BGE 122 IV 149
 
22. Urteil des Kassationshofes vom 9. Mai 1996 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen A. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
Regeste
Art. 146 und 148 StGB; Check- und Kreditkartenmissbrauch, Anwendung auf Benutzung der Postcheckkarte, Abgrenzung zum Betrug.
Art. 172ter StGB; geringfügige Vermögensdelikte bei der Einlösung mehrerer Checks.
Bei der gleichzeitigen Einlösung von mehreren garantierten Checks zu Fr. 300.-- ist auf die Summe aller Checks abzustellen, Geringwertigkeit gemäss Art. 172ter StGB als zu verneinen (E. 3c).
 
Sachverhalt
Der Gerichtspräsident II von Aarberg sprach A. mit Urteil vom 16. August 1995 des mehrfachen Betrugs schuldig, begangen zum Nachteil der PTT sowie von F., und bestrafte ihn mit 25 Tagen Haft (bedingt). Infolge Eintritts der absoluten Verjährung gab er den Verfahren wegen Verfügung über gepfändete Sachen, Inverkehrbringens von Abhörgeräten, Anstiftung zu Hausfriedensbruch, Abhörens und Aufnehmens fremder Gespräche und Ausübens der Tätigkeit als Privatdetektiv ohne Bewilligung keine Folge.
Das Obergericht des Kantons Bern, I. Strafkammer, qualifizierte mit Urteil vom 30. November 1995 die Handlungen zum Nachteil der PTT als Check- und Kreditkartenmissbrauch, bestätigte den Schuldspruch wegen Betrugs zum Nachteil von F. und bestrafte A. mit 14 Tagen Haft (bedingt).
Dagegen erhebt der Generalprokurator des Kantons Bern Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entscheidung bzw. Verurteilung von A. wegen Betrugs zum Nachteil der PTT an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
 
aus folgenden Erwägungen:
Der Beschwerdegegner löste am 14. Oktober 1986 drei sogenannt garantierte Postchecks à Fr. 300.-- und am 17. Oktober 1986 zwei garantierte Postchecks über Fr. 300.-- bzw. Fr. 200.-- bei einer Schweizer Poststelle ein, wobei er gleichzeitig seine Postcheckkarte vorwies. Dabei war ihm bewusst, dass er nicht zahlungsfähig war und dass sich auf seinem Postcheckkonto ein zu geringes Guthaben befand, auch wenn er den genauen Kontostand von Fr. 47.90 möglicherweise nicht kannte.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts sei der Tatbestand des Postcheck-Betrugs durch den vorliegenden Sachverhalt objektiv und subjektiv erfüllt. Indem die Vorinstanz das Verhalten als Checkkartenmissbrauch (Art. 148 StGB) statt als Betrug (Art. 146 StGB) qualifiziere, sei sie einem Subsumtions- und Auslegungsirrtum erlegen und habe Bundesrecht falsch angewandt. Der Bargeldbezug mittels Postcheck und Garantiekarte im Zweiparteiensystem stelle keinen von Art. 148 StGB erfassten, kartenspezifischen Checkkartenmissbrauch dar. Diese Bestimmung erfasse nur die Verwendung der Karte (1) im klassischen Sinn, also als Garantiekarte im Verkehr mit Dritten, einer anderen als der kartenausstellenden Bank oder einer ausländischen Poststelle (Dreiparteiensystem), (2) als Geldbezugskarte im Zwei- oder Dreiparteiensystem oder (3) als Zahlkarte im automatisierten Zahlungsverkehr (Dreiparteiensystem). Der Tatbestand des Check- und Kreditkartenmissbrauchs finde aber keine Anwendung, wenn die Karte lediglich zur Legitimation oder Identifikation bei Einlösung von Postchecks bei der Post oder von Bankchecks bei der kartenausgebenden Bank verwendet werde. Diese Bestimmung umfasse nur den Missbrauch der Karte, wenn er sich auf von der Karte nicht ablösbare Verwendungsmöglichkeiten beziehe. Die Anwendung von Art. 148 StGB auf Zweiparteiensysteme erweise sich nur insoweit als berechtigt, wie es um den Geldbezug am Automaten gehe, dessen Erfassung als Diebstahl unklar sei; im Verhältnis zu Art. 146 StGB solle Art. 148 StGB dagegen grundsätzlich subsidiären Charakter behalten und im Zweiparteiensystem nur insoweit Anwendung finden, als der Missbrauch der Karte dafür spezifische Funktionen betreffe.
3. a) Das Einlösen eines ungedeckten Postchecks bei einer Poststelle wurde vom Bundesgericht in BGE 99 IV 75 als Betrug im Sinne von Art. 148 aStGB gewertet, da der Postcheckkunde durch dieses Verhalten die Tatsache ausnützt, dass sich der Beamte bis zu einem gewissen Betrag nicht nach der Deckung erkundigt. Diese Rechtsprechung wurde auch in einem Fall bestätigt, in welchem der Bezug mit Postchecks vorgenommen wurde, die bis zu Fr. 300.-- durch das gleichzeitige Vorweisen einer Postcheckkarte garantiert waren (unveröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 10. Juli 1987 i.S. B.; SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 2. Band, Art. 148 N. 50). Demgegenüber urteilte das Bundesgericht in BGE 111 IV 134, dass die Verwendung von mit einer Checkkarte garantierten Eurochecks bei einem mit der ausstellenden Bank nicht identischen Checknehmer keinen Betrug darstellt, da jener keine Abklärungen über die Deckung des Checks zu treffen braucht und deshalb durch die fehlende Deckung nicht getäuscht wird. Das gleiche gilt für die Verwendung einer Kreditkarte bei einem Vertragsunternehmen (BGE 112 IV 79 E. 2c).
b) Mit der Teilrevision des Strafgesetzbuches von 1994 wurde der Tatbestand des Check- und Kreditkartenmissbrauchs (Art. 148 StGB) eingeführt. Danach wird bestraft, wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben. Gemäss der Botschaft zur Revision sollte diese Bestimmung dem Umstand abhelfen, dass bis anhin die missbräuchliche Verwendung solcher Karten im sogenannten Zweiparteiensystem - im Verkehr zwischen Kartenaussteller und Kunde - vom Betrugstatbestand erfasst wurde, nicht aber der weitaus häufigere Fall der Verwendung im Dreiparteiensystem - beim Einsatz der Karte bei Drittunternehmen (Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes vom 24. April 1991, BBl 1991 II 969, S. 1024; REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 6. Aufl., S. 186, SCHMID, Computer- sowie Check- und Kreditkarten-Kriminalität, § 8 N. 1 f.). Obwohl die Strafbarkeitslücke somit nur im Dreiparteiensystem bestand, sollte gemäss der Botschaft - anders als im Vorentwurf der Expertengruppe - der neue Art. 148 StGB auf Kartenmissbrauch sowohl im Dreiparteiensystem als auch im Zweiparteiensystem Anwendung finden, da es wegen der unterschiedlichen Strafdrohung unbefriedigend sei, im einen Fall die neue Bestimmung anzuwenden, im andern jedoch Betrug anzunehmen (Botschaft, a.a.O., S. 1026).
Auch die Lehre ist der Auffassung, dass der Tatbestand des Check- und Kreditkartenmissbrauchs im Sinne von Art. 148 StGB sowohl im Dreiparteien- wie auch im Zweiparteiensystem Anwendung finden kann (ECKERT, Die strafrechtliche Erfassung des Check- und Kreditkartenmissbrauchs, Diss. ZH 1991, S. 234; PETER MÜLLER, Die Revision des Vermögensstrafrechts, ZStR 113/1995, S. 11; SCHMID, a.a.O., N. 89; STAUFFACHER, Infractions contre le patrimoine: le nouveau droit, ZStR 114/1996, S. 19; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT I, 5. Aufl., § 16 N. 25). Unklar ist jedoch die Abgrenzung zum Betrug. Nach der Botschaft soll der Tatbestand des Check- und Kreditkartenmissbrauchs subsidiären, den Betrugstatbestand ergänzenden Charakter haben (a.a.O., S. 1025). Dem wird von STRATENWERTH widersprochen, für den Art. 148 StGB gegenüber dem allgemeinen Betrugstatbestand (Art. 146 StGB) Vorrang hat (a.a.O., N. 43). Auch für Eckert besteht zwischen den beiden Bestimmungen unechte Konkurrenz in Form der Spezialität, so dass Art. 148 StGB auf alle Check- und Kreditkartenmissbräuche allein Anwendung finden soll (a.a.O., S. 238). Für SCHMID soll Art. 148 StGB hingegen (nur) anwendbar sein, wenn Missbräuche mit Check- und Kreditkarten nicht als Betrug qualifiziert werden können (a.a.O., N. 16, 139); als Beispiele dafür nennt dieser Autor jedoch nur Fälle, in welchen die Karte ausserhalb der mit ihr besonders verbundenen Garantie- und Zahlungsfunktion eingesetzt wird oder der Kartenaussteller bereits getäuscht wird, um die Karte zu erlangen (a.a.O., N. 140 ff.). In diesem Sinn muss wohl auch die "Subsidiarität" verstanden werden, von der in der Botschaft die Rede ist, nämlich dass Betrug vorgeht, sofern der Missbrauch des Täters nicht in dem für Art. 148 StGB typischen Verhalten liegt (so ausdrücklich Amtl.Bull. 1993 S 959, Votum Beerli, Berichterstatterin; Botschaft, a.a.O., S. 1025).
Im Einklang mit den Zielen des Gesetzgebers und der Auffassung der Lehre ist somit grundsätzlich davon auszugehen, dass eine kartenspezifische, missbräuchliche Verwendung von Check- und Kreditkarten durch den berechtigten Inhaber im Verkehr sowohl mit dem Kartenaussteller als auch mit Dritten von Art. 148 StGB als speziellem Tatbestand erfasst wird und der allgemeine Betrugstatbestand (Art. 146 StGB) insoweit keine Anwendung findet.
c) Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, der Gebrauch der Postcheckkarte im Zweiparteiensystem falle nicht unter den Tatbestand des Check- und Kreditkartenmissbrauchs gemäss Art. 148 StGB, da in diesem Fall kein kartenspezifischer Missbrauch vorliege.
Die Postcheckkarte, deren Funktion heute durch die Postcard übernommen wird, ist eine Garantiekarte zu Postchecks. Solcherart garantierte Postchecks können vom Karteninhaber bei jeder inländischen Poststelle bis zu einem festgelegten Betrag (zur Zeit Fr. 300.--) ohne Identitätsnachweis zur Auszahlung vorgelegt werden. Werden garantierte Postchecks bei Dritten zur Zahlung verwendet, vergüten die PTT diese - unabhängig von der Deckung - bis zum garantierten Betrag, sofern der Postcheck die Unterschrift des Kontoinhabers und die Nummer der Garantiekarte trägt (Art. 128c a.F. und 128d n.F. der Verordnung [1] zum Postverkehrsgesetz vom 1. September 1967, SR 783.01; ECKERT, a.a.O., S. 9 f.). Faktisch ist also die Einlösung eines garantierten Postchecks bei einer schweizerischen Poststelle der gleiche Vorgang wie die Präsentation bei einem Dritten. Da die Postcheckkarte bei Wahrung gewisser Formalitäten die Einlösung der Postchecks bis zu einem bestimmten Höchstbetrag garantiert, ist sie als Checkkarte im Sinne von Art. 148 StGB zu qualifizieren (SCHMID, a.a.O., N. 19; ECKERT, a.a.O., S. 3 ff.).
Werden Postchecks vom Kontoinhaber der Poststelle ohne Garantiekarte vorgelegt, erfolgt die Auszahlung gegen Präsentation eines Ausweises (Art. 128c Abs. 4 a.F. und Art. 128d Abs. 3 n.F. der Verordnung [1] zum Postverkehrsgesetz). Im Verkehr mit den PTT (Zweiparteiensystem) kann der Checkinhaber deshalb garantierte Postchecks bis zu Fr. 300.-- auch ohne Präsentation der Garantiekarte einlösen, wenn er seine Identität nachweist, ohne dass im Regelfall die Deckung überprüft wird. Trotzdem liegt - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - bei Verwendung der Postcheckkarte als Garantiekarte zu ungedeckten Postchecks ein kartenspezifischer Missbrauch vor: Die Karte wird dabei klar ihrer Bestimmung gemäss eingesetzt, um trotz fehlender Deckung die Auszahlung der Checks ohne weitere Überprüfung zu erlangen, und die Identifikation des Leistungsempfängers erfolgt ausschliesslich über die Garantiekarte. Eine solche Verwendung erfüllt den Tatbestand des Check- und Kreditkartenmissbrauchs im Sinne von Art. 148 StGB (vgl. SCHMID, a.a.O., N. 37; STRATENWERTH, a.a.O., N. 25 unten). Diese Bestimmung verlangt nicht, dass das Erlangen der vermögenswerten Leistung ausschliesslich mit der Checkkarte möglich sei; es genügt, dass die Leistung durch den bestimmungskonformen Einsatz der Karte erhalten wird, wie dies im zu beurteilenden Fall geschah. Dabei ist zu beachten, dass die Einlösung eines einzigen garantierten Postchecks zu Fr. 300.-- unter Art. 172ter StGB fallen würde (BGE 121 IV 261), bei gleichzeitiger Einlösung von mehreren garantierten Postchecks - wie hier - jedoch auf die Summe aller Checks abzustellen ist, die den Grenzwert von Fr. 300.-- überschreitet.
Zwar trifft zu, wie der Beschwerdeführer zu bedenken gibt, dass damit eine gewisse Ungleichbehandlung mit dem Einlösen von Postchecks ohne Garantiekarte entsteht. Dies ist jedoch als Konsequenz der Beschränkung des Tatbestands von Art. 148 StGB auf Kartenmissbräuche hinzunehmen. Es wäre umgekehrt nicht einleuchtend und widerspricht den Absichten des Gesetzgebers, je nach Karteneinsatz im Zwei- oder Dreiparteiensystem einmal Betrug (Art. 146 StGB), einmal Check- und Kreditkartenmissbrauch (Art. 148 StGB) anzunehmen, wenn der Kartenaussteller und -empfänger wie im zu beurteilenden Fall keine anderen Abklärungen trifft als ein Drittunternehmen. Auch wäre nicht gerechtfertigt, den als Verbrechen ausgestalteten Betrugstatbestand auf die Benutzung einer Checkkarte mit reiner Identifikationsfunktion anzuwenden, den als Vergehen eingestuften Tatbestand des Checkkartenmissbrauchs hingegen auf den Einsatz einer mit erhöhter Garantiefunktion und deshalb mit höherem Vertrauen versehenen Karte. Verjährungsrechtlich ergeben sich daraus ohnehin keine Unterschiede (Art. 70 Abs. 2 StGB). Die Auffassung des Beschwerdeführers ist deshalb abzulehnen, wonach die Verwendung einer Check- und Kreditkarte im Zweiparteiensystem nur dann unter Art. 148 StGB fällt, wenn damit am Automaten Geld bezogen wird. Die Vorinstanz hat kein Bundesrecht verletzt, wenn sie das Verhalten des Beschwerdegegners unter Art. 148 StGB subsumierte und die Anwendung von Art. 146 StGB bzw. Art. 148 aStGB insoweit ausschloss.