BVerfGE 81, 138 - Erledigung der Hauptsache |
Zum Rechtsschutzbedürfnis bei Erledigung der Hauptsache im Verfassungsbeschwerdeverfahren. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 30. November 1989 |
-- 2 BvR 3/88 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn W... gegen a) den Beschluß des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 17. Dezember 1987 - l Vollz (Ws) 1/87 -, b) den Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 26. November 1987 - 5 AR Vollz 41/87 -, c) den Beschluß des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 23. Dezember 1986 - Vollz 73/86 -. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. |
Gründe: |
A. |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichtanrechnung von Arbeitszeiten in Untersuchungshaft auf das für die Freistellung von der Arbeitspflicht im Strafvollzug geforderte Arbeitsjahr (§ 42 Abs. 1 Satz 1 StVollzG).
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I. |
Der Beschwerdeführer befand sich vom 10. Januar 1981 bis 10. Februar 1988 ununterbrochen in Haft. Zunächst verbüßte er zwei Freiheitsstrafen. Vom 13. August 1985 bis zum 4. Februar 1986 war er sodann in Untersuchungshaft, die am 5. Februar 1986 in Strafhaft überging.
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Am 16. Juni 1986 beantragte der Beschwerdeführer, ihn gemäß § 42 StVollzG für 18 Werktage von der Arbeitspflicht freizustellen, weil er seit 1. Juli 1985 zunächst in Strafhaft, dann in Untersuchungshaft und zuletzt wieder in Strafhaft ein Jahr lang ununterbrochen gearbeitet habe. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt lehnte diesen Antrag ab, weil der Beschwerdeführer seit 5. Februar 1986, dem Tag des Übergangs der Untersuchungshaft in Strafhaft, noch nicht ein Jahr gearbeitet habe. Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies die Strafvollstreckungskammer als unbegründet zurück, weil die in Untersuchungshaft geleistete Arbeit nicht anrechenbar sei. Auf die Rechtsbeschwerde hin legte das Oberlandesgericht die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 GVG zur Entscheidung der Rechtsfrage vor, ob die Zeit, die der Gefangene in vorausgegangener Untersuchungshaft gearbeitet habe, bei der Entscheidung über die Freistellung von der Arbeitspflicht anzurechnen sei. Der Bundesgerichtshof beschloß, daß diese Zeit außer Betracht zu bleiben habe. Demgemäß verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als unbegründet.
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II. |
Mit seiner am 4. Januar 1988 eingegangenen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, durch die Nichtberücksichtigung der in Untersuchungshaft verbrachten Arbeitszeit in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt zu sein.
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Am 10. Februar 1988 ist der Beschwerdeführer nach vollständiger Verbüßung seiner Strafe aus der Justizvollzugsanstalt in Freiheit entlassen worden.
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Zur Verfassungsbeschwerde hat sich namens der Bundesregierung der Bundesminister der Justiz geäußert. Er hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zulässig.
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I. |
Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, daß ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes oder - in bestimmten Fällen - jedenfalls für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit besteht. Dieses Rechtsschutzbedürfnis muß noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegeben sei (vgl. BVerfGE 21, 139 [143]; 30, 54 [58]; 33, 247 [253]; 50, 244 [247]; 56, 99 [106]; 72, 1 [5]). Dabei hat das Bundesverfassungsgericht im Falle der Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens die entscheidenden Kriterien für das Fortbestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses darin gesehen, daß entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint oder eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 33, 247 [257 f.]; 69, 161 [168]). Das Bundesverfassungsgericht ist in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße vom Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses auch dann ausgegangen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte. Der Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers würde sonst in unzumutbarer Weise verkürzt (vgl. BVerfGE 34, 165 [180]; 41, 29 [43]; 49, 24 [51 f.]). Der Umstand, daß die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht oft außerstande sind, schwierige Fragen in kurzer Zeit zu entscheiden, darf nicht dazu führen, daß eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird (vgl. BVerfGE 74, 163 [172 f.]; 76, 1 [38 f.]).
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II. |
Für die Verfassungsbeschwerde besteht kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.
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1. Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Begehren hat sich erledigt, weil der Beschwerdeführer nach Verbüßung seiner Strafe aus der Haft entlassen worden und seine Freistellung von der Arbeitspflicht deshalb nicht mehr möglich ist.
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2. Die Voraussetzungen, unter denen das Rechtsschutzbedürfnis trotz Erledigung des verfolgten Begehrens fortbesteht, liegen nicht vor. Aus der mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG gerügten Auslegung des § 42 Abs. 1 StVollzG folgte für den Beschwerdeführer zwar, daß er bis zur vollständigen Strafverbüßung am 10. Februar 1988 nicht noch ein weiteres Mal für volle 18 Tage gemäß § 42 StVollzG seine Freistellung von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts erwirken konnte. Doch liegt darin, sollte die Rüge berechtigt sein, kein Grundrechtseingriff, der in seinen Auswirkungen für den Beschwerdeführer besonders belastend erscheint. Unter diesen Umständen bedarf es keiner Prüfung mehr, ob die Verfassungsbeschwerde Anlaß zur Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung geben könnte.
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Ein Rechtsschutzbedürfnis ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Gefahr einer Wiederholung der beanstandeten Maßnahme begründet, weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit, der Beschwerdeführer könnte in Strafhaft erneut unter vergleichbaren tatsächlichen Voraussetzungen um seine Freistellung von der Arbeitspflicht nachsuchen, hierfür nicht genügt.
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C. |
Diese Entscheidung ist mit sechs zu zwei Stimmen ergangen.
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(gez.) Mahrenholz Böckenförde Klein Graßhof Kruis Franßen Kirchhof Winter |