BGHZ 116, 136 - Urheberrechtliche Schutzfähigkeit gerichtlicher Leitsätze
a) Nichtamtlich verfaßte Leitsätze gerichtlicher Entscheidungen können als deren Bearbeitungen wie selbständige Werke gemäß § 3 UrhG geschützt sein.
b) Als amtlich verfaßt im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG ist ein Leitsatz dann anzusehen, wenn er von einem Mitglied des Spruchkörpers mit dessen Billigung formuliert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Unerheblich ist, ob eine dienstliche Verpflichtung zur Abfassung von Leitsätzen besteht. Entscheidend ist allein, ob der Inhalt der Verlautbarung erkennbar dem Gericht zuzurechnen ist, also vom Träger der öffentlichen Gewalt herrührt. ("Leitsätze")
UrhG §§ 3, 5 Abs. 1.
I. Zivilsenat
 
Urteil
vom 21. November 1991
in einer Urheberrechtssache
- 1 ZR 190/89 -
I. Landgericht Köln
II. Oberlandesgericht Köln
Die Klägerin verlegt und gibt heraus die monatlich erscheinende Zeitschrift "EFG Entscheidungen der Finanzgerichte". Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Entscheidungen der Finanzgerichte. Die Veröffentlichung der Entscheidungen erfolgt in vertraglicher Zusammenarbeit der Klägerin mit Richtern der Finanzgerichtsbarkeit, welche ihnen interessant erscheinende Entscheidungen von Finanzgerichten mit einem Leitsatz versehen und redaktionell aufbereiten.
Die Beklagte vertreibt die wöchentlich erscheinende Zeitschrift "Steuertip". Sie informiert darin unter anderem über finanzgerichtliche Entscheidungen, wobei sie auch in der Zeitschrift der Klägerin abgedruckte Leitsätze zu Entscheidungen von Finanzgerichten mit Datum und Aktenzeichen wörtlich wiedergibt. Sie führt dabei eine Bestellnummer an, mit welcher interessierte Leser gegen Zahlung von 3 DM eine Fotokopie der gesamten in der Zeitschrift der Klägerin veröffentlichten Entscheidung erhalten können.
Die Klägerin beanstandet das Verhalten der Beklagten als eine Verletzung ihr zustehender urheberrechtlicher Nutzungsrechte und als wettbewerbswidrig im Sinne des § 1 UWG. Sie hat vorgetragen, die in ihrer Zeitschrift veröffentlichten Entscheidungen seien hinsichtlich des Leitsatzes und in Anbetracht der vorgenommenen Bearbeitung urheberrechtlich gemäß § 3 UrhG geschützt. Außerdem stehe ihr urheberrechtlicher Schutz gemäß § 4 UrhG zu, da es sich bei der von ihr herausgegebenen Entscheidungssammlung um ein Sammelwerk im Sinne der vorgenannten Vorschrift handele.
Sie hat beantragt:
Der Beklagten zu verbieten,
    a) aus der von der Klägerin herausgegebenen Zeitschrift " Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)" Leitsätze oder sonstige Auszüge aus finanzgerichtlichen Entscheidungen zu zitieren, ohne die Quelle anzugeben;
    b) Leitsätze und andere wörtliche Zitate aus in der EFG veröffentlichten Entscheidungen unkommentiert aneinandergereiht zu vervielfältigen oder zu verbreiten;
    c) Fotokopien aus in der EFG abgedruckten Entscheidungen an Kunden der Beklagten zu senden, insbesondere wenn es auf Bestellung der Kunden und gegen Bezahlung geschieht.
Des weiteren hat sie Anträge zur Schadensersatzpflicht und zur Rechnungslegungsverpflichtung der Beklagten gestellt.
Die Beklagte hat einen urheberrechtlichen Schutz der in der Zeitschrift der Klägerin veröffentlichten Leitsätze und Entscheidungen in Abrede gestellt. Auszüge aus den Entscheidungen der Finanzgerichte, wie sie in der Zeitschrift der Klägerin erschienen, seien nicht urheberrechtsschutzfähig. Der redaktionellen Aufbereitung der Entscheidungsgründe komme keine urheberrechtliche Qualität zu. Es handele sich um amtliche Leitsätze im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG, da diese von dem jeweiligen Berichterstatter der Entscheidung in Abstimmung mit dem Senat formuliert worden seien. Ihr Verhalten sei jedenfalls gerechtfertigt, da die Finanzgerichte sich geweigert hätten, ihr die Entscheidungen zur Verfügung zu stellen. Erst aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Bremen (v. 25. Oktober 1988 - OVG 1 BA 32/88, GRUR 1989,292 = NJW 1989, 926) werde sie von den Finanzgerichten mit Entscheidungen beliefert.
Das Landgericht hat entsprechend dem Klageantrag verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht (OLG Köln GRUR 1989, 82 1) die Klage hinsichtlich des Klageantrags b in vollem Umfang und hinsichtlich des Klageantrags a insoweit abgewiesen, als er sich neben den Leitsätzen auf "sonstige Auszüge" bezieht; ini übrigen ist die Berufung erfolglos geblieben. Die auf Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils gerichtete Revision der Klägerin führte zur Zurückverweisung, soweit sie die auf den Klageantrag b bezogenen Anträge auf Schadensersatz und Rechnungslegung bezüglich bestimmter Leitsätze weiterverfolgt und blieb im übrigen erfolglos. Die auf Klageabweisung gerichtete Anschlußrevision der Beklagten führte zur Abweisung der Klage, soweit diese auf Unterlassung, Schadensersatz und Rechnungslegung wegen über die Veröffentlichung bestimmter Leitsätze hinausgehender Handlungen gerichtet war, und zur Zurückverweisung bezüglich der Anträge auf Schadensersatz und Rechnungslegung bezogen auf den Klageantrag c.
 
Aus den Gründen:
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, die in der Zeitschrift der Klägerin wiedergegebenen Leitsätze zu den Entscheidungen der Finanzgerichte seien urheberrechtlich als Werke im Sinne des § 3 UrhG geschützt. Die in Heft 12/1987 der Zeitschrift der Klägerin enthaltenen und von der Beklagten in ihrem "Steuertip" vom 9. Januar 1988 übernommenen acht Leitsätze seien schutzwürdig. Die Leitsätze beschränkten sich nicht darauf, eine Formulierung der Entscheidungsgründe wörtlich zu wiederholen, vielmehr filterten diese die Kernaussagen des Urteils aus den Entscheidungsgründen heraus und faßten sie kurz und prägnant in einem Satz oder in wenigen Sätzen zusammen. Da die Beklagte aus der Zeitschrift der Klägerin Leitsätze von urheberrechtlicher Qualität übernehme, sei sie entsprechend dem Klagebegehren zu 1 a zur Angabe der Zeitschrift der Klägerin als Quelle verpflichtet, wenn sie gemäß § 51 UrhG zulässigerweise zitiere. Es handele sich nicht um amtliche Leitsätze. Amtlich verfaßt seien Leitsätze nur dann, wenn das veröffentlichende Gericht in Erfüllung seines hoheitlichen Amtes den Leitsatz verfasse und veröffentliche. Daran fehle es aber im Streitfall, da der von der Klägerin mit der Veröffentlichungsarbeit beauftragte Richter nicht aufgrund amtlicher oder dienstlicher Verpflichtung, sondern im Rahmen einer privaten Nebentätigkeit den Leitsatz verfasse. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob der jeweilige Berichterstatter des Spruchkörpers diesen Leitsatz verfasse und ob dies mit Billigung des jeweiligen Spruchkörpers geschehe.
Hinsichtlich des weiterreichenden, auf das Verbot der Veröffentlichung "sonstiger Auszüge" aus EFG-Entscheidungen ohne Quellenangabe gerichteten Begehrens sei der Klageantrag zu a abzuweisen; die Klägerin habe nicht im einzelnen dargetan, welche sonstigen urheberrechtsschutzwürdigen Auszüge aus den "EFG-Entscheidungen" die Beklagte zitiere.
Das Unterlassungsbegehren zu b, der Beklagten zu verbieten, Leitsätze und andere wörtliche Zitate aus in der EFG veröffentlichten Entscheidungen unkommentiert aneinandergereiht zu vervielfältigen oder zu vertreiben, hat das Berufungsgericht insgesamt für unbegründet erachtet. Durch die beanstandete Veröffentlichung der Beklagten werde das Urheberrecht der Klägerin an ihrer Zeitschrift als Sammelwerk nicht berührt. Die Übernahme der Leitsätze von lediglich acht der 63 in Heft 12/1987 mit Gründen veröffentlichten Entscheidungen beeinträchtige nicht das Recht der Klägerin aus § 4 UrhG. Auch soweit die Klägerin mit diesem Klageantrag das Ziel verfolge, der Beklagten eine durch die Zitierfreiheit gemäß § 51 UrhG nicht gedeckte Verbreitung der "EFG-Entscheidungen" zu verbieten, sei die Klage unbegründet. Dem Urheberrecht der Klägerin an den Leitsätzen werde durch die entsprechend Klageantrag zu a ausgesprochene Verpflichtung, die Quelle anzugeben, hinreichend Rechnung getragen. Ein weitergehender Unterlassungsanspruch im Sinne des Klageantrags zu b bestehe mangels einer entsprechenden Verletzungshandlung nicht. Der Klageantrag zu b stelle auf ein bestimmtes, eingeschränktes Verhalten ab. Die Wiedergabe von Zitaten aus "EFG" durch die Beklagte Sei im Zusammenhang mit der Quellenangabe ein weitergehendes Verhalten, ein aliud, das im Antrag nicht umfaßt und nicht Klagegegenstand sei.
Begründet sei das Klagebegehren gemäß dem Antrag zu c, da die Beklagte mit der Versendung von Fotokopien der Entscheidungsabdrucke aus der Zeitschrift der Klägerin deren ausschließliches Verwertungs- und Verbreitungsrecht an den urheberrechtlich geschützten Leitsätzen verletze. Ob auch die redaktionelle Aufbereitung der Entscheidungen in einzelnen Fällen urheberrechtlichen Schutz begründe, könne dahinstehen, da die Weitergabe der fotokopierten Entscheidungen als die bewußte Übernahme eines fremden Arbeitsergebnisses gemäß § 1 UWG unlauter sei.
II.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das Unterlassungsbegehren nach den Klageanträgen zu a, b und c erweist sich in vollem Umfange als unbegründet (nachfolgend 1.). Das Schadensersatzbegehren und die hierzu gestellten Anträge auf Rechnungslegung sind unbegründet, soweit darin über die Vervielfältigung und Verbreitung der acht im Urteil des Berufungsgerichts näher bezeichneten Leitsätze hinausreichende Verbreitungshandlungen beanstandet werden (nachfolgend 2.). Die Beurteilung des Schadensersatz- und Rechnungslegungsbegehrens im übrigen bedarf der weiteren tatrichterlichen Prüfung, soweit es sich auf die Klageanträge zu b und c und die vorgenannten acht Leitsätze bezieht (nachfolgend 3.). Eine Verurteilung der Beklagten kommt insoweit nur in Betracht, wenn die von der Beklagten übernommenen acht Leitsätze finanzgerichtlicher Entscheidungen aus der Zeitschrift der Klägerin Werkqualität aufweisen, nichtamtlicher Art sind und die Beklagte bei der beanstandeten Verbreitungshandlung ein Verschulden trifft.
1. Das aufgrund der Revision und der Anschlußrevision in vollem Umfang der revisionsrichterlichen Beurteilung unterliegende Unterlassungsbegehren gemäß den Klageanträgen zu a, b und c erweist sich als unbegründet.
Der Klägerin, welche sich zur Begründung dieser Anträge auf urheberrechtlichen Schutz der in ihrer Zeitschrift veröffentlichten Leitsätze und finanzgerichtlichen Entscheidungen beruft, stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche mangels Wiederholungsgefahr nicht zu (wird ausgeführt).
2. Das Schadensersatzverlangen und die hierzu gestellten Anträge auf Rechnungslegung erweisen sich als unbegründet, soweit darin andere als die auf die im Berufungsurteil erwähnten acht Leitsätze bezogenen Handlungen der Beklagten angeführt sind. Insoweit kommt eine rechtserhebliche Verletzungshandlung, welche einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 UrhG i.V.m. § 31 Abs. 3 UrhG begründen könnte, nicht in Betracht.
a) In der Übernahme der Leitsätze finanzgerichtlicher Entscheidungen aus der Zeitschrift der Klägerin in die Zeitschrift der Beklagten liegt kein Zitat im Sinne des § 51 UrhG. Die mit dem Klageantrag zu a gerügte Verletzung von § 63 UrhG, wonach bei einem Zitat im Sinne des § 51 UrhG die Quelle genannt werden muß, kann nicht festgestellt werden.
Die Beklagte, welche Leitsätze unkommentiert (Steuertip Anlage 1) oder mit kurzer Darstellung des Sachverhalts (Steuertip Anlage 2) aneinanderreiht, macht keinen Gebrauch von dem Zitatrecht des § 51 UrhG. Dieses greift nur ein, wenn einzelne Werke in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung dessen Inhalts aufgenommen (sogenanntes Großzitat) oder Stellen in einem selbständigen Sprachwerk angeführt werden (sogenanntes Kleinzitat). Das Zitatrecht nach § 51 UrhG entfällt für die Beklagte schon deshalb, weil die übernommenen Leitsätze - ihren urheberrechtlichen Schutz unterstellt - nicht in ein selbständiges Werk im Sinne des § 51 Nr. 1 und 2 UrhG aufgenommen sind. Die vereinzelten einleitenden Sätze zum Sachverhalt begründen kein eigenständiges Werk, innerhalb dessen die Leitsätze als bloße Zitate erschienen (vgl. Schricker/Loewenheim, Urheberrecht § 51 Rn. 20). Erforderlich ist, daß die angeführte Stelle ein Beleg für die Darstellung ist (Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht 3. Aufl. § 67 II 2 a). Denkt man sich aber die übernommenen Leitsätze als "Zitat" weg, können die einleitenden Sätze in der Zeitschrift der Beklagten nicht als ein selbständiges Werk angesehen werden. Eine Verletzung des § 63 UrhG liegt daher nicht vor.
Der rechtlichen Beurteilung der auf Schadensersatz und Rechnungslegung gerichteten Klageanträge unterliegen sonach allein die in den Anträgen zu b und c beanstandeten Verletzungshandlungen.
b) Das Berufungsgericht hat eine Verletzung des von der Klägerin in Anspruch genommenen Urheberrechts an ihrer Zeitschrift "EFG" als Sammelwerk im Sinne des § 4 UrhG nicht für gegeben erachtet. Die Revision erhebt dagegen keine Einwände. Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist frei von Rechtsfehlern.
Die festgestellte Übernahme der Leitsätze von acht finanzgerichtlichen Entscheidungen aus "EFG" Heft 12/1987, welches 63 finanzgerichtliche Entscheidungen mit Gründen enthält, kann nicht als ein rechtswidriger Eingriff in ein Urheberrecht der Klägerin an ihrer Zeitschrift als Sammelwerk angesehen werden.
Eine Verletzung eines Urheberrechts an einem Sammelwerk, das auch in der Sammlung beispielsweise gemäß § 5 UrhG gemeinfreier Werke bestehen kann (Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht 3. Aufl. S. 172), kann nur angenommen werden, wenn das als rechtsverletzend beanstandete Werk diejenigen Strukturen hinsichtlich der Auslese und Anordnung des Stoffes enthält, welche die Sammlung von Werken und Beiträgen als eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne des § 4 UrhG ausweisen (BGH, Urt. v. 12. Juni 1981 - 1 ZR 95/79, GRUR 1982, 37,39 WK-Dokumentation; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht § 4 Rn. 12; Nordemann/Hertin NJW 1971, 688, 690). Das Urheberrecht am Sammelwerk besteht nur an der Sammlung als solcher und nicht an den darin enthaltenen einzelnen Werken oder Beiträgen. Für die Beurteilung des Tatbestandes der Verletzung des Urheberrechts an einem Sammelwerk gilt Entsprechendes. Nur wenn die Kombination der übernommenen Beiträge besondere Strukturen in deren Auslese und Anordnung aufweist und das Gewebe der persönlichen geistigen Schöpfung des Sammelwerkes erkennen läßt, kann eine Beeinträchtigung des Urheberrechts an einem Sammelwerk im Sinne des § 4 UrhG angenommen werden (vgl. BGH, Urt. v. 8. November 1989 - I ZR 14/88, GRUR 1990, 669, 673 - Bibelreproduktion).
Das Berufungsgericht hat in der Wiedergabe der Leitsätze von acht aus 63 in der Zeitschrift der Klägerin "EFG" veröffentlichten finanzgerichtlichen Entscheidungen keine die Auslese oder Anordnung dieser Entscheidungen kennzeichnenden Kriterien festgestellt. Es konnte deshalb auch mangels einer prägenden Struktur der Anordnung der veröffentlichten acht Entscheidungen in der Zeitschrift der Beklagten die Verletzung eines Urheberrechts der Klägerin aus § 4 UrhG ausschließen, ohne geprüft zu haben, ob und aufgrund welcher Merkmale der Auswahl und Anordnung der Entscheidungen in der Zeitschrift der Klägerin eine urheberrechtliche Qualifikation als Sammelwerk im Sinne des § 4 UrhG zugesprochen werden kann. Der mit dem Klageantrag zu b daneben selbständig geltend gemachte urheberrechtliche Schutz der Leitsätze (nachfolgend 3.) ist davon nicht abhängig.
c) Auch soweit die Klägerin die Vervielfältigung und Verbreitung "anderer wörtlicher Zitate" im Klageantrag zu b beanstandet, ist das darauf gerichtete Schadensersatzbegehren unbegründet (wird ausgeführt).
d) Aber auch die Versendung von Fotokopien (lediglich) der Entscheidungen - ungeachtet eines urheberrechtlichen Schutzes der vorangestellten Leitsätze - aus der Zeitschrift der Klägerin (Klageantrag zu c) hat eine Schadensersatzhaftung der Beklagten nicht zur Folge. Wie oben (1.) ausgeführt, ist der Beklagten wettbewerbswidriges Verhalten nicht vorzuwerfen. Das Berufungsgericht hat aber auch einen urheberrechtlichen Schutz im Sinne des § 3 UrhG für die redaktionelle Bearbeitung der gemäß § 5 UrhG gemeinfreien gerichtlichen Entscheidungen nicht festgestellt. Der von der Klägerin hierzu gehaltene Vortrag, die Überarbeitung der Entscheidungen bestehe in einer erheblichen Kürzung, die das für den Leser Wesentliche deutlich herausstelle, ist nicht hinreichend, um einen urheberrechtlichen Schutz für die redaktionelle Bearbeitung der jeweiligen Entscheidung im Sinne des § 3 UrhG begründen zu können. Die Prüfung der urheberrechtlichen Schutzwürdigkeit ist für den jeweiligen Einzelfall vorzunehmen. Deshalb ist auch hinsichtlich jeder einzelnen Bearbeitung, die einen Werkcharakter im Sinne des § 3 UrhG begründen könnte, substantiiert vorzutragen. Von einem Erfahrungssatz, daß die Kürzung und redaktionelle Aufbereitung von Entscheidungen einen urheberrechtlichen Schutz - die Frage der Amtlichkeit der Bearbeitung im Sinne des § 5 Abs. 2 UrhG dahingestellt - begründe, kann nicht ausgegangen werden.
3. Eine Schadensersatzhaftung der Beklagten aufgrund des § 97 Abs. 1 UrhG steht somit allein in Frage, soweit urheberrechtliche Verwertungsrechte der Klägerin an den nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von der Beklagten übernommenen acht Leitsätzen der finanzgerichtlichen Entscheidungen bestehen könnten. Das Berufungsgericht hat hinsichtlich der von der Beklagten in ihrer Zeitschrift "Steuertip" vom 9. Januar 1988 abgedruckten Leitsätze angenommen, diese seien als Werke im Sinne des § 3 UrhG geschützt; da die Leitsätze nichtamtlicher Art seien, scheitere ihre Schutzfähigkeit nicht an § 5 Abs. 1 UrhG. Dagegen wendet sich die Anschlußrevision mit Erfolg.
a) Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Schutzfähigkeit eines Leitsatzes als Werk im Sinne des § 3 UrhG erweisen sich als rechtsfehlerfrei.
Das Bearbeiterurheberrecht, wie es bei der Formulierung eines Leitsatzes zur Diskussion steht, erfordert neben der erkennbaren Wiedergabe der Vorlage eine eigenschöpferische Ausdruckskraft, sei es in der inneren oder in der äußeren Formgestaltung (BGHZ 5, 116 [119] - Parkstraße 13; BGH, Urt. v. 19. November 1971 - I ZR 31/70, GRUR 1972, 143, 145 - Biografie: 'Ein Spiel'). Dabei kann bei der Formulierung von Leitsätzen, die sich sachnotwendigerweise eng an die bearbeitete Entscheidung anlehnen müssen, ein bescheideneres Maß geistig schöpferischer Tätigkeit genügen, um urheberrechtlichen Schutz zuzubilligen (vgl. BGH, Urt. v. 27. Februar 1981 - I ZR 20/79, GRUR 1981, 520, 521 - Fragensammlung). Maßgeblich ist bei der urheberrechtlichen Beurteilung von nichtamtlichen Leitsätzen - nichts anderes gilt für die Frage der Aufbereitung von Entscheidungen für besondere Dokumentationszwecke (vgl. v. Gamm, Urheberrechtsgesetz § 5 Rn. 5; Voigtländer/Elster/Kleine, Urheberrecht 4. Aufl. [1952] S. 108; E. Ulmer, Elektronische Datenbanken und Urheberrecht S. 42; Nordemann/Hertin a.a.O.; Katzenberger GRUR 1973, 629, 631; vgl. auch KG UFITA 1929, 557, 558) -, ob die Sammlung, Anordnung und Einteilung der tragenden Gründe der Entscheidung, insbesondere wegen ihrer prägnanten Erfassung und Gliederung von schöpferischer Eigenart ist. Eine solche kann zu verneinen sein, wenn der Leitsatz sich lediglich auf einen Hinweis auf das erörterte Problem (z.B.: Zur Frage ... ) oder in der wörtlichen Wiedergabe von Entscheidungssätzen ohne eigene Gliederungsstruktur erschöpft (v. Gamm a.a.O.; Nordemann/Hertin NJW 1971, 688; Samson DVR 1977, 201, 203).
Doch erfordert die urheberrechtliche Qualifizierung als Werk im Sinne der §§ 3, 2 Abs. 2 UrhG - wie stets im Urheberrecht die Beurteilung und Würdigung des jeweiligen Einzelfalls. Diesem Erfordernis wird die angefochtene Entscheidung gerecht.
b) Mit Erfolg wendet sich aber die Anschlußrevision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die in der Zeitschrift der Klägerin veröffentlichten Leitsätze stellten keine vom urheberrechtlichen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 UrhG ausgenommenen amtlichen Leitsätze dar, da die von der Klägerin mit der Bearbeitung finanzgerichtlicher Entscheidungen beauftragten Richter nicht aufgrund amtlicher oder dienstlicher Verpflichtung die Leitsätze fertigten.
aa) Der amtliche Charakter eines Werkes setzt die Verantwortung der Behörde hierfür voraus (Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht 3. Aufl. S. 170). Dabei spielt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine Rolle, daß eine amtliche oder dienstliche Verpflichtung zur Abfassung von Leitsätzen nicht besteht. Denn die Beurteilung, ob die Verlautbarung eines Amtes - sei es eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde - als amtlich verfaßt einzustufen ist, richtet sich nicht danach, ob für den Träger der öffentlichen Gewalt eine Verpflichtung besteht, sich in bestimmter Weise zu äußern, sondern, wie auch bei der Beurteilung der amtlichen Werke im Sinne des § 5 Abs. 2 UrhG, allein danach, ob der Inhalt der Verlautbarung dem Amt zuzurechnen ist, also vom Träger der öffentlichen Gewalt herrührt (BGH, Urt. v. 28. April 1972 - I ZR 108/70, GRUR 1972, 713, 714 - Im Rhythmus der Jahrhunderte; Urt. v. 12. Juni 1981 -1 ZR 95/79, GRUR 1982, 37, 40 - WK-Dokumentation; Urt. v. 30. Juni 1983 - 1 ZR 129/81, GRUR 1984, 117, 118 f. - VOB/C; Urt. v. 26. April 1990 - 1 ZR 79/88, GRUR 1990, 1003, 1004 DIN-Normen; Goose, Die urheberrechtliche Beurteilung von. elektronischen und Mikrofilm-Datenbanken - Schriftenreihe UFITA Heft 53 -, S. 17; Katzenberger GRUR 1972, 686 f.).
bb) § 5 Abs. 1 UrhG nimmt amtlich verfaßte Leitsätze zu Entscheidungen ebenso wie die Entscheidungen selbst vom Urheberrechtsschutz aus. § 5 Abs. 1 UrhG vom 3. September 1965 entspricht im wesentlichen der bis dahin geltenden Regelung des § 16 LUG, erwähnt jedoch neben den Entscheidungen zusätzlich die amtlich verfaßten Leitsätze, um - entsprechend der bis dahin vorherrschenden Meinung (Hubmann, Urheber- und Verlagsrecht 1. Aufl. [1959] S. 153) - klarzustellen, daß auch an diesen kein Urheberrechtsschutz besteht. Es liege nämlich im Interesse der Allgemeinheit, daß zugleich mit der Entscheidung auch die amtlich verfaßten Leitsätze sollten vervielfältigt und der Öffentlichkeit mitgeteilt werden dürfen (BT-Drucks. IV/270, S. 39). Das Gesetz trägt in § 5 Abs. 1 UrhG mit der besonderen Erwähnung des amtlich verfaßten Leitsatzes neben der Entscheidung, der er zugeordnet ist, der Tatsache Rechnung, daß der Leitsatz - vom Fall des § 31 Abs. 2 BVerfGG ausgenommen - nicht Bestandteil der Entscheidung selbst ist, sondern eine außergesetzliche Zutat zu ihr (Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung im Spiegel richterlicher Erfahrung S. 189). Eine generelle Verpflichtung zur Abfassung von Leitsätzen besteht nicht. Allein in den Geschäftsordnungen von obersten Gerichten des Bundes (vgl. Leistner, Über die Veröffentlichungspraxis oberster und höherer Gerichte in West-Europa - Arbeitshefte der Arbeitsgemeinschaft für juristisches Bibliotheks- und Dokumentationswesen Nr. 2 -, Tübingen 1975, S. 11 ff.; vgl. auch Grundmann DVB1 1966, 57 ff.; Blümel DVBl 1966, 63 ff.) finden sich Regeln über die Notwendigkeit und die Abfassung von Leitsätzen. So heißt es beispielsweise in § 18 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesgerichtshofs vom 30. April 1952 (BAnz. Nr. 83/52):
    In den Nachschlagewerken sind zu vermerken alle Entscheidungen der Großen Senate und der Vereinigten Großen Senate sowie diejenigen Entscheidungen der einzelnen Senate, die sich mit wichtigeren Rec tsfragen befassen. Die einzelnen Senate beschließen, welche ihrer Entscheidungen in dem Nachschlagewerk zu vermerken sind, und stellen die Rechtssätze (Leitsätze) fest, die in das Nachschlagewerk aufgenommen werden sollen.
Die Beurteilung, ob ein Leitsatz als amtlich verfaßt im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG anzusehen ist, ist indessen unabhängig davon, ob der Entschließung des Gerichts, eine Entscheidung mit Leitsatz zu veröffentlichen, eine entsprechende verwaltungsinterne Regelung zugrunde liegt. Es besteht deshalb kein Anlaß, dem Leitsatz einer Entscheidung erster und zweiter Instanz den Charakter eines amtlich verfaßten Leitsatzes abzusprechen, weil dessen Fassung eine geschäftsordnungsmäßige Regelung nicht zugrunde liegt. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist zur Qualifikation des amtlich verfaßten Leitsatzes auch unmaßgeblich, ob dieser zusammen mit der Entscheidung den Parteien zugestellt ist. Da der Leitsatz im verfahrensrechtlichen Sinne nicht Teil der Entscheidung ist, ist seine Beurteilung als amtlich verfaßt im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG unabhängig von der Wahrung zivilprozessualer Zustellungsvorschriften und unabhängig davon, ob er bei Verkündung oder Zustellung der Entscheidung schon verfaßt war.
cc) Maßgeblich für die Beurteilung eines Leitsatzes als amtlich verfaßt ist sonach vielmehr, ob dieser dem Spruchkörper als die von ihm stammende Zusammenfassung seiner Entscheidung zuzuordnen ist.
Eine Zuordnung in diesem Sinne ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn das Werk von einem Bediensteten des Amtes geschaffen ist (BGH, Urt. v. 9. Oktober 1986 - I ZR 145/84, GRUR 1987, 166, 167 - AOK-Merkblatt).
So verhält es sich nach dem vom Berufungsgericht als zutreffend unterstellten Vortrag der Beklagten, wonach der Leitsatz der in der EFG veröffentlichten Entscheidung regelmäßig vom Berichterstatter des jeweiligen Spruchkörpers erstellt und nach Billigung durch diesen zur Veröffentlichung freigegeben wird. Ein solcherart verfaßter Leitsatz ist nicht eine private Bearbeitung einer gemeinfreien Entscheidung, sondern eine an die Öffentlichkeit gerichtete Äußerung des erkennenden Gerichts selbst, worin die Kernaussage der Entscheidung und der die Rechtsfindung leitende Satz zu sehen sind. Mit der Veröffentlichung von Leitsatzentscheidungen kommen die Gerichte dem Informationsbedürfnis der interessierten Öffentlichkeit nach, möglichst umfassend über die Entwicklungen des Rechts und der Rechtsfindung auch der erst- und zweitinstanzlichen Gerichte informiert zu werden (vgl. hierzu OLG München OLGZE 1984, 477, 480; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 20. Aufl. § 299 Rn. 21; Kramer ZRP 1976, 84, 85 f.).
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die Veröffentlichungstätigkeit der Richter dienstrechtlich als eine nicht genehmigungspflichtige wissenschaftliche Nebentätigkeit eingestuft (vgl. Kissel, GVG § 12 Rn. 70) und von den Publikationsorganen, wie dem Verlag der Klägerin, vergütet wird. Entscheidend ist allein die Zuordnung zum Spruchkörper oder Amt.
dd) Die urheberrechtliche Beurteilung kann sich anders darstellen und der Klägerin ein eigenes Nutzungsrecht (§§ 31, 38 UrhG) an den in ihrem Auftrag verfaßten Leitsätzen zuzubilligen sein, wenn der Leitsatz nicht von einem Mitglied des Senats als solchem und nicht in Abstimmung mit diesem oder dessen Billigung, sondern unabhängig hiervon, im Auftrag der Redaktion der Zeitschrift der Klägerin verfaßt wird; eine Qualifizierung als amtlicher Leitsatz ist sonach auch dann nicht gegeben, wenn zwar der Berichterstatter der Entscheidung oder ein anderes Mitglied des erkennenden Spruchkörpers den Leitsatz formuliert, wenn er das aber nicht in dieser Eigenschaft tut und dies ohne Abstimmung mit dem Spruchkörper geschieht. In solchen Fällen, in denen der Leitsatz als Orientierungssatz entsprechend dem Verständnis eines nicht den Spruchkörper repräsentierenden Verfassers formuliert wird, kann von einem amtlichen Leitsatz im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG nicht gesprochen werden (Schricker/Katzenberger, Urheberrecht § 5 Rn. 5; Nordemann/Hertin NJW 1971, 688; Samson DVR 1977, 201, 203).
Zur Beurteilung der Frage, ob die in der Zeitschrift der Klägerin veröffentlichten und von der Beklagten übernommenen Leitsätze amtlichen oder nichtamtlichen Charakter aufweisen, bedarf es sonach weiterer tatrichterlicher Feststellungen zur Veröffentlichungspraxis der Finanzgerichte bei den angeführten acht Leitsatzentscheidungen.