BGE 100 IV 186
 
46. Urteil des Kassationshofes vom 1. Juli 1974 i.S. Schneider gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg
 
Regeste
Art. 34 Abs. 3 SVG.
 
Sachverhalt
A.- Am 13. Juni 1973, um 18.30 Uhr, führte Schneider semen Personenwagen auf der Gemeindestrasse von Unterbösingen gegen die mit Stop-Signal versehene Einmündung in die Kantonsstrasse Bösingen - Laupen; er hielt dort korrekt vor der Stop-Linie an und fuhr hernach in einem Linksbogen in die erwähnte Kantonsstrasse ein. Nachdem er auf dieser ca. 50 m in Richtung Laupen in langsamer Fahrt zurückgelegt hatte, wollte er nach links in die Zufahrt zum Hause Stämpfli abbiegen. Er kündigte seine Absicht an, indem er den linken Richtungsanzeiger stellte. Unmittelbar vor dem Abbiegen schaute er in den Rückspiegel, in dem er den von Kipfer gelenkten Personenwagen nachfolgen sah. Beim Abbiegen stiess sein Wagen mit dem links überholenden Fahrzeug Kipfer zusammen.
B.- Das Zuchtgericht des Sensebezirks sprach Schneider am 20. November 1973 der Übertretung von Art. 34 Abs. 3 SVG schuldig und büsste ihn mit Fr. 100.--.
Eine vom Verurteilten gegen diesen Entscheid gerichtete Strafkassationsbeschwerde wies das Kantonsgericht des Staates Freiburg am 4. Februar 1974 ab.
C.- Schneider führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
b) Nach Art. 277 bis Abs. 1 BStP ist das Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Sachrichters gebunden; auch der Beschwerdeführer darf diese im Verfahren auf Nichtigkeitsbeschwerde nicht mehr in Frage stellen (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Sachrichter war im vorliegenden Fall, weil auch die Vorinstanz nach freiburgischem Prozessrecht nur als Kassationsinstanz die Rechtsanwendung zu überprüfen hatte, das Zuchtgericht. Dieses stellt in tatsächlicher Hinsicht fest, dass der Beschwerdeführer vor dem Linksabbiegen in die Zufahrt Stämpfli den linken Blinker gestellt, unmittelbar vor dem Manöver nochmals in den Rückspiegel geblickt und dabei in etwa 100 m Entfernung den nachfolgenden Wagen Kipfer gesehen habe. Hingegen wird nirgends festgestellt, der Beschwerdeführer habe vor dem Abbiegen auch gegen die Strassenmitte zu eingespurt gehabt.
2. a) Wie in BGE 91 IV 11 ff. ausgeführt wird, schafft jede Richtungsänderung eine zusätzliche Gefahr, weil insbesondere beim Linksabbiegen nicht nur die Fahrbahn der entgegenkommenden oder überholenden andern Fahrzeuge gekreuzt, sondern auch die Absichten des Abbiegenden trotz ordnungsgemässer Signalisierung von den übrigen Strassenbenützern leicht missverstanden oder übersehen werden können. Demjenigen, der eine solche Gefahr schafft, ist deshalb auch zuzumuten, sein Manöver besonders vorsichtig auszuführen. Aus diesem Grund wurde bei der Revision des Verkehrsrechts die in Art. 47 MFV statuierte Pflicht des Linksabbiegenden, auf den entgegenkommenden Verkehr zu achten, in Art. 34 Abs. 3 SVG dahin ergänzt, dass der Abbiegende auch auf den nachfolgenden Verkehr Rücksicht zu nehmen hat (Botschaft des Bundesrats vom 24. Juni 1955, BBl 1955 II 33). Dieses Gebot tritt zu den übrigen gesetzlichen Pflichten hinzu, die ein Abbiegender daneben ohnehin zu erfüllen hat (Art. 35 Abs. 6, Art. 36 Abs. 1, Art. 39 Abs. 1 lit. a SVG usw.). Zwar verbietet Art. 35 Abs. 5 SVG dem Führer das Überholen, wenn das vorausfahrende Fahrzeug z.B. den linken Blinker gestellt hat. Doch enthebt dieses Verbot den Vorausfahrenden nicht der Pflicht, beim Linksabbiegen auch seinerseits auf nachfolgende Fahrzeuge gemäss Art. 34 Abs. 3 SVG Rücksicht zu nehmen. Denn nur durch diese vom Gesetz gewollte doppelte Sicherung kann den erhöhten Gefahren im Verkehr wirksam begegnet werden.
Die Sorgfalt, die ein Linksabbiegender gemäss Art. 34 Abs. 3 SVG anzuwenden hat, um die Gefährdung nachfolgender Fahrzeuge auszuschalten, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, vorab nach den Örtlichkeiten und den Platz- und Sichtverhältnissen. Dabei genügt beim Abbiegen auf der Höhe von Strassenverzweigungen (Kreuzungen, Gabelungen und Einmündungen) im allgemeinen, dass der Abbiegende vor dem Manöver in den Rückspiegel schaut. Hingegen muss er sich bei Nacht oder sonstwie erschwerter Sicht, an Stellen, wo zum Rechtsüberholen des gegen die Strassenmitte eingespurten Fahrzeugs nicht genügend Raum verbleibt, und insbesondere ausserhalb von Strassenverzweigungen ausserdem vergewissern, dass ihm nicht ein anderes Fahrzeug im sichttoten Winkel seines Wagens folgt. Er hat daher, wenn nicht schon durch den Rück- und Aussenspiegel ein sicherer Überblick über die hinter und links von seinem Fahrzeug liegende Zone möglich ist, weitere Vorkehren zu treffen (Rückwärtsbeobachtung durch das geöffnete Seitenfester, Sicherheitshalt usw.; vgl. BGE 83 IV 166).
b) Nach der verbindlichen Feststellung des Zuchtgerichtes fuhr der Beschwerdeführer langsam während rund 50 m auf der Kantonsstrasse Bösingen - Laupen. Er musste sich darüber im klaren sein, dass die von andern Führern auf dieser Strecke eingehaltene Geschwindigkeit wesentlich höher sein könnte, insbesondere deshalb, weil die Begrenzung auf 60 km/h erst nach der Unfallstelle beginnt. Als er vor dem Abbiegen in den Rückspiegel blickte und den nachfolgenden Personenwagen Kipfer in bloss ca. 100 m Entfernung gewahrte, hätte er sich daher sagen müssen, dass ein solcher Abstand bei allenfalls wesentlich höherer Geschwindigkeit Kipfers für eine gefahrlose Durchführung seines Linksabbiegens nur noch dann ausreiche, wenn er es so rasch wie möglich ausführe. Wie gross die Gefahr war, erhellt daraus, dass sie sich im heftigen Zusammenstoss der beiden Fahrzeuge denn auch tatsächlich verwirklicht hat. Wenn der Beschwerdeführer sich aber zum gemächlichen Abbiegen entschloss, so hätte er im Sinne von Art. 34 Abs. 3 SVG dem Fahrzeug Kipfer zuerst das Überholen ermöglichen müssen, ehe er mit seinem Manöver die linke Fahrbahnhälfte versperrte. Indem er statt dessen abbog und die Fahrbahn Kipfers abschnitt, verstiess er gegen die genannte Bestimmung.
c) Zu besonderer Rücksichtnahme auf das nachfolgende Fahrzeug wäre der Beschwerdeführer aber auch deshalb verpflichtet gewesen, weil er sein Vorhaben nicht an einer Strassenverzweigung im Sinne von Art. 1 Abs. 8 VRV, sondern auf der Höhe eines schmalen Nebensträsschens, das als Zufahrt zum Hause Stämpfli dient, durchführte. Dort rechnen nachfolgende Fahrzeugführer weniger mit einem Abbiegen als im Bereiche von Strassenverzweigungen. Die Einmündung zum Hause Stämpfli für den von Bösingen herfahrenden Automobilisten ist nicht leicht erkennbar. Auch dieser Umstand hätte dem Beschwerdeführer Anlass zu besonderer Vorsicht sein sollen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.