BVerfGE 49, 244 - Vergleichsmiete II
Zu den Anforderungen an Mieterhöhungsverlangen nach dem Wohnraumkündigungsschutzgesetz vom 25. November 1971 - BGBl. I S. 1839 - (vgl. BVerfGE 37, 132).
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 10. Oktober 1978
-- 1 BvR 180/77 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde ... gegen a) das Urteil des Landgerichts Hannover vom 2. Februar 1977 - 11 S. 312/76 -, b) das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 23. Juni 1976 - 8 C 705/74 -.
Entscheidungsformel:
1. Die Urteile ... werden aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Hannover zurückverwiesen.
2. Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen gerichtliche Urteile, durch die eine Klage auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung in Anwendung des Ersten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes vom 25. November 1971 (BGBl. I S. 1839) als unzulässig abgewiesen worden ist.
I.
1. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer eines Mietshauses in H. . Mit Schreiben ihres Hausverwalters vom 1. Oktober 1974 forderten sie von den Beklagten des Ausgangsverfahrens die Zustimmung zu einer monatlichen Mieterhöhung für ihre Wohnung von 420 DM auf 470 DM ab 1. Januar 1975. Der Betrag entspreche einem Quadratmeterpreis von 5,10 DM. Zur Begründung nannten die Beschwerdeführer die allgemein gestiegenen Preise und Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung des Hauses und führten sechs Wohnungen an, die nach Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage vergleichbar seien. Sie gaben hierzu Anschrift, Geschoß und derzeitige Miete an. Danach wurden für die genannten Wohnungen zwischen 5 DM und 6 DM pro Quadratmeter entrichtet.
Das beklagte Ehepaar stimmte - nachdem der Ehemann einen Teil der Wohnungen besichtigt und über andere Wohnungen Informationen eingeholt hatte - der Mieterhöhung nicht zu. Die Beschwerdeführer ließen daraufhin Klage erheben und boten zum Beweis der Ortsüblichkeit der verlangten höheren Miete zusätzlich ein Sachverständigengutachten an. Dieses wurde vom Amtsgericht Hannover eingeholt. Das Gutachten bestätigte die Angemessenheit der geforderten Miete. Gleichwohl wies das Gericht die Klage als unzulässig ab. Auch die Berufung hatte keinen Erfolg.
Das Landgericht Hannover hat im Berufungsurteil ausgeführt: Das Mieterhöhungsverlangen der Beschwerdeführer habe die als Prozeßvoraussetzung anzusehende Klagefrist des § 3 Abs. 3 nicht in Gang gesetzt, da das Schreiben der Beschwerdeführer nicht die erforderlichen Mindestangaben enthalte. Hierzu müßten die Vergleichsobjekte ausreichend konkretisiert sein, um dem Mieter eine genaue Nachprüfung zu ermöglichen. Erforderlich sei "die Angabe der Straße, der Hausnummer, der Etage sowie der Lage in der Etage bzw die Angabe des Namens des Mieters, des Mietpreises und des qm-Preises oder der qm-Zahl". Darüber hinaus müsse "das Mieterhöhungsschreiben die Behauptung enthalten, daß die Wohnung des Mieters und die Vergleichsobjekte nach Lage, Art, Größe und Ausstattung (Bad, Heizung pp) einander entsprechen". Diesen Anforderungen genüge das Schreiben der Beschwerdeführer nicht, weil "Angaben über die Lage der Wohnungen in der Etage und der Größe der Wohnungen" fehlten. Sie hätten deshalb eine Anspruchsvoraussetzung für die Mieterhöhung nicht erfüllt. Sie könnten sich auch nicht etwa auf Angaben berufen, die während des Prozesses nachgeschoben worden sind. Wenn das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 37, 132 aus der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie herleite, daß dies zulässig sein müsse, so könne dies "nur für den Fall des Nachschiebens von Angaben bis zum Ablauf der Klagefrist gelten". Anderenfalls wäre unverständlich, daß das Gesetz gewissermaßen "eine Art Vorschaltverfahren" eingerichtet habe.
Die Klagefrist sei auch nicht dadurch in Lauf gesetzt worden, daß der Beklagte des Ausgangsverfahrens einen Teil der Wohnungen besichtigt habe. Die Kammer könne nicht der Auffassung der 16. Kammer des Landgerichts Hannover folgen (Urteil vom 8. September 1976 - 16 S. 159/76 -), daß ein Mieter sich dann nicht auf die fehlende Angabe der Größe der Vergleichsobjekte berufen könne, wenn er die Wohnung vor Klageerhebung besichtigt habe.
Auch das vom Amtsgericht eingeholte Gutachten sei keine ausreichende Grundlage, da dieses nicht habe eingeholt werden dürfen. Es sei grundsätzlich unzulässig, im Prozeß über die Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete die erforderlichen Tatsachen durch einen vom Gericht beauftragten Sachverständigen ermitteln zu lassen, wenn die "dafür vorauszusetzenden Beweisanzeigen im Erhöhungsschreiben" fehlten. Die Daten des gerichtlich eingeholten Gutachtens könnten auch dann nicht verwendet werden, wenn das Amtsgericht seinerzeit fälschlicherweise die Zulässigkeitsvoraussetzungen als gegeben angesehen habe.
2. Die Beschwerdeführer rügen die Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG durch die angefochtenen Entscheidungen. Sie verstießen gegen die vom Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 37, 132 dargelegten Grundsätze.
Die von den Gerichten an die Zulässigkeit der Mieterhöhungserklärung gestellten Anforderungen gingen über diejenigen des Gesetzes hinaus. Es könne nicht Aufgabe des Vermieters sein, Wohnungen zu benennen, die in allen Punkten genau der entsprächen, deren Miete erhöht werden solle; es könne sich immer nur um Näherungswerte handeln. Jedenfalls müßten spätere ergänzende Angaben oder die Einholung eines Gutachtens möglich sein.
II.
Der Bundesminister der Justiz und der Niedersächsische Minister der Justiz haben von einer Stellungnahme abgesehen.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
I.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 23. April 1974 (BVerfGE 37, 132) ausgesprochen, daß die "Vergleichsmiete" nach § 3 Abs. 1 des Ersten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes mit der Verfassung in Einklang steht.
Auch die das materielle Recht ergänzenden Verfahrensvorschriften des § 3 Abs. 2 und 3 hat es für verfassungsmäßig erachtet. Hierbei wurde darauf hingewiesen, daß dem Vermieter schon im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Verhältnisse nicht die Darlegung objektiver Umstände angesonnen werden dürfe, von denen er in der Regel keine ausreichende Kenntnis besitze, und daß die aus Art. 13 GG sich ergebenden verfassungsrechtlichen Schranken beachtet werden müßten. Schließlich wurde der unlösbare Zusammenhang von materiellem Grundrecht und Verfahrensrecht betont. Die Sicherung und Verwirklichung der Grundrechte hänge weitgehend von der Verfahrensgestaltung ab. Demgemäß müßten die Verfahrensvorschriften im Blick auf die Grundrechte ausgelegt und angewendet werden. Insbesondere müßten die Gerichte dem aus dem Grundrecht selbst sich ergebenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz Rechnung tragen. Dem widerspreche die verbreitete Praxis, überhöhte Anforderungen an das Erhöhungsschreiben des Vermieters zu stellen und nachträglich Beweismittel nicht zuzulassen.
II.
Die angefochtenen Entscheidungen verletzen das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
1. a) § 3 Abs. 1 enthält eine Regelung des Mietpreises für bestehende Mietverhältnisse.
Der Regelung liegt die gesetzgeberische Erwägung zugrunde, die Mieten auf die ortsüblichen Entgelte für vergleichbare Wohnungen zu begrenzen. Es sollen das Ansteigen des Mietzinses verhindert und für vergleichbare Wohnungen in derselben Gemeinde möglichst gleichhohe Mieten erreicht werden. Um dieses Ziel durchzusetzen, hat der Gesetzgeber die privatautonome Preisgestaltung für bestehende Mietverhältnisse beseitigt, indem er einerseits die sogenannte "Änderungskündigung" ausgeschlossen, andererseits gewissermaßen als "Gegengewicht" eine besondere Form der gesetzlich begrenzten Miete eingeführt hat, nämlich die ortsübliche Miete für vergleichbare Wohnungen. Als materielle Kriterien für die Beurteilung der ortsüblichen Entgelte nennt das Gesetz "Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage" der Wohnungen. Für Wohnungen, die nach diesen Gesichtspunkten vergleichbar sind, sollen gleiche Mieten gezahlt werden.
b) Der Durchsetzung dieses gesetzgeberischen Zieles dienen die Verfahrensregelungen des § 3 Abs. 2 und 3.
Abweichend von älteren Regelungen hat der Gesetzgeber eine einseitige Anhebung der Miete auf die ortsüblichen Entgelte ausgeschlossen und ein formalisiertes Verfahren eingeführt: Der Anspruch auf die nach § 3 Abs. 1 zulässige Miete muß "dem Mieter gegenüber schriftlich unter Angabe der das Erhöhungsverlangen rechtfertigenden Gründe geltend" gemacht werden (§ 3 Abs. 2). Stimmt der Mieter dem Verlangen des Vermieters binnen sechs Wochen nicht zu, so kann der Vermieter innerhalb von weiteren drei Monaten auf Erteilung der Zustimmung klagen (§ 3 Abs. 3).
Beide Vorschriften dienen dem Zweck, die Mietanpassung in einem geordneten Verfahren unter Wahrung der Interessen beider Vertragsparteien durchzuführen. Sie müssen im Blick auf die materiellrechtliche Regelung des § 3 Abs. 1 ausgelegt und angewendet werden.
2. Der Mieter ist kraft Gesetzes zur Zahlung des hiernach maßgeblichen Mietzinses verpflichtet. Der Gesetzgeber hat dem Vermieter allerdings freie Hand gelassen, ob er diesen gesetzlichen Anspruch realisieren oder ganz oder teilweise darauf verzichten will. Wer dem Mieter gegenüber seinen gesetzlichen Anspruch nicht geltend macht, kann nach § 3 Abs. 3 auch nicht Klage auf Erteilung der Zustimmung erheben. Es widerspricht jedoch dem Grundgesetz, eine Sachentscheidung allein deshalb zu verwehren, weil das Erhöhungsschreiben einzelne, von den Gerichten entwickelte Kriterien nicht erfüllt, obwohl der Vermieter nachprüfbare Angaben über Vergleichsobjekte gemacht hat.
Die Pflicht des Vermieters, seinen Anspruch dem Mieter gegenüber schriftlich geltend zu machen, dient dem Ziel, dem Mieter anzuzeigen, daß der Vermieter von seinem gesetzlichen Recht Gebrauch macht. Die Notwendigkeit, das Erhöhungsverlangen zu rechtfertigen, sowie die Überlegungsfrist von sechs Wochen sollen dem Mieter die Möglichkeit der Information und Nachprüfung geben; er soll sich über das Verlangen schlüssig werden.
Wenn § 3 Abs. 2 die Angabe der das Erhöhungsverlangen rechtfertigenden Gründe fordert, besagt dies nicht, daß die Begründung einen tatbestandlich genau umschriebenen Inhalt haben müsse. Der Vorschrift läßt sich nicht entnehmen, daß der Vermieter die in § 3 Abs. 1 generell normierten Merkmale, die für die Vergleichsmiete maßgeblich sind, im einzelnen genau belegen müsse. Insbesondere gibt die Regelung keinen Anhalt für die Auffassung, daß das Aufforderungsschreiben rechtsunwirksam sei, wenn es den Anforderungen nicht entspricht, die die Gerichte - im übrigen in sehr unterschiedlicher Weise mit der Folge einer beachtlichen Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung - verlangen.
Der Senat hat in seiner Entscheidung darauf hingewiesen, daß die Handhabung der gesetzlichen Regelung für alle Beteiligten nicht geringe Schwierigkeiten bereite, die aber nicht einseitig zu Lasten des Vermieters gehen dürften. Eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung steht mit der verfassungsrechtlichen Vorstellung eines sozialgebundenen Privateigentums nicht in Einklang (BVerfGE 37, 132 [141]). Sicherlich soll der Vermieter sein Begehren verständlich machen. Der Mieter kann auch hinreichend präzise Angaben über die Vergleichsobjekte erwarten, um auf Grund entsprechender Erkundigungen die Berechtigung der Mieterhöhung zu prüfen und seine Entscheidung zu treffen. Er mag dann im Einzelfall entscheiden, ob er sich näher unterrichten will; allerdings geht der Gesetzgeber wohl nicht zu Unrecht davon aus, daß ein verständiger Vertragspartner es schon im eigenen Kosteninteresse vorzieht, die übermittelten Angaben zunächst nachzuprüfen, ehe er es auf eine Erhöhungsklage ankommen läßt.
Für seine Meinungsbildung wird es aber nicht entscheidend sein, ob - wie das Landgericht bereits für die Zulässigkeit einer späteren Erhöhungsklage voraussetzt - der Vermieter seine Erhöhungsforderung ausdrücklich auch auf die Behauptung stützt, "daß die Wohnung des Mieters und die Vergleichsobjekte nach Lage, Art, Größe und Ausstattung (Bad, Heizung pp) einander entsprechen". Der Mieter wird auch ohne eine solche Erklärung davon ausgehen, daß der Vermieter genau dieses vortragen will. Er wird mehr an der Nachprüfbarkeit der tatsächlichen Angaben interessiert sein. Besitzt er aber Informationen über Namen des Wohnungsinhabers, Adresse, Geschoß und Quadratmeterpreis, die ihm eine eigene Nachprüfung ermöglichen, so ist kein Grund ersichtlich, weshalb geradezu formelhaft sämtliche in § 3 Abs. 1 genannten (und einige von den Gerichten entwickelte zusätzliche) Kriterien erwähnt werden müssen und warum es gerechtfertigt sein könnte, eine spätere Klage - sogar wenn der Mieter sich die Vergleichswohnungen angesehen hat - nur deshalb als unzulässig abzuweisen, weil nicht auch "Lage in der Etage und Größe der Wohnung" im Erhöhungsschreiben angegeben wurden.
Eine derartige formale Handhabung ist auch unter dem Gedanken des im Gesetz bewußt verankerten Mieterschutzes nicht einsichtig. Sie reduziert den sich aus Art. 14 Abs. 1 GG ergebenden Rechtsschutzanspruch in verfassungswidriger Weise. Die angefochtenen Gerichtsentscheidungen können vor dem Grundgesetz keinen Bestand haben.
3. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, eine Mitteilung über die von ihm im Erhöhungsschreiben vermißten Details habe nach Klageerhebung nicht nachgeholt werden können. Da indessen für die Wirksamkeit des Erhöhungsschreibens nicht auf diese zusätzlichen Einzelangaben abgestellt werden durfte, kommt es im vorliegenden Verfahren auf die Frage nach der Möglichkeit einer "Nachbesserung" im Prozeß nicht mehr an (vgl. BVerfGE 37, 132 [149]).
III.
Da die angefochtenen Entscheidungen das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt haben, waren sie gemäß § 95 BVerfGG mit der Kostenfolge des § 34 Abs. 4 BVerfGG aufzuheben.
Dr. Benda, Dr. Haager, Dr. Böhmer, Dr. Simon, Dr. Faller, Dr. Hesse, Dr. Katzenstein, Dr. Niemeyer