BVerfGE 7, 171 - Dieselsubventionierung


BVerfGE 7, 171 (171):

Eine Vorlage zur Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG ist unzulässig, wenn der Vorlagebeschluß entgegen § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen läßt, daß das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit, und wie es dieses Ergebnis begründen würde.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 6. November 1957
- 2 BvL 12, 13, 14, 15/56 -
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Aufhebung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiete der Mineralölwirtschaft vom 31. Mai 1951 (BGBl. I S. 371) auf Antrag des Bundesverwaltungsgerichts Neustadt a.d. Weinstraße -- Kammer Mainz -.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL:
Die Vorlagen sind unzulässig.
 
Gründe:
I.
Das Bezirksverwaltungsgericht Neustadt a. d. Weinstraße Kammer Mainz - hat durch Beschlüsse vom 3. Juni 1954 in vier sachlich gleichliegenden Verwaltungsstreitsachen das Verfahren

BVerfGE 7, 171 (172):

ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Aufhebung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiete der Mineralölwirtschaft vom 31. Mai 1951 - BGBI. I S. 371 - (MinÖlG) mit Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG vereinbar ist.
§ 2 Abs. 2 MinÖlG lautet:
    "Die Bundesregierung oder der Bundesminister der Finanzen hat durch Rechtsverordnung Vorschriften über die Verbilligung von Dieselkraftstoff für die Landwirtschaft und zum Betriebe von Schiffsmotoren in der Binnen-, Küsten-, Hochseefischerei und der Binnen-, Küsten-, Hochseeschiffahrt zu erlassen."
Auf Grund dieser Vorschrift erließ der Bundesfinanzminister unter anderem eine Verordnung über Verbilligung von Dieselkraftstoff für die See-, Küsten- und Binnenschiffahrt vom 6. Juni 1951 - BGBl. I S. 375 - (DKVO-Schiff.), in der die Zahlung einer Betriebsbeihilfe von 22.- DM für je 100 kg verbrauchten Dieselkraftstoffs an Schiffahrtsunternehmen angeordnet und näher geregelt wurde. Diese Subventionierung erstreckte sich jedoch zunächst im Bereiche der Küsten- und Binnenschiffahrt nicht auf die Fähren und die Fahrgastschiffahrt. Sie wurden erst durch eine Änderungsverordnung vom 13. Juni 1952 - BGBI. I S. 334 -mit Wirkung vom 1. April 1952 einbezogen.
Bei den Ausgangsverfahren handelt es sich um Klagen von Fähr- und Fahrgastschiffsunternehmen der Binnenschiffahrt auf Zahlung von Betriebsbeihilfen wegen Verbrauchs von Dieselkraftstoff in der Zeit vor dem 1. April 1952. Die Kläger vertreten die Auffassung, daß der Ausschluß der Fähr- und Fahrgastschiffahrt von der Subventionierung für die Zeit vor dem 1. April 1952 eine Überschreitung der dem Bundesfinanzminister in § 2 Abs. 2 MinÖlG erteilten Ermächtigung und zugleich eine Verletzung des Art. 3 GG darstelle. Nach ihrer Ansicht war die DKVO-Schiff. insoweit nichtig, als sie diesen Ausschluß enthielt. Daher stehe ihnen ebenso wie anderen Schiffahrtsunternehmen ein Anspruch auf Zahlung der Beihilfe zu. Sollte dieser Anspruch nicht aus der "teilnichtigen" DKVO-Schiff. selbst entnommen

BVerfGE 7, 171 (173):

werden können, so sei er unmittelbar aus § 2 Abs. 2 MinÖlG abzuleiten .
Das vorlegende Gericht hat zu dieser Klagebegründung nicht Stellung genommen. Es hat in seinen Vorlagebeschlüssen dargelegt, daß § 2 Abs. 2 ungültig sei, weil die darin erteilte Ermächtigung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß nicht bestimmt und die Vorschrift daher mit Art. 80 GG unvereinbar sei.
Zur Frage, inwiefern die Sachentscheidungen von der Gültigkeit des § 2 Abs. 2 aaO abhängen, hat das vorlegende Gericht nur ausgeführt:
    "Die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits hängt unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt von der Gültigkeit des § 2 Abs. 2. .. ab. Ist diese gesetzliche Bestimmung nicht gültig, so kann der geltend gemachte Anspruch weder unmittelbar aus dieser Vorschrift, noch aus einer auf Grund dieser Bestimmung erlassenen RechtsVO bestehen."
und
    "Ist § 2 Abs. 2 aaO verfassungswidrig, so sind auch die Rechtsverordnungen nichtig. Würde die Gültigkeit des § 2 Abs. 2 festgestellt, so hätte das vorlegende Gericht bei der Entscheidung über die geltend gemachten Ansprüche über die Gültigkeit der fraglichen Rechtsverordnungen selbst zu entscheiden."
Durch Beschluß vom 5. November 1957 hat das Bundesverfassungsgericht die vier Vorlagen zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II.
Die Ausführungen des vorlegenden Gerichts über die Entscheidungserheblichkeit genügen nicht den Erfordernissen einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG. Nach § 80 Abs. 2 BVerfGG muß die Begründung eines Vorlagebeschlusses angeben, "inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist". Das vorlegende Gericht hat sich aber darauf beschränkt, zum Ausdruck zu bringen, daß nach seiner Ansicht die Klagen abgewiesen werden müssen, wenn

BVerfGE 7, 171 (174):

die Ermächtigung des § 2 Abs. 2 ungültig ist. Es hat sich nicht darüber ausgesprochen, ob es im Falle der Gültigkeit der Ermächtigung zu einem anderen Ergebnis kommen und wie es dieses Ergebnis begründen würde. Es läßt insbesondere nicht erkennen, ob nach seiner Ansicht sich die Verordnung im Rahmen des ermächtigenden Gesetzes hält, und worauf es die Zuerkennung des von den Klägern geltend gemachten Anspruchs stützen würde. Würde das Gericht die Verordnung wegen Widerspruchs zum Gesetz für ungültig halten, so käme es auf die Gültigkeit des § 2 Abs. 2 schon deshalb nicht an, weil die unmittelbar anzuwendende Norm ohnehin ungültig wäre. Hielte es die Verordnung für vereinbar mit dem ermächtigenden Gesetz, so käme es auf die Gültigkeit der Ermächtigungsnorm nur an, wenn das Gericht den Anspruch der Kläger entgegen dem Wortlaut der Verordnung zuerkennen würde. Dann käme es für die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Frage darauf an, ob und wie das Gericht den Anspruch der Kläger aus der Verordnung oder aus dem Gesetz oder aus einem anderen Rechtsgrunde ableiten würde. Auf diese Fragen geben die Vorlagebeschlüsse keine Antwort.
Der Standpunkt des vorlegenden Gerichts zu diesen Vorfragen der Entscheidungserheblichkeit läßt sich auch nicht aus dem Zusammenhang der Beschlüsse erschließen. Denkbar ist, daß das Verwaltungsgericht sich für den Fall der Gültigkeit der Ermächtigung die Erwägungen der Kläger zu eigen machen will. Mit dem Inhalt der Vorlagebeschlüsse ist aber auch die gegenteilige Annahme vereinbar, da das Verwaltungsgericht bei Gültigkeit der Ermächtigung die Ansprüche der Kläger ebenfalls als unbegründet abweisen würde. Die Ausführungen des vorlegenden Gerichts zur Frage der Entscheidungserheblichkeit können hier also nicht, wie dies in früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts mehrfach geschehen ist (vgl. BVerfGE 2, 266 [271]; 2, 380 [389]; 3, 187 [194]) aus dem Zusammenhang der Vorlagebeschlüsse ergänzt werden. Dies um so weniger, als der Schluß der oben zitierten Begründung den Eindruck erweckt,

BVerfGE 7, 171 (175):

daß das Gericht sich über die Frage, wie es im Falle der Gültigkeit des § 2 Abs. 2 MinÖlG die Klage beurteilen würde, noch nicht schlüssig geworden ist, also noch gar nicht sagen konnte, ob seine Entscheidung im Ergebnis - nicht nur in der Begründung - von der verfassungsrechtlichen Vorfrage abhängt.
Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Frage ist, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt ausgesprochen hat, die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern sie nicht offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 2, 181 [190 ff.]; 2, 266 [271]; 2, 380 [389]; 3, 187 [194 ff.]; 3, 225 [236]; 4, 45 [48]). Der Vorlagebeschluß muß aber diese Rechtsauffassung mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen. Das ist bei den hier zu entscheidenden Vorlagen nicht der Fall. Da sie den Anforderungen des § 80 Abs. 2 BVerfGG nicht entsprechen, sind sie unzulässig.