BVerfGE 6, 45 - Staat als Beschwerdeführer


BVerfGE 6, 45 (45):

1. Der als Fiskus an einem Prozeß beteiligte Staat kann im Wege der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 101 GG rügen.
2. Hat der Gesetzgeber wie im Falle des § 7 EGZPO die Entscheidung über die Zuständigkeitskonkurrenz zweier höchster Gerichte einem dieser Gerichte nach bestimmten Richtlinien übertragen und ihm damit zugleich die Feststellung des gesetzlichen Richters für das weitere Verfahren überlassen, so hat er dem Grundgedanken des Art. 101 GG entsprochen.
Die Entscheidung des Gerichts stellt den gesetzlichen Richter fest, soweit sie nicht offensichtlich unhaltbar oder gar sachlich ohne Bezug auf den in den Richtlinien gegebenen Maßstab ist.
 
Urteil
des Ersten Senats vom 16. Januar 1957
- 1 BvR 134/56 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Freistaates Bayern gegen den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 14. Februar 1956 - Rreg. 1 Z 23/1956 -.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
 
Gründe:
I.
Mit der Verfassungsbeschwerde wird geltend gemacht, das Bayerische Oberste Landesgericht habe zu Unrecht seine Zuständigkeit für die Revisionsentscheidung in dem Ausgangsverfahren, einem Zivilprozeß, in Anspruch genommen und den Beschwerdeführer dadurch seinem gesetzlichen Richter entzogen.
Die Bestimmung, auf die sich die Zuständigkeitsentscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts stützt, ist § 8 EG GVG:


    BVerfGE 6, 45 (46):

    "Durch die Gesetzgebung eines Landes, in dem mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden, kann die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit des Bundesgerichtshofes gehörenden Revisionen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einem obersten Landesgericht zugewiesen werden.
    Diese Vorschrift findet jedoch auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten in denen für die Entscheidung Bundesrecht in Betracht kommt, keine Anwendung, es sei denn, daß es sich im wesentlichen um Rechtsnormen handelt, die in den Landesgesetzen enthalten sind."
Bayern hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht: § 3 des Gesetzes über die Wiedererrichtung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. November 1953 (GVBl. S. 191).
Das Verfahren, in dem die angegriffene Entscheidung ergangen ist, regelt § 7 Abs. 1 bis 3 EG ZPO:
    "Ist in einem Land auf Grund des § 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ein oberstes Landesgericht errichtet, so wird das Rechtsmittel der Revision bei diesem Gericht eingelegt. Die Vorschriften der §§ 553, 553 a der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend."
    Das oberste Landesgericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung endgültig über die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung der Revision. Erklärt es sich für zuständig, so ist der Termin zur mündlichen Verhandlung von Amts wegen zu bestimmen und den Parteien bekanntzumachen. Erklärt es sich dagegen für unzuständig, weil der Bundesgerichtshof zuständig sei, so sind diesem die Prozeßakten zu übersenden.
    Die Entscheidung des obersten Landesgerichts über die Zuständigkeit ist auch für den Bundesgerichtshof bindend. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof ist von Amts wegen zu bestimmen und den Parteien bekanntzumachen."
II.
In dem Ausgangsverfahren wird der Freistaat Bayern auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzungen in Anspruch genommen, die von Angestellten des Landratsamtes Bad Tölz begangen worden sind. Der Schaden ist durch einen Unfall entstanden, den der Kläger erlitt, als sein Kraftwagen am 17. No

BVerfGE 6, 45 (47):

vember 1951 mit dem Kraftrad AB 26 1944 zusammenstieß. Der Halter des Kraftrades war zur Unfallzeit entgegen Art. 1 § 1 des Gesetzes über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeug-Halter usw. vom 7. November 1939 (BGBl. I S. 2223) nicht gegen Haftpflicht versichert. Der Kläger hat vergeblich versucht, vom Halter des Kraftrades persönlich Schadensersatz zu erhalten. Die für den Schaden ursächliche Amtspflichtverletzung erblickt er darin, daß Angestellte der Kraftfahrzeugzulassungsstelle des Landratsamtes Bad Tölz eine Anfrage der Versicherungsgesellschaft "Allianz" wegen Nichtzahlung der Versicherungsprämie für das Kraftrad AB 26 1944 unzutreffend beantwortet und nicht an die neu zuständig gewordene Stelle weitergeleitet haben; daher sei das Fahrzeug am Unfalltage ohne Versicherungsschutz im Verkehr gewesen. Die Passivlegitimation des beklagten Freistaates Bayern ergebe sich daraus, daß die Angestellten des Landratsamtes - obwohl Angestellte des Kreises Bad Tölz - im Rahmen der Kraftfahrzeugzulassungsstelle unmittelbare Staatsaufgaben erledigten.
Das Landgericht München hat den Schadensersatzanspruch durch Zwischenurteil vom 24. März 1955 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt (9 O. 320/54). Gegen dieses Urteil hat der Freistaat Bayern Berufung eingelegt, mit der er nur noch geltend machte, er sei nicht passivlegitimiert, während er sein übriges Vorbringen erster Instanz fallenließ. Er meint, es komme für die Frage, in wessen Dienst die Angestellten des Landratsamtes Bad Tölz im Sinne des Art. 34 GG stünden, nicht darauf an, daß die von den Angestellten ausgeübte Funktion sich vom Staat herleite - was unstreitig sei -, sondern darauf, wer sie in Dienst gestellt habe, also ihr Dienstherr sei; das aber sei - ebenfalls unstreitig - der Kreis Bad Tölz. Dieser sei also der richtige Beklagte.
Das Oberlandesgericht München hat das Urteil des Landgerichts München in vollem Umfange gebilligt und die Berufung durch Urteil vom 10. November 1955 zurückgewiesen (1 U 1162/55).


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Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Freistaates Bayern, die er ausschließlich auf die Verletzung von Art. 34 GG stützt. In der Revisionsbegründung wird eingehend vorgetragen, daß angesichts dieser allein erhobenen Revisionsrüge ausschließlich Bundes recht im Streit stehe, so daß nach § 8 EG GVG nicht das Oberste Landesgericht, sondern der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die Revision berufen sei. Das Oberste Landesgericht hat dennoch seine Zuständigkeit durch Beschluß vom 14. Februar 1956 bejaht und zur Begründung folgendes ausgeführt:
    "Für die Entscheidung der von dem Beklagten eingelegten Revision wird allerdings zunächst Art. 34 GG in Betracht kommen, welcher bestimmt, daß wenn jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt, die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft trifft, in deren Dienst er steht. Wesentlich für die Entscheidung der Revision ist aber nicht die Auslegung dieser bundesrechtlichen Vorschrift, sondern die Frage, in wessen Diensten ein Angestellter eines Landkreises steht, der auf Grund der bayer.Min.Bek. vom 27. 4. 1943 (GVBl. S. 65), also einer den Landesgesetzen gleichstehenden Rechtsnorm, von dem Landrat zur Bearbeitung staatlicher Angelegenheiten herangezogen wurde. Daß diese Vorschrift mit dem Recht anderer Länder der Bundesrepublik gleichlautet und deshalb, da die übrigen Länder von dem Vorbehalt des § 8 EG GVG keinen Gebrauch gemacht haben, mittelbar Gegenstand der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geworden ist (BGHZ 6, 215), vermag die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht auszuschließen.
    Zur Auslegung der genannten landesrechtlichen Vorschrift werden die Normen über die Organisation der Landratsämter und der Landkreise, also wiederum Landesgesetze, heranzuziehen sein. Auch die Frage, ob die Verwendung von Landkreisangestellten bei der Bearbeitung staatlicher Angelegenheiten sich weder in der Form noch in der Sache von der Erledigung von Auftragsangelegenheiten unterscheidet (der tragende Grund der Entscheidung BGHZ 6, 215/223), Ist unter landesrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Erst nach Klarstellung dieser Voraussetzungen wird es möglich sein, die von dem BGH für die Auslegung der bundesrechtlichen Vorschrift aufgestellten Grundsätze auf die bayerischen Verhältnisse anzuwenden."


BVerfGE 6, 45 (49):

Der Beschwerdeführer greift diesen, ihm am 17. Februar 1956 zugestellten Beschluß mit der am 16. März 1956 eingegangenen Verfassungsbeschwerde an. Er rügt die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; das Oberste Landesgericht habe sich zu Unrecht für zuständig erklärt und ihn dadurch dem Bundesgerichtshof als seinem gesetzlichen Richter entzogen. Die Zuständigkeitsfrage sei deshalb bedeutsam, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Passivlegitimation des Beschwerdeführers im vorliegenden Falle zu verneinen sei, während sie nach der Rechtsprechung des Obersten Landesgerichts wohl bejaht werden würde.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundesrat, dem Bundesminister der Justiz, dem bayerischen Minister der Justiz und dem Kläger des Zivilprozesses Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Äußerungen zur Sache sind nicht eingegangen.
In der mündlichen Verhandlung am 28. November 1956 war lediglich der Beschwerdeführer vertreten.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit könnten sich zunächst daraus ergeben, daß die Verfassungsbeschwerde als "der spezifische Rechtsbehelf des Bürgers gegen den Staat" (BVerfGE 4, 27 [30]) gedacht ist, während hier der Staat selbst als Beschwerdeführer auftritt. Ob auch der Staat Verfassungsbeschwerde erheben kann, muß von Fall zu Fall nach der Eigenart des geltend gemachten Rechts beantwortet werden. Die Frage ist hier zu bejahen.
Jeder, der in einem gerichtlichen Verfahren Partei ist, kann sich mit den in der Prozeßordnung vorgesehenen Mitteln wehren, wenn er meint, seinem gesetzlichen Richter entzogen zu sein. Das gilt auch für den Staat, wenn er Partei in einem Gerichtsverfahren ist.
Es ist daher folgerichtig, dem Staat zur Durchsetzung dieses

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verfassungsrechtlich gesicherten prozessualen Rechts auch die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung zu stellen; das gilt jedenfalls dann, wenn er - wie hier - als Fiskus in Anspruch genommen wird und in Verwirklichung des Grundsatzes der Gewaltenteilung wie jede andere juristische Person richterlicher Hoheitsgewalt unterworfen ist. Hier ist auch der Staat "jedermann" im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfG (vgl. dazu BVerfGE 3, 359 [363]).
2. Der angefochtene Beschluß kann auch selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, obwohl er das Revisionsverfahren nicht beendet, denn er entscheidet die Frage der Zuständigkeit des Revisionsgerichts abschließend und mit bindender Wirkung sowohl für den Bundesgerichtshof als auch für das Oberste Landesgericht selbst (§ 7 Abs. 3 EG ZPO; ObLGZ 1955, 12).
IV.
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht verletzt.
1. Die Besonderheit des Falles liegt darin, daß einmal die Regelung zur Bestimmung der Zuständigkeit für das Revisionsverfahren nach § 8 Abs. 2 EG GVG der richterlichen Auslegung einen besonders weiten Spielraum läßt und daß zum andern zur Vermeidung einer verschiedenartigen Auslegung dieser Vorschrift durch die in Betracht kommenden beiden Gerichte die bindende Entscheidung über die Zuständigkeit ausschließlich einem von ihnen übertragen worden ist (§ 7 Abs. 2 und 3 EG ZPO). Von vornherein steht mithin lediglich fest, daß das oberste Landesgericht der "gesetzliche Richter" ist, bei dem die Revision eingelegt werden muß und der für das weitere Revisionsverfahren das zuständige Gericht auf Grund des § 8 Abs. 2 EG GVG zu bestimmen hat.
a) Die gesetzliche Regelung in § 8 Abs. 2 EG GVG ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar.
Der Grundgedanke dieser Verfassungsbestimmung erfordert

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es, daß der gesetzliche Richter sich im Einzelfalle möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergibt. Schon die Verfassung selbst läßt jedoch Einschränkungen dieses Grundsatzes zu. Indem Art. 96 GG in Anlehnung an herkömmliche Rechtsbegriffe von dem Bestehen verschiedener Gerichtszweige ausgeht, nimmt er die erfahrungsgemäß damit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten in Kauf. Ein weiteres, einer eindeutigen Zuständigkeitsabgrenzung widerstrebendes Element ergibt sich aus der besonderen föderativen Struktur, die sowohl der materiellen Rechtsordnung als auch der Gerichtsorganisation der Bundesrepublik eigen ist. Bundes- und Landesrecht greifen in der Rechtswirklichkeit vielfach so ineinander, daß für zahlreiche Rechtsstreitigkeiten beides von Bedeutung ist. Schon deshalb war in Deutschland die Anwendung von Reichsrecht immer auch Sache der Landesgerichte; es konnte nicht einmal in letzter Instanz stets ein Gericht des Reiches angerufen werden. Es war auch herkömmlich, daß oberste Landesgerichte eingerichtet werden konnten, denen die Revisionsentscheidung auch über Reichsrecht eingeräumt wurde, wenn für die Entscheidung im wesentlichen Rechtsnormen in Betracht kamen, die in Landesgesetzen enthalten waren. An dieser Tradition hat das Grundgesetz selbst nichts geändert; es hat vielmehr auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der gerichtlichen Zuständigkeiten an die deutsche bundesstaatliche Tradition wieder angeknüpft. Das zeigt vor allem die Rückkehr zu dem Aufbau der Bundes- und Landesgerichtsbarkeit, wonach grundsätzlich in den unteren Instanzen ausschließlich Gerichte der Länder tätig werden und nur obere Bundesgerichte eingerichtet worden sind, denen nicht - wie es einem Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses des Parlamentarischen Rates entsprochen hätte (vgl. JbÖffR, NF 1, 707 ff.) - die "Entscheidung über die Anwendung von Bundesrecht" vorbehalten wurde. Nichts spricht dafür, daß die im Grundgesetz vorgesehene Gerichtsorganisation, insbesondere die Einrichtung oberer Bundesgerichte gemäß Art. 96 GG, die Existenz herkömmlicher oberster Landesgerichte ausschließen

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wollte. Da bei der Abgrenzung ihrer Zuständigkeit gegenüber den oberen Bundesgerichten eine eindeutige Trennung nach Bundes- und Landesrecht nicht möglich ist, muß die Verfassung notwendig eine weniger eindeutige Abgrenzung in Kauf genommen haben. Wenn daher § 8 Abs. 2 EG GVG auch heute darauf abstellt, ob es sich für die Entscheidung "im wesentlichen" um Rechtsnormen handelt, die in den Landesgesetzen enthalten sind, so ist das eine sachgerechte Regelung und genügt dem Grundgedanken des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
b) Während bei sonstigen Zuständigkeitszweifeln regelmäßig dem jeweils angerufenen Gericht überlassen bleibt, über seine Zuständigkeit zu entscheiden, überträgt § 7 EG ZPO die bindende Entscheidung darüber, ob der Bundesgerichtshof oder das oberste Landesgericht zuständig ist, allein dem obersten Landesgericht. Der Gesetzgeber hat hier also einen besonderen gesetzlichen Richter zur Entscheidung über die Zuständigkeitsfrage bestellt. Erst das durch ihn für zuständig erklärte Gericht soll dann der gesetzliche Richter für das weitere Revisionsverfahren sein.
Diese Regelung will eine Divergenz in der höchstrichterlichen Rechtsprechung der beiden Gerichte zur Frage der Zuständigkeit und damit zugleich eine empfindliche Rechtsunsicherheit, Zuständigkeitsmanipulationen und Kompetenzkonflikte verhüten. Das ist auch vom Verfassungsprinzip des Rechtsstaats her erwünscht. Die notwendige Konsequenz ist, daß die Zuständigkeitsentscheidung des obersten Landesgerichts zugleich als die bindende Feststellung des gesetzlichen Richters hingenommen wird und daß das Problem des "Entziehens" in diesem Zusammenhang nicht auftaucht.
Es verstößt nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn der Gesetzgeber, der zur Sicherung dieser Verfassungsbestimmung in erster Linie berufen ist, die Entscheidung über die Zuständigkeitskonkurrenz zweier höchster Gerichte, die häufig zweifelhaft sein wird, einem der beiden Gerichte überträgt und ihm damit zugleich die Feststellung des zuständigen Richters für das wei

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tere Verfahren überläßt, denn er hat damit dem Grundgedanken des Art. 101 GG im notwendigen Maße entsprochen. Ist dieses höchste Gericht bei seiner Entscheidung an eine gesetzliche Richtlinie gebunden, so kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß es bei deren Auslegung zu einer Entscheidung gelangt, über deren Richtigkeit ernsthafte Zweifel aufkommen können. Auch eine etwa "falsche" Entscheidung muß bei Abwägung der in Betracht kommenden Verfassungsprinzipien als wirksame Bestimmung des gesetzlichen Richters hingenommen werden. Nur wenn die Entscheidung nach dem Maßstab des § 8 EG GVG offensichtlich unhaltbar oder gar sachlich ohne Bezug auf diesen Maßstab wäre, würde das für zuständig erklärte Gericht nicht gesetzlicher Richter werden, eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG mithin in Betracht kommen. Dieser Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
2. Das Oberste Landesgericht geht offenbar ebenso wie der Beschwerdeführer davon aus, daß es für die Entscheidung darüber, ob es sich "im wesentlichen" um Landesrecht handelt, allein darauf ankommt,- welche Rechtsfragen das Revisionsgericht zu prüfen hat. Dabei kann selbstverständlich nicht der Wortlaut der Revisionsschrift, sondern nur der sachliche Gehalt der Revisionsrüge maßgebend sein. Im vorliegenden Fall bedeutet das, daß in der Revisionsinstanz die Frage der Passivlegitimation im ganzen zur Entscheidung steht. Ihre Beantwortung hängt davon ab, wie die Worte "in deren Dienst er steht" in Art. 34 GG auszulegen und auf einen gegebenen landesrechtlichen Tatbestand anzuwenden sind. Diese Auslegung und Subsumtion ist ohne die Heranziehung landesrechtlicher Organisationsnormen nicht möglich, und zwar gleichgültig, ob das Revisionsgericht seiner Entscheidung die sogenannte Anstellungs- oder die sogenannte Funktionstheorie zugrunde legen wird - eine Frage, die der angefochtene Beschluß offenläßt und die auch das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden hat. Es mag bedenklich erscheinen, diese landesrechtlichen Normen als "wesentlich" für die Entscheidung zu behandeln, wenn Umfang

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und Auslegung des landesrechtlichen Normenkomplexes unbezweifelt sind. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, daß die landesrechtlichen Normen für die Auslegung des Art. 34 GG nicht entbehrt werden können. Die angegriffene Entscheidung könnte also höchstens in dem Sinne "falsch" sein, daß sie das Gewicht der landesrechtlichen Normen für die Revisionsentscheidung überschätzt und so zu Unrecht annimmt, es handle sich für die Revisionsentscheidung "im wesentlichen" um die Anwendung landesrechtlicher Normen. Sie ist jedoch erkennbar am Maßstab des § 8 EG GVG orientiert und nicht offensichtlich unhaltbar. Sie stellt also wirksam den gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG fest.
3. Der Beschwerdeführer hat weiter geltend gemacht, das Oberste Landesgericht erkläre in Amtshaftungsprozessen ohne erkennbaren sachlichen Grund einmal den Bundesgerichtshof, ein anderes Mal sich selbst für zuständig. Es braucht hier nicht untersucht zu werden, ob durch einen solchen Sachverhalt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG verletzt werden würde und ob sich der Staat in diesem Falle auch auf Art. 3 GG berufen könnte; denn der Vorwurf ist nicht berechtigt. Der Beschwerdeführer hat zum Vergleich mehrere Entscheidungen in angeblich gleichliegenden Fällen angeführt, in denen das Oberste Landesgericht den Bundesgerichtshof für zuständig erklärt hat. Mit einer Ausnahme spielen jedoch in all diesen Fällen neben dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung auch enteignungsrechtliche Erwägungen eine Rolle; sie sind also mit der vorliegenden Sache nicht vergleichbar. Nur in einem Fall hat das Oberste Landesgericht ein Verfahren an den Bundesgerichtshof abgegeben, in dem die Klage ausschließlich auf Amtspflichtverletzung gestützt war. Da jener Beschluß nicht mit Gründen versehen ist, läßt sich aus ihm allein nicht der Schluß ziehen, daß im vorliegenden Falle von der ständigen Rechtsprechung abgewichen worden sei.
Die Verfassungsbeschwerde ist daher zurückzuweisen.