BVerfGE 84, 168 - Sorgerecht für nichteheliche Kinder |
1. Es verstößt gegen Art. 6 Abs. 2 GG, daß die gemeinsameAusübung der elterlichen Sorge durch den Vater und die Mutter eines nichtehelichen Kindes nach dessen Ehelicherklärung selbst dann von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist, wenn die Eltern mit dem Kind zusammenleben, beide bereit und in der Lage sind, die elterliche Verantwortung gemeinsam zu übernehmen, und dies dem Kindeswohl entspricht. |
2. Mit Art. 6 Abs. 5 GG ist es nicht vereinbar, die mit der Ehelicherklärung verbundenen rechtlichen Vorteile nichtehelichen Kindern, welche mit Mutter und Vater zusammenleben und von beiden Eltern betreut werden, entweder zu verweigern oder nur mit der Rechtsfolge zu ermöglichen, daß die Mutter das Recht und die Pflicht zur Ausübung der elterlichen Sorge verliert. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 7. Mai 1991 |
-1 BvL 32/88- |
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 1738 Abs.1 BGB in der Fassung des Artikels 9 § 2 Nummer 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1979 ( BGBl. I S. 1061 ) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 16. September 1988 ( 113 X K 15575) mit Ergänzungsbeschluß vom 6. Juni 1989 ( 112 VIII K 15575) -. |
Entscheidungsformel: |
§ 1738 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der Fassung des Artikels 9 § 2 Nummer 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1979 (Bundesgesetzbl. I Seite 1061) ist insoweit mit Artikel 6 Absatz 2 und 5 des Grundgesetzes unvereinbar, als die Mutter das Recht und die Pflicht, die elterliche Sorge auszuüben, auch in den Fällen verliert, in denen Vater und Muter mit dem Kind zusammenleben, beide die Ehelicherklärung mit der Maßgabe anstreben, daß das Sorgerecht ihnen gemeinsam zustehen soll, und diese Sorgerechtsregelung dem Kindeswohl entspricht. |
Gründe: |
A. |
Die Vorlage betrifft die Verfassungsmäßigkeit des § 1738 Abs. 1 BGB, nach dem die Mutter eines nichtehelichen Kindes das Recht und die Pflicht zur Ausübung der elterlichen Sorge ausnahmslos verliert, wenn das Kind für ehelich erklärt wird.
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I. |
1. Bis zur Reform des Nichtehelichenrechts galten das nichteheliche Kind und sein Vater als nicht verwandt (§ 1589 Abs. 2 BGB). Der Mutter stand zunächst nur die Personensorge für das Kind zu, das unter Vormundschaft stand. Ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Kind und dem Vater konnte - außer durch Eheschließung der Eltern oder Adoption des Kindes durch den Vater - durch die Ehelichkeitserklärung begründet werden. Mit der Ehelichkeitserklärung, die auf Antrag des Vaters erfolgte und als Gnadenakt ausgestaltet war, verlor die Mutter das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen.
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Erste wesentliche Änderungen brachte das Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz) vom 11. August 1961 (BGBl. I S. 1221), das der Mutter die Möglichkeit eröffnete, die Übertragung der elterlichen Gewalt auf sie zu beantragen, für die Ehelichkeitserklärung die Zuständigkeit der Vormundschaftsgerichte begründete und die materiellen Voraussetzungen näher regelte.
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2. Das Gesetz über die rechtliche Stellung des nichtehelichen Kindes vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1243) - im folgenden: Nichtehelichengesetz (NEG) - gestaltete die familienrechtlichen Beziehungen zwischen dem nichtehelichen Kind und seiner Mutter sowie seinem Vater grundlegend neu. Die Vorschriften über das Sorgerecht wurden durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. Juli 1979 (BGBl. I S. 1061) noch insoweit geändert, als der Begriff "elterliche Gewalt" durch den Begriff "elterliche Sorge" ersetzt wurde.
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a) Nach § 1705 BGB steht jetzt die elterliche Sorge für das nichteheliche Kind der Mutter zu. Für die in § 1706 BGB aufgeführten Angelegenheiten ist eine Amtspflegschaft vorgesehen, die jedoch auf Antrag der Mutter eingeschränkt oder aufgehoben werden kann (§ 1707 BGB).
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§ 1589 Abs. 2 BGB wurde gestrichen. Die sich aus der Verwandtschaft zwischen Kind und Vater ergebenden Rechtsfolgen sind zum Teil besonders geregelt. So bestehen Sonderregelungen für den Unterhalt in den §§ 1615 b ff. BGB und für das Erbrecht in den §§ 1934 a bis 1934 e BGB. Dabei wird überwiegend nicht danach unterschieden, ob das Kind mit seinem Vater zusammenlebt; nur § 1615 f Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BGB mißt diesem Umstand für die Unterhaltspflicht Bedeutung zu. Eine Beteiligung des Vaters an der elterlichen Sorge ist nicht vorgesehen. Auch die Möglichkeit, dem Vater die elterliche Sorge gesondert zu übertragen, besteht nicht. Er hat jedoch weiterhin die Möglichkeit, das Kind für ehelich erklären zu lassen.
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Bei der Neuregelung im Nichtehelichengesetz ging der Gesetzgeber davon aus, daß eine eindeutige, feste und dauernde Zuordnung des nichtehelichen Kindes zu einem Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspreche. Die elterliche Gewalt könne nicht beiden Eltern gemeinsam zustehen, da diese in den meisten Fällen nicht, in den übrigen Fällen häufig nur vorübergehend zusammenlebten. Nach der Natur der Sache komme allein eine feste und dauernde Zuordnung zur Mutter in Betracht, weil Mutter und Kleinkind körperlich und seelisch einander zugeordnet seien. Die Mutter müsse daher den Vorrang vor dem Vater haben; die Bande zwischen Mutter und Kind sollten auch später nicht durch einen Wechsel zerrissen werden. Die Erlangung der elterlichen Gewalt durch den Vater sei nur in besonderen Fällen zuzulassen. Die Ehelicherklärung habe gegenüber einer schlichten Übertragung der elterlichen Gewalt auf den Vater den Vorzug, daß das Kind eine neue fest umrissene und gesicherte Rechtsstellung erhalte, zu der unter anderem auch das volle Erb- und Pflichtteilsrecht im Verhältnis zum Vater gehöre. Die Möglichkeit, dem Vater die elterliche Gewalt gesondert zu übertragen, werde daneben nicht vorgesehen, weil dem Wohle des Kindes eine feste Zuordnung zur Familie der Mutter oder der des Vaters am besten diene (vgl. BTDrucks. V/2370, S. 63).
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b) Das Institut der Ehelichkeitserklärung wurde unter der Bezeichnung "Ehelicherklärung" modifiziert. Nach § 1723 BGB n.F. ist ein nichteheliches Kind auf Antrag seines Vaters für ehelich zu erklären, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht und keine schwerwiegenden Gründe entgegenstehen. Neben der Einwilligung des Kindes ist, sofern das Kind minderjährig ist, die Einwilligung der Mutter erforderlich (§ 1726 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Antrag des Vaters bedarf ebenso wie die Einwilligung der Mutter und des Kindes der notariellen Beurkundung (§ 1730 BGB). Mit der Ehelicherklärung erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes (§ 1736 BGB). Es erhält den Familiennamen des Vaters (§ 1737 BGB). Der Vater ist dem Kind und dessen Abkömmlingen vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet (§ 1739 BGB).
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Nach § 1738 Abs. 1 BGB verliert die Mutter das Recht und die Pflicht, die elterliche Sorge auszuüben. Ihr kann dieses Recht vom Vormundschaftsgericht nach § 1738 Abs. 2 BGB zurückübertragen werden, wenn die elterliche Sorge des Vaters endigt oder ruht oder dem Vater die Sorge für die Person des Kindes entzogen ist. Auch diese Regelung gründet sich auf die Annahme, daß eine eindeutige, feste und dauernde Zuordnung des Kindes zu einem Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspreche. Da der Vater mit der Ehelicherklärung nach § 1736 in Verbindung mit § 1626 BGB die elterliche Gewalt erlange, müsse die Mutter in Anlehnung an die bisherige Regelung das Recht und die Pflicht verlieren, die elterliche Gewalt auszuüben. Die Möglichkeit, daß die Mutter auch nach der Ehelicherklärung die alleinige elterliche Gewalt behalte, sei nicht vorgesehen, weil sie unerwünschte Entwicklungen zur Folge haben könnte. So könnte, wenn man eine solche Regelung zuließe, die Ehelicherklärung von Kindern gefördert werden, deren Eltern unverheiratet zusammenleben; eine Begünstigung von Konkubinaten wäre aber mit dem Schutz von Ehe und Familie unvereinbar (BTDrucks. V/2370, S. 75).
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Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, die für das Verfahren von Bedeutung sind, lauten in ihrer jetzigen Fassung:
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§ 1723
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Ein nichteheliches Kind ist auf Antrag seines Vaters vom Vormundschaftsgericht für ehelich zu erklären, wenn die Ehelicherklärung dem Wohle des Kindes entspricht und ihr keine schwerwiegenden Gründe entgegenstehen.
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§ 1738
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(1) Mit der Ehelicherklärung verliert die Mutter das Recht und die Pflicht, die elterliche Sorge auszuüben.
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(2) Das Vormundschaftsgericht kann der Mutter die Ausübung der elterlichen Sorge zurückübertragen, wenn die elterliche Sorge des Vaters endigt oder ruht oder wenn dem Vater die Sorge für die Person des Kindes entzogen ist.
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II. |
1. Im Ausgangsverfahren geht es um die Ehelicherklärung eines im November 1979 geborenen nichtehelichen Kindes, dessen Eltern seit Anfang 1979 zusammenleben und das Kind seit seiner Geburt gemeinsam betreuen und erziehen. Der Vater erkannte die Vaterschaft im Januar 1980 an; im April desselben Jahres wurde die Amtspflegschaft auf Antrag der Mutter aufgehoben. 1988 erteilte der Vater dem Kind nach § 1618 Abs. 1 BGB seinen Namen.
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Mit notarieller Urkunde vom 31. Mai 1988 beantragte der Vater, das Kind mit der Maßgabe für ehelich zu erklären, daß ihm und der Mutter die elterliche Sorge gemeinsam übertragen wird. In derselben Urkunde erklärte die Mutter im eigenen Namen und als gesetzliche Vertreterin des Kindes ihre Einwilligung in die Ehelicherklärung mit der beantragten Rechtsfolge. Das für die Stellungnahme nach § 48 a JWG zuständige Amt für Soziale Dienste vertrat die Auffassung, daß eine Ehelicherklärung dem Wohl des Kindes nur dann zuträglich wäre, wenn die Eltern die Sorge gemeinsam erhielten.
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2. Das Vormundschaftsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 1738 Abs. 1 BGB verfassungswidrig sei.
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a) Die Entscheidung über den Antrag auf Ehelicherklärung hänge von der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift ab. Die von beiden Elternteilen beantragte Rechtsfolge, daß dem Vater und der Mutter die elterliche Sorge gemeinsam übertragen werde, sei im geltenden Recht nicht vorgesehen. Das Wohl des Kindes sei hier aber nur dann gewährleistet, wenn das Sorgerecht antragsgemäß - entgegen § 1738 Abs. 1 BGB - beiden Elternteilen gemeinsam übertragen werde. Wenn die Mutter das Recht zur Ausübung der elterlichen Sorge als Folge der Ehelicherklärung verliere, bestehe die Gefahr, daß die für das Kindeswohl wesentliche Kontinuität in der Wahrung seiner Belange verlorengehe.
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b) § 1738 Abs. 1 BGB sei mit Art. 6 Abs. 2 und 5 GG, aber auch mit Absatz 1 und 4 dieser Norm sowie mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
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Es verstoße gegen das Elternrecht, wenn der Gesetzgeber die Ehelicherklärung nur mit der Folge zulasse, daß die Mutter ohne Rücksicht auf ihre Bereitschaft und Fähigkeit, weiterhin Verantwortung für das Kind zu tragen, das Recht zur Ausübung der elterlichen Sorge verliere. Mit dieser zwingenden Rechtsfolge überschreite der Staat sein Wächteramt nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG und verstoße gegen den Grundsatz, daß für Einschränkungen des Elternrechts das Wohl des Kindes den Richtpunkt bilde. Der Gesetzgeber, der offenbar mit der Ausgestaltung der Rechtsfolgen der Ehelicherklärung auch das Ziel verfolge, jede Förderung eines eheähnlichen Zusammenlebens der Eltern zu vermeiden, nehme damit den rechtlichen Verlust des mütterlichen Elternteils in Kauf, obwohl gerade die Gemeinschaft des Kindes mit beiden verantwortungsbewußten Elternteilen Voraussetzung für eine möglichst günstige Entwicklung des Kindes sei. Im Interesse des Kindeswohls müsse die Möglichkeit geschaffen werden, daß Vater und Mutter nach der Ehelicherklärung das Sorgerecht gemeinsam ausüben, wenn sie mit dem Kind zusammenleben und geeignet und gewillt sind, gemeinsam die elterliche Verantwortung zu tragen.
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Die in § 1738 Abs. 1 BGB zwingend vorgeschriebene Rechtsfolge lasse sich nicht mit der Erwägung rechtfertigen, daß die Zuordnung zu einem Elternteil das nichteheliche Kind vor der Folgenlosigkeit einer Trennung seiner Eltern schütze und deshalb dem Kindeswohl diene. Die besondere Schutzbedürftigkeit des nichtehelichen Kindes im Falle der Trennung seiner Eltern ergebe sich erst daraus, daß der Gesetzgeber keine Folgen an die Trennung knüpfe. Im übrigen könne die Gefahr einer folgenlos möglichen Trennung die einseitige Zuordnung des Kindes zu nur einem Elternteil während des harmonischen Zusammenlebens der Eltern nicht rechtfertigen.
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Der Auffassung, daß die Regelung in § 1738 Abs. 1 BGB verfassungswidrig sei, soweit sie Fälle dieser Art erfasse, lasse sich auch nicht entgegenhalten, daß in diesen Fällen die Ehelicherklärung nach § 1723 BGB abzulehnen sei, weil sie dem Kindeswohl nicht entspreche. Die Unvereinbarkeit mit dem Kindeswohl ergebe sich hier allein aus der vom Gesetzgeber in § 1738 Abs. 1 BGB ausnahmslos angeordneten Rechtsfolge, während die Ehelicherklärung als solche dem Kind rechtliche Vorteile bringe. Deshalb müsse dem Kindeswohl nicht durch ein Absehen von der Ehelicherklärung, sondern durch Verzicht auf die rigide Rechtsfolge Rechnung getragen werden.
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Der aus Art. 6 Abs. 5 GG folgende Regelungsauftrag verpflichte den Gesetzgeber, Änderungen der Verhältnisse Rechnung zu tragen. Seit der Verabschiedung des Nichtehelichengesetzes sei die Zahl der nichtehelichen Kinder, die mit ihren Eltern in fester Lebensgemeinschaft zusammenleben, erheblich gestiegen. Eine in der Vergangenheit möglicherweise noch ausreichende Regelung sei durch diese Entwicklung unzureichend und verfassungswidrig geworden. Die ausschließliche Zuordnung des Kindes zum Vater sei mit dem Gebot, für nichteheliche Kinder die gleichen Bedingungen zu schaffen wie für eheliche, nicht vereinbar. Der Gesetzgeber versage den für ehelich erklärten Kindern den Schutz, den er ehelichen Kindern gewähre. Das gelte insbesondere für den Fall einer Auflösung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Zur Gleichstellung der für ehelich erklärten und der ehelich geborenen Kinder sei es erforderlich, zum Wohl des Kindes die Möglichkeit vorzusehen, bei einer Trennung seiner Eltern eine Entscheidung zwischen Vater und Mutter zu treffen, ohne daß auf die Voraussetzungen des § 1666 BGB zurückgegriffen werden müsse.
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Die zur Prüfung gestellte Vorschrift versage auch der Mutter des nichtehelichen Kindes den nach Art. 6 Abs. 4 GG gebotenen Schutz. Der Schutzpflicht sei nicht schon dadurch genügt, daß die Ehelicherklärung nur mit Einwilligung der Mutter erfolgen könne; denn diese befinde sich in einer Konfliktsituation. Da die Ehelicherklärung dem Kind auch heute noch eine erhebliche gesellschaftliche und rechtliche Besserstellung verschaffe, müsse die Mutter zwischen dem Kindeswohl und ihrem eigenen Interesse daran, das Recht zur Ausübung der elterlichen Sorge zu behalten, "wählen". Schon die Herbeiführung dieser Konfliktsituation durch den Gesetzgeber verstoße gegen Art. 6 Abs. 4 GG.
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§ 1738 Abs. 1 BGB verletze auch das Persönlichkeitsrecht des Kindes, weil das Kindeswohl aus Gründen eines falsch verstandenen Ehe- und Familienschutzes vernachlässigt werde. Außerdem sei eine mittelbare Eheförderung zu Lasten der Familie mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar.
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c) Die Verfassungswidrigkeit des § 1738 Abs. 1 BGB führe zu einer planwidrigen Lücke, die durch Analogie zu § 1671 BGB zu schließen sei. Da der Gesetzgeber von einem Sorgerechtswechsel ausgegangen sei, müsse im Rahmen der Ehelicherklärung vom Vormundschaftsgericht eine Sorgerechtsregelung getroffen werden. Die Übertragung des gemeinsamen Sorgerechts in analoger Anwendung des § 1671 BGB ermögliche auch im Falle der späteren Auflösung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine dem Kindeswohl entsprechende Regelung, weil in analoger Anwendung des § 1696 Abs. 1 BGB eine Änderung auf Antrag eines Elternteils möglich sei.
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III. |
1. Der Bundesminister der Justiz, der sich namens der Bundesregierung geäußert hat, hält § 1738 Abs. 1 BGB für verfassungsgemäß. Der mit der Ehelicherklärung verbundene Übergang des elterlichen Sorgerechts von der Mutter auf den Vater halte sich innerhalb der Grenzen, die der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers durch Art. 6 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 5 GG gezogen seien.
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Bei der Ausgestaltung der elterlichen Sorge für das nichteheliche Kind müsse der Gesetzgeber die sich aus Art. 6 Abs. 2 GG ergebenden Grundrechtspositionen von Mutter und Vater ausgleichen. Durch die Regelung der Verhältnisse der Eltern untereinander werde der Vorrang des elterlichen Erziehungsrechts gegenüber dem Staat nicht angetastet; der Gesetzgeber sei daher nicht an die strengen Voraussetzungen gebunden, die für einen Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht vorliegen müßten. Der Übergang des elterlichen Sorgerechts auf den Vater sei Ausdruck seiner - durch die Ehelicherklärung begründeten - alleinigen ehelichen Elternschaft. Verstehe man die Ehelicherklärung als im Interesse des Kindes auf den Wechsel der elterlichen Sorgerechtszuständigkeit hin "angelegt", so komme eine Ausweitung auf Fälle, in denen der Sorgerechtswechsel kindeswohlwidrig sei, nicht in Betracht. Dem Kind werde dann zwar der Rechtsstatus der Ehelichkeit vorenthalten; die Verfassung verpflichte den Gesetzgeber aber nicht, dem nichtehelichen Kind diesen Status zu verschaffen.
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Der in § 1738 Abs. 1 BGB geregelte Übergang der elterlichen Sorge auf den Vater bewirke im Interesse des Kindes eine eindeutige rechtliche Zuordnung. Lebten die Eltern zusammen, könne die Mutter dem Kind die mütterliche Zuwendung auch nach der Ehelicherklärung vermitteln. Das verbleibende rechtliche Defizit stehe in Einklang damit, daß sich die Eltern gegen eine rechtsverbindliche Ausgestaltung ihrer Beziehung entschieden hätten. Die rechtliche Folgenlosigkeit eines Scheiterns der Verbindung begründe eine besondere Schutzbedürftigkeit für das Kind, das nicht Hauptleidtragender der Trennung seiner Eltern werden solle.
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Der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Regelungen über ein gemeinsames Sorgerecht nichtehelicher Eltern zu schaffen und dabei auch die Möglichkeit einer Trennung zu berücksichtigen. Im übrigen könnte das Ziel, den Eltern eines nichtehelichen Kindes ein gemeinsames Sorgerecht zu gewähren, auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Dabei komme dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsraum zu; er könne insbesondere auch auf die Gesamtsystematik des Kindschaftsrechts Bedacht nehmen. Selbst nach Einführung einer gemeinsamen elterlichen Sorge bliebe für das Institut der Ehelicherklärung in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung ein Anwendungsbereich. Da das gemeinsame Sorgerecht somit keineswegs gerade als Rechtsfolge der Ehelicherklärung vorgesehen werden müßte, könne das Fehlen einer solchen Möglichkeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Ausgestaltung der Ehelicherklärung führen.
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2. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat eine Äußerung des für Familiensachen zuständigen Senats übermittelt. Darin wird zu der Vorlagefrage angemerkt, die Ehelicherklärung verschaffe dem Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes seines Vaters. Das sei eine Rechtswohltat, die durch Art. 6 Abs. 5 GG nicht unbedingt geboten sein dürfte. Schon deshalb erscheine die Auffassung, die Ehelicherklärung müsse von Verfassungs wegen zusätzlich so ausgestaltet werden, daß für das Kind beide Eltern sorgeberechtigt seien, wenig überzeugend. Die Frage, ob es mit Art. 6 Abs. 5 GG vereinbar sei, daß das geltende Recht unverheirateten Eltern keine Möglichkeit eröffne, gemeinsam die elterliche Sorge für ihr Kind zu erhalten, sei wohl nicht Gegenstand des Verfahrens.
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B. |
Die Vorlage ist zulässig.
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I. |
Ihrer Zulässigkeit steht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 1981 (BVerfGE 56, 363) nicht entgegen. Darin wird zwar die Vereinbarkeit von § 1705 BGB mit dem Grundgesetz bejaht, weil der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verpflichtet gewesen sei, im Bereich der elterlichen Sorge für das nichteheliche Kind differenzierende Regelungen zu schaffen. Dieses Urteil bezieht sich aber nicht auf die hier zur Prüfung gestellte Norm, die den Verlust des mütterlichen Sorgerechts als Folge der Ehelicherklärung betrifft, und schließt eine Sachprüfung des § 1738 Abs. 1 BGB nicht aus (vgl. BVerfGE 79, 256 [264]).
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II. |
Der Vorlagebeschluß genügt den Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG. Aus den Gründen des Beschlusses ergibt sich, daß entgegen dem Wortlaut des Tenors § 1738 Abs. 1 BGB nicht insgesamt zur Prüfung gestellt ist. Das Gericht hat die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift nur insoweit verneint, als die Mutter auch dann das Recht und die Pflicht zur Ausübung der elterlichen Sorge verliert, wenn sie mit dem Vater zusammenlebt und bereit und in der Lage ist, die Elternverantwortung nach der Ehelicherklärung gemeinsam mit dem Vater wahrzunehmen.
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C. |
Die Vorschrift des § 1738 Abs. 1 BGB ist mit Art. 6 Abs. 2 und 5 GG nicht vereinbar, soweit sie auch für die Fälle gilt, in denen der Vater und die Mutter mit dem Kind zusammenleben, beide bereit und in der Lage sind, die Elternverantwortung gemeinsam zu übernehmen, und dies dem Kindeswohl entspricht. Die Regelung führt dazu, daß der Vater eines nichtehelichen Kindes die elterliche Verantwortung mit allen Rechtsfolgen der Ehelicherklärung nur zu Lasten der Mutter erlangen kann oder daß er die volle Elternstellung nicht erhält, weil der zwingend vorgeschriebene Verlust des mütterlichen Sorgerechts dem Kindeswohl nicht entspricht. Für die damit verbundene Einschränkung des Elternrechts und Benachteiligung des nichtehelichen Kindes gibt es keinen rechtfertigenden Grund.
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I. |
1. Das Elternrecht steht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG "den Eltern" zu. Die Verfassungsnorm geht zwar von dem Regelfall aus, in dem das Kind mit den durch die Ehe verbundenen Eltern in einer Familiengemeinschaft zusammenlebt und Vater und Mutter das Kind gemeinsam pflegen und erziehen (BVerfGE 56, 363 [382]; 61, 358 [372]). Der Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG greift aber auch dann ein, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen. So kommt er auch der Mutter des nichtehelichen Kindes zu (vgl. BVerfGE 24, 119 [135]). Ob der Vater des nichtehelichen Kindes sich ebenfalls generell auf das Elternrecht berufen kann, bedarf hier keiner Prüfung. Die Elternstellung im Sinne dieser Grundrechtsnorm kann ihm jedenfalls dann nicht abgesprochen werden, wenn er mit dem Kind und der Mutter zusammenlebt und damit die Voraussetzungen für die Wahrnehmung seiner elterlichen Verantwortung erfüllt (vgl. BVerfGE 56, 363 [384]; 79, 203 [210]).
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2. Mit der ausnahmslosen Regelung in § 1738 Abs. 1 BGB verweigert der Gesetzgeber jeweils einem Elternteil die volle rechtliche Elternstellung selbst in den Fällen, in denen der Vater mit dem Antrag auf Ehelicherklärung seine Bereitschaft zur Übernahme der vollen Elternverantwortung beweist und die Mutter zur weiteren Ausübung der elterlichen Sorge bereit und in der Lage ist. Zwar haben die Mutter und der Vater, die mit dem Kind zusammenleben, tatsächlich die Möglichkeit, das Kind gemeinsam zu betreuen und zu erziehen. Dem Elternrecht beider Elternteile ist aber nicht schon damit genügt, daß der Gesetzgeber sie an der tatsächlichen Wahrnehmung von Elternaufgaben nicht hindert. In dieses Grundrecht wird vielmehr auch dann eingegriffen, wenn die rechtlichen Befugnisse, die zur Ausübung der Elternverantwortung erforderlich sind, einem Elternteil vorenthalten werden.
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Das Elternrecht bedarf der gesetzlichen Ausgestaltung, denn die Pflege und Erziehung eines Kindes setzt rechtliche Befugnisse im Verhältnis zum Kind, vor allem aber auch gegenüber Dritten, voraus. Den Eltern ehelicher Kinder und dem sorgeberechtigten Elternteil nichtehelicher Kinder stellt der Gesetzgeber diese Befugnisse in Form der in der elterlichen Sorge gebündelten Rechte zur Verfügung. Anderen Trägern des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG darf er entsprechende Befugnisse nicht ohne rechtfertigenden Grund verweigern. Das bedeutet nicht, daß die zivilrechtlichen Vorschriften über die elterliche Sorge in ihrer konkreten Ausgestaltung durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet werden. Der Schutz des Elternrechts, das die treuhänderische Wahrnehmung der Belange des Kindes umfaßt, erstreckt sich aber auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann.
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Der Gesetzgeber ist der Pflicht, dem Träger des Elternrechts die erforderliche Rechtsstellung einzuräumen, hier auch nicht deshalb enthoben, weil der sorgeberechtigte Elternteil dem nicht sorgeberechtigten durch private Gestaltung, insbesondere auch durch die Erteilung von Vollmachten, die Wahrnehmung der vollen Elternverantwortung ermöglichen kann; denn die Neutralisierung des gesetzlichen Eingriffs durch geeignete Maßnahmen der Betroffenen kann den Eingriff selbst nicht rechtfertigen (vgl. BVerfGE 61, 358 [379]).
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3. Die Entscheidung des Gesetzgebers, das nichteheliche Kind stets nur einem Elternteil zuzuordnen und dem anderen Elternteil das Sorgerecht - oder das Recht zur Ausübung der elterlichen Sorge - zu versagen, kann sich für die Fälle, auf die sich die Vorlagefrage beschränkt, nicht auf die Erwägung stützen, daß es eines Ausgleichs zwischen den Grundrechtspositionen beider Elternteile bedarf und deshalb die strengen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Elternrecht nicht erfüllt zu sein brauchen (vgl. BVerfGE 31, 194 [208]).
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Bei Eltern nichtehelicher Kinder liegen allerdings andere Voraussetzungen vor als bei Eltern ehelicher Kinder. Da sie nicht durch die Ehe miteinander verbunden sind, kann der Gesetzgeber weder vom Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft noch davon ausgehen, daß Vater und Mutter die personale Verantwortung für das Kind gemeinsam übernehmen wollen und können. Er kann daher das nichteheliche Kind, das einen Anspruch darauf hat, daß seine personalen Verhältnisse geregelt sind, wenn es auf die Welt kommt, zunächst einem Elternteil zuordnen. Dabei lag es nahe, das Sorgerecht grundsätzlich der Mutter zu übertragen, weil zwischen ihr und dem Kind durch Schwangerschaft und Geburt bereits eine Beziehung entstanden und das Kleinstkind auf sie besonders angewiesen ist (vgl. BVerfGE 56, 363 [389 f.]).
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Ob der Gesetzgeber angesichts der seit der Verabschiedung des Nichtehelichengesetzes erheblich gestiegenen Zahl von Fällen, in denen die Eltern eines nichtehelichen Kindes zusammenleben und bereit sind, die Elternverantwortung gemeinsam zu übernehmen, weiterhin von einer Konfliktsituation zwischen den Eltern des nichtehelichen Kindes als Regelfall ausgehen und davon absehen kann, ein Verfahren zur Erlangung der gemeinsamen Sorge im Falle des Einvernehmens zur Verfügung zu stellen, bedarf hier keiner Entscheidung. In den Fällen, in denen ein Vater die Ehelicherklärung mit der Maßgabe beantragt, ihm die elterliche Sorge gemeinsam mit der Mutter zu übertragen, und die Mutter diesem Antrag zustimmt, steht jedenfalls fest, daß ein Konflikt zwischen den Eltern, der einer staatlichen Schlichtung bedarf, nicht besteht. Die in § 1738 Abs. 1 BGB ausnahmslos angeordnete Rechtsfolge kann sich daher in diesen Fällen nicht auf die Aufgabe des Staates stützen, die Rechtsordnung und den Rechtsfrieden zu wahren und über den Ausgleich widerstreitender Interessen der Eltern zu entscheiden (vgl. BVerfGE 61, 358 [374]).
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4. Die Voraussetzungen für einen Eingriff in das Elternrecht in Ausübung des staatlichen Wächteramts liegen ebenfalls nicht vor. Der generelle Ausschluß des gemeinsamen Sorgerechts für Eltern nichtehelicher Kinder ist nicht aus Gründen des Kindeswohls geboten; die zwingende Zuordnung zu nur einem Elternteil kann im Gegenteil das Kindeswohl erheblich beeinträchtigen.
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a) Leben Vater und Mutter mit dem Kind zusammen und sind beide bereit und in der Lage, die Elternverantwortung zu übernehmen, so entspricht es regelmäßig de Kindeswohl, wenn beiden Eltern das Sorgerecht zuerkannt wird. Insbesondere kann es für das Wohl des Kindes von erheblicher Bedeutung sein, daß Vater und Mutter in Schulfragen die Elternbefugnisse ausüben können. Ein gemeinsames Sorgerecht ist darüber hinaus geeignet, den Eltern ihre gemeinsame Verantwortung für das Kind deutlich zu machen und zur Stetigkeit der Beziehungen beizutragen. Das Kind, das in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft aufwächst, hat deshalb ein erhebliches Interesse daran, daß die emotionalen Bindungen an seine beiden Eltern rechtlich abgesichert werden (vgl. Lempp, ZfJ 1984, S. 305 [308 f.]).
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b) Die Entscheidung des Gesetzgebers, das nichteheliche Kind ausnahmslos nur einem Elternteil zuzuordnen und ein gemeinsames Sorgerecht auch für die hier erörterten Fälle nicht zuzulassen, läßt sich auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, die nichteheliche Lebensgemeinschaft könne scheitern und das Kind solle nach der Trennung nicht in den Mittelpunkt eines Streits seiner Eltern geraten (Abweichung von BVerfGE 56, 363 [387]). Gerade für den Fall der Trennung der Eltern kann vielmehr der rechtlichen Absicherung der gemeinsamen elterlichen Sorge besondere Bedeutung zukommen.
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Das Kind, das in der nichtehelichen Lebensgemeinschaft seiner Eltern aufwächst, entwickelt Beziehungen zu beiden Elternteilen. Der Gesichtspunkt der Stetigkeit in der Entwicklung und Erziehung des Kindes (vgl. dazu BVerfGE 61, 358 [375 f.]) gebietet es, seine gefühlsmäßigen Bindungen bei einer Trennung der Eltern zu berücksichtigen. Deshalb kann sich eine gemeinsame Sorge der Eltern über die Trennung hinaus für das Wohl des nichtehelichen Kindes als ebenso entscheidend erweisen wie für das Wohl des ehelichen Kindes nach der Scheidung seiner Eltern (vgl. BVerfGE 61, 358 [376, 377]).
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Aber auch in den Fällen, in denen ein gemeinsames Sorgerecht nach der Trennung der Eltern nicht in Betracht kommt, ist die feste Zuordnung zu einem Elternteil nicht geeignet, eine Beeinträchtigung des Kindes durch die Trennung zu vermeiden. Die ohne Rücksicht auf die konkreten Verhältnisse getroffene Zuordnung macht es im Gegenteil unmöglich, den Bindungen des Kindes im Einzelfall Rechnung zu tragen (vgl. Zenz/Salgo, Zur Diskriminierung der Frau im Recht der Eltern-Kind-Beziehung, 1983, S. 63 f.; Ell, ZfJ 1985, S. 97 [100]). Kommt es bei der Auflösung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu einem Konflikt zwischen den Eltern über die Beziehungen zu dem gemeinsamen Kind, so muß die Lösung dieses Konfliktes unabhängig von der bisherigen rechtlichen Zuordnung des Kindes auf dessen Wohl ausgerichtet sein und das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen (vgl. BVerfGE 55, 171 [179]). Das ist aber nur möglich, wenn eine Sorgerechtsentscheidung getroffen werden kann, die der konkreten Situation Rechnung trägt. Hierfür genügt es nicht, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Ehelicherklärung eine Prognose darüber zu erstellen, bei welchem Elternteil das Kind im Falle der Auflösung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft besser aufgehoben wäre; denn in diesem Zeitpunkt ist weder die weitere Entwicklung des Kindes hinreichend absehbar noch läßt sich abschätzen, ob die Eltern sich tatsächlich trennen werden und wann das geschehen könnte. Die Befürchtung, es könne nicht sichergestellt werden, daß die Zuweisung der elterlichen Sorge an beide Eltern rechtzeitig abgeändert wird, wenn die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung entfallen, kann den völligen Ausschluß des gemeinsamen Sorgerechts ebenfalls nicht rechtfertigen (vgl. BVerfGE 61, 358 [382]).
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c) Daß § 1738 Abs. 1 BGB für Fälle der vorliegenden Art keine Ausnahme vorsieht, kann auch nicht durch ein Bedürfnis nach Typisierung gerechtfertigt werden. Eine typisierende Regelung ist nur zulässig, wenn die mit ihr verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht sehr intensiv sind (vgl. BVerfGE 79, 87 [100]). Das ist hier aber nicht der Fall. Sowohl der mit der Versagung des gemeinsamen Sorgerechts verbundene Eingriff in das Elternrecht als auch die Beeinträchtigung des Kindeswohls sind von erheblichem Gewicht (vgl. BVerfGE 61, 358 [381]).
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Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet zwar den Staat, Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen zu schützen und durch geeignete Mittel zu fördern. Daraus folgt jedoch nicht die Pflicht, nichteheliche Lebensgemeinschaften in jeder Hinsicht schlechter als Ehen zu behandeln (vgl. BVerfGE 82, 6 [15]). Welche Folgerungen im einzelnen aus Art. 6 Abs. 1 GG für gesetzliche Regelungen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu ziehen sind, kann dahingestellt bleiben. Eine Verpflichtung, dem durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Elternrecht des Vaters und der Mutter eines nichtehelichen Kindes unter den hier gegebenen Voraussetzungen die rechtliche Anerkennung zu verweigern, ergibt sich aus dieser Verfassungsnorm jedenfalls nicht. Die Zulassung eines gemeinsamen Sorgerechts in diesen Fällen würde nicht die Lebensgemeinschaft als solche, sondern nur das Eltern-Kind-Verhältnis ausgestalten.
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Eine solche rechtliche Absicherung der Elternstellung kann auch nicht mit der Begründung versagt werden, daß Eltern, die bewußt eine rechtlich verbindliche Ausgestaltung ihrer Beziehung zueinander im Rahmen der Institution Ehe ablehnen, keinen Anspruch auf eine gesetzliche Gewährung von Elternbefugnissen haben (Abweichung von BVerfGE 56, 363 [385 f.]; 61, 358 [374 f.]). Mit der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Elternrechts als treuhänderischem Recht, das sich von den anderen Grundrechten durch die Verknüpfung von Rechten und Pflichten unterscheidet (vgl. BVerfGE 56, 363 [381 f.]; 64, 180 [189]; 72, 155 [172]), wäre es nicht vereinbar, den Eltern die für die Wahrnehmung ihrer Elternverantwortung erforderlichen Rechte zu versagen, weil sie sich gegen eine Eheschließung entschieden haben; denn diese persönliche Entscheidung der Eltern darf sich nicht zu Lasten des Kindes auswirken (vgl. dazu BVerfGE 56, 363 [384 f.]).
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II. |
1. Art. 6 Abs. 5 GG setzt als Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes und als Schutznorm zugunsten nichtehelicher Kinder der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit Grenzen (vgl. BVerfGE 25, 167 [190]; 74, 33 [38]). Die Verfassungsnorm verpflichtet darüber hinaus den Gesetzgeber, den nichtehelichen Kindern durch positive Regelungen die gleichen Bedingungen für ihre seelische und körperliche Entwicklung zu schaffen wie ehelichen Kindern. Mit diesem Verfassungsauftrag ist dem Gesetzgeber ein klares Ziel vorgegeben. Den Maßstab der Gleichstellung bildet der "Normalfall" des ehelichen Kindes, das in einer stabilen Ehe aufwächst (vgl. BVerfGE 58, 377 [392 f.]). Eine ungleiche Behandlung nichtehelicher Kinder, die sich als Benachteiligung gegenüber ehelichen Kindern auswirkt, bedarf stets einer überzeugenden Begründung. Abweichungen von den für eheliche Kinder geltenden Vorschriften sind deshalb grundsätzlich nur zulässig, wenn eine förmliche Gleichstellung der anderen sozialen Situation des nichtehelichen Kindes nicht gerecht würde oder dadurch andere, ebenso geschützte Rechtspositionen beeinträchtigt würden (vgl. BVerfGE 74, 33 [39]). Der Verfassungsauftrag kann auch dann verfehlt werden, wenn eine Regelung zur Schlechterstellung einzelner Gruppen nichtehelicher Kinder führt (vgl. BVerfGE 22, 163 [172]).
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2. Nach diesen Maßstäben ist § 1738 Abs. 1 BGB für die genannten Fälle mit Art. 6 Abs. 5 GG nicht vereinbar. Die Verfassungsnorm verpflichtet den Gesetzgeber zwar nicht dazu, nichtehelichen Kindern unter den in den §§ 1723 ff. BGB genannten Voraussetzungen die Stellung eines ehelichen Kindes zu verschaffen. Wenn er Kindern, deren Vater bereit ist, die volle Elternverantwortung zu übernehmen, mit dem Institut der Ehelicherklärung eine weitergehende Angleichung an die Stellung ehelicher Kinder ermöglicht, darf er die Angleichung aber nicht ohne ausreichenden sachlichen Grund einer Gruppe nichtehelicher Kinder vorenthalten oder für sie mit erheblichen rechtlichen Nachteilen verbinden.
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Wegen der in § 1738 Abs. 1 BGB ausnahmslos angeordneten Rechtsfolge wird ein nichteheliches Kind, dessen Eltern sich für eine freie Partnerschaft entschieden haben und eine Ehelicherklärung anstreben, regelmäßig benachteiligt. Entweder werden ihm die mit der Ehelicherklärung verbundenen rechtlichen Vorteile - insbesondere die volle erbrechtliche Gleichstellung mit ehelichen Kindern im Verhältnis zum Vater und das Sorgerecht des Vaters - mit der Begründung vorenthalten, daß es nicht mit seinem Wohl vereinbar ist, wenn die Mutter das Sorgerecht verliert. Erfolgt aber die Ehelicherklärung, muß das Kind den Nachteil hinnehmen, daß die Mutter ihre Elternverantwortung nicht mehr voll wahrnehmen kann, weil ihr hierzu die rechtlichen Befugnisse fehlen.
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Für diese Benachteiligung nichtehelicher Kinder, die mit Vater und Mutter zusammenleben, gibt es keinen rechtfertigenden Grund. Die Lebensverhältnisse dieser Kinder stehen einer weitgehenden rechtlichen Gleichstellung mit ehelichen Kindern nicht nur nicht entgegen, sondern fordern diese geradezu. So läßt sich insbesondere die zwingende Zuordnung zu nur einem Elternteil, die § 1738 Abs. 1 BGB bezweckt, nicht mit der unterschiedlichen Ausgangslage im Verhältnis zu ehelichen Kindern begründen. Diese Rechtsfolge führt vielmehr, wie oben (I 4) dargelegt, zu einer erheblichen Benachteiligung der nichtehelichen Kinder, die mit ihren Eltern zusammenleben, weil ihre Bindungen zu beiden Elternteilen nicht rechtlich abgesichert werden und für den Fall der Trennung der Eltern eine am Kindeswohl ausgerichtete Einzelfallentscheidung über das Sorgerecht verhindert wird.
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Die Pflicht des Staates zum Schutze von Ehe und Familie kann die nachteiligen Folgen der zur Prüfung gestellten Regelung in den hier erörterten Fällen ebenfalls nicht rechtfertigen. Eine konkrete Ehe wird durch die Ehelicherklärung unter Aufrechterhaltung des Sorgerechts der Mutter nicht gefährdet; sofern der Vater noch verheiratet ist, gewähren die sonstigen Voraussetzungen für die Ehelicherklärung, insbesondere das Erfordernis der Einwilligung der Ehefrau, ausreichenden Schutz. Eine Beeinträchtigung des Instituts der Ehe ist ebenfalls nicht ersichtlich.
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D. - I. |
Steht eine Norm mit dem Grundgesetz nicht in Einklang, so ist sie grundsätzlich für nichtig zu erklären (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 Satz 1 BVerfGG). Das gilt jedoch nicht, wenn mehrere Möglichkeiten für die Beseitigung des Verfassungsverstoßes bestehen und die Nichtigerklärung in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingreifen würde (vgl. BVerfGE 39, 316 [332 f.]; 77, 308 [337]). Danach scheidet eine Nichtigerklärung hier aus. Der Gesetzgeber kann die Verfassungswidrigkeit auf verschiedene Weise beheben. So kann er im Rahmen des Instituts der Ehelicherklärung die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge von Mutter und Vater unter den hier erörterten Voraussetzungen vorsehen; dabei obliegt es seiner Prüfung, ob das gemeinsame Sorgerecht einer näheren Ausgestaltung bedarf und ob einzelne Rechtsfolgen der Ehelicherklärung - wie etwa für den Familiennamen des Kindes (§ 1737 BGB) oder für den Unterhaltsanspruch gegenüber der Mutter und ihren Verwandten (§ 1739 BGB) - für diese Fälle zu modifizieren sind. Der Gesetzgeber kann aber auch ein gemeinsames Sorgerecht für Eltern nichtehelicher Kinder außerhalb der Ehelicherklärung einführen und mit ähnlichen erbrechtlichen Folgen verbinden oder die Rechtsstellung nichtehelicher Kinder insgesamt noch weiter an die ehelicher Kinder angleichen.
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II. |
Stellt das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz fest, so ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Rechtslage unverzüglich mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen. Im Umfang der Unvereinbarerklärung darf die Norm von den Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewandt werden (vgl. BVerfGE 37, 217 [261]; 82, 126 [155]). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist hier nicht geboten. Demgemäß dürfen die Vormundschaftsgerichte in den Fällen, in denen das Kind mit Vater und Mutter zusammenlebt und die Eltern die Ehelicherklärung mit der Maßgabe beantragen, daß sie gemeinsam die elterliche Sorge ausüben wollen, die Ehelicherklärung weder mit der in § 1738 Abs. 1 BGB vorgesehenen Rechtsfolge aussprechen noch mit der Begründung verweigern, daß sie wegen dieser Rechtsfolge nicht dem Kindeswohl entspreche. Solche Verfahren sind vielmehr auszusetzen, bis eine gesetzliche Neuregelung in Kraft tritt.
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Herzog Henschel Seidl Grimm Söllner Dieterich Kühling Seibert |