BVerfGE 89, 1 - Besitzrecht des Mieters
1. Das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
2. Art. 13 Abs. 1 GG ist ebenso wie andere Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften zu beachten. Sein Schutzbereich wird jedoch in Räumungsprozessen des Vermieters gegen den Mieter nicht berührt.
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 26. Mai 1993
-- 1 BvR 208/93 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Dr. B. ... - Bevollmächtigte: Rechtswanwälte Dr. A. Joppich, W. Deckers, P. Nickol, M. Peter und J. Kaimeyer, Theodor-Pyls-Straße 40, Essen - gegen a) das Urteil des Landgerichts Essen vom 2. Dezember 1992 - 10 S. 351/92 -, b) das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 3. Juli 1992 - 25 C 376/91 - und Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.
 
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Urteile, durch die einer auf Eigenbedarf gestützten Räumungsklage stattgegeben worden ist.
 
A. -- I.
Der Beschwerdeführer ist Mieter einer Wohnung im zweiten Obergeschoß einer Doppelhaushälfte. Deren Eigentümerin und Vermieterin der Wohnung ist die 1912 geborene Klägerin; sie bewohnt die Wohnung im ersten Obergeschoß desselben Hauses. Der Sohn der Klägerin bewohnt eine Wohnung im ersten Obergeschoß der anderen Doppelhaushälfte; seine Wohnung liegt auf derselben Ebene wie diejenige der Klägerin. Beide Wohnungen grenzen unmittelbar aneinander. Die Klägerin kündigte dem Beschwerdeführer das Mietverhältnis und führte zur Begründung aus:
Sie benötige die Wohnung für ihren Sohn, weil sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage sei, ihren Haushalt allein zu versorgen, und weil sie darauf angewiesen sei, ihren Sohn in nächster Nähe zu haben, damit dieser ihr helfen und sie pflegen könne. In einem früheren Räumungsrechtsstreit hatte sie vorgetragen, beide Wohnungen sollten durch eine Innentreppe miteinander verbunden werden.
Der Beschwerdeführer widersprach der Kündigung und räumte die Wohnung nicht. In dem anschließenden Räumungsrechtsstreit gab das Amtsgericht der Räumungsklage statt. Angesichts des Alters der Klägerin sowie ihrer gesundheitlichen Beschwerden, die insbesondere bei Gleichgewichtsstörungen schnelle Hilfe erforderlich machten, sei es nachvollziehbar, daß sie mit ihrem Sohn in einer verbundenen Wohnung leben wolle.
In der Berufungsinstanz erläuterte die Klägerin den geltend gemachten Eigenbedarf näher:
Sie habe die Absicht aufgegeben, ihre Wohnung mit derjenigen des Beschwerdeführers durch Einbau einer Innentreppe zu verbinden, weil das technisch nicht möglich sei. Über das Treppenhaus könne ihr Sohn sie aus der Wohnung des Beschwerdeführers ebenso schnell erreichen. Um aus der angrenzenden Doppelhaushälfte in ihre Wohnung zu gelangen, benötige er jedoch, selbst wenn er sich beeile, vier bis fünf Minuten. Entscheidend sei aber nicht, ob er einige Sekunden schneller in ihre Wohnung gelangen könne, sondern daß sie wisse, er wohne nicht im Nachbarhaus, sondern über ihr, könne aus diesem Grund häufiger nach ihr sehen und sei für sie schneller erreichbar, so daß sie jederzeit mit der schnellstmöglichen Hilfe durch ihn rechnen könne, falls ihr in ihrer Wohnung etwas zustoßen sollte.
Der Beschwerdeführer machte demgegenüber geltend, es sei abwegig anzunehmen, der Sohn benötige für den Weg zu seiner Mutter über zwei Treppen etwa vier bis fünf Minuten. Wenn die Klägerin in ihrer Wohnung einen Unfall erlitte, wäre ihr Sohn in der Wohnung darüber ebenso schwer zu verständigen wie in der Nachbarwohnung.
Das Landgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück:
Die Klägerin habe hinreichend substantiiert vorgetragen, daß sie aufgrund schwerwiegender Erkrankungen nicht mehr in der Lage sei, für sich zu sorgen, und infolgedessen auf eine Pflegeperson in unmittelbarer räumlicher Nähe zu der von ihr bewohnten Wohnung angewiesen sei. Der geltend gemachte Bedarfsgrund sei demgemäß nachvollziehbar und vernünftig. Um der Klägerin die notwendige Pflege zuteil werden zu lassen, müsse ihr Sohn die vom Beschwerdeführer gemietete Wohnung beziehen. Zwar bewohne dieser in der anderen Doppelhaushälfte eine Wohnung, die unmittelbar an diejenige der Klägerin angrenze. Dennoch sei ein Umzug notwendig, da nur auf diese Weise die räumliche Trennung verringert und eine Betreuung der Klägerin erleichtert werden könne. Dem stehe nicht entgegen, daß es technisch nicht möglich sei, beide Wohnungen durch eine zusätzliche Treppe miteinander zu verbinden. Denn es mache einen erheblichen Unterschied, ob die Versorgung der pflegebedürftigen Klägerin aus demselben Haus oder aus dem Nachbarhaus erfolgen könne. Die Entscheidung des Eigentümers über seinen Wohnbedarf sei grundsätzlich zu achten, insbesondere dürfe das Gericht seine eigene Planung nicht an die Stelle derjenigen des Eigentümers setzen, es sei denn, der Nutzungswunsch sei als mißbräuchlich zu bewerten. Da hierfür keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, müsse der verständliche Wunsch der pflegebedürftigen Klägerin respektiert werden, ihren Sohn in unmittelbarer räumlicher Nähe, und zwar in ihrem eigenen Haus, zu wissen.
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 13 und Art. 14 GG.
Das Urteil des Amtsgerichts, insbesondere aber die Entscheidung des Landgerichts verletzten das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der Sohn der Klägerin könne diese ebenso pflegen, wenn er im Nachbarhaus wohne. Er brauche nur einige Stufen hinunter-, durch die unmittelbar daneben gelegene Tür in das Nachbarhaus hinein- und einige Stufen zur Wohnung der Klägerin hinaufzugehen. Daß ihr Sohn über ihr wohne, sei nicht notwendig. Eine unmittelbare räumliche Nähe sei auch dann gegeben, wenn der Sohn im Nachbarhaus wohne. Das Landgericht stelle in seinem Urteil lediglich fest, es mache einen erheblichen Unterschied, ob die Versorgung der pflegebedürftigen Klägerin aus demselben Haus oder aus dem Nachbarhaus erfolge. Diese Begründung sei nicht nachvollziehbar. Das Landgericht hätte seine Auffassung eingehend begründen müssen, zumal sie den Schwerpunkt des Rechtsstreits betroffen habe und der Sohn der Klägerin auch bei Einzug in die Wohnung des Beschwerdeführers von seiner Mutter räumlich getrennt wohne. Das Landgericht lasse für eine Eigenbedarfskündigung einen Selbstnutzungswunsch ausreichen, den es lediglich daraufhin nachprüfe, ob er mißbräuchlich sei. Das reiche nicht aus. Vielmehr sei die Vernünftigkeit und Nachvollziehbarkeit des Selbstnutzungswunsches zu prüfen. Dies sei hier nicht geschehen. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten ihn außerdem in seinem Recht aus Art. 14 Abs. 2 GG, der die Belange des Mieters schütze und dem Erlangungsinteresse des Eigentümers entgegengesetzt werden könne. Ebenso werde er in seinem Grundrecht aus Art. 13 GG verletzt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß das Landgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es sich mit seinen Belangen angemessen auseinandergesetzt hätte.
2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Klägerin verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen das Urteil des Amtsgerichts richtet. Sie genügt insoweit nicht dem Begründungserfordernis aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
Das Amtsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht angenommen, die Wohnung des Beschwerdeführers und diejenige der Klägerin sollten und könnten durch eine innen gelegene Treppe miteinander verbunden werden. Durch diese Verbindung beider Wohnungen werde die Pflege und Betreuung der Klägerin wesentlich erleichtert. Deshalb hat das Amtsgericht den Selbstnutzungswunsch der Klägerin für nachvollziehbar gehalten.
Diese tatsächlichen Annahmen des Amtsgerichts haben sich jedoch im Berufungsverfahren als überholt erwiesen. Folgerichtig sieht der Beschwerdeführer die von ihm gerügte Willkür und die verfassungswidrige Mißachtung seiner Belange als Mieter allein darin, daß ein Eigenbedarf der Klägerin anerkannt worden ist, obwohl sie auch bei einem Umzug ihres Sohnes von einer anderen getrennten Wohnung aus gepflegt und betreut werden müßte. Mit der - überholten - Begründung des Amtsgerichts setzt er sich dagegen nicht mehr auseinander.
 
C.
Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen das Urteil des Landgerichts richtet, ist sie unbegründet.
I.
Art. 14 GG ist nicht verletzt.
1. Auf Art. 14 Abs. 2 GG kann sich der Beschwerdeführer nicht berufen. Diese Bestimmung ist nur Richtschnur und Grenze für den objektivrechtlichen Auftrag an den Gesetzgeber, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Sie verpflichtet den Gesetzgeber, bei der Ordnung des Mietrechts die Belange des Mieters angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 37, 132 [140 f.]), erhebt indes den Mieterschutz nicht zu einer subjektiven Grundrechtsverbürgung (vgl. BVerfGE 21, 73 [83]; 80, 137 [150]).
2. Der Sache nach rügt der Beschwerdeführer jedoch, daß er als Mieter in seinem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, ob das aus dem Mietvertrag folgende Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung Eigentum im Sinne dieser Freiheitsgewährleistung ist, bislang offen gelassen (vgl. BVerfGE 18, 121 [131]; 83, 82 [88]). Sie ist zu bejahen.
a) Wesentliches Merkmal des Eigentums im Sinne von Art. 14 GG ist, daß ein vermögenswertes Recht dem Berechtigten ebenso ausschließlich wie Sacheigentum zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung zugeordnet ist. Die Eigentumsgarantie soll dem Grundrechtsträger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich erhalten und dem Einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen. Unter den Schutz der Eigentumsgarantie im Bereich des Privatrechts fallen deshalb grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die ihrem Inhaber von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, daß er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf (vgl. BVerfGE 83, 201 [208 f.] m.w.N.).
Die Wohnung ist für jedermann Mittelpunkt seiner privaten Existenz. Der Einzelne ist auf ihren Gebrauch zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Freiheitssicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen. Der Großteil der Bevölkerung kann zur Deckung seines Wohnbedarfs jedoch nicht auf Eigentum zurückgreifen, sondern ist gezwungen, Wohnraum zu mieten. Das Besitzrecht des Mieters erfüllt unter diesen Umständen Funktionen, wie sie typischerweise dem Sacheigentum zukommen. Dieser Bedeutung der Wohnung hat der Gesetzgeber mit der Ausgestaltung des Besitzrechts Rechnung getragen. Es stellt eine privatrechtliche Rechtsposition dar, die dem Mieter wie Sacheigentum zugeordnet ist.
Die rechtliche Zuordnung findet ihren Ausdruck unter anderem in den gegen jedermann wirkenden Schutzrechten, die dem Mieter eingeräumt sind. Er ist befugt, die gemietete Wohnung zu nutzen (vgl. § 535 Satz 1, § 536 BGB). Wird er darin widerrechtlich gestört, kann er die Beseitigung der Störung und das Unterlassen weiterer Störungen verlangen (§ 862 Abs. 1, § 858 Abs. 1 BGB). Wird ihm der Besitz widerrechtlich entzogen, kann er die Wiedereinräumung des Besitzes verlangen (§ 861 Abs. 1 BGB). Diese Ansprüche stehen dem Mieter gegenüber jedermann zu, auch gegenüber dem Vermieter oder dem mit diesem nicht notwendig identischen Eigentümer. Rechtswidrige Eingriffe in das Recht zum Besitz verpflichten den Schädiger zum Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB; der Besitz ist als sonstiges Recht im Sinne dieser Bestimmung anerkannt (vgl. etwa Palandt/Thomas, BGB, 52. Aufl., § 823 Rdnr. 13 m.w.N.). Die Rechtsstellung des Mieters gleicht auch insoweit derjenigen des Eigentümers (vgl. für diesen § 1004 BGB und ebenfalls § 823 Abs. 1 BGB). Das Besitzrecht erlischt nicht mit der Veräußerung des Grundstücks durch den Vermieter, sondern besteht gegenüber dem Erwerber fort (vgl. § 571 BGB). Auch darin findet die Zuordnung des Besitzrechts ihren Ausdruck.
Dieses Besitzrecht ist eine vermögenswerte Rechtsposition, die eine Nutzungs- und Verfügungsbefugnis zum Inhalt hat. Ein Recht ist schon dann privatnützig, wenn es zum eigenen Vorteil ausgeübt werden kann und damit dem Berechtigten "von Nutzen" ist (vgl. BVerfGE 83, 201 [210]). Zwar kann der Mieter über sein Besitzrecht nur eingeschränkt verfügen. Er kann insbesondere nur in den Grenzen des § 549 BGB die Sache Dritten zum Gebrauch überlassen.
Die Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Mieters steht einer Anerkennung seines Besitzrechts als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht entgegen. Voraussetzung des Eigentumsschutzes ist es nicht, daß über die Rechte uneingeschränkt verfügt werden kann, diese insbesondere auch beliebig übertragbar sind. Es besteht kein sachlicher Grund, derart ausgestaltete Rechte vom Schutz der Eigentumsgarantie auszunehmen (vgl. BVerfGE 83, 201 [209]).
Das Besitzrecht des Mieters endet mit einer wirksamen Kündigung des Vermieters. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, gesetzliche Regelungen und fachgerichtliche Entscheidungen zum Mieterschutz könnten nicht zugunsten des Mieters am Maßstab des Art. 14 GG gemessen werden. Art. 14 GG schützt allerdings nur vorhandene Positionen (vgl. BVerfGE 20, 31 [34]; 28, 119 [141 f.]; 45, 142 [179]; 68, 193 [222]). Der Fortbestand eines einmal entstandenen und durch Art. 14 GG als Eigentum erfaßten Rechtes, also der Bestandsschutz, kann aber Gegenstand des Grundrechtsschutzes sein.
Der Mieter hat schließlich keine originäre, sondern nur eine abgeleitete Beziehung zu dem von einem anderen geschaffenen Wohnraum. Er beansprucht Schutz gegenüber dem Vermieter, von dem er seine Rechte ableitet und der ihm diese Rechtsposition in Wahrnehmung seiner privatrechtlichen Eigentümerbefugnisse überhaupt erst eingeräumt hat. Auch der Vermieter kann für aus dem Mietvertrag gegenüber dem Mieter fließende Ansprüche das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG in Anspruch nehmen (für den Anspruch auf Mietzins: vgl. BVerfGE 37, 132 [141 f.]; 49, 244 [247 ff.]; 53, 352 [357 f.]; 71, 230 [247]; 79, 80 [84 f.]; für das Kündigungsrecht: vgl. BVerfGE 68, 361 [370]; 79, 283 [289 f.]; 79, 292 [302]).
Das steht der Anerkennung des Besitzrechts des Mieters als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG indes nicht entgegen. Daraus folgt vielmehr nur die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ausgestaltung. Der Gesetzgeber muß in Erfüllung seines Auftrages aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die beiden miteinander konkurrierenden Eigentumspositionen inhaltlich ausgestalten, gegeneinander abgrenzen und die jeweiligen Befugnisse so bestimmen, daß die beiden Eigentumspositionen angemessen gewahrt werden. Diese Notwendigkeit besteht ebenso bei anderen abgeleiteten Rechtspositionen, die schon bisher als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG anerkannt waren (vgl. etwa für das Erbbaurecht BVerfGE 79, 174 [191]).
b) Die Befugnisse von Mieter und Vermieter zuzuordnen und abzugrenzen, ist Aufgabe des Mietrechts. Der Gesetzgeber muß die schutzwürdigen Interessen beider Seiten berücksichtigen und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Ein Eigentumsschutz des Mieters für sein Besitzrecht dient dabei der Abwehr solcher Regelungen, die das Bestandsinteresse des Mieters gänzlich mißachten oder unverhältnismäßig beschränken. Die Eigentumsgarantie bleibt also - hier wie auch sonst staatsgerichtet. Der Eigentumsschutz des Mieters unterscheidet sich in seiner Struktur nicht von demjenigen des Vermieters und Eigentümers.
Eine bestimmte Ausgestaltung des Mietrechts kann allerdings aus dem Grundgesetz nicht abgeleitet werden. Namentlich folgt aus dem Eigentumsschutz des Besitzrechts nicht, daß im Konflikt beider durch die Verfassung geschützten Eigentumspositionen das Bestandsinteresse des Mieters in jedem Falle vorgeht. Für die Regelfälle ordentlicher Kündigungen hat der Gesetzgeber die notwendige Interessenabwägung mit § 564 b BGB und § 556 a BGB vorgenommen (zum Verhältnis beider Vorschriften aus einfachrechtlicher Sicht vgl. BGHZ 103, 91 [96, 100]und dazu aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfGE 79, 292 [302 f.]). Er hat dabei sowohl die Belange des Mieters, nämlich sein Bestandsinteresse, als auch die des Vermieters, nämlich sein Erlangungsinteresse, in angemessener Weise berücksichtigt. Eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung, die als solche mit den verfassungsrechtlichen Vorstellungen eines sozial gebundenen Eigentums nicht in Einklang stünde, ist nicht erkennbar (vgl. BVerfGE 68, 361 [71]). Die Eigentumsgarantie entfaltet ihre freiheitssichernde Funktion in beide Richtungen. Der vertragstreue Mieter wird gegen einen Verlust seiner Wohnung geschützt, der nicht durch berechtigte Interessen des Vermieters begründet ist. Die Wohnung als der räumliche Mittelpunkt freier Entfaltung seiner Persönlichkeit, als Freiraum eigenverantwortlicher Betätigung, kann ihm nicht ohne beachtliche Gründe durch Kündigung entzogen werden (vgl. BVerfGE 68, 361 [371]). Der Vermieter wird in seiner Freiheit geschützt, die Wohnung bei Eigenbedarf wieder selbst als seinen Lebensmittelpunkt zu nutzen (oder durch privilegierte Angehörige nutzen zu lassen), wobei die Entscheidung über seinen Wohnbedarf grundsätzlich zu achten ist und ihm nicht fremde Vorstellungen über angemessenes Wohnen und seine weitere Lebensplanung (oder diejenige seiner privilegierten Angehörigen) aufgedrängt werden dürfen (vgl. BVerfGE 79, 292 [305]).
c) Die Fachgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des § 564 b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 BGB ebenfalls die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu beachten und müssen die im Gesetz aufgrund verfassungsmäßiger Grundlage zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die den beiderseitigen Eigentumsschutz beachtet und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen vermeidet. Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 68, 361 [372]; 79, 292 [303]).
Der Eigentumsschutz des Mieters steht also gerichtlichen Entscheidungen entgegen, die Bedeutung und Tragweite von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG für das Besitzrecht verkennen. Auch insoweit unterscheidet der Eigentumsschutz des Mieters sich in seiner Struktur nicht von demjenigen des Vermieters. Soweit nach einfachem Recht die Belange des Vermieters darauf zu prüfen sind, ob sie einen ernsthaften, vernünftigen und nachvollziehbaren Erlangungswunsch ergeben, kann der Mieter beanspruchen, daß das Gericht hiergegen gerichteten Einwänden in einer Weise nachgeht, die der Bedeutung und Tragweite seines Bestandsinteresses gerecht wird, also beispielsweise nachprüft, ob der Selbstnutzungswunsch ernsthaft verfolgt wird (so bereits BVerfGE 79, 292 [305]), ob der geltend gemachte Wohnbedarf weit überhöht ist, ob er zwar vorhanden ist, jedoch die Möglichkeit in Betracht kommt, ihn ohne Inanspruchnahme der gekündigten Wohnung zu befriedigen, etwa weil eine andere im Eigentum des Vermieters stehende Wohnung frei ist, in der der geltend gemachte Wohnbedarf ohne wesentliche Abstriche befriedigt werden könnte (vgl. dazu BVerfGE 83, 82 [86 f.]). Darüber hinaus kann der Mieter verlangen, daß das Gericht bei der Anwendung der Sozialklausel des § 556 a BGB und der Auslegung der dort enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe, namentlich des Begriffs der "Härte", Bedeutung und Tragweite seines Bestandsinteresses hinreichend erfaßt und berücksichtigt.
Einer Nachprüfung anhand dieser Kriterien hält das angegriffene Urteil stand. Das Landgericht hat nicht verkannt, daß der bloße Wille des Vermieters, die Wohnung wieder selbst zu nutzen, nicht ausreicht, die gegenläufigen Interessen des Mieters zu überwinden und den Verlust der Wohnung zu rechtfertigen. Es hat ausdrücklich darauf abgehoben, der Selbstnutzungswunsch des Vermieters müsse vernünftig und nachvollziehbar sein, damit der Mieter weichen müsse. Verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden kann seine Überlegung, der geltend gemachte Bedarf sei nachvollziehbar und vernünftig, weil die Klägerin aufgrund ihrer schwerwiegenden Erkrankungen nicht mehr für sich selbst sorgen könne und deshalb darauf angewiesen sei, daß eine Pflegeperson in unmittelbarer räumlicher Nähe zu ihrer Wohnung untergebracht werde. Das Landgericht ist dabei auch der naheliegenden Frage nachgegangen, ob der Bedarf ohne Inanspruchnahme der gekündigten Wohnung befriedigt werden kann, weil der Sohn der Klägerin eine Wohnung in der angrenzenden Doppelhaushälfte innehat und damit bereits in räumlicher Nähe zu ihr wohnt. Eine Veränderung der bestehenden Situation hat das Landgericht gleichwohl für notwendig gehalten, weil nur auf diese Weise die bestehende räumliche Trennung verringert und die Klägerin unter erleichterten Bedingungen betreut werden könne. Diese rechtliche Bewertung des Sachverhaltes mag zwar nicht zwingend sein. Verfassungsrechtlich kommt es hierauf indes nicht an. Die Schwelle zu einem Verfassungsverstoß ist nicht überschritten. Das Landgericht hat die Mieterinteressen - wie dargelegt nicht völlig vernachlässigt, sondern beachtet, daß der Mieter vor nicht hinreichend motivierten, das heißt ohne beachtliche Gründe verfolgten, Räumungsbegehren geschützt werden muß, und es hat die Beachtlichkeit des Räumungsbegehrens auf die Einwände des Beschwerdeführers hin nachgeprüft.
II.
Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht ist zwar - wie andere Grundrechte auch - bei der Auslegung und Anwendung zivil- (insbesondere auch miet-)rechtlicher Vorschriften zu beachten, jedoch nur soweit sein Schutzbereich berührt ist. Für Räumungsprozesse gegen den Mieter lassen sich der Grundrechtsverbürgung aus Art. 13 Abs. 1 GG keine Maßstäbe entnehmen.
Nach Art. 13 Abs. 1 GG ist die Wohnung unverletzlich. Diese Grundrechtsverbürgung betont zwar die Bedeutung einer Wohnung, schützt diese jedoch nur gegen bestimmte Beeinträchtigungen. Geschützt ist nicht das Besitzrecht an einer Wohnung, sondern deren Privatheit. Art. 13 Abs. 1 GG schützt damit nicht das Interesse, eine bestimmte Wohnung zum Lebensmittelpunkt zu machen und sie hierfür zu behalten. Der Schutz der Wohnung nach Art. 13 GG soll vielmehr Störungen vom privaten Leben fernhalten. Schutzgut ist die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet. Art. 13 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht, in diesen Räumen in Ruhe gelassen zu werden (vgl. BVerfGE 32, 54 [75]). Er verbürgt dem Einzelnen mit Blick auf die Menschenwürde sowie im Interesse der Entfaltung der Persönlichkeit einen elementaren Lebensraum, in den nur unter den Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 und 3 GG eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 51, 97 [110]). Art. 13 GG enthält insbesondere das grundsätzliche Verbot, gegen den Willen des Wohnungsinhabers in die Wohnung einzudringen oder darin zu verweilen (vgl. BVerfGE 76, 83 [89 f.]). Zu den möglichen Verletzungshandlungen können zwar auch substantielle Eingriffe zählen, bei denen die Wohnung der Verfügung und Benutzung des Inhabers ganz oder teilweise entzogen wird. Aber auch derartige Eingriffe berühren nur dann den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, wenn durch sie die Privatheit der Wohnung ganz oder teilweise aufgehoben wird.
Die Kündigung des Mietverhältnisses berührt die Privatheit der innegehabten Wohnung in diesem Sinne nicht. Sie führt in der Regel zu einem Umzug in eine andere Wohnung. Bis zum Auszug aus der alten Wohnung genießt der Mieter dort den Schutz seiner Privatsphäre aus Art. 13 GG, nach dem Einzug in die neue Wohnung steht diese unter dem Schutz der Grundrechtsverbürgung. Hingegen wird der Schutzbereich des Art. 13 GG im Vollstreckungsverfahren berührt, wenn der Mieter die Wohnung nicht freiwillig räumt und der Gerichtsvollzieher in die Wohnung eindringt, um den Mieter zwangsweise zu entsetzen. Ähnlich verhält es sich, wenn der Vermieter im Wege verbotener Eigenmacht (§ 858 BGB) in die Wohnung eindringt und sich wieder in deren Besitz setzt. Die dagegen um Hilfe angegangenen Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen zivil- und prozeßrechtlichen Bestimmungen des einfachen Rechts Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG zu beachten. Eine mittelbare Drittwirkung von Art. 13 Abs. 1 GG kommt darüber hinaus bei der inhaltlichen Kontrolle bestehender Mietverträge in Betracht, etwa bei der Prüfung von Abreden, die dem Vermieter ein jederzeitiges Betretungsrecht einräumen (§ 138 Abs. 1 BGB).
III.
Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Eine Anwendung dieses Grundrechts kommt nur in Betracht, wenn nicht der Schutzbereich eines anderen, spezielleren Grundrechts betroffen ist (vgl. BVerfGE 13, 290 [296]; 44, 1 [18 f.]; 79, 292 [304]; 83, 182 [194]). Der Beschwerdeführer sucht Schutz davor, daß ihm durch eine gerichtlich für wirksam befundene Kündigung und ein darauf gestütztes Räumungsurteil der Besitz an seiner bisherigen Wohnung als dem räumlichen Lebensmittelpunkt für die Entfaltung seiner Persönlichkeit entzogen wird. Das Besitzrecht des Mieters und sein Interesse am Erhalt der bisherigen Wohnung fallen aber schon in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG kann in Räumungsprozessen berührt sein, wenn das Mietgericht dem Mieter seine Vorstellungen von angemessenem Wohnen aufdrängt (vgl. BVerfGE 85, 214 [218]). Darum geht es hier jedoch nicht.
IV.
Das angegriffene Urteil verletzt schließlich nicht den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot.
Willkürlich ist ein Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird. Davon kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 [278 f.]).
Im Mietrecht gilt kein anderer Begriff der Willkür. Soweit es in früheren Entscheidungen heißt, willkürlich sei eine Maßnahme, die im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden solle, tatsächlich und eindeutig unangemessen sei (vgl. BVerfGE 80, 48 [51]; 83, 82 [84]; 86, 59 [63]), ist mit dieser Wendung keine weitergehende Prüfung, etwa im Sinne einer Art Angemessenheitsprüfung, gemeint und gewollt. Sicher müssen die Fachgerichte den Belangen der Beteiligten Rechnung tragen und sie in einer Weise ernst nehmen, die der rechtlichen und tatsächlichen Situation angemessen ist. Die Grenze zur Willkür ist aber erst überschritten, wenn die Auslegung und die Anwendung einfachen Rechts unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr verständlich ist, es sich also um eine krasse Fehlentscheidung handelt.
Das ist hier nicht der Fall. Das Landgericht hat sich mit der Rechtslage auseinandergesetzt. Es hat die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs ausgewertet und in seinem Urteil richtig wiedergegeben. Es hat bezogen auf den konkret zu entscheidenden Fall eine, wenn auch sehr knappe, Begründung dafür gegeben, warum es meint, daß die Kündigung der Klägerin von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist. Die hierfür gegebene Begründung ist nicht schlechthin unverständlich, mag auch eine andere Entscheidung, gemessen an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB, näher gelegen haben.
Herzog, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Dieterich, Kühling, Seibert