BGHSt 41, 292 - Spionage durch frühere MfS-Mitarbeiter


BGHSt 41, 292 (292):

Zur Verfolgbarkeit von MfS-Mitarbeitern der DDR (hier: des Leiters der Hauptverwaltung Aufklärung Markus Wolf) nach der Vereinigung Deutschlands wegen ihrer zuvor gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Spionagetätigkeit (teilweise Aufgabe von BGHSt 39, 260).
StPO § 264; StGB §§ 98, 99
3. Strafsenat
 
Urteil
vom 18. Oktober 1995 g.W.
- 3 StR 324/94 -
Oberlandesgericht Düsseldorf
 
Gründe:
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Landesverrats in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit Bestechung von insgesamt sieben Personen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte

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die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Der Angeklagte begann seine nachrichtendienstliche Tätigkeit am 1. September 1951 als Leiter des für Auslandsaufklärung tätigen "Instituts für wirtschafts-wissenschaftliche Forschung", das zunächst dem Außenministerium der DDR unterstand, im September 1953 als Hauptabteilung XV in das "Staatssekretariat für Staatssicherheit" des Ministeriums des Inneren eingegliedert und im Juni 1965 nach Wiedererrichtung des Ministeriums für Staatssicherheit in dieses als "Hauptabteilung Aufklärung" (HVA) übernommen wurde. Bis zu seiner förmlichen Verabschiedung am 12. November 1986 blieb der Angeklagte ihr verantwortlicher Leiter, ab 1980 im Rang eines Generalobersten. Als Leiter der HVA war er zugleich einer der Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit. Im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit beging der Angeklagte die abgeurteilten Straftaten.
I.
Auf den von der Revision geltend gemachten verfassungsrechtlichen Einwand gegen die Strafverfolgung, das Fehlen der Verfahrensvoraussetzung der zulässigen öffentlichen Klage im Fall R. sowie auf die darüber hinaus erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an, weil das Urteil aufgrund der Sachrüge aufzuheben ist.
II.
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten in den Fällen G., Sp. und R. verurteilt, weil er an dem Verrat von Staatsgeheimnissen im Sinne des § 93 StGB mitgewirkt und dadurch jeweils die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt hat (§ 94 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Hinter diesen Verbrechen treten die Vergehen der landesverräterischen (§ 98 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1 StGB) zurück, die der Angeklagte in dem Zeitraum vom März 1955 (Fall T.) bis Ende 1986/Anfang 1987 (Fall B.) begangen hat.
1. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Mai 1995 (NJW 1995, 1811) kann der Angeklagte nur verurteilt werden, soweit festgestellt werden kann, daß ein von Verfassungs wegen bestehendes Verfolgungshindernis nicht besteht. Insoweit gibt der Senat seine entgegenstehende Auffas

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sung in BGHSt 39, 260 auf. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt (NJW a.a.O. S. 1816):
    "Aus dem Übergewicht der Gründe, die gegen eine weitere strafrechtliche Verfolgung derjenigen Personen sprechen, die als Staatsbürger der DDR Spionagestraftaten gegen die Bundesrepublik Deutschland oder deren Verbündete allein vom Boden der DDR aus begangen haben und im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Einheit Deutschlands dort ihren Lebensmittelpunkt hatten, ergibt sich unmittelbar von Verfassungs wegen ein Verfolgungshindernis. Es kommt allen Angehörigen dieser Gruppe zugute: Das Ergebnis der Abwägung des Interesses an der Verwirklichung des bestehenden Strafanspruchs mit jenen Bedingungen, die bei ihnen in gleicher Weise der Strafverfolgung in ihrem Zusammenwirken eine besondere Schärfe verleihen, trifft für jeden dieser Täter gleichermaßen zu und läßt insoweit keinen Raum mehr für eine Wertung und Gewichtung von besonderen Umständen des Einzelfalles.
    Dieselben Gründe gelten darüber hinaus für Bürger der DDR, die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung ihren Lebensmittelpunkt in der DDR hatten, wenn sie Spionagestraftaten gegen die Bundesrepublik Deutschland nicht ausschließlich vom Boden der DDR aus, sondern auch in anderen Staaten begangen haben, in denen sie vor Strafverfolgung wegen solcher Taten aus Rechtsgründen sicher waren und diese Sicherheit auch für sie erst durch die Wiedervereinigung entfallen ist. Das trifft für die Fälle zu, in denen der jeweilige Staat Verdächtige, denen Spionagetaten gegen einen fremden Staat vorgeworfen werden, nicht an diesen ausliefert und auch nicht nach seinem eigenen Strafrecht Spionagetaten bestraft, die auf seinem Boden gegen die Bundesrepublik Deutschland begangen werden. Mußten die Täter hingegen mit ihrer Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland und infolgedessen auch mit ihrer Bestrafung wegen der gesamten gegen diese gerichteten Spionagetätigkeit rechnen, so treffen die Gründe, auf denen das Strafverfolgungshindernis beruht, für sie insgesamt nicht zu. Im übrigen stehen die genannten Gründe einer Strafverfolgung nur insoweit nicht entgegen, als der dritte Staat die

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    Spionagetätigkeit dieser Personen selbst mit Strafe bedroht; wegen einer anderweitig - etwa vom Boden der DDR aus - gegen die Bundesrepublik Deutschland betriebenen Spionagetätigkeit greifen die Gründe für das Verfolgungshindernis auch bei dieser Fallkonstellation durch, weil die Täter insoweit vor Strafverfolgung sicher sein konnten."
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hat der Angeklagte seine gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Spionage sowohl vom Boden der DDR als auch in einigen Fällen von anderen Staaten aus geleitet und organisiert (Österreich Sommer 1975; Schweden Juli 1978; Jugoslawien September 1975 und Sommer 1976; Ungarn März 1963). Ob der Angeklagte darüber hinaus noch von weiteren Staaten aus gehandelt hat, hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt. Aus seiner Sicht kam es im Zeitpunkt seiner Entscheidung darauf nicht an. Der Senat kann nicht ausschließen, daß insoweit noch weitere Feststellungen getroffen werden können. Bei mehreren Agententreffs wird im Urteil nur mitgeteilt, daß sie stattgefunden haben, ohne daß - im Gegensatz zu anderen Treffs - eine Ortsangabe erfolgt. Die neuen Feststellungen können zum einen dazu führen, daß weitere spionagebedingte Auslandsaufenthalte des Angeklagten - auch, soweit es den Vorwurf des Landesverrats betrifft - nachgewiesen werden. Zum anderen werden sie belegen müssen, ob - was eher fernliegt - ein Drittstaat den Angeklagten wegen seiner Agententätigkeit an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert hätte oder ob sich der Angeklagte in einem oder mehreren Staaten nach dem dort geltenden Strafrecht strafbar gemacht hat. Von solchen Feststellungen hängt es ab, ob und gegebenenfalls inwieweit das zugunsten von Geheimdienstmitarbeitern der DDR bestehende verfassungsrechtliche Verfolgungshindernis eingreift. Die angefochtene Verurteilung ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Von der Aufrechterhaltung der zur Spionage getroffenen Feststellungen hat der Senat abgesehen, um im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze eine neue tatrichterliche Beurteilung zu ermöglichen. In gleicher Weise ist das Bundesverfassungsgericht bei der Entscheidung über Verfas

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sungsbeschwerden von früheren Geheimdienstmitarbeitern der DDR verfahren (vgl. a.a.O. S. 1817; Kammerbeschlüsse vom 16. Juni 1995 - 2 BvR 204/94 - und vom 26. Mai 1995 - 2 BvR 1724/93 und 2 BvR 1130/94).
2. Entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts waren auch die zum Entführungsfall T. getroffenen Feststellungen aufzuheben; diese sind vom Oberlandesgericht nicht zum Zwecke der Aburteilung einer Freiheitsberaubung, einer Nötigung, einer Erpressung, eines Menschenhandels, einer Verschleppung oder eines ähnlichen Delikts, sondern zum Zwecke der Aburteilung einer geheimdienstlichen Agententätigkeit getroffen worden. Sie sind dem Abschnitt der Urteilsgründe "Das strafbare Verhalten des Angeklagten im einzelnen" vorangestellt und mit "Praktiken der HVA" überschrieben. An die Aufklärung solcher Handlungen zum Zwecke der Erhellung des Tathintergrunds und zur Beschreibung des Tatumfelds oder des Randgeschehens werden nicht immer die gleichen strengen Anforderungen gestellt, wie sie hinsichtlich der Tat geboten sind, die dem Schuldspruch zugrunde gelegt werden soll. Schon deshalb können die Feststellungen zur Entführung von Ch. T. - ebenso wie die zur Nötigung von H. L. und zur Freiheitsberaubung von G. A. - nicht bestehen bleiben, um sie in der neuen Hauptverhandlung zur Grundlage eines entsprechenden Schuldspruchs zu machen.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß die Entführung von Ch. T. nicht Gegenstand der gegen den Angeklagten erhobenen Anklage ist, so daß es zur Aburteilung dieser - nach dem StGB verjährten, aber möglicherweise nach dem StGB-DDR noch verfolgbaren - Tat einer neuen Anklage bedarf. Festgestellt hat das Oberlandesgericht insoweit folgendes:
Anfang 1955 wurde in der Hauptabteilung XV des "Staatssekretariats für Staatssicherheit" (SfS) der Plan entwickelt, die in der Ostabteilung der US-High-Commission in Westberlin als Sekretärin und Dolmetscherin tätige Ch. T. als Agentin für das SfS anzuwerben. Ein detailliert ausgearbeiteter Plan, der vorsah, daß Frau T. mit List, notfalls mit Gewalt, in den Ostsektor Berlins gebracht und dort unter Zusicherung einer großzügigen Ver

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gütung zur nachrichtendienstlichen Tätigkeit für das SfS verpflichtet, oder bei Ablehnung unter Androhung ihrer Verhaftung genötigt werden sollte, wurde dem Angeklagten als Leiter der Hauptabteilung zugeleitet und von diesem am 31. März 1955 mit Änderungen schriftlich gebilligt. Der Plan, dessen Verwirklichung ursprünglich für den 2. April 1955 vorgesehen war, wurde erst - mit weiteren Änderungen - am 16. Juni 1955 durchgeführt. Den Grundzügen dieser Planung entsprechend wurden die Zeugin T. und - abweichend von dem Plan - ihre Mutter unter Vorspiegelung einer Einladung zum Abendessen von einem Mitarbeiter des SfS, der ihr Vertrauen erschlichen hatte, mit einem von einem Chauffeur gesteuerten "Firmen- Pkw" abgeholt und in den Ostsektor entführt. Man verlangte von ihr, Kopien der von der High-Commission monatlich erstellten Berichte zu liefern. Als die Zeugin eine nachrichtendienstliche Tätigkeit für das SfS ablehnte, wurde ihr mit der Tötung ihrer Mutter gedroht. Daraufhin ging Frau T. zum Schein auf das ihr gemachte Angebot ein, lieferte jedoch in der Folgezeit, nachdem sie sich bereits am folgenden Tag ihrem Vorgesetzten gegenüber offenbart hatte, keine Berichte.
Die Entführung von Frau T. und ihrer Mutter im Juni 1955 und die angeklagte Spionagetätigkeit des Angeklagten bilden nicht dieselbe Tat (§ 264 StPO). Der verfahrensrechtliche Tatbegriff umfaßt den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (BGHSt 35, 60, 61; 32, 215, 216 m.w.N.). Den Rahmen der Untersuchung bildet also zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt. Unter diesem Gesichtspunkt ist wesentlich, daß in dem Anklagesatz zwar die Billigung des Operativplans T. durch den Angeklagten in einem über eine bloße Erwähnung zum besseren Verständnis oder sonstigem strafrechtlichen Hintergrund hinausgehenden Sinne (vgl. BGHSt 13, 21, 25; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 42. Aufl. § 264 Rdn. 3) dargestellt wird. Auf die darin liegende geheimdienstliche Agententätigkeit bezog sich auch der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft (vgl. BGHSt 16, 200; Hürxthal in KK 3. Aufl. § 264 Rdn. 9). Daß er sich dagegen nicht auf das später stattgefundene Entführungs

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geschehen erstreckte, folgt daraus, daß es im Anklagesatz weder geschildert wird noch insoweit die gesetzlichen Merkmale dieser Straftat und die auf sie anzuwendenden Strafvorschriften bezeichnet sind und sich zudem aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ergibt, daß der Staatsanwaltschaft im Zeitpunkt der Anklageerhebung (September 1992) noch nicht bekannt war, ob die Entführung überhaupt stattgefunden hatte. Auch während der Hauptverhandlung, als sich durch die Vernehmung der Zeugin T. das tatsächliche Geschehen herausstellte, wurde kein Verfolgungswille - etwa durch Erhebung einer Nachtragsanklage oder Beantragung eines Hinweises nach § 265 StPO, wie es im abgeurteilten Verratsfall R. geschehen ist - insoweit erkennbar. Vielmehr gingen Bundesanwaltschaft und Oberlandesgericht davon aus, daß insoweit nach dem Strafrecht der Bundesrepublik Verjährung eingetreten sei; ein sich auf die über die Spionagetätigkeit des Angeklagten hinausgehende Entführung beziehender Verfolgungswille des Generalbundesanwalts wurde erstmalig während des Revisionsverfahrens in dessen Antragsschrift vom 12. Juli 1995 deutlich.
Aus alledem folgt, daß der im Anklagesatz erwähnte Operativplan T. nur insoweit aus der Sicht der Anklagebehörde Verfahrensgegenstand sein sollte, als in ihm strafwürdiges Unrecht unter dem Gesichtspunkt einer geheimdienstlichen oder landesverräterischen Agententätigkeit zum Ausdruck kommt.
Diese Begrenzung unter dem Blickwinkel des § 264 StPO würde freilich als solche nicht ausreichen; denn die Tat als Prozeßgegenstand ist nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten dort zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört zu ihr das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet (BGHSt 13, 320; st. Rspr.). Ist nach diesen Maßstäben ein einheitlicher Vorgang gegeben, so sind die Einzelgeschehnisse, aus denen er sich zusammensetzt, auch insoweit Bestandteil der angeklagten Tat, als sie keine Erwähnung in der Anklage finden (BGHSt 32, 215, 216).
So liegt es hier aber nicht. Allerdings war die Billigung des Operativplans durch den Angeklagten Voraussetzung dafür,

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daß später die Entführung stattfinden konnte; auch wäre sie isoliert betrachtet eine - straflose - Vorbereitungshandlung zu einem Freiheitsberaubungsdelikt im weitesten Sinne (und nicht zu einem Menschenhandel nach § 132 StGB-DDR, denn diese Vorschrift ist erst später in Kraft getreten). Im Hinblick auf das tatsächlich erfolgte Entführungsgeschehen könnte vorbehaltlich näherer Feststellungen in ihr auch der im Vorbereitungsstadium geleistete Tatbeitrag des Angeklagten zu einem solchen Delikt liegen.
Gleichwohl vermag die im Anklagesatz erwähnte Abzeichnung des Operativplans durch den Angeklagten nicht eine verfahrensrechtliche Tat mit der im Anklagesatz nicht erwähnten und später durchgeführten Entführung zu begründen. Denn eine - nach dem Tatort-StGB straflose - Vorbereitungshandlung zu einer Freiheitsberaubung, die lediglich unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der - in der Bundesrepublik strafbaren - jahrzehntelang ausgeübten Spionagetätigkeit strafrechtlich relevant sein kann, stellt jedenfalls dann nicht dieselbe Tat wie die Freiheitsberaubung dar, wenn diese erst Monate später ins Werk gesetzt wird und zwischen Planung und Ausführung eine deutliche Zäsur besteht.
Im Tatsächlichen ist bereits unklar, warum die terminlich schon festgesetzte Durchführung des Planes um zweieinhalb Monate verschoben wurde und ob die Entführung mit der Billigung definitiv beschlossen war oder ob von ihrer Durchführung bei Hinzutreten weiterer Umstände Abstand hätte genommen werden sollen; der eigentliche Tatentschluß also erst später gefaßt werden sollte (vgl. BGHSt 36, 151, 153, 154; BGH, Beschl. vom 30. Juni 1982 - 3 StR 44/82). Zwischen der Bestätigung des Plans und seiner Verwirklichung lag eine deutliche zeitliche Zäsur. Überdies unterschieden sich neben im Urteil näher dargelegten Punkten Plan und Durchführung wesentlich dadurch, daß nun auch noch die Mutter der Zeugin T. nach Ostberlin verschleppt wurde und das MfS die Mutter als zusätzliches Druckmittel gegen die Zeugin eingesetzt hat.
Von unterschiedlichem Gewicht und unterschiedlicher Art der Gefährlichkeit der Bedrohung sind auch die geschützten Rechtsgüter: nämlich die äußere Sicherheit der Bundesrepublik

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Deutschland auf der einen Seite und die persönliche Freiheit und körperliche Unversehrtheit der Zeugin T. und ihrer Mutter auf der anderen Seite. Im Gegensatz zu den "typischen" Begleitdelikten einer Spionagetätigkeit wie zum Beispiel Bestechung und Urkundenfälschung, die zur Durchführung der Spionagetätigkeit begangen werden, kommt einer Entführung aus West nach Ostberlin schon deshalb eine damit nicht vergleichbare, sondern darüber hinausreichende strafrechtliche Unrechtsbedeutung bei, weil es sich dabei um eine Gewalt- und Willkürmaßnahme handelt, für die kennzeichnend ist, daß mit dem Opfer nach den Zwecken und Vorstellungen des fremden Regimes verfahren wird, ohne daß sich dieses an die Grundsätze der Gerechtigkeit und Menschlichkeit hält (vgl. BGHSt 30, 1, 2; 1, 391 f.; Eser in Schönke/Schröder, StGB 47. Aufl. § 234 a Rdn. 12 m.w.N.). Deshalb bedroht das Strafgesetzbuch eine solche Handlung in § 234 a als Verbrechen mit Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren. Die Strafklage wegen eines solchen schwerwiegenden Delikts würde nicht dadurch verbraucht, daß der Angeklagte wegen der ihm in der Anklage als eine Tat zur Last gelegten mehr als 30 Jahre währenden Spionagetätigkeit verurteilt würde.
Aus alledem folgt, daß die innere Verknüpfung der Operativplanung und der zweieinhalb Monate später erfolgten Entführung nicht so ist, daß ihre getrennte Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde. Vielmehr verlangen auch hier die natürliche Betrachtung und der Grundsatz gerechter Gesetzesanwendung (BVerfGE 56, 22, 33, 34; BGHSt 23, 141, 148 f.) eine getrennte Würdigung und Aburteilung.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß sich der Angeklagte, soweit ihm wegen der Billigung des Entführungsplans T. geheimdienstliche Agententätigkeit vorgeworfen wird, entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht nach der Vorschrift des § 100 e StGB a.F. strafbar gemacht hat. Diese durch das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 (BGBl. I 739) eingeführte Vorschrift galt zwar im Tatzeitraum auch in Westberlin, nachdem das Land Berlin gemäß Artikel 87 Abs. 2 seiner Verfassung mit Wirkung vom

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11. November 1952 die Anwendung dieses Gesetzes in Berlin beschlossen hatte (Art. 1 des Gesetzes zur Übernahme des Strafrechtsänderungsgesetzes vom 30. Oktober 1952). Sie stellte aber nur eine gegen die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gerichtete Spionagetätigkeit unter Strafdrohung. Ziel der nachrichtendienstlichen Anbahnung war aber die Erlangung von Kopien der monatlich erstellten Berichte der US-High-Commission; es handelte sich also - weitere Feststellungen dazu sind nicht getroffen - um eine gegen die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtete, nach § 100 e StGB a.F. straflose Spionagetätigkeit. Art. 7 des 4. Strafrechtsänderungsgesetzes greift ebenfalls nicht ein, dieses Gesetz trat erst später in Kraft.
III.
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Bestechung in sieben Fällen gemäß § 334 StGB verurteilt, weil er in der Zeit von Anfang der siebziger Jahre bis 1986 sieben Amtsträger bzw. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete für ihre gegen die Dienstpflichten verstoßende Verratstätigkeit - insbesondere durch Bestätigung des jährlichen Valuta-Dienstleistungsplans - mit insgesamt 1 122 700 DM fortlaufend entlohnt und zum Teil mit Sonderzahlungen bedacht hat. Auch diese Verurteilung kann nicht bestehen bleiben.
Insoweit liegt allerdings ein verfassungsrechtliches Strafverfolgungshindernis nicht vor. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das seine Ausführungen auf "die hier allein zu beurteilenden Tatbestände der §§ 94, 99 StGB" beschränkt. Es folgt aber aus der Anwendung der Grundsätze dieser Entscheidung, die sich auf den Vorlagebeschluß des Kammergerichts und auf drei Verfassungsbeschwerden bezog, in denen neben Spionagestraftaten auch Bestechungsdelikte Gegenstand des Anklagevorwurfs oder der Verurteilung waren. Ausdrücklich erklärt das Bundesverfassungsgericht "andere aus Anlaß der oder im Zusammenhang mit der Spionagetätigkeit verwirklichte eigenständige Straftatbestände blieben unberührt" (BVerfG NJW 1995, 1811, 1815). Diese Straftaten weisen nicht die der Strafbarkeit der Spionage eigene Besonderheit aus: sie besteht darin, daß im Gegensatz zu anderen strafrechtlichen Handlungen, die einem ethischen Minimum widersprechen, Spionagehandlungen

BGHSt 41, 292 (302):

"rechtlich ambivalent" sind (BVerfG a.a.O. S. 1815), weil sie der Staat, der sie mit Strafe bedroht, gegen den spionierenden Staat selbst organisiert und organisieren darf. Allein diese Eigentümlichkeit führt im Hinblick auf die durch die Wiedervereinigung entstandene außergewöhnliche Situation zur Annahme des verfassungsrechtlichen Verfolgungshindernisses. Eine solche Besonderheit weisen die einem allgemeinen sozialethischen Unwerturteil unterliegenden Bestechungsdelikte nicht auf. Zwischen ihnen und den Spionagestraftaten besteht auch kein so enger tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang, als daß ein unabweisbares Bedürfnis bestünde, sie an dem erwähnten Verfolgungshindernis teilhaben zu lassen.
Die Verurteilung wegen Bestechung ist jedoch aufzuheben, weil die tateinheitlichen Verurteilungen wegen Landesverrats entfallen (vgl. Pikart in KK 3. Aufl. § 353 Rdn. 12). Im übrigen hat das Oberlandesgericht die Konkurrenzverhältnisse der einzelnen Bestechungsakte rechtsfehlerhaft beurteilt, so daß auch die zugrunde liegenden Feststellungen nicht bestehen bleiben können. Es hat sieben fortgesetzte Bestechungen angenommen, die untereinander zur Tateinheit verbunden sind. Diese Beurteilung ist nach der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs für Strafsachen vom 3. Mai 1994 (BGHSt 40, 138) nicht mehr möglich. Danach kommt eine Verbindung mehrerer Bestechungshandlungen zu einer fortgesetzten Handlung nicht in Betracht. Das hat der Bundesgerichtshof zum Tatbestand der (Angestellten-)Bestechlichkeit bereits entschieden (vgl. BGH NStZ 1995, 92). Die Erwägungen dieser Entscheidung sind auf die Bestechung nach § 334 StGB übertragbar. Jede Tathandlung ist also grundsätzlich eine rechtlich selbständige Straftat. Eine tatbestandliche Handlungseinheit liegt jedoch vor, wenn die Entlohnung auf eine Unrechtsvereinbarung zurückgeht, die den zu leistenden Vorteil genau festlegt, mag er auch in bestimmten Teilleistungen zu erbringen sein. Anders ist es hingegen, wenn die zu gewährende Entlohnung von der zukünftigen Entwicklung abhängt, insbesondere, wenn die Vorteilsgewährung "open-end" Charakter trägt. Jedenfalls dann hat die Vorteilsgewährung zu großes, selbständiges Gewicht, als daß sie zusammen mit der Unrechtsabrede nur

BGHSt 41, 292 (303):

eine Tat bilden kann. Jede Bestechungshandlung unterliegt nunmehr einer selbständigen Verjährung. Dies im einzelnen zu prüfen, ist Sache des neu entscheidenden Tatrichters.