BGE 113 Ia 304 - Freitagsgebet im Strafvollzug |
47. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13. November 1987 i.S. Nehal Ahmed Syed gegen Direktion der Justiz des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) |
Regeste |
Kultusfreiheit; Strafvollzug. 1. Verhältnis zwischen Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 49 Abs. 1 BV) und Kultusfreiheit (Art. 50 Abs. 1 BV) (E. 2). 2. Anforderungen an eine grundrechtskonform ausgestaltete Gottesdienstordnung im Strafvollzug (E. 3-5). |
Sachverhalt |
Die vom Regierungsrat des Kantons Zürich erlassene Verordnung über die kantonale Strafanstalt Regensdorf vom 12. Februar 1975 (Anstaltsverordnung) bestimmt:
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§ 42 Seelsorgerische Betreuung
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Evangelisch-reformierte und katholische Gefangene werden von einem Anstaltspfarrer ihrer Religionsgemeinschaft seelsorgerisch betreut. Konfessionslose Gefangene und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften werden auf Wunsch ebenfalls von den beiden Anstaltspfarrern betreut. Die Direktion der Strafanstalt kann bei Bedarf Seelsorger anderer Religionsgemeinschaften für die Betreuung von Gefangenen beiziehen. |
§ 43 Gottesdienst
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In der Anstalt werden regelmässig evangelisch-reformierte und katholische Gottesdienste durchgeführt, die allen Gefangenen zugänglich sind. Gefangenen in Einzelhaft wird das Hören des vom Radio ausgestrahlten Gottesdienstes ermöglicht. |
Mit Verfügung vom 8. April 1987 wies die Direktion der kantonalen Strafanstalt Regensdorf das Gesuch von Nehal Ahmed Syed ab, worin verlangt worden war, es sei 19 Gefangenen islamischer Religion zu gestatten, jeweils am Freitag einen gemeinsamen Gottesdienst abzuhalten. Ein Rekurs an die Direktion der Justiz des Kantons Zürich blieb erfolglos. |
Das Bundesgericht heisst die von Nehal Ahmed Syed erhobene staatsrechtliche Beschwerde gut aus folgenden Erwägungen:
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Auszug aus den Erwägungen: |
Mit dem angefochtenen Entscheid wird den in der Strafanstalt Regensdorf inhaftierten Moslems die Durchführung eines gemeinsamen Freitagsgebetes, einer Kultushandlung also, verwehrt. Dass der Beschwerdeführer eine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit geltend macht und sich nicht ausdrücklich auf die in erster Linie betroffene Kultusfreiheit beruft, kann ihm nach dem Gesagten nicht schaden.
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Im Strafvollzug ergeben sich im öffentlichen Interesse liegende Freiheitsbeschränkungen aus dem Zweck dieser Institution und aus dem Erfordernis der Einhaltung eines geordneten Anstaltsbetriebes. Über das hiezu erforderliche Mass dürfen sie nicht hinausgehen (BGE 106 Ia 281). Durch die weitgehende Abschliessung des Häftlings von der Aussenwelt kann der Strafvollzug Beschränkungen der Glaubens- und Gewissensfreiheit und namentlich der Kultusfreiheit mit sich bringen. Solche Beschränkungen muss eine sachgerechte Anstaltsordnung in engen Schranken halten. Sie muss Mittel und Wege finden, um die Ausübung des Glaubenslebens möglichst gut zu gewährleisten, ohne den Strafvollzug übermässig zu belasten. |
In diesem Sinne werden die Gefangenen der Strafanstalt Regensdorf durch einen evangelisch-reformierten und einen katholischen Anstaltspfarrer betreut, wobei bei Bedarf auch Seelsorger anderer Religionsgemeinschaften beigezogen werden können (§ 42 Anstaltsverordnung). Zudem werden regelmässig evangelisch-reformierte und katholische Gottesdienste durchgeführt (§ 43 Anstaltsverordnung). Mit dem angefochtenen Entscheid wurde den Moslems dagegen die Abhaltung eines gemeinsamen Freitagsgebetes verweigert.
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Erwägung 4 |
reformiert 53 (71) katholisch 119 (111) griechisch-orthodox 7 (7) neuapostolisch -- (2) Moslem 40 (51) jüdisch 2 (4) Hindu 8 (3) buddhistisch -- (1) konfessionslos 22 (19) |
Die Direktion der Justiz stützt ihren Entscheid, mit dem den Moslems die Durchführung eines gemeinsamen Freitagsgebetes verweigert wird, darauf, dass es unter dem Gesichtspunkt der Anstaltsordnung nicht möglich sei, allen Glaubensrichtungen die Durchführung gemeinsamer Gottesdienste zu gestatten. Eine Ausnahme könne daher nur für die Landeskirchen gemacht werden.
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c) Im öffentlichen Interesse liegende Gründe der Anstaltsordnung können gebieten, dass nicht für jede (auch noch so kleine) Glaubensgemeinschaft ein eigener Gottesdienst abgehalten wird. Die in einer bestimmten Strafanstalt mögliche Zahl der Gottesdienste wird etwa von den damit verbundenen organisatorischen Problemen und von den räumlichen Möglichkeiten abhängen. Solche Schwierigkeiten entbinden die Behörden indessen nicht von der Pflicht, die Gottesdienstordnung grundrechtskonform auszugestalten. |
Die Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Kultusfreiheit verpflichten den Staat zu religiöser Neutralität. Dies schliesst nach herkömmlicher Auffassung zwar eine gewisse Bevorzugung öffentlich-rechtlich anerkannter Landeskirchen etwa bei der Steuererhebung nicht aus (vgl. dazu die Botschaft des Bundesrates über die Volksinitiative "betreffend die vollständige Trennung von Staat und Kirche" vom 6. September 1978, BBl 1978 II 672 ff.; Art. 64 Abs. 3 der Zürcher Kantonsverfassung). Diese Bevorzugung darf aber nicht die Betätigung des Glaubens zum Gegenstand haben. Wäre nur Angehörigen von als Landeskirchen anerkannten Glaubensgemeinschaften erlaubt, sich zum Kultus zusammenzufinden, könnte von religiöser Freiheit nicht mehr die Rede sein. In Strafanstalten kann nichts anderes gelten. Gerade hier, wo der weitgehende Entzug der Bewegungsfreiheit den Gefangenen hindert, die ihm verbleibenden Grundrechte selbstverantwortlich in Anspruch zu nehmen, und er sich in ausserordentlich grosser Abhängigkeit von den Vollzugsorganen befindet, muss sich die religiöse Neutralität des Staates bewähren. Dies führt dazu, dass die öffentlich-rechtliche Anerkennung einer Glaubensgemeinschaft als Landeskirche nicht zum Kriterium für die Zulässigkeit eines gemeinsamen Gottesdienstes gemacht werden darf. Soweit der angefochtene Entscheid den Moslems das gemeinsame Freitagsgebet verweigert, weil ihre Glaubensgemeinschaft nicht öffentlich-rechtlich anerkannt ist, verstösst er gegen die Kultusfreiheit. Er hält im übrigen auch vor dem Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht stand, weil zwischen Landeskirchen und anderen Glaubensgemeinschaften hinsichtlich des Kultus kein erheblicher Unterschied in den tatsächlichen Verhältnissen besteht, der eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermöchte.
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d) Eine grundrechtskonform ausgestaltete Gottesdienstordnung muss zum Zwecke haben, möglichst vielen Häftlingen den Besuch gemeinsamer Gottesdienste zu ermöglichen. Unter dem Gesichtspunkt beschränkter räumlicher und organisatorischer Möglichkeiten kann es sich rechtfertigen, nicht jeder Glaubensgemeinschaft, die dies wünscht, einen eigenen Gottesdienst zu gestatten. Insofern kann es als zulässig erscheinen, Angehörige verwandter Konfessionen auf interkonfessionelle Feiern zu verweisen. Christliche Sekten können so nicht für sich beanspruchen, unter Beizug eines eigenen Geistlichen einen eigenen Gottesdienst abzuhalten, wenn sie an einer interkonfessionellen christlichen Feier teilnehmen können. Auf christliche Feiern können dagegen Moslems selbstredend nicht verwiesen werden. |
Die Frage, ob der Strafvollzug übermässig erschwert würde, wenn auch kleinsten -- nichtchristlichen -- Glaubensgemeinschaften die Abhaltung des gemeinsamen Kultus gestattet würde, stellt sich vorliegend nicht. Im Jahre 1985 waren 51 Moslems und im Jahre 1986 deren 40 in der Strafanstalt Regensdorf inhaftiert. Die Zahl der Häftlinge evangelischen Glaubens, für die regelmässig ein eigener Sonntagsgottesdienst stattfindet, war in diesem Zeitraum mit 71 für das Jahr 1985 und 53 für das Jahr 1986 nicht wesentlich höher. Die Verweigerung des gemeinsamen Freitagsgebetes für Moslems lässt sich damit nicht mit dem Hinweis auf Probleme der Anstaltsordnung bei einer Vielzahl von Gottesdiensten kleinster Glaubensgemeinschaften begründen. Die Direktion der Justiz ist diesbezüglich zwar der Auffassung, die in der Strafanstalt Regensdorf inhaftierten Moslems gehörten verschiedenen Glaubensrichtungen an, was die Abhaltung von mehreren (getrennten) Freitagsgebeten bedingen würde. Diese Auffassung ist indessen unhaltbar. Genauso wie Angehörige kleinerer christlicher Sekten auf eine gemeinsame christliche Feier verwiesen werden können, kann dies ohne Verstoss gegen die Kultusfreiheit auch für Moslems verschiedener Glaubensrichtung geschehen.
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Die Direktion der Justiz wird die sicherheitstechnischen Aspekte der Durchführung des Freitagsgebetes abzuklären und unter Wahrung der Kultusfreiheit der inhaftierten Moslems in der Sache neu zu entscheiden haben. Abzuklären wird insbesondere die Vertrauenswürdigkeit des beizuziehenden Imams sein, bei dessen Wahl die Vorschläge der Häftlinge selbstverständlich in keiner Weise verbindlich sind. Zu prüfen wird sodann sein, ob tatsächlich Streitereien zu befürchten sind und wie diese allenfalls verhindert werden können. Dabei fällt sowohl in Betracht, streitsüchtige Häftlinge auszuschliessen, als auch -- soweit dies unabdingbar sein sollte -- Beschränkungen bei der Gestaltung des Kultus vorzunehmen. Probleme sprachlicher Art der Überwachung dürften sich schliesslich nicht stellen, nachdem der Strafanstalt arabisch und türkisch sprechende Vertrauenspersonen zur Verfügung stehen (Jahresbericht 1985 der Strafanstalt Regensdorf, S. 14).
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