäre des Einzelnen.
 
B.
Die Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts und die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) sind zulässig, die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 2) und 3) hingegen unzulässig.
I.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Vorschriften in der Beschränkung auf die Ermächtigung der zuständigen Behörde zur Einführung der Sexualerziehung hinreichend dargetan.
Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage ergeben sich auch nicht daraus, daß die zu prüfenden Bestimmungen in der vorgelegten Fassung inzwischen außer Kraft getreten oder geändert worden sind und die Sexualerziehung in Hamburg jetzt auf einer speziellen gesetzlichen Grundlage beruht. Das Ausgangsverfahren hat sich damit jedenfalls nicht erledigt.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) ist zulässig.
a) Das vorläufige Rechtsschutzverfahren der einstweiligen Anordnung bildet gegenüber dem Verfahren in der Hauptsache ein selbständiges Verfahren. Mit der letztinstanzlichen Entscheidung ist der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft. Der Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde kann jedenfalls dann zu keiner anderen Beurteilung führen, wenn es einer weiteren tatsächlichen Klärung nicht bedarf, wenn die im vorläufigen und im Hauptsacheverfahren zu entscheidenden Rechtsfragen identisch sind und wenn deshalb nicht damit gerechnet werden kann, daß ein Hauptsacheverfahren die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts entbehrlich machen könnte (BVerfGE 42, 163 [167 f.]). Das ist hier der Fall.
b) Lediglich soweit dieser Beschwerdeführer nach Ablauf der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG noch eine Verletzung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 und des Art. 103 Abs. 1 GG gerügt hat, sind diese Sachrügen wegen Fristversäumnis unzulässig; denn sie stehen in keinem unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit den rechtzeitig vorgebrachten Rügen. Ein derartiger Zusammenhang besteht nur hinsichtlich der nachträglichen Rüge einer Verletzung des Art. 4 GG.
2. Dagegen sind die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen
zu 2) und 3) unzulässig.
a) Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 2) ist durch ihren nicht als Beistand zugelassenen Ehemann eingelegt worden. Prozeßhandlungen eines nicht zum Kreis der in § 22 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG genannten Personen zählenden Bevollmächtigten sind rechtsunwirksam.
b) Die von der Beschwerdeführerin zu 3) eingelegte Verfassungsbeschwerde ist wegen Nichterschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) unzulässig (vgl. BVerfGE 16, 124 [187]). Im Gegensatz zu ihren Eltern, den Beschwerdeführern zu 1) und 2), hat sie bislang keinen Rechtsschutz bei dem zuständigen Fachgericht gesucht.
 
C. - I.
Sexualerziehung als Erziehungsauftrag der Schule ist seit langem Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.
Zwei Meinungen stehen sich gegenüber:
Die einen vertreten die Auffassung, sexuelle Aufklärung und Erziehung der Kinder gehörten schon der Natur der Sache nach zu dem privaten, der Verfügung des Staates entzogenen Erziehungsbereich der Eltern. Der Staat überschreite mit der Einführung einer Sexualerziehung durch die Schule die Grenzlinie zwischen öffentlicher und privater Erziehung und unterlaufe damit das natürliche Recht der Eltern, die Kinder nach ihren eigenen sexualethischen Wertvorstellungen zu erziehen.
Die anderen weisen darauf hin, daß die Erziehung zu verantwortlichem sexuellem Verhalten einen wichtigen Teil der Gesamterziehung darstelle. Die Schule sei daher aufgrund ihres eigenständigen Bildungs- und Erziehungsauftrages verpflichtet, bei dieser Aufgabe mitzuwirken; dies um so mehr, als viele Eltern ihrer Pflicht zur Sexualerziehung ihrer Kinder nicht ausreichend nachkämen und diese Verpflichtung oft sogar an die Schule abzutreten wünschten.
Hinzu kommt, daß über Notwendigkeit und Sinn, Möglichkeiten und Grenzen, Aufgaben und Ziele einer schulischen Sexualerziehung in Wissenschaft und Praxis vielfache Meinungsverschiedenheiten bestanden und auch heute noch bestehen (vgl. hierzu Gamm/Koch [Herausgeber], Bilanz der Sexualpädagogik, Frankfurt/New York 1977).
Es ist jedoch nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die im Zusammenhang mit der Sexualerziehung in der Schule aufgeworfenen zahlreichen Zweifelsfragen sowohl pädagogisch-didaktischer, psychologischer, medizinischer, gesellschaftspolitischer als auch ethischer und moralischer Natur zu klären; das Gericht hat sich vielmehr auf die Beantwortung der im Rahmen dieses Verfahrens aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen zu beschränken.
1. Für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist zunächst die folgende rechtstatsächliche Unterscheidung hinsichtlich des dargebotenen Unterrichtsstoffes von Bedeutung:
Die Sexualsoziologie hat sich mit den wechselseitigen Zusammenhängen von Geschlechtlichkeit, menschlichen Verhaltensformen, Gesellschaftsstruktur und Moral befaßt (vgl. H. Schelsky, Soziologie der Sexualität, 21. Aufl., Hamburg 1977). Dabei ist auf die untrennbare Durchdringung von Biologischem und Kulturellem in der menschlichen Sexualität hingewiesen worden. Die Kenntnis der menschlichen Sexualität kann als Voraussetzung für ein verantwortungsbewußtes Verhalten sich selbst, dem Partner, der Familie und der Gesellschaft gegenüber angesehen werden. Grundlage jeder vernünftigen Sexualerziehung ist daher zunächst die Wissensvermittlung.
a) Es geht hierbei um reine Information über Tatsachen, vor allem biologischer, aber auch sozialer und anderer Art aus dem Bereich der menschlichen Sexualität. Nach den KMK-Empfehlungen sollen in der Schule "Schülerinnen und Schüler zu den Fragen der menschlichen Sexualität ein sachlich begründetes Wissen erlangen. Dieses Wissen soll es ihnen ermöglichen, auf diesem Gebiet Zusammenhänge zu verstehen, sich angemessen sprachlich auszudrücken und sich ein Urteil - auch über schwierige und ungewöhnliche Erscheinungen - zu bilden". Im Abschnitt "Unterrichtsziele" der KMK-Empfehlungen werden die wichtigsten derartigen Themen genannt, die im Unterricht behandelt werden sollen. Sie beginnen mit der Zeugung, Schwangerschaft und Geburt beim Menschen und reichen bis zu den strafrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend gegen Sexualverbrechen. Es geht hauptsächlich um Sachverhalte, die in engem Zusammenhang mit dem jeweils dargebotenen Unterrichtsstoff stehen; z. B. unterrichtet der Biologielehrer die Schüler im Anschluß an die Säugetiere über den Menschen. Das Schwergewicht liegt hierbei auf der Einbeziehung biologischer und anderer Fakten aus dem sexuellen Bereich in den jeweiligen Unterrichtsstoff. Wird dies ohne Wertungen dargestellt, so handelt es sich um etwas Selbstverständliches und Normales. Diese nüchterne Wissensvermittlung ist geeignet zu verhindern, daß das Informationsbedürfnis des Kindes in unkontrollierbare Bahnen gelenkt und auf unsachliche Weise befriedigt wird. Sie dient auch dem Zweck, das Kind vor sexuellen Gefahren zu bewahren (Kindesverführer, Exhibitionisten, Geschlechtskrankheiten usw.).
b) Auf der Kenntnis der Tatsachen und Vorgänge im Sexualbereich baut die eigentliche Sexualerziehung auf. Dazu heißt es in den KMK-Empfehlungen: "Die Sexualerziehung in der Schule soll dazu beitragen, daß die jungen Menschen ihre Aufgaben als Mann und Frau erkennen, ihr Wertempfinden und Gewissen entwickeln und die Notwendigkeit der sittlichen Entscheidung einsehen". Deshalb soll in den oberen Schulklassen eine sog. "menschlich-hilfreiche Besprechung", welche die "ethischen, sozialen, psychologischen, hygienischen und ökonomischen Probleme der Partnerschaft und Ehe behandelt", durchgeführt werden.
Diese und ähnliche Zielsetzungen haben in den Richtlinien und Erlassen der Bundesländer zur Sexualerziehung ihren Ausdruck gefunden. Es wird auf die oben (A I 2 b) wiedergegebenen Hamburger Richtlinien verwiesen. Die Sexualerziehung soll sittliche Entscheidungen und sittlich bestimmte Verhaltensweisen im Bereich der Geschlechtlichkeit ermöglichen. Ihr Endziel soll - ebenso wie das der Gesamterziehung - der freie, seiner Verantwortung bewußte mündige Mensch sein, der die notwendige Urteilskraft für Entscheidungen in diesem Bereich besitzt, sich zugleich aber auch seiner Bindung in bezug auf den Partner bewußt wird. Aus diesem Grund soll die Sexualerziehung auch das Verständnis für die menschliche und soziale Partnerschaft, vor allem in Ehe und Familie, entwickeln und das Verantwortungsbewußtsein stärken.
Als weiteres Ziel der Sexualerziehung wird genannt, dem jungen Menschen klar zu machen, daß seine Selbstverwirklichung eine bewußte Lebensführung unter Einbeziehung der sexuellen Triebkräfte und deren Einordnung in das Ganze des individuellen und gesellschaftlichen Lebens erfordert. Es wird eine Lebensführung angestrebt, die die Geschlechtlichkeit als einen Bestandteil des menschlichen Daseins anerkennt und bejaht, ohne Schwierigkeiten und Konflikte zu verharmlosen. Eine sinnvolle Sexualerziehung soll schließlich nicht allein Unkenntnis und Unwissenheit abbauen, sondern auch den Wert einer persönlichen Intimsphäre als eines notwendigen Freiheitsraumes bewußt machen.
c) Die Unterscheidung zwischen der allgemeinen Wissensvermittlung über vornehmlich biologische Fakten aus dem sexuellen Bereich und der eigentlichen Sexualerziehung ist im Schrifttum und in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. Scholzen, RdJB 1974, S. 216 ff.; Stümmer, Grundlagen der Sexualpädagogik in der Schule, in: Sexualerziehung im Unterricht an weiterführenden Schulen, herausgegeben von Robert Burger, Freiburg-Basel-Wien, 1970, S. 195; Brauburger, RdJB 1973, S. 248 ff.; Stober, DÖV 1973, S. 554; Scarbath, Geschlechtserziehung, Heidelberg 1969, S. 83; Kentler, RdJB 1975, S. 301; Jessen, NJW 1973, S. 1340 ff.; siehe auch OVG Berlin, NJW 1973, S. 819 [820]). Es wird dabei davon ausgegangen, daß die Sexualerziehung im eigentlichen Sinne von der Vermittlung bloßer Informationen über diesen Bereich getrennt werden könne. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bezweifelt zwar in seinem Urteil vom 7. Dezember 1976 zum obligatorischen Sexualunterricht in den dänischen öffentlichen Schulen (EuGRZ 1976, S. 478 [486]), daß diese Unterscheidung strikt durchgeführt werden könne. Auch die Wissensvermittlung schließe auf Seiten des Lehrers gewisse Wertungen, die ins Religiöse oder Weltanschauliche übergriffen, nicht aus. Denn es handele sich hier "um ein Gebiet, in dem Urteile über die Sache leicht zu Werturteilen führen". Diese Gefahr mag in der Tat nicht fern liegen. Dennoch wird man davon ausgehen können, daß ein auf Wissensvermittlung beschränkter Unterricht über Fakten aus dem Sexualbereich grundsätzlich durchführbar ist. Problematisch kann allerdings die pädagogisch richtige Darbietung, die Eignung des dargebotenen Materials für den pädagogischen Zweck, gemessen insbesondere am Alter und Reifegrad der Kinder, sein. Gerade in diesem Zusammenhang ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß über die reine Wissensvermittlung hinaus in die Persönlichkeitsbildung des Kindes eingegriffen wird. Dem kann jedoch durch eindeutige Richtlinien mit klarer Stoff- und Themenbegrenzung vorgebeugt werden.
2. Prüfungsmaßstab für die Beantwortung der in diesem Zusammenhang aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind hauptsächlich Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (Erziehungsrecht der Eltern), Art. 7 Abs. 1 GG (Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates) und Art. 2 Abs. 1 GG (Persönlichkeitsrecht des Kindes).
a) Art. 6 Abs. 2 GG bezeichnet Pflege und Erziehung der Kinder als "das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht", über deren Verwirklichung die staatliche Gemeinschaft zu wachen hat. Die Eltern haben "das Recht und die Pflicht, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen frei und, vorbehaltlich des Art. 7 GG, mit Vorrang vor anderen Erziehungsträgern zu gestalten. Die freie Entscheidung der Eltern darüber, wie sie dieser Elternverantwortung gerecht werden wollen, ist durch ein Grundrecht gegen staatliche Eingriffe geschützt, soweit solche Eingriffe nicht durch das Wächteramt der staatlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG gedeckt sind" (BVerfGE 31, 194 [204 f.] im Anschluß an die Entscheidungen BVerfGE 4, 52 [57]; 7, 320 [323]; 24, 119 [138, 143 f.]).
Die KMK-Empfehlungen besagen zur Frage des elterlichen Erziehungsrechts im Sexualbereich lapidar: "Sexualerziehung ist in erster Linie Aufgabe der Eltern". Es sprechen in der Tat gewichtige Gründe dafür, daß die individuelle Sexualerziehung vorwiegend dem elterlichen - häuslichen - Bereich und dem natürlichen Erziehungsrecht der Eltern im Sinne des Art. 6 Abs. 2 GG zuzuordnen ist. Die Unterweisung in sexuellen Fragen kann am natürlichsten in der geschützten und geborgenen Atmosphäre der Familie erfolgen. Die Kinder sammeln in der Regel ihre ersten eigenen sexuellen Erfahrungen im häuslichen Bereich. Daher erscheint es nur natürlich, wenn in diesem Rahmen auch die "Aufklärung" erfolgt und die Eltern die ihnen erforderlich erscheinenden Erziehungsmaßnahmen einleiten. Anläßlich der Geburt eines weiteren Kindes oder beim Aufwachsen mit Geschwistern ergeben sich auf ganz natürliche Weise viele Fragen auf diesem Gebiet. Außerdem wird die Sexualerziehung nachhaltig durch die unterschiedliche Lebensweise und soziale Lebensauffassung der einzelnen Familie geprägt. Das Elternhaus erweist sich so als natürliche "Lernstätte" (vgl. Stober, a.a.O., S. 556 f.).
Es kann ferner nicht verkannt werden, daß sich die sexuelle Entfaltung grundsätzlich in privater vertraulicher Sphäre abspielt. Nach herkömmlicher Auffassung verbietet es das Schamgefühl, die menschliche Sexualität in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Der Staat achtet deshalb auch die Intimsphäre des ehelichen Lebens. Die Beeinträchtigung der Intimsphäre kann gerade beim Kind möglicherweise Befangenheit gegenüber seinen Eltern hervorrufen und familiäre Spannungen erzeugen. Es wird auch die Ansicht vertreten, die Grundeinstellung zur Sexualerziehung könnten nur die Eltern mitgeben, weil sie allein für das körperliche Wohl des Kindes, für seine geistige und charakterliche Erziehung verantwortlich seien. Die Sexualerziehung gehöre eben zu dem Begriff der "Sorge für die Person des Kindes" (vgl. Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, Grundgesetz, Art. 6 Rdn. 24). Schließlich ist auf die enge Verknüpfung zwischen Sexualverhalten und religiöser oder weltanschaulicher Einstellung hinzuweisen. Gelegentlich wird die Religion als der wichtigste soziale Faktor in der Festlegung und Prägung der sexuellen Moral gesehen (vgl. Schelsky, a.a.O., S. 52, 94). Eltern, die eine strenge Sexualethik vertreten, werden größten Wert darauf legen, ihre Kinder in diesem Sinne selbst zu erziehen und werden zu verhindern suchen, daß die Schule den von ihnen gesetzten Erziehungszielen entgegenwirkt.
b) Geht man hiervon aus, so ist zunächst zu fragen, ob der Staat überhaupt und gegebenenfalls in welchem Rahmen Sexualerziehung in der Schule betreiben darf. Die KMK-Empfehlungen bemerken hierzu: "Die Schule ist aufgrund ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages verpflichtet, bei der Sexualerziehung mitzuwirken." Der Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates hat bundesverfassungsrechtlich seine Grundlage in Art. 7 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 34, 165 [181 f.] - hess. Förderstufe). Wie das Bundesverfassungsgericht (a. a. O. [182]) ausgeführt hat, umfaßt die in Art. 7 Abs. 1 GG statuierte Schulaufsicht des Staates jedenfalls die Befugnis zur Planung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Zu diesem staatlichen Gestaltungsbereich gehört nicht nur die organisatorische Gliederung der Schule, sondern auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und der Unterrichtsziele. Der Staat kann daher in der Schule grundsätzlich unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen. Der allgemeine Auftrag der Schule zur Bildung und Erziehung der Kinder ist dem Elternrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Weder dem Elternrecht noch dem Erziehungsauftrag des Staates kommt ein absoluter Vorrang zu. Entgegen einer mitunter im Schrifttum vertretenen Auffassung ist der Lehr- und Erziehungsauftrag der Schule auch nicht darauf beschränkt, nur Wissensstoff zu vermitteln. Dieser Auftrag des Staates, den Art. 7 Abs. 1 GG voraussetzt, hat vielmehr auch zum Inhalt, das einzelne Kind zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranzubilden. Die Aufgaben der Schule liegen daher auch auf erzieherischem Gebiet. Zwar spricht - wie oben dargelegt wurde - vieles dafür, daß der geeignete Platz für die individuelle Sexualerziehung das Elternhaus ist. Auf der anderen Seite muß aber auch berücksichtigt werden, daß die Sexualität vielfache gesellschaftliche Bezüge aufweist. Sexualverhalten ist ein Teil des Allgemeinverhaltens. Daher kann dem Staat nicht verwehrt sein, Sexualerziehung als wichtigen Bestandteil der Gesamterziehung des jungen Menschen zu betrachten. Dazu gehört es auch, die Kinder vor sexuellen Gefahren zu warnen und zu bewahren.
Aus all diesen Gründen sind keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen zu erheben, wenn der Staat Themen der Sexualität des Menschen zum Unterrichtsgegenstand in der Schule macht. Das gilt zunächst, soweit es sich lediglich um die Vermittlung von Tatsachen und Vorgängen handelt, die wertneutral - d. h. losgelöst von jedem sexualethischen Bezug - dargeboten werden. Aber auch die eigentliche Sexualerziehung, wie sie die KMK-Empfehlungen für die höheren Klassen vorsehen, fällt grundsätzlich mit unter die Schulhoheit des Staates; denn auch ihm kann ein pädagogisch legitimer Auftrag zur geschlechtlichen Erziehung der Kinder nicht bestritten werden. Dieser ergibt sich - wie dargelegt - aus seinem allgemeinen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Die Sexualerziehung ist insofern ein Teil der Gesamterziehung, die in den schulischen Bereich fällt. Der Staat ist auch - von Implikationen, die sich aus dem Elternrecht ergeben können, zunächst einmal abgesehen - grundsätzlich befugt, über die pädagogischen Fragen der Lehrmethode und der Unterrichtsgestaltung (z. B. fächerübergreifender oder fachspezifischer Unterricht) zu entscheiden.
Dabei darf nicht außer acht bleiben, daß die schulische Sexualerziehung aus der Natur der Sache heraus anders geartet ist als die elterliche. Darauf weisen die KMK-Empfehlungen ausdrücklich hin. Die Schule hat Möglichkeiten der Unterrichtung, die das Elternhaus in der Regel nicht besitzt. Die Erziehung im Elternhaus wiederum ist persönlicher, individueller und unmittelbarer. Das Vorbild der Eltern und die Form des Familienlebens sind hier von großer Bedeutung. In der Schule kann dem jungen Menschen im allgemeinen eine sachkundigere, wissenschaftlich fundiertere Information und das vielseitigere Gespräch geboten werden. Die Mitwirkung der Schule kann daher wertvolle zusätzliche Hilfen gewähren und so die Sexualerziehung im Elternhaus ergänzen.
c) Auch die Rechte des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG werden durch die Sexualerziehung in der Schule berührt.
Das Grundgesetz hat den Intim- und Sexualbereich des Menschen als Teil seiner Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gestellt. Diese Vorschriften des Grundgesetzes sichern dem Menschen das Recht zu, seine Einstellung zum Geschlechtlichen selbst zu bestimmen. Er kann sein Verhältnis zur Sexualität einrichten und grundsätzlich selbst darüber befinden, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter auf diese Einstellung hinnehmen will. Wenn aber das Verhältnis des Menschen zum Geschlechtlichen unter verfassungsrechtlichem Schutz steht, dann muß dieses aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Recht auch dem einzelnen Jugendlichen zustehen. Seine Intimsphäre kann durch die Art und Weise, in der die Sexualerziehung in der Schule durchgeführt wird, wesentlich berührt werden. Der Jugendliche ist nicht nur Objekt der elterlichen und staatlichen Erziehung. Er ist vielmehr von vornherein und mit zunehmendem Alter in immer stärkerem Maße eine eigene durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeit. Die Erfahrung lehrt, daß gerade Jugendliche durch pädagogisch falsch angelegte Erziehungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Sexualität seelisch verletzt und in ihrer Entwicklung schwer beeinträchtigt werden können.
3. Aus alledem ergibt sich, daß die Sexualerziehung in der Schule in einem ganz besonderen Maße im Spannungsfeld zwischen dem Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG, dem Persönlichkeitsrecht des Kindes nach Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 7 Abs. 1 GG vorausgesetzten Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates steht.
Wie das Bundesverfassungsgericht im Förderstufenurteil ausgeführt hat (vgl. a. a. O. [182 f.]), kann aus Art. 7 Abs. 2 und 5 GG, die den Eltern gewisse Rechte im Hinblick auf die weltanschauliche Erziehung in der Schule sichern, nicht geschlossen werden, daß dieser Artikel des Grundgesetzes als lex specialis allein und abschließend die Reichweite des Elternrechts im Schulwesen regelt. Das Grundgesetz hat innerhalb des Gesamtbereichs Erziehung das individualrechtliche Moment verstärkt und den Eltern, auch soweit sich die Erziehung in der Schule vollzieht, größeren Einfluß eingeräumt, der sich in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu einer grundrechtlich gesicherten Position verdichtet hat. Die gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der einen Persönlichkeit des Kindes zum Ziel hat, läßt sich nicht in einzelne Komponenten zerlegen. Sie ist vielmehr in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen.
Würdigt man die KMK-Empfehlungen und die Hamburger Richtlinien näher, so ergibt sich deutlich, daß der Staat in der Schule nicht etwa nur eine ergänzende oder unterstützende Unterrichtung der Kinder auf dem Gebiete der Sexualität, sondern eine recht umfassende geschlechtliche Erziehung anstrebt. Hierzu ist festzuhalten, daß die Schule sich nicht anmaßen darf, die Kinder in allem und jedem unterrichten zu wollen, weil sie sonst möglicherweise den Gesamterziehungsplan der Eltern unterlaufen würde. Der Staat ist verpflichtet, in der Schule die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder zu achten und für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen soweit offen zu sein, als es sich mit einem geordneten staatlichen Schulsystem verträgt (vgl. a. a. O. [183]).
Bei der rechtlichen Beurteilung der auftretenden Kollisionen, die sich aus dem dargelegten Spannungsverhältnis ergeben, muß davon ausgegangen werden, daß der Sexualerziehung grundsätzlich eine größere Affinität zum elterlichen Bereich als zum schulischen Sektor zukommt.
a) Soweit es sich allerdings nur um die von Wertungen freie Mitteilung von Fakten in dem oben umschriebenen Sinne handelt, geschehen diese Belehrungen im Rahmen des staatlichen Bildungsauftrages; denn es geht hier um bloße Wissensvermittlung, also eine Aufgabe, die typischerweise der Schule zukommt und für die die Schule in der Regel auch besser geeignet ist als das Elternhaus. In diesem Bereich greift demzufolge das staatliche Bestimmungsrecht voll durch; eine Einflußnahme aufgrund des Elternrechts ist grundsätzlich auszuschließen. Jedoch muß auch hier Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht des Kindes genommen werden. Die Belehrungen sollen daher erst erfolgen, nachdem der Lehrer sich gründlich über die psychologische Situation und den Reifegrad der Kinder informiert hat.
b) Bei der eigentlichen Sexualerziehung in der Schule muß ein Ausgleich zwischen dieser und dem Elternhaus stattfinden, wobei jeder Erziehungsträger nach Maßgabe des ihm zugeordneten Rechts Forderungen erheben und Kritik äußern kann, aber auch dem anderen entgegenzukommen hat. Der Sexualkundeunterricht muß daher in größtmöglicher Abstimmung zwischen Eltern und Schule geplant und durchgeführt werden.
Die KMK-Empfehlungen sehen vor, daß den Eltern Gelegenheit gegeben werden soll, ihre Erfahrungen und Fragen in Elternversammlungen zu diskutieren. Die Eltern haben aufgrund des Art. 6 Abs. 2 GG einen Anspruch darauf, rechtzeitig und umfassend über den Inhalt und den methodisch-didaktischen Weg der Sexualerziehung informiert zu werden, damit es ihnen ermöglicht wird, im Sinne ihrer eigenen Auffassungen und Überzeugungen über die Themen, die in der Schule behandelt werden sollen, auf ihre Kinder einzuwirken und so das ihnen nach dem Grundgesetz vorrangig zustehende individuelle Erziehungsrecht zur Geltung zu bringen.
Ein Mitbestimmungsrecht der Eltern bei der Ausgestaltung der schulischen Sexualerziehung aufgrund des Art. 6 Abs. 2 GG ist jedoch zu verneinen. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung: Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG ist ein Individualrecht, das jedem Elternteil einzeln zusteht. Es kann nicht durch Mehrheitsbildung ausgeübt werden. In einer pluralistischen Gesellschaft ist es faktisch unmöglich, daß die Schule allen Elternwünschen Rechnung trägt und sie bei der Aufstellung der Erziehungsziele und des Lehrplans sowie bei der Gestaltung des Unterrichts berücksichtigt. Weder kann die Schule Unterrichtslösungen für jedes einzelne Kind oder beliebig kleine Gruppen von Kindern anbieten, noch brauchen die Eltern auf ihr individuelles Erziehungsrecht zugunsten einer von Elternmehrheiten vertretenen Auffassung zu verzichten. Ein mit allen Eltern einer Klasse auf die Persönlichkeit eines jeden Kindes in der Klasse abgestimmtes Zusammenwirken in der Sexualerziehung ist praktisch kaum vorstellbar, sobald der Bereich der schlichten Wissensvermittlung überschritten wird. Die Eltern können sich daher in diesem Bereich nicht uneingeschränkt auf ihr Recht aus Art. 6 Abs. 2 GG berufen. Sie werden in der Ausübung ihres Grundrechts insoweit durch die kollidierenden Grundrechte andersdenkender Personen begrenzt (vgl. BVerfGE 28, 243 [260 f.]; 41, 29 [50]).
Aufgrund der Vorschriften des Grundgesetzes (Art. 4, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG) können die Eltern allerdings die gebotene Zurückhaltung und Toleranz bei der Durchführung der Sexualerziehung verlangen. Die Schule muß den Versuch einer Indoktrinierung der Schüler mit dem Ziel unterlassen, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen. Sie hat das natürliche Schamgefühl der Kinder zu achten und muß allgemein Rücksicht nehmen auf die religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern, soweit sie sich auf dem Gebiet der Sexualität auswirken. Wenn in einzelnen Fällen diese Grenzen bisweilen überschritten werden, so obliegt es zunächst den zuständigen Schulaufsichtsbehörden, einzugreifen und dafür zu sorgen, daß diese verfassungsrechtlich gebotenen Schranken beachtet werden; außerdem können die Eltern in solchen Fällen die erforderlichen Schritte einleiten.
Angesichts des Vorranges des elterlichen Erziehungsrechts könnte die Erwägung naheliegen, daß Sexualerziehung in der Schule der Zustimmung der Eltern mit der Möglichkeit der Befreiung bedürfe (vgl. Stober, a. a. O., S. 558; Geiger, Konsequenzen für das Schulwesen aus der Struktur unserer Gesellschaft, in: Die Pädagogische Provinz, 1961, S. 641 [663]; Holzapfel, Grundsätze, Bestrebungen und Entwicklungsstand der Sexualerziehung in den Schulen von Nordrhein-Westfalen, in: Mitteilungshefte der Landesarbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, 1970, Heft 50, S. 6 ff.; abweichende Meinung des Richters Verdross zu dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 7. Dezember 1976 [EuGRZ 1976, S. 488 ff.]). Eine entsprechende Frage könnte sich unter dem Gesichtspunkt der Grundrechte der Schüler ergeben. Da der Unterricht über sexuelle Fragen mit der oben beschriebenen, von Verfassungs wegen gebotenen Zurückhaltung und Toleranz zu erteilen ist, kann eine Zustimmung der Eltern oder älterer Schüler verfassungsrechtlich nicht verlangt werden. Eine Befreiungsmöglichkeit würde im übrigen eine fächerübergreifende Sexualerziehung erheblich erschweren, wie sie heute in allen Bundesländern hauptsächlich in den Fächern Biologie, Geschichte, Deutsch, Religion, Kunst usw. vorgesehen ist. Gerade diese Unterrichtsform erscheint am ehesten geeignet, Nachteile zu vermeiden, weil der Unterricht nicht allein auf das Thema der Sexualität konzentriert und nicht nur Sache eines Lehrers ist. Ob die Rechtslage anders zu beurteilen wäre, wenn Sexualerziehung als gesondertes Lehrfach oder besondere Unterrichtseinheit betrieben würde, kann hier offenbleiben. Es ist in erster Linie eine Aufgabe des Gesetzgebers, in einem solchen Fall eine Regelung zu treffen, die dem elterlichen Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und möglichen Gewissenskonflikten gerecht wird.
II.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang in drei Entscheidungen speziell mit dem Vorbehalt des Gesetzes im Schulverhältnis befaßt: BVerfGE 34, 165 (192 f.) - hess. Förderstufe; BVerfGE 41, 251 (259 f.) - Speyer-Kolleg; BVerfGE 45, 400 (417 f.) - Neuordnung der gymnasialen Oberstufe in Hessen. Im Oberstufenbeschluß (a. a. O.) wird zusammenfassend unter Berufung auf die beiden vorgenannten Entscheidungen festgestellt:
    Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip des Grundgesetzes verpflichten den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen selbst zu treffen und nicht der Schulverwaltung zu überlassen (...). Das gilt insbesondere für die der staatlichen Gestaltung offenliegende Rechtssphäre im Bereich der Grundrechtsausübung ...
Diese Rechtsprechung hat sich heute im Schulrecht - trotz einiger Kritik - jedenfalls dem Grundsatze nach durchgesetzt (vgl. u. a. die in der Entscheidung BVerfGE 41, 251 [259] angeführten Gerichtsentscheidungen und neuerdings Oppermann, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages Bd. I, Gutachten, G 48 ff.; Starck, NJW 1976, S. 1375; Kisker, NJW 1977, S. 1313; Pieske, DVBl. 1977, S. 673).
Als entscheidender Fortschritt dieser Rechtsauffassung ist es anzusehen, daß der Vorbehalt des Gesetzes von seiner Bindung an überholte Formeln (Eingriff in Freiheit und Eigentum) gelöst und von seiner demokratisch-rechtsstaatlichen Funktion her auf ein neues Fundament gestellt wird, auf dem aufbauend Umfang und Reichweite dieses Rechtsinstituts neu bestimmt werden können. Die Kritik richtet sich vor allem dagegen, daß die Abgrenzung der dem Gesetzgeber vorbehaltenen Entscheidungen mit dem Begriff "wesentlich" umschrieben wird (vgl. Kisker, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages Bd. II, Sitzungsberichte M 82; Pieske, a. a. O., S. 677). Auf dem 51. Deutschen Juristentag wurde in der Diskussion (vgl. a. a. O., M 108 ff. und M 115) darauf hingewiesen, daß "wesentlich" als zunächst heuristischer Begriff und nicht als Beitrag zur Dogmatisierung zu verstehen sei, als ein Begriff, der im Grunde nur eine Binsenweisheit ausspreche, daß nämlich die wirklich wichtigen Dinge in einem parlamentarisch-demokratischen Staatswesen vor das Parlament gehörten. Bei der Abgrenzung im einzelnen wird man mit großer Behutsamkeit vorgehen und sich die Gefahren einer zu weitgehenden Vergesetzlichung, die gerade für das Schulverhältnis mißliche Folgen haben könnte, vor Augen halten müssen. Ob eine Maßnahme wesentlich ist und damit dem Parlament selbst vorbehalten bleiben muß oder zumindest nur aufgrund einer inhaltlich bestimmten parlamentarischen Ermächtigung ergehen darf, richtet sich zunächst allgemein nach dem Grundgesetz. Hier vermittelt der Schutz der Grundrechte einen wichtigen Gesichtspunkt. Die meisten Grundrechtsartikel sehen ohnehin vor, daß Eingriffe nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zulässig sind. Außerdem entspricht ihre Sicherung durch Einschaltung des Parlaments dem Ansatze nach der überkommenen Vorbehaltslehre, ohne daß allerdings zwischen Eingriffen und Leistungen zu unterscheiden ist. Im grundrechtsrelevanten Bereich bedeutet somit "wesentlich" in der Regel "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte" (vgl. BVerfGE 34, 165 [192] - hess. Förderstufe; 40, 237 [248 f.] - Rechtsschutzverfahren im Strafvollzug; 41, 251 [260 f.] - Speyer-Kolleg).
Auch im Schulverhältnis spielt die Grundrechtsrelevanz eine erhebliche Rolle. Die Grenzen zwischen dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) und dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie den Persönlichkeitsrechten des Kindes (Art. 2 Abs. 1 GG) sind oft flüssig und nur schwer auszumachen. Ihre Markierung ist für die Ausübung dieser Grundrechte vielfach von maßgebender Bedeutung. Sie ist daher Aufgabe des Gesetzgebers.
III.
Prüft man nach diesen Grundsätzen (C I und II) die zur Kontrolle vorgelegten Bestimmungen des hamburgischen Landesrechts, so ergibt sich, daß § 28 SchulG und § 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 SchVG wegen Verstoßes gegen das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes nichtig waren, soweit diese Vorschriften die Entscheidung über die Einführung einer Sexualerziehung nach den Richtlinien für die Sexualerziehung in den Schulen der Freien und Hansestadt Hamburg vom Jahre 1970 der Schulbehörde überließen.
1. Wortlaut und Sinngehalt des § 28 SchulG und § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchVG knüpfen an den Begriff der "Schulaufsicht" in Art. 7 Abs. 1 GG und dessen auf Art. 144 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung zurückgehende Auslegung an. Nach der historischen Auslegung dieses Begriffs ist darunter die Gesamtheit der staatlichen Befugnisse zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens zu verstehen. Schon aus dem Wortlaut des § 28 SchulG, der fast wörtlich in § 2 Abs. 2 Satz 1 SchVG wiederholt wird, ergibt sich, daß der Schulbehörde umfassende Verwaltungsbefugnisse übertragen wurden. Sie sollte im Rahmen der Vorschriften des Schulgesetzes und des Schulverfassungsgesetzes alle Verwaltungshandlungen vornehmen können, die zur Gewährleistung eines funktionsfähigen Schulwesens notwendig sind. Zur Verwaltungstätigkeit im Schulbereich rechnen auch Maßnahmen, die darauf abzielen, Art und Inhalt des zu erteilenden Unterrichts zu bestimmen. Darüber sollte die Schulbehörde nach freiem Ermessen entscheiden können. Es kann davon ausgegangen werden, daß eine solche Auslegung der vorgelegten Bestimmungen dem Willen des hamburgischen Gesetzgebers im Jahre 1966 (Schulgesetz) und auch dem des Gesetzgebers im Jahre 1973 (Schulverfassungsgesetz) entsprochen hat. Dies wird, was den Lehr- und Erziehungsauftrag der Schule betrifft, durch den Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 2 SchVG ausdrücklich bestätigt. Diese Auslegung vertritt das vorlegende Gericht und auch der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg in seiner Stellungnahme. Die Schulbehörde sollte damit befugt sein, alle wesentlichen Entscheidungen über Bildungs- und Erziehungsziele sowie Lerninhalte der schulischen Fächer zu treffen. Dies hatte um so mehr zu gelten, als weder die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg noch die beiden hamburgischen Schulgesetze in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt irgendwelche Bestimmungen über den Erziehungsauftrag und die Bildungsziele der Schule enthielten. Es entsprach im übrigen auch der Tradition im Schulwesen, daß die Unterrichtsziele durch Lehrpläne gesteuert wurden, welche die Kultusministerien ohne besondere gesetzliche Grundlage erließen.
2. Danach wäre die Schulbehörde auch für die Einführung der Sexualerziehung nach den Richtlinien für die Sexualerziehung von 1970 in den hamburgischen Schulen zuständig gewesen. Dies war jedoch mit dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes im Sinne der Ausführungen unter C II dieser Entscheidungsgründe unvereinbar. Diese Prinzipien sind gemäß Art. 28 Abs. 1 GG auch für die verfassungsmäßige Ordnung der Länder verbindlich. Daß die Sexualerziehung gemäß den hamburgischen Richtlinien von 1970 in Verbindung mit den KMK-Empfehlungen in ganz besonderem Maße im Spannungsfeld zwischen dem natürlichen Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG), dem Recht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und dem Schutz seiner Intimsphäre (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie dem in Art. 7 Abs. 1 GG vorausgesetzten Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates steht, ist im Abschnitt C I dargelegt worden. Die Entscheidung über die Frage, ob ein derartiges Erziehungsvorhaben in der Schule durchgeführt werden sollte, betraf in hohem Maße einen grundrechtsrelevanten Bereich und war für die Ausübung der genannten Grundrechte von großem Gewicht. Es handelte sich somit um eine wesentliche Entscheidung, die der Gesetzgeber selbst treffen mußte und die er nicht auf die Schulbehörde delegieren durfte.
3. Dem Vorbehalt des Gesetzes ist auch nicht dadurch Genüge getan, daß bei der Erarbeitung der Richtlinien für die Sexualerziehung in Hamburg die bei der Fachbehörde gebildete Deputation, zu der neben dem Senator auch vom Parlament gewählte Bürger gehören, mitgewirkt und eine Parlamentsdebatte mit zustimmenden Äußerungen der Fraktionen stattgefunden hat. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes grenzt bestimmte Sachbereiche ab, deren Regelung aus Gründen der demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung prinzipiell dem Gesetzgeber obliegt. Weder ist die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg damals als Gesetzgeber tätig geworden noch vermag die Mitwirkung der Deputation den Gesetzgebungsakt zu ersetzen.
4. Es bleibt auch, wie das vorlegende Gericht zutreffend ausgeführt hat, kein Raum für eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung der zu prüfenden Vorschriften, die dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes genügen würde; denn jede verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift in Widerspruch treten würde (vgl. BVerfGE 18, 97 [111]). Das aber wäre hier der Fall.
5. Dies bedeutet allerdings nicht, daß es von Verfassungs wegen geboten wäre, alle Modalitäten der Sexualerziehung, wie sie etwa in den hamburgischen Richtlinien niedergelegt sind, in einem förmlichen Gesetz zu regeln (vgl. BVerfGE 41, 251 [265] - Speyer-Kolleg). Es geht vielmehr in erster Linie darum, den Erziehungsauftrag der Schule durch eine parlamentarische Leitentscheidung mit hinreichender Bestimmtheit zu umschreiben. Bei der gesetzlichen Fixierung verbindlicher Zielbestimmungen und darauf ausgerichteter Anleitungen zur Durchführung des Unterrichts ist Zurückhaltung am Platze. Festlegungen müssen immer daraufhin überprüft werden, ob sie der pädagogischen Freiheit genügend Raum lassen, ob dem Lehrer im Unterricht noch der Spielraum verbleibt, den er braucht, um seiner pädagogischen Verantwortung gerecht werden zu können. Einzelheiten der Lehr- und Lernmethoden können daher grundsätzlich nicht der gesetzlichen Regelung vorbehalten sein, zumal da solche Einzelheiten kaum normierbar sein werden und die Unterrichtsgestaltung für situationsbedingte Anpassungen offen bleiben muß. Mit Recht führte Niehues in seinem Referat auf dem 51. Deutschen Juristentag (a.a.O., Bd. II, Sitzungsberichte M 58 f.) aus, es sei nicht Aufgabe des Parlaments, "Feinlernziele zu bestimmen und die zur Erreichung der Ziele zweckmäßigsten Unterrichtsmethoden festzulegen". Dies ist vielmehr Sache der Schulbehörden und in den letzten Einzelheiten dem Lehrer beim Unterricht in der Schulklasse anheimgegeben. Maßstab hat hierbei die Grundrechtsrelevanz zu sein. Nur was für die Ausübung der Grundrechte in dem dargelegten unvermeidlichen Spannungsverhältnis wesentlich ist, unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes. Dazu werden jedenfalls gehören: die Festlegung der Erziehungsziele in den Grundzügen ("Groblernziele"), die Frage, ob Sexualerziehung als fächerübergreifendes Unterrichtsprinzip oder als besonderes Unterrichtsfach mit etwaigen Wahl- oder Befreiungsmöglichkeiten durchgeführt werden soll, das Gebot der Zurückhaltung und Toleranz sowie der Offenheit für die vielfachen im sexuellen Bereich möglichen Wertungen und das Verbot der Indoktrinierung der Schüler, ferner die Pflicht, die Eltern zu informieren (vgl. oben C I 3 b).
IV.
Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) ist unbegründet.
Geht man von der oben im Abschnitt C I 1 getroffenen rechtstatsächlichen Unterscheidung hinsichtlich des Unterrichtsstoffes aus, so ist der vom Beschwerdeführer beanstandete Unterricht kein Bestandteil der eigentlichen Sexualerziehung. Vielmehr handelt es sich lediglich um die Vermittlung objektiver sexualkundlicher Grundtatsachen im Rahmen der üblichen Unterrichtung im Fach Biologie, die aufgrund des mit Zustimmung des Landeselternbeirats vom Kultusministerium Baden- Württemberg erlassenen vorläufigen Lehrplans vom 18. Juni 1971 (Kultus und Unterricht 1971, S. 1081 [1129 ff.]) durchgeführt wurde. Das hierbei verwendete Biologielehrbuch enthält in den vom Beschwerdeführer beanstandeten Bild- und Textteilen nichts, was über das Maß neutraler Wissensvermittlung hinausginge. Der Unterrichtsstoff ist somit vom staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag, den Art. 7 Abs. 1 GG voraussetzt, in vollem Umfang gedeckt. Der Staat hält sich im Rahmen des ihm erteilten Erziehungsauftrages, wenn die Mitteilung derartiger biologischer Fakten aus dem Sexualbereich des Menschen sich auf den erforderlichen stofflichen Rahmen beschränkt, ideologisch tolerant bleibt und den Eltern Raum zum Ausfüllen des ihnen zustehenden individuellen Erziehungsrechts beläßt. Ein Eingriff in das elterliche Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG könnte bei der Durchführung dieses Unterrichts nur dann in Betracht kommen, wenn damit eine Indoktrinierung der Kinder verbunden wäre. Dafür liegen hier aber keinerlei Anhaltspunkte vor. Es geht vielmehr offensichtlich nur um Wissensvermittlung von biologischen Fakten auf dem Gebiet der menschlichen Sexualität in sachlicher, altersgemäßer Art und Weise, ohne daß dabei bestimmte Normen aufgestellt oder Empfehlungen für das sexuelle Verhalten der Kinder gegeben würden. Die Schule handelt im Rahmen ihres einheitlichen Unterrichts- und Bildungsauftrages, wenn sie aus gegebenem Anlaß sexualkundliche Sachinformation ohne weltanschaulichen Hintergrund den Schülern zukommen läßt. Sie greift dadurch nicht in das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht ein. Ebensowenig kann darin ein Verstoß gegen Art. 4 GG liegen. Der Beschwerdeführer hat auch keinen Anspruch auf Befreiung seiner Tochter von diesem Unterricht.
Soweit er die pädagogische Eignung des Unterrichts bezweifelt, braucht darauf nicht weiter eingegangen zu werden, da diese Frage nicht der Prüfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts unterfällt. Äußerste Grenzen, die verfassungsrechtlich relevant sein könnten (vgl. BVerfGE 34, 165 [185] - hess. Förderstufe), sind durch die Gestaltung des Biologieunterrichts in der von dem Beschwerdeführer beanstandeten Form ersichtlich nicht überschritten worden.
Die Bedenken des Beschwerdeführers greifen auch nicht durch, soweit er geltend macht, in Baden-Württemberg fehle es an einer gesetzlichen Regelung für die Sexualerziehung. Wenn - wie im vorliegenden Fall - ausschließlich biologische Sachinformationen über die Fortpflanzung des Menschen usw. im Rahmen des Biologieunterrichts dargeboten werden, handelt es sich - wie bereits dargelegt - nicht um Sexualerziehung, die als neuartiges Unterrichtsprinzip oder Unterrichtsfach einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedürfte.