BVerfG 2 BvR 1332/02 - Kanzlerduell |
Beschluß |
der 2. Kammer des Zweiten Senates vom 30. August 2002 |
- 2 BvR 1332/02 - |
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde |
der Freien Demokratischen Partei (FDP), vertreten durch den Parteivorsitzenden Dr. Guido Westerwelle, ... - Bevollmächtigte: a) Rechtsanwälte Dr. Paul Gerhards und Koll., Königsallee 82-84, 40212 Düsseldorf, b) Prof. Dr. Martin Morlok, Poßbergweg 51, 40629 Düsseldorf - |
gegen a) den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. August 2002 - 8 B 1444/02 -, b) den Beschluß des Verwaltungsgerichts Köln vom 19. Juli 2002 - 6 L 1634/02 - |
und |
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. |
Gründe |
1. Die Beschwerdeführerin, die Freie Demokratische Partei, erstrebt die Teilnahme ihres Vorsitzenden an der Fernsehsendung "TV-Duell der Kanzlerkandidaten", welche die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) und das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) am Abend des 8. September 2002 - zwei Wochen vor der auf den 22. September 2002 angesetzten Wahl zum 15. Deutschen Bundestag - auszustrahlen beabsichtigen. In dieser Sendung sollen der Bundeskanzler und der Ministerpräsident des Freistaates Bayern als von ihren Parteien für das Amt des Bundeskanzlers nominierte Kandidaten von zwei Moderatorinnen für die Dauer von 75 Minuten zu Themen des Wahlkampfes befragt werden. Ein Begehren der Beschwerdeführerin, ihrem Vorsitzenden ebenfalls die Teilnahme an der Sendung zu ermöglichen, wurde von den Intendanten des Westdeutschen Rundfunks und des ZDF abgelehnt. Der hiergegen gerichtete Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb ohne Erfolg.
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2. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung (vgl. hierzu BVerfGE 90, 22 [25 ff.]; 96, 245 [248]) liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu. Die Verfassungsbeschwerde wirft im Wesentlichen nur Fragen der (abgestuften) Chancengleichheit der politischen Parteien auf, zu der sich das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach in grundlegender Weise geäußert hat (vgl. z. B. BVerfGE 14, 121 [137 f.]; 24, 300 [354 f.]; 34, 160 [163 f.]; 48, 271 [277 f.]). Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Rechte angezeigt; denn sie ist ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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Das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht haben das Begehren der Beschwerdeführerin, ihrem Vorsitzenden die Teilnahme an der Sendung "TV-Duell der Kanzlerkandidaten" zu ermöglichen, an § 5 Abs. 1 PartG und darüber hinaus unmittelbar am Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 GG) gemessen und auf der Grundlage dieser Prüfung für nicht begründet erachtet. Das ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
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a) Es verstößt insbesondere nicht gegen die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten grundrechtlichen Gewährleistungen, dass die Gerichte das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 PartG mit der Begründung verneint haben, bei dem in Rede stehenden "Duell" handle es sich um eine redaktionell gestaltete, von den Rundfunkanstalten verantwortete Sendung, die trotz einer von ihr möglicherweise ausgehenden Werbewirkung nicht als Wahlwerbesendung qualifiziert werden könne und schon deshalb nicht dem in § 5 Abs. 1 Satz 1 PartG verwendeten Begriff der öffentlichen Leistung unterfalle, der vorliegend allein in Betracht zu ziehen sei. Dass dieser Standpunkt auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Reichweite und Bedeutung des Grundsatzes der Chancengleichheit beruhte, ist nicht ersichtlich. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Einflussnahme der betroffenen politischen Parteien auf Entstehung und Gestaltung des "Duells" und die in der Verfassungsbeschwerde aufgeführten wertenden Äußerungen zum angeblich fehlenden journalistischen Charakter der Sendung rechtfertigen eine abweichende Beurteilung nicht.
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b) Auch im Übrigen ist für einen Gleichheitsverstoß nichts ersichtlich, selbst wenn man zu Gunsten der Beschwerdeführerin unterstellt, dass die Rundfunkanstalten einer strengen Bindung an den Grundsatz der Chancengleichheit unterliegen.
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Nach den tatsächlichen Feststellungen der angegriffenen Entscheidungen, gegen die die Beschwerdeführerin beachtliche Einwände nicht erhoben hat, beruht die umstrittene Sendung auf einem schlüssigen und folgerichtig umgesetzten journalistischen Konzept, das unter dem Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG steht (vgl. BVerfGE 97, 298 [310] m.w.N.). Diesem Konzept zufolge sollen in einer Befragung durch zwei Moderatorinnen die beiden Politiker einander gegenüber gestellt werden, die allein ernsthaft damit rechnen können, zum Bundeskanzler gewählt zu werden. Demnach scheidet eine Teilnahme des Vorsitzenden der Beschwerdeführerin aus, weil er - was die Beschwerdeführerin letztlich selbst nicht bestreitet - keine realistische Aussicht hat, nach der Wahl am 22. September 2002 das Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen. Diese Tatsache ist von der Beschwerdeführerin als Folge der bestehenden politischen Kräfteverhältnisse hinzunehmen und verstößt als solche nicht gegen das Recht einer politischen Partei auf Wahrung der Chancengleichheit (vgl. BVerfGE 14, 121 [137 f.]; 24, 300 [354]).
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Allerdings dürfen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein redaktionelles Konzept, das die Erfolgsaussichten von Beteiligten am Wahlwettbewerb nachhaltig mindern kann, nicht ohne Rücksicht auf diesen Umstand durchsetzen (vgl. BVerfGE 82, 54 [59]; Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Oktober 1990 - 2 BvR 1316/90 -, NVwZ 1991, S. 560 f.). Welches Maß an rechtlichen Verpflichtungen hieraus folgt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht konnten, ohne gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 GG zu verstoßen, eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit mit der Begründung verneinen, die Beschwerdeführerin sei in der Gesamtheit der wahlbezogenen Sendungen von ARD und ZDF ihrer Bedeutung gemäß berücksichtigt worden (vgl. in diesem Zusammenhang: BVerfGE 13, 204 [206]): Das "TV-Duell der Kanzlerkandidaten" findet am 8. September 2002 statt. Die bis zum Wahltag verbleibende Spanne von zwei Wochen ist in der "heißen Phase" des Wahlkampfs ein Zeitraum von nicht unerheblicher Länge. Ihn kann die Beschwerdeführerin nutzen, indem sie an mehreren gewichtigen redaktionellen Beiträgen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu Themen des Wahlkampfs teilnimmt. Insbesondere hat ihr Vorsitzender die Gelegenheit der Selbstdarstellung im Rahmen der Diskussionsrunde "Die Favoriten" am Abend des 17. September 2002. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin in weiteren redaktionellen Beiträgen der betroffenen Rundfunkanstalten, z. B. in einem Sommerinterview des ZDF mit ihrem Vorsitzenden am 25. August 2002, aber auch in anderen Medien, insbesondere im privaten Rundfunk, Gelegenheit hatte und haben wird, die Gunst der Wähler zu gewinnen.
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c) Aus Art. 38 Abs. 1 GG ergeben sich im vorliegenden Zusammenhang keine Rechte, die über diejenigen aus Art. 3 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 GG hinausgingen.
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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Jentsch Broß Mellinghoff |