BGHSt 45, 249 - Ungeladene Pistole als Drohmittel beim Raub


BGHSt 45, 249 (249):

Setzt der Täter beim schweren Raub zur Drohung gegenüber dem Opfer eine ungeladene Pistole ein und führt er das zugehörige, aufmunitionierte Magazin in seiner Jackentasche bei sich, so verwendet er damit kein objektiv gefährliches Tatmittel im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB.
StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 F: 26. Januar 1998
1. Strafsenat
 
Urteil
vom 20. Oktober 1999 g.H.
- 1 StR 429/99 -
Landgericht Regensburg
 
Aus den Gründen:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Angeklagte wendet sich gegen dieses Urteil mit seinem auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel. Die Revision hat lediglich zum Strafausspruch Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfiel der Angeklagte eine Agentur. Er richtete eine nicht geladene Gaspistole, Kaliber 9 mm, bei der das Gas nach vorne austritt, in Magenhöhe und in einem Abstand von etwa 60 cm auf die dort anwesende Ehefrau des Inhabers und verlangte Geld. Ein mit sieben CS-Gaspatronen geladenes Magazin trug er in seiner Jackentasche bei sich. Infolge der Gegenwehr der Geschädigten kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, in

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deren Verlauf der Angeklagte dieser auch mit der "rechten Faust, in der er die Pistole hielt, derart gegen die Brust" stieß, daß diese hingeschleudert wurde. Der Angeklagte ergriff eine geschlossene, aber nicht verschlossene Geldkassette, in der er Geld oder andere Wertgegenstände vermutete, und flüchtete. Die Geschädigte erlitt eine blutende Verletzung am Ohr sowie Prellungen.
2. Nach der Auffassung des Landgerichts hat der Angeklagte damit auch den Tatbestand des schweren Raubes gemäß §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 6. StrRG verwirklicht, da er eine Waffe verwendet habe. Die erforderliche Gefährlichkeit der Waffe sei auch dann anzunehmen, wenn die dem Opfer vorgehaltene Gaspistole zwar nicht geladen sei, der Täter aber Gasmunition für diese Waffe in dem zur Pistole gehörigen Magazin einsatzbereit mit sich führe und damit jederzeit zum Einsatz bringen könne.
II.
Diese Würdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Der Bundesgerichtshof hat zu dem neu gefaßten Tatbestand des schweren Raubes bereits entschieden, daß auch eine Gaspistole aufgrund ihrer Konstruktion, die den Austritt der Ladung durch den Lauf nach vorne ermöglicht, grundsätzlich als Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG in Betracht kommt (BGH, Beschl. v. 14. April 1999 - 1 StR 642/98). Eine Waffe im Sinne der Neufassung des § 250 StGB muß nach dem Willen des Gesetzgebers indessen objektiv gefährlich und geeignet sein, erhebliche Verletzungen des Tatopfers zu verursachen. Sowohl bei der Waffe als auch bei einem anderen gefährlichen Werkzeug im Sinne des Tatbestands muß es sich um Gegenstände handeln, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (vgl. zur Auslegung des § 250 StGB nF: BGH NStZ 1998, 462; BGHSt 44, 103; BGH NJW 1998, 3130 sowie 3131; siehe auch Boetticher/Sander NStZ 1999, 292 m.w.N.). Auf der Grundlage dieses Maßstabs hat der Bundesgerichtshof eine unter der Drohung zu schießen verwendete ungeladene Gaspistole nicht als Waffe gewertet (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a,

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Abs. 2 Nr. 1 StGB), sondern lediglich als Werkzeug oder Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB (vgl. nur BGH StV 1998, 382; 1999, 151; NStZ 1999, 301 einerseits; StV 1998, 487 andererseits; siehe die Rechtsprechungsübersicht bei Boetticher/Sander a.a.O. S. 294).
Der Senat hat bislang für den Fall einer ungeladenen Schußwaffe offen gelassen, wie zu entscheiden wäre, wenn die Munition für diese griffbereit ist und sie daher kurzfristig schußbereit hätte gemacht werden können (so ausdrücklich BGH NJW 1998, 3130; siehe auch BGHSt 44, 103, 106 unten).
2. Der Einsatz einer ungeladenen Gaspistole wie im vorliegenden Fall erfüllt nicht die Anforderungen, welche an die Merkmale des Verwendens einer Waffe im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF zu stellen sind. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Täter das mit Munition bestückte Magazin zu dieser Gaspistole in seiner Kleidung bei sich führte, deshalb deren Einsatzbereitschaft herstellen und ihre objektive Gefährlichkeit ohne weiteres herbeiführen konnte. Denn die objektive Beschaffenheit des Tatmittels "Gaspistole", wie der Täter es gegenüber dem Tatopfer drohend gebraucht, ist auch in diesem Fall eine ungefährliche. Insofern unterscheidet sich der Sachverhalt von dem Fall, daß eine eingesetzte Pistole lediglich noch durchgeladen (fertiggeladen) oder nur noch entsichert werden muß. Die Art der Benutzung im konkreten Einzelfall war durch den Einsatz im ungeladenen und deshalb objektiv ungefährlichen Zustand gekennzeichnet. Allein darauf aber kommt es an. Das folgt aus der Systematik, mit der der Tatbestand nach den Begriffen des "Verwendens" und des "Beisichführens" des Tatmitttels unterscheidet. Verwendet hat der Angeklagte hier die ungeladene, objektiv ungefährliche Pistole. Von ihr ging die Drohwirkung auf das Opfer aus, die er indessen mit dieser Pistole in dem konkreten, ungeladenen Zustand nicht hätte realisieren können. Denjenigen Teil, der gleichsam die Pistole zur Waffe als objektiv gefährliches Tatmittel hätte werden lassen können, das mit passender Munition bestückte Magazin, hat er lediglich in seiner Jackentasche "bei sich geführt".


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Daran ändert nichts, daß der Angeklagte in wenigen Sekunden mit zwei oder drei schnellen Handgriffen die Pistole hätte laden können. Erst dann wäre ihre bestimmungsgemäßer Verwendung entsprechende Einsatzbereitschaft hergestellt gewesen, sie wäre zur objektiv gefährlichen Waffe geworden und als solche verwendet worden. Daß damit eine schnell zu bewirkende Veränderung im Tatgeschehen letztlich eine unterschiedliche rechtliche Würdigung trägt, entspricht der Bewertung beim Einsatz einer ungeladenen, objektiv ungefährlichen "Waffe" als Schlagwerkzeug. Hierzu ist anerkannt, daß eine solche Art der konkreten Benutzung die Voraussetzungen eines gefährlichen Werkzeuges erfüllen kann (vgl. BGHSt 44, 103, 107). Auch bei solcher Fallgestaltung kann der Täter in Sekundenschnelle mittels eines Handgriffs vom Verwenden eines objektiv ungefährlichen Tatmittels auf die Verwendung eines konkret gefährlichen Werkzeuges "umschalten", was rechtlich den Wechsel von der Anwendung des Strafrahmens des § 250 Abs. 1 StGB nF zum Rahmen des Absatzes 2 dieser Vorschrift bedingen kann.
Diese restriktive Abgrenzung des Merkmals des Verwendens einer Waffe hat zudem den Vorzug der klaren Abgrenzbarkeit, hindert den Tatrichter indessen nicht, das Beisichführen eines mit Munition gefüllten, einsatzbereiten Magazins bei der Strafbemessung innerhalb des dem Täter günstigeren Strafrahmens des § 250 Abs. 1 StGB wegen der darin liegenden Gefahrensteigerungsmöglichkeit straferhöhend zu bewerten. Darüber hinaus entspricht diese Auslegung des Tatbestands dem Anliegen, mit der differenzierten Strafrahmengestaltung der Neufassung einem allzu weitgehenden Verständnis vom minder schweren Fall des schweren Raubs entgegenzuwirken (vgl. RegE BRDrucks. 164/97 S. 150 f.; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 250 Rdn. 12).
3. Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen kann im vorliegenden Fall schließlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, der Angeklagte habe die ungeladene Gaspistole als Schlagwerkzeug und damit als anderes gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet. Festgestellt ist, daß er der Geschädigten im

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Rahmen der körperlichen Auseinandersetzung "mit der rechten Faust", in der er die Pistole hielt, gegen die Brust stieß, so daß sie zu Boden ging. Damit ist ein bloßes, den Schlag mit der Faust nicht unterstützendes Festhalten der Pistole in der Schlaghand nicht ausgeschlossen. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, der Angeklagte habe bewußt gerade mit der Gaspistole als Tatmittel zuschlagen wollen.
4. Nach allem ist das Urteil im Strafausspruch aufzuheben. Der anzuwendende Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB sieht eine deutlich geringere Mindeststrafe vor als der vom Landgericht der Straffindung zugrunde gelegte des § 250 Abs. 2 StGB. Der Senat vermag daher nicht auszuschließen, daß dies Auswirkungen auf die Strafe haben kann.