BVerfGE 78, 331 - Nordhorn |
1. Eine frühere richterliche Befassung führt nur dann zum Ausschluß eines Richters nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG, wenn sie in dem dem verfassungsgerichtlichen Verfahren vorausgegangenen Verfahren (Ausgangsverfahren) erfolgte; demgegenüber betrifft § 18 BVerfGG nicht die Mitwirkung an einer Stellungnahme, die vom Bundesverfassungsgericht im verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst gemäß § 82 Abs. 4 BVerfGG, § 22 Abs. 3 GOBVerfG eingeholt worden ist. |
2. Der Normbereich des Art. 28 Abs. 2 GG wird durch Regelungen, die lediglich die Zuständigkeit für die Staatsaufsicht generell festlegen, ohne die Reichweite der Aufsicht zu erweitern, im allgemeinen nicht berührt. Dies kann erst dann der Fall sein, wenn die Änderung der Aufsichtszuständigkeit mit einer gewissen Zwangsläufigkeit bewirkt, daß die geführte Aufsicht selbst ihren Charakter ändert, insbesondere zu besorgen ist, daß die grundsätzlich nur zulässige Rechtsaufsicht sich zu einer "Einmischungsaufsicht" entwickelt oder zur Fachaufsicht verdichtet. Fachaufsicht verdichtet. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 21. Juni 1988 |
-- 2 BvR 602/83 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. der Stadt Nordhorn, vertreten durch den Stadtdirektor, Bahnhofstraße 24, Nordhorn, 2. der Stadt Peine, vertreten durch den Stadtdirektor, Kantstraße 5, Peine, 3. der Stadt Wolfenbüttel, vertreten durch den Stadtdirektor, Stadtmarkt 3, Wolfenbüttel, - Bevollmächtigter: Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Graf-Spee-Straße 18a, Kiel 1 - gegen Artikel I Nummer 27 Buchstabe a und Artikel II Nummer 18 Buchstabe b des Achten Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung vom 18. Februar 1982 (GVBl. S. 53) - 2 BvR 602/83 -, 4. der Stadt Stade, vertreten durch den Stadtdirektor, Rathaus, Stade, - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Felif Busse, Wolfgang Miessen und Prof. Dr. Raimund Wimmer, Oxfordstraße 10, Bonn - gegen Artikel I Nummer 27 Buchstaben a und c und Artikel II Nummer 18 Buchstabe b des Achten Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung vom 18. Februar 1982 (GVBl. S. 53) - 2 BvR 974/83 -. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen. |
Gründe: |
A. |
Die Beschwerdeführerinnen sind selbständige Gemeinden im Sinne von § 12 der Niedersächsischen Gemeindeordnung (NGO). Mit ihren Kommunalverfassungsbeschwerden wenden sie sich gegen Änderungen der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung (NLO), durch die die staatliche Aufsicht über sie von den Bezirksregierungen auf die Landkreise verlagert worden ist.
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1. Durch die Kreisordnung für die Provinz Hannover von 1884 (PrGS 1884, S. 181) wurden den im Jahre 1867 im Bereich des früheren Königreichs Hannover gebildeten Kreisen Aufsichtszuständigkeiten über kreisangehörige Gemeinden übertragen; ausgenommen wurden sogenannte selbständige Städte, die, wiewohl kreisangehörig, der Aufsicht der höheren staatlichen Behörden unterstellt blieben (§ 27 der Kreisordnung). Dieses "Aufsichtsprivileg" wurde durch die Reformvorschläge von 1909, 1917 und 1919/21 in Frage gestellt und durch das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz von 1933 (PrGS S. 427) beseitigt, durch die Niedersächsische Gemeindeordnung vom 4. März 1955 (GVBl. S. 55) jedoch wieder eingeführt. Die Gruppe der selbständigen Städte zeichnete sich hiernach durch das "Aufsichtsprivileg" sowie dadurch aus, daß ihnen bestimmte Aufgaben übertragen werden, die ansonsten die Landkreise wahrzunehmen hatten (§ 10 Abs. 2, § 11 Abs. 1, § 127 Abs. 2 und 3 NGO 1955).
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Durch Art. IV § 1 des Achten Gesetzes zur Verwaltungs- und Gebietsreform vom 28. Juni 1977 (GVBl. S. 233) wurden die selbständigen Städte in die Gruppen der großen selbständigen Städte und der selbständigen Gemeinden aufgeteilt; die großen selbständigen Städte hatten ihren Status nunmehr kraft Gesetzes und wurden in Fragen der äußeren Form (Amtsbezeichnung von Ratsvorsitzendem und Gemeindedirektor u.a.) weitgehend den kreisfreien Städten angeglichen. Schließlich wurde durch die angegriffenen Bestimmungen des Achten Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung vom 18. Februar 1982 (GVBl. S. 53) das "Aufsichtsprivileg" für die selbständigen Gemeinden erneut beseitigt; ihr Zuständigkeitsbereich blieb unverändert (vgl. § 12 Abs. 1 Sätze 3 und 4 NGO 1982). § 128 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 NGO in der Fassung dieses Änderungsgesetzes lautet:
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(1) ... Die Kommunalaufsicht über die kreisangehörigen Gemeinden mit Ausnahme der großen selbständigen Städte führen der Landkreis als Kommunalaufsichtsbehörde, die Bezirksregierung als obere Kommunalaufsichtsbehörde und der Minister des Innern als oberste Kommunalaufsichtsbehörde...
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(2) Ist in einer vom Landkreis als Kommunalaufsichtsbehörde zu entscheidenden Angelegenheit der Landkreis beteiligt, so tritt an seine Stelle die obere Kommunalaufsichtsbehörde; diese entscheidet auch darüber, ob die Voraussetzung für ihre Zuständigkeit gegeben ist.
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(3) Die Aufgaben der Fachaufsicht werden durch die zuständigen Behörden ausgeübt. Die den Landkreisen gegenüber den übrigen kreisangehörigen Gemeinden obliegende Fachaufsicht wird bei den großen selbständigen Städten von den Bezirksregierungen ausgeübt, soweit nicht Sonderbehörden zuständig sind. Die Landkreise führen, soweit nicht Sonderbehörden zuständig sind, die Fachaufsicht über die selbständigen Gemeinden auch bei der Erfüllung der nach § 12 Abs. 1 Satz 3 übertragenen Aufgaben...
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Für die Erfüllung der Aufgaben des Landkreises als Kommunal- und Fachaufsichtsbehörde ist der Oberkreisdirektor zuständig. Während er zuvor der Zustimmung des Kreisausschusses lediglich für die Versagung einer kommunalaufsichtlichen Genehmigung bedurfte, bestimmt § 57 Abs. 2 der Landkreisordnung in der Fassung des genannten Änderungsgesetzes:
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(2) Der Oberkreisdirektor erfüllt die Aufgaben des Landkreises als Kommunal- und Fachaufsichtsbehörde. Er bedarf der Zustimmung des Kreisausschusses bei Entscheidungen über 1. die Genehmigung von Gebietsänderungen oder die erforderlichen Bestimmungen, sofern ein Gebietsänderungsvertrag nicht zustande kommt (§ 19 NGO). 2. die Geltendmachung des Ersatzanspruchs im Falle des § 65 Abs. 3 NGO. 3. die Genehmigung, den Bestand des Stiftungsvermögens anzugreifen oder es anderweitig zu verwenden (§ 107 Abs. 2 NGO). 4. die Erteilung der Zulassungsverfügung zur Einleitung der Zwangsvollstreckung gegen eine Gemeinde wegen einer Geldforderung (§ 136 NGO) und in sonstigen Fällen, wenn er eine kommunalaufsichtliche Genehmigung versagen will. Wird die Zustimmung versagt, entscheidet die Aufsichtsbehörde. |
Die Änderungen traten am 1. Juli 1982 in Kraft.
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2. a) Die Beschwerdeführerinnen sind selbständige Gemeinden. Mit ihren am 20. April und am 20. Juni 1983 eingekommenen Verfassungsbeschwerden rügen sie eine Verletzung ihres Rechts auf Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.
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Ebenso wie die großen selbständigen Städte hätten sie bislang den Status einer selbständigen Stadt nach altem Recht genossen, wozu die Aufsichtszuständigkeit der staatlichen Mittelbehörde gehöre. Daß ihnen dieser Status entzogen werde, beeinträchtige schon den Kernbereich ihres Selbstverwaltungsrechts; denn dieser sei vornehmlich historisch zu bestimmen, und ihr Status sei mehr als 100 Jahre alt. Jedenfalls aber genüge die Neuregelung nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht auch an Gesetzesbestimmungen außerhalb des Kernbereichs gestellt habe. So seien die Beschwerdeführerinnen im Gesetzgebungsverfahren schon nicht förmlich angehört worden. Insbesondere aber lägen der Regelung nicht, wie erforderlich, Gründe des Gemeinwohls zugrunde; solche stünden ihr vielmehr entgegen, da die Landkreise infolge der ausgeprägten Konkurrenzsituation, die ihr Verhältnis zu den leistungsstarken selbständigen Gemeinden bestimme, die Aufsicht nicht sachgerecht und unvoreingenommen führen könnten. Dies trete zu dem allgemeinen Bedenken gegen eine Aufsichtsführung durch den Oberkreisdirektor, der von dem vielfach mit Gemeindevertretern besetzten Kreistag weitgehend persönlich abhängig und damit vielfachen Einflußnahmen durch konkurrierende Gemeinden im Kreis ausgesetzt sei, noch hinzu. Des weiteren sei auch der allgemeine Gleichheitssatz verletzt; die Regelung behandele durch die Gleichstellung der selbständigen Gemeinden mit kleineren kreisangehörigen Gemeinden statt mit den großen selbständigen Städten willkürlich Gleiches ungleich und Ungleiches gleich.
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Zu beanstanden sei schließlich, daß die Mitwirkungsbefugnisse des Kreisausschusses erweitert worden seien. Dieser sei ein Selbstverwaltungsorgan des Kreises, dessen (Zweckmäßigkeits-)Erwägungen nicht in die Aufsichtsführung als einer rein staatlichen Aufgabe einfließen dürften.
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b) Die Niedersächsische Landesregierung, das Bundesverwaltungsgericht, das Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein und der Niedersächsische Landkreistag halten die angegriffenen Regelungen für vereinbar mit der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung. Demgegenüber hält der Niedersächsische Städteverband die Einwände der Beschwerdeführerinnen für berechtigt.
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B. |
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Verfassungsbeschwerden unter Mitwirkung aller Richter des Zweiten Senats. Der Richter Franßen hat zwar an der Stellungnahme des Bundesverwaltungsgerichts mitgewirkt. Hierdurch ist er jedoch von der Ausübung seines Richteramtes im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ausgeschlossen. Eine frühere richterliche Befassung führt nur dann zum Ausschluß, wenn sie in dem dem verfassungsgerichtlichen Verfahren unmittelbar vorausgegangen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren (Ausgangsverfahren) erfolgte; demgegenüber ist die Mitwirkung an einer Stellungnahme, die vom Bundesverfassungsgericht im verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst gemäß § 82 Abs. 4 BVerfGG, § 22 Abs. 3 GOBVerfG eingeholt worden ist, im Rahmen von § 18 BVerfGG unschädlich. Ob die Mitwirkung an einer solchen Stellungnahme im Einzelfall geeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit des Richters nach § 19 BVerfGG zu begründen, ist eine weitere Frage und nach Maßgabe dieser Vorschrift zu entscheiden (vgl. dazu BVerfGE 30, 149 [154]).
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1. Für diese Auslegung spricht zunächst der -- entstehungsgeschichtlich gebotene -- Vergleich mit entsprechenden Vorschriften aus den fachgerichtlichen Verfahrensordnungen.
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a) Die beiden Vorschriften des § 18 Abs. 1 BVerfGG fassen in eigenständiger Formulierung aus anderen gerichtlichen Verfahrensordnungen bekannte Ausschließungsgründe zusammen, gehen sachlich aber nicht über diese hinaus. Die Begründung zu § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Regierungsentwurfs, der dem heutigen § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG entspricht, verweist auf die Verfahrensvorschriften der Verwaltungsgerichte (BRDrucks. 125/50), die ihrerseits auf § 41 (hier: Nrn. 4 und 6) ZPO Bezug nehmen und eine dem heutigen § 54 Abs. 2 VwGO entsprechende Vorschrift anfügen (vgl. die gleichlautenden §§ 17 der Gesetze über die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Länder in der amerikanischen Besatzungszone von 1946/47, § 38 der britischen MRVO Nr. 165 von 1948 sowie § 13 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht vom 23. September 1952 [BGBl. I S. 625]).
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Dieser historische Hintergrund zeigt, daß § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG drei Fallgruppen erfassen sollte: die Tätigkeit als Beteiligtenvertreter in sämtlichen Stadien des Verfahrens (vgl. § 41 Nr. 4 ZPO); die Tätigkeit als -- entscheidender -- Richter in früheren Rechtszügen, nicht dagegen auch im anhängigen Rechtszug (vgl. § 41 Nr. 6 ZPO; § 23 Abs. 1 StPO); schließlich die Tätigkeit in der Behörde im strafrechtlichen Ermittlungs- oder in dem dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangenen Verwaltungsverfahren (vgl. § 22 Nr. 4 StPO; § 54 Abs. 2 VwGO). Die Äußerung oberster Gerichtshöfe des Bundes (oder oberster Landesgerichte) nach § 82 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG stellt eine richterliche Tätigkeit dar und ist daher der zweitgenannten Fallgruppe zuzurechnen: Der um Stellungnahme ersuchte Richter wird nicht auf der Seite eines Beteiligten, sondern auf seiten des Gerichts tätig; er ist auch nicht der Exekutive, sondern der Dritten Gewalt zugeordnet. Dementsprechend regeln die Geschäftsverteilungspläne der obersten Bundesgerichte die Zuständigkeit zur Abgabe dieser Äußerung in gleicher Weise wie die Zuständigkeiten zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten (vgl. Bundesanzeiger 1988 Nr. 18 a S. 7, 16, 25).
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b) Nach dem Gehalt der Ausschlußregelungen in den Verfahrensordnungen der Fachgerichte, an die § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG anschließt, führt die richterliche Vorbefassung mit einer Sache keineswegs grundsätzlich, sondern nur dann zum Ausschluß, wenn sie in einem früheren Rechtszug erfolgt ist und eine Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung zum Inhalt hat. Nicht ausgeschlossen ist ein Richter, der sich bereits früher -- in anderen Verfahren -- zu einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage in bestimmter Weise geäußert hat. Selbst wenn er eine bestimmte Rechtsprechung ständig vertritt, ist er in einem Verfahren nicht ausgeschlossen, das gerade auf die Änderung dieser Rechtsprechung abzielt.
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Das deutsche Verfahrensrecht wird von der Auffassung getragen, daß der Richter auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat (vgl. BVerfGE 30, 149 [153 f.] m.w.N.). Mit Ausnahme des FGG schließen die fachgerichtlichen Verfahrensordnungen einen Richter dann aus, wenn er in einer unteren Instanz an einer Entscheidung mitgewirkt hat und diese in einer höheren Instanz überprüfen müßte. Dies folgt aus der Funktion des gerichtlichen Instanzenzugs: Die gesetzlich vorgesehene Überprüfung einer Entscheidung soll nicht zur Überprüfung einer eigenen Entscheidung werden. Demgegenüber ist ein Richter in der Sache dann nicht ausgeschlossen, wenn er etwa ein Versäumnisurteil in derselben Instanz erlassen oder an einer zurückverweisenden Rechtsmittelentscheidung mitgewirkt hat; ebensowenig schadet die frühere Mitwirkung als Ergänzungsrichter oder die Durchführung einer Beweisaufnahme in demselben oder einem früheren Rechtszug. Lediglich die Strafprozeßordnung erweitert aus Gründen der Rücksichtnahme auf die besondere Betroffenheit des Angeklagten die Ausschlußgründe im Wiederaufnahmeverfahren nach § 23 Abs. 2 StPO und hinsichtlich des Überwachungsrichters nach § 148 a Abs. 2 StPO (vgl. die Aufstellung bei Overhoff, Ausschluß und Ablehnung des Richters in den deutschen Verfahrensordnungen aus innerprozessualen Gründen, Diss. Münster 1975, S. 79 -- 166). Dies läßt jedoch den durchgehenden Sachgedanken unberührt.
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Dieser Grundsatz der fachgerichtlichen Verfahrensordnungen ist auf § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ausweislich des entstehungsgeschichtlichen Zusammenhangs zu übertragen: Ausschließend wirkt auch hier nur eine richterliche Tätigkeit, die im Ausgangsverfahren erfolgte und Gegenstand verfassungsrichterlicher Überprüfung ist. Das trifft für die gutachtliche Äußerung eines Richters gemäß § 82 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG nicht zu.
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2. Für diese Auslegung sprechen auch Sinn und Zweck des § 18 BVerfGG. Diese Vorschrift will ebenso wie die entsprechenden Bestimmungen der fachgerichtlichen Verfahrensordnungen die subjektive Unabhängigkeit des Richters garantieren, seine Offenheit und Unbefangenheit im Hinblick auf den zur Entscheidung anstehenden Fall. Deshalb schließt sie den Richter, der bereits in anderer Eigenschaft mit der Sache befaßt war oder in familiären Beziehungen zu den Beteiligten steht, vom Richteramt kraft Gesetzes aus. Dadurch soll die institutionell durch die persönliche und sachliche Unabhängigkeit des Richters gesicherte, nur Gesetz und Recht unterworfene Rechtsprechung gegen Voreingenommenheit oder spezifische Interessiertheit aus früherer Tätigkeit geschützt werden (vgl. auch F. Klein in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 18 Rdnr. 1).
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Während etwa bei einer Prozeßvertretung eine solche spezifische Interessiertheit wirksam ist und bei der Erarbeitung von Stellungnahmen einer beteiligten oder äußerungsberechtigten Regierung regelmäßig ein auch rechts- oder verfassungspolitisches Interesse mit im Spiel ist, unterliegt der unabhängige Richter der Verpflichtung zur Unbefangenheit und Unparteilichkeit. Im Hinblick darauf führt erst die Übernahme von Entscheidungsverantwortung im konkreten Rechtsstreit zu der Gefahr einer Vorfestlegung, die die Ausübung einer Kontrollfunktion als subjektiv unabhängiger Richter in derselben Sache auf höherer gerichtlicher Ebene regelmäßig ausschließt. Die Abgabe einer Äußerung nach § 82 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG erfordert aber gerade keine Übernahme von Entscheidungsverantwortung. Sie unterscheidet sich auch wesentlich von den Entscheidungsvorschlägen zu einem konkreten Rechtsstreit, wie sie historisch im Rahmen der Aktenversendung an die Rechtsfakultäten von diesen gegeben wurden.
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3. Nach alldem ist ein Richter des Bundesverfassungsgerichts, der vor seiner Wahl Richter an einem obersten Gerichtshof des Bundes gewesen ist und als solcher an einer Äußerung dieses Gerichtshofs gemäß § 82 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG mitgewirkt hat, von der Ausübung seines Richteramtes in dem betreffenden verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht ausgeschlossen. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat auf Anfrage erklärt, daß er an seiner in den Entscheidungen BVerfGE 51, 356 (361) und 53, 313 (323) geäußerten gegenteiligen Rechtsauffassung nicht festhalte.
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Die Entscheidung zu B. ist ohne Mitwirkung des Richters Franßen ergangen.
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C. -- I. |
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden sind zulässig: Sie richten sich gegen ein förmliches Gesetz, gegen das ein Rechtsweg nicht offensteht; durch die angegriffenen Regelungen werden die Beschwerdeführerinnen selbst, gegenwärtig und -- gemessen an den Erfordernissen für Kommunalverfassungsbeschwerden (BVerfGE 71, 25 [35 f.]) -- jedenfalls auch unmittelbar betroffen; es wird auch hinreichend dargetan, daß das Recht der Beschwerdeführerinnen auf Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 GG verletzt sein könnte.
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II. |
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht begründet, weil die nähere Prüfung ergibt, daß die angegriffene Gesetzesregelung, wird sie im Zusammenhang der für die Aufsicht geltenden Bestimmungen gesehen, den Normbereich des Art. 28 Abs. 2 GG nicht berührt.
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1. Die Beschwerdeführerinnen rügen zunächst eine unzulässige Schmälerung ihres "Status" als selbständige Gemeinde i.S. des § 12 NGO. Der einmal erreichte "Status" einer Gemeinde oder Gemeindegruppe untersteht jedoch als solcher nicht dem Schutz des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG; sonst geriete die Vorschrift zur Status-quo-Garantie. Der "Status" einer Gemeinde ist kein eigenständiger, aus sich heraus rechtliche Positionen begründender Rechtsbegriff, sondern nur eine zusammenfassende Bezeichnung für die Rechte und Pflichten, die sich aus den auf die jeweilige Gemeinde oder Gemeindegruppe anwendbaren Rechtsvorschriften ergeben. Wird behauptet, eine Gesetzesregelung beeinträchtige unzulässig den "Status" einer Gemeinde oder Gemeindegruppe, kommt es daher allein auf die Verfassungsmäßigkeit der jeweils geänderten konkreten Rechtsvorschrift an.
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2. Durch die angegriffene Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung wurde die staatliche Aufsicht (Rechtsaufsicht und Fachaufsicht) von den Bezirksregierungen auf die Landkreise übertragen. Der Normbereich des Art. 28 Abs. 2 GG kann durch Regelungen, die lediglich die Zuständigkeit für die Staatsaufsicht generell festlegen, ohne die Reichweite der Aufsicht zu erweitern, jedoch im allgemeinen nicht berührt werden. Auch für den vorliegenden Fall gilt nichts anderes.
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a) Die organisatorische Ausgestaltung der Staatsaufsicht über die Kommunen ist Sache staatlicher Binnenorganisationen und verbleibt mit ihren Wirkungen in aller Regel im Bereich des Staates. Die Kommunalaufsicht ist das verfassungsrechtlich gebotene Korrelat der Selbstverwaltung (vgl. BVerfGE 6, 104 [118]). Dies schließt freilich nicht aus, daß Regelungen über die Zuständigkeit für die staatliche Aufsicht über die bloße Zuständigkeitsverteilung hinausgehende Wirkungen entfalten und insofern den Rechtskreis der aufsichtsunterworfenen Körperschaften berühren. Hierfür genügt indessen nicht, daß die Änderung der Zuständigkeit zu einer ortsnäheren und dadurch möglicherweise gegenüber der Aufsicht des Regierungspräsidenten anders gearteten Aufsichtspraxis führt; denn es gibt kein rechtlich geschütztes Interesse an einer bestimmten Art der Wahrnehmung gegebener Aufsichtsbefugnisse. Die aufsichtsunterworfenen Körperschaften können erst dann in ihrem Rechtskreis betroffen sein, wenn die Änderung der Aufsichtszuständigkeit mit einer gewissen Zwangsläufigkeit bewirkt, daß die geführte Aufsicht selbst ihren Charakter ändert, insbesondere wenn zu besorgen ist, daß die grundsätzlich nur zulässige Rechtsaufsicht sich zu einer "Einmischungsaufsicht" entwickelt oder zur Fachaufsicht verdichtet.
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b) aa) Soweit durch die Änderung des § 128 Abs. 3 NGO die Fachaufsicht über die selbständigen Gemeinden auf die Landkreise verlagert wurde, könnte allenfalls der übertragene Wirkungskreis der Gemeinden berührt werden (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 3 NGO). Der Normbereich von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ist schon deshalb nicht betroffen. Zwar können auch in Ausübung der Fachaufsicht einzelne Aufsichtsmaßnahmen in den gemeindlichen Selbstverwaltungsbereich eingreifen, so wenn etwa detaillierte Weisungen über die Art der Durchführung einer Aufgabe die Organisationshoheit der Gemeinde beeinträchtigen. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, daß die gesetzliche Zuständigkeitsregelung selbst solche Einzelübergriffe intendiere.
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bb) Der Einwand der Beschwerdeführerinnen hat denn auch sein Schwergewicht in der Behauptung, die Übertragung der staatlichen Kommunalaufsicht über die selbständigen Gemeinden auf den Landkreis durch die Änderung des § 128 Abs. 1 NGO beeinträchtige das Recht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG; führe der Kreis die Aufsicht, sei hier -- anders als bei den staatlichen Mittelbehörden -- wegen des eigenen Selbstverwaltungsbereichs des Landkreises ein Konkurrenzverhältnis gerade zu den großen kreisangehörigen Gemeinden gegeben und eine stete Interessenkollision beim aufsichtsführenden Kreisorgan zu besorgen.
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Die gesetzliche Regelung führt jedoch nicht dazu, daß die von den Landkreisen geführte Kommunalaufsicht ihren Charakter ändert und Züge einer "Einmischungsaufsicht" annimmt oder sich gar zur Fachaufsicht verdichtet. Zwar sind in den einzelnen Sachbereichen durchaus Konkurrenzverhältnisse und Interessengegensätze denkbar; die normative Ausgestaltung der Kommunalaufsicht stellt jedoch eine hinreichende Vorkehrung dar, daß solche Gegebenheiten nicht zu einer Überschreitung der Grenzen einer bloßen Rechtsaufsicht führen:
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Auch für die Kommunalaufsicht gilt, daß sie -- wie jede Aufsicht -- die Gemeinden in ihren Rechten zu schützen hat und so gehandhabt werden soll, daß Entschlußkraft und Verantwortungsfreude der Gemeinden nicht beeinträchtigt werden (§ 127 Abs. 1 Sätze 1 und 3 NGO). Dies -- und nicht etwa eine Art Vormundschaft -- ist das sie dirigierende Prinzip. Für unmittelbare Kollisionsfälle hat schon das Gesetz selbst die Kommunalaufsicht auf die nächsthöhere Behördenebene -- in der Regel auf die staatliche Mittelbehörde -- verlagert (§ 128 Abs. 2 NGO). Der Oberkreisdirektor -- das für die Aufsichtsführung zuständige Organ des Landkreises (§ 57 Abs. 2 Satz 1 NLO) -- ist als Beamter in besonderer Weise auf die Wahrung von Gesetz und Recht verpflichtet (§ 55 Abs. 1 Satz 2 NLO; §§ 61, 64 NBG); von ihm ist zu erwarten, daß er die Grundsätze der Aufsichtsführung beachtet und zwischen gesetzlich gebotenem Handeln der Gemeinde, welches die Rechtsaufsicht allein zu sichern hat, und deren erlaubtem Handeln im Rahmen der Gesetze, das einer Beeinflussung im Wege der Rechtsaufsicht nicht zugänglich ist, deutlich zu unterscheiden weiß. Zudem ist seine Aufsichtsführung als Wahrnehmung einer stattlichen Aufgabe der Weisungsgewalt der höheren staatlichen Behörden unterworfen, die ihrerseits gehalten sind, auf eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Handhabung der Kommunalaufsicht zu achten. Schließlich stehen der Gemeinde gegen zu weitgehende Aufsichtsmaßnahmen Rechtsbehelfe zur Verfügung (vgl. § 133 Abs. 2 NGO, § 42 Abs. 2 VwGO), wodurch die Einhaltung der Grenzen der Aufsicht auch gerichtlich geschützt ist. Soweit die Beschwerdeführerinnen eine Ausdehnung der Reichweite der Aufsicht auf dem Wege einer ausufernden Handhabung unbestimmter Rechtsbegriffe -- etwa der Begriffe Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit bei der aufsichtsbehördlichen Genehmigung von Haushaltssatzungen (vgl. § 82 Abs. 2, § 86 NGO) -- befürchten, gilt nichts anders: Soweit unbestimmte Rechtsbegriffe Spielräume belassen, eröffnen sich diese den Gemeinden, nicht der Aufsichtsbehörde; im übrigen ist auch die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Rechtswege überprüfbar.
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Dann aber behält die durch den Landkreis geführte Kommunalaufsicht über die selbständigen Gemeinden nach den gegebenen gesetzlichen Regelungen den Charakter einer bloßen Rechtsaufsicht und wird daran wirksam festgehalten, so daß die gemeindliche Selbstverwaltung keine Beeinträchtigung erfährt; die niemals auszuschließende Möglichkeit, daß eine eingeräumte Befugnis auch rechtswidrig ausgeübt werden kann, macht nicht schon diese Befugnis selbst zu einer solchen Beeinträchtigung.
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3. Durch die angegriffene Änderung der Niedersächsischen Landkreisordnung wird der Normbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht berührt. Die durch die Änderung erweiterte Beteiligung des Kreisausschusses an Angelegenheiten der Kommunalaufsicht bedeutet keine Verschlechterung der Lage der aufsichtsunterworfenen Gemeinde, sondern im Gegenteil ausschließlich eine Verbesserung. Denn der Kreisausschuß könnte in keinem Fall eine aufsichtsbehördliche Genehmigung oder sonstige Maßnahmen blockieren; vielmehr bewirkt die Versagung einer gesetzlich erforderten Zustimmung des Kreisausschusses nur, daß die nächsthöhere Kommunalaufsichtsbehörde entscheidet (§ 57 Abs. 2 Satz 3 NLO). Die Mitwirkung des Kreisausschusses besitzt im Konfliktsfall mithin lediglich einen Devolutiveffekt und führt zur Entscheidung derjenigen staatlichen Mittelbehörde, deren Zuständigkeit die Beschwerdeführerinnen durch Beseitigung der angegriffenen Vorschriften selbst erreichen wollen.
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