BGHSt 2, 194 (194): Bei § 240 StGB muß der Täter die Tatumstände des § 240 Abs 1 StGB, zu dem die Rechtswidrigkeit nicht gehört, kennen und außerdem das Bewußtsein haben oder bei gehöriger Anspannung des Gewissens haben können, mit der Nötigung Unrecht zu tun.
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StGB §§ 240, 59
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Großer Senat für Strafsachen
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Beschluß
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vom 18. März 1952 g.H.
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- GSSt 2/51 -
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Aus den Gründen:
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hält zur Fortbildung des Rechts zu folgenden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen für erforderlich:
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Er hat deshalb diese Rechtsfragen gemäß § 137 GVG dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorgelegt.
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In dem vom 2. Strafsenat zu entscheidenden Falle hatte der Angeklagte, ein Rechtsanwalt, die Verteidigung in einer auf mehrere Verhandlungstage berechneten Strafsache gegen eine Frau W. übernommen, ohne ein bestimmtes Honorar zu vereinbaren. Am ersten Verhandlungstage trat Rechtsanwalt B. für den anderweit in Anspruch genommenen Angeklagten auf. Das hatte er Frau W. vorher mitgeteilt. In der ersten Verhandlungspause verlangte der Angeklagte von Frau W. mit der Drohung, andernfalls die Verteidigung nicht weiterzuführen, Zahlung von 50 DM zunächst noch am selben Tage und schließlich bis zum nächsten Morgen 8 ½ Uhr. Unter dem Druck der BGHSt 2, 194 (195):
Drohung lieh sich Frau W. das Geld. Als sie es am nächsten Morgen an den Angeklagten in seinem Büro zahlte, nötigte er sie mit der gleichen Drohung, einen Honorarschein über 400 DM zu unterzeichnen. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung in zwei Fällen verurteilt und in den Urteilsgründen ausgeführt: Wenn der Angeklagte geglaubt habe, zu diesem Vorgehen gegen Frau W. berechtigt zu sein, so wäre das ein unbeachtlicher Strafrechtsirrtum, der sich auf die Wertung und Bewertung seiner ihm in tatsächlicher Beziehung in vollem Umfange bekannten Handlungsweise beziehe.
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I.
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Wie sich aus der Fragestellung ergibt, geht der 2. Strafsenat von der zutreffenden Auffassung aus, daß das Wort "rechtswidrig" in § 240 Abs 1 nicht einen zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Tatumstand umschreibt, mithin nicht Tatbestandsmerkmal, sondern allgemeines Verbrechensmerkmal ist. Denn es fügt der Handlung, die als Nötigung eines anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gekennzeichnet wird, kein weiteres ihr Unrecht erst begründendes Merkmal hinzu. Vielmehr sagt es nur etwas Selbstverständliches: Daß die Verwirklichung des Tatbestandes rechtswidrig sein müsse, wenn sie Gegenstand des Schuldvorwurfes und der Bestrafung sein solle. Das bedarf im Grunde keiner Erwähnung im Strafgesetz und wird auch in der überwiegenden Mehrzahl der Strafgesetze nicht erwähnt. Wird es dennoch erwähnt, so kommt dem keine andere Bedeutung zu als die eines Hinweises auf den für alle Verbrechenstatbestände geltenden Satz, daß die Verwirklichung des Tatbestandes nicht immer rechtswidrig ist. In der Regel ist sie nur dann nicht rechtswidrig, wenn die tatbestandsmäßige Handlung nach einer gestattenden Gegennorm des geschriebenen oder des Gewohnheitsrechtes erlaubt ist. Für den § 240 trifft diese Einschränkung allerdings nicht zu. Der Gesetzgeber hat nach dem Vorbild, des schweizerischen Strafgesetzbuchs die Grenzen des Nötigungstatbestandes so weit gezogen, daß er nunmehr auch ungezählte Fälle des täglichen Lebens erfaßt, in denen die Nötigung trotz Drohung mit einem empfindlichen Übel BGHSt 2, 194 (196):
für das natürliche Rechtsgefühl rechtmäßig ist, die Rechtmäßigkeit jedoch nicht aus einer besonderen rechtfertigenden Gegennorm hergeleitet werden kann. Hier fällt deshalb dem Richter die Aufgabe zu, an Stelle des Gesetzgebers durch unmittelbare Wertung zu entscheiden, ob die tatbestandsmäßige Nötigung im Einzelfalle rechtswidrig ist oder nicht. Auf diese besondere Aufgabe durch Einfügung des Wortes "rechtswidrig" hinzuweisen, ist sinnvoll. Der Gesetzgeber geht aber noch einen Schritt weiter. Er wird der Schwierigkeit der Aufgabe, vor die der Richter gestellt ist, gerecht. Er hebt nämlich im Absatz 2 den für die richterliche Wertung maßgebenden Gesichtspunkt hervor, daß das rechtlich Verwerfliche nicht einseitig in dem angewandten Mittel oder in dem angestrebten Zweck zu suchen ist, sondern in der Beziehung zwischen Mittel und Zweck, in ihrer Verquickung, und zwar in einer solchen Beziehung des Mittels der Gewalt oder Drohung zu dem durch die Nötigung angestrebten Zweck, die nach richtigem allgemeinem Urteil sittlich zu mißbilligen ist. Auch ohne diese Anleitung müßte der Richter so oder ähnlich verfahren, wie denn dem Nötigungstatbestand des schweizerischen Strafgesetzbuches weder eine solche Rechtswidrigkeitsregel angeschlossen noch das Merkmal der Rechtswidrigkeit eingefügt ist. Dadurch, daß der deutsche Strafgesetzgeber es für zweckmäßig erachtet, mit diesen Hinweisen der Schwierigkeit der Aufgabe gerecht zu werden, vor die der Richter infolge der ungewöhnlichen Ausweitung des Nötigungstatbestandes gestellt ist, wird das Merkmal der Rechtswidrigkeit nicht zu einem Tatbestandsmerkmal, auf das sich der Vorsatz beziehen müßte. Es bleibt vielmehr ein außerhalb des Tatbestandes stehendes, ihn wertendes allgemeines Verbrechensmerkmal. Die Rechtswidrigkeitsregel in Abs 2 gibt nur Maß für die äußere ("objektive") Rechtswidrigkeit der Nötigungshandlung, deren Tatumstände allein im Absatz 1 des § 240 StGB umschrieben sind.
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II.
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1. Bewußtsein der Rechtswidrigkeit bedeutet: Der Täter weiß, daß das, was er tut, rechtlich nicht erlaubt, sondern verboten ist. Es hat also nicht die Tatumstände, die zum gesetz BGHSt 2, 194 (197):
lichen Tatbestand gehören, zum Gegenstand, mögen diese auch in Rechtsbeziehungen oder Rechtsverhältnissen bestehen wie etwa die Fremdheit der Sache beim Diebstahl oder die Beschlagnahme beim Verstrickungsbruch. Die irrige Annahme, einer dieser Tatumstände liege nicht vor, ist Tatbestandsirrtum, der in § 59 StGB geregelt ist. Auch hier hält der Täter sein Tun für erlaubt, jedoch weil er nicht weiß, was er tut. Sein Wille ist nicht auf die Verwirklichung des Tatbestandes gerichtet. Weil der Tatvorsatz fehlt, kann er wegen vorsätzlicher Tatbegehung nicht bestraft werden. Beruht der Irrtum auf Fahrlässigkeit, so ist Bestrafung möglich, wenn auch die fahrlässige Verwirklichung des Tatbestandes mit Strafe bedroht ist. Dagegen betrifft der Irrtum über die Rechtswidrigkeit das Verbotensein der tatbestandsmäßigen Handlung. Der Täter weiß, was er tut, nimmt aber irrig. an, es sei erlaubt. Der Irrtum kann darauf beruhen, daß er die Tat infolge Nichtkennens oder Verkennens der Verbotsnorm für schlechthin erlaubt hält oder daß er meint, die Tat sei bei grundsätzlichem Verbot in diesem Falle durch eine Gegennorm gerechtfertigt, sei es, daß er deren rechtliche Grenzen verkennt, sei es, daß er ihr Vorhandensein irrig annimmt. Der Irrtum über die Rechtswidrigkeit ist Verbotsirrtum.
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Die vom 2. Strafsenat gestellten Fragen, ob bei § 240 neben der Tatbestandskenntnis auch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit oder doch die Möglichkeit dieses Bewußtseins erforderlich sei, enthalten in der Umkehrung somit zugleich die Frage, ob bei § 240 der Verbotsirrtum den Täter schlechthin oder nur dann entschuldige, wenn derselbe unverschuldet ist. Das Strafgesetzbuch gibt auf diese Fragen keine Antwort; denn es regelt in § 59 nur den Tatbestandsirrtum.
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2. Das Reichsgericht ist bei der Behandlung des Irrtums von der überkommenen, auf das römische Recht zurückführenden Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsirrtum ausgegangen. Unter Tatirrtum verstand es den Irrtum über diejenigen Tatumstände des gesetzlichen Tatbestandes einschließlich der rechtfertigenden Tatumstände, die "tatsächlicher" Natur sind, unter Rechtsirrtum jeden Irrtum über Rechtssätze. Hier unterschied es zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Irrtum je BGHSt 2, 194 (198):
nach dem Rechtsgebiete, dem die Norm angehört, die der Gegenstand des Irrtums ist. Zum außerstrafrechtlichen Irrtum zählte es vor allem den Irrtum über diejenigen Tatumstände des gesetzlichen Tatbestandes, die in Rechtsbeziehungen und Rechtsverhältnissen des außerstrafrechtlichen Gebiets bestehen, ferner den Irrtum über die rechtlichen Grenzen eines außerhalb des Strafrechts geregelten Rechtfertigungsgrundes und schließlich den Irrtum über außerstrafrechtliche Normen, die Blankettgesetze ausfüllen. Den außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum stellte es dem Tatirrtum gleich, behandelte ihn also nach der Vorschrift des § 59 StGB. Als strafrechtlichen Irrtum faßte es den Irrtum über das Strafgesetz auf, der sein kann: Irrtum über das im Strafgesetz enthaltene Verbot, irrige Annahme einer nicht bestehenden rechtfertigenden Norm gleichviel, ob sie im Falle des Bestehens strafrechtlicher oder außerstrafrechtlicher Natur wäre, oder Irrtum über die rechtlichen Grenzen eines im Strafrecht geregelten Rechtfertigungsgrundes. Den strafrechtlichen Irrtum hielt es für unbeachtlich. Der Täter bleibt wegen der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung strafbar.
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Nach dieser Rechtsprechung ergibt sich für den Verbotsirrtum folgendes: Soweit er auf der Verkennung des Strafgesetzes beruht, entschuldigt er nicht. Die bewußte und gewollte Verwirklichung des Tatbestandes ist strafbar, ohne daß es des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit oder der Möglichkeit dieses Bewußtseins bedürfte. Soweit er auf der Verkennung außerstrafrechtlicher Rechtssätze beruht, entschuldigt er und beseitigt die Strafbarkeit in demselben Umfange wie der Tatbestandsirrtum. Bei der Nötigung des § 240 kann der Verbotsirrtum in Gestalt eines außerstrafrechtlichen Rechtsirrtums nur als Verkennen der rechtlichen Grenzen eines außerhalb des Strafrechts geregelten Rechtfertigungsgrundes auftreten. Abgesehen von diesem seltenen Fall ist der Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Nötigung nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts stets unbeachtlich, weil es Irrtum über das Strafgesetz ist, wie in den Urteilen RsprRGSt 4, 379 [380], RGSt 19, 298 [301] und Goltd Arch 68, 293 ausgesprochen. Demnach ist weder das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit der Nötigung noch auch nur die Möglichkeit dieses Bewußtseins zur Strafbarkeit, BGHSt 2, 194 (199):
genauer: zur Schuld, erforderlich. Die vom 2. Strafsenat gestellten Fragen müßten danach mit der erwähnten Einschränkung verneint werden. Die irrige Annahme, die Anwendung der Gewalt oder die Zufügung des angedrohten Übels zu dem angedrohten Zwecke sei rechtlich erlaubt, würde demnach die Schuld und die Strafbarkeit nicht ausschließen, sofern sie nicht auf dem Verkennen der rechtlichen Grenzen einer außerstrafrechtlichen Befugnis beruht.
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III.
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1. Der Satz, daß der Irrtum über das Strafgesetz unbeachtlich sei, mithin das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit nicht als Voraussetzung der Strafbarkeit gefordert werden dürfte, entsprach zur Zeit, als die ersten Urteile des Reichsgerichts zu dieser Frage ergingen, durchaus der Auffassung, die der deutschen Strafgesetzgebung zugrunde lag. Nicht wenige Staaten des deutschen Bundes hatten in ihre Strafgesetzbücher eine Vorschrift des Inhaltes aufgenommen, Unkenntnis des Strafgesetzes schließe die Strafbarkeit nicht aus (so Braunschweig 1840 § 31, Hessen 1841 Art 41, Sachsen-Altenburg 1841 Art 68, Baden 1845 § 73, die Thüringischen Staaten 1852 Art 63 Abs 3, Österreich, 1852 § 3, Sachsen 1855 Art 95 Abs 2). Bayern hatte 1848 die entgegengesetzte Vorschrift des Strafgesetzbuchs von 1813 (Art 39) aufgehoben. Bei der Schaffung des Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 hatte man bewußt von einer entsprechenden Vorschrift abgesehen, weil "die Unwirksamkeit des Rechtsirrtums schon gemeinen Rechtens sei" (Goltdammer "Die Materialien zum Strafgesetzbuche für die Preußischen Staaten", 1851, Teil I § 44 Anm IV), und im Einführungsgesetz vom 14. April 1851 den Titel 20 Teil II des Allgemeinen Landrechts mit seinen Bestimmungen über die Wirkung der Unkenntnis der Strafgesetze aufgehoben. In § 44 wurden nur die Wirkungen des Tatbestandsirrtums geregelt. Nach Wortlaut und Entstehung der Vorschrift bestand kein Zweifel, daß sie auf den Irrtum über das Strafgesetz nicht anzuwenden sei. Sie ging mit abgeändertem Wortlaut in das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund und damit als § 59 in das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 über. Die Unterscheidung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Rechtsirrtum und die Gleichstellung dieses mit BGHSt 2, 194 (200):
dem Tatirrtum fand sich im Sächsischen Strafgesetzbuch von 1855 Art 95 und war schon vorher im Schrifttum vertreten worden.
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In der Rechtslehre und im Schrifttum regte sich schon frühzeitig Widerspruch gegen die Rechtsprechung des Reichsgerichts und verdichtete sich in der Folgezeit zur fast einhelligen Ablehnung. Man warf ihr vor, sie sei wegen der logischen Unmöglichkeit der Unterscheidung zwischen strafrechtlichem und außerstrafrechtlichem Rechtsirrtum willkürlich und führe bei unverschuldetem Irrtum zur Bestrafung schuldloser Taten. Die Entwürfe zu einem Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuch sind ihr seit dem Gegenentwurf 1911 nicht mehr gefolgt. Im Steuer- und Devisenrecht und neuestens im Wirtschaftsstrafrecht hat der Gesetzgeber sich von ihr abgekehrt und dem verschuldeten Verbotsirrtum strafmildernde, dem unverschuldeten strafausschließende Wirkung beigelegt (RAbgO § 395, Devisengesetz 1938 § 71 Abs 2, WiStG. § 31, jetzt § 26 a, und Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 - BGBl 177 - § 12). Nach 1945 haben sich auch mehrere Oberlandesgerichte und der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone von der Rechtsprechung des Reichsgerichts abgewandt und die Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung teils von dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, teils von der Möglichkeit dieses Bewußtseins abhängig gemacht.
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2. Die Einwände, die gegen die Rechtsprechung des Reichsgerichts erhoben werden, sind begründet.
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Strafe setzt Schuld voraus. Schuld ist Vorwerfbarkeit. Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfes liegt darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, sobald er die sittliche Reife erlangt hat und solange die Anlage zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht durch die in § 51 BGHSt 2, 194 (201):
StGB genannten krankhaften Vorgänge vorübergehend gelähmt oder auf Dauer zerstört ist. Voraussetzung dafür, daß der Mensch sich in freier, verantwortlicher, sittlicher Selbstbestimmung für das Recht und gegen das Unrecht entscheidet, ist die Kenntnis von Recht und Unrecht. Wer weiß, daß das, wozu er sich in Freiheit entschließt, Unrecht ist, handelt schuldhaft, wenn er es gleichwohl tut. Die Kenntnis kann fehlen, weil der Täter infolge der in § 51 Abs 1 StGB aufgezählten krankhaften Vorgänge unfähig ist, das Unrechtmäßige seines Tuns einzusehen. Hier ist die Unkenntnis des Täters Folge eines unabwendbaren Schicksals. Sie kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht und nicht zur Schuld zugerechnet werden. Er ist deshalb strafrechtlich unzurechnungsfähig. Das Bewußtsein, Unrecht zu tun, kann im einzelnen Falle auch beim zurechnungsfähigen Menschen fehlen, weil er die Verbotsnorm nicht kennt oder verkennt. Auch in diesem Falle des Verbotsirrtums ist der Täter nicht in der Lage, sich gegen das Unrecht zu entscheiden. Aber nicht jeder Verbotsirrtum schließt den Vorwurf der Schuld aus. Mängel im Wissen sind bis zu einem gewissen Grad behebbar. Der Mensch ist, weil er auf freie, sittliche Selbstbestimmung angelegt ist, auch jederzeit in die verantwortliche Entscheidung gerufen, sich als Teilhaber der Rechtsgemeinschaft rechtmäßig zu verhalten und das Unrecht zu vermeiden. Dieser Pflicht genügt er nicht, wenn er nur das nicht tut, was ihm als Unrecht klar vor Augen steht. Vielmehr hat er bei allem, was er zu tun im Begriff steht, sich bewußt zu machen, ob es mit den Sätzen des rechtlichen Sollens in Einklang steht. Zweifel hat er durch Nachdenken oder Erkundigung zu beseitigen. Hierzu bedarf es der Anspannung des Gewissens, ihr Maß richtet sich nach den Umständen des Falles und nach dem Lebens- und Berufskreis des Einzelnen. Wenn er trotz der ihm danach zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Tuns nicht zu gewinnen vermochte, war der Irrtum unüberwindlich, die Tat für ihn nicht vermeidbar. In diesem Falle kann ein Schuldvorwurf gegen ihn nicht erhoben werden. Wenn dagegen bei gehöriger Anspannung des Gewissens der Täter das Unrechtmäßige seines Tuns hätte erkennen können, schließt der Verbotsirrtum die Schuld nicht aus. Je nach dem Maß, in dem BGHSt 2, 194 (202):
es der Täter an der gehörigen Gewissensanspannung hat fehlen lassen, wird der Schuldvorwurf aber gemindert.
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Bewußtsein der Rechtswidrigkeit bedeutet überall weder die Kenntnis der Strafbarkeit, noch die Kenntnis der das Verbot enthaltenden gesetzlichen Vorschrift. Andererseits genügt es auch nicht, daß der Täter sich bewußt ist, sein Tun sei sittlich verwerflich. Vielmehr muß er, zwar nicht in rechtstechnischer Beurteilung, aber doch in einer seiner Gedankenwelt entsprechenden allgemeinen Wertung das Unrechtmäßige der Tat erkennen oder bei gehöriger Gewissensanspannung erkennen können.
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3. Der vom Reichsgericht übernommene und unbeirrt festgehaltene Satz, der Irrtum über das Strafgesetz schließe die Strafbarkeit nicht aus, führt demnach bei unverschuldetem Verbotsirrtum zur Bestrafung, obwohl ein Schuldvorwurf gegen den Täter nicht erhoben werden kann und damit zur Verletzung des unantastbaren Grundsatzes allen Strafens, daß Strafe Schuld voraussetzt.
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Als der Satz von der Unbeachtlichkeit des Strafrechtsirrtums Geltung erlangte, befürchteten seine Vertreter allerdings keineswegs, daß er die Möglichkeit eröffne, Strafe ohne Schuld zu verhängen. Man ging davon aus, daß ein Irrtum über das Strafgesetz dem Täter stets zur Schuld zuzurechnen sei, weil jedermann die den Strafgesetzen zugrunde liegenden Verbote und Gebote kenne oder doch kennen müsse. Nur bei außerstrafrechtlichen Rechtssätzen sei mit solch allgemeiner Kenntnis oder Möglichkeit der Kenntnis nicht zu rechnen.
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Für die große Menge der im Reichsstrafgesetzbuch unter Strafe gestellten Verbrechen mochte die Meinung, daß ein unverschuldeter Irrtum über das Verbot nicht wohl denkbar sei, in den politisch und sozial ausgeglichenen Zeiten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einige Berechtigung haben. In Zeiten dagegen, in denen das Gefüge des staatlichen und sozialen Lebens in seinen Grundfesten erschüttert oder geradezu umgestaltet wird, trifft dies nicht zu. Hier werden oft die richtunggebenden Werte durch das Erlebnis der Vergänglichkeit der auf ihnen beruhenden Ordnungen und durch die Ansprüche der um die Macht ringenden Gewalten verdunkelt. Was Recht und Unrecht ist, ist nicht mehr selbstverständlich. Damit eröff BGHSt 2, 194 (203):
net sich die Möglichkeit des Verbotsirrtums, und zwar auch des unverschuldeten.
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Für diejenigen Strafgesetze, die der Gesetzgeber sich gewöhnt hat den immer weiter greifenden verwaltungsrechtlichen Regelungen bestimmter Gebiete des sozialen Lebens anzufügen, um ihren Geboten oder Verboten größeren Nachdruck zu verleihen, traf die Vermutung, jedermann kenne das Strafgesetz, schon damals nicht und trifft sie heute noch weniger zu. Denn ihre Verbote beruhen vielfach nicht auf allgemeinen sittlichen Anschauungen, sondern auf Erwägungen sozialer oder rein staatlicher Zweckmäßigkeit. Die Zahl dieser "strafrechtlichen Nebengesetze" hat seit langem die Zahl der echten Kriminalgesetze um ein Vielfaches überschritten. Sie bieten der Möglichkeit des Verbotsirrtums somit ein weites Feld.
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Auch die Behandlung des außerstrafrechtlichen Rechtsirrtums gleich dem Tatbestandsirrtum nach § 59 StGB ist nicht geeignet, die ausnahmslose Geltung des Schuldgrundsatzes zu sichern. Denn für die entscheidende Frage, ob der Täter das Unrechtmäßige seines Tuns erkennen konnte, kann der Gegenstand des Irrtums nur mittelbar von Erheblichkeit sein, insofern eben ein Irrtum über "außerstrafrechtliche" Normen leichter unterlaufen wird als ein solcher über strafrechtliche Normen. Dazu kommt, daß die Unterscheidung sich logisch nicht durchführen läßt.
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Zwar hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts, wie auch ihre Gegner anerkennen, gleichwohl meist zu befriedigenden Ergebnissen geführt; doch ist dies vor allem dem Umstand zu verdanken, daß die logische Undurchführbarkeit jener Unterscheidung gestattete, die Entscheidung nach dem Rechtsgefühl zu treffen und mit der strafrechtlichen oder außerstrafrechtlichen Natur der verkannten Rechtsnorm zu begründen, je nachdem, ob nach dem Rechtsgefühl der Irrtum Beachtung verdiente oder nicht. Andererseits erweckte gerade deshalb die Kennzeichnung der verkannten Norm als strafrechtlich oder außerstrafrechtlich nicht selten den Anschein der Willkür, vermochte nicht zu überzeugen und gab zu heftigen Angriffen Veranlassung.
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Alle diese Mängel drängen dahin, die Rechtsprechung des Reichsgerichts aufzugeben und im Wege richterlicher Rechtsfindung diejenigen Rechtssätze zu ermitteln und anzuwenden, die BGHSt 2, 194 (204):
auch bei der Bestrafung vorsätzlicher Taten die Durchführung des Schuldgrundsatzes verbürgen und dem Wesen der Schuld gerecht werden. Dem steht nicht entgegen, daß der Gesetzgeber des Reichsstrafgesetzbuches davon ausgegangen ist, zur Schuld gehöre, soweit das Strafgesetz in Betracht komme, weder das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit noch die Möglichkeit dieses Bewußtseins, der Irrtum über das Strafgesetz sei deshalb unbeachtlich. Gesetzlichen Niederschlag hat diese Auffassung nicht gefunden. Die Vorschrift des § 59 StGB betrifft nur das Fehlen der Kenntnis der Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes. Die Schuldausschließungsgründe sind im gesetzten Recht nicht abschließend geregelt. Das Reichsgericht hat allerdings in dem Urteil RGSt 2, 268 [269] die gegenteilige Ansicht vertreten, indem es ausführte, der die Strafausschließungsgründe behandelnde Abschnitt 4 des allgemeinen Teils erschöpfe diese "Materie". Sie ist schon im Hinblick auf die Rechtfertigungsgründe ganz offensichtlich unrichtig, trifft aber auch für die Schuldausschließungsgründe (der Begriff ist dem Strafgesetzbuch fremd) nicht zu und ist vom Reichsgericht in der späteren Rechtsprechung nicht aufrechterhalten worden. Denn es hat ohne gesetzliche Regelung die Unzumutbarkeit der Schädigung eigener billigenswerter Interessen bei den Unterlassungsdelikten und bei den fahrlässigen Delikten als Schuldausschließungsgrund anerkannt.
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Befugnis und Verpflichtung der Rechtsprechung, neue den Schuldgrundsatz voll zur Geltung bringende Rechtssätze für die Behandlung des Verbotsirrtums zu entwickeln, stehen daher außer allem Zweifel.
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IV.
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1. Für die Behandlung von Taten, die mit Tatvorsatz, aber im Verbotsirrtum begangen sind, haben Rechtslehre und Schrifttum zwei Lösungen vorgeschlagen.
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Die eine verlangt als Voraussetzung für die Vorsatzstrafe neben dem Tatvorsatz das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. Dabei begreift sie die Kenntnis der Rechtswidrigkeit als einen der Kenntnis der Tatumstände gleichstehenden Bestandteil des Vorsatzes. Ihr Mangel schließt den Vorsatz aus und führt, falls BGHSt 2, 194 (205):
er nicht vermeidbar ist, zur Straflosigkeit, - falls er vermeidbar ist, trotz vorhandener Tatbestandskenntnis zur Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung, sofern diese mit Strafe bedroht ist, sonst ebenfalls zur Straflosigkeit. § 59 StGB wird also auf den Verbotsirrtum unmittelbar angewendet.
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Die andere läßt es für die Verhängung der Vorsatzstrafe genügen, daß der Täter erkennen konnte, daß das, was er zu tun im Begriff stand, Unrecht sei. Wer im verschuldeten Verbotsirrtum den Tatbestand eines vorsätzlichen Verbrechens verwirklicht, der ist wegen Begehung des vorsätzlichen Verbrechens zu bestrafen. Der Irrtum kann aber strafmildernd berücksichtigt werden. Wer mit voller Tatbestandskenntnis, aber in unverschuldetem Verbotsirrtum einen Verbrechenstatbestand verwirklicht, bleibt straffrei. Der Verbotsirrtum ist, falls unverschuldet, ein Schuldausschließungsgrund, - falls verschuldet, ein möglicher Schuldminderungsgrund. Er läßt den Tatvorsatz bestehen. Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit oder die Möglichkeit dieses Bewußtseins ist ein dem Vorsatz gegenüber selbständiges Schuldelement.
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Beide Lösungen haben sich in den Entwürfen zu einem allgemeinen deutschen Strafgesetzbuch seit 1919 abgewechselt. Die erste wurde vom Gesetzgeber in der Reichsabgabenordnung (§ 395) und in dem zur Zeit nicht mehr geltenden Devisengesetz von 1938 (§ 71 Abs 2) übernommen, die zweite ist in das Wirtschaftsstrafgesetz von 1949 (§ 31, jetzt § 26 a) und in das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten von 1952 (§ 12) eingegangen. Im Schrifttum hat in jüngster Zeit die zweite Lösung überwiegend Anerkennung gefunden. In der Rechtsprechung nach 1945 sind beide Lösungen vertreten worden.
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2. Die erste Lösung, für die sich im Schrifttum die Bezeichnung " Vorsatztheorie" eingebürgert hat, weil sie das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zum Bestandteil des Vorsatzes erhebt, scheint den Vorzug zu haben, von der Unterscheidung zwischen Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum absehen zu können, weil sie beide Irrtumsarten gleichmäßig nach § 59 StGB behandelt und demnach bei "fahrlässigem" Verbotsirrtum nur wegen fahrlässiger Tatbegehung und nur in demselben Umfange wie bei fahrlässiger Verkennung von Tatumständen straft. BGHSt 2, 194 (206):
Diesem Vorzug stehen aber gewichtige Nachteile gegenüber. Sie kann nur dann zur Vorsatzstrafe gelangen, wenn der Täter, sich im Augenblicke der Tatbestandsverwirklichung bewußt war, Unrecht zu tun. Das ist aber, wie die Erfahrung des täglichen Lebens lehrt, häufig nicht der Fall. Viele und gerade auch schwere Straftaten werden in starker Gemütserregung, in leidenschaftlicher Aufwallung oder in der schnellen Einwirkung des Augenblickes begangen. In diesem seelischen Zustande kommt dem Täter das ihm an sich bekannte Verbot oft nicht zum Bewußtsein, noch weniger ist er unter Umständen imstande, über die Frage, ob sein Tun Unrecht ist, nachzudenken. Gleichwohl ist der Schuldvorwurf begründet, weil er die zumutbare Gewissensanspannung unterlassen hat, die ihm das Unrecht der Tat ins Bewußtsein gebracht hätte, ehe er sich zu ihr entschloß. Es duldet ferner keinen Zweifel, daß der Gesetzgeber auch solche Taten mit der Vorsatzstrafe treffen will. Denn er bewertet die vorsätzliche Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs als Mord. Die vorsätzliche Tötung bleibt Totschlag auch, wenn der Täter von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist (§ 213 StGB). Will der Richter mit der Forderung der Vorsatztheorie ernst machen, so muß er, soweit nicht Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbestandsverwirklichung möglich ist, den Täter freisprechen. Will er dieses vom Gesetzgeber nicht gewollte und kriminalpolitisch unerträgliche Ergebnis vermeiden, so muß er die dem klaren seelischen (psychischen) Sachverhalt widersprechende Feststellung treffen, der Täter sei sich der Rechtswidrigkeit seiner Tat bewußt gewesen, als zu einer im Bereich der Schuld unzulässigen Unterstellung (Fiktion) greifen. Ebensowenig können der Überzeugungstäter und der zu sittlichen Regungen nicht mehr fähige abgestumpfte, aber gleichwohl im Sinne, des § 51 Abs 1 zurechnungsfähige Gewohnheitsverbrecher wegen vorsätzlicher Tatbegehung zur Verantwortung gezogen werden, weil sie beide von ihrer rechtsfeindlichen Grundhaltung aus gar nicht zum Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ihres Tuns zu gelangen vermögen. Deshalb ist hier eine Unterstellung des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit ausgeschlossen. Der der Vorsatztheorie folgende "Entwurf Gürtner" sah sich deshalb genötigt, vor BGHSt 2, 194 (207):
zuschreiben, daß der Täter sich auf seine der rechtlichen Ordnung zuwiderlaufende Wertung nicht berufen dürfe. Dementsprechend wird jetzt vorgeschlagen, den diesen Gruppen zugehörigen Täter, obgleich er mangels Bewußtseins der Rechtswidrigkeit nicht vorsätzlich handele, doch so zu behandeln, als ob er das Unrechtmäßige seiner Tat gekannt hätte, ihn also, obwohl er nach Auffassung der Vorsatztheorie nicht vorsätzlich gehandelt hat, wegen vorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung zu bestrafen. Eine solche Behandlung müßte, weil sie den von der Vorsatztheorie entwickelten Grundsätzen widerspricht, vom Gesetzgeber angeordnet werden. Der Richter könnte im Wege der Rechtsschöpfung nicht zu ihr gelangen.
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Ein weiterer Nachteil der von der Vorsatztheorie vorgeschlagenen Lösung liegt darin, daß die Bestrafung von vorsätzlichen Verbrechen, die in verschuldetem Verbotsirrtum begangen sind, auf diejenigen Straftaten beschränkt ist, die auch. bei fahrlässiger Begehung mit Strafe bedroht sind. Bei der großen Zahl der nur vorsätzlich begehbaren Verbrechen bedeutet dies eine kriminalpolitisch höchst unerwünschte und sachlich nicht gerechtfertigte Beschränkung der Strafbarkeit. Dem darin liegenden Mangel wollte der Entwurf Gürtner durch die Schaffung eines allgemeinen Tatbestandes der Rechtsfahrlässigkeit mit einem für alle in Frage kommenden Taten einheitlichen Strafrahmen begegnen. Sowohl eine solche Vorschrift wie auch die für die Fälle der Rechtsfeindschaft vorgesehene Regelung würde die Unterscheidung von Tatbestands- und Verbotsirrtum notwendig machen. Diese Unterscheidung überflüssig gemacht zu haben, sollte aber gerade ein bedeutender Vorzug der von der Vorsatztheorie dargebotenen Lösung sein.
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Da in den Fällen verschuldeten Verbotsirrtums die Strafe dem Strafrahmen der fahrlässigen Tat entnommen werden muß, kann der Grad der Schuld nicht immer hinreichend berücksichtigt werden. Bei geringfügiger Schuld wird der Strafrahmen in der Regel angemessene Bestrafung ermöglichen. Indessen vermindert der Verbotsirrtum die Schuld nicht immer derart, daß eine so niedrige Strafe angemessen wäre. Sie kann der Schuld der Tatbestandsverwirklichung im vollen Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gleichen oder doch nahe kommen. Dann ist BGHSt 2, 194 (208):
eine sich im Strafrahmen des vorsätzlichen Deliktes haltende Strafe am Platze.
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3. Die zweite Lösung, für die sich, im Schrifttum die Bezeichnung " Schuldtheorie" eingebürgert hat, weil sie den Vorsatz als Tatvorsatz und das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit als ein vom Vorsatz getrenntes selbständiges Schuldelement begreift, schließt ebenfalls bei unverschuldetem Verbotsirrtum die Strafbarkeit aus, vermeidet aber bei der Behandlung des verschuldeten Verbotsirrtums die Nachteile, die mit der von der Vorsatztheorie vorgeschlagenen Lösung verbunden sind. Sie macht die Bestrafung der im verschuldeten Verbotsirrtum begangenen vorsätzlichen Taten nicht von dem Vorhandensein einer Strafdrohung für die fahrlässige Tatbegehung abhängig. Der Richter braucht also keinen Strafwürdigen frei ausgehen zu lassen. Der Gesetzgeber wird nicht genötigt, einen Sammeltatbestand der Rechtsfahrlässigkeit zu schaffen. Sie ermöglicht es, vorsätzliche Taten als das zu bestrafen, was sie sind, nämlich als vorsätzliche Taten, ohne den Richter zu nötigen, den Schuldspruch auf die Unterstellung des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit zu gründen. Der Schuldspruch bleibt daher im Einklang mit dem Schuldvorwurf. Denn der Gegenstand des Vorwurfes ist bei den im verschuldeten Verbotsirrtum begangenen vorsätzlichen Verbrechen auch und zunächst der bewußt auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete und deshalb rechtswidrige Handlungswille, bei den fahrlässigen Verbrechen dagegen nur das Außerachtlassen der bei Betätigung im sozialen Leben gebotenen Sorgfalt. Die Lösung der Schuldtheorie ermöglicht es ferner, die Strafe dem jeweiligen Grade der Schuld anzupassen, indem sie es dem Richter gestattet, je nach der Gestaltung des einzelnen Falles den Verbotsirrtum schuldmindernd zu berücksichtigen. Die Fälle der Rechtsblindheit bedürfen nicht - wie bei der Lösung der Vorsatztheorie - einer dem Grundsatz widersprechenden Ausnahmebehandlung, also keiner besonderen gesetzlichen Regelung. Sie stellen eine Spielart des verschuldeten Verbotsirrtums dar. Die Schuld des Überzeugungstäters liegt darin, daß er bewußt an die Stelle der Wertordnung der Gemeinschaft seine eigene setzt und von dieser her im Einzelfalle falsch wertet. Der abgestumpfte Gewohnheitsverbrecher hat BGHSt 2, 194 (209):
durch strafbare Lebensführung die Ansprechbarkeit durch sittliche Werte und damit die Fähigkeit eingebüßt, durch Gewissensanspannung zur Unrechtserkenntnis zu gelangen. Seine Schuld ist Lebensführungsschuld.
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V.
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1. Somit führt nur die Schuldtheorie ohne Schwierigkeiten und Widersprüche zur allseitigen sachgemäßen Anwendung der aus dem Wesen der Schuld sich zwingend - vor aller gesetzlicher Normierung - ergebenden Rechtssätze, daß die wissentliche und willentliche Verwirklichung der tatbestandsmäßigen rechtswidrigen Tat dem Täter zur Schuld zuzurechnen ist, wenn er das Unrecht dieser Tatbestandsverwirklichung kannte oder bei der ihm zuzumutenden Anspannung des Gewissens hätte kennen können und sich trotzdem in Freiheit zu ihr entschloß, und daß der Verbotsirrtum, wenn er unüberwindlich ist, die Schuld ausschließt - wenn er überwindlich ist, sie mindert, aber den Tatvorsatz nicht beseitigt. Ihre Lösung ist demnach im Vergleich zu derjenigen der Vorsatztheorie die bessere. Diese Erkenntnis hat den Gesetzgeber folgerichtig veranlaßt, sie im Wirtschaftsstrafgesetz und im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten zu übernehmen, und muß den Richter veranlassen, ihr auch im allgemeinen Strafrecht, für das eine gesetzliche Regelung fehlt, den Vorzug zu geben. Hierzu bedarf es keines Eingreifens des Gesetzgebers, weil diese Rechtssätze sich aus dem Wesen der Schuld ergeben und deshalb im allgemeinen Strafrecht ebenfalls anzuwenden sind.
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2. Für die Strafbarkeit der im Verbotsirrtum begangenen Tat ist die Frage entscheidend, inwieweit Gewissensanspannung zumutbar ist; diese Frage ist insofern eine Rechtsfrage, als sie Inhalt und Umfang einer Rechtspflicht betrifft, und unterliegt in diesem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht.
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3. Verschuldeter Verbotsirrtum kann den Schuldvorwurf mindern, muß ihn aber nicht unter allen Umständen mindern. Nur soweit er ihn im Einzelfalle wirklich mindert, ist entsprechende Strafmilderung geboten. Die Entscheidung, ob und wieweit Strafmilderung einzutreten hat, gehört zur Strafzumessung und liegt daher dem Tatrichter ob. Er würde den Grad der Schuld BGHSt 2, 194 (210):
nicht immer hinreichend berücksichtigen können, wenn er an den ordentlichen Strafrahmen gebunden wäre. Soweit das Gesetz für minder schwere Fälle oder bei mildernden Umständen einen herabgesetzten Strafrahmen zur Verfügung stellt, könnte er die Strafe allerdings diesem entnehmen. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Möglichkeit der Strafmilderung immer ausreichen würde. Für viele vorsätzliche Taten ist ein solcher herabgesetzter Strafrahmen nicht vorgesehen. Um auch in besonders leichten Fällen des verschuldeten Verbotsirrtums schuldangemessen zu bestrafen, muß deshalb zugunsten des Betroffenen unter die angedrohte Mindeststrafe heruntergegangen werden können.
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Es fragt sich nun, ob das Maß der Strafmilderung nach unten nicht begrenzt, also ganz dem Ermessen des Richters anheimgestellt, oder aber durch Anwendung des in § 44 Abs 2 und 3 StGB enthaltenen Schlüssels auf den für die jeweilige Tat vorgesehenen Strafrahmen abgestimmt werden soll. Das Wirtschaftsstrafgesetz und das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gehen den ersten Weg. Er war für beide Gesetze vorgezeichnet, weil sie über der Mindeststrafe der angedrohten Strafart liegende erhöhte Mindeststrafen nicht kennen. Beide Gesetze übertragen die Strafzumessung im weitesten Umfange dem Richter. Für die meisten Wirtschaftsstraftaten ist Gefängnisstrafe und Geldstrafe wahlweise angedroht. Auch die in § 25 WiStG für schwere Fälle vorgesehene Zuchthausstrafe ist nicht zwingend vorgeschrieben. Im Strafgesetzbuch und in vielen Nebengesetzen sind dagegen die Strafrahmen nach der Schwere der Tat abgestuft. Häufig liegt die gesetzliche Mindeststrafe - zuweilen nicht unerheblich - über dem zulässigen Mindestmaß der angedrohten Strafart. Diesem in der Strafgesetzgebung herrschenden Aufbau der Strafrahmen entspricht es, für allgemeine Strafmilderungsgründe den Strafrahmen der einzelnen Tat nach einem festen Schlüssel zu ermäßigen. So ist der Gesetzgeber bei dem Versuch, der Beihilfe, der erfolglosen Anstiftung des § 49 Abs 1 und 2 und der verminderten Zurechnungsfähigkeit verfahren. Gänzlich in das Ermessen des Gerichts stellt er die Strafmilderung folgerichtig nur dort, wo er gleichzeitig gestattet, ganz von Strafe abzusehen. Nichts anderes kann für den allgemeinen Strafmilderungsgrund des verschuldeten Verbotsirrtums gelten. BGHSt 2, 194 (211):
Die Regelung des § 31 (26a) WiStG, die es dem Richter gestattet, bis auf die niedrigste Geldstrafe herunterzugehen, und dort wegen des Verzichtes auf abgestufte Strafrahmen sachlich geboten ist, würde im Bereich des allgemeinen Strafrechts eine Abweichung von dem daselbst herrschenden gesetzlichen Aufbau der sog. relativ bestimmten Strafdrohungen bedeuten. Eine solche Abweichung müßte vom Gesetzgeber angeordnet werden. Nach geltendem Recht kann deshalb bei verschuldetem Verbotsirrtum die Strafe nur nach den in § 44 Abs 2 und 3 StGB aufgestellten Grundsätzen ermäßigt werden, sofern im Hinblick auf verminderte Schuld eine so weitgehende Ermäßigung gerechtfertigt ist. Sie werden in allen Fällen eine schuldangemessene Bestrafung ermöglichen.
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4. Den Fall, daß der Täter sein Verhalten für rechtmäßig hält, weil er irrtümlich einen rechtfertigenden Tatbestand für gegeben erachtet (zB vermeintliche Notwehr), hat das Reichsgericht stets als Tatirrtum nach § 59 StGB behandelt. Das hat nahezu einhellige Billigung in Rechtslehre und Schrifttum gefunden. Erst in neuester Zeit gewinnt die Ansicht Anhänger, es handle sich hier um einen Verbotsirrtum, so daß der Täter wegen vorsätzlicher Tatbegehung zu bestrafen sei. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß, zu der Frage ausdrücklich Stellung zu nehmen. Doch läßt sich nicht verkennen, daß der Täter sich hier anders als bei dem bisher behandelten Verbotsirrtum zunächst einen tatsächlichen Sachverhalt bestimmter Art vorstellt und daß erst auf Grund dieser tatsächlichen Vorstellung sich die Wertungsfragen erheben können.
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VI.
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Die dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegten Rechtsfragen sind deshalb, wie folgt zu entscheiden:
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Bei § 240 StGB muß der Täter die Tatumstände des § 240 Abs 1 StGB, zu denen die Rechtswidrigkeit nicht gehört, kennen und außerdem das Bewußtsein haben oder bei gehöriger Anspannung des Gewissens haben können, mit der Nötigung Unrecht zu tun.
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Diese Entscheidung entspricht dem Antrage des Oberbundesanwalts und in fast allen wesentlichen Punkten auch seiner Be BGHSt 2, 194 (212):
gründung. Der Oberbundesanwalt hat jedoch die Ansicht vertreten, daß bei verschuldetem Verbotsirrtum die Strafe nur in den Grenzen des ordentlichen Strafrahmens gemildert werden dürfe.
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