BVerfGE 75, 329 - Verwaltungsakzessorietät im Umweltstrafrecht |
Zur hinreichenden Bestimmtheit von Straftatbeständen auf dem Gebiet des Umweltschutzes (hier: § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB). |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 6. Mai 1987 |
-- 2 BvL 11/85 -- |
in dem Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB -- Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Nördlingen vom 22. Oktober 1985 -- (Ds 300 Js 58742/85 - |
Entscheidungsformel: |
§ 327 Absatz 2 Nummer 1 des Strafgesetzbuches in der Fassung des Gesetzes vom 28. März 1980 (Bundesgesetzbl. I S. 373) ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit hiernach bestraft wird, wer eine genehmigungsbedürftige Anlage im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ohne die nach diesem Gesetz erforderliche Genehmigung betreibt. |
Gründe: |
A. |
Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit dem Grundgesetz, insbesondere mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, vereinbar ist.
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I. |
1. § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB wurde durch das Achtzehnte Strafrechtsänderungsgesetz - Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität - vom 28. März 1980 (BGBl. I S. 373) als Teil des 28. Abschnitts "Straftaten gegen die Umwelt" in das Strafgesetzbuch eingefügt. Dieser neue Abschnitt des Strafgesetzbuchs ersetzt Strafvorschriften zum Schutz der Umwelt, die zuvor in unterschiedlicher Ausgestaltung in einer Reihe von Spezialgesetzen, z. B. dem Abfallbeseitigungsgesetz, Wasserhaushaltsgesetz, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Atomgesetz, enthalten waren. Die Stellung der Vorschriften im Nebenstrafrecht brachte den sozialschädlichen Charakter von Umweltstraftaten nach der Auffassung des Gesetzgebers nicht genügend zum Ausdruck (vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 4. Februar 1980, BTDrucks. 8/3633 Vorbl. A, Bericht S. 19). Die Neuregelung, die die wichtigsten Tatbestände zum Schutz der Umwelt, wie der ökologisch schützenswerten Güter Gewässer, Luft, Boden, Tiere und Pflanzen, aus den Umweltschutzgesetzen übernommen und in einen Zusammenhang gebracht hat, wurde gleichzeitig genützt, um die einzelnen Tatbestände umfassender auszugestalten und, soweit angebracht, aneinander anzugleichen (vgl. BTDrucks. 8/3633 Vorbl. B, Bericht S. 19 ff.).
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2. § 327 StGB stellt das unerlaubte Betreiben bestimmter Anlagen unter Strafe. Absatz 2 der Vorschrift lautet:
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1. eine genehmigungsbedürftige Anlage im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder
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2. eine Abfallentsorgungsanlage im Sinne des Abfallgesetzes ohne die nach dem jeweiligen Gesetz erforderliche Genehmigung oder Planfeststellung oder entgegen einer auf dem jeweiligen Gesetz beruhenden vollziehbaren Untersagung betreibt.
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Die in der Strafbestimmung in Bezug genommene verwaltungsrechtliche Regelung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) sieht vor:
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§ 4 Genehmigung
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(1) Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen, bedürfen einer Genehmigung. Anlagen, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und nicht im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden, bedürfen der Genehmigung nur, wenn sie in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen oder Geräusche hervorzurufen. Die Bundesregierung bestimmt nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Anlagen, die einer Genehmigung bedürfen (genehmigungsbedürftige Anlagen).
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(2) ...
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Einer Genehmigung bedarf darüber hinaus die wesentliche Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BImSchG). Die Begriffe "Anlage", "schädliche Umwelteinwirkungen" und "Luftverunreinigungen" werden in § 3 BImSchG näher bestimmt:
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(1) Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
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(3) Emissionen im Sinne dieses Gesetzes sind die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnlichen Erscheinungen.
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(4) Luftverunreinigungen im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe.
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(5) Anlagen im Sinne dieses Gesetzes sind
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1. Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen,
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2. Maschinen, Geräte und sonstige ortsveränderliche technische Einrichtungen sowie Fahrzeuge, soweit sie nicht der Vorschrift des § 38 unterliegen, und
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3. Grundstücke, auf denen Stoffe gelagert oder abgelagert oder Arbeiten durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können, ausgenommen öffentliche Verkehrswege.
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(6) Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg im Betrieb erprobt worden sind.
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(7) Dem Herstellen im Sinne dieses Gesetzes steht das Verarbeiten, Bearbeiten oder sonstige Behandeln, dem Einführen im Sinne dieses Gesetzes das sonstige Verbringen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich.
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Ziel und Zweck des Gesetzes sind in § 1 BImSchG zusammengefaßt. Die Vorschrift lautet:
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Zweck dieses Gesetzes ist es, Menschen sowie Tiere, Pflanzen und andere Sachen vor schädlichen Umwelteinwirkungen und, soweit es sich um genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, auch vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, die auf andere Weise herbeigeführt werden, zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen.
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Aufgrund der Ermächtigung in § 4 Abs. 1 BImSchG war die Vierte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV) vom 14. Februar 1975 (BGBl. I S. 499) erlassen worden. Diese Verordnung hatte die genehmigungsbedürftigen Anlagen in insgesamt 98, teilweise mehrere Arten von Anlagen zusammenfassenden Nummern aufgelistet. Sie wurde mit Wirkung vom 1. November 1985 durch eine gleichnamige Verordnung ersetzt, die als Art. 1 der Verordnung zur Neufassung und Änderung von Verordnungen zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 24. Juli 1985 (BGBl. I S. 1586) verkündet wurde. Diese Verordnung zählt die genehmigungsbedürftigen Anlagen in zehn vielfach untergliederten Nummern auf.
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II. |
1. Der Angeklagte im Ausgangsverfahren hat sich nach Überzeugung des vorlegenden Gerichts eines vorsätzlichen Vergehens des Betreibens einer genehmigungsbedürftigen Anlage im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ohne die nach diesem Gesetz erforderliche Genehmigung (§ 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB) schuldig gemacht. Das Gericht sieht es aufgrund der in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen als erwiesen an, daß der Angeklagte am 29. März 1985 in einem mit Zuglöchern versehenen, oben offenen Stahlcontainer auf einer Wiese in der Nähe seines Betriebsgeländes etwa einen halben Kubikmeter Gurtbandabfälle zur Gewinnung der eingebetteten Kupfernadeln abgebrannt hat. Nach Auffassung des Strafrichters handelt es sich bei dem Stahlcontainer, der mehr als sechs Monate an demselben Ort entsprechend verwendet werden sollte, um eine sowohl nach § 1 Abs. 1 und § 2 Nr. 2 der 4. BImSchV a.F. als auch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der 4. BImSchV n.F. in Verbindung mit Nr. 8.3 des Anhangs genehmigungsbedürftige Anlage.
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2. Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 22. Oktober 1985 (NStZ 1986, S. 315), ergänzt durch Beschluß vom 28. Juli 1986, gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Gericht hält die Strafvorschrift für verfassungswidrig. Seine Auffassung stützt es im wesentlichen auf folgende Erwägungen:
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§ 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB sei eine verfassungswidrige Blankettstrafnorm. Weder diese Strafbestimmung noch das Bundes-Immissionsschutzgesetz, das lediglich pauschal in Bezug genommen werde, umschrieben hinreichend deutlich die Voraussetzungen der möglichen Fälle der Strafbarkeit; erst bei Heranziehung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen ergäben sich genügend bestimmte Tatbestände. Die Voraussetzungen, unter denen eine Strafnorm durch eine Rechtsverordnung konkretisiert werden könne, seien jedoch nicht erfüllt. An die Bestimmtheit des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB seien wegen der erhöhten Strafrahmen, die nach dem - vorliegend nicht erfüllten - § 330 StGB anwendbar sein könnten und bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reichten, besonders hohe Anforderungen zu stellen. Wie wenig die Strafvorschrift diesen gerecht werde, zeige sich anhand der jüngsten Änderungen, die zum Neuerlaß der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen geführt hätten. Der Verordnungsgeber habe hier wesentliche Umgestaltungen und Ergänzungen vorgenommen und damit auch die Voraussetzungen der Strafbarkeit verändert. Auf den Zusammenhang zwischen der Strafvorschrift und der verwaltungsrechtlichen Regelung wiesen im übrigen weder das Bundes-Immissionsschutzgesetz noch die Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen hin. Das Strafrecht werde im Kern ausgehöhlt und die grundgesetzlich herausgehobene Stellung des Strafgesetzbuchs werde untergraben, soweit in dieses Gesetzbuch Blankettregelungen eingefügt würden, die wegen ihres komplizierten nebenstrafrechtlichen Inhalts in so allgemeiner, umfassender Form auf verwaltungsrechtliche Vorschriften verwiesen. Mache sich der Strafgesetzgeber eine außerstrafrechtliche Ermächtigung zu eigen und erkläre er sie für das Strafrecht als verbindlich, entmachte er sich selbst und mißachte insoweit den Grundsatz der Gewaltenteilung.
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Die so bewirkte Bindung der Strafgerichte an Entscheidungen der Verwaltung und der Verwaltungsgerichte ("Verwaltungsakzessorietät") sei verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar. Sie gestatte beispielsweise der Verwaltung, durch ermessensfehlerfreie Duldungsentscheidung den Betrieb einer genehmigungsbedürftigen, aber nicht genehmigten Anlage zu erlauben und dadurch das strafbewehrte Verbot eines solchen Betriebs bindend für das Strafrecht aufzuheben (§ 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG). Vorrang müsse aber die Strafverfolgung haben, die im Blick auf die Bestimmtheitsanforderungen und das Gleichbehandlungsgebot nicht vom behördlichen Ermessen abhängig gemacht werden dürfe. Dies habe das Oberverwaltungsgericht Berlin im Beschluß vom 16. Juli 1985 (NVwZ 1985, S. 756) verkannt.
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III. |
Zur Vorlage haben der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung und die Bayerische Staatsregierung Stellung genommen.
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1. Die Bundesregierung hält § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB für mit dem Grundgesetz vereinbar. Art und Maß der angedrohten Strafe und die wesentlichen Teile des Straftatbestands seien in der Strafvorschrift selbst, die durch § 4 Abs. 1 BImSchG ergänzt werde, mithin in förmlichen Gesetzen, festgelegt. Diese Regelung sei hinreichend bestimmt. Vom Bundes-Immissionsschutzgesetz würden vielgestaltige und einem ständigen technischen Wandel unterworfene Sachverhalte erfaßt; die Ermächtigung des § 4 Abs. 1 BImSchG werde durch den in § 1 BImSchG festgelegten Gesetzeszweck und die Begriffsbestimmung in § 3 BImSchG konkretisiert. Bei Erteilung einer wirksamen Genehmigung entfalle der Straftatbestand. Der Gesetzgeber habe der Genehmigungsbehörde keine Strafgewalt übertragen. Eine bloße behördliche Duldung einer nicht genehmigten Anlage schließe weder den Tatbestand des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB noch die Rechtswidrigkeit aus.
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2. Auch nach Auffassung der Bayerischen Staatsregierung ist die Vorlage unbegründet. § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB verstoße nicht gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz. Die Verwaltung könne nicht konstitutiv in die Strafbarkeitsvoraussetzungen eingreifen; eine das Strafgesetz modifizierende Gewalt komme ihr nicht zu. Sie habe lediglich im konkreten Einzelfall den gesetzlichen Tatbestand nach Maßgabe der verwaltungsrechtlichen Immissionsschutzbestimmungen zu aktualisieren und auszuführen. Es liege letztlich beim Strafrichter, wie er ergangene Verwaltungsentscheidungen im einzelnen in das strafrechtliche System von Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld, Rechtfertigungsgründen, Schuldausschließungsgründen, Verbots- und Tatbestandsirrtum eingliedere und welche strafprozessualen Erledigungsmöglichkeiten er ins Auge fasse.
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§ 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB sei ferner hinreichend bestimmt; die erforderliche Konkretisierung sei dem Bundes-Immissionsschutzgesetz zu entnehmen. Daß dieses nicht auch die Strafbestimmung enthalte, ändere daran nichts. Für die vom Gesetzgeber gewählte Systematik sprächen vernünftige, nachvollziehbare und der Sachlage angepaßte Gründe (Erhöhung der generalpräventiven Wirkung, Berücksichtigung des zunehmenden Umweltbewußtseins der Bevölkerung). Im übrigen seien die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs der Bevölkerung in aller Regel eher bekannt als die des Nebenstrafrechts.
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Der Gesetzgeber habe auch nicht gegen den Gleichheitssatz verstoßen; die Strafbestimmung behandle alle vergleichbaren Tatbestände abstrakt gesehen gleich. Aus einer möglicherweise unterschiedlichen Einzelfallhandhabung könne nicht geschlossen werden, daß § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gebe es nicht. Daß die Frage der Strafbarkeit hier von einem gewissen Verwaltungsermessen abhängen könne, mache die Vorschrift nicht verfassungswidrig.
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IV. |
Der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht und der Generalbundesanwalt äußerten sich wie folgt:
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1. Der Bundesgerichtshof hat mitgeteilt, daß die Strafsenate mit Entscheidungen zu § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB noch nicht befaßt gewesen seien und solche Entscheidungen auch nicht anstünden. Zur Vereinbarkeit der Bestimmung mit dem Grundgesetz hat sich lediglich der Vorsitzende des 4. Strafsenats geäußert. Er teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken des Amtsgerichts Nördlingen nicht. Die Vorschrift sei hinreichend bestimmt. Es erscheine auch verfassungsrechtlich vertretbar, die Strafbarkeit eines Verhaltens an verwaltungsrechtliches Handeln anzuknüpfen. Hinsichtlich der behördlichen Duldung einer nicht genehmigten Anlage sei nur die - auch in anderen Zusammenhängen auftretende, strafrechtlich relevante - Frage aufzuwerfen, ob die (nachträgliche) Duldung eines an sich rechtswidrigen Zustandes die Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verhaltens entfallen lasse. Dies sei in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Allgemein sei dazu anzuführen, daß sich die Strafbarkeit eines Verhaltens danach richte, ob die Tat zur Tatzeit unter Strafe gestellt war. Demgegenüber bleibe der Wegfall der Strafbarkeit nach Abschluß eines Strafverfahrens - etwa weil nunmehr die Genehmigung erteilt wird - grundsätzlich ohne Bedeutung (vgl. BGHSt 32, 152 [157]).
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2. Das Bundesverwaltungsgericht - 7. Revisionssenat - hält die Vorlage - in ihrer ursprünglichen Fassung - für unzulässig. Das Amtsgericht kritisiere lediglich die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin zu § 20 Abs. 2 BImSchG. Im übrigen lege das vorlegende Gericht § 20 Abs. 2 BImSchG objektiv willkürlich aus. Diese Bestimmung ermächtige die zuständige Behörde (nur) zur Stillegung oder Beseitigung einer ohne die erforderliche Genehmigung errichteten Anlage und verpflichte sie in der Regel auch dazu. Die Verwaltungsbehörde habe danach aber nicht die Befugnis, das strafbare Betreiben einer Anlage ohne die erforderliche Genehmigung mittels einer Duldungsentscheidung tatsächlich und rechtlich zu erlauben, wie das Amtsgericht annehme. Nicht mehr nachvollziehbar sei auch die Auffassung des Amtsgerichts, "eine Entscheidung der zuständigen Verwaltung, eine Anlage sei nicht genehmigungsbedürftig", beseitige die Strafbarkeit gemäß § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB solange, wie "die Entscheidung rechtsbeständig, d. h. nicht aufgehoben oder überholt ist". Weder § 20 Abs. 2 BImSchG noch eine andere Vorschrift des Bundes- Immissionsschutzgesetzes ermächtigten die Verwaltungsbehörde, derartige feststellende Verwaltungsakte zu erlassen; die Frage nach der Genehmigungsbedürftigkeit einer Anlage sei vielmehr im Rahmen der Anwendung des § 20 Abs. 2 BImSchG nur eine Vorfrage, die von der Bindungswirkung eines auf diese Vorschrift gestützten Verwaltungsakts nicht umfaßt werde. Eine Verneinung dieser Vorfrage durch die Verwaltungsbehörde erlaube im Gegensatz zur Auffassung des Amtsgerichts nicht die Errichtung oder den Betrieb einer objektiv genehmigungsbedürftigen Anlage, könne allerdings - namentlich wenn es sich um schwierige Auslegungsfragen der Anwendung der Vorschriften der 4. BImSchV handle - auch für die strafrechtliche Würdigung des Verhaltens des Anlagenbetreibers erheblich sein, insbesondere für die subjektive Seite. Aus all diesen Gründen sehe der Senat auch keine gravierenden Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB.
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3. Der Generalbundesanwalt teilt im Ergebnis die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts.
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a) Die mittelbare gesetzliche Einflußnahme auf § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB durch § 20 Abs. 2 BImSchG könne dem Bundesverfassungsgericht nicht nach Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung unterbreitet werden. Der Zweck des Normenkontrollverfahrens bestehe auch nicht darin, andere Gerichte auf eine verfassungsgemäße Gesetzesauslegung zu verpflichten. Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Gerichten könnten zwar zu Rechtsunsicherheit und infolge ihrer Auswirkungen auf die innere Tatseite zeitweilig auch zu einer faktischen Einschränkung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes führen, seien aber nicht vom Bundesverfassungsgericht, sondern von den Instanzgerichten, letzten Endes vom Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe zu klären. Im übrigen schließe eine verwaltungsbehördliche Duldungsentscheidung die Bestrafung wegen nicht genehmigten Betreibens einer Anlage keineswegs aus. Eine Duldungsentscheidung der Verwaltung sei nur möglich, wenn bereits zuvor zumindest der objektive Tatbestand des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt gewesen sei.
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b) Die verfassungsrechtlichen Bedenken des vorlegenden Gerichts seien unbegründet. Die Anforderungen an Blankettstrafbestimmungen seien erfüllt. Die Anknüpfung an den Formalakt behördlicher Erlaubnis fördere die Bestimmbarkeit strafbaren Verhaltens. Die Strafvorschrift wende sich ebenso wie die Immissionsschutzbestimmungen an einen Kreis von Adressaten, der aufgrund seiner wirtschaftlichen Betätigung ohnedies regelmäßig mit den Besonderheiten der Materie vertraut sei. Mögliche, in der Natur gesetzgeberischer Grenzziehungen begründete Mängel, Fehlerquellen und Auslegungsdivergenzen ließen die Zulässigkeit eines Blanketts wie auch die Bestimmbarkeit der gesetzlichen Regelung unberührt. Bei Vorliegen einer behördlichen Duldungsentscheidung nach § 20 Abs. 2 BImSchG müsse den verwaltungsrechtlichen Erwägungen, die einerseits die konkreten Gefahren des weiteren Betriebs der nicht genehmigten Anlage und andererseits die volkswirtschaftlich unerwünschten Folgen einer Betriebseinstellung berücksichtigen müßten, Vorrang gegenüber der Erfüllung des abstrakten strafrechtlichen Gefährdungstatbestandes des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB eingeräumt werden. Ob dies strafrechtsdogmatisch durch den Ausschluß des Tatbestands oder möglicherweise unter Berücksichtigung des Rechtfertigungsgrunds behördlicher Duldung zu geschehen habe, sei für die verfassungsrechtliche Beurteilung ohne Bedeutung.
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B. |
Die Vorlage ist zulässig.
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Die vorgelegte Frage, ob § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als er das Betreiben einer genehmigungsbedürftigen Anlage im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ohne die nach diesem Gesetz erforderliche Genehmigung unter Strafe stellt, ist entscheidungserheblich (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Begründung des Vorlagebeschlusses in der nachträglich ergänzten und präzisierten Fassung des Beschlusses vom 28. Juli 1986 legt aufgrund der in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG entsprechenden Weise (vgl. BVerfGE 72, 91 [102] m.w.N.) dar, daß sich der Angeklagte nach der Überzeugung des Tatrichters im Ausgangsverfahren - die Verfassungsmäßigkeit des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB unterstellt - eines vorsätzlichen Vergehens nach der zur Prüfung gestellten Strafvorschrift schuldig gemacht hat und daß die Strafbarkeit nicht nachträglich durch die Neufassung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen entfallen ist (vgl. § 2 Abs. 3 StGB). Diese Auffassung des vorlegenden Gerichts ist nicht offensichtlich unhaltbar (vgl. BVerfGE 7, 171 [175]; 71, 81 [93]; 71, 255 [267]). Bei Nichtigkeit des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB käme allenfalls eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit in Betracht (Art. 13 a i.V.m. Art. 18 Abs. 2 Nr. 5 des Bayerischen Immissionsschutzgesetzes, BayRS 2129-1-1-U).
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Das Amtsgericht hält § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB für eine wegen Verstoßes gegen die an Strafbestimmungen zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen unzulässige Blankettstrafnorm und bringt somit in hinreichender Weise seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift zum Ausdruck (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
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C. |
Die verfassungsrechtlichen Bedenken des vorlegenden Gerichts sind unbegründet. § 327 Abs. 2 Nr. 1 genügt den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen (Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG); die Vorschrift entspricht dem Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 GG); sie verletzt nicht den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
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I. |
Die zur Prüfung gestellte Strafvorschrift ist hinreichend bestimmt.
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1. Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, daß eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Bedeutung dieser Verfassungsnorm erschöpft sich jedoch nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung. Art. 103 Abs. 2 GG enthält ein für die Gesetzgebung wesentliches Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie (BVerfGE 14, 174 [185]; 73, 206 [234]; st. Rspr.).
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Der Gesetzgeber ist danach bestimmten verfassungsrechtlichen Bindungen unterworfen:
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a) Art. 103 Abs. 2 GG enthält - neben dem hier nicht zu erörternden Rückwirkungsverbot - die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 41, 314 [319]; 47, 109 [120]; 55, 144 [152]). Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (vgl. z. B. BVerfGE 41, 314 [319]; 45, 346 [351]; 47, 109 [120]; 48, 48 [56]; 64, 389 [393 f.]). Art. 103 Abs. 2 GG hat insofern freiheitsgewährleistende Funktion. Andererseits soll sichergestellt werden, daß der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen (vgl. BVerfGE 47, 109 [120]).
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Prinzipiell muß der Normadressat mithin anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist; in Grenzfällen geht er dann, für ihn erkennbar, das Risiko einer Bestrafung ein. Beides ist nur möglich, wenn in erster Linie der für den Adressaten verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Straftatbestandes maßgebend ist. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Interpretation zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines Verhaltens, so kann dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen (vgl. BVerfGE 47, 109 [121, 124]; 64, 389 [393]).
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Wenn hiernach Strafvorschriften in der dargelegten Weise bestimmt sein müssen, so schließt dies nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, bei der Ausgestaltung der Straftatbestände der Vielfalt der zu erfassenden Sachverhalte Rechnung zu tragen. Es ist wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, daß in Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein konkretes Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht (vgl. z. B. BVerfGE 47, 109 [120 f.]; 48, 48 [56]; 55, 144 [152]).
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b) Eine Strafe kann nach Art. 103 Abs. 2 GG nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes oder aufgrund einer Rechtsverordnung verhängt werden, die im Rahmen einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß derart bestimmten gesetzlichen Ermächtigung ergangen ist. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe müssen für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Verordnung voraussehbar sein (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG; BVerfGE 14, 174 [185 f.]). Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG hat der Gesetzgeber beim Erlaß einer Strafvorschrift, die Freiheitsstrafe androht, mit hinreichender Deutlichkeit selbst zu bestimmen, was strafbar sein soll, und Art und Maß der Freiheitsstrafe im förmlichen Gesetz festzulegen. Wird der Straftatbestand eines Blankettstrafgesetzes durch ein anderes förmliches Gesetz ergänzt, kann bei der Normierung des Blankettstrafgesetzes auf die ausfüllende Norm verwiesen werden. Erfolgt die Ergänzung eines Blankettstrafgesetzes jedoch durch eine Rechtsverordnung, so genügt eine derartige Verweisung nicht; vielmehr müssen zugleich die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Strafe entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einer anderen gesetzlichen Vorschrift, auf die das Blankettstrafgesetz Bezug nimmt, hinreichend deutlich umschrieben werden. Dem Verordnungsgeber dürfen lediglich gewisse Spezifizierungen des Straftatbestandes überlassen werden. Dies ist vor allem gerechtfertigt, wenn wechselnde und mannigfaltige Einzelregelungen erforderlich werden können (vgl. BVerfGE 14, 174 [185 ff.]; 14, 245 [251]; 22, 21 [25]; 23, 265 [269]).
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c) Der Gesetzgeber muß die Strafbarkeitsvoraussetzungen allerdings um so genauer festlegen und präziser bestimmen, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist. Das Gebot der Bestimmtheit des Gesetzes darf indes auch dann nicht übersteigert werden; die Gesetze würden sonst zu starr und kasuistisch und könnten dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalles nicht mehr gerecht werden. Diese Gefahr läge nahe, wenn der Gesetzgeber stets jeden Straftatbestand bis ins letzte ausführen müßte (vgl. BVerfGE 14, 245 [251]; 48, 48 [56 f.]).
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2. § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB wird diesen Anforderungen gerecht. Die Strafvorschrift legt Art und Maß der Strafe fest und umschreibt, soweit vorliegend von Bedeutung, hinreichend bestimmt den Straftatbestand, der das Betreiben einer genehmigungsbedürftigen Anlage im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ohne die nach diesem Gesetz erforderliche Genehmigung erfassen soll.
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a) Welche Anlagen genehmigungspflichtig sind, regelt die Strafbestimmung zwar nicht selbst. Sie verweist hierfür aber ausdrücklich auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz, das als Bundesgesetz denselben Rang wie das Strafgesetzbuch einnimmt (vgl. Art. 74 Nr. 1 und 24, Art. 76 bis 78 GG). Art. 103 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 GG stehen einer solchen Normierungstechnik nicht entgegen (vgl. BVerfGE 14, 245 [252]). Das Ziel dieser Vorschriften der Verfassung, daß die grundsätzlichen Regelungen des Strafrechts in förmlichen Gesetzen getroffen werden müssen, wird auch hier erreicht. Es liegt in der Gestaltungsfreiheit des Bundesgesetzgebers, ob er Strafsanktionen für Verstöße gegen Bundesgesetze im jeweiligen Fachgesetz, d. h. im Nebenstrafrecht, oder etwa zur Betonung ihrer besonderen Bedeutung für das Wohl der Allgemeinheit (wie vorliegend) im Strafgesetzbuch vorsieht (vgl. BVerfGE 23, 113 [124 f.]; 23, 265 [269]). Die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens kann auch im letztgenannten Fall in verfassungsrechtlich ausreichender Weise erkannt werden, selbst wenn das strafbewehrte Verwaltungsrecht keinen (deklaratorischen) Hinweis auf die Strafbestimmung enthält. Die Kenntnis der Regelungen im Strafgesetzbuch, das die wesentlichen Straftatbestände zusammenfaßt, darf im allgemeinen erwartet werden. Darüber hinaus ist von Betreibern gewisser technischer Anlagen zu verlangen, daß sie über die einschlägigen Vorschriften unterrichtet sind. In Grenzfällen wird die strafrechtliche Irrtumsregelung angemessene Lösungen ermöglichen. Die Zielsetzung des Gesetzgebers, durch die Übernahme der Strafvorschriften zum Schutze der Umwelt in das Strafgesetzbuch die Rechtslage auf diesem Gebiet zu verdeutlichen und vor Augen zu führen, welches Gewicht Straftaten gegen die Umwelt haben, ist nach alledem nicht sachwidrig. Ob sich die gewählte Regelungstechnik hierfür besonders eignet oder ob es andere, bessere Möglichkeiten der Zweckerreichung gäbe, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen (vgl. BVerfGE 4, 144 [155]; 51, 257 [267 f.]; st. Rspr.).
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b) § 4 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 Satz 1 BImSchG legen in einer auch für die Anwendbarkeit des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB hinreichenden Weise die Voraussetzungen der Genehmigungspflicht fest.
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aa) § 4 Abs. 1 BImSchG normiert, den Anforderungen von Art. 103 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG entsprechend, Inhalt, Zweck und Ausmaß der der Bundesregierung erteilten Ermächtigung, nach Anhörung der beteiligten Kreise durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die genehmigungsbedürftigen Anlagen zu bestimmen. Diese Ermächtigungsnorm enthält zwar verschiedene Begriffe, die näherer Erläuterung bedürfen. Insoweit ist jedoch auf § 3 BImSchG zurückzugreifen, in dem eingehend definiert wird, was unter "Anlage", "schädlichen Umwelteinwirkungen" und "Luftverunreinigungen" zu verstehen ist. Eine zusätzliche Auslegungshilfe bietet § 1 BImSchG, der als Ziel und Zweck des Gesetzes festlegt, Menschen sowie Tiere, Pflanzen und andere Sachen vor schädlichen Umwelteinwirkungen und, soweit es sich um genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, auch vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, die auf andere Weise herbeigeführt werden, zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen.
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Unter den in diesen Regelungen verwendeten Begriffen sind zwar etliche, die ihre konkrete Bestimmtheit erst durch eine gefestigte Rechtsprechung erhalten; eine solche - vornehmlich verwaltungsgerichtliche - Rechtsprechung liegt aber auch vor, wie insbesondere zu den Begriffen der Gefahr, der Erheblichkeit von Nachteilen oder Belästigungen, der Allgemeinheit und der Nachbarschaft, die im Rahmen des Polizei- und Gewerberechts dadurch ihre konkrete Bestimmtheit gewonnen haben. Es kommt hinzu, daß die Verordnung über genehmigungspflichtige Anlagen eine umfängliche Auflistung genau bezeichneter genehmigungspflichtiger Anlagen enthält. Dadurch wird eine Präzisierung dieser Begriffe bewirkt, die den Normadressaten des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB eine verläßliche Information darüber erlaubt, ob eine Anlage, die sie zu errichten oder zu betreiben gedenken, der Genehmigungspflicht unterliegt.
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Daß diese Präzisierung im Rahmen einer Rechtsverordnung und nicht in einem förmlichen Gesetz erfolgt, unterliegt im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG keinen durchgreifenden Bedenken. Eine detaillierte Regelung dieser überwiegend technischen Fragen im Bundes-Immissionsschutzgesetz selbst würde das Gesetz starr und kasuistisch machen und die notwendige Anpassung an die raschem Fortschritt und Wandel unterworfene Naturwissenschaft und Technik erschweren; sie wird von der Verfassung nicht gefordert, zumal von den Normadressaten des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB in der Regel erwartet werden darf, daß sie aufgrund der für den Betrieb der betroffenen Anlagen erforderlichen Fachkenntnisse und der breiten Ökologiediskussion in der Öffentlichkeit die Bedeutung der von ihren Einrichtungen ausgehenden Emissionen für die Menschen und die Umwelt erkennen und sich in Zweifelsfällen hinsichtlich der Frage der Genehmigungsbedürftigkeit sachkundig machen (vgl. BVerfGE 48, 48 [57]).
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bb) Hinreichend bestimmt ist auch § 15 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Die von der Vorschrift erfaßten Änderungen sind wesentlich, wenn sie - bezogen auf die Schutzgüter der §§ 5 f. BImSchG - nach ihrer Art oder ihrem Umfang zu einer erneuten Prüfung Anlaß geben, d. h. wenn sie sozusagen die Genehmigungsfrage erneut aufwerfen; dies trifft zu, sobald jene Belange in rechtserheblicher Weise berührt sein können (BVerwG, BayVBl. 1977, S. 473 [474 f.]; DVBl. 1984, S. 1176 [1178]; BayVGH, BayVBl. 1984, S. 465; OVG Rheinland-Pfalz UPR 1986, S. 198). Bereits zu § 16 GewO a.F. war in der Rechtsprechung von jeher anerkannt, daß die Verpflichtung zur Einholung der Genehmigung für Veränderungen im Betrieb einer nach dieser Bestimmung genehmigungspflichtigen Anlage schon dann besteht, wenn die geplante Änderung von Einfluß auf die die Genehmigungspflicht begründenden Umstände sein konnte (BVerwGE 6, 294 [295]).
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II. |
§ 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB entspricht auch im übrigen den Anforderungen der Verfassung.
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1. Die Strafgerichte werden nicht unter Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 GG) an Entscheidungen der Verwaltung gebunden. Der Zweck des § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB, dem Betreiben genehmigungsbedürftiger Anlagen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ohne die erforderliche Genehmigung auch mit Mitteln des Strafrechts entgegenzuwirken, bedingt zwangsläufig eine enge Verzahnung von Strafrecht und Verwaltungsrecht. Die Pflicht des Strafrichters, erteilte Genehmigungen jedenfalls grundsätzlich als gegeben hinzunehmen, folgt bereits aus der Formulierung des gesetzlichen Tatbestandes. Allerdings können sich aufgrund der Eigengesetzlichkeiten und Regelungsziele des Verwaltungsrechts einerseits und des Strafrechts andererseits im Einzelfall für die Anwendung der Strafvorschrift Probleme stellen, so z. B. hinsichtlich der strafrechtlichen Auswirkungen einer erteilten, jedoch mit schweren Mängeln behafteten Genehmigung, hinsichtlich einer behördlichen Duldung einer nicht genehmigten Anlage nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG oder hinsichtlich solcher Verwaltungsentscheidungen, die mit vom Strafgericht für unzutreffend gehaltener Begründung bestimmte Anlagen als nicht genehmigungsbedürftig ausweisen. Derartige Auslegungsschwierigkeiten können und müssen jedoch von den Gerichten mit den im Strafrecht und Strafprozeßrecht zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bewältigt werden. Eine allgemeine Bindung der Strafgerichte an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und die in dieser vertretenen Rechtsansichten besteht, abgesehen von den Wirkungen der Rechtskraft (§ 121 VwGO), nicht (vgl. auch BVerfGE 22, 373 [379]; 68, 337 [345]). Die vom vorlegenden Gericht in Zweifel gezogene Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin zum Bundes-Immissionsschutzgesetz ist vom Bundesverfassungsgericht im Verfahren der Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit §§ 80 ff. BVerfGG nicht zu überprüfen (vgl. BVerfGE 22, 373 [378 f.]; 68, 337 [344 f.]; 70, 134 [137]). Etwaige entscheidungserhebliche Auslegungsdifferenzen zwischen den Strafgerichten einerseits und den Verwaltungsgerichten andererseits wären letztlich durch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu klären (Art. 95 Abs. 3 GG i.V.m. dem Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968, BGBl. I S. 661). Nach Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) steht darüber hinaus die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung, um mögliche Grundrechtsverletzungen beseitigen zu können.
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2. Auch im Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG bestehen gegen § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB keine Bedenken. Der Gesetzgeber kann die Gefahr unterschiedlicher behördlicher Entscheidungen nicht ausschließen. Beruht die abweichende Entscheidung verschiedener Behörden oder Gerichte zu denselben Rechtsvorschriften auf einer verschiedenartigen Rechtsauslegung, so liegt darin grundsätzlich noch keine Verletzung des Grundrechts der Gleichheit vor dem Gesetz (vgl. BVerfGE 1, 82 [85]; 1, 332 [345]; st. Rspr.). Selbst eine zweifelsfrei fehlerhafte Gesetzesanwendung begründet noch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Hinzukommen muß vielmehr, daß die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfGE 62, 189 [192] m.w.N.; 67, 90 [94]; 70, 93 [97]; Beschluß vom 13. Januar 1987 - 2 BvR 209/84 -, Umdruck S. 32).
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(gez.) Zeidler, Dr. Dr. h. c. Niebler, Steinberger, Träger, Mahrenholz, Böckenförde, Klein |
Richterin Graßhof ist an der Unterschrift verhindert. Zeidler |