BGE 137 I 340 - FDP-Pharma |
32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, SRG SSR idée suisse gegen FDP. Die Liberalen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_710/2010 vom 18. November 2011 |
Regeste |
Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 12 des Geschäftsreglements UBI; Art. 10 EMRK; Art. 17 Abs. 1 und Art. 93 Abs. 3 BV, Art. 4 Abs. 2 RTVG; radio- und fernsehrechtliche Konformität (Sachgerechtigkeit) des Berichts "FDP und die Pharmalobby". |
Die Spruchkörperbildung der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) genügt sowohl den Anforderungen an ein faires Verfahren (Art. 29 BV) als auch jenen an den verfassungsmässigen Richter (Art. 30 BV) (E. 2). Begriff der "Sachgerechtigkeit" im Sinne von Art. 4 Abs. 2 RTVG (E. 3). Beurteilung des beanstandeten Beitrags (E. 4). |
Sachverhalt |
Das Schweizer Fernsehen DRS strahlte am 1. Juli 2009 im Nachrichtenmagazin "10 vor 10" den Beitrag "FDP und die Pharmalobby" aus. Thema des Berichts bildete die These, dass die FDP mit der Pharmalobby "verbandelt" sei. Die Annahme wurde mit Personalrochaden zwischen dem Generalsekretariat der FDP und der Pharmabranche bzw. anhand von parlamentarischen Besucherkarten aufgezeigt, welche drei FDP-Politiker an Leute aus der Pharmabranche abgegeben hatten.
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Am 18. September 2009 gelangten die "FDP.Die Liberalen" hiergegen an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI). Diese hiess ihre Beschwerde mit Stichentscheid des Präsidenten am 19. Februar 2010 gut, soweit sie darauf eintrat, und stellte fest, dass der am 1. Juli 2009 in der Sendung "10 vor 10" des Schweizer Fernsehens (SF 1) ausgestrahlte Beitrag das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt habe. Die "10-vor-10"-Redaktion habe sich darauf beschränkt, "die Verbandelungsthese mit unbestrittenen, aber zu wenig aussagekräftigen Sachverhalten zu untermauern"; sie habe die Pflicht zur kritischen Distanz gegenüber der formulierten These nicht gewahrt, indem sie sich praktisch ausschliesslich auf die Erwähnung und Hervorhebung von unbestrittenen Argumenten beschränkt habe, welche ihre These (scheinbar) stützten, ohne aber dem Publikum die erforderliche Transparenz über die wesentlichen Fakten und deren Tragweite zu vermitteln.
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Das Bundesgericht heisst die von der SRG hiergegen eingereichte Beschwerde gut, hebt den Entscheid der UBI auf und stellt fest, dass der umstrittene Beitrag das Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzt hat.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 2.1 |
2.1 Die Beschwerdeführerin macht in formeller Hinsicht geltend, das Verfahren vor der UBI genüge den Anforderungen an den verfassungsmässigen Richter (Art. 30 BV) und an ein faires Verfahren nicht (Art. 29 BV). Die Besetzung der Beschwerdeinstanz hänge, wie der vorliegende Fall belege, von Zufälligkeiten ab; die Möglichkeit des Stichentscheids durch den Präsidenten verletze das Gebot der gleichen Stimmkraft. Die Zusammensetzung des Spruchkörpers gemäss Geschäftsreglement der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen vom 1. März 2007 (Geschäftsreglement UBI; SR 784.409) gewährleiste nicht, dass die Zusammensetzung des Spruchkörpers frei von unsachlichen Beeinflussungen oder Manipulationen bleibe. Wenn nicht für sich allein genommen, beeinträchtigten die "Nichtregelung der Besetzung im Einzelfall, das Fehlen von Ersatzrichtern, das vorgesehene Beschlussquorum und der Stichentscheid des Präsidenten" auf jeden Fall insgesamt die Berechenbarkeit, die Vorhersehbarkeit und die Ausgewogenheit der richterlichen Tätigkeit der UBI "derart negativ, dass sie mit dem in Art. 29 Abs. 1 BV garantierten Recht auf faires Verfahren" nicht mehr vereinbar erschienen. Die UBI weist ihrerseits darauf hin, dass sie kein klassisches richterliches Organ sei, sondern eine ausserparlamentarische Kommission, welche aus nebenamtlich tätigen Mitgliedern bestehe. Die zahlreichen Unterschiede zu klassischen Gerichten müssten bei der Beurteilung der umstrittenen verfahrensrechtlichen Fragen mitberücksichtigt werden (verstärkte Transparenz, öffentliche Beratung, Information der Parteien über Ausstand oder Abwesenheit von Mitgliedern, nur Feststellungs- und keine Sanktionsmöglichkeiten usw.).
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Erwägung 2.2 |
2.2.1 Nach Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind ausdrücklich untersagt. Die Regelung will verhindern, dass Gerichte eigens für die Beurteilung einer Angelegenheit gebildet werden. Die Rechtsprechung soll auch nicht durch eine gezielte Auswahl der Richter im Einzelfall beeinflusst werden können. Jede Besetzung, die sich nicht mit sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, verletzt die Garantie des verfassungsmässigen Richters (Urteil 6P.102/2005 vom 26. Juni 2006 E. 2.2 mit Hinweisen, in: ZBl 108/2007 S. 43). Besteht eine Behörde aus einer bestimmten Zahl von Mitgliedern, so müssen - unter Vorbehalt einer abweichenden gesetzlichen Regelung - alle am Entscheid mitwirken. Die Behörde, welche in unvollständiger Besetzung entscheidet, begeht eine formelle Rechtsverweigerung (BGE 127 I 128 E. 4b; BGE 85 I 273 ff.). Wenn einzelne Mitglieder aus triftigem Grund in den Ausstand treten müssen, sind sie, soweit möglich, zu ersetzen. Jeder Verfahrensbeteiligte hat Anspruch darauf, dass die Behörde richtig zusammengesetzt ist, vollständig und ohne Anwesenheit Unbefugter entscheidet (BGE 127 I 128 E. 4b; RENÉ RHINOW UND ANDERE, Öffentliches Prozessrecht, 2. Aufl. 2010, Rz. 302 S. 108 und Rz. 470 S. 152). Ein gewisses Ermessen bei der Besetzung des Spruchkörpers sowie beim Entscheid über den Beizug von Ersatzrichtern wird dadurch nicht ausgeschlossen. Allerdings soll die Besetzung, wenn immer möglich, nach sachlichen Kriterien erfolgen (BGE 105 Ia 172 E. 5b S. 178 ff.).
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2.2.3 Diese Ausführungen haben unabhängig davon, ob die UBI als klassische richterliche Instanz oder als quasi-richterlich amtende Behördenkommission qualifiziert wird (vgl. BGE 122 II 471 E. 2), Vieles für sich: Die Normalbesetzung der UBI umfasst im Einzelfall (sämtliche) neun Mitglieder. Das Quorum von mindestens sechs Mitgliedern stellt sicher, dass sie auch bei sachlich begründeten Abwesenheiten (Ausstand, plötzliche oder längere Krankheit usw.) entscheidfähig bleibt, was erforderlich ist, weil die UBI über keine Ersatzmitglieder verfügt und deshalb in solchen Fällen sachbedingt nicht in Normalbesetzung mit neun Mitgliedern entscheiden kann (vgl. BGE 122 II 471 E. 2 und 3). Der Stichentscheid des Präsidenten dient dazu, Pattsituationen zu vermeiden, denen bei einer geraden Anzahl von anwesenden Mitgliedern andernfalls nur dadurch begegnet werden könnte, dass ein weiteres gewähltes Mitglied ausgeschlossen würde, was einen schwereren Eingriff in den Anspruch von Art. 30 BV bedeuten würde und - ohne Losentscheid - mit einer grösseren Manipulationsgefahr verbunden wäre als der Stichentscheid des Präsidenten bei den nur (ganz) ausnahmsweise eintretenden Pattsituationen. Die von der SRG beanstandete Regelung kann verfassungskonform ausgelegt werden und die von der UBI gehandhabte Praxis zu Art. 12 ihres Geschäftsreglements verletzt weder Art. 30 noch Art. 29 BV. Im konkreten Fall kam es zum Stichentscheid des Präsidenten, da sich eines der Mitglieder im Ausstand befand, was den Parteien mitgeteilt worden war. Die Besetzung mit acht Mitgliedern war sachlich begründet und für die Parteien nachvollziehbar offengelegt. Der Stichentscheid des Präsidenten bildete eine zulässige systeminhärente Notwendigkeit, nachdem es bei der Abstimmung zu einer Stimmengleichheit gekommen war.
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Erwägung 3 |
3.1 Redaktionelle Sendungen mit Informationsgehalt sollen Tatsachen und Ereignisse sachgerecht wiedergeben, sodass das Publikum sich eine eigene Meinung bilden kann (vgl. Art. 4 Abs. 2 RTVG; BGE 134 I 2 E. 3.3.1). Ein Beitrag darf insgesamt nicht manipulativ wirken, was der Fall ist, wenn der (interessierte) Zuschauer in Verletzung journalistischer Sorgfaltspflichten unsachgemäss informiert wird; er sich gestützt auf die gelieferten Informationen oder deren Aufarbeitung kein eigenes sachgerechtes Bild mehr machen kann, weil wesentliche Umstände verschwiegen oder "Geschichten" durch das Fernsehen "inszeniert" werden (vgl. das Urteil 2C_291/2009 vom 12. Oktober 2009 E. 4.1 und 4.2, in: sic! 3/2010 S. 158). Das Prinzip der Wahrhaftigkeit verpflichtet den Veranstalter, Fakten objektiv wiederzugeben; bei umstrittenen Sachaussagen soll der Zuschauer so informiert werden, dass er sich darüber möglichst selber ein Bild machen kann. Der Umfang der bei der Aufarbeitung des Beitrags erforderlichen Sorgfalt hängt von den Umständen, insbesondere vom Charakter und den Eigenheiten des Sendegefässes sowie dem jeweiligen Vorwissen des Publikums ab (BGE 134 I 2 E. 3.3.1; BGE 132 II 290 E. 2.1 S. 292). Das Gebot der Sachgerechtigkeit verlangt nicht, dass alle Standpunkte qualitativ und quantitativ genau gleichwertig dargestellt werden; entscheidend ist, dass der Zuschauer erkennen kann, dass und inwiefern eine Aussage umstritten ist.
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3.2 Die gesetzlichen Programmbestimmungen schliessen weder Stellungnahmen und Kritiken noch den "anwaltschaftlichen Journalismus" aus, bei dem sich der Medienschaffende zum Vertreter einer bestimmten These macht; auch in diesem Fall muss aber die Transparenz im dargelegten Sinn gewahrt bleiben (vgl. das Urteil 2C_862/2008 vom 1. Mai 2009 E. 5, in: sic! 10/2009 S. 709 ff.). Grundsätzlich gibt es kein Thema, das einer - allenfalls auch provokativen und polemischen - Darstellung am Fernsehen entzogen wäre. Dem Zuschauer soll jedoch nicht durch angeblich objektive, tatsächlich aber unvollständige Fakten die Meinung bzw. Ansicht des Journalisten als (absolute) Wahrheit und eigene Überzeugung suggeriert werden (Urteile 2A.743/2006 vom 2. August 2007 E. 2.2; 2A.283/2006 vom 5. Dezember 2006 E. 2.3 mit Hinweisen, in: sic! 5/2007 S. 359 ff.). Der Beitrag darf insgesamt nicht manipulativ wirken. Dabei ist praxisgemäss auch der nichtverbalen Gestaltung des Berichts (Kameraführung, Tonfall usw.) Rechnung zu tragen. Je heikler ein Thema ist, umso höhere Anforderungen sind an seine publizistische Umsetzung zu stellen (BGE 121 II 29 E. 3b S. 34). Welche gestalterischen Mittel wie eingesetzt werden, ist nur so lange Sache des Veranstalters, als er dem Gebot der "Sachgerechtigkeit" nachkommt. Art. 5 Abs. 1 RTVG, der die Programmautonomie garantiert, gilt lediglich im Rahmen der allgemeinen Informationsgrundsätze von Art. 4 RTVG bzw. von Art. 93 Abs. 2 BV (BGE 131 II 253 E. 2.2 S. 256 mit zahlreichen Hinweisen). Die anwaltschaftliche Berichterstattung entbindet den Veranstalter nicht davon, die kritische Distanz zum Ergebnis der eigenen Recherchen und zu Erklärungen Dritter zu wahren sowie Gegenstandpunkte in fairer Weise darzulegen, auch wenn sie die von ihm vertretene These schwächen oder allenfalls in einem für den Zuschauer anderen als dem gewünschten Licht erscheinen lassen (Urteil 2A.283/2006 vom 5. Dezember 2006 E. 2.1 mit Hinweisen, in: sic! 5/2007 S. 359 ff.). Bei der Prüfung der Programmrechtskonformität geht es nicht darum, ob die erhobenen Vorwürfe objektiv tatsächlich gerechtfertigt sind oder nicht, sondern um die Frage, ob der Betroffene in einer Art und Weise Stellung nehmen konnte, welche es dem Zuschauer erlaubte, sich ohne manipulative Elemente ein eigenes Bild zu machen. Bei schweren Vorwürfen soll er mit dem "belastenden" Material konfrontiert und im (geschnittenen) Beitrag grundsätzlich mit seinem besten Argument gezeigt werden (vgl. die Urteile 2C_542/2007 vom 19. März 2008 E. 1.2, 4 und 5, in: sic! 9/2008 S. 617 ff., und 2C_862/2008 vom 1. Mai 2009 E. 5, in: sic! 10/2009 S. 709 ff.).
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3.3 Das Sachgerechtigkeitsgebot ist zudem im Lichte der Rundfunkfreiheit (Art. 10 EMRK) zu handhaben: Das radio- und fernsehrechtliche Aufsichtsverfahren ist nicht als solches konventionswidrig (vgl. BGE 122 II 471 E. 4b). Die damit verbundenen Einschränkungen der Informationsfreiheit des Anbieters dienen der Verwirklichung des institutionellen Aspekts der entsprechenden Freiheit des Publikums bzw. der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des öffentlich-rechtlichen Veranstalters (vgl. CHRISTOPH GRABENWARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2009, § 23 N. 9 S. 271). Der einzelne aufsichtsrechtliche Entscheid muss sich jedoch - im Sinne eines konstitutiv-institutionellen Grundrechtsverständnisses (vgl. dazu JÖRG PAUL MÜLLER, Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, 1982, S. 8 ff.) - auch im Einzelfall im Rahmen von Art. 4 Abs. 2 RTVG jeweils an den Vorgaben von Art. 10 EMRK messen lassen (vgl. das Urteil des EGMR Monnat gegen die Schweiz vom 21. September 2006 § 35 ff., in: sic! 1/2007 S. 13 ff.). Besonders strenge Anforderungen an eine allfällige Beschränkung der Medienfreiheit gelten im Bereich des politischen Diskurses und bei Fragen von allgemeinem Interesse (vgl. die Urteile des EGMR Hachette Filipacchi Presse gegen Frankreich vom 5. März 2009 [Nr. 13353/05] § 45, TV Vest AS gegen Norwegen vom 11. Dezember 2008 [Nr. 21132/05] § 59 und Monnat, § 58). Das Bedürfnis, die Medienfreiheit zu beschränken, muss in diesem Zusammenhang bei privaten Veranstaltern jeweils besonders begründet erscheinen (vgl. etwa die Urteile des EGMR Nur Radyo ve Televizyon Yayinciligi A.S. gegen Türkei vom 12. Oktober 2010 [Nr. 42284/05] § 47 f. mit zahlreichen Hinweisen bzw. das Urteil Monnat, § 55). Zwar rechtfertigen sich bei öffentlich-rechtlich konzessionierten Veranstaltern wegen deren besonderen Rolle und Aufgabe im öffentlichen Meinungsbildungsprozess diesbezüglich andere Massstäbe (vgl. Urteil des EGMR Manole et al. gegen Moldawien vom 17. September 2009 [Nr. 13936/02] §§ 101, 107); diese dürfen im Einzelfall zur Wahrung der Programmautonomie aber nicht über das zum Schutz der Informations- und Meinungsäusserungsfreiheit und des Meinungspluralismus in einem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat Erforderliche hinausgehen (zur Anrufung von Art. 10 EMRK durch den öffentlich-rechtlichen Programmveranstalter vgl. das EGMR-Urteil RTBF gegen Belgien vom 29. März 2011 [Nr. 50084/06] §§ 1, 5 und 94 ff.).
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Erwägung 4 |
4.2 Das Publikum verfügte diesbezüglich über ein minimales Vorwissen, nachdem die entsprechende These rund ein Jahr vor der Ausstrahlung des umstrittenen Beitrags bereits im Zusammenhang mit den parlamentarischen Beratungen über den Parallelimport von Medikamenten breit thematisiert worden war. Die Sendung "10 vor 10" ist ein Nachrichten- und Politmagazin, die Problematik der Krankenkassenprämien bzw. der Medikamenten- und Gesundheitskosten bzw. der politischen Rezepte zu deren Eindämmung ein sich regelmässig auch in den Printmedien wiederholendes Thema. Der Beitrag wurde im Hinblick auf den Vorwurf der "Verbandelung" mit der Pharmabranche mit der Frage an den damaligen Gesundheitsminister Pascal Couchepin eingeleitet: "Herr Couchepin, viele Mitglieder des Parlaments ihrer Partei - der FDP - haben enge Beziehungen zur Pharmaindustrie oder zur Pharmalobby. Glauben Sie, dass Ihre Partei frei ist in ihren Entscheidungen-", worauf dieser antwortete, dass das eine blosse Behauptung seitens des Fernsehens und ihm zu belegen sei, wer da "Beziehungen" pflegen solle. In der Folge führt der Beitrag verschiedene Personalwechsel vom Generalsekretariat zur Pharmabranche bzw. zu diesen nahestehenden Organisationen (Interpharma und PR-Agentur, welche Roche und Novartis unter ihren Kunden zählt) und umgekehrt (Bruno Henggi zu Interpharma, Marie-Louise Baumann zu pharmanaher PR-Firma, Stefan Brupbacher von Novartis zum Generalsekretariat FDP) als Beleg für die These der "Verbandelung" an sowie die Tatsache, dass die entsprechenden Personen über Besucherbewilligungen von drei FDP-Parlamentariern (Fraktionspräsidentin Gabi Huber, Ständerat Hans Altherr und Nationalrätin Marianne Kleiner) im Bundeshaus verfügen.
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4.4 Richtig ist, wie die UBI festgestellt hat, dass für die Personalwechsel durchaus auch andere Gründe als die vermutete "Verbandelung" bestehen konnten und andere Parameter allenfalls geeigneter gewesen wären (Stimmverhalten, Abstimmungsempfehlungen usw.), die Frage zu klären, ob und wieweit eine Pharmalobby die Politik der FDP nachweisbar beeinflussen könnte; das von der Redaktion von "10 vor 10" für ihren Beitrag gewählte Vorgehen (Personalrochaden und Besucherbewilligungen als Indizien) wurde von Bundesrat Couchepin in der Schlusssequenz indessen mit deutlichen Worten als unseriös bzw. "diktatorial" gebrandmarkt, womit es dem Zuschauer überlassen blieb, wie er die ihm gezeigten "Belege" für die Verbandelung und die Einflussnahme der Pharmabranche im Lichte der jeweiligen Erklärungen werten wollte.
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4.5 Zwar wären gewisse von der Beschwerdegegnerin in ihren Beschwerden gewünschte ergänzende Elemente (Quervergleich zu anderen Parteien; Erläuterung des Systems der Besucherbewilligungen im Bundeshaus) zum besseren Verständnis der Zusammenhänge wünschbar gewesen, doch kann nicht gesagt werden, dass der umstrittene Beitrag durch deren Fehlen manipulativ gewirkt und die Distanz zum Recherchenergebnis verloren hätte: Dem durchschnittlich politisch interessierten Zuschauer ist bekannt, dass die Parteien je nach ihrer Farbe zu unterschiedlichen Lobbygruppen besondere Affinitäten zu unterhalten pflegen. Dieses Wissen durfte die "10-vor-10"-Redaktion ihrem Beitrag zugrunde legen, weshalb es sich erübrigte, die Verbindungen der anderen Parteien zu den ihnen nahestehenden Interessengruppen ebenfalls zu prüfen oder zu nennen, zumal in anderen Sendungen hierauf bereits eingegangen worden war (Krankenkassen und CVP). Der Beitrag selber lieferte mit dem Statement eines Politologen einen Erklärungsversuch für die mögliche Nähe der FDP zu wirtschaftlichen Interessengruppen, wenn dieser ausführte: "Das ist sicherlich ein auffälliges und ein starkes Netzwerk, das wir hier haben. Zwischen Pharmalobby und Wirtschaftsverbänden auf der einen Seite und der FDP auf der anderen Seite. Es ist ein Netzwerk, das auch stärker ist als zu anderen Parteien." Auf die Frage, "Weshalb gerade die FDP-", deutete er dies aus: "Ich würde sagen, dass dies primär etwas mit dem Milieu zu tun hat. Diese Verbände und die FDP ziehen ein ähnliches wirtschaftliches Milieu an. Sie haben ähnliche Werte, ähnliche Persönlichkeiten. Deshalb ist der Weg von der einen Person zur anderen relativ kurz." Soweit die damalige Ständerätin Simonetta Sommaruga zu Wort kam, wurde sie klar als SP-Gesundheitspolitikerin vorgestellt, die Zweifel an der Unabhängigkeit der FDP habe, womit der Zuschauer deren Standpunkt als Einschätzung einer politischen Gegnerin einzuordnen vermochte. Schliesslich wurde in der Abmoderation darauf hingewiesen, dass sich auch gewisse FDP-Parlamentarier in einer überparteilichen Gruppe für tiefere Medikamentenpreise einsetzten, womit eine allfällige Überzeichnung und Fokussierung auf die FDP für den Zuschauer erkennbar relativiert wurde.
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4.6 Zusammengefasst ergibt sich, dass der umstrittene Beitrag als Gesamtes in einzelnen Punkten allenfalls anders und möglicherweise auch besser hätte gestaltet werden können. Dies genügt nach der Rechtsprechung jedoch nicht, um ein aufsichtsrechtliches Einschreiten seitens der UBI zu rechtfertigen. Der Programmautonomie ist bei der Beurteilung der einzelnen Sendung praxisgemäss insofern Rechnung zu tragen, als sich ein aufsichtsrechtliches Eingreifen nicht bereits dann rechtfertigt, wenn ein Beitrag allenfalls nicht in jeder Hinsicht voll zu befriedigen vermag, sondern nur, falls er auch bei einer Gesamtwürdigung (vgl. BGE 132 II 290 E. 2.2 S. 293; BGE 114 Ib 204 E. 3a S. 207) die programmrechtlichen Mindestanforderungen verletzt. Die Erfordernisse der Sachgerechtigkeit und Ausgewogenheit sollen im Einzelfall nicht derart streng gehandhabt werden, dass die für die demokratische und pluralistische Gesellschaft erforderliche journalistische Freiheit und Spontaneität verloren gehen. Die in Art. 17 Abs. 1 und Art. 93 Abs. 3 BV garantierte Autonomie der Medienschaffenden ist zu wahren; der ihnen bei der Programmgestaltung zustehende Spielraum verbietet es, aufsichtsrechtlich bereits einzugreifen, wenn eine Sendung nicht in jeder Hinsicht voll überzeugt, zumal es den sich durch eine bestimmte Darstellung widerrechtlich in ihrer Persönlichkeit verletzt fühlenden Personen freisteht, ausserhalb des radio- und fernsehrechtlichen Verfahrens zivil- oder strafrechtlich gegen den Veranstalter vorzugehen und die objektive Berechtigung der Vorwürfe in jenen Verfahren klären zu lassen (vgl. BGE 134 II 260 ff.).
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