BVerfGE 59, 104 - Leitende Angestellte |
Die in § 5 Abs. 3 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz enthaltene Umschreibung des Personenkreises der leitenden Angestellten genügt dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 24. November 1981 |
-- 2 BvL 4/80 -- |
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 5 Abs. 3 Nr. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes vom 15. Januar 1972 (BGBl. I S. 13) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 4. Januar 1980, berichtigt durch Beschluß vom 31. Januar 1980 (6 TaBv 1/79). - |
Entscheidungsformel: |
§ 5 Absatz 3 Nummer 3 des Betriebsverfassungsgesetzes vom 15. Januar 1972 (Bundesgesetzbl. I S. 13) ist mit dem Grundgesetz vereinbar. |
Gründe: |
A. |
Gegenstand des konkreten Normenkontrollverfahrens ist die Frage, ob die im Betriebsverfassungsgesetz enthaltene Umschreibung des Personenkreises der leitenden Angestellten mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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I. |
Das Betriebsverfassungsgesetz vom 15. Januar 1972 (BGBl. I S. 13) - BetrVG - regelt allgemein die Beteiligung der Arbeitnehmer an Entscheidungen der Betriebs- und Unternehmensleitungen, insbesondere die Errichtung, die Organisation und die Zuständigkeiten von Betriebsräten. Nach § 5 Abs. 3 BetrVG findet dieses Gesetz, soweit darin nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist,
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keine Anwendung auf leitende Angestellte, wenn sie nach Dienststellung und Dienstvertrag 1. zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt sind oder 2. Generalvollmacht oder Prokura haben oder 3. im wesentlichen eigenverantwortlich Aufgaben wahrnehmen, die ihnen regelmäßig wegen deren Bedeutung für den Bestand und die Entwicklung des Betriebs im Hinblick auf besondere Erfahrungen und Kenntnisse übertragen werden. |
II. |
1. Im arbeitsgerichtlichen Ausgangsverfahren will der Beteiligte zu 1), ein regional zuständiger "Verkaufsleiter" eines Industrieunternehmens der Beteiligten zu 2), für sich die Rechtsstellung eines leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG festgestellt haben. Diese wurde ihm vom Betriebsrat, dem Beteiligten zu 3), bestritten.
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Den Feststellungsantrag der Beteiligten zu 1) und 2) wies das Arbeitsgericht Hamburg durch Beschluß vom 27. November 1978 zurück. Der Beteiligte zu 1) sei nach den vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen nicht leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG: Er nehme keine unternehmerischen Aufgaben wahr, weil von ihm in seiner Funktion kein maßgeblicher Einfluß auf die kaufmännische oder wirtschaftliche Führung des Unternehmens ausgehe. Außerdem fehle es ihm auch an einem erheblichen eigenen Entscheidungsspielraum.
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Mit der Beschwerde gegen diesen Beschluß rügten die Beteiligten zu 1) und 2), das Arbeitsgericht habe die aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abzuleitenden Abgrenzungsgrundsätze nicht fallgerecht angewandt, insbesondere eine Gesamtwürdigung der Tätigkeit des Beteiligten zu 1) versäumt.
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2. a) Mit Beschluß vom 4. Januar 1980, berichtigt durch Beschluß vom 31. Januar 1980, hat das Landesarbeitsgericht Hamburg das Verfahren ausgesetzt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung darüber vorgelegt, ob § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG verfassungswidrig ist. Von der Gültigkeit dieser Rechtsvorschrift hänge die Entscheidung über die Beschwerde ab. Die dienstliche Stellung des Beteiligten zu 1) erfülle nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BetrVG; ob nach dem bislang feststehenden Sachverhalt auf ihn § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG zutreffe oder ob eine weitere Sachaufklärung erforderlich sei, könne das Gericht nicht entscheiden, weil es diese Vorschrift wegen der Unbestimmtheit ihres Tatbestandes für verfassungswidrig halte. Bei Ungültigkeit des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG sei die Beschwerde nicht ohne weiteres unbegründet; in diesem Falle wäre eine dieser Vorschrift entsprechende andere gesetzliche Regelung abzuwarten.
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b) Das vorlegende Gericht begründet seine Rechtsauffassung in Übereinstimmung mit dem inzwischen aufgehobenen Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. November 1978 - 22 TaBv 23/78 -/ - 2 BvL 15/78 - (BB 1979, S. 107 ff.; AP Nr. 20 zu § 5 BetrVG 1972), wie folgt:
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aa) § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG verstoße gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Normklarheit, wonach gesetzliche Vorschriften in ihrem Inhalt und ihren Voraussetzungen so formuliert sein müßten, daß die von ihnen Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten könnten.
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Der im Arbeitsleben und unter den Betroffenen umstrittene Begriff des "leitenden Angestellten" werde auch vom Betriebsverfassungsgesetz nicht ausreichend bestimmt. Aus der Forderung, daß der Angestellte ein "leitender" sein solle, ließen sich nur vage, der Forderung nach Normklarheit nicht genügende Schlußfolgerungen ziehen. Das gleiche gelte für Schlußfolgerungen aus den unter Nr. 1 bis 3 aufgeführten Untergruppen und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Auch der weitere Tatbestand des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG sei derart unbestimmt, daß die Betroffenen die Rechtslage nicht mehr erkennen könnten.
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Diese Normunklarheit sei nicht der rechtsstaatlich unbedenklichen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in schuldrechtlichen Vorschriften gleichzuachten. Hinsichtlich der Frage des Inhalts oder der Entstehung von Schuldverhältnissen könne von den Betroffenen eher ein gewisser Grad an Unbestimmtheit hingenommen werden als hinsichtlich des Bestehens oder Nichtbestehens aktiver oder passiver Wahlrechte zum Betriebsrat. Außerdem solle durch § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG der Kreis der Angestellten umschrieben werden, für den das Betriebsverfassungsgesetz grundsätzlich nicht gelten solle; demgegenüber hätten etwa die Bestimmungen der §§ 242, 315, 826 BGB und des § 1 UWG im wesentlichen Bedeutung für einen Randbereich, bei dem "der dazugehörige Kernbereich" rechtlich klar geregelt sei.
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bb) § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG sei darüber hinaus sogar unjustitiabel. Mit den in dieser Vorschrift enthaltenen Formulierungen von "höchstgradiger Unbestimmtheit" habe der Gesetzgeber seine Schwierigkeiten nicht nur auf die Betroffenen, sondern auch auf die Gerichte abgewälzt und diesen damit unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG einen Teil der gesetzgeberischen Aufgabe übertragen. Daß das Bundesarbeitsgericht aus dem angenommenen Sinn und Zweck der nichtjustitiablen Bestimmung eigene Merkmale für den Begriff des leitenden Angestellten entwickelt und die Tatsachengerichte unter Einräumung eines Ermessensspielraums veranlaßt habe, nach diesen Merkmalen zu entscheiden, sei weder gesetzes- noch verfassungskonform.
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III. |
1. Für die Bundesregierung hat sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zu dem Vorlagebeschluß geäußert. Er hält § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG für verfassungsmäßig.
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Die Vorschrift verstoße insbesondere nicht gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normklarheit und der Justitiabilität. Sie sei so bestimmt gefaßt, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich sei.
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Die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung gehe von der Interessenpolarität zwischen Arbeitgeber und Belegschaft im betrieblichen Spannungsfeld als sozialer Gegebenheit aus. Bei der personellen Zuordnung zu den beiden Interessensphären sei die funktionelle Stellung der zuzuordnenden Personen innerhalb des Betriebs bzw. Unternehmens entscheidend. Die leitenden Angestellten nähmen für das Unternehmen oder einen Betrieb unter eigener Verantwortung typische Unternehmerfunktionen mit einem eigenen erheblichen Entscheidungsspielraum wahr, die zu einer aufgabenbedingten, mehr oder weniger starken, objektiven Identifizierung mit den Unternehmer- bzw. Arbeitgeberinteressen führten. Hierzu gehörten auch solche Unternehmerfunktionen, die keinen unmittelbaren Gegnerbezug zur Arbeitnehmerschaft aufwiesen, sondern in einer maßgeblichen Einflußnahme auf die wirtschaftliche, technische, kaufmännische, organisatorische und wissenschaftliche Führung des Unternehmens bestünden und Voraussetzungen schüfen, an denen die eigentliche Unternehmensführung nicht vorbeigehen könne. Der Gesetzgeber habe sich in § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG dafür entschieden, auch den mit solchen Stabsfunktionen betrauten Personenkreis (sogenannte "Ratgruppe") vom persönlichen Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes grundsätzlich auszunehmen. Denn der Arbeitgeber bzw. Unternehmer solle ohne Mitbestimmung des Betriebsrats über einen Kreis hochqualifizierter Angestellter, die aufgrund ihrer Schlüsselpositionen maßgeblichen Einfluß auf die Unternehmensführung hätten, verfügen, um das Unternehmen ohne Gegnerschaft im eigenen Lager führen zu können. Überdies sollten durch diese Regelung unerträgliche Konfliktsituationen für die betreffenden Angestellten und eine dadurch bewirkte Instabilität des auf dem Interessengegensatz beruhenden Kräfteverhältnisses innerhalb der Betriebsverfassung vermieden werden.
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Mit der Einbeziehung der "Ratgruppe" in den Personenkreis der leitenden Angestellten werde die tatbestandliche Abgrenzung dieses Personenkreises schwieriger, als wenn man sich auf die zur sogenannten "Tatgruppe" zählenden Führungskräfte mit umfassender Vorgesetzteneigenschaft oder weitreichenden Vertretungsbefugnissen (vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BetrVG) beschränkt hätte. Denn der Gesetzgeber habe auf keinen allgemein gültigen Begriff der leitenden Angestellten zurückgreifen können. Auch eine Bestimmung anhand formal-konkreter Merkmale sei ungeeignet; denn sie vernachlässige zu sehr die erforderliche funktionsgebundene Betrachtungsweise und werde auch den durch die Vielfalt der Unternehmensstrukturen bedingten unterschiedlichen Lebenssachverhalten nicht gerecht. Vielmehr könne der Personenkreis der leitenden Angestellten, insbesondere wegen der Einbeziehung der sogenannten "Ratgruppe", gesetzestechnisch nur mittels materiell-abstrakter Merkmale sach- und interessengerecht umschrieben werden. Die materiell-abstrakte Funktionsbeschreibung führe dazu, daß die Abgrenzung des Personenkreises durch Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe gefunden werden müsse. Die sich dabei ergebenden Schwierigkeiten zwängen den Gesetzgeber jedoch nicht, auf die Einbeziehung der "Ratgruppe" zu verzichten.
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Geeignetere Abgrenzungskriterien als die in § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG enthaltenen seien nicht ersichtlich. Jedenfalls sei die Abgrenzungsregelung nicht derart ungenau, daß sie für die Betroffenen zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit führte und die Gerichte hinderte, die Norm in rechtsstaatlicher Weise anzuwenden. Dies zeige ein Blick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
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Die generalklauselartige Umschreibung in § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG verletze auch nicht den Grundsatz der Gewaltenteilung. Die Schließung auch weiter Gesetzeslücken auf der Grundlage einer richtungweisenden Generalklausel sei eine herkömmliche und stets bewältigte richterliche Aufgabe. Dies gelte in besonderem Maße für das Arbeitsrecht.
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2. Von den Beteiligten des Ausgangsverfahrens hat sich lediglich der Betriebsrat geäußert. Auch er hält § 5Abs. 3 Nr. 3 BetrVG für verfassungsgemäß.
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Der Tatbestand dieser Vorschrift sei nicht so unbestimmt, daß er gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normklarheit und der Justitiabilität verstieße. Bereits die Entstehungsgeschichte des Begriffs der "leitenden Angestellten" zeige, daß dieser restriktiv auszulegen sei. Als eindeutige Richtlinie habe die enge Verbindung des leitenden Angestellten mit der Unternehmerfunktion eine Konkretisierung und Ausformung des Begriffs ermöglicht. Auf dieser Grundlage habe das Bundesarbeitsgericht in seiner umfangreichen Rechtsprechung zu § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG so viele Kriterien entwickelt, daß danach eine Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs ohne weiteres möglich sei.
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3. Der Präsident des Bundesarbeitsgerichts hat mitgeteilt: Der für die "Abgrenzungsbeschlußverfahren" zuständige Erste Senat habe § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG vor Ergehen des Vorlagebeschlusses in 87 Entscheidungen angewandt; er sei dabei von der Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Grundgesetz ausgegangen. Auch der Zweite, Fünfte und Siebente Senat hätten sich der Rechtsprechung des Ersten Senats ohne verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit der Norm angeschlossen. Nunmehr habe der Erste Senat in einem weiteren Beschluß vom 29. Januar 1980 - l ABR 45/79 - seine Rechtsprechung zu § 5 BetrVG überprüft.
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In diesem - der Stellungnahme des Bundesarbeitsgerichts beigefügten - Beschluß wird im Hinblick auf den Vorlagebeschluß des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. November 1978 ausdrücklich auch die Frage der Justitiabilität der Vorschrift erörtert: Die unter diesem Gesichtspunkt erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken seien nicht überzeugend. Generalklauseln und unbestimmte, der Ausfüllung bedürftige Rechtsbegriffe seien zulässig und insbesondere dann geboten, wenn sich die Vielfalt der zu erfassenden Lebenssachverhalte nicht in klar umrissene Begriffe fassen lasse und die Verwendung allgemeiner Regeln zu Differenzierungen führe, die im Einzelfall eine gerechte Entscheidung erst möglich machten. Dem Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes könne nicht der Vorwurf der Willkür gemacht werden, nur weil er sich bei der Abgrenzung der leitenden Angestellten nicht für eine Pauschallösung habe entscheiden können. Jedes einfachere Abgrenzungsverfahren, das an formale Kriterien angeknüpft oder gar die Selbsteinschätzung der betroffenen Angestellten als maßgebend behandelt hätte, wäre mit erheblichen Ungereimtheiten und Wertungswidersprüchen verbunden gewesen. Nachdem sich der Gesetzgeber entschlossen habe, die leitenden Angestellten nach ihren Funktionen zu beschreiben und dabei nicht nur Linien-, sondern auch Stabsfunktionen zu berücksichtigen, sei praktisch keine andere Möglichkeit geblieben als eine sehr weit gefaßte Generalklausel. Die nähere Konkretisierung und die Fallgruppenbildung habe bei diesem gesetzgeberischen Ansatz der Rechtsprechung überlassen bleiben müssen.
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Die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm und die Notwendigkeit einer Konkretisierung reichten noch nicht aus, einer Vorschrift die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit abzusprechen. Bedeutung und Wirkungsweise des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG verlangten keine starre Regelung, sondern erlaubten und geböten sogar im Blick auf die konkrete Unternehmensstruktur eine differenzierende Berücksichtigung der Besonderheiten im Einzelfall. Völlige Klarheit über den Kreis der wahlberechtigten Arbeitnehmer, wie sie das Landesarbeitsgericht Düsseldorf für jede Betriebsratswahl fordere, sei bei der Vielfalt der Sachverhalte mit ihren fließenden Grenzen in der Praxis mit gesetzgeberischen Mitteln nicht erreichbar, zumal dabei außer der Abgrenzung der leitenden Angestellten auch noch andere schwierige Statusfragen geklärt werden müßten.
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4. Nach den Äußerungen der Präsidenten der Landesarbeitsgerichte halten die insgesamt mit zahlreichen Abgrenzungsverfahren zu § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG befaßten Kammern dieser Gerichte die Vorschrift überwiegend für mit dem Grundgesetz vereinbar.
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5. Auf Ersuchen des Gerichts haben sich die Union der Leitenden Angestellten, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zu der Vorlagefrage geäußert. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat keine Äußerung abgegeben.
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a) Die Union der Leitenden Angestellten ist der Auffassung, daß die Abgrenzung des von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG betroffenen Personenkreises heute rechtlich unberechenbar sei. Grund hierfür sei entweder der unklare Wortlaut der Norm oder ihre fehlerhafte Anwendung. Das Bundesarbeitsgericht habe bisher keine Rechtssicherheit schaffen können. Es habe die Vorschrift weder im Wortsinne ausgelegt noch bei der Frage nach Sinn und Zweck der Norm die Einschätzung des Gesetzgebers nachvollzogen, sondern durch einschränkende Interpretation das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere die Gesetzesbindung des Richters und den Gewaltenteilungsgrundsatz, verletzt.
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b) Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft hält § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG für verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber habe sich vor dem Hintergrund in der Sache begründeter Definitionsschwierigkeiten darum bemüht, eine sachgerechte Lösung zu finden, um den Streit zu beenden. Daß er die Konkretisierung der Norm Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen habe, spreche nicht gegen die Verfassungsmäßigkeit. Das Prinzip der Gewaltenteilung stehe der richterlichen Ausfüllung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen nicht entgegen. Die bisherige Auslegung des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG durch das Bundesarbeitsgericht, die verfassungsgemäß sei und der Absicht des Gesetzgebers entspreche, beweise, daß der Tatbestand dieser Vorschrift bestimmt genug sei, um Normklarheit und Justitiabilität zu gewährleisten.
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c) Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände meint, die Schwierigkeiten der Praxis bei der Anwendung des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG beruhten zu einem wesentlichen Teil auf der Divergenz zwischen der restriktiven, sich über den Wortlaut hinwegsetzenden Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht und der Absicht des Gesetzgebers von 1972, den seit 1952 maßgeblichen Rechtszustand weitgehend unverändert zu lassen. Damit habe das Bundesarbeitsgericht den zulässigen Rahmen richterlicher Rechtsschöpfung verlassen. Nur bei Abkehr von der vom Bundesarbeitsgericht vertretenen unternehmensbezogenen Begriffsbestimmung und stärkerer Berücksichtigung formaler, betriebsbezogener Indizien wäre ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Praktikabilität bei der Anwendung des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG gegeben.
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B. |
Die Vorlage ist zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat ausreichend dargelegt, daß und inwiefern von der Gültigkeit des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG seine Entscheidung über die anhängige Beschwerde abhängt. Zwar läßt sich dem Vorlagebeschluß nicht entnehmen, welche Entscheidung das Gericht im Falle der Gültigkeit der beanstandeten Norm treffen wird. Es hat jedoch hinreichend deutlich gemacht, daß es bei Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift jedenfalls zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit: Wäre die Regelung verfassungsgemäß, so wäre ein Beschluß in der Sache zu treffen; anderenfalls erginge keine Sachentscheidung, sondern das Gericht würde das Verfahren aussetzen, bis der Gesetzgeber gesprochen hat (vgl. BVerfGE 22, 349 [363]; 23, 135 [142 f.]; 56, 1 [11]). Diese Erwägungen sind auch nicht offensichtlich unhaltbar (vgl. BVerfGE 7, 171 [175]). Eine darüber hinausgehende hypothetische Subsumtion des Sachverhalts unter die beanstandete Norm kann vom vorlegenden Gericht jedenfalls dann nicht verlangt werden, wenn es diese Norm - wie hier - gerade wegen ihrer Unbestimmtheit für unjustitiabel und deshalb verfassungswidrig hält.
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C. |
§ 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Vorschrift verstößt insbesondere nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip; der Gesetzgeber hat weder das Bestimmtheitsgebot noch den Grundsatz der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht verletzt.
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Das rechtsstaatliche Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze zwingt den Gesetzgeber nicht, Gesetzestatbestände stets mit genau erfaßbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (BVerfGE 49, 168 [181]). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 49, 89 [133]): Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (BVerfGE 37, 132 [142]). Nach diesen Maßstäben ist § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG verfassungsgemäß.
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I. |
Zwar sind die in § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG verwendeten Begriffe nach ihrem Wortsinn nicht eindeutig. Sie unterscheiden sich darin jedoch nicht grundsätzlich von sonstigen generalklauselartigen Regelungen, wie sie im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, aber auch im bürgerlichen Recht und Arbeitsrecht vielfach unentbehrlich sind. Sie ermöglichen es, das Gebot der inhaltlichen Richtigkeit und materiellen Gerechtigkeit der Entscheidung im Einzelfall zu verwirklichen, das neben dem Grundsatz der Rechtssicherheit aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten ist. Deshalb hat sich auch die große Mehrzahl der Gerichte trotz einer ungewöhnlichen Verfahrensflut der Anwendung des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG nicht verschlossen. Dies zeigt insbesondere die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Instanzgerichte überwiegend gefolgt sind.
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Diese Rechtsprechung geht von der nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift zutreffenden Erkenntnis aus, daß mit der Neufassung der Abgrenzungsmerkmale durch § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG offenbar nicht beabsichtigt war, einen erheblichen Teil der Angestellten von der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auszunehmen (BAG, AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972, Bl. 7, m. Anm. Wiedemann/Wank; vgl. BTDrucks. I/1546, S. 37 f.; VI/1786, S. 34, 36; Verh. d. BT, 6. Wp., Sten. Ber. 5. 5809, 8599; BT, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, 6. Wp., Kurzprot. Nr. 70, S. 14; G. Müller, RdA 1975, S. 63 [65]). Durch Rückgriff auf Geschichte und Funktion des als "leitende Angestellte" angesprochenen Personenkreises und auf den aus dem Gesamtzusammenhang des Gesetzes folgenden Sinn und Zweck der Vorschrift hat das Bundesarbeitsgericht deren Inhalt durch eine Reihe objektiver, funktionsgebundener Kriterien eingegrenzt: Zum Personenkreis des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG gehöre ein Angestellter dann, wenn er spezifische unternehmerische Aufgaben wahrnehme, die im Hinblick auf die Gesamttätigkeit des Angestellten und die Gesamtheit der Unternehmeraufgaben weitreichend seien und bei deren Erfüllung der Angestellte einen eigenen erheblichen Entscheidungsspielraum habe. Unternehmerische Aufgaben erforderten dabei keine unmittelbare Anordnungsbefugnis gegenüber anderen Arbeitnehmern, sondern würden auch dann erfüllt, wenn der Angestellte kraft seiner Funktion maßgeblichen Einfluß auf die wirtschaftliche, technische, kaufmännische, organisatorische oder wissenschaftliche Führung des Unternehmens ausübe, also Voraussetzungen schaffe, an denen die eigentliche Unternehmensführung nicht vorbeigehen könne. Eine Interessenpolarität des Angestellten zur übrigen Arbeitnehmerschaft könne hierfür ein Indiz sein; entscheidend sei jedoch, daß bei einer Gesamtwürdigung der Tätigkeit des Angestellten die spezifischen Unternehmeraufgaben das Gepräge dieser Tätigkeit bestimmten. Maßgebliche Abgrenzungsmerkmale für diese Gesamtwürdigung seien also u. a.: Entscheidungsfreiheit, Entscheidungsvorbereitung, Entscheidungsvorwegnahme, Entscheidungskontrolle, Eigenverantwortung, Unternehmerfunktion/Arbeitgeberfunktion im Hinblick auf einen Interessengegensatz des leitenden Angestellten zur Arbeitnehmerschaft und zum Betriebsrat im Rahmen einer Entscheidungsbefugnis über Beteiligungsrechte des Betriebsrats (vgl. BAG, AP Nr. 1, 2, 11 zu § 5 BetrVG 1972; BAG, NJW 1980, S. 2724 ff.).
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Auch wenn das Bundesarbeitsgericht die Auslegung der Vorschrift nur schrittweise entwickelt hat, hielt es im Grunde an den maßgeblichen Abgrenzungskriterien fest und entfaltete alsbald eine umfangreiche Judikatur zu ihren einzelnen Elementen. Dabei räumte es den Instanzgerichten - wie auch sonst im Revisionsrecht - einen tatsächlichen Beurteilungsspielraum für die jeweilige Gesamtwürdigung der maßgebenden Merkmale ein (vgl. BAG, AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972, Bl. 11).
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Eine etwa verbleibende Rechtsunsicherheit ist durch die Eigenart des geregelten Sachverhalts bedingt und unter Berücksichtigung des Regelungszwecks unvermeidlich. Wegen der Unterschiedlichkeit der Unternehmensstrukturen in einer privatwirtschaftlichen Ordnung ist eine einheitliche, funktionsbezogene Abgrenzung des Begriffs der leitenden Angestellten für das gesamte Wirtschaftsleben oder auch nur für Teilbereiche unmöglich (vgl. BAG, AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972, Bl. 10 R; BAG, NJW 1980, S. 2724 [2727]; LAG Düsseldorf, Beschluß vom 13. März 1979 - 8/19 TaBV 6/78 -, S. 6; LAG Hamm, DB 1979, S. 1279 [1280]; Auffarth, BT-Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, Sten-Prot. 7/55, S. 6; G.Müller, RdA 1975, S. 63 [68]; H. P. Müller, DB 1979, S. 1794; Hanau in: Arbeitsleben und Rechtspflege, 1981, S. 169 [171]).
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Eine hierauf beruhende Rechtsunsicherheit wäre den Rechtsunterworfenen auch unter Berücksichtigung der Regelungsintensität nicht unzumutbar. Unklarheiten über den Status einzelner Angestellter werden nur in Ausnahmefällen so stark ins Gewicht fallen, daß sie sich auf das Ergebnis der Wahlen zum Betriebsrat oder - im Rahmen des Mitbestimmungsgesetzes - zum Aufsichtsrat auswirken und deshalb eine Anfechtung rechtfertigen könnten (vgl. BAG, NJW 1980, S. 2724 [2728]).
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Demgegenüber vertraten zwar einige Instanzgerichte die These, § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG sei nicht justitiabel und deshalb wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig (vgl. außer dem Vorlagebeschluß des Landesarbeitsgerichts Hamburg: LAG Düsseldorf, Beschlüsse vom 9. November und 7. Dezember 1978 [AP Nr. 20, 21 zu § 5 BetrVG 1972]; ArbG Berlin, Beschluß vom 22. Januar 1979 [DB 1979, S. 992 ff.]; ArbG Dortmund, Beschlüsse vom 19. September 1980 - 2 BV 4/80 u. a. -). Diese These wurde jedoch in Rechtsprechung und Literatur überwiegend abgelehnt (vgl. LAG Berlin, Beschluß vom 2. Oktober 1978 [DB 1979, S.944ff.]; LAG Baden-Württemberg,Beschluß vom 8. Februar 1979 - 11 TaBV 5/78 -; LAG Düsseldorf, Beschluß vom 13. März 1979 - 8/19 TaBV 6/78 -; LAG Hamm, Beschluß vom 26. März 1979 [DB 1979, S. 1279 f.]; Dietz/ Richardi, BetrVG, Bd. l, 6. Aufl., 1981, § 5, Rdnr. 124 f.; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 13. Aufl., 1981, § 5, Rdnr. 28 a; Kraft, Anm. zu EzA, § 5 BetrVG 1972, Nr. 35; H. P. Müller, DB 1979, S. 1746/1794 [1795]; Rüthers in: 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, 1979, S. 455 [462 f.]; G.Müller, DB 1981, Beil. Nr. 23, S. 2 ff.).
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II. |
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht zu entscheiden, ob die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG nach einfachem Recht zutreffend und in jeder Hinsicht befriedigend ist. Diese Rechtsprechung belegt nur die hier allein entscheidende Feststellung, daß eine unerträgliche Rechtsunsicherheit jedenfalls nicht entstanden und auch nicht mehr zu erwarten ist. Vielmehr sind die Arbeitsgerichte nach wie vor in der Lage, die ihnen durch die unbestimmten Rechtsbegriffe gestellte Aufgabe auf rechtsstaatliche Weise zu bewältigen. Das Bundesarbeitsgericht hat der Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG auf der Grundlage ihrer Entstehungsgeschichte keine grundsätzliche Erweiterung des Personenkreises der leitenden Angestellten entnommen, sondern mit Hilfe der anerkannten Methoden der Auslegung und Lückenschließung, insbesondere mit dem Rückgriff auf "den geschichtlich gewordenen und funktionell bestimmten Sachverhalt" (BAG, AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972, Bl. 8 R; dazu vgl. G. Müller, ArbuR 1977, S. 129 [133]; Hromadka, Das Recht der leitenden Angestellten, 1979; Eichenhofer, "Leitende Angestellte" als Begriff des Unternehmensrechts, 1980) sowie auf den dem Zusammenhang des Gesetzes zu entnehmenden Sinn und Zweck der Vorschrift, die bis 1972 geltende Abgrenzung auf einer "mittleren Linie" fortgesetzt (vgl. BAG, NJW 1980, S. 2724 [2725]; Wiedemann/ Wank, Anm. zu BAG, AP Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972; Zöllner, Anm. zu BAG, AP Nr. 5 zu § 5 BetrVG 1972). Auf dieser Grundlage, die sich im Rahmen rechtsstaatlicher Rechtsanwendung hält, haben die Gerichte bereits in einer Reihe wichtiger Fallgruppen Lösungen gefunden (vgl. G. Müller, DB 1981, Beil. 23, S. 8 ff., sowie die in AP zu § 5 BetrVG 1972 aufgeführten Fälle), die es deutlich machen, daß die zu prüfende Vorschrift rechtsstaatlich einwandfrei gehandhabt werden kann. Für die dem Ausgangsverfahren zugrundeliegende Fallgestaltung gilt, wie das ausführlich begründete Urteil des Arbeitsgerichts zeigt, nichts anderes.
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III. |
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
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(gez.) Zeidler Rinck Wand Dr. Rottmann Dr. Dr. h. c. Niebler Steinberger Träger Mahrenholz |