BVerfGE 152, 35 - Ordnungsgeld gegen Abgeordnete
Ordnungsgeld gegen Abgeordnete
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Organstreitverfahren kann fehlen, wenn ein Antragsteller völlig untätig geblieben ist, obwohl er in der Lage gewesen wäre, die gerügte Rechtsverletzung durch eigenes Handeln rechtzeitig zu vermeiden. Zwar soll einem Antragsteller nicht unter pauschalem Hinweis auf allgemeine politische Handlungsalternativen der Zugang zu einem verfassungsgerichtlichen Verfahren abgeschnitten werden. Von derartigen diffusen Handlungsmöglichkeiten sind aber diejenigen Handlungsoptionen abzugrenzen, die nicht politisch, sondern normativ vorgesehen sind, gerade um ein Verfassungsrechtsverhältnis erst zu konkretisieren, zu gestalten und gegebenenfalls zu klären.
2. Von einem Antragsteller ist zu verlangen, gegen die durch den Sitzungspräsidenten des Bundestages verhängten parlamentarischen Ordnungsmaßnahmen Ordnungsruf, Ordnungsgeld und Sitzungsausschluss vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zunächst erfolglos das von der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehene Einspruchsverfahren durchzuführen.
 
Beschluss
des Zweiten Senats gemäß § 24 BVerfGG
vom 17. September 2019
-- 2 BvE 2/18 --
in dem Verfahren über den Antrag festzustellen, dass der Antragsgegner die Rechte des Antragstellers aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz dadurch verletzt hat, dass er gegen den Antragsteller am 14. März 2018 wegen dessen Veröffentlichung eines Fotos seines ausgefüllten Wahlzettels ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 Euro verhängt hat. Antragsteller: Petr Bystron, Platz der Republik 1, 11011 Berlin -- Bevollmächtigter: ... --; Antragsgegner: Der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Wolfgang Schäuble, Platz der Republik 1, 11011 Berlin.
 
Entscheidungsformel:
Der Antrag wird verworfen.
 
Gründe:
 
A.
Der Antragsteller wendet sich als Mitglied des 19. Deutschen Bundestages gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 1.000 Euro durch den Antragsgegner im Anschluss an die Kanzlerwahl am 14. März 2018.
I.
1. Das Ordnungsgeld wurde durch das Neunundzwanzigste Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 8. November 2011 (BGBl I S. 2218) in einem neuen § 44a Abs. 5 AbgG eingeführt:
Die Vorschriften der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1980 (BGBl I S. 1237), zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 1. März 2019 (BGBl I S. 197), regeln sowohl Aufgaben des Präsidenten des Deutschen Bundestages als auch dessen Befugnisse zu Ordnungsmaßnahmen:
Die hier maßgeblichen Regelungen zu Ordnungsmaßnahmen des Präsidenten des Bundestages wurden durch Beschluss des Bundestages vom 30. Juni 2011 neu gefasst gemäß Bekanntmachung vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2454):
2. Nach der konstituierenden Sitzung des 19. Deutschen Bundestages am 24. Oktober 2017 fand in dessen 19. Sitzung am 14. März 2018 die Wahl der Bundeskanzlerin als erster Tagesordnungspunkt statt. Zunächst gab der Antragsgegner Hinweise zum Wahlverfahren:
    "Ich bitte jetzt um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren. Nach unserer Geschäftsordnung wird die Bundeskanzlerin mit verdeckten Stimmkarten, also geheim, gewählt. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags, also mindestens 355 Stimmen, erhält. Sie benötigen für diese Wahl Ihren Wahlausweis aus Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby. Bitte kontrollieren Sie, ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt. Die Stimmkarte und den amtlichen Wahlumschlag erhalten Sie nach Aufruf Ihres Namens von den Schriftführerinnen und Schriftführern an den Ausgabetischen hier oben neben den Wahlkabinen.
    Nachdem Sie die Stimmkarte in einer Wahlkabine gekennzeichnet und dort in den Wahlumschlag gelegt haben, gehen Sie bitte zu den Wahlurnen hier vor dem Rednerpult. Sie dürfen Ihre Stimmkarte nur in der Wahlkabine ankreuzen, und Sie müssen Ihre Stimmkarte ebenfalls noch in der Wahlkabine in den Umschlag legen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer sind verpflichtet, jeden, der seine Stimmkarte außerhalb der Wahlkabine kennzeichnet oder in den Umschlag legt, zurückzuweisen. Die Stimmabgabe kann aber in einem solchen Fall vorschriftsmäßig wiederholt werden.
    Gültig sind nur Stimmkarten mit einem Kreuz bei "ja", "nein" oder "enthalte mich". Ungültig sind Stimmen auf nichtamtlichen Stimmkarten sowie Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, kein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.
    Bevor Sie den Umschlag mit der Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren Wahlausweis einer der Schriftführerinnen oder einem der Schriftführer an der Wahlurne. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlausweises erbracht werden." (BT-Plenarprotokoll 19/19, S. 1595)
Sodann fand die Wahl statt. Die Bundeskanzlerin erhielt die erforderliche Mehrheit und leistete anschließend ihren Amtseid gegenüber dem Antragsgegner. Unmittelbar im Anschluss daran äußerte der Antragsgegner:
    "Bevor ich die Sitzung unterbreche, muss ich noch folgenden Sachverhalt ansprechen: Der Abgeordnete Petr Bystron hat in der Wahlkabine den von ihm ausgefüllten Stimmzettel samt seinem Wahlausweis fotografiert und dieses Foto veröffentlicht.
    Er hat damit bewusst gegen den Grundsatz der Geheimhaltung der Wahl verstoßen. Herr Abgeordneter Bystron, wegen dieser schwerwiegenden Verletzung der Ordnung und Würde des Bundestages verhänge ich gegen Sie gemäß § 37 unserer Geschäftsordnung ein Ordnungsgeld in Höhe von 1 000 Euro." (BT-Plenarprotokoll 19/19, S. 1596 f.)
Nach den eigenen Ausführungen des Antragstellers in seiner Antragsschrift hatte er in der Wahlkabine seinen Abgeordnetenausweis und seinen angekreuzten Stimmzettel fotografiert und über seinen Twitter-Account veröffentlicht, versehen mit der Überschrift: "Nicht meine Kanzlerin".
Die Stimmabgabe des Antragstellers wurde ungeachtet der Ordnungsmaßnahme nicht für ungültig erklärt. Der Antragsteller legte nach eigenen Angaben keinen Einspruch gegen die Ordnungsmaßnahme ein. Mit Schreiben vom 21. März 2018 erklärte die Verwaltung des Deutschen Bundestages gegenüber dem Antragsteller in Höhe von 1.000 Euro die Aufrechnung mit der ihm zustehenden Abgeordnetenentschädigung für den Monat April 2018.
II.
Mit seinem am 14. September 2018 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Antrag begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass der Antragsgegner seine Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch verletzt hat, dass er gegen ihn wegen dessen Veröffentlichung eines Fotos seines ausgefüllten Wahlzettels ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 Euro verhängt hat. Zur Begründung führt der Antragsteller im Wesentlichen aus:
1. Der Antrag sei zulässig.
Insbesondere lasse sich dem Antragsteller das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis nicht absprechen. Es sei nicht zu verlangen, dass ein von der Ordnungsmaßnahme betroffenes Mitglied des Bundestages zunächst den nach § 39 GOBT vorgesehenen Einspruch einlege, bevor es im Wege des Organstreits das Bundesverfassungsgericht anrufe. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Ordnungsgeldes habe der Antragsteller nämlich nicht auf leichterem Wege als im vorliegenden Verfahren erreichen können.
Bei dem Einspruch nach § 39 GOBT handele es sich schon nicht um ein Rechtsschutzmittel, sondern nur um ein organinternes Schlichtungsmittel. Die intern bleibende Wirkung des Einspruchs zeige sich im Fehlen von Erörterung oder Aussprache; es komme lediglich zu einer Abstimmung, ohne dass es möglich sei, die Rechtswidrigkeit der Maßnahme zu thematisieren. Das Bundesverfassungsgericht dürfe in einem Organstreitverfahren schon nicht darüber befinden, ob einem Antragsteller zur Verfolgung seines Prozesszieles außerhalb der gewählten Verfahrensart andere, gleichwertige verfassungsrechtliche Wege offen gestanden hätten oder noch offen stünden. Erst recht dürfe es einen Antragsteller daher nicht darauf verweisen, sein Interesse in einem Verfahren zu verfolgen, welches eine Klärung der streitigen Rechtsfragen gar nicht zulasse, mithin auch nicht gleichwertig gegenüber dem Organstreit sei.
Ferner sei die offensichtliche Aussichtslosigkeit der Einspruchseinlegung zu beachten. Angesichts der bestehenden Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag sei ausgeschlossen, dass eine Abstimmung über das verhängte Ordnungsgeld zu dessen Aufhebung geführt hätte. Dies werde schon durch den Fall eines im Mai 2018 abgelehnten Einspruchs einer anderen Abgeordneten der Fraktion des Antragstellers gegen einen Ordnungsruf belegt. Die interne Abstimmung über den Einspruch des Antragstellers wäre daher eine bloße Förmelei gewesen.
2. Der Antrag sei auch begründet, da das verhängte Ordnungsgeld die verfassungsrechtliche Gewährleistung des freien Mandats gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletze.
Die Sanktionierung eines Verhaltens, mit dem sich der Antragsteller -- hier über die sozialen Medien -- an seine Wähler wende, greife genauso in die Ausübung des freien Mandats ein wie der Entzug finanzieller Mittel, die die Ausübung des freien Mandats gerade sicherstellen sollten. Diese Beschränkung des freien Mandats sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Zwar unterliege das freie Mandat den Schranken, die der Bundestag gemäß seiner ihm nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG zukommenden Geschäftsordnungsautonomie gesetzt habe. Jedoch seien sowohl die Ausgestaltung dieser Schranken in den einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen als auch die konkrete Maßnahme selbst nicht verfassungsgemäß.
a) Sowohl § 44a Abs. 5 AbgG als auch § 37 GOBT seien verfassungswidrig und könnten daher eine Einschränkung von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht rechtfertigen.
Das Ordnungsgeld betreffe den Abgeordneten zwar nicht unmittelbar in seinen Statusrechten, da ihn die Zahlungspflicht nicht direkt an der Wahrnehmung seiner Abgeordnetenrechte hindere. Jedoch berühre das Ordnungsgeld unmittelbar das freie Mandat selbst, da durch die außerparlamentarische Sanktionierung eines innerparlamentarischen Verhaltens die persönliche Unabhängigkeit des Abgeordneten direkt betroffen sei. Schon die tatbestandliche Verletzung der parlamentarischen Ordnung sei zu unbestimmt, könne aber unter Umständen noch verfassungskonform restriktiv ausgelegt werden. Die tatbestandliche Verletzung der Würde des Bundestages hingegen genüge nicht den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen. Letztlich sollten durch die nach Ansicht des Gesetzgebers deklaratorische Klarstellung Geschmacksfragen sanktioniert werden, was aufgrund der mit der begrifflichen Unschärfe verbundenen Willkürlichkeit den parlamentarischen Willensbildungsprozess verzerren könnte. Zu beachten sei, dass der Wert- und Achtungsanspruch des Deutschen Bundestages als kollektiver Rechtsträger maßgeblich von seinem Selbstverständnis und seiner eigenen Praxis geprägt werde. Es handele sich dabei um einen dynamischen Willensbildungsprozess, der auch nonkonformes Verhalten einzelner Organteile und die entsprechende Reaktion hierauf durch andere Mitglieder des Bundestages einschließe. Dieser Willensbildungsprozess dürfe durch Sanktionen nicht gegen Veränderungen durch die Abgeordneten immunisiert und statisch festgeschrieben werden.
Die Ermächtigungsgrundlagen für das Ordnungsgeld verstießen gegen das rechtsstaatliche Schuldprinzip. Dieses gelte über den Bereich des eigentlichen Strafrechts hinaus auch bei parlamentarischen Ordnungsmaßnahmen mit repressivem, das heißt Sanktionscharakter. Die pauschale Erhebung von Ordnungsgeld in der Höhe von 1.000 Euro beziehungsweise im Wiederholungsfall von 2.000 Euro beachte weder die Strafzwecke noch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
§ 44a Abs. 5 AbgG und § 37 GOBT seien zudem verfassungswidrig, da die Sanktionswirkung nicht allein auf eine Ausgestaltung der Statusrechte der Abgeordneten im parlamentarischen Binnenbereich ziele, sondern gleichzeitig auf den Status der Abgeordneten als Privatpersonen durchgegriffen werde. Das Ordnungsgeld solle der Wahrung der innerparlamentarischen Ordnung dienen, verlasse aber tatsächlich in seinen Auswirkungen den Innenbereich des Parlaments. Da im Sanktionenkatalog gleichwertige Maßnahmen mit rein innerparlamentarischer und nur die Statusrechte des Abgeordneten berührender Wirkung zur Verfügung stünden, sei das auf die Privatperson durchgreifende Ordnungsgeld unverhältnismäßig. Zwar sei der Sitzungsausschluss womöglich die gravierendere Maßnahme, doch könne der Eingriffsschärfe durch entsprechende Vorwarnungen Rechnung getragen werden.
b) Darüber hinaus sei die Verhängung des Ordnungsgeldes im konkreten Einzelfall verfassungswidrig.
Schon der Tatbestand des § 37 GOBT sei nicht eröffnet. Es fehle zunächst an der Störung des ordnungsgemäßen Sitzungsablaufs, denn dieser sei durch die Twitter-Veröffentlichung nicht berührt. Der Akt der Veröffentlichung sei außerhalb der Sitzung und von anderen Abgeordneten nicht wahrnehmbar erfolgt; Reaktionen im Plenum habe es damit nicht geben können. Auf den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl und die freie sowie unbeeinflusste Entscheidung aller Wähler habe die Veröffentlichung der Wahlentscheidung des Antragstellers keinen Einfluss haben können. Zudem seien -- hier nicht erkennbare -- Verstöße gegen Wahlgrundsätze als Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten sanktionierbar; für eine Maßregelung durch den Sitzungspräsidenten sei kein Raum.
Ferner habe die Veröffentlichung des Fotos nicht in wesentlicher Form gegen den Grundsatz der geheimen Wahl verstoßen. Die freiwillige Offenlegung der Wahlentscheidung des Antragstellers könne die Würde des Bundestages nicht verletzen. Nicht nur, dass die freiwillige Offenlegung einer Wahlentscheidung vor und nach der Wahl zulässig sei; auch entspreche die Transparenz, mit der der Antragsteller die Umsetzung des Wählerwillens durch seine Wahlentscheidung demonstrieren wolle, in besonderer Weise dem Demokratieprinzip und dem Prinzip der Öffentlichkeit der Wahl. Zwar könne auf die Wahrung des Wahlgeheimnisses bei der Stimmabgabe selbst nicht verzichtet werden, allerdings habe der Antragsteller dies auch nicht getan. Er habe lediglich veröffentlicht, wie er zu wählen gedenke. Der Moment der tatsächlichen Stimmabgabe sei weder kommuniziert noch dokumentiert worden. Die Veröffentlichung des Fotos gehe in seinem darauf bezogenen Aussagegehalt nicht über eine bloße Offenlegung des Antragstellers vor oder nach der Wahl hinaus. Soweit nach der Bundeswahlordnung schließlich die Zurückweisung eines Wählers vorgesehen sei, der in der Wahlkabine fotografiere, könne dieser einfach einen neuen Wahlzettel ausfüllen; die spätere Veröffentlichung des fotografierten Wahlzettels bleibe hingegen sanktionslos.
Letztlich sei bei der Bewertung einer Verletzung der Würde des Bundestages zu beachten, dass es nach den gesellschaftlichen Entwicklungen üblich geworden sei, über soziale Medien den Kontakt zur Öffentlichkeit zu suchen. Maßgeblich müssten bei dieser dynamischen Willensbildung die Auffassung des Gesamtkollektivs des Parlaments sein und nicht allein die persönlichen Ansichten des Antragsgegners. Wie der Antragsgegner zu seiner Wertung eines bewussten Verstoßes gegen die Wahlgrundsätze komme, sei mangels vorheriger Anhörung des Antragstellers oder weiterer Ermittlungen durch den Antragsgegner unklar.
Im Übrigen sei die Veröffentlichung eines weiteren Stimmzettels durch einen anderen Abgeordneten folgenlos geblieben, da der Antragsgegner zu spät hiervon erfahren haben wolle. Weder diese noch die hier streitgegenständliche Veröffentlichung hätten sich auf den Sitzungsverlauf ausgewirkt; damit stelle sich die Ordnungsmaßnahme auch als ungeeignet zur Förderung eines ordnungsgemäßen Sitzungsablaufs dar.
III.
Von einer Zustellung der Antragsschrift an den Antragsgegner und einer Benachrichtigung nach § 65 Abs. 2 BVerfGG wurde abgesehen (vgl. § 22 Abs. 1 GOBVerfG).
 
B.
Der Antrag ist unzulässig. Dem Antragsteller fehlt das im Organstreitverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
I.
Auch im Organstreitverfahren ist das Rechtsschutzbedürfnis des Organs grundsätzlich Voraussetzung für die Sachentscheidung (vgl. BVerfGE 62, 1 [33]; 67, 100 [127]; 68, 1 [77]; 119, 302 [307 f.]; 124, 78 [113]; 129, 356 [374]; 140, 115 [146 Rn. 80]; 142, 25 [52 Rn. 76]; 147, 31 [37 Rn. 17]). Das Organstreitverfahren ist eine kontradiktorische Parteistreitigkeit mit Antragsteller und Antragsgegner. Es dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht der davon losgelösten Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (vgl. BVerfGE 104, 151 [193 f.]; 118, 244 [257]; 126, 55 [67 f.]; 140, 1 [21 f. Rn. 58]; 143, 1 [8 Rn. 29]; 147, 31 [37 Rn. 17 f.]; 151, 191 [198 f. Rn. 20]; stRspr).
Mit der kontradiktorischen Ausgestaltung des Organstreitverfahrens ist eine diskursive Auseinandersetzung der Verfassungsorgane um ihre Kompetenzen intendiert (vgl. BVerfGE 136, 190 [192 Rn. 5]; 147, 31 [37 Rn. 18]). Das Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, wenn und solange über die Rechtsverletzung zwischen den Beteiligten Streit besteht (vgl. BVerfGE 147, 31 [37 Rn. 18]). Das auf Seiten des Antragstellers erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist jedoch nicht in jedem Fall schon damit dargetan, dass der Antragsteller die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung eigener oder der Rechte und Pflichten des Organs, dem er angehört, im Einzelnen darlegt. Zwar wird durch einen derartigen Sachvortrag in aller Regel die rechtliche Schutzwürdigkeit des auf Feststellung der Rechtsverletzung gerichteten Begehrens hinreichend belegt sein. Im Einzelfall kann es indessen anders liegen (vgl. BVerfGE 68, 1 [77]).
Das Bundesverfassungsgericht hat auf einen ihm angetragenen Organstreit hin nicht darüber zu befinden, ob dem Antragsteller zur Verfolgung seines Prozesszieles außerhalb der gewählten Verfahrensart andere gleichwertige verfassungsrechtliche Wege offen gestanden hätten oder noch offenstehen (vgl. BVerfGE 45, 1 [30]; 90, 286 [340]; 129, 356 [374]). Umso weniger darf es einen Antragsteller auf einen Weg rein politischen Agierens verweisen, der dem Organstreit verfassungsrechtlich und prozessual nicht gleichwertig ist (vgl. BVerfGE 90, 286 [340]; 129, 356 [374 f.]). Den Antragsteller im Organstreitverfahren trifft im Regelfall nicht die Obliegenheit, vor der Antragstellung parlamentarisch-politische Handlungsmöglichkeiten zu ergreifen (vgl. BVerfGE 90, 286 [340]; 104, 151 [198]; 129, 356 [374]; 142, 25 [53 f. Rn. 80]; vgl. auch BVerfGE 121, 135 [153] unter Verweis auf BVerfGE 90, 286 [392 f.]).
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll vermieden werden, einen Antragsteller vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts auf allgemeine politisch-parlamentarische Handlungsmöglichkeiten zu verweisen und ihn durch das verfassungsgerichtliche Verfahrensrecht im Wege mittelbaren Zwangs zu einem bestimmten politischen Verhalten und in einen politischen Konflikt zu drängen (vgl. BVerfGE 90, 286 [339 f.]; 104, 151 [198]; 129, 356 [374 f.]). Demgegenüber bestanden seit jeher Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis für ein Organstreitverfahren, wenn ein Antragsteller völlig untätig geblieben ist, obwohl er in der Lage gewesen wäre, die nunmehr gerügte Rechtsverletzung durch eigenes Handeln rechtzeitig zu vermeiden; demgemäß wurde verlangt, dass ein Antragsteller die ihm möglichen Schritte unternimmt, um seinem Ziel zur Durchsetzung zu verhelfen (vgl. BVerfGE 68, 1 [77]; 121, 135 [153], unter Bezugnahme auf BVerfGE 90, 286 [392 f.]).
Zwar soll einem Antragsteller nicht unter pauschalem Hinweis auf allgemeine politische Handlungsalternativen der Zugang zu einem verfassungsgerichtlichen Verfahren abgeschnitten werden. Dies kann etwa politische Beschlussanträge zur Durchsetzung von Rechten des Bundestages gegenüber der Bundesregierung betreffen, bei denen es sich um politisch-parlamentarische Optionen handelt, die zwar eine Entscheidung in der Sache herbeizuführen vermögen, aber das eigentliche Verfassungsrechtsverhältnis der sich im kontradiktorischen Parteistreit (vgl. zum Begriff BVerfGE 126, 55 [67]; 138, 256 [258 f. Rn. 4]; 150, 194 [200 f. Rn. 18]; 151, 191 [198 f. Rn. 20]) gegenüberstehenden Organe nicht betreffen oder gar klären können. Von derartigen diffusen Handlungsmöglichkeiten sind aber diejenigen Handlungsoptionen abzugrenzen, die nicht politisch, sondern normativ vorgesehen sind, gerade um ein Verfassungsrechtsverhältnis erst zu konkretisieren, zu gestalten und gegebenenfalls zu klären. Deshalb hat der Senat zuletzt auch das Rechtsschutzbedürfnis für einen Organstreit verneint, in dem eine Antragstellerin versäumt hatte, sich bereits im politischen Prozess mit der Verfassungsrechtslage zu befassen und beanspruchte Rechte einzufordern. Eine solche Verpflichtung ("Konfrontationsobliegenheit") ist lediglich Konsequenz des Charakters des Organstreits als kontradiktorisches Verfahren, in dem über streitig gewordene Rechte und Pflichten zwischen den Beteiligten zu befinden ist (vgl. BVerfGE 147, 31 [37 f. Rn. 19]). Sie ist für den Umgang zwischen Verfassungsorganen als selbstverständlich zu erwarten.
II.
Nach diesen Maßstäben ist von einem Antragsteller zu verlangen, gegen die durch den Sitzungspräsidenten verhängten parlamentarischen Ordnungsmaßnahmen Ordnungsruf, Ordnungsgeld und Sitzungsausschluss vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zunächst erfolglos das von der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehene Einspruchsverfahren durchzuführen. Denn das von der Geschäftsordnung des Bundestages konkret für einen derartigen Konflikt vorgesehene Verfahrens- und Rechtsbehelfsprozedere ist mit allgemeinen politischen Handlungsalternativen nicht vergleichbar.
1. Soweit es um Abgeordnete geht, ist verfassungsrechtliche Grundlage der Ordnungsgewalt die durch Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG eingeräumte Geschäftsordnungsautonomie, die das Parlament berechtigt, zur Aufrechterhaltung der Ordnung in den Sitzungen Regeln aufzustellen (vgl. BVerfGE 1, 144 [148]; 60, 374 [379]). Diese Geschäftsordnungsautonomie soll das geordnete Funktionieren des Parlaments im Staats- und Verfassungsleben sichern (vgl. BVerfGE 1, 144 [148]; 44, 308 [315 f.]; 80, 188 [218 f.]; 136, 277 [313 Rn. 101]; zur Geschäftsordnungsautonomie als Unterform der Parlamentsautonomie auch Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Vorbem. zu §§ 36-41 Ziff. 1b [Dez. 2011]; Jacobs, DÖV 2016, S. 563 [567]; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 20 Rn. 58; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 40 Rn. 15; Magiera, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 40 Rn. 21). Ihr Regelungsbereich bezieht sich auf die inneren Angelegenheiten des Parlaments, insbesondere dessen Organisation, Verfahren und Disziplin. Bei der Abgrenzung der Regelungsgegenstände ist die parlamentarische Tradition und Praxis maßgeblich mitheranzuziehen (vgl. BVerfGE 1, 144 [148 f.]; 70, 324 [360 f.]). Originärer Träger beziehungsweise Inhaber der Ordnungsgewalt ist der Bundestag in der Gesamtheit seiner Mitglieder. Das kommt auch in § 39 GOBT zum Ausdruck, wonach das Plenum und nicht der Präsident über Einsprüche gegen Ordnungsmaßnahmen entscheidet. Die Ausübung seiner Ordnungsgewalt hat der Bundestag auf den sitzungsleitenden Präsidenten übertragen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 GOBT), der sie in den Plenarsitzungen nach Maßgabe der Ordnungsbestimmungen der §§ 36 bis 41 GOBT in eigener Verantwortung und unabhängig wahrnimmt (vgl. BVerfGE 60, 374 [379]; Bücker, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 34 Rn. 43; Köhler, Die Rechtsstellung der Parlamentspräsidenten in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland und ihre Aufgaben im parlamentarischen Geschäftsgang, 2000, S. 176; Brocker, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 40 Rn. 132 [Feb. 2011]; Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Vorbem. zu §§ 36-41 Ziff. 4a [Dez. 2011]; Borowy, ZParl 2012, S. 635 [636 f.]; Jacobs, DÖV 2016, S. 563 [563 f.] m.w.N.; Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 20 Rn. 57; Daniels, Sitzungsausschluss und Ordnungsgeld, 2018, S. 175; Glauben/Breitbach, DÖV 2018, S. 855 [858]; H.H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 40 Rn. 100 ff. [Nov. 2018]).
Der Einspruch wird allgemein als Rechtsbehelf verstanden. Er ist nach den Regelungen der Geschäftsordnung des Bundestages statthaft gegen Ordnungsruf (§ 36), Ordnungsgeld (§ 37) und Sitzungsausschluss (§ 38) und hat nach § 39 Satz 4 GOBT keine aufschiebende Wirkung (vgl. nur Brocker, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 40 Rn. 136 [Feb. 2011]). Allgemein gilt, dass dem Einspruch der Charakter eines Antrags auf Abhilfe an die "nächsthöhere Instanz" zugeschrieben wird, mit dem der betroffene Abgeordnete eine Überprüfung der gegen ihn ergangenen Ordnungsmaßnahme durch den Bundestag, den Inhaber der Ordnungsgewalt, erreichen will (vgl. Ritzel/Bücker/Schreiner, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, § 39 Ziff. 1, 5 [Dez. 2011]). Dies hebt den Einspruch von anderen, außerhalb eines solchen ausdrücklichen Regelungssystems stehenden politisch-parlamentarischen Handlungsmöglichkeiten ab.
2. Die seitens des Antragstellers wie auch in Teilen des Schrift tums (vgl. Franke, Ordnungsmaßnahmen der Parlamente, 1990, S. 145; Wilrich, DÖV 2002, S. 152 [154]; Daniels, Sitzungsausschluss und Ordnungsgeld, 2018, S. 184 ff.) vertretene Auffassung, der Einspruch sei mangels gegenüber dem Parlament bestehender Entlastungs- und Kontrollfunktion als Rechtsbehelf verzichtbar, überzeugt nicht. Eine Entlastung des etwaig nachfolgenden verfassungsgerichtlichen Verfahrens kommt dem Einspruch aufgrund seiner niedrigen Erfolgsquote in der Tat nicht zu (vgl. zur "Erfolgsquote" von Einsprüchen in deutschen Parlamenten Daniels, Sitzungsausschluss und Ordnungsgeld, 2018, S. 175 f.). Jedoch geht es nicht um die Bewertung faktisch entlastender Effekte des Einspruchs als Rechtsbehelf, sondern um eine normative Betrachtung des Einspruchs als vom parlamentarischen Binnenrecht vorgesehenes Element der Konfrontation mit dem Zweck der jedenfalls möglichen Aufklärung eines Verfassungsrechtsverhältnisses.
Gleiches gilt für die dem Einspruch vereinzelt abgesprochene Kontroll- und Selbstreinigungsfunktion. Richtig ist, dass das Einspruchsverfahren nicht ohne weiteres mit dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Widerspruchsverfahren (vgl. §§ 68 ff. VwGO) vergleichbar ist, das -- grundsätzlich -- mit Suspensiveffekt die umfassende Nachprüfung von Recht- und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts anstrebt und Sachentscheidungsvoraussetzung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist (vgl. nur Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 68 Rn. 2 m.w.N.). Es wäre jedoch verfehlt, dem Einspruch und der daran anknüpfenden Entscheidung des Bundestagsplenums (§ 39 Satz 3 GOBT) eine Kontrollfunktion in Gänze abzusprechen. Von den Fällen nachträglicher Verhängung von Ordnungsmaßnahmen abgesehen (§ 37 Satz 3 i.V.m. § 38 Abs. 2 GOBT), wird die entsprechende Entscheidung des Sitzungspräsidenten in der Regel, so wie auch im vorliegenden Verfahren, zeitlich kurzfristig und in der Aktualität der konkreten Situation getroffen werden. Über den Einspruch wird hingegen am nächsten Plenarsitzungstag -- wenn auch ohne Aussprache -- entschieden (§ 39 Sätze 2 und 3 GOBT). Allein schon aufgrund dieses "retardierenden Moments" gibt die Formalisierung des Einspruchsverfahrens Gelegenheit zur parlamentarischen Reflexion und eröffnet eine Kontrollmöglichkeit (vgl. Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 25. Juni 2015 -- 9/14 --, juris, Rn. 122).
3. Zu berücksichtigen ist ferner, dass das Einspruchserfordernis im Spannungsverhältnis von Parlament und Abgeordneten beziehungsweise von Geschäftsordnungsautonomie und Abgeordnetenrechten eine wesentliche legitimatorische Funktion erfüllt.
Die durch den Bundestagspräsidenten wahrgenommene Ordnungs- und Disziplinargewalt ist Bestandteil der dem Parlament durch Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Geschäftsordnungsautonomie. Träger und Inhaber dieser Ordnungsgewalt ist -- wie ausgeführt -- mithin nicht der Präsident, sondern das Plenum des Deutschen Bundestages. Der Sitzungspräsident übt sie jedoch kraft Übertragung durch das Parlament und nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung in eigener Verantwortung und unabhängig aus. Es handelt sich also um eine Delegation, die Begründung einer neuen, eigenständigen Zuständigkeit des Delegatars. Dem entspricht es, dass der Abgeordnete, der von einem Ordnungsruf, einem Sitzungsausschluss oder der Verhängung von Ordnungsgeld betroffen ist, gemäß § 39 GOBT Einspruch zum Bundestag erheben kann. Dass das Plenum des Bundestages über den Einspruch entscheidet, ist Ausdruck des Umstandes, dass es weiterhin Träger der durch Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG vermittelten und in der Geschäftsordnung ausgestalteten Ordnungsgewalt bleibt. Diese gehört zu den traditionellen Bereichen der Geschäftsordnungsautonomie und steht dem Bundestagspräsidenten als sitzungsbezogene Kompetenz gerade nicht in vollem Umfang originär zu, sondern ist, jedenfalls was die Mitglieder des Bundestages anbelangt, durch das Parlament "in seine Hände gelegt" (vgl. Brocker, in: Bonner Kommentar, GG, Art. 40 Rn. 132 [Feb. 2011]). Dem entspricht, dass das Plenum in seiner Entscheidungsbefugnis nicht eingeschränkt ist; es ist an die vorgängige Entscheidung des Bundestagspräsidenten nicht gebunden. Die Entscheidung über den Einspruch stellt sich damit als die originäre Plenumsentscheidung und wesentliches funktionell-normatives Element des Meinungsbildungs- und Diskursprozesses im Parlament dar.
4. Für die auch verfassungsprozessuale Relevanz des Einspruchsverfahrens spricht schließlich die Bedeutung des von sämtlichen einspruchsfähigen Ordnungsmaßnahmen geschützten Guts, nämlich Ordnung und Würde des Bundestages. Nach hergebrachter Definition ist die parlamentarische Ordnung die Gesamtheit der Normen, deren Befolgung nach den im Parlament herrschenden Anschauungen als Vorbedingung einer gedeihlichen, das Staatsleben fördernden Beratung der Abgeordneten und als Grundlage des innerparlamentarischen Lebens gilt (vgl. Schmid, AöR 32 [1914], S. 439 [498]; hierzu Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 20 Rn. 60 ff.).
Der Antragsteller verweist zunächst zu Recht darauf, dass mit den Tatbestandsmerkmalen der Ordnung und Würde des Bundestages als unbestimmten Rechtsbegriffen Konzepte in Bezug genommen sind, die offen sind für gesellschaftliche Entwicklungen und deren Spiegelung im parlamentarischen Raum und als Ausdruck eines sich wandelnden Selbstverständnisses des Bundestages durchaus einem dynamischen Verständnis unterliegen können. Umso dringender ist es dann jedoch -- entgegen der Auffassung des Antragstellers -- geboten, das gesamte Parlament mit der Frage zu befassen, ob der Bundestagspräsident als mit der Ordnungsgewalt betrauter Delegatar der Geschäftsordnungsautonomie die treffende Wertung des gültigen parlamentarischen Willensbildungsprozesses vollzogen hat. Nur so kann dem Plenum ein "in die Zeit Stellen" des binnenparlamentarischen Ordnungsstandards und damit ein Prozess der Selbstverständnisbildung des Parlaments als pluralistischem Verfassungsorgan ermöglicht werden.
Von einem Abgeordneten kann daher erwartet werden, gegen formelle Ordnungsmaßnahmen das von der Geschäftsordnung vorgesehene statthafte Einspruchsverfahren anzustrengen und erst nach dessen Erfolglosigkeit um verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Nur so kann der innerparlamentarische Willensbildungs- und Diskursprozess durchlaufen und abgeschlossen werden. Die Einspruchsobliegenheit dient somit zugleich einer verfahrensrechtlichen Eröffnung und Stärkung des parlamentarischen Reflektionsraums: Das im parlamentarischen Verfahren nach Art. 42 GG gewährleistete Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche eröffnet Möglichkeiten eines Ausgleichs widerstreitender Interessen und trägt zu einer Willensbildung der Abgeordneten bei, die sie in die Lage versetzt, die Verantwortung für ihre Entscheidung zu übernehmen (vgl. BVerfGE 70, 324 [355]; 112, 363 [366]; 136, 277 [312 f. Rn. 100]; zuletzt BVerfGE 151, 191 [200 Rn. 26]). Streit über das parlamentarische Selbstverständnis gehört in erster Linie in den Binnenraum des Parlaments, sofern dieser regelhafte Mechanismen zur Konsensbildung und Dissensbewältigung bereithält. Dies ist mit dem System der Ordnungsmaßnahmen der §§ 36 ff. GOBT und dem nachgelagerten Einspruchsverfahren des § 39 GOBT der Fall.
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