BGE 93 I 401 - Vaterschaftsklage
 
51. Urteil der II. Zivilabteilung als Staatsrechtlicher Kammer
vom 9. November 1967
i.S. X gegen M., Mutter und Kind.
 
Regeste
Vaterschaftsklage. Sicherstellung von Unterhaltsansprüchen. Art. 87 OG; Art. 321 ZGB.
1.  Die richterliche Verfügung, durch welche der Vaterschaftsbeklagte verpflichtet wird, i.S. von Art. 321 ZGB Unterhaltsbeiträge zu hinterlegen, kann mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV angefochten werden (Erw. 2).
2.  Die Sicherstellungspflicht des Vaterschaftsbeklagten für mutmassliche Kosten des Unterhalts des Kindes ist auf drei Monate beschränkt (Erw. 4 und 5).
 
Sachverhalt
A.
Im Vaterschaftsprozess gegen X. stellten die Kläger M.M. und R.M. beim Amtsgericht Luzern-Land ein "Gesuch gemäss Art. 321 ZGB" mit dem Antrag, der Beklagte sei unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu verpflichten, die Entbindungskosten im Betrage von Fr. 700.-- sowie monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 120.-- von der Geburt des Kindes bis zu dessen fünftem Altersjahr, und danach von Fr. 130.--, durch Zahlung an die Gerichtskasse oder auf andere Weise sicherzustellen.
Das Amtsgericht von Luzern-Land hiess dieses Gesuch im wesentlichen gut. Das Obergericht des Kantons Luzern wies in seinem Entscheid vom 12. Oktober 1966 den Rekurs des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil ab. Es verpflichtete X., den mutmasslichen Unterhaltsanspruch des Kindes in der Weise sicherzustellen, dass er von der Einreichung des klägerischen Gesuches an bis zum Eintritt der Rechtskraft des Vaterschaftsurteils der Kasse des Amtsgerichtes Luzern-Land monatlich Fr. 120.-- als Hinterlage einbezahle.
B.
Der Beklagte führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben; dieser entbehre der gesetzlichen Grundlage und sei somit willkürlich.
C.
Die Beschwerdegegner beantragen, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell, sie sei abzuweisen.
Die II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern verweist auf die Begründung zu ihrem Entscheid und beantragt Abweisung der Beschwerde.
 
Auszug aus den Erwägungen:
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
Erwägung 1
 
Erwägung 2
2.- Nach Art. 87 OG können letztinstanzliche Zwischenentscheide mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV nur dann angefochten werden, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben. Nachteil in diesem Sinne ist ein dem Beschwerdeführer erwachsender Rechtsnachteil (BGE 82 I 148 Erw. 1), der auch durch einen dem Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (BGE 87 I 372 Erw. 2).
Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer durch den Entscheid des Obergerichtes verpflichtet worden, vom 10. August 1966 an bis zum Eintritt der Rechtskraft des Vaterschaftsurteils bei der Amtsgerichtskasse monatlich Fr. 120.-- zu hinterlegen. Die hinterlegten Beträge werden nach den Akten zinstragend angelegt; sie würden dem Beschwerdeführer im Falle der Abweisung der Klage samt den aufgelaufenen Zinsen zurückerstattet. Indessen bleiben sie seiner Verfügung bis zur rechtskräftigen Erledigung der Vaterschaftsklage entzogen. Da die Verfügungsmacht ein Recht darstellt, ist der Entzug derselben nicht ein bloss tatsächlicher, sondern ein rechtlicher Nachteil, wie ihn der Art. 87 OG nach der Rechtsprechung (BGE 79 I 154, 87 I 370 bb, 372 Erw. 2, 374) voraussetzt. Nicht wiedergutzumachen ist dieser Nachteil insofern, als die Rückerstattung der verzinsten Hinterlagen im Falle der Abweisung der Vaterschaftsklage nichts daran ändert, dass der Beschwerdeführer während der Dauer des Prozesses (die bei Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens beträchtlich sein kann) nicht über den betreffenden Vermögensbestandteil verfügen kann.
 
Erwägung 3
 
Erwägung 4
4.- Das Obergericht führt dann freilich weiter aus, dass der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung einer Mutter, die nicht in der Lage sei, für die Entbindungskosten und den ersten Unterhalt des Kindes selbst aufzukommen, eine erste Hilfe sichern wollte. Da das Gesetz nur Sicherstellung und nicht provisorische Zahlung vorsehe, werde die Notlage der Mutter durch diese Massnahme nicht behoben. Indessen gehe es im vorliegenden Falle, weil eine Notlage fehle, nicht um eine Sicherstellung im Sinne von Art. 321 ZGB, sondern um eine Sicherstellung von Ansprüchen wegen Gefährdung. Darüber enthalte das Gesetz keine Bestimmung. Es liege deshalb eine Lücke vor, welche besonders im Hinblick auf die durch die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung neu geschaffene und vom Gesetzgeber nicht vorausgesehene Lage gemäss Art. 1 Abs. 2 ZGB durch richterliche Rechtsschöpfung auszufüllen sei.
Allein Art. 321 ZGB beschränkt in klarer Formulierung die Sicherstellungspflicht des Vaterschaftsbeklagten auf die mutmasslichen Kosten der Entbindung und des Unterhalts des Kindes für die ersten drei Monate, ohne Rücksicht darauf, ob der fragliche Anspruch gefährdet sei oder nicht. Somit ist die Frage, ob der Beklagte - bei voraussehbarer längerer Dauer des Prozesses - darüber hinaus auch den laufenden Unterhalt sicherzustellen habe, ohne weiteres zu verneinen. Rechtssystematisch ist diese Regelung eindeutig und abschliessend.
Anderseits kann es nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, mit Art. 321 ZGB einen Spezialfall zu regeln, gleichzeitig aber den allgemeinen Grundsatz nicht zu ordnen, d.h. die Aufstellung einer umfassenden Sicherstellungspflicht im Vaterschaftsrecht ausser acht zu lassen.
Aus diesen Gründen muss das Vorliegen einer echten Gesetzeslücke ausgeschlossen werden. Daran ändert nichts, dass die zeitliche Beschränkung und die übrige Regelung der Sicherstellungspflicht nach heutiger Anschauung, besonders im Hinblick darauf, dass in zahlreichen Vaterschaftsprozessen Ähnlichkeitsgutachten eingeholt werden, was eine wesentliche Verlängerung der Prozessdauer zur Folge hat, nicht mehr befriedigen (vgl. HEGNAUER, ZSR 84 II 173 ff; LALIVE, ZSR 84 II 779 ff.). Doch handelt es sich dabei um einen rechtspolitischen Mangel und damit um eine unechte Gesetzeslücke (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 273, 293 und 294 zu Art. 1 ZGB).
 
Erwägung 5
5.- Die Ausfüllung einer solchen unechten Lücke, wie sie das Obergericht vorgenommen hat, widerspricht unter anderem den Forderungen der Rechtssicherheit und verletzt unser staatliches Rechtsetzungsprinzip. Immerhin ist Lückenausfüllung da möglich, wo der Gesetzgeber sich offenkundig über gewisse Tatsachen geirrt hat, oder wo sich die Verhältnisse seit Erlass eines Gesetzes in einem solchen Masse gewandelt haben, dass die Vorschrift unter gewissen Gesichtspunkten nicht, bezw. nicht mehr, befriedigt und ihre Anwendung rechtsmissbräuchlich wird (MEIER-HAYOZ, N. 296 zu Art. 1 ZGB). Diese Voraussetzungen sind indessen hier nicht erfüllt. Art. 321 ZGB wurde aus der Erkenntnis heraus geschaffen, dass Mutter und Kind gerade um die Zeit der Geburt in grosse Hilflosigkeit geraten können und deshalb eines Schutzes bedürfen, besonders dann, wenn der Schwängerer sich durch Wegreise allen Pflichten zu entziehen versucht (EGGER, N. 1 zu Art. 321 ZGB). Diese Überlegungen waren massgebend bei der Beschränkung der Sicherstellungspflicht des Beklagten auf drei Monate nach der Geburt des Kindes und nicht etwa die Meinung, ein Vaterschaftsprozess dauere bloss drei Monate; denn bereits bei Erlass des Gesetzes dauerte ein solcher Streit in der Regel länger. Durch die Einholung von anthropologisch-erbbiologischen Gutachten wird die Verfahrensdauer zwar erheblich grösser; der Gefahr, dass die Kläger der bis zum Urteil auflaufenden Unterhaltsbeiträge verlustig gehen könnten, war sich der Gesetzgeber aber bereits beim Erlass des ZGB bewusst. Das zeigt gerade die in Frage stehende Gesetzesbestimmung, ohne welche die klagende Partei nach allgemeinen Grundsätzen das gesamte Risiko tragen müsste. Dieses wird ihr für die ersten drei Monate - und nur für diese - durch Art. 321 ZGB abgenommen. Eine Änderung dieser klaren gesetzlichen Regelung ist dem Richter nicht erlaubt. Sie könnte nur auf dem Wege der Gesetzesrevision durchgeführt werden (vgl. HEGNAUER, a.a.O. S. 176).
Das Bundesgericht hat übrigens bereits in seinem Entscheid 63 II 65 ausdrücklich festgehalten, dass der Richter einer Klägerschaft nicht weitergehende Ansprüche zuerkennen könne, als sie in Art. 321 ZGB vorgesehen sind, selbst dann nicht, wenn allenfalls das kantonale Recht bereits für die Prozessdauer zu zahlende vorläufige Unterhaltsbeiträge vorsehen würde. Und in BGE 91 II 169 lit. e wurde dementsprechend das Problem einer Erweiterung der in Art. 321 ZGB vorgesehenen Sicherstellungsansprüche lediglich als gesetzgebe risches Postulat ins Auge gefasst.
 
Entscheid:
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil der II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern vom 12. Oktober 1966 aufgehoben.