BVerfGE 52, 357 - Mutterschutz II |
Mit Art. 6 Abs. 4 GG ist es unvereinbar, den besonderen Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes Arbeitnehmerinnen zu entziehen, die im Zeitpunkt der Kündigung schwanger sind, ihren Arbeitgeber hierüber unverschuldet nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 9 Abs. 1 Satz 1 des Mutterschutzgesetzes unterrichten, dies aber unverzüglich nachholen. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 13. November 1979 |
- 1 BvL 24/77, 19/78 und 38/79 - |
in den Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG - Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse der Arbeitsgerichte Oldenburg vom 7. September 1977 (2 Ca 447/77), Düsseldorf vom 11. Januar 1978 (9 Ca 5398/77) und Hannover vom 9. November 1978 (3 Ca 295/78) -. |
Entscheidungsformel: |
§ 9 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz - MuSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April 1968 (Bundesgesetzbl. I S. 315) ist insoweit mit Artikel 6 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar, als diese Norm den besonderen Kündigungsschutz Arbeitnehmerinnen entzieht, die im Zeitpunkt der Kündigung schwanger sind, ihren Arbeitgeber hierüber unverschuldet nicht innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung unterrichten, dies aber unverzüglich nachholen. |
Gründe |
A. |
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Vorlagen betreffen die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß einer schwangeren Arbeitnehmerin der besondere Kündigungsschutz des § 9 des Mutterschutzgesetzes - MuSchG - auch dann entzogen wird, wenn sie die Anzeigefrist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nur deshalb versäumt, weil sie ihre Schwangerschaft am letzten Tage der Frist unverschuldet selbst noch nicht kennt, die Anzeige an den Arbeitgeber nach Kenntniserlangung aber unverzüglich nachholt.
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I. |
1. § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April 1968 (BGBl I S 315) bestimmt:
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Die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.
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Die Rechtsprechung betrachtet die Zweiwochenfrist als echte Ausschlußfrist, deren Versäumung unwiderruflich den Verlust des besonderen Kündigungsschutzes zur Folge hat, und zwar auch dann, wenn die gekündigte Arbeitnehmerin ihre Schwangerschaft am letzten Tage der Frist - zum Beispiel wegen einer Fehldiagnose des Arztes - selbst noch nicht kannte (BAG, Urteil vom 19. Dezember 1968, AP Nr. 29 zu § 9 MuSchG).
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Den unwiderruflichen Ausschluß des besonderen Kündigungsschutzes bei Versäumung der Zweiwochenfrist hält das Bundesarbeitsgericht deshalb für tragbar, weil es nach seiner Rechtsprechung ausreicht, dem Arbeitgeber innerhalb der Zweiwochenfrist die Möglichkeit einer Schwangerschaft anzuzeigen (BAG, Urteil vom 5. Mai 1961, AP Nr. 23 zu § 9 MuSchG). Der Nachweis der Schwangerschaft müsse demgegenüber erst innerhalb einer angemessenen Frist nach Aufforderung durch den Arbeitgeber, nicht jedoch innerhalb der zweiwöchigen Ausschlußfrist, erbracht werden (BAG, Urteil vom 23. Mai 1969, AP Nr. 30 zu § 9 MuSchG). In seiner Entscheidung vom 6. Juni 1974 (AP Nr. 3 zu § 9 MuSchG 1968) erweiterte das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechung dahin, daß auch bei Nachweis der Schwangerschaft nach Ablauf einer angemessenen Frist der besondere Kündigungsschutz nicht immer verloren gehe.
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Das Bundesarbeitsgericht begründet seine Auffassung, die Frist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG stelle eine echte Ausschlußfrist dar, mit der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift (BAG, Urteil vom 19. Dezember 1968, AP Nr. 29 zu § 9 MuSchG). Sie zeige, daß der Gesetzgeber die sich bei Annahme einer Ausschlußfrist ergebenden Härten im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bewußt in Kauf genommen habe. Das werde noch dadurch verstärkt, daß eine dem § 5 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) entsprechende - die Wiedereinsetzung vorsehende - Vorschrift im Mutterschutzgesetz nicht enthalten sei. Art. 6 Abs. 4 GG schließe das Recht des Gesetzgebers nicht aus, dem Mutterschutz aus Gründen der Rechtssicherheit bestimmte Grenzen zu setzen; das gelte insbesondere für Kündigungen, bei denen ohnehin nach Möglichkeit jede Unklarheit über ihre Gültigkeit im Interesse beider Parteien vermieden werden sollte. Das Schrifttum hält die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ganz überwiegend für zutreffend (vgl. zum Beispiel Bulla/Buchner, MuSchG, 4. Aufl. [1976] Rdnrn. 100 bis 102 zu § 9 m.w.N.).
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2. Ein wirksamer Kündigungsschutz für werdende Mütter wurde in Deutschland erstmals mit dem Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16. Juli 1927 (RGBl. I S. 184) eingeführt. Nach § 4 dieses Gesetzes war die - nicht aus wichtigem Grund ausgesprochene - Kündigung sechs Wochen vor und sechs Wochen nach der Niederkunft unwirksam, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder die Entbindung bekannt war oder die Arbeitnehmerin ihm davon "unverzüglich" nach Empfang der Kündigung Kenntnis gegeben hatte. § 6 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter vom 17. Mai 1942 (RGBl. I S. 321) erweiterte die Schutzfristen auf die Zeit der Schwangerschaft und bis vier Monate nach der Niederkunft; er ließ ebenfalls die "unverzügliche" Mitteilung der Schwangerschaft nach Zugang der Kündigung für deren Unwirksamkeit genügen. In § 9 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes vom 24. Januar 1952 (BGBl. I S. 69) war für die Mitteilung der Schwangerschaft erstmals eine feste Frist von einer Woche nach Zugang der Kündigung bestimmt, ohne daß im Gesetzgebungsverfahren Gründe für diese Änderung genannt worden wären (vgl. Initiativantrag der SPD-Fraktion vom 18. Juli 1950, BTDrucks. I/1182; 1. Wp., 80. Sitzung am 27. Juli 1950, StenBer. S. 2996 D [1. Lesung]; Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik, BTDrucks. I/2876; 1. Wp,. 180. Sitzung am 12. Dezember 1951, StenBer. S. 7518 B [2. und 3. Lesung]; vgl. auch die Darstellung bei Menkens, ArbuR 1968, S. 232 [233]). Bei der Änderung des Mutterschutzgesetzes durch das Gesetz zur Änderung des Mutterschutzgesetzes und der Reichsversicherungsordnung vom 24. August 1965 (BGBl. I S. 912) wurde die Frist, innerhalb derer dem Arbeitgeber nach erfolgter Kündigung die Schwangerschaft mitzuteilen war, von einer auf zwei Wochen verlängert. Im Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit wird zur Begründung dieser Änderung ausgeführt: "Der Ausschuß hat sich überstimmend dafür ausgesprochen, die in Absatz 1 Satz 1 vorgesehene Anzeigefrist von bisher einer Woche auf zwei Wochen zu verlängern. Diese Verlängerung erschien zweckmäßig, da die schwangere Frau unter Umständen genötigt ist, sich rechtzeitig eine ärztliche Bescheinigung zu verschaffen. Es kommt hinzu, daß die Frist von einer Woche in vielen Fällen praktisch dadurch eine Verkürzung erfährt, daß der Sonnabend in vielen Betrieben arbeitsfrei ist" (vgl. zu BTDrucks. IV/3652 S. 5 zu Nr. 10). Eine weitergehende Begründung dafür, warum der Gesetzgeber die nach er früheren Gesetzesfassung "unverzügliche" Mitteilung über die Schwangerschaft an den Arbeitgeber durch eine Mitteilung innerhalb einer bestimmten Frist ersetzt hat, ergibt sich aus diesen Gesetzesmaterialien nicht. In der Folgezeit ist die Fristenregelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nicht mehr geändert worden.
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3. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß vom 25. Januar 1972 (BVerfGE 32, 273) entschieden, es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die schwangere Arbeitnehmerin den Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz in den Fällen, in denen dem Arbeitgeber die Schwangerschaft zur Zeit der Kündigung nicht bekannt war, jedenfalls dann verliert, wenn sie trotz Kenntnis der Schwangerschaft die in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG vorgesehene Mitteilungsfrist schuldhaft versäumt.
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II. |
1. Vorlage des Arbeitsgerichts Oldenburg - 1 BvL 24/77 -
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Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war seit dem 31. März 1971 bei dem beklagten Kaufmann tätig.
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Am 17. Februar 1977 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31. März 1977. Die unter Regel-Tempo-Störungen leidende Klägerin suchte am 4. März 1977 einen Frauenarzt auf, der aber erst beim Besuch am 11. März 1977 eine Schwangerschaft feststellen konnte. Das teilte die Klägerin ihrem Arbeitgeber am 12. März 1977 unter Vorlage eines ärztlichen Attests mit und widersprach zugleich der Kündigung.
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Der beklagte Arbeitgeber bestritt, daß die Klägerin im Zeitpunkt der Kündigung schwanger gewesen sei und berief sich im übrigen auf die Versäumung der Mitteilungsfrist. Das Arbeitsgericht stellte nach Beweisaufnahme fest, die Klägerin sei im Zeitpunkt der Kündigung schwanger gewesen. Es hält § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG insoweit für verfassungswidrig, als die zweiwöchige Ausschlußfrist auch dann eingreife, wenn der schwangeren Arbeitnehmerin die Schwangerschaft am letzten Tag der Frist noch nicht bekannt gewesen sei und sie dem Arbeitgeber die Schwangerschaft nach Kenntniserlangung unverzüglich mitteile. In einem solchen Fall sei die Ausschlußfrist mit Art. 6 Abs. 4 GG und Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Der Gesetzgeber sei seiner Schutzpflicht für schwangere Arbeitnehmerinnen insoweit nicht nachgekommen. Der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts, der Gesetzgeber habe trotz Art. 6 Abs. 4 GG das Recht, dem Mutterschutz aus Gründen der Rechtssicherheit bestimmte Grenzen zu setzen, sei zwar im Prinzip zuzustimmen; diese Grenze sei mit der Zweiwochenfrist jedoch zu eng gezogen. Der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ergebe sich daraus, daß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG Frauen, die später als 14 Tage nach Kündigungszugang von ihrer Schwangerschaft erführen, ohne sachlichen Grund schlechter stelle als andere Frauen.
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2. Vorlage des Arbeitsgerichts Düsseldorf - 1 BvL 19/78 -
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Die Klägerin dieses Ausgangsverfahrens war 1977 seit etwa fünf Jahren bei der beklagten Gesellschaft als Sachbearbeiterin tätig. In der Zeit vom 3. Oktober bis 18. November 1977 war sie krank. Sie erhielt Spritzen, die als Nebenwirkungen Zyklusstörungen verursachten, was der Klägerin bekannt war. Am 8. November 1977 wurde ihr fristgerecht zum 31. Dezember 1977 gekündigt. Die Klägerin suchte am 29. November 1977 einen Frauenarzt auf, weil ihre Zyklusstörungen anhielten. Der Arzt stellte eine Schwangerschaft fest, die zwischen dem 17. und 23. Oktober 1977 eingetreten war. Hiervon unterrichtete die Klägerin ihre Arbeitgeberin am 30. November 1977. Diese berief sich auf die Versäumung der Ausschlußfrist nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.
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Das Arbeitsgericht hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Fristenregelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG auch dann mit Art. 6 Abs. 4 GG vereinbar sei, wenn die Schwangere von der Schwangerschaft unverschuldet keine Kenntnis hatte und die in der genannten Bestimmung vorgesehene Mitteilung unverzüglich nach Kenntnis an den Arbeitgeber ergehe. Die Klägerin treffe kein Verschulden an der Versäumung der Zweiwochenfrist. In derartigen Fällen verstoße die Ausschlußfrist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG gegen Art. 6 Abs. 4 GG.
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3. Vorlage des Arbeitsgerichts Hannover - 1 BvL 38/79 -
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Die Klägerin dieses Ausgangsverfahrens war seit dem 1. April 1977 bei der beklagten Gesellschaft angestellt. Ihr Arbeitsverhältnis wurde von der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 25. April 1978 zum 30. Juni 1978 fristgerecht gekündigt. Am 30. Mai 1978 erfuhr die Klägerin, daß sie schwanger war. Der behandelnde Frauenarzt bescheinigte die Schwangerschaft am 30. Mai 1978 und benannte als rechnerischen Geburtstermin den 23. Januar 1979. Die Klägerin teilte dies sofort ihrer Arbeitgeberin mit und wandte sich vergeblich gegen die ausgesprochene Kündigung. Die Arbeitgeberin berief sich auf die Ausschlußfrist.
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Das Arbeitsgericht hält § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG insoweit für verfassungswidrig, als die Zweiwochenfrist auch dann eingreife, wenn der schwangeren Arbeitnehmerin die Schwangerschaft am letzten Tag der Frist noch nicht bekannt gewesen sei und sie dem Arbeitgeber die Schwangerschaft nach Kenntniserlangung unverzüglich mitteile. Dies sei mit Art. 6 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
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III. |
1. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat namens der Bundesregierung darauf hingewiesen, daß die Ausschlußfrist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in Einzelfällen zu Härten führen könne. Das ließe sich durch Einführung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder durch eine Verlängerung der Ausschlußfrist vermeiden. Hierdurch würden die Interessen des Arbeitgebers an der Klarheit über die Wirksamkeit der Kündigung nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Auch im allgemeinen Kündigungsschutz müsse der Arbeitgeber eine vorübergehende Ungewißheit über die Wirksamkeit der Kündigung in Kauf nehmen. Die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertretene Auslegung des § 9 MuSchG könne eine Ungewißheit über die Wirksamkeit der Kündigung nicht vermeiden, weil die Mitteilung der gekündigten Arbeitnehmerin, sie vermute eine Schwangerschaft, zur Wahrung der Frist und damit zur Wahrung des besonderen Kündigungsschutzes ausreiche.
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2. a) Das Bundesarbeitsgericht hat auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen (vgl. A I 1) und die Vereinbarkeit der zu prüfenden Vorschriften mit Art. 6 Abs. 4 GG bejaht.
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b) Der Dritte Senat des Bundessozialgerichts hat auf seine Rechtsprechung zum Ablauf von Ausschlußfristen zu Lasten öffentlich-rechtlicher Rechtsträger Bezug genommen (BSGE 19, 173; 20, 46; 25, 76). Die genannten Entscheidungen gehen von einer Hemmung des Laufes der Ausschlußfrist bei Geschäftsunfähigkeit des Anspruchsberechtigten aus. Der Senat hat ferner dargelegt, das Bundessozialgericht habe den Anwendungsbereich von Ausschlußfristen auch schon enger eingegrenzt, als es der Wortlaut der betreffenden Vorschrift nahegelegt habe (BSGE 14, 246). Hinsichtlich der Ausschlußfrist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG erscheine eine vergleichbare Einschränkung auch unter Würdigung der Interessen des Arbeitgebers an einer möglichst baldigen Klarheit über die Wirksamkeit der Kündigung vertretbar. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der auch die Mitteilung einer nur möglichen Schwangerschaft die Frist wahre, sei aber eine schuldlose Versäumung der Frist kaum denkbar.
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c) Der Zweite und der Sechste Senat des Bundesverwaltungsgerichts haben im Hinblick auf Art. 6 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.
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B. |
Die Vorlagen sind zulässig.
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Allerdings bedürfen die Vorlagen der Arbeitsgerichte Oldenburg und Hannover der Einschränkung. Aus beiden Vorlagebeschlüssen ist ersichtlich, daß die vorlegenden Gerichte von einer unverschuldeten Unkenntnis der Schwangerschaft bei Ablauf der Zweiwochenfrist ausgehen. Somit ist in beiden Ausgangsverfahren die vorgelegte Rechtsfrage - wie in der Vorlage des Arbeitsgerichts Düsseldorf bereits geschehen - dahin einzuschränken, daß die Verfassungsmäßigkeit der in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG vorgesehenen Fristenregelung nur für den Fall zu überprüfen ist, daß diese Frist unverschuldet versäumt und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird.
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C. |
§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist in dem zur Nachprüfung stehenden Umfang nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
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I. |
Prüfungsgegenstand ist § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG in der Auslegung, die das Bundesarbeitsgericht dieser Norm gegeben hat und die deshalb der Rechtsprechung auch der vorlegenden Gerichte zugrunde liegt (vgl. A I 1).
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Insoweit verstößt § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG gegen Art. 6 Abs. 4 GG. Diese Bestimmung enthält den bindenden Auftrag an den Gesetzgeber, jeder Mutter Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft angedeihen zu lassen. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, erstreckt sich dieser Verfassungsauftrag insbesondere auf den Schutz der werdenden Mutter (BVerfGE 32, 273 [277]). Dem trägt § 9 MuSchG durch das prinzipielle Verbot der Kündigung einer werdenden Mutter Rechnung. Dabei ist es nicht zu vermeiden, daß der besondere Schutz der werdenden Mutter eine entsprechende Einschränkung der Interessen des Arbeitgebers mit sich bringt. Es kann deshalb Fälle geben, in denen ein absoluter Kündigungsschutz auch bei voller Würdigung der Schutzbedürftigkeit der werdenden Mutter eine übermäßige Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers darstellen würde. Ob dies eine Beschränkung des Kündigungsschutzes der werdenden Mutter rechtfertigen könnte, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Beeinträchtigung für den Arbeitgeber hält sich im Falle der unverschuldeten Versäumung der Zweiwochenfrist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG und unverzüglich nachgeholter Mitteilung in engen Grenzen. Zwar kann er auch nach Ablauf der Zweiwochenfrist nicht absolut sicher sein, daß seine Kündigung das Arbeitsverhältnis wirksam aufgelöst hat. Dadurch werden auch Rechtssicherheit und Rechtsklarheit beeinträchtigt; eine vollständige Klarheit und Sicherheit über die Wirksamkeit einer Kündigung wird aber auch im Bereich des allgemeinen Kündigungsrechts nicht erreicht. Es mag der Hinweis auf die Zulassung verspäteter Klagen bei unverschuldeter Versäumung der Klagefrist nach § 4 KSchG und die Möglichkeit der Erhebung der Kündigungsschutzklage genügen. Auch hier wird notwendigerweise die Wirksamkeit der Kündigung ungewiss, weil sie erst mit Rechtskraft des Urteils, also erst Monate, manchmal Jahre später, feststeht. Wenn aber schon im Bereich des allgemeinen Kündigungsschutzrechts derartige Beeinträchtigungen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hingenommen werden müssen, so vermag die verhältnismäßig geringfügige Beeinträchtigung der Rechtssicherheit bei Zulassung unverschuldet verspäteter und unverzüglich nachgeholter Mitteilungen über die Schwangerschaft den Verlust des durch Art. 6 Abs. 4 GG gebotenen Kündigungsschutzes einer Schwangeren nicht zu begründen.
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Hinzu kommt, daß es sich bei den in Frage stehenden Fällen nur um eine ganz geringe Anzahl handeln kann. Denn im Normalfall ist dem Arbeitgeber die Schwangerschaft bereits nach § 5 MuSchG bekannt geworden, so daß eine wirksame Kündigung schon deshalb ausscheidet. War aber die Schwangerschaft dem Arbeitgeber nicht bekannt, weil zum Beispiel die Arbeitnehmerin dem Gebot des § 5 MuSchG, ihren Zustand dem Arbeitgeber zu offenbaren, nicht nachgekommen ist, so wäre im Fall einer Kündigung die Versäumung der Zweiwochenfrist in aller Regel nicht unverschuldet, so daß sich auch für diesen Fall keine Änderung gegenüber dem gegenwärtigen, auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts beruhenden Rechtszustand ergäbe (vgl. BVerfGE 32, 273). Übrig bleiben lediglich die Fälle, in denen die Arbeitnehmerin bei Kündigung schon schwanger war, ihren Zustand aber unverschuldet noch nicht kannte und innerhalb der Zweiwochenfrist auch nicht in Erfahrung bringen konnte. Deren Einbeziehung in den besonderen Kündigungsschutz vermag aber die Rechtssicherheit nicht so schwerwiegend zu beeinträchtigen, daß demgegenüber der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der werdenden Mutter zurücktreten müßte.
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Im übrigen schließt auch die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Rechtsprechung zu § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG eine Beeinträchtigung der Rechtssicherheit nicht aus. Denn danach genügt die fristgerechte Anzeige der bloß vermuteten oder möglichen Schwangerschaft zur Erhaltung des besonderen Kündigungsschutzes (BAG, Urteil vom 5. Mai 1961, AP Nr. 23 zu § 9 MuSchG). Auch hier bleibt ungewiß, ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat, bis über das Bestehen oder Nichtbestehen der Schwangerschaft Klarheit geschaffen ist. Der Nachweis der Schwangerschaft braucht von der Arbeitnehmerin erst innerhalb einer angemessenen Frist nach Aufforderung durch den Arbeitgeber erbracht zu werden (BAG, Urteil vom 23. Mai 1969, AP Nr. 30 zu § 9 MuSchG). Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Juni 1974 (AP Nr. 3 zu § 9 MuSchG) ist sogar ein späterer Nachweis möglich. In der Praxis kann das aber nur bedeuten, daß ein zusätzliches Maß an Rechtssicherheit bei Beachtung dieses vom Bundesarbeitsgericht eingeschlagenen Verfahrens nur dann möglich wird, wenn die Arbeitnehmerin von dieser von der Rechtsprechung entwickelten Möglichkeit der Mitteilung einer nur vermuteten Schwangerschaft - etwa aus Unkenntnis - wenig oder keinen Gebrauch macht. Weiterhin ist zu beachten, daß sich die vom Bundesarbeitsgericht entwickelte Möglichkeit zur Erhaltung des besonderen Kündigungsschutzes aus dem Gesetz selbst nicht ergibt; denn § 9 Abs. 1 MuSchG spricht nur von der Mitteilung der Schwangerschaft. Daraus folgt, daß eine Arbeitnehmerin die von der Rechtsprechung entwickelte Chance zur Erhaltung des besonderen Kündigungsschutzes bei Studium des nach § 18 MuSchG im Betrieb auszulegenden Gesetzestextes gar nicht erkennen kann. Unter diesen Umständen darf man aber einer Arbeitnehmerin die unterlassene Mitteilung der Möglichkeit einer Schwangerschaft nicht zur Rechtfertigung der starren Fristenregelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG entgegenhalten.
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II. |
Da die zur Prüfung gestellte Vorschrift in der Auslegung, die ihr die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gegeben hat, bereits wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 4 GG mit dem Grundgesetz nicht in Einklang steht, kann es dahinstehen, ob diese Vorschrift noch mit weiteren Verfassungsnormen unvereinbar ist.
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III. |
Eine Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung bietet sich nicht. Aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG läßt sich nur entnehmen, daß die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unwirksam ist, wenn die Schwangerschaft dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung bekannt ist oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Nach diesem eindeutigen Wortlaut kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen trotz vorliegender Schwangerschaft eine solche Mitteilung unterbleibt. Der Wortlaut der Vorschrift verlangt auch eindeutig die Erklärung innerhalb der Zweiwochenfrist, ohne irgendwelche Ausnahmen vorzusehen. Das entspricht auch dem Willen des Gesetzes, denn andernfalls wäre es unerklärlich, warum eine dem § 5 KSchG entsprechende Vorschrift fehlt. Daß der Gesetzgeber selbst auch eine echte Ausschlußfrist einführen wollte, wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift unterstrichen. Einmal deutet die Ersetzung der im Mutterschutzgesetz 1942 geltenden Regelung der "unverzüglichen" Mitteilung durch die Mitteilung innerhalb einer starren Frist bereits darauf hin, daß die Wirksamkeit der Kündigung von einer verschuldeten oder unverschuldeten Nichteinhaltung der Frist seitens der Schwangeren nicht abhängig sein sollte. Zum anderen wird das noch dadurch bekräftigt, daß bei der Änderung des Mutterschutzgesetzes im Jahre 1965 zwar die Mitteilungsfrist von einer auf zwei Wochen verlängert, aber wiederum keine Regelung für den Fall der unverschuldeten Versäumung der Frist vorgesehen wurde. Diese Auffassung wird auch im Schrifttum geteilt (vgl. A I 1).
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Die Überlegungen des Bundessozialgerichts (vgl. A III 2b) führen zu keinem anderen Ergebnis, weil die darin enthaltenen Rechtsgedanken auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar sind.
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Benda Böhmer Simon Faller Hesse Katzenstein Niemeyer Heußner |