BVerfGE 159, 135 - Bundesnotbremse I
Bundesnotbremse I -- Ablehnungsgesuch Präsident Harbarth, BVRin Baer
 
Beschluss
des Ersten Senats vom 12. Oktober 2021
-- 1 BvR 781/21 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn (...), 2. der Frau (...), 3. des Herrn (...) -- Bevollmächtigte: HÄRTING Rechtsanwälte PartGmbB, Chausseestraße 13, 10115 Berlin, gegen § 28b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 802); hier: Antrag auf Richterablehnung.
 
Entscheidungsformel:
Das Ablehnungsgesuch gegen den Präsidenten Harbarth und die Richterin Baer wird zurückgewiesen.
 
Gründe:
 
A.
Die Beschwerdeführenden machen die Besorgnis der Befangenheit von Präsident Harbarth und Richterin Baer geltend.
I.
Mit Schriftsatz vom 22. September 2021 stellte Rechtsanwalt Prof. Härting unter anderem namens des Beschwerdeführers zu 1) ein gegen den Präsidenten Harbarth und die Richterin Baer gerichtetes Ablehnungsgesuch unter dem Aktenzeichen 1 BvR 968/21. Auf entsprechende Nachfrage des Bundesverfassungsgerichts stellte Rechtsanwalt Prof. Härting mit Schriftsatz vom 27. September 2021 klar, dass der Antrag im Verfahren 1 BvR 781/21 gestellt sei, in dem er ebenfalls als Verfahrensbevollmächtigter bestellt ist. Gegenstand dieses Verfahrens sind die mit Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl I S. 802) eingeführten Ausgangsbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG.
II.
Die Beschwerdeführenden begründeten ihr Ablehnungsgesuch ursprünglich im Wesentlichen wie folgt:
1. Die Besorgnis der Befangenheit von Präsident Harbarth ergebe sich zum einen aus dessen Einflussnahme auf die Auswahl der bei einem Treffen der Bundesregierung mit dem Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2021 erörterten Themen und zum anderen aus der in der Pressemitteilung Nr. 78 des Bundesverfassungsgerichts vom 20. August 2021 erfolgten Ankündigung, in den Verfahren 1 BvR 781/21 u.a. nach vorläufiger Einschätzung ohne mündliche Verhandlung im Beschlussweg entscheiden zu wollen.
a) Aus der Akte des Bundesverfassungsgerichts zu dem genannten Treffen zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht ergebe sich, dass das Bundeskanzleramt ursprünglich vorgeschlagen habe, über die Themen "Die Handlungsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes im globalen Krisenfall" sowie "Desinformation und hybride Drohungen" [gemeint wohl: "Bedrohungen"] zu sprechen. Die tatsächlich bei dem Treffen erörterten Themen wichen vollständig von den ursprünglich durch das Bundeskanzleramt vorgeschlagenen ab. So sei etwa das erkennbar auf die "Corona-Krise" gemünzte Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" erörtert worden. Wie dieses Thema auf die Tagesordnung des Treffens gekommen sei, könne der Akte des Bundesverfassungsgerichts nicht entnommen werden. Der zeitliche Ablauf lasse lediglich den Schluss zu, dass Präsident Harbarth das Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" selbst vorgeschlagen oder in Gesprächen mit dem Bundeskanzleramt mit beschlossen habe.
Die Auswahl des Themas "Entscheidung unter Unsicherheiten" als Gegenstand des Treffens zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht begründe die Besorgnis der Befangenheit von Präsident Harbarth. Die Beschwerdeführenden müssten befürchten, dass der Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet worden sei, dem zuständigen Senat die gegen die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde sprechenden Argumente darzulegen. Das gewählte Thema betreffe ersichtlich Entscheidungsspielräume des Gesetzgebers, die für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Ausgangsbeschränkungen von zentraler Bedeutung seien. Die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz sei ausweislich ihres Redemanuskripts dann auch konkret auf den Umgang mit der Pandemie zu sprechen gekommen, wenngleich sie betont habe, nicht über beim Bundesverfassungsgericht anhängige Fälle sprechen zu wollen.
b) Die Zweifel an der Unvoreingenommenheit von Präsident Harbarth würden durch die in der Pressemitteilung Nr. 78 des Bundesverfassungsgerichts vom 20. August 2021 in Aussicht gestellte Verfahrensweise verstärkt, nach vorläufiger Einschätzung ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen. Es sei überaus befremdlich, dass die Beschwerdeführenden über diese Einschätzung nicht informiert worden seien. Aus ihrer Sicht müsse der Eindruck entstehen, das Gericht halte jede weitere prozessuale Äußerung der Beschwerdeführenden bereits jetzt für entbehrlich.
2. Bei Richterin Baer bestehe ebenfalls die Besorgnis der Befangenheit, weil sie bei dem genannten Treffen mit der Bundesregierung einen Vortrag zu dem Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" gehalten habe. Über den Inhalt des Vortrags sei den Beschwerdeführenden zwar nichts bekannt, da die Richterin angegeben habe, diesen ohne Manuskript gehalten zu haben. Die Beschwerdeführenden müssten aber davon ausgehen, dass die abgelehnte Richterin -- wie die Bundesjustizministerin -- sich zu im vorliegenden Verfahren bedeutsamen Sach- und Rechtsfragen geäußert habe. Wegen des Vortrags ohne Manuskript sei den Beschwerdeführenden zudem die Gelegenheit zur Gegenrede genommen. Es bestehe die Gefahr des Eindrucks, die -- nach der Annahme der Beschwerdeführenden -- als Berichterstatterin zuständige Richterin Baer fühle sich der Bundesregierung näher als den Beschwerdeführenden.
III.
1. Präsident Harbarth hat unter dem 28. September 2021 eine dienstliche Stellungnahme abgegeben:
2. Ebenfalls unter dem 28. September 2021 hat sich Richterin Baer dienstlich geäußert:
IV.
Die Beschwerdeführenden haben das gegen den Präsidenten Harbarth gerichtete Ablehnungsgesuch unter dem 29. September 2021 ergänzt. Dieser habe sich in einem Interview gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom vorhergehenden Tag zur "Corona-Krise" in einer die Besorgnis seiner Befangenheit zusätzlich begründenden Weise wie folgt geäußert: Nach seiner Bestandsaufnahme zeige sich Licht und Schatten. Einerseits sei Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern bisher insgesamt nicht schlecht durch die schwere Zeit der Pandemie gekommen. Andererseits habe die Pandemie Defizite in Teilbereichen aufgezeigt, etwa bei der Digitalisierung. Dies sei aber kein systemischer Mangel.
Die Beschwerdeführenden deuten dies als politische Äußerung, die bei unbefangener Lektüre der Corona-Politik des Bundestages und der Bundes- und Landesregierungen ein gutes Zeugnis ausstelle. Bei unbefangenen Lesern des Interviews erweckten die Äußerungen des abgelehnten Richters den Eindruck, die "Inzidenzpolitik" der Regierung sei im Ergebnis recht erfolgreich gewesen. Dies wiederum begründe "bei objektiver Betrachtungsweise Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit bei der Bewertung von § 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG".
V.
Die Beschwerdeführenden haben mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2021 zu den dienstlichen Erklärungen der abgelehnten Richterin und des abgelehnten Richters ihrerseits Stellung genommen.
Die in der dienstlichen Stellungnahme von Präsident Harbarth geäußerte Einschätzung, das Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" sei "zeitlos", sei schlechterdings unglaubhaft. Eine derartige Schutzbehauptung lasse erneut an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zweifeln, so dass er auch aus diesem Grund wegen der Besorgnis von Befangenheit abgelehnt werde.
VI.
Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2021 haben die Beschwerdeführenden ihr Vorbringen abermals ergänzt. Interne Vermerke des Bundeskanzleramts an die Bundeskanzlerin vom 10. Juni und 29. Juni 2021 bestätigten die Zweifel an der fehlenden Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter. Die Beschwerdeführenden machen geltend, dass es in dem Vermerk vom 10. Juni 2021 heiße, Präsident Harbarth habe nach Rücksprache mit Vizepräsidentin König als Thema vorgeschlagen "Entscheidung unter Unsicherheiten": Welche Beurteilungsspielräume verbleiben den Gewalten bei tatsächlichen Unklarheiten? Wieviel Überprüfbarkeit verbleibt dem BVerfG? Wie kann Sicherheit gewonnen werden? Welche Evaluierungspflichten sind dabei zu berücksichtigen? Diese Themenbeschreibung habe einen offensichtlichen Bezug zu den beim Bundesverfassungsgericht anhängigen "Corona-Verfahren". Auch das Bundeskanzleramt habe dies erkannt, denn es habe vermerkt, dass das Thema grundsätzlich für die Diskussion geeignet sei, allerdings berühre es "auch aktuelle Streitpunkte (... laufende Eilanträge gegen die Corona-Notbremse)".
VII.
Die im Verfassungsbeschwerdeverfahren Äußerungsberechtigten hatten ebenfalls Gelegenheit zur Stellungnahme.
 
B.
Das rechtzeitig gestellte Ablehnungsgesuch bleibt insgesamt ohne Erfolg. Ein Teil der von den Beschwerdeführenden vorgebrachten Gründe ist schon gänzlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter zu begründen. Im Übrigen ist das Gesuch jedenfalls unbegründet.
I.
Die Ablehnung eines Richters oder einer Richterin des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an der Unvoreingenommenheit zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 148, 1 [6 Rn. 17]; 152, 332 [337 Rn. 15]; 156, 340 [348 Rn. 21] jeweils m.w.N.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter oder die Richterin tatsächlich parteiisch oder befangen ist oder sich selbst für befangen hält. Maßgeblich ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit zu zweifeln (vgl. BVerfGE 148, 1 [6 Rn. 17]; 152, 332 [337 Rn. 15]).
Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die Umstände Anlass zur Sorge geben, dass ein Richter oder eine Richterin aus persönlichen oder anderen Gründen auf eine bestimmte Rechtsauffassung bereits so festgelegt ist, dass er oder sie sich gedanklich nicht mehr lösen kann oder will und entsprechend für Gegenargumente nicht mehr offen ist. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Richterinnen oder Richter des Bundesverfassungsgerichts über jene innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigen, in Unvoreingenommenheit und Objektivität zu entscheiden. Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es aber auch darum, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden (vgl. BVerfGE 148, 1 [6 Rn. 17]; 152, 332 [337 f. Rn. 15]; 159, 26 [32 f. Rn. 19]).
Zweifel an der notwendigen Objektivität und Unvoreingenommenheit können etwa auch berechtigt sein, wenn sich aufdrängt, dass ein innerer Zusammenhang zwischen einer politischen Überzeugung und der Rechtsauffassung des betroffenen Richters oder der betroffenen Richterin besteht (vgl. BVerfGE 148, 1 [7 f. Rn. 19]; 152, 332 [338 Rn. 17]). Äußerungen zu politischen Vorgängen allein führen deshalb aber noch nicht dazu, dass Verfahrensbeteiligte darin vernünftigerweise die Festlegung auf eine bestimmte Rechtsauffassung sehen können (vgl. BVerfGE 156, 340 [349 Rn. 23]).
II.
Danach dringt der Ablehnungsantrag weder gegen den Präsidenten Harbarth (1) noch gegen die Richterin Baer (2) durch.
Die Beschwerdeführenden führen teils zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignete Gründe an. Im Übrigen liegen keine Umstände vor, die diese Besorgnis begründen können.
1. Das Ablehnungsgesuch gegen den Präsidenten Harbarth bleibt ohne Erfolg.
a) Ein Teil der von den Beschwerdeführenden für die Besorgnis der Befangenheit von Präsident Harbarth angeführten Gründe sind dazu gänzlich ungeeignet. Insoweit bedurfte es auch keiner dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters (vgl. dazu BVerfGE 153, 72 [73 Rn. 2]; stRspr; vgl. auch BVerfGE 158, 253 [261 f. Rn. 22 f.] und 158, 271 [280 f. Rn. 24 f.], jeweils Richter Müller).
aa) Wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, sind Treffen zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung als solche, damit auch das hier fragliche Treffen vom 30. Juni 2021, ein zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeigneter Grund (vgl. BVerfGE 159, 26 [33 ff. Rn. 21 ff.]; siehe zur Frage der Besorgnis der Befangenheit wegen der Themenauswahl unten Rn. 31 ff.).
bb) Für eine auf den Inhalt der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 78 vom 20. August 2021 gestützte Besorgnis der Befangenheit Präsident Harbarths benennen die Beschwerdeführenden ebenfalls lediglich gänzlich ungeeignete Gründe. Die darin enthaltene bloße Mitteilung einer vorläufigen Einschätzung des Senats zur Frage der Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann grundsätzlich keine Zweifel an der Unvoreingenommenheit eines Richters begründen; ebenso wenig das Absehen von einer -- weder von der Prozessordnung vorgesehenen noch sonst praktizierten -- entsprechenden persönlichen Mitteilung an die Beschwerdeführenden.
cc) Der von den Beschwerdeführenden vorgetragene Inhalt des Interviews von Präsident Harbarth in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28. September 2021 ist ebenfalls zur Begründung der Voraussetzungen aus § 19 Abs. 1 BVerfGG gänzlich ungeeignet.
Nach dem eindeutigen objektiven Erklärungswert der fraglichen Äußerung in dem Interview hat der abgelehnte Richter eine allgemein gehaltene Einschätzung der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Lage in Deutschland im Vergleich zu nicht im Einzelnen benannten anderen Staaten geäußert. Seine Äußerung bezog sich auf eine Frage der Redaktion nach der Reformbedürftigkeit des deutschen Staates. Bewertungen der seitens der verschiedenen zuständigen Gesetz- und Verordnungsgeber ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus enthält die von den Beschwerdeführenden vorgetragene Passage des Interviews nicht.
dd) Der Inhalt der dienstlichen Erklärung von Präsident Harbarth, er halte das Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten" für einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen Verfassungsorganen für geeignet, weil es abstrakte und zeitlose Fragestellungen betreffe, die sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts niedergeschlagen hätten, und weil sich dieses Thema auch ohne konkreten Bezug zu anhängigen Verfahren erörtern lasse, ist ebenfalls zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet. Ein Zusammenhang zu fehlender Unvoreingenommenheit und fehlender Unparteilichkeit ist offensichtlich ausgeschlossen.
b) Soweit die vorgebrachten Gründe nicht bereits gänzlich ungeeignet sind, vermögen sie die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters ebenfalls nicht zu tragen. Der Antrag ist daher jedenfalls unbegründet. Die Beteiligung von Präsident Harbarth an der Auswahl des Themas "Entscheidung unter Unsicherheiten" vermag den Anschein einer fehlenden Unvoreingenommenheit gegenüber den im gegenständlichen Verfahren entscheidungsrelevanten Rechtsfragen nicht zu begründen.
aa) Die Festlegung eines Themas für einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen Bundesverfassungsgericht und Bundesregierung als solche ohne inhaltliche Positionierung, wie damit rechtlich umzugehen ist, begründet grundsätzlich keinen "bösen Schein" einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit. Sie gibt insbesondere keinen Anlass zur Besorgnis einer Vorfestlegung zu entscheidungsrelevanten Rechtsfragen.
Das gilt auch für das hier gewählte Thema "Entscheidung unter Unsicherheiten". Die mit dem Thema verbundenen Rechtsfragen zu den Kontrollmaßstäben des Bundesverfassungsgerichts unter den Bedingungen tatsächlicher Unsicherheiten sind vielfältig und stellen beziehungsweise stellten sich in zahlreichen Verfahren, die das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat und noch zu entscheiden haben wird. Das Bundesverfassungsgericht hat sich etwa im Beschluss vom 8. August 1978 über die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Regelungen über die friedliche Verwendung der Kernenergie grundlegend zu gesetzgeberischen Entscheidungen unter den Bedingungen wissenschaftlich noch unsicherer Erkenntnisse sowie den dafür heranzuziehenden verfassungsrechtlichen Prüfmaßstäben geäußert (vgl. BVerfGE 49, 89 [130 f.]). Erst kürzlich stellten sich entsprechende Fragen in dem Beschluss zum Klimaschutzgesetz. Darin verhält sich das Bundesverfassungsgericht ausführlich zu der Bedeutung von nicht unerheblichen Unsicherheiten in den Fachwissenschaften über das vorhandene Restbudget des CO2-Ausstoßes und die daraus resultierenden Konsequenzen für den Gesetzgeber bei der Gestaltung des Klimaschutzes (vgl. BVerfGE 157, 30 [153 ff. Rn. 220 ff.]). Vergleichbare Fragen stellen sich auch weiterhin, wie zuletzt im Beschluss zur sogenannten Vollverzinsung, in dem die gesetzgeberische Handhabung der Ungewissheiten über die Zinsentwicklung zu beurteilen war (vgl. BVerfGE 158, 282 [371 ff. Rn. 214 ff.). Es handelt sich also um ein Thema zu einer abstrakten Rechtsproblematik, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit langem prägt. Daran ändert auch die im Vermerk des Bundeskanzleramts festgehaltene Themenbeschreibung nichts, denn es handelt sich insoweit lediglich um ebenso abstrakt formulierte Unterthemen, die gerade die vielfältigen mit dem Thema verbundenen Rechtsfragen aufgreifen.
bb) Entgegen der Einschätzung der Beschwerdeführenden ergeben sich für eine Besorgnis der Befangenheit von Präsident Harbarth sprechende Umstände auch nicht daraus, dass aufgrund des unter seiner Mitwirkung gewählten Themas Mitglieder der Bundesregierung die Möglichkeit gehabt hätten, sich zu tatsächlichen und rechtlichen Aspekten konkret anhängiger Verfahren zu äußern. Der Vorwurf der Beschwerdeführenden, das Thema sei gerade zu diesem Zweck vorgeschlagen worden, stellt eine bloße Behauptung dar, für die es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt und die bei vernünftiger Betrachtung nicht naheliegt. Im Übrigen hat sich die Ministerin ausweislich des von den Beschwerdeführenden selbst vorgelegten Redemanuskriptes in ihrem achtminütigen Impulsvortrag gerade nicht zu konkret anhängigen Verfahren geäußert. Ungeachtet dessen wäre der sachliche Gehalt ihres konkreten Vortrags von vornherein nicht geeignet, eine Grundlage für einen Rückschluss zu bieten, Präsident Harbarth habe das Thema mit ausgewählt, um der Bundesregierung Äußerungen zu einem anhängigen Verfahren zu ermöglichen.
2. Das gegen die Richterin Baer gerichtete Ablehnungsgesuch ist gleichfalls teilweise bereits gänzlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit der Richterin zu begründen, so dass insoweit eine dienstliche Stellungnahme nicht veranlasst war (a). Im Übrigen ist das Gesuch jedenfalls unbegründet (b).
a) So kann die Besorgnis der Befangenheit von vornherein nicht darauf gestützt werden, dass die abgelehnte Richterin den Impulsvortrag ohne Redemanuskript gehalten hat. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die Art der Vorbereitung und Dokumentation eines Vortrages die Besorgnis ihrer Befangenheit begründen könnte. Angesichts der häufigen Beschäftigung des Bundesverfassungsgerichts mit den Aspekt "Entscheidung unter Unsicherheiten" betreffenden Fragen (oben Rn. 32) ist es im Übrigen auch naheliegend, dass die in einem kurzen Impulsvortrag anzusprechenden Gesichtspunkte einer langjährigen Richterin des Bundesverfassungsgerichts auch ohne Redemanuskript vertraut sind.
b) Im Übrigen ist der gegen die Richterin Baer gerichtete Ablehnungsantrag jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführenden mutmaßen, die abgelehnte Richterin habe sich zu für das anhängige Verfahren bedeutsamen Sach- und Rechtsfragen geäußert. Wie sich aus der dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterin ergibt, waren Gegenstand ihres Vortrags allein abstrakte Überlegungen dazu, dass Gerichte mit der Dynamik und Komplexität von Wissen anders umgehen müssen als Legislative und Exekutive mit ihrer je eigenen Handlungsrationalität. Dies kann eine Besorgnis der Befangenheit der Richterin nicht begründen. Dass abstrakte rechtliche Überlegungen auch in einem konkreten Verfahren zur Anwendung gelangen können, ist ihnen immanent. Nicht anders als bei in wissenschaftlichen Beiträgen oder sonst geäußerten Rechtsauffassungen könnten allgemein gehaltene Rechtsausführungen allenfalls dann zur Besorgnis der Befangenheit führen, wenn weitere Umstände in der Person der abgelehnten Richterin hinzuträten, aus denen auf eine fehlende Unvoreingenommenheit und insbesondere eine Vorfestlegung zu entscheidungsrelevanten Rechtsfragen geschlossen werden könnte (vgl. auch BVerfGE 156, 340 [350 Rn. 25] m.w.N.). Dies ist nicht der Fall.
III.
Der Senat hatte ohne die abgelehnte Richterin und den abgelehnten Richter zu entscheiden. Zwar sind bei auf gänzlich ungeeignete Gründe gestützten Ablehnungsgesuchen auch die Abgelehnten zur Entscheidung darüber berufen (vgl. BVerfGE 153, 72 [73 Rn. 2]; 159, 26 [39 Rn. 35]; stRspr). Da der hier gestellte Ablehnungsantrag aber bezüglich beider nicht insgesamt offensichtlich unzulässig ist, sind Präsident Harbarth und Richterin Baer von der Mitwirkung an der Entscheidung darüber ausgeschlossen.
Präsident Harbarth war wegen des ihn betreffenden Ablehnungsgesuchs auch gehindert, über den gegen Richterin Baer gerichteten Ablehnungsantrag zu entscheiden, wie umgekehrt Richterin Baer nicht zur Entscheidung über die Ablehnung von Präsident Harbarth berufen war. Die gegen beide vorgebrachten Ablehnungsgründe stehen in einem engen sachlichen Zusammenhang (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. April 2004 -- 2 BvR 2225/03 --, Rn. 9).
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