BVerfGE 49, 304 - Sachverständigenhaftung |
Eine aus § 823 Abs. 1 BGB folgende Haftung wegen Verletzung des Rechts der persönlichen Freiheit darf durch den Richter nicht dahin eingeschränkt werden, daß ein gerichtlich bestellter Sachverständiger selbst für die Folgen einer grob fahrlässigen Falschbegutachtung nicht einzustehen habe. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 11. Oktober 1978 |
-- 1 BvR 84/74 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Dr. W ... - Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Dr. Dr. Gerda Krüger, Am Laichholz 16, Perchting - gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 1973 - VI ZR 113/71 -. |
Entscheidungsformel: |
Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 1973 -- VI ZR 113/71 -- verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen. |
Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten. |
Gründe: |
A. |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Haftung gerichtlich bestellter Sachverständiger, deren schuldhafte Falschbegutachtung zu einer gerichtlich verfügten Freiheitsentziehung geführt hat.
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I. |
1. Der beschwerdeführende Kläger des Ausgangsverfahrens hatte im Zusammenhang mit seinem Versuch, wegen des Verdachts der Tötung eines Rechtsanwalts ein Ermittlungsverfahren in Gang zu bringen, den Verfolgungsbehörden öffentlich Verschleierung vorgeworfen. Im Zuge eines Strafverfahrens wegen übler Nachrede und anderer Delikte wurde er zur Begutachtung seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die Dauer von sechs Wochen in eine Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie eingewiesen, deren Direktor der Beklagte des Ausgangsverfahrens war. Dieser wurde vom Ermittlungsrichter zum medizinischen Sachverständigen bestellt. In einem umfangreichen schriftlichen Gutachten bejahte er eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers allgemein und bei einigen seiner Handlungen sogar eine völlige Zurechnungsunfähigkeit; er nannte den Beschwerdeführer eine abnorme Persönlichkeit mit querulatorischer Entwicklung und stellte eine "psychopathische progressive Querulanz mit eindeutigem Krankheitswert" fest. In einem späteren kurzen Ergänzungsgutachten nahm er die völlige Zurechnungsunfähigkeit wegen aller dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Handlungen an. Im übrigen bejahte er die Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers und regte die Prüfung der Unterbringung in einer Heilanstalt und seiner Sicherungsverwahrung an. Die Pressestelle der Staatsanwaltschaft veröffentlichte die Ergebnisse der Gutachten mit dem Zusatz, daß der Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer durch einen Unterbringungsbefehl ersetzt worden sei. Vom 16. Oktober 1964 bis zum 22. Januar 1965 befand sich der Beschwerdeführer sodann im Festen Haus einer Krankenanstalt.
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In der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer hörte das Gericht andere Sachverständige. Entsprechend ihrem Gutachten nahm es keine Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit an und verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe; seine Revision wurde verworfen (BGHSt 21, 334).
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2. Im Ausgangsverfahren hat der Beschwerdeführer vom Beklagten Schadensersatz verlangt mit der Begründung, dieser habe das Gutachten schuldhaft unrichtig erstattet und hierdurch sein Persönlichkeitsrecht und seine persönliche Freiheit beeinträchtigt. Als Ausgleich seines immateriellen Schadens -- hilfsweise der ihm im beruflichen Fortkommen zugefügten Nachteile -- forderte er die Zahlung von 10 000 DM. Der Beklagte hat die Unrichtigkeit seines Gutachtens bestritten und erklärt, er stehe noch heute zu seiner Beurteilung des Beschwerdeführers; keinesfalls habe er schuldhaft gehandelt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Berufung und Revision des Beschwerdeführers blieben erfolglos.
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Der Bundesgerichtshof geht in dem angegriffenen Revisionsurteil (BGHZ 62, 54) davon aus, das Berufungsgericht habe zugunsten des Beschwerdeführers unterstellt, daß das Gutachten objektiv unrichtig gewesen sei und daß den Beklagten insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit treffe. Nach der rechtsirrtumsfreien Würdigung des Berufungsgerichts habe der Beklagte hingegen den Schaden weder vorsätzlich herbeigeführt noch in dem Sinne schuldhaft gehandelt, daß er mit einer Rechtsgutverletzung gerechnet und diese billigend in Kauf genommen habe; ein Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB sei daher nicht gegeben. Da der beklagte Sachverständige nicht beeidet worden sei, entfalle nach überwiegender und zutreffender Meinung auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung eines Schutzgesetzes gemäß § 823 Abs. 2 BGB. Als anspruchsbegründende Norm komme daher allein § 823 Abs. 1 BGB in Betracht, wonach zum Schadensersatz verpflichtet ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig ein absolutes Recht eines anderen widerrechtlich verletzt. Auch aufgrund dieser Vorschrift hafte nach der zutreffenden Ansicht anderer Senate des Bundesgerichtshofs (BGHZ 42, 313; 43, 374) der gerichtliche Sachverständige jedenfalls dann nicht, wenn dessen unrichtiges Gutachten lediglich das Vermögen und nicht ein absolutes Recht eines anderen geschädigt habe; unsere Rechtsordnung enthalte keine allgemeine Vorschrift, die den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens bei jeder fahrlässigen Pflichtverletzung des Sachverständigen Schadensersatzansprüche gewähre. Im vorliegenden Fall mache der Beschwerdeführer allerdings eine Beeinträchtigung absoluter Rechte geltend. Demgemäß erörtere das Berufungsgericht, der Beschwerdeführer sei möglicherweise durch das Einreichen und Bekanntwerden der schriftlichen Gutachten in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie in seiner Freiheit dadurch verletzt worden, daß er infolge Vollziehung des nach Einreichen des Gutachtens ergangenen Unterbringungsbefehls mehr als drei Monate vorläufig untergebracht worden sei. Ob insoweit den Ausführungen des angefochtenen Urteils im einzelnen zu folgen sei, könne dahinstehen. Denn auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt reiche ein lediglich fahrlässiges Handeln des gerichtlichen Sachverständigen aus Rechtsgründen selbst dann nicht zur Zubilligung von Ersatzansprüchen aus, wenn grobe Fahrlässigkeit vorgelegen haben sollte.
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Zwar hafte der gerichtliche Sachverständige für fahrlässige Rechtsgutverletzungen, die er bei der Vorbereitung seines Gutachtens -- etwa bei ärztlichen Untersuchungen -- einem Verfahrensbeteiligten unmittelbar zufüge (BGHZ 59, 310). Eine andere Beurteilung sei aber geboten, wenn der Sachverständige fahrlässig seine Pflicht verletze, sein Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten. Die dadurch möglicherweise mitbewirkte mittelbare Beeinträchtigung der in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter sei dem Sachverständigen nicht zuzurechnen. Dies folge -- wie in dem Urteil im einzelnen dargelegt wird (vgl. unten B II 1) -- aus seiner Stellung als unabhängiger Gehilfe des Richters und sei zur Vermeidung des Wiederaufrollens rechtskräftiger Entscheidungen im Interesse der Rechtssicherheit geboten; auch sei zu berücksichtigen, daß der gerichtlich bestellte Sachverständige in Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht handele. Daß aus diesen Gründen eine Haftung selbst dann entfalle, wenn das fahrlässig unrichtige Gutachten zu einer Freiheitsentziehung führe, habe der erkennende Senat bereits in einem früheren Urteil (NJW 1968, S. 787) für einen Fall leichter Fahrlässigkeit entschieden. Dies habe weithin Zustimmung gefunden. Die genannten Gründe behielten aber auch dann ihr Gewicht, wenn der Sachverständige seine Sorgfaltspflichten in einem gesteigerten Maße verletze. Zudem wäre eine unterschiedliche Beurteilung bei leichter und gesteigerter Fahrlässigkeit nicht sachgerecht. Sie mache den gebotenen Schutz des Sachverständigen praktisch weithin wertlos. Die Grenzziehung zwischen diesen Formen des fahrlässigen Verhaltens falle im Einzelfall weithin in den tatrichterlichen Bereich. Die Beurteilung dieser Frage liege wiederum ganz überwiegend in der Hand eines Sachverständigen im Rückgriffsprozeß. Die Überprüfung dieses Gutachtens, das sich der Funktion nach als Obergutachten darstelle, stoße beim Richter meist auf noch größere Schwierigkeiten als die Beurteilung der Richtigkeit (Plausibilität) des ersten Gutachtens. Bei der in vielen Fällen nicht einfachen Abgrenzung dieser beiden Formen der Fahrlässigkeit lasse sich nicht verhindern, daß der Sachverständige mit einem Rechtsstreit aufgrund des Vorwurfs überzogen werde, er habe sich grob fahrlässig verhalten. Auch der Gesichtspunkt der unerwünschten Aufrollung des ersten Verfahrens stelle sich bei diesem Grad des Verschuldens nicht anders dar.
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II. |
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot.
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Die Versagung des Schadensersatzanspruchs sei willkürlich im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG; denn der im Ausgangsverfahren verklagte Sachverständige hafte jedenfalls wegen bedingt vorsätzlicher Schädigung. Er habe entgegen den Feststellungen eines früheren Sachverständigen und den Ergebnissen seiner eigenen Untersuchungen und ungeachtet des Bagatellcharakters der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Handlungen dessen Persönlichkeit völlig negativ bewertet und in seinem Gefälligkeitsgutachten die sachwidrigen Unterstellungen der fachunkundigen Ermittlungsbehörden noch weit überboten.
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Das in der Literatur vielfach kritisierte Urteil sei aber auch dann zu beanstanden, wenn dem Sachverständigen lediglich Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Der Bundesgerichtshof verletze den Gleichheitssatz, das Rechtsstaatsgebot und das durch Art. 14 GG besonders implizierte Verbot der Beseitigung materiell berechtigter Ansprüche, wenn er durch rechtsschöpferische Normsetzung den gerichtlichen Sachverständigen von der Pflicht freistelle, für fahrlässige unerlaubte Handlungen einzustehen. Diese nach dem klaren Gesetzeswortlaut für jedermann geltende Pflicht lasse insbesondere dann keinen Raum für Unterschiede, wenn durch deliktische Handlungen die durch die Verfassung besonders geschützten Freiheitsrechte verletzt würden, in die nur auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden dürfe. Es sei schlechthin grundgesetzwidrig, die deliktische Haftung eines Mitglieds der Rechtsgemeinschaft für ein solches Tun nur deshalb einzuschränken, weil er in besonderer öffentlichrechtlicher Funktion als gerichtlich bestellter Sachverständiger tätig werde; angesichts der schwerwiegenden Folgen falscher Gutachten treffe den Sachverständigen eher im Gegenteil eine erhöhte Verantwortung. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß der Sachverständige in der Rechtsprechung als Gehilfe des Richters angesehen werde; das gesetzlich geregelte Haftungsprivileg des Richters dürfe nicht zum Nachteil des Staatsbürgers ausgedehnt werden.
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Im Laufe des Verfahrens hat der Beschwerdeführer noch ergänzend mitgeteilt, er habe im Hinblick auf Andeutungen am Schluß des angegriffenen Urteils Schadensersatzansprüche gegen das Land Nordrhein-Westfalen geltend gemacht. Sein Antrag sei mit der Begründung zurückgewiesen worden, alle gerichtlichen Maßnahmen zur zwangsweisen Unterbringung des Beschwerdeführers seien berechtigt gewesen.
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2. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung sowie der Beklagte des Ausgangsverfahrens geäußert. Ferner wurden die obersten Gerichte des Bundes gehört.
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a) Der Bundesminister der Justiz hat in seiner Stellungnahme einleitend darauf hingewiesen, er könne mangels genauer Kenntnis des konkreten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen, ob dem Beschwerdeführer ein verfassungsrechtlich unentziehbarer Schadensersatzanspruch zustehe. Allgemein sei in der Grundsatzfrage, unter welchen Voraussetzungen Schadensersatzansprüche wegen unrichtiger Gutachtenerstattung in Betracht kämen, davon auszugehen, daß der Sachverständige keine öffentliche Gewalt für das Gericht ausübe, daß daher keine Staatshaftungsansprüche bestünden, daß aber auch eine unmittelbare Anwendung des Richterprivilegs (§ 839 Abs. 2 BGB) auf den Sachverständigen ausscheide. Seine Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB sei nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die eigentliche Entscheidung in die richterliche Verantwortung falle; es genüge -- davon gehe auch der Bundesgerichtshof zutreffend aus --, daß sein Gutachten mittelbar eine Schädigung bewirke und dafür adäquat kausal sei. Im übrigen seien Voraussetzungen und Umfang der persönlichen Haftung des Sachverständigen in Rechtsprechung und Literatur auch für den Fall der Verletzung eines absoluten Rechts seit langem strittig. Teils wolle man die Haftung des Sachverständigen auf Vorsatz begrenzen, teils werde sie auch bei einfacher Fahrlässigkeit bejaht. Eine vermittelnde Auffassung spreche sich für eine Haftung bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit aus; dieser Linie sei auch die Kommission für das Zivilprozeßrecht mit ihrem Vorschlag für eine gesetzliche Neuregelung gefolgt.
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Die Haftung des Sachverständigen sei keine bloße Frage des einfachen Rechts. Verfassungsrechtlich sei vielmehr davon auszugehen, daß das Grundrecht der persönlichen Freiheit als tragende Grundnorm für alle Bereiche des Rechts gelte und demgemäß auch eine wesentliche Ausstrahlung auf die Gestaltung des einfachen Rechts entfalte, das rechtswidrige Eingriffe nicht nur seitens der staatlichen Gewalt, sondern auch durch Einzelne verhindern und ihnen gegebenenfalls mit rechtlichen Sanktionen begegnen solle. Dieser Einfluß sei auch bei der Auslegung einschlägiger Rechtsnormen zu berücksichtigen und gegebenenfalls im Einzelfall vom Bundesverfassungsgericht zu überprüfen. Fraglich könne sein, wie sich das auf die in § 823 Abs. 1 BGB vorgesehene Verschuldensform auswirke. Das Grundrecht gebiete nachdrücklich nur, daß den schutzwürdigen Rechten des Einzelnen, gegen den aufgrund eines unzutreffenden Gutachtens freiheitsentziehende Maßnahmen angeordnet worden seien, angemessen Rechnung getragen werde; der Richter müsse aber bei seiner Entscheidung über den Schadensersatzanspruch nicht die Besonderheit der Aufgaben eines gerichtlichen Sachverständigen unberücksichtigt lassen. Eine Haftung des Sachverständigen für leichte Fahrlässigkeit werde durch die Ausstrahlungswirkung des Art. 2 GG nicht geboten; sie werde dem höchstpersönlichen Charakter einer Gutachtenerstellung nicht gerecht und könne die innere Unabhängigkeit des Sachverständigen beeinträchtigen, der im Interesse der Wahrheitsfindung eine seiner Aufgabe entsprechende unabhängige Stellung beanspruchen könne. Dagegen sprächen bei einer Abwägung wesentliche Gründe dafür, daß verfassungsrechtlich eine Haftung bei grober Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen werden dürfe. Einer solchen Haftung stünden auch keine Belange der Rechtsfindung und der Rechtssicherheit entgegen. Im vorliegenden Fall sei dieser Gesichtspunkt schon deshalb von geringerem Gewicht, weil einem einstweiligen Unterbringungsbefehl keine Rechtskraft zukomme. Auch im übrigen könne die sicher nicht unbeachtliche Gefahr einer Aufrollung des alten Rechtsstreits durch Regreßprozesse es nicht rechtfertigen, den Sachverständigen generell in allen Fällen nicht vorsätzlichen Handelns freizustellen. Die Schutzbelange des Bürgers gegen grob fahrlässige Verletzung absoluter Freiheitsrechte durch einen Mitbürger erschienen als legitimer Grund, die Rechtssicherheit in einem gewissen begrenzten Umfang zurückzustellen.
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b) Die Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, des Bundesfinanzhofs und des Bundesverwaltungsgerichts haben mitgeteilt, daß sich ihre Gerichte mit der strittigen Problematik bislang nicht befaßt hätten und daß auch keine einschlägigen Verfahren anhängig seien.
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf seine in dem angegriffenen Urteil zitierten Entscheidungen BGHZ 42, 313 und 43, 374 hingewiesen. Der für Amtshaftungsprozesse zuständige III. Zivilsenat hat mitgeteilt, er habe die strittige Rechtsfrage bisher nicht entschieden. Die in dem angegriffenen Urteil zitierte Entscheidung BGHZ 59, 310 betreffe die Haftung eines Sachverständigen, der den Kläger bei einer ärztlichen Untersuchung für das Gutachten geschädigt habe. Der Senat habe in diesem Fall die Haftung bejaht und sei dabei auch kurz auf die Bestrebungen eingegangen, die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen zu beschränken. Er sei dem nicht gefolgt; verletze der Sachverständige bei der Vorbereitung seines Gutachtens Pflichten, wofür er unabhängig vom Gerichtsverfahren jedermann gemäß § 823 Abs. 1 BGB einzustehen habe, bestehe kein Anlaß, nach besonderen Haftungsbegrenzungen zu suchen, die sich nicht in den allgemeinen Rechtsregelungen fänden.
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Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat ebenfalls mitgeteilt, er sei mit der strittigen Problematik bislang nicht befaßt gewesen. Aus der Sicht der Sozialgerichtsbarkeit sei eine erweiterte Haftung des medizinischen Sachverständigen über die vom Bundesgerichtshof hinaus gezogenen Grenzen jedenfalls dann bedenklich, wenn als Haftungsgrund nicht nur die Beeinträchtigung eines Persönlichkeitsrechts, wie die Freiheitsentziehung, sondern auch ein allgemeiner Vermögensschaden geltend gemacht werde. Die Sozialgerichtsbarkeit habe in erheblichem Umfang über Leistungsansprüche zu entscheiden und vielfach anspruchsverneinende Urteile zu erlassen, deren tatsächliche Voraussetzungen einer medizinischen Sachaufklärung bedürften; sie sei daher auf eine große Anzahl geeigneter und aussagebereiter medizinischer Sachverständiger angewiesen. Es sei nicht auszuschließen, daß eine Ausdehnung der Sachverständigenhaftung die Bereitschaft geeigneter Ärzte zur Erstattung frist- und sachgerechter sowie erschöpfender Gutachten mindern werde, ohne daß dem wirksam begegnet werden könnte. Auch werde eine Ausdehnung der Haftung auf fahrlässiges Verhalten dazu führen, daß Anspruchsbewerber, die im Prozeß die ihnen ungünstigen Sachverständigengutachten vergeblich angegriffen hätten und unterlegen seien, nunmehr auf dem Wege über eine Schadensersatzklage gegen den Sachverständigen versuchen würden, zum Erfolg zu kommen.
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c) Der Beklagte des Ausgangsverfahrens hat mitgeteilt, er sei im wohlverstandenen Interesse der Behörden und des Beschwerdeführers nicht zu einer Stellungnahme bereit. Zur Begründung hat er ausgeführt, er halte an seiner Diagnose einer "exzessiven Querulanz" fest, die verständlicherweise dem pathologischen Geltungsstreben und Öffentlichkeitsbedürfnis des Beschwerdeführers widerspreche. Unter dem Vorwurf der Falschbegutachtung sei seit über einem Jahrzehnt in Presse, Rundfunk und Fernsehen eine permanente Hetze gegen seine Person erfolgt; auf Veranlassung des Beschwerdeführers werde er über Private, Behörden und auch durch Institutionen bedroht. Dies bestätige die lehrbuchmäßige Richtigkeit seiner Diagnose.
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Diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer entgegengetreten.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
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I. |
Nach ständiger Rechtsprechung sind rechtskräftige Urteile in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten auf Verfassungsbeschwerde hin nur in begrenztem Umfang nachprüfbar (BVerfGE 18, 85 [92 f.]; 32, 311 [316]; 42, 143 [147 ff.]). Wie die "richtige" Lösung einer solchen Streitigkeit konkret auszusehen hat, ist im Grundgesetz nicht vorgeschrieben. Zudem würde es dem Sinn der Verfassungsbeschwerde und der besonderen Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht werden, wollte es ähnlich wie eine Revisionsinstanz eine unbeschränkte rechtliche Nachprüfung deshalb in Anspruch nehmen, weil eine Entscheidung möglicherweise Grundrechte des unterlegenen Teils berührt. Die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall obliegen vielmehr grundsätzlich den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann erst dann eingreifen, wenn das Urteil des Fachgerichts Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Reichweite eines Grundrechts beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind. Das gleiche gilt, wenn das Fachgericht zu seinem Ergebnis auf einem methodischen Weg gelangt, der den für die Rechtsfindung verfassungsrechtlich bestehenden Rahmen überschreitet (BVerfGE 34, 269 [280]).
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Diese Grenzen der verfassungsgerichtlichen Nachprüfung läßt der Beschwerdeführer außer acht, wenn er bemängelt, die Fachgerichte hätten in seinem Fall -- wie auch im Schrifttum zum Ausdruck komme (vgl. Hellmer, NJW 1974, S. 556; Blomeyer, ZRP 1974, S. 214 [215]; kritisch Hopt, JZ 1974, S. 551) -- zu Unrecht ein bedingt vorsätzliches Handeln des Sachverständigen und die daraus anerkanntermaßen folgende Haftung verneint. Gerade die Beurteilung des Verschuldensgrades im Einzelfall ist allein Sache des dafür zuständigen Fachgerichts. Ebensowenig ist das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der deliktsrechtlichen Streitfrage berufen, ob bei fahrlässiger Falschbegutachtung eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung eines Schutzgesetzes nur dann eingreift, wenn der Sachverständige sein Gutachten unter Eid erstattet oder die Richtigkeit eidesstattlich versichert hat. Zwar mag es nicht unbedingt überzeugend sein, wenn Grund und Umfang der Haftung davon unabhängig sind, ob der Sachverständige beeidet worden ist oder nicht (so u.a. der Bericht der Kommission für das Zivilprozeßrecht, 1977, S. 142). Auch könnte es dem durch das Rechtsstaatsprinzip gebotenen Rechtsschutz der Prozeßbeteiligten zugute kommen, wenn nicht nur die strafrechtliche Regelung, sondern bereits die in den Eidesformeln vorausgesetzte Pflicht zur gewissenhaften Erstattung des Gutachtens als Schutzgesetz beurteilt würde (so Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 1973, S. 439). Der Bundesgerichtshof verletzt jedoch keine Grundrechte des Beschwerdeführers, wenn er mit der überwiegenden Meinung in Auslegung einfachen Rechts die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 2 BGB auf den unbeeideten Sachverständigen verneint und als Anspruchsgrundlage lediglich § 823 Abs. 1 BGB heranzieht. Dessen Anwendung liegt sogar nahe, weil der Beschwerdeführer dem Sachverständigen die Verletzung eines absoluten Rechts vorwirft.
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Zu den den Fachgerichten vorbehaltenen Aufgaben gehört endlich auch die nähere Prüfung, ob die einzelnen Voraussetzungen für die in § 823 Abs. 1 BGB geregelte Haftung wegen Verletzung absoluter Rechte gegeben sind, ob insbesondere das vom Sachverständigen erstattete Gutachten unrichtig war, ob die behauptete Falschbegutachtung für die vom Beschwerdeführer erlittene Freiheitsentziehung adäquat kausal war und ob und in welchem Grad der Sachverständige fahrlässig gehandelt hat. Der Bundesgerichtshof hat diese Anspruchsvoraussetzungen nicht im einzelnen überprüft, sondern hat ihr Vorliegen zugunsten des Beschwerdeführers unterstellt oder jedenfalls nicht ausgeschlossen. Für die verfassungsgerichtliche Nachprüfung des angegriffenen Urteils ist daher davon auszugehen, daß ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB zugunsten des Beschwerdeführers wegen Verletzung seines Rechts auf persönliche Freiheit in Betracht kommt.
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II. |
Der Beschwerdeführer wird in seinem Grundrecht aus Art. 2 GG verletzt, wenn der Bundesgerichtshof ihm diesen Schadensersatzanspruch selbst für den Fall versagt, daß der Sachverständige grob fahrlässig gehandelt haben sollte.
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1. Der Bundesgerichtshof verneint die aus der allgemeinen Deliktsnorm des § 823 Abs. 1 BGB folgende Haftung deshalb, weil der gerichtlich bestellte unbeeidete Sachverständige aus Rechtsgründen nicht für die Folgen einer fahrlässigen Falschbegutachtung einzustehen habe. Dieses Ergebnis wird also nicht mit dem Fehlen der aus dem Gesetz herleitbaren Anspruchsvoraussetzungen begründet und auch nicht durch eine analoge Anwendung des in § 839 Abs. 2 BGB geregelten, für instanzbeendende Entscheidungen vorgesehenen richterlichen Haftungsprivilegs gewonnen. Vielmehr wird es in dem angegriffenen Urteil mit folgenden allgemeinen Erwägungen begründet, die nach Meinung des Bundesgerichtshofs den Haftungsausschluß sowohl bei leichter als auch bei grober Fahrlässigkeit gebieten:
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Die Stellung des Sachverständigen als Gehilfe des Richters bei der Urteilsfindung spreche dagegen, ihm ein so weitgehendes Haftungsrisiko aufzuerlegen. Wenn er auch keine richterliche Funktion ausübe, so könne er doch als Gehilfe mit besonderer Sachkunde wesentlichen Einfluß auf die Entscheidung gewinnen. Um das Funktionieren seiner Tätigkeit in gerichtlichen Verfahren sicherzustellen, sei seine innere Unabhängigkeit von besonderer Bedeutung. Im Interesse der Verfahrensbeteiligten und ebenso der Allgemeinheit am Funktionieren der Rechtspflege könne es nicht zugelassen werden, wenn der Sachverständige -- vielleicht unbewußt -- unter dem Druck und der Drohung eines möglichen Rückgriffs stehe. In diesem Zusammenhang komme es nicht allein darauf an, ob er später von dem Benachteiligten erfolgreich in Anspruch genommen werde. Für ihn könne es sich bereits in erheblichem Maße auswirken, wenn er Gefahr laufe, mit einem -- wenn auch im Ergebnis dann doch erfolglosen -- Rechtsstreit, der in der Öffentlichkeit leicht Aufsehen errege, in verschiedenen Rechtszügen Jahre hindurch überzogen zu werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei es zudem unumgänglich, die Einwendungen abzugrenzen und zu beschränken, die auf Abänderung eines durch gerichtliches Urteil geschaffenen Ergebnisses abzielten. Werde die Haftung des Sachverständigen bereits bei der nicht mit Strafe bedrohten uneidlichen Verletzung seiner Pflichten bejaht, so könne das zu einer großen Zahl von Prozessen führen, mit denen versucht werde, das Ergebnis des gerichtlichen Spruchs des Vorprozesses abzuändern ("Wiederaufrollung des Verfahrens"). Dieser Grund werde zwar meist für solche Fälle erwähnt, daß ein Verfahrensbeteiligter den durch ein rechtskräftiges Urteil erlittenen Schaden gegen den Sachverständigen geltend mache. In Fällen der vorliegenden Art möge diesem Gesichtspunkt weniger Gewicht zukommen. Immerhin sei er auch dann nicht ohne Bedeutung, wenn der schädigende Umstand in einer gerichtlichen Entscheidung (Unterbringungsbefehl) bestehe, die in einem rechtsförmlichen, rechtsstaatlichen und in sich abgeschlossenen Verfahren ergehe. Auch dann bestehe die Gefahr, daß der im Regreßprozeß zum Schadensersatz verurteilte Sachverständige des ersten Verfahrens den Sachverständigen, auf dessen Aussagen schließlich seine Verurteilung im zweiten Rechtsstreit (Rückgriff) mit zurückzuführen sei, mit der Behauptung einer schuldhaft unrichtigen Aussage in Anspruch nehme, es also zu einem weiteren Prozeß komme. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß es sich bei den gutachtlichen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen um Äußerungen in Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht handele. Demgegenüber müßten -- wie das auch sonst anerkannt sei -- privatrechtliche Belange zurücktreten, soweit sie nicht durch die Strafandrohungen für falsche eidliche oder uneidliche Aussagen geschützt seien.
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2. Die auf diese Weise begründete Einschränkung der Sachverständigenhaftung geht über das übliche Maß einer bloßen Gesetzesauslegung hinaus; denn der eindeutige Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB ("wer") ist als solcher nicht auslegungsfähig. Die Haftungsbeschränkung beruht vielmehr auf einer Fortbildung des vom Gesetzgeber normierten Deliktsrechts, wobei diese Fortbildung maßgeblich auf die Auswirkungen einer uneingeschränkten Gesetzesanwendung abstellt. Eine solche richterliche Rechtsfortbildung ist von Verfassungs wegen nicht schon grundsätzlich zu beanstanden. Vielmehr gehört sie -- wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt klargestellt hat (BVerf- GE 34, 269 [286 ff.] m.w.Nachw.; vgl. auch 37, 67 [81]; 38 386 [396]) -- zu den anerkannten Aufgaben und Befugnissen der Gerichte. Es ist aber ebenso anerkannt, daß diese Befugnis nicht unbegrenzt besteht.
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Der vorliegende Fall nötigt nicht zu der näheren Prüfung, welche Grenzen der allgemeine Grundsatz der richterlichen Gesetzesbindung zieht, der seinerseits als Eckpfeiler im Gewaltenteilungssystem sowie als ein im Interesse der Rechtssicherheit notwendiges Gegenstück zur richterlichen Unabhängigkeit bezeichnet und ferner mit der stärkeren demokratischen Legitimation des aus dem politischen Willensbildungsprozeß hervorgegangenen Parlamentsgesetzes begründet wird (vgl. neuerdings Krey, Rechtsfindung contra legem als Verfassungsproblem, JZ 1978, S. 465 ff. m.w.Nachw.). Der Bundesgerichtshof überschreitet die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung jedenfalls dann, wenn er einen Schadensersatzanspruch der vorliegenden Art auch im Falle grober Fahrlässigkeit des Sachverständigen versagt.
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a) In der Begründung der Verfassungsbeschwerde wird die besondere Qualität der deliktsrechtlichen Vorschriften zum Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und anderer absoluter Rechte hervorgehoben: Das Deliktsrecht als gesetzlicher Schutz gegen die Verletzung dieser Rechtsgüter sei Grundlage jedweder Rechtsordnung der Kulturnationen und Bestandteil des Rechtsbewußtseins überhaupt; unterschiedslos -- und diese Unterschiedslosigkeit sei seinem Charakter immanent -- verpflichte es jedermann, stets und überall Eingriffe in geschützte Rechte Dritter zu unterlassen und für die Folgen schuldhafter Eingriffe einzustehen. Ob bereits diese allgemeinen Erwägungen darauf hindeuten, daß die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschritten werden, wenn ein Mitglied der Rechtsgemeinschaft sogar von der Haftung für grob fahrlässige Rechtsverletzung freigestellt wird, kann dahinstehen. Die angegriffene Entscheidung läßt -- das ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung von wesentlicher Bedeutung -- außer acht, daß es sich bei dem strittigen Schadensersatzanspruch nicht um eine beliebige Geldforderung handelt, sondern um eine Entschädigung für die Verletzung des verfassungsrechtlich besonders geschützten Rechtsgutes der persönlichen Freiheit. Die Verbürgung dieses verfassungsrechtlichen Freiheitsrechts durch Art. 2 Abs. 2 GG wird durch das geltende Deliktsrecht konkretisiert, indem es Sanktionen für dessen Beeinträchtigung durch Dritte bereithält. Die Haftungsregelung des § 823 Abs. 1 BGB erweist sich demgemäß -- wie der Bundesminister der Justiz zutreffend hervorgehoben hat -- unter der Herrschaft des Grundgesetzes dem Grundsatz nach als Ausprägung des besonderen Schutzgehaltes dieses Grundrechts. Das gilt auch, soweit diese Vorschrift Schadensersatzansprüche wegen schuldhaft rechtswidriger Freiheitsentziehung auslöst; denn solche Ansprüche sind grundsätzlich ein angemessenes Mittel der Wiedergutmachung im Falle eines derart schwerwiegenden Eingriffs und bewirken darüber hinaus einen präventiven Schutz.
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Es bedarf im vorliegenden Fall keiner näheren Prüfung, in welchem Umfang das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG den Gesetzgeber verpflichtet, die in dieser Verfassungsnorm genannten Rechtsgüter haftungsrechtlich abzusichern (vgl. auch BVerfGE 39, 1 [41 f.]). Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß die Verfassung dem Gesetzgeber für die Ausgestaltung des Haftungsrechts Spielraum läßt, der beispielsweise auch solche Kompromißlösungen einschließt, wie sie bei der gesetzlichen Neuregelung der Sachverständigenhaftung erörtert werden. Für die hier entscheidungserhebliche Frage, wo die Grenzen der Befugnis zur richterlichen Rechtsfortbildung verlaufen, ist wesentlich, daß das geltende Deliktsrecht einen gesetzlichen Anspruch gegen jedermann gewährt, der rechtswidrig und schuldhaft die persönliche Freiheit eines anderen verletzt. Sind die gesetzlich geregelten Voraussetzungen dieses Anspruchs gegeben, darf der Richter diese Regelung nicht in der Weise korrigieren, daß er die in § 823 Abs. 1 BGB statuierte Jedermann- Haftung zugunsten bestimmter Personen auf nur vorsätzliches Handeln einschränkt. Mögen auch die Gründe für eine solche im Gesetz nicht vorgesehene Haftungsbeschränkung bedenkenswert sein, so ist es doch nicht Sache des an Gesetz und Recht gebundenen Richters, im Wege der Rechtsfortbildung Haftungsansprüche zu verkürzen, die das Gesetz in Einklang mit der in Art. 2 Abs. 2 GG verkörperten Grundentscheidung gewährt. Der Richter ist dazu um so weniger berufen, als die dadurch entstehende Haftungslücke nur vom Gesetzgeber -- etwa im Wege der Erweiterung der Staatshaftung -- geschlossen werden könnte.
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b) Die Grenzen einer zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung werden jedenfalls dann überschritten, wenn aus den vom Bundesgerichtshof genannten Gründen sogar die gesetzlich vorgesehene Haftung für grob fahrlässiges Handeln ausgeschlossen wird. Insoweit kann die angegriffene Entscheidung auch nicht mit denjenigen Erwägungen gerechtfertigt werden, die sich zugunsten einer richterlichen Rechtsfortbildung im Wege der Lückenfüllung in der Entscheidung vom 14. Februar 1973 anführen ließen (BVerfGE 34, 269 [289 ff.] -- Soraya):
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Während die Anerkennung eines Geldersatzes für immaterielle Schäden bei schweren Verletzungen des Persönlichkeitsrechts die Rechtsstellung des Geschädigten auf der Grundlage einer richtungweisenden Verfassungsnorm verbessert, wird durch die strittige Haftungsbeschränkung gerade umgekehrt die Rechtsstellung des Geschädigten verschlechtert und damit ein Weg beschritten, der den Intentionen des Grundrechts des Art. 2 Abs. 2 GG eher zuwiderläuft. Der Ausschluß einer Haftung für grobe Fahrlässigkeit entspricht -- wie allerdings erst nach Erlaß des angegriffenen Urteils erkennbar geworden ist -- auch keineswegs den Vorstellungen für eine gesetzliche Neuregelung der Sachverständigenhaftung, die lediglich auf einen Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit abzielen; die Kommission für das Zivilprozeßrecht weist in ihrem 1977 veröffentlichten Bericht (S. 142 f.) ausdrücklich auf die "berechtigte Kritik" an der angegriffenen Entscheidung hin und wertet diese als unbefriedigend (vgl. auch Franzki, Die Reform des Sachverständigenbeweises in Zivilsachen, DRiZ 1976, S. 97 [100 f.]). Während ferner die dem Soraya-Fall zugrunde liegende Rechtsprechung weitgehende Zustimmung der Rechtswissenschaft fand und dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden entsprach, ist die Beschränkung der Sachverständigenhaftung auf Vorsatz nahezu ausnahmslos auf entschiedene Ablehnung gestoßen. Zwar war die Literatur noch weithin der früheren Entscheidung über den Haftungsausschluß für leichte Fahrlässigkeit gefolgt (vgl. die Nachweise in dem angegriffenen Urteil); die Begründung für eine noch weitergehende Haftungsbeschränkung, die den gerichtlichen Prozeß zum "Freigelände für grob fahrlässige Gutachter" erkläre und den Geschädigten weitgehend rechtlos stelle, wird aber nunmehr als dogmatisch unrichtig und rechtspolitisch angreifbar kritisiert (vgl. im einzelnen Hopt, JZ 1974, S. 551; Blomeyer, ZRP 1974, S. 214; Hellmer, NJW 1974, S. 556; H. Arndt, DRiZ 1974, S. 185 und 304; Rasehorn, NJW 1974, S. 1172; Franzki, Der Sachverständige, 1974, S. 133 [139]; Stückmann, Der Sachverständige, 1974, S. 205; Schneider, Jur. Büro 1975, S. 434; Speckmann, MDR 1975, S. 461; Damm, JuS 1976, S. 359; kritisch nunmehr auch Jessnitzer, Der gerichtliche Sachverständige, 6. Aufl., 1976, S. 292 f.; aus früherer Zeit vgl. ferner Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, 1968, S. 282 ff.; Blomeyer, Schadensersatzansprüche des im Prozeß Unterlegenen wegen Fehlverhaltens Dritter, 1972, S. 117 ff.; Bremer, Der Sachverständige, 2. Aufl., 1972, S. 65 ff.; Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 1973, S. 432 ff.; H. Arndt, DRiZ 1973, S. 272).
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Für die weitgehende Einschränkung der Sachverständigenhaftung läßt sich endlich -- anders als im Soraya-Fall -- auch nicht vorbringen, die richterliche Rechtsfortbildung habe "nicht das System der Rechtsordnung verlassen und keinen eigenen rechtspolitischen Willen zur Geltung gebracht, sondern lediglich Grundgedanken der von der Verfassung geprägten Rechtsordnung mit systemimmanenten Mitteln weiterentwickelt" (a.a.O., S. 292). Vielmehr beruht diese Entscheidung ersichtlich auf eigenen rechtspolitischen Erwägungen, kraft deren das deliktsrechtliche System der Jedermann-Haftung durch eine gesetzlich nicht vorgesehene Ausnahme durchbrochen wird. Diese Durchbrechung verbreitert zudem noch die ohnehin wenig überzeugende Diskrepanz in der Haftung des beeideten und des nicht beeideten Sachverständigen; denn während der beeidete Sachverständige anerkanntermaßen gemäß § 823 Abs. 2 BGB sogar für Vermögensschäden und leichte Fahrlässigkeit einzustehen hat, soll die aus § 823 Abs. 1 BGB folgende Haftung des unbeeideten Sachverständigen selbst bei Verletzung verfassungsrechtlich besonders geschützter Rechtsgüter auf Vorsatz beschränkt werden.
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III. |
Während eine Versagung von Schadensersatzansprüchen der in Rede stehenden Art im Falle grober Fahrlässigkeit von der Mehrheit der Richter als Grundrechtsverletzung beurteilt worden ist, läßt sich dies für eine Haftungsbeschränkung im Falle nur leichter Fahrlässigkeit nicht feststellen (§ 15 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG).
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1. Nach Meinung von vier Richtern läge es in der Konsequenz der bisherigen Erwägungen, daß das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 GG auch dann verletzt wird, wenn ihm ein aus der gesetzlichen Regelung des § 823 Abs. 1 BGB herleitbarer Schadensersatzanspruch mit der Begründung versagt wird, der gerichtlich bestellte unbeeidete Sachverständige habe aus Rechtsgründen nicht für Folgen einer leicht fahrlässigen Falschbegutachtung einzustehen. Eine solche Haftungsbeschränkung könne zwar der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der Erwägungen des Bundesgerichtshofs anordnen. Hingegen dürfe der Richter auch insoweit nicht einen bestehenden deliktsrechtlichen Schutz unterlaufen, den das Gesetz in Einklang mit der in Art. 2 Abs. 2 GG verkörperten Grundentscheidung gewähre.
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Zur Bekräftigung dieser Auffassung wurde ferner ausgeführt, ein gesetzlich gegebener, in der Vergangenheit unter der Herrschaft des geltenden Deliktsrechts entstandener Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit gehöre -- ähnlich wie die privatrechtlichen Ansprüche der Contergan- Geschädigten (BVerfGE 42, 263 [292 ff.]) -- in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie. Zwar stehe auch Art. 14 Abs. 1 GG einer gesetzlichen Einschränkung der Sachverständigenhaftung nicht entgegen. Wenn aber der Gesetzgeber kraft des ihm obliegenden Regelungsauftrages (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) und unter Berücksichtigung der Spannungslage zwischen den Belangen des Einzelnen und den Anforderungen der sozialstaatlichen Ordnung eine Regelung getroffen habe, wie sie das geltende Deliktsrecht darstelle, könne es nicht Sache der Gerichte sein, dieses Ergebnis gesetzgeberischer Abwägung mit rechtspolitischen Überlegungen zu korrigieren und dem Geschädigten das vorzuenthalten, was ihm wegen Verletzung seines absoluten Rechts ersatzweise zustehe (vgl. BVerfGE 37, 132 [145 ff.]).
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2. Nach Meinung der vier anderen Richter kommt zur Beantwortung der Frage, ob die strittige Entscheidung die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschreitet, als Prüfungsmaßstab allein Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG in Betracht. Dabei wird teilweise anerkannt, daß eine Haftungsbegrenzung auf Vorsatz über diese Grenzen hinausgehe und sich -- wie ausgeführt -- auch nicht mehr mit den Erwägungen der Soraya-Entscheidung rechtfertigen lasse. Nach übereinstimmender Auffassung dieser Richter gilt dies aber nicht für die Überlegungen, mit denen der Bundesgerichtshof einen Haftungsausschluß im Falle leichter Fahrlässigkeit begründet. Einer solchen Haftungsbeschränkung stehe weder das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG noch erst recht die Eigentumsgarantie entgegen. Sie entspreche den Vorstellungen für eine gesetzliche Neuregelung der Sachverständigenhaftung. Auch in der Literatur sei im Anschluß an die frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 1968, S. 787) weitgehend anerkannt worden, daß gewichtige Gründe dafür sprächen, auf ein leicht fahrlässiges Verhalten des Sachverständigen § 823 Abs. 1 BGB nicht anzuwenden. Wenn der Bundesgerichtshof im Rahmen der ihm obliegenden Auslegung des Deliktsrechts und unter Anwendung moderner, die Folgen einbeziehender Auslegungsmethoden an dieser Beurteilung festhalte, könne dies von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG.
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(gez.) Dr. Benda, Dr. Haager, Dr. Böhmer, Dr. Simon, Dr. Faller, Dr. Hesse, Dr. Katzenstein, Dr. Niemeyer |