BVerfGE 95, 408 - Grundmandatsklausel
Zur Verfassungsmäßigkeit der Grundmandatsklausel des § 6 Abs. 6 Satz 1, 2. Halbsatz BWG.
 
Urteil
des Zweiten Senats vom 10. April 1997 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. November 1996
-- 2 BvC 3/96 --
in dem Verfahren über die Wahlprüfungsbeschwerde des Herrn Prof. Dr. H..., gegen den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 30. November 1995 - WP 1077/94 - (BTDrucks 13/2800; Anlage 19) -.
Entscheidungsformel:
Die Wahlprüfungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
 
Gründe:
 
A.
Die Wahlprüfungsbeschwerde des Beschwerdeführers betrifft die Wahl zum 13. Deutschen Bundestag vom 16. Oktober 1994. Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, daß die PDS infolge der - von ihm für verfassungswidrig gehaltenen - Grundmandatsklausel des § 6 Abs. 6 Satz 1, 2. Halbsatz BWG bei der Sitzverteilung nach dem Proportionalverfahren gemäß § 6 Abs. 2 BWG berücksichtigt wurde.
I.
1. Der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag liegt das Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Mai 1994 (BGBl. I S. 993), zugrunde. § 6 Abs. 6 lautet:
    "Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung."
Bei dieser Bundestagswahl entfielen auf die PDS bundesweit 4,4 v.H. der gültigen Zweitstimmen. Sie gewann im Bundesland Berlin vier Wahlkreise:
    Wahlkreis 249: 53.368 Erststimmen (40,6 v.H.)
    Wahlkreis 258: 70.824 Erststimmen (44,4 v.H.)
    Wahlkreis 260: 75.000 Erststimmen (48,9 v.H.)
    Wahlkreis 261: 59.503 Erststimmen (36,8 v.H.).
Infolge der Grundmandatsklausel nahm die PDS mit ihren bundesweit erworbenen Zweitstimmen an dem Verfahren der proportionalen Sitzvergabe gemäß § 6 Abs. 2 BWG teil. Sie erhielt - entsprechend dem Verhältnis ihrer Zweitstimmen zu den Zweitstimmen der anderen zu berücksichtigenden Parteien - 30 Sitze. Von diesen wurden gemäß § 6 Abs. 4 BWG die vier in den Wahlkreisen errungenen Mandate abgezogen, so daß 26 Sitze aus den Landeslisten der PDS besetzt wurden.
2. Seit der Durchführung von Bundestagswahlen in der Bundesrepublik Deutschland ist die Teilnahme von Parteien an der proportionalen Sitzverteilung abhängig von der Überwindung einer Fünfprozentsperrklausel oder dem Gewinn einer bestimmten Zahl von Wahlkreisen.
Nach § 10 Abs. 4 und 5 des Wahlgesetzes zum ersten Bundestag und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Juni 1949 (BGBl. 21) - ergänzt und abgeändert durch Gesetz vom 5. August 1949 (BGBl. 25) - nahmen am Verhältnisausgleich auf Landesebene nur Parteien teil, für die in mindestens einem Wahlkreis des Landes ein Abgeordneter gewählt worden war oder die zumindest 5 v.H. der im Lande abgegebenen gültigen Stimmen erzielt hatten. Das Wahlgesetz zum zweiten Bundestag vom 8. Juli 1953 (BGBl. I S. 470) machte die Zulassung zum Verhältnisausgleich von einem auf das gesamte Bundesgebiet bezogenen Fünfprozentquorum oder von der Erringung eines Direktmandates abhängig (§ 9 Abs. 4 BWG 1953). Erstmals fanden Sperr- und Grundmandatsklausel auf Parteien nationaler Minderheiten keine Anwendung (§ 9 Abs. 5 BWG 1953). Das Bundeswahlgesetz vom 7. Mai 1956 (BGBl. I S. 383) behielt die auf das gesamte Wahlgebiet bezogene Fünfprozentsperrklausel sowie die Ausnahme für nationale Minderheiten bei, verschärfte aber die Grundmandatsklausel auf drei Direktmandate (§ 6 Abs. 4 BWG 1956). Dabei ist es bis heute geblieben. Lediglich für die ersten gesamtdeutschen Wahlen zum 12. Deutschen Bundestag 1990 wurde die Sperrklausel im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 82, 322 ff.) dahin abgemildert, daß 5 v.H. der Zweitstimmen entweder im bisherigen Gebiet der Bundesrepublik oder in dem hinzugekommenen Wahlgebiet erworben sein mußten (vgl. die Übergangsregelung in § 53 Abs. 1 BWG i.d.F. vom 19. Oktober 1990 - BGBl. I S. 2218).
3. Fünfprozentsperrklauseln sehen die Landeswahlgesetze sämtlicher Bundesländer ebenso vor wie das deutsche Wahlrecht zum Europäischen Parlament. Grundmandatsklauseln regeln daneben noch die Wahlgesetze von Berlin (§ 18; ebenso Art. 39 Abs. 2 der Verfassung von Berlin), Brandenburg (§ 3 Abs. 1 Satz 1), Sachsen (§ 6 Abs. 1) und Schleswig-Holstein (§ 3 Abs. 1). In Sachsen ist der Gewinn von zwei Wahlkreisen erforderlich, in den anderen Ländern genügt ein Grundmandat.
4. Über die Grundmandatsklausel gelangten bisher in den Deutschen Bundestag: 1953 die Deutsche Partei (DP) und das Zentrum, 1957 die DP (vgl. Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1982, hrsg. vom Presse- und Informationszentrum des Deutschen Bundestages, 1983, S. 35 f.) sowie 1994 die PDS. Direktmandate wurden nach 1957 bis zur ersten gesamtdeutschen Wahl ausschließlich von der CDU, der SPD und der CSU gewonnen (vgl. die Übersicht in: Statistisches Bundesamt, Wahl zum 11. Deutschen Bundestag, S. 22). Bei der Bundestagswahl 1990 errangen die F.D.P. im Wahlkreis 291 (Halle-Altstadt) sowie die PDS im Wahlkreis 261 (Berlin-Hellersdorf-Marzahn) jeweils ein Direktmandat (vgl. Statistisches Bundesamt, Wahl zum 12. Deutschen Bundestag, S. 80 und 88).
II.
1. Der Beschwerdeführer hat gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl vom 16. Oktober 1994 Einspruch mit der Begründung eingelegt, der PDS hätten gemäß § 5 BWG lediglich die vier in den Wahlkreisen errungenen Mandate zugeteilt werden dürfen, nicht aber darüber hinaus weitere 26 Listensitze. Die alternativ den Zugang zum Verhältnisausgleich eröffnende Grundmandatsklausel des § 6 Abs. 6 Satz 1, 2. Halbsatz BWG verletze die Wahlrechtsgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien. Für die Privilegierung von Splitterparteien durch die Grundmandatsklausel stehe dem Gesetzgeber weder ein zureichender noch ein zwingender Grund zur Seite.
a) Das mit der Personenwahl verfolgte Anliegen, eine persönliche Bindung der Wahlkreiskandidaten zu ihrem Wahlkreis herzustellen, könne nicht rechtfertigen, daß der Gewinn von Wahlkreisen zum Anlaß genommen werde, auch Landeslistenmandate zu vergeben. Die Klausel sei auch nicht zur Privilegierung von Schwerpunktparteien geeignet. Schwerpunkte nach Zweitstimmen erfasse sie nicht. Sie ermögliche nicht die Repräsentation örtlicher Stimmenkonzentrationen, sondern führe dazu, daß auch alle anderen über das Wahlgebiet verstreuten Stimmen am Verhältnisausgleich teilnähmen. Hinzu komme, daß die Klausel selbst dann noch erfüllt sei, wenn die Grundmandatewahlkreise räumlich weit auseinanderlägen.
b) Die Klausel konterkariere das mit der Sperrklausel verfolgte Anliegen, Splitterparteien vom Parlament fernzuhalten, um so dessen Handlungsfähigkeit zu sichern. Dieser Regelungszweck werde unterlaufen, wenn kleine Schwerpunktparteien nur wegen des Erwerbs von drei Direktmandaten für alle ihre Zweitstimmen Sitze zugeteilt erhielten. Zudem bestehe die Gefahr, daß die von der Grundmandatsklausel begünstigten Parteien lediglich einseitig für Sonderinteressen und nicht für eine am Gemeinwohl orientierte Politik einträten (Hinweis auf BVerfGE 6, 84 [97]; 51, 222 [236]).
c) Es bestehe eine verfassungsrechtlich bedenkliche Diskrepanz zwischen der Stimmenzahl, die aufzubringen sei, um die Fünfprozenthürde zu überwinden, und der Stimmenzahl, mit der drei Wahlkreise direkt errungen werden könnten. So hätten bei der in Rede stehenden Wahl drei Wahlkreismandate mit rund 180.000 Erststimmen gewonnen werden können. Demgegenüber seien 2.355.288 Zweitstimmen erforderlich gewesen, um das Fünfprozentquorum zu erreichen.
d) Die Nachwirkungen der deutschen Wiedervereinigung rechtfertigten es nicht, die Grundmandatsklausel trotz der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken zuzulassen. Lediglich die erste gesamtdeutsche Wahl habe "unter besonderen, so nicht wiederkehrenden Umständen" stattgefunden (Hinweis auf BVerfGE 82, 322 [339]).
2. Mit Beschluß vom 30. November 1995 hat der Deutsche Bundestag den Wahleinspruch des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Der Gesetzgeber habe die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit bei der Konkretisierung des Grundsatzes der gleichen Wahl nicht überschritten. Es stehe ihm frei, von einem zulässigen Quorum Ausnahmen zu gestatten und Parteien, die das Quorum nicht erreichten, zur Mandatszuteilung zuzulassen, wenn - wie hier - ein zureichender Grund für diese Sonderbehandlung gegeben sei.
Die Grundmandatsklausel stelle gegenüber der Fünfprozentsperrklausel eine Erleichterung für die kleineren Parteien dar; sie finde ihre Rechtfertigung in der Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahl sowie in der Erringung einer größeren Stimmenzahl in Teilen des Wahlgebiets. Das Bundeswahlgesetz habe vor den Verhältnisausgleich eine Personenwahl nach relativer Mehrheit in den Wahlkreisen gesetzt. Hierdurch solle eine engere persönliche Beziehung der Wahlkreisabgeordneten zu dem Wahlkreis, in dem sie gewählt worden seien, geknüpft werden. Diese Intention des Gesetzgebers rechtfertige es, Parteien, die drei Direktmandate erzielten, für parlamentswürdig zu halten, weil sie sich in lokalen Schwerpunkten als politisch bedeutsam erwiesen und zugleich in besonderer Weise dem Anliegen der personalisierten Verhältniswahl entsprochen hätten. Eine Partei, die im Wahlgebiet nicht das generelle Quorum erreiche, erweise ihre Parlamentswürdigkeit dadurch, daß sie in der Mehrheitswahl Erfolg habe. Aus der Zulässigkeit der reinen Mehrheitswahl folge, daß ein Wahlgesetz als einzige Bedingung für die Teilnahme am Verhältnisausgleich einen Erfolg in der Mehrheitswahl fordern dürfe. Bei einem Wahlsystem, das die Wahl in den Wahlkreisen bevorzuge, sei es nur folgerichtig, daß eine Schwerpunktpartei auf eine gewisse Stimmenzahl Mandate erhalte, während eine Partei, die im Wahlgebiet verstreut Stimmen erhalte, auch mit einer erheblich größeren Stimmenzahl leer ausgehen könne. Es unterliege der freien Entscheidung des Gesetzgebers, wieviele Direktmandate er als Voraussetzung für die Teilnahme am Verhältnisausgleich fordere.
III.
Gegen den Beschluß des Deutschen Bundestages hat der Beschwerdeführer innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten gemäß Art. 41 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 48 BVerfGG Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht eingelegt. Zugleich hat er über 500 Beitrittserklärungen anderer Wahlberechtigter vorgelegt.
1. Der Beschwerdeführer wiederholt und vertieft seine bereits im Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Bundestag vorgetragene Argumentation. Er führt ergänzend aus:
Die Anknüpfung der Grundmandatsklausel an das mehrheitswahlrechtliche Element lasse sich nicht als Kriterium für die Repräsentationsbedürftigkeit rechtfertigen; dem Aspekt der Repräsentation werde schon durch die Beibehaltung der Direktmandate Rechnung getragen. Davon abgesehen sei es Sache des Wählers, über die Parlamentswürdigkeit und die politische Bedeutsamkeit von Parteien zu befinden. Das Wahlrecht müsse in dieser Frage strikte Neutralität wahren. Dies gelte auch dann, wenn man die Teilnahme am Verhältnisausgleich als Prämierung für erfolgreiche Wahlkreisarbeit und lokale oder regionale politische Bedeutsamkeit begreife. Die Grundmandatsklausel sichere einer Splitterpartei ihren Erfolg nicht nur dort, wo sie Prämierung verdiene, sondern auch, wo sie sich von anderen Parteien nicht unterscheide. Eine Schwerpunktpartei behalte ihre Direktmandate auch ohne die Grundmandatsklausel. Diese bewirke lediglich, daß weitere (Listen-)Kandidaten aufgrund von Stimmen, die "verstreut" im gesamten Wahlgebiet gewonnen worden seien, Mandate erhielten.
2. Der Beschwerdeführer beantragt,
    1. den Beschluß des Deutschen Bundestages vom 30. November 1995 aufzuheben;
    2. die Wahl zum 13. Deutschen Bundestag vom 16. Oktober 1994 insoweit für ungültig zu erklären, als die Verteilung der Sitze auf Landeslisten auf der Grundmandatsklausel des § 6 Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. BWG beruht;
    3. festzustellen, daß die infolge der Anwendung der Grundmandatsklausel des § 6 Abs. 6 Satz l 2. Alt. BWG erworbenen Mitgliedschaften im Deutschen Bundestag aufgrund der Wahl vom 16. Oktober 1994 ungültig sind;
    4. festzustellen, daß § 6 Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. BWG (Grundmandatsklausel) verfassungswidrig und nichtig ist;
    sowie hilfsweise zu den Anträgen zu 2. bis 4.,
    5. festzustellen, daß § 6 Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. BWG (Grundmandatsklausel) mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.
IV.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, den Regierungen der Bundesländer, deren Wahlrecht ebenfalls eine Grundmandatsklausel enthält, sowie den von der Wahlanfechtung betroffenen Bundestagsabgeordneten der PDS und den im Bundestag vertretenen politischen Parteien Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
1. Für die Bundesregierung hat das Bundesministerium des Innern darauf verwiesen, daß die Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages in ihrem Zwischenbericht vom 8. Mai 1996 (BTDrucks 13/4560) die Auffassung vertrete, die Grundmandatsklausel stehe mit den Wahlgrundsätzen der Verfassung in Einklang. Die Kommission empfehle daher, die Grundmandatsklausel des § 6 Abs. 6 Satz 1, 2. Halbsatz BWG für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag unverändert zu lassen.
2. Die Bundestagsabgeordneten der PDS, deren Stellungnahme sich die Partei angeschlossen hat, halten die Wahlprüfungsbeschwerde teilweise für unzulässig (Anträge 3. bis 5.), jedenfalls aber für insgesamt unbegründet.
Die Verbindung der personalisierten Verhältniswahl mit Elementen der Mehrheitswahl lasse es zu, daß der Gesetzgeber verschiedene "Hürden" errichte, die sowohl an die Verhältniswahl als auch an die Mehrheitswahl anknüpften. Die Grundmandatsklausel eröffne bestimmten Parteien den Zugang zum Verhältnisausgleich, an dem sie ohne die Fünfprozentklausel von vornherein hätten teilnehmen können. Damit sei nicht die bereits durch die Sperrklausel modifizierte Wahlrechtsgleichheit das verfassungsrechtliche Maß, sondern die unverkürzte Wahlrechtsgleichheit. Soweit Verstöße gegen die Wahlrechtsgleichheit darin gesehen würden, daß drei Direktmandate schon mit 0,6 v.H. aller Erststimmen erworben werden könnten, während die Überwindung der Sperrklausel 5 v.H. der abgegebenen Zweitstimmen erfordere, werde verkannt, daß es in der Bundesrepublik Deutschland für eine kleinere Partei äußerst schwierig sei, drei Direktmandate zu erringen. Deshalb könne eine Partei, der dies im Ausnahmefall gelinge, nicht mit einer Partei verglichen werden, die zwar mehr Zweitstimmen auf sich vereinige, aber dennoch sowohl an dem Fünfprozentquorum wie auch an der Grundmandatsklausel scheitere. Die Grundmandatsklausel wolle regionalen Schwerpunktparteien mit bundespolitischer Bedeutung den Einzug in den Bundestag ermöglichen. Dem entspreche der Wahlerfolg der PDS. In der gegenwärtigen Situation liefe die kompensationslose Abschaffung der Grundmandatsklausel zudem dem Integrationscharakter der Wahl zuwider.
3. Die CSU hält Grundmandatsklauseln im System der personalisierten Verhältniswahl für verfassungsrechtlich zulässig. Das geltende Wahlsystem sei ein Wahlrecht auf der Grundlage einer "weitgehend modifizierten Proportionalität", bewirke eine bessere personale Verbindung der einzelnen Wahlkreisabgeordneten zu den Wählern ihrer Wahlkreise und führe in größtmöglichem Umfang dazu, daß jede politische Strömung im Volke von einiger Bedeutung im Parlament vertreten sei. Die Bevorzugung von Parteien, die an der Sperrklausel gescheitert seien, aber Grundmandate erzielten, sei vor dem Hintergrund zu rechtfertigen, daß das Bundeswahlgesetz insofern vom Verhältniswahlsystem abweiche, als es vor den Verhältnisausgleich eine Personenwahl nach Mehrheit in den Wahlkreisen gesetzt und hierauf ein Gewicht gelegt habe, das gegebenenfalls die "reine" Verhältnismäßigkeit durchbrechen könne. Die Grundmandatsklausel stelle in diesem Mischsystem ein statthaftes Element dar. Sie finde ihre Rechtfertigung darin, daß eine Partei, die Direktmandate erringe, zeige, daß sie das Vertrauen der Bevölkerung habe und infolgedessen im Parlament vertreten sein solle.
Im übrigen seien Direktmandate ungleich schwerer zu erringen als Listenmandate mit über das ganze Wahlgebiet verteilten Zweitstimmen. Daher müßten für die verfassungsrechtliche Beurteilung einer auf Wahlkreissitze abstellenden Zugangshürde eigene, auf die Struktur des Direktwahlsystems bezogene Kriterien zugrunde gelegt werden. Bei 248 Wahlkreisen, in die das Wahlgebiet bis zur Wiedervereinigung aufgeteilt gewesen sei, sei es nicht systemwidrig gewesen, den Gewinn von drei (bis fünf) Wahlkreisen als adäquat vorauszusetzen. Im nunmehr gesamtdeutschen Wahlgebiet hätten sich allerdings die Bedingungen der Verhältnis- und Mehrheitswahl in einer Weise auseinanderentwickelt, die jedenfalls für die dritte gesamtdeutsche Wahl eine Reaktion der Wahlgesetzgebung erforderlich mache. Die Grundmandatsklausel müsse zumindest vier Mandate verlangen, "politisch stimmiger wäre (5 v.H. oder fünf Mandate) die Zahl fünf". Die Zahl der Wahlberechtigten habe sich um rund 29 v.H. vergrößert. Dem stehe unverändert dasselbe Grundmandatequorum gegenüber, obgleich auch die Zahl der Wahlkreise von 248 auf 328 (um 32,3 v.H.) angehoben worden sei. Anders als möglicherweise noch im Vorfeld der zweiten gesamtdeutschen Bundestagswahl seien nunmehr im wiedervereinigten Deutschland keine Umstände mehr ersichtlich, die wahlgesetzliche Sonderregelungen rechtfertigen könnten.
V.
Der Senat hat zur verfassungsrechtlichen Beurteilung von Grundmandatsklauseln in anderen europäischen Staaten ein rechtsvergleichendes Gutachten eingeholt. Wegen der Ergebnisse der Untersuchung wird auf das Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg vom 25. Juli 1996 Bezug genommen.
VI.
In der mündlichen Verhandlung haben der Beschwerdeführer sowie der Abgeordnete Gysi namens der im Deutschen Bundestag vertretenen Abgeordneten der PDS ihr schriftsätzliches Vorbringen bekräftigt und vertieft.
Der Prozeßbevollmächtigte der Bundesregierung hat ergänzend ausgeführt, die Grundmandatsklausel habe zwar Ungleichheiten innerhalb der an der Sperrklausel gescheiterten kleinen Parteien zur Folge. Diese Differenzierungen seien jedoch durch die Systementscheidung des Wahlgesetzgebers zugunsten einer personalisierten Verhältniswahl gerechtfertigt. Ebenso wie bei den Überhangmandaten sei Legitimationsgrund die besondere politische Wertigkeit der Erststimme.
 
B.
Die Anträge zu 1. und 2. sind unbegründet. Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob die weiteren Anträge, die den Erfolg der Wahlanfechtung voraussetzen, im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde zulässig sind.
I.
1. Der für die Wahl zum Deutschen Bundestag in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Grundsatz der gleichen Wahl verlangt, daß die Stimme eines jeden Wahlberechtigten den gleichen Zählwert und - im Rahmen des vom Gesetzgeber gemäß Art. 38 Abs. 3 GG festzulegenden Wahlsystems - die gleiche rechtliche Erfolgschance hat. Dieser Grundsatz ist wegen seines Zusammenhangs mit dem Demokratieprinzip im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen (st Rspr, vgl. BVerfGE 11, 351 [360]; 82, 322 [337]). Bei der Verhältniswahl hat jeder Wähler die gleiche rechtliche Möglichkeit der Einflußnahme auf die Zuteilung der Parlamentssitze nur dann, wenn jeder Stimme grundsätzlich der gleiche Erfolgswert zukommt (st Rspr, vgl. BVerfGE 1, 208 [246]; 82, 322 [337]; 85, 148 [157]).
Den gleichen Anforderungen hat das Wahlrecht auch im Hinblick auf die gemäß Art. 21 Abs. 1, 38 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich verbürgte Chancengleichheit der Parteien zu genügen (vgl. BVerfGE, 82, 322 [337 f.]).
2. Aus dem Grundsatz der Erfolgswertgleichheit bei der Verhältniswahl folgt, daß dem Gesetzgeber für Differenzierungen des Erfolgswerts der Wählerstimmen nur ein eng bemessener Spielraum verbleibt (vgl. BVerfGE, 82, 322 [338]). Differenzierungen sind nur unter Voraussetzungen gerechtfertigt, die das Bundesverfassungsgericht seit seiner Entscheidung im Jahre 1952 (BVerfGE 1, 208 [248 f.]) in der Formel eines "zwingenden Grundes" zusammenfaßt.
a) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt allerdings nicht, daß sich die Differenzierungen von Verfassungs wegen als zwangsläufig oder notwendig darstellen, wie dies etwa in Fällen der Kollision der Wahlrechtsgleichheit mit den übrigen Wahlrechtsgrundsätzen oder anderen Grundrechten der Fall sein kann (vgl. BVerfGE 14, 121 [133, 136 f.]; 59, 119 [125]). Es werden auch Gründe zugelassen, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten kann (vgl. BVerfGE 71, 81 [96]). Dabei ist es nicht erforderlich, daß die Verfassung diese Zwecke zu verwirklichen gebietet (vgl. BVerfGE 4, 31 [41]; 51, 222 [237 f., 249]). In diesem Zusammenhang rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht Differenzierungen auch durch "zureichende", "aus der Natur des Sachbereichs der Wahl der Volksvertretung sich ergebende Gründe" (vgl. BVerfGE 1, 208 [248]; 6, 84 [92]). Hierzu zählt insbesondere die Verwirklichung der mit der Parlamentswahl verfolgten Ziele (vgl. BVerfGE 13, 243 [247]; 51, 222 [236]); dazu gehören die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfGE 6, 84 [92 f.]; 71, 81 [97]) und die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung (vgl. BVerfGE 4, 31 [40]; 51, 222 [236]; 82, 322 [338]).
b) Differenzierende Regelungen müssen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sein (vgl. BVerfGE 6, 84 [94]; 51, 222 [238]; 71, 81 [96]). Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich daher auch danach, mit welcher Intensität in das - gleiche - Wahlrecht eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 71, 81 [96]). Ebenso können gefestigte Rechtsüberzeugung und Rechtspraxis Beachtung finden (vgl. BVerfGE 1, 208 [249]; 82, 322 [338]; 93, 373 [376 f.]). Der Gesetzgeber muß sich bei seiner Einschätzung und Bewertung nicht an abstrakt konstruierten Fallgestaltungen, sondern an der politischen Wirklichkeit orientieren (vgl. BVerfGE 1, 208 [259]; 7, 63 [75]; 82, 322 [344]).
3. a) Das Ziel der Verhältniswahl, den politischen Willen der Wählerschaft in der zu wählenden Körperschaft möglichst wirklichkeitsnah abzubilden, kann dazu führen, daß im Parlament viele kleine Gruppen vertreten sind und hierdurch die Bildung einer stabilen Mehrheit erschwert oder verhindert wird. Soweit es zur Sicherung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments geboten ist, darf der Gesetzgeber deshalb bei der Verhältniswahl den Erfolgswert der Stimmen durch eine Sperrklauselregelung unterschiedlich gewichten. Dabei muß der Gesetzgeber jedoch auch die Funktion der Wahl als eines Vorgangs der Integration politischer Kräfte sicherstellen und zu verhindern suchen, daß gewichtige Anliegen im Volke von der Volksvertretung ausgeschlossen bleiben (vgl. BVerfGE 6, 84 [92 f.]; 14, 121 [135 f.]; 24, 300 [341]; 41, 1 [13 f. ]; 41, 399 [421]; 51, 222 [236]; 71, 81 [97]). Entschließt der Gesetzgeber sich zur Einführung einer Sperrklausel, darf er daher in aller Regel kein höheres als ein Fünfprozentquorum - bezogen auf das Wahlgebiet - begründen (st Rspr, vgl. BVerfGE 51, 222 [237]; 71, 81 [97]; 82, 322 [338]). Innerhalb dieser Grenze unterliegt es seiner Entscheidung, wie weit er diese Möglichkeit zur Differenzierung ausschöpft (vgl. BVerfGE 6, 84 [94]; 51, 222 [237 f.]; 82, 322 [339]).
b) Der Gesetzgeber kann den Zugang zum Sitzzuteilungsverfahren und damit zum Parlament auch von der Überwindung einer von mehreren (alternativen) Hürden abhängig machen, wenn die Gesamtregelung im Wahlgebiet grundsätzlich keine höhere Sperrwirkung als 5 v.H. erzeugt (vgl. BVerfGE 47, 253 [277]). Eine solche Regelung läßt sich allerdings nicht allein damit rechtfertigen, daß sie im Vergleich zu einer uneingeschränkt angeordneten Sperrklausel eine "Vergünstigung" darstellt (vgl. BVerfGE 82, 322 [339]). Zwar nimmt jede weitere Zugangsmöglichkeit den durch eine Sperrklausel bewirkten Eingriff in die Wahlgleichheit teilweise zurück und schwächt damit die Intensität des Eingriffs ab. Dies erfolgt indessen um den Preis, daß eine neue Ungleichheit zwischen den von der Abmilderung begünstigten und den hiervon weiterhin ausgeschlossenen Parteien geschaffen wird (vgl. BVerfGE 6, 84 [95 f.]), die auch das Konkurrenzverhältnis zwischen diesen Parteien berührt (vgl. hierzu BVerfGE 47, 198 [229]). Insoweit bedarf die weitere Differenzierung rechtfertigender Gründe in dem oben dargestellten Sinn. Bei deren Bewertung kann allerdings die zugleich bewirkte Abmilderung der Intensität einer anderen wahlrechtlichen Differenzierung mit in Rechnung gestellt werden.
Die Differenzierung durch alternative Zugangshürden kann ihre Rechtfertigung darin finden, daß der Gesetzgeber der Sperrklauselregelung, die in erster Linie auf die Wahl eines funktionsfähigen Parlaments hinwirken soll, eine andere Zugangshürde zur Seite stellt, die im Zusammenwirken mit jener - ausbalancierend - dem Anliegen einer effektiven Integration des Staatsvolkes dient.
4. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, die Belange der Funktionsfähigkeit des Parlaments, das Anliegen weitgehender integrativer Repräsentanz und die Gebote der Wahlrechtsgleichheit sowie der Chancengleichheit der politischen Parteien zum Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfGE 51, 222 [236]; 71, 81 [97]). Das Bundesverfassungsgericht achtet diesen Spielraum. Es prüft lediglich, ob dessen Grenzen überschritten sind, nicht aber, ob der Gesetzgeber zweckmäßige oder rechtspolitisch erwünschte Lösungen gefunden hat (vgl. BVerfGE 6, 84 [94]; 51, 222 [237 f.]). Das Gericht kann daher einen Verstoß gegen die Wahlgleichheit nur feststellen, wenn die differenzierende Regelung nicht an einem Ziel orientiert ist, das der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts verfolgen darf (vgl. dazu oben 2), wenn sie zur Erreichung dieses Zieles nicht geeignet ist oder das Maß des zur Erreichung dieses Zieles Erforderlichen überschreitet (vgl. BVerfGE 6, 84 [94]; 51, 222 [238]; 71, 81 [96]).
II.
Die Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 1, 2. Halbsatz BWG und ihre Anwendung auf die PDS bei der Bundestagswahl 1994 halten der verfassungsgerichtlichen Uberprüfung stand. Die Grundmandatsklausel gibt zwar den Zweitstimmen für Parteien, die das Fünfprozentquorum nicht erreicht haben, unterschiedliche Erfolgskraft (1.); dies ist jedoch gerechtfertigt (2.).
1. Die von § 6 Abs. 6 Satz 1 BWG errichteten alternativen Zugangshürden lassen es nicht dabei bewenden, daß die Erfolgskraft von Zweitstimmen unterschiedlich behandelt wird, je nachdem ob eine Partei das Fünfprozentquorum erreicht oder nicht erreicht hat; sie schlieBen darüber hinaus nicht alle von dem Fünfprozentquorum betroffenen Zweitstimmen in gleicher Weise von einer Berücksichtigung bei der proportionalen Sitzverteilung aus. Parteien ohne einen Zweitstimmenanteil von mindestens 5 v.H. nehmen gleichwohl an dem Verfahren des § 6 BWG teil, wenn zumindest drei ihrer Wahlkreiskandidaten eine relative Mehrheit erzielt haben. Haben diese Parteien aber keine oder nur bis zu zwei Direktmandate errungen, bleiben sie von der proportionalen Sitzverteilung ausgeschlossen. Das gilt auch dann, wenn sie wesentlich mehr Zweitstimmen auf sich vereinigen als eine "Grundmandatspartei". Im ersten Fall werden die für die Partei abgegebenen Zweitstimmen berücksichtigt, im zweiten kommt den für die Partei abgegebenen Zweitstimmen keinerlei Erfolgswert zu. Die eine Partei ist im Parlament auch mit Listensitzen vertreten, die andere allenfalls mit ein oder zwei Direktmandaten.
2. Für diese Differenzierung steht dem Gesetzgeber ein rechtfertigender Grund in dem oben (I. 2.) beschriebenen Sinne zur Seite. Die Grundmandatsklausel dient dem von der Verfassung legitimierten Zweck des Ausgleichs teils gegenläufiger Ziele, nämlich ein funktionsfähiges Parlament zu schaffen und eine effektive Integration des Staatsvolkas zu bewirken. Hierzu knüpft die Regelung an geeignete und verfassungsrechtlich unbedenkliche Kriterien an und stellt sicher, daß sich das Auemaß der Differenzierungen im Rahmen des gesetzgeberischen Konzepts hält.
a) Mit der Sperrklausel sichert der Gesetzgeber die Funktionsfähigkeit des Parlaments und den Charakter der Wahl als eines Integrationsvorgangs (vgl. BVerfGE 71, 81 [97]). Inwieweit in diesem Zusammenhang begrenzte Differenzierungen zulässig sind, bestimmt sich nach dem Aufgabenkreis der zu wählenden Volksvertretung. Beim Deutschen Bundestag geht es in erster Linie um die Aufgaben der Gesetzgebung und der Regierungsbildung (vgl. BVerfGE 51, 222 [236 f.]).
Der Gesetzgeber geht bei der Regelung des § 6 Abs. 6 BWG zum einen davon aus, daß Parteien mit einer Mindestzahl von 5 v.H. der Zweitstimmen im gesamten Wahlgebiet eine für diese Parlamentsaufgaben bedeutsame politische Meinungsschichtung in der Wählerschaft repräsentieren und daß diese Parteien zum anderen die Aufgaben des Bundestages mit den Schwerpunkten der Gesetzgebung und der Regierungsbildung sachgerecht mittragen werden. Die grundsätzliche Beschränkung des Quorums auf bis zu 5 v.H. der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen begrenzt die Intensität des Eingriffs in das - gleiche - Wahlrecht und dient dem Zweck der Wahl, die parlamentarische Repräsentanz der nach dem Wählervotum bedeutsamen politischen Strömungen im Volk zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 1, 208 [251 f.]; 51, 222 [237]).
b) Bei der Festlequng eines Kriteriums, das Rückschlüsse auf die Integrationskraft politischer Parteien erlaubt, ist der Gesetzgeber allerdings nicht darauf beschränkt, auf den Erfolg einer Partei in der Verhältniswahl abzustellen, der an ihren Stimmenergebnissen im gesamten Wahlgebiet - oder auch in Teilen von ihm - gemessen werden kann. Der Gesetzgeber kann - wie er es mit der Grundmandatsklausel getan hat - eine besondere politische Kraft einer Partei vielmehr auch aus dem AusmaB ihres Erfolgs in der Mehrheitswahl ableiten, die nach dem System der personalisierten Verhältniswahl der proportionalen Sitzverteilung vorgeschaltet ist (vgl. BVerfGE 6, 84 [95 f.]; Löwer, Rechtsgutachten erstattet dem Deutschen Bundestag am 21. Februar 1996, S. 95 und 98).
aa) Wenn ein parteiangehöriger Abgeordneter ein Direktmandat erringt, drückt sich in der Wahl dieses Kandidaten in aller Regel zugleich auch das Ausmaß der Billigung der politischen Anliegen der Partei aus, die ihn nominiert hat. Findet ein Wahlkreiskandidat einer Partei das Vertrauen der Mehrheit der Wähler im Wahlkreis, so darf der Gesetzgeber davon ausgehen, daß hierin zugleich ein besonderes MaB an Zustimmung zu der hinter dem Kandidaten stehenden Partei liegt. Gelingt es in seltenen Ausnahmefällen einer Partei, mit ihren Kandidaten mehrere Wahlkreismandate zu erringen, ohne aber in ihrem Gesamtergebnis die Sperrklausel zu überwinden, so kann der Gesetzgeber in diesem sich bereits in Parlamentssitzen niederschlagenden Erfolg ein Indiz dafür sehen, daß diese Partei besondere Anliegen aufgegriffen hat, die eine Repräsentanz im Parlament rechtfertigen. In diesem Sinne darf der Gesetzgeber die Grundmandatspartei als politisch bedeutsam (vgl. BVerfGE 1, 208 [254, 258 f.]; 4, 31 [40 f.]; 6, 84 [96 f.]) ansehen und sie bei der Abwägung zwischen dem Postulat der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung einerseits und dem Gebot der gleichen Chancen für Wähler und politische Parteien andererseits mit allen errungenen Zweitstimmen an der Verteilung der Listenmandate teilnehmen lassen.
bb) Der Gesetzgeber des Bundeswahlgesetzes kann sich mit der Grundmandatsklausel als alternativer Zugangshürde auf eine Rechtspraxis stützen, die von der deutschen Wahlrechtstradition,; dem Landeswahlrecht und Wahlgesetzen des Auslandes bestätigt wird (vgl. dazu schon BVerfGE 1, 208 [252]). In der Weimarer Zeit wurden Parteien mit örtlichen Schwerpunkten trotz der Festlegung der Verfassung auf die Verhältniswahl (Art. 22 WRV) als bedeutsamer eingestuft.
Bereits das Wahlgesetz zum Reichstag vom 27. April 1920 (RGBl. 627) machte die Teilnahme an der Reststimmenverwertung von der Erreichung einer bestimmten Mindeststimmenzahl im Wahlkreis abhängig (§ 31 ReichsWahlG) und begrenzte die Zuteilung von Mandaten aus der Reststimmenverwertung dahin, daß eine Partei nur noch so viele Mandate hinzuerwerben konnte, wie sie bereits in den Wahlkreisen errungen hatte (§ 32 ReichsWahlG).
Diese Bewertung wurde sowohl vom Wahlprüfungsgericht beim Reichstag (vgl. RuPrVEl 50 [1929], S. 417 [418]; 51 [1930], S. 505 f.) als auch letztlich vom Staatsgerichtshof (vgl. RGZ 128, Anhang 1, S. 9 ff.; a.A. allerdings noch RGZ 124, Anhang 1, S. 12) gebilligt. In der Gegenwart sehen auch die Wahlgesetze von vier Bundesländern Grundmandatsklauseln vor (vgl. oben A. I. 3.). Aus dem für den Senat erstellten Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ergibt sich, daß die Verhältniswahlsysteme von Österreich und Dänemark die Zuteilung von wahlkreisübergreifenden Listenmandaten davon abhängig machen, daß die Partei entweder eine auf das gesamte Wahlgebiet bezogene Sperrklausel (2 v.H. in Dänemark, 4 v.H. in Österreich) überwindet oder in zumindest einem der Wahlkreise ein Mandat erringt (vgl. §§ 100 Abs. 1, 107 Abs. 2 der Österreichischen Nationalratswahlordnung und § 77 Folketingsvalglov).
c) Die Einwände gegen die Eignung der Grundmandatsklausel als Mittel des Ausgleichs zwischen Funktionsfähigkeit und Integration sind nicht berechtigt.
aa) Entgegen der Auffaseung des Beschwerdeführers unterläuft die Regelung nicht die mit der Sperrklausel verfolgte Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Nach bisherigen Erfahrungen bleibt das Erringen von drei Wahlkreisen durch eine kleine Partei die seltene Ausnahme. Zwischen der Bundestagswahl 1957 und der hier in Rede stehenden Wahl ist der Gewinn von drei Wahlkreisen weder einer Partei mit einem Zweitstimmenanteil von weniger als 5 v.H. gelungen noch der F.D.P. oder den GRÜNEN (jetzt: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Angesichts dieser politischen Wirklichkeit muß der Gesetzgeber auch für die Zukunft nicht in Rechnung stellen, daß die Grundmandatsklausel zu einer die Funktionsfähigkeit des Bundestages beeinträchtigenden Aufsplitterung der im Parlament vertretenen Krafte führen kann.
bb) Die Grundmandatsklausel ist auch unter dem Gesichtspunkt der Wahl- und Chancengleichheit ein rechtlich geeignetes Anknüpfungskriterium. Es handelt sich dabei um ein "zahlenmäBiges Kriterium", das sich erst im Wahlvorgang konkretisiert; es kann von jeder Partei - entsprechenden Wählerzuspruch vorausgesetzt - erfüllt werden und verhält sich daher - anders als Gesichtspunkte, die an bestimmte Eigenschaften von Parteien anknüpfen - im Wahlwettbewerb neutral (vgl. BVerfGE 4, 31 [42 f.]).
d) Die Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 1, 2. Halbsatz BWG wird auch nicht durch den Einwand in Frage gestellt, die Grundmandatsklausel sei zu weit gefaßt und eröffne deshalb sinnwidrig auch solchen Parteien den Zugang zum Verhältnisausgleich, die drei Direktmandate nicht in einer Region, sondern "verstreut" über das gesamte Bundesgebiet erringen. Der Gesetzgeber darf die Aussagekraft der Grundmandatsklausel ohne Rücksicht auf regionale Nähe aus dem Wahlkreiserfolg ableiten.
e) Für die Zahl der Grundmandate ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die Sperrklauselregelung des § 6 Abs. 6 Satz 1, 1. Halbsatz BWG stellt sicher, daß die Gesamtregelung des § 6 Abs. 6 Satz 1 BWG bundesweit keine höhere Sperrwirkung als ein Fünfprozentquorum entfaltet. Im übrigen ist es der Beurteilung des Gesetzgebers anheimgegeben, auf wieviele Wahlkreiserfolge er als Ausdruck eines besonderen politischen Gewichts abhebt (vgl. BVerfGE 6, 84 [96]). Schon deshalb kann es von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden, daß der Gesetzgeber nach der Vergrößerung des Wahlgebiets durch die Wiedervereinigung Deutschlands die Anzahl der Grundmandate nicht erhöht hat.
 
C.
Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Limbach, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer, Jentsch, Hassemer