BGE 86 III 94
 
25. Entscheid vom 14. Oktober 1960 i.S. Schwaller.
 
Regeste
Konkurs; erste Gläubigerversammlung (Art. 235 SchKG).
 
Sachverhalt
A.- Nachdem sich die Sewa-Werk AG in Rothenburg (Luzern) ohne Erfolg um eine Nachlassstundung bemüht hatte, wies der Amtsgerichts-Vizepräsident von Hochdorf am 20. Mai 1960 ihr Begehren um Aufschiebung des Konkurses nach Art. 725 OR ab und eröffnete über sie den Konkurs. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des luzernischen Obergerichts wies ihren Rekurs gegen diesen Entscheid am 14. Juni 1960 ab.
B.- An der vom Konkursamt Hochdorf auf den 18. Juli 1960 einberufenen 1. Gläubigerversammmlung legte der Gläubiger Emil Schwaller Vollmachten von 47 weitern Gläubigern vor, die ihn mit ihrer Vertretung beauftragt hatten. Mit Einschluss dieser Gläubiger waren gemäss Feststellung des Konkursbeamten, der die Versammlung leitete, 76 von insgesamt 208 Gläubigern anwesend oder vertreten. Das aus dem Konkursbeamten und zwei von ihm bezeichneten Gläubigern bestehende Büro beschloss jedoch unter Berufung auf BGE 40 III Nr. 30 S. 171, die von Schwaller vorgelegten Vollmachten nicht anzuerkennen. Daraufhin stellte der Konkursbeamte trotz sofortigem Proteste Schwallers fest, die Versammlung sei gemäss Art. 235 Abs. 3 SchKG nicht beschlussfähig, weil das Quorum von einem Viertel der bekannten Gläubiger nicht erreicht sei. Demgemäss blieben die Traktanden unbehandelt, über welche die Versammlung hätte beschliessen sollen (Wahl der Konkursverwaltung, Beschlussfassung über die allfällige Wahl eines Gläubigerausschusses sowie über den Eintritt in zwei Mietverträge, die Anerkennung eines Eigentumsanspruchs und die Ablehnung eines Kaufvertrags).
C.- Hierauf führte Schwaller Beschwerde, mit der er im wesentlichen verlangte, die Aufsichtsbehörde möge den "Beschluss der Konkursverwaltung über das Nichtzustandekommen der 1. Gläubigerversammlung" als gesetzwidrig erklären und die 1. Gläubigerversammlung selber neu einberufen oder durch das Konkursamt einberufen lassen.
Die untere Aufsichtsbehörde entschied, auf die Beschwerde werde nicht eingetreten, "bzw." sie werde abgewiesen.
Die kantonale Aufsichtsbehörde hat am 21. September 1960 erkannt, auf die Beschwerde werde nicht eingetreten. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, Schwaller fechte sowohl den Beschluss des Büros als auch die Verfügung des Konkursamtes (d.h. die von diesem getroffene Feststellung der Beschlussunfähigkeit der 1. Gläubigerversammlung) an. Das Büro sei zuständig gewesen, über die Gültigkeit der vorgelegten Vollmachten zu befinden. Sein Entscheid hierüber habe durch Beschwerde angefochten werden können. Zur Beschwerde gegen die Ungültigerklärung der Vollmachten seien jedoch nur die Vollmachtgeber, nicht auch der Bevollmächtigte befugt gewesen. Da Schwaller nur im eigenen Namen Beschwerde geführt habe, sei somit auf die Beschwerde nicht einzutreten. Im Eintretensfalle hätte diese im übrigen abgewiesen werden müssen; denn Schwaller habe die ihm erteilten Vollmachten durch die Zusicherung besonderer Vorteile (u.a. durch den für den Fall eines Misserfolgs seiner Bemühungen erklärten Verzicht auf Honorar und Auslagenersatz) erwirkt, so dass die Vollmachten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 36 I 164ff. = Sep. ausg. 13 S. 82 ff.,BGE 40 III 173) wegen Stimmenkaufs als ungültig zu betrachten seien.
D.- Diesen Entscheid hat Schwaller an das Bundesgericht weitergezogen.
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
2. Der Vorinstanz ist auch darin beizustimmen, dass das Büro zuständig war, darüber zu befinden, ob Schwaller als Vertreter seiner Vollmachtgeber anzuerkennen sei oder nicht. Die dem Büro gemäss Art. 235 Abs. 2 SchKG zustehende Befugnis, über die Zulassung von Personen zu entscheiden, die an den Verhandlungen teilnehmen wollen, ohne besonders eingeladen zu sein, schliesst die Befugnis in sich, darüber zu entscheiden, ob jemand, der sich als Gläubigervertreter vorstellt, ohne als solcher eingeladen worden zu sein, in dieser Eigenschaft an den Verhandlungen teilnehmen und für die vertretenen Gläubiger das Stimmrecht ausüben dürfe. Die Befugnis zur Prüfung der Vollmachten der Gläubigervertreter muss dem Büro aber auch deswegen zustehen, weil es gemäss Art. 235 Abs. 2 Satz 3 SchKG berufen ist, allfällige Anstände über die Berechnung der Stimmen zu entscheiden.
3. Der Auffassung der Vorinstanz, dass der Entscheid des Büros über die Zulassung oder Nichtzulassung eines Gläubigers durch Beschwerde angefochten werden könne, ist für den Fall zuzustimmen, dass dieser Entscheid die Beschlussfähigkeit der Versammlung oder das Ergebnis einer Abstimmung beeinflusst hat. In der kantonalen Rechtsprechung und in der Lehre ist zwar die Ansicht vertreten worden, der Entscheid des Büros sei endgültig, seine Anfechtung durch Beschwerde also unzulässig (Zusammenfassung des Entscheides der bernischen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs vom 8. Mai 1894 i.S. Hêche und Froidevaux in ZBJV 31 S. 17; Entscheid der Cour des poursuites et faillites des Kantonsgerichts Waadt vom 2. Oktober 1894 i.S. Gerber in Revue judiciaire 1894 S. 316 f.; JAEGER, Kommentar, N. 4 und 10 zu Art. 235 SchKG; BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 719; FRITZSCHE, Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung, II S. 120 oben; MARTZ in Blätter für Schuldbetreibung und Konkurs 1950 S. 100). Unter Hinweis auf den Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichtes vom 3. Juli 1906 i.S. Zahn (BGE 32 I Nr. 80 S. 563 ff. = Sep. ausg. 9 Nr. 36 S. 221 ff. = Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs 10 Nr. 87 S. 315 ff.) räumen die eben genannten Autoren jedoch mit Recht ein, dass Beschlüsse der 1. Gläubigerversammlung mit der Begründung durch Beschwerde angefochten werden können, sie wären anders ausgefallen, wenn nicht Unberechtigte mitgewirkt hätten oder Berechtigte vom Stimmrecht ausgeschlossen worden wären. Dies heisst nichts anderes, als dass gegebenenfalls zusammen mit den Beschlüssen der Gläubigerversammlung auch die Entscheidung des Büros über die Zulassung oder Nichtzulassung von Gläubigern oder Gläubigervertretern angefochten werden könne. Kann diese Entscheidung Gegenstand einer Beschwerde sein, wenn sie das Ergebnis einer Abstimmung beeinflusst hat, so muss das gleiche aber auch gelten, wenn sie bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit bzw. -unfähigkeit der 1. Gläubigerversammlung den Ausschlag gegeben hat. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, wäre es sachlich in keiner Weise gerechtfertigt, die Beschwerde im einen Falle zuzulassen, im andern dagegen nicht. Im angeführten Entscheid i.S. Zahn, der eine Beschwerde gegen Beschlüsse der 1. Gläubigerversammlung betraf, hat denn auch die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer allgemein erklärt, die vom Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Frage, ob gegen die Zulassung oder Nichtzulassung eines (angeblichen) Gläubigers zur 1. Gläubigerversammlung ein Beschwerderecht überhaupt bestehe, sei grundsätzlich zu bejahen. Diesen Grundsatz hat sie nur in dem Sinne eingeschränkt, dass nicht Beschwerde führen könne, wer einen ihm möglichen Versuch unterlassen habe, die ihm nachteilige Verfügung zu verhindern. Diese Einschränkung spielt im vorliegenden Falle keine Rolle, weil Schwaller sich der Aberkennung seiner Vertretungsbefugnis schon an der Versammlung selber widersetzt hat.
4. Schwaller hat gegen den Entscheid des Büros, der die Gültigkeit der von ihm vorgelegten Vollmachten verneinte und zur Feststellung der Beschlussunfähigkeit der 1. Gläubigerversammlung führte, nur im eigenen Namen, nicht auch im Namen seiner Vollmachtgeber Beschwerde geführt. Dies ergibt sich nicht bloss daraus, dass er in der Beschwerdeschrift und in der Rekursschrift an die Vorinstanz ausschliesslich sich selber als Beschwerdeführer bezeichnete, sondern auch daraus, dass er seine Befugnis zur Erhebung der Beschwerde in den eben erwähnten Rechtsschriften einzig mit dem Hinweis auf seine Eigenschaft als Gläubiger begründete. Angesichts dieser klaren eigenen Stellungnahme Schwallers kann keine Rede davon sein, dass nach den Umständen angenommen werden müsse, er habe auch für seine Vollmachtgeber Beschwerde geführt, wie er dies in der Rekursschrift an das Bundesgericht darzutun sucht. Um diesen Nachweis brauchte er sich aber auch gar nicht zu bemühen; denn als Gläubiger war er entgegen der Ansicht der Vorinstanz befugt, gegen die Verweigerung der Anerkennung seiner Vollmachten, derentwegen die 1. Gläubigerversammlung als beschlussunfähig erklärt wurde, aus eigenem Recht Beschwerde zu führen.
Jeder in der 1. Gläubigerversammlung anwesende oder vertretene Gläubiger hat Anspruch darauf, dass die Versammmlung ordnungsgemäss durchgeführt werde, und ist folglich legitimiert, sich gegen ein ordnungswidriges Verfahren zu beschweren. Insbesondere braucht sich kein solcher Gläubiger gefallen zu lassen, dass die Zahl der anwesenden oder vertretenen Gläubiger unrichtig berechnet und deswegen eine in Wirklichkeit beschlussfähige Versammlung als beschlussunfähig erklärt wird. Gegen die Ungültigerklärung der einem Gläubiger erteilten Vollmachten für die Vertretung anderer Gläubiger kann ausser den Vollmachtgebern auch der Bevollmächtigte selber Beschwerde führen, wenn durch diese Entscheidung des Büros die Beschlussfähigkeit oder ein Abstimmungsergebnis beeinflusst wurde; denn falls die Vollmachten gültig sind, hat der bevollmächtigte Gläubiger einen verfahrensrechtlichen Anspruch darauf, die ihm dadurch eingeräumten Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Konkursverfahren ausnützen zu können; sein Interesse hieran ist unter der erwähnten Voraussetzung durchaus schützenswert. Darüber hinaus ist aber jedem Gläubiger, der sich zur 1. Gläubigerversammlung eingefunden hat, die Befugnis zuzuerkennen, gegen die ungerechtfertigte Nichtanerkennung von Gläubigervollmachten, durch die das Verfahren beeinflusst worden ist, Beschwerde zu führen. Kein zur Versammlung erschienener Gläubiger muss sich entgegenhalten lassen, die nach seiner Auffassung zu Unrecht nicht als vertreten anerkannten Gläubiger hätten sich selber nicht beschwert. Eine solche Unterlassung der Vollmachtgeber ist nicht geeignet, einem sich beschwerenden Gläubiger gegenüber die Fiktion zu begründen, die Gläubigerversammlung sei ordnungsgemäss verlaufen.
Die Vorinstanzen hätten daher auf die Beschwerde Schwallers eintreten sollen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt ein "Stimmenkauf", der die Ungültigkeit der Bevollmächtigung nach sich zieht, schon dann vor, wenn ein Gläubiger von einem andern die Bevollmächtigung zur Vertretung im Konkursverfahren durch die Zusicherung "besonderer Vorteile" erwirkt (BGE 36 I 164Erw. 3 = Sep. ausg. 13 S. 83,BGE 40 III 173). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Vollmachten, die Schwaller bei seinen Auftraggebern im Juni/Juli 1960 unter Verwendung zweier gleichlautender Formulare für die "Voll-Vertretung" im "allgemeinen Sanierungsverfahren", im "gerichtlichen oder aussergerichtlichen Nachlassvertragsverfahren" und im "Konkursverfahren (uU mit Nachlassvertragsverfahren im Konkurs)" der Sewa-Werk AG einholte, enthalten nämlich folgende "Erklärung des Bevollmächtigten betreffend Kostentragung aus der vorliegenden Vollmacht":
"a) Sollte aus einem der obenzitierten Verfahren keine Dividende an den Vollmachtgeber zur Ausschüttung kommen, so hat der Vollmachtgeber an den Bevollmächtigten weder an Honorar noch an Auslagenersatz etwas zu leisten. b) Nach Abschluss eines der obenzitierten Verfahren mit der Ausschüttung einer Dividende von mindestens 10 % vergütet der Vollmachtgeber an den Bevollmächtigten an Honorar und Auslagenersatz pauschal:
entweder 2% der kollozierten Forderug, davon den oder 8% der ausbezahlten Dividende, höhern Wert, minimal aber den Betrag von Fr. 5.-."
Nach dieser Erklärung ist die Vertretung im hängigen Konkursverfahren und allenfalls auch noch in weitern Liquidations- oder Sanierungsverfahren auf jeden Fall dann kostenlos, wenn überhaupt keine Dividende ausbezahlt werden kann. Die Empfänger der Vollmachtformulare durften aber aus lit. b der Erklärung ausserdem schliessen, die Vertretung sei auch dann kostenlos, wenn (was in Konkursen häufig vorkommt) eine Dividende von weniger als 10% verteilt werden sollte. (Sie brauchten nach Treu und Glauben nicht damit zu rechnen, dass sie die in lit. b festgesetzte oder eine anders berechnete Vergütung auch in dem nicht ausdrücklich geregelten Fall zu leisten hätten, dass zwar eine Dividende, aber eine solche unter 10% ausgerichtet werden sollte.) Im Versprechen, dass für die "Voll-Vertretung" in einem oder allenfalls mehreren Verfahren ein Honorar und sogar der Ersatz der Auslagen nur bei Auszahlung einer Dividende von mindestens 10% verlangt werde, liegt nun zweifellos die Zusicherung eines besondern Vorteils im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Dies gilt um so eher, als Schwaller die Vertretung unstreitig in Ausübung seiner Berufstätigkeit als "prakt. Revisor" und "Treuhänder" übernommen hat. Dass ein Berufsmann eine erhebliche Arbeitsleistung für einen Fall, mit dessen Eintritt ernstlich zu rechnen ist, unentgeltlich anbietet, bedeutet eine aussergewöhnliche Vergünstigung. Die Erklärung der Vollmachtgeber, dass kein "Stimmenkauf" vorliege, kann hieran nichts ändern...
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird in dem Sinne abgewiesen, dass die Beschwerde des Rekurrenten vom 26. Juli 1960 abgewiesen wird.