BVerfGE 90, 22 - Annahmegründe
Zu den Voraussetzungen der Annahme einer Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 BVerfGG.
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 8. Februar 1994
-- 1 BvR 1693/92 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn E..., 2. des Herrn W... -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Christoph Kremer, Eschersheimer Landstraße 69, Frankfurt am Main -- gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Oktober 1992 -- 19 U 108/87--.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
 
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Mietrechtsstreit.
I.
Die Beschwerdeführer sind vor dem Landgericht von ihren früheren Vermietern auf Zahlung von Mietzins und Nebenkosten in Höhe von insgesamt 8600,13 DM nebst Zinsen verklagt worden. Der Abrechnungszeitraum erstreckte sich vom 1. Januar 1982 bis zum 15. November 1985, dem Tage des Auszugs der Beschwerdeführer. Diese behaupteten Mängel der vermieteten Räume; deshalb könnten sie den Mietzins mindern. Die Nebenkosten seien aufgrund einer vertraglichen Regelung durch monatliche Pauschalzahlungen abgegolten. Der mit den Klägern vereinbarte Mietzins sei überhöht; dies verstoße gegen § 5 WiStG.
Das Landgericht gab der Klage im wesentlichen statt. Das Oberlandesgericht änderte dessen Entscheidung und verurteilte die Beschwerdeführer, den Klägern 4109,43 DM nebst Zinsen zu zahlen. Zwar sei möglicherweise nach § 29 a ZPO das Amtsgericht sachlich zuständig gewesen. Darauf könne die Berufung gemäß § 10 ZPO jedoch nicht gestützt werden. Der Mietvertrag habe Wohnräume und nicht gewerblich genutzte Räume zum Gegenstand gehabt. Die Beschwerdeführer seien nicht verpflichtet, für 1982 den vereinbarten Mietzins von je 600 DM für Januar und Februar und von je 680 DM für die restlichen Monate des Jahres zu zahlen. Nach den Feststellungen des eingeholten Sachverständigengutachtens habe der ortsübliche Mietzins zum 1. Januar 1982 nur 3,95 DM/qm betragen. Rechne man einen Zuschlag von 20 vom Hundert hinzu, gelange man zu 4,74 DM/qm. Damit sei die nach § 5 WiStG zulässige Grenze überschritten, denn die Parteien hätten einen Mietzins von 5,37 DM/qm vereinbart. Das führe zur Teilnichtigkeit und infolgedessen dazu, daß nur ein Mietzins von 4,74 DM/qm geschuldet werde. Für die Zeit ab 1. Januar 1983 sei der unveränderte Mietzins dagegen mit § 5 WiStG vereinbar gewesen. Den Klägern komme die jährliche Steigerung der ortsüblichen Entgelte zugute. Der vereinbarte Mietzins überschreite die 20 vom Hundert darüber liegende Wesentlichkeitsgrenze nicht mehr. Den danach geschuldeten Mietzins könnten die Beschwerdeführer wegen Geräuschbelästigungen um 10 vom Hundert mindern. Die übrigen von ihnen gerügten Mängel rechtfertigten keine weitere Minderung.
II.
1. Mit ihrer gegen das Urteil des Oberlandesgerichts eingelegten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer:
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, weil das Oberlandesgericht sich trotz § 10 ZPO nicht als der gesetzliche Richter habe ansehen dürfen. Obwohl ein Wohnraummietverhältnis vorgelegen habe und es um eine Frage grundsätzlicher Bedeutung gegangen sei, habe ein Rechtsentscheidsverfahren nach § 541 ZPO nicht stattgefunden.
b) Das Urteil verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Oberlandesgericht Vortrag zu weiteren Mängeln übergangen habe und Beweisantritten nicht nachgegangen sei. Ohne den erforderlichen Hinweis und deshalb für sie überraschend laste es ihnen ferner an, sie hätten keinen Beweis für die behauptete Vereinbarung angetreten, daß es mit der Zahlung der 200 DM auf die Nebenkosten sein Bewenden haben solle.
c) Schließlich verletze die Entscheidung Art. 3 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe den Betrag des zu zahlenden Mietzinses zu hoch angesetzt. Die Steigerung der Vergleichsmieten dürfe ihnen nicht entgegengehalten werden. Andernfalls könnten die Kläger einen 20 vom Hundert über der jeweiligen Vergleichsmiete liegenden Mietzins behalten und würden damit besser als der rechtstreue Vermieter gestellt, ohne sich je mit einem Mieterhöhungsverfahren belastet zu haben. Dadurch werde den Beschwerdeführern der formelle und materielle Schutz des § 2 MHG vorenthalten. Auf diese Weise würden sie als Opfer des durch § 5 WiStG verbotenen Sozialwuchers schlechter als die Mieter gestellt, die nur den Vergleichsmietzins geschuldet hätten.
Es verstoße auch gegen das Willkürverbot, in den Fällen des § 5 WiStG die Zahlungspflicht nicht auf den Vergleichsmietzins zu reduzieren, sondern dem rechtsuntreuen Vermieter noch einen Zuschlag von 20 vom Hundert zu belassen.
2. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Der Vorsitzende des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs hat auf Rechtsprechung zur Teilnichtigkeit von Mietzinsvereinbarungen bei Verstößen gegen § 5 Abs. 1 WiStG hingewiesen.
III.
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten läßt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt oder die durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist. Über die Beantwortung der verfassungsrechtlichen Frage müssen also ernsthafte Zweifel bestehen. Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne kann sein, daß die Frage in der Fachliteratur kontrovers diskutiert oder in der Rechtsprechung der Fachgerichte unterschiedlich beantwortet wird. An ihrer Klärung muß zudem ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse bestehen. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn sie für eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten bedeutsam ist oder ein Problem von einigem Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann. Bei der Prüfung der Annahme muß bereits absehbar sein, daß sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde mit der Grundsatzfrage befassen muß. Kommt es auf sie hingegen nicht entscheidungserheblich an, ist eine Annahme nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG nicht geboten.
Die hier mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerfGE 87, 282 [285]; zu Art. 103 Abs. 1 GG: BVerfGE 84, 34 [58] und 86, 133 [144 f.]; zu Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 88, 87 [97]; jeweils m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, daß der vorliegende Fall weitere grundsätzliche Klärung erfordert.
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das ist der Fall, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze kraß verletzt. Eine existentielle Betroffenheit des Beschwerdeführers kann sich vor allem aus dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung oder seiner aus ihr folgenden Belastung ergeben. Ein besonders schwerer Nachteil ist jedoch dann nicht anzunehmen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder wenn deutlich abzusehen ist, daß der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde.
a) Die Rügen einer Verletzung der Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und 103 Abs. 1 GG haben keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Von einer weiteren Begründung hierzu wird abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
b) Auch zur Durchsetzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt.
Seine Auffassung, daß den Klägern der Mietzins bis zu 20 vom Hundert über der jeweiligen Vergleichsmiete zu belassen sei, stützt das Oberlandesgericht auf die in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung stehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bei einer Mietpreisüberhöhung nach § 5 WiStG die Mietpreisvereinbarung insoweit nichtig ist, als der Mietzins die ortsübliche Vergleichsmiete mehr als nur unwesentlich übersteigt (vgl. BGHZ 89, 316 [319]). Dieses in Anwendung von § 134 Halbsatz 2 BGB gefundene Ergebnis hat der Bundesgerichtshof damit begründet, daß die Teilnichtigkeit nicht weiter reichen könne als die tatbestandliche Erfüllung des Verbotsgesetzes. Was das Gesetz nicht verbiete, sei rechtmäßig und könne daher nicht der Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB anheimfallen.
Art. 3 Abs. 1 GG läßt dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte und das Verhalten von Personen entsprechend dem Regelungszusammenhang unterschiedlich zu behandeln. Das gilt insbesondere dann, wenn die Betroffenen die Möglichkeit haben, sich auf die Regelung einzustellen und nachteiligen Auswirkungen durch eigenes Verhalten zu begegnen (vgl. BVerfGE 60, 329 [346]; 81, 156 [206]). Danach ist es nicht ersichtlich, daß die vom Oberlandesgericht vertretene Auslegung gegen das Gleichbehandlungsgebot verstößt. Die Auslegung führt auch nicht dazu, daß Mieter, deren Vermieter sich einen über der nach § 5 WiStG zulässigen Höhe liegenden Mietzins hat versprechen lassen, schutzlos bleiben. Denn sie können sich, ohne um den Bestand des Mietvertrages fürchten zu müssen, auf die Teilnichtigkeit der Mietpreisvereinbarung berufen und die Zahlung des die Wesentlichkeitsgrenze überschreitenden Betrages verweigern. Auf diese Weise können sie den Folgen der vertraglichen Vereinbarung wenigstens teilweise begegnen.
Für eine willkürliche Rechtsfindung durch das Oberlandesgericht ist nichts hervorgetreten. Zwar mag auch eine andere Auslegung des geltenden Rechts möglich sein, etwa dahin, daß die Mietpreisvereinbarung bis zur Höhe der Vergleichsmiete für teilnichtig erachtet oder daß der Zuschlag von 20 vom Hundert nicht zu dem zwischenzeitlich angestiegenen Vergleichsmietzins hinzugerechnet wird. Das sind jedoch einfachrechtliche Fragen, die das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden hat.
Den Beschwerdeführern entsteht schließlich durch die Versagung einer Entscheidung zur Sache kein besonders schwerer Nachteil, der die Annahme der Verfassungsbeschwerde rechtfertigen könnte. Bei der auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützten Rüge geht es im Ergebnis um rund 1500 DM. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführer ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß diese Belastung sie besonders schwer trifft.
Herzog, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Kühling, Seibert