BVerfGE 13, 54 - Neugliederung Hessen |
1. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG beruft das Bundesverfassungsgericht nur zur Entscheidung von verfassungsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern; solche Streitigkeiten liegen nur vor, wenn der Antragsteller gegen den Antragsgegner Ansprüche erhebt, die sich aus einem beide Teile umschließenden materiellen Verfassungsrechtsverhältnis ergeben. |
2. Art. 29 GG macht die Neugliederung des Bundesgebietes zu einer ausschließlichen Angelegenheit des Bundes; die lediglich passive Beteiligung der Länder als Objekte der von Bundes wegen vorzunehmenden Neugliederung erzeugt nicht einen Status der gegenwärtig bestehenden Länder, aus dem sich für diese gegen den Bund ein Anspruch auf Neugliederung ergeben könnte. |
3. Das Prinzip der Bundestreue konstituiert oder begrenzt Rechte und Pflichten innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses zwischen Bund und Ländern, begründet aber nicht selbständig ein Rechtsverhältnis zwischen ihnen; die wechselseitigen rechtlichen Beziehungen, innerhalb deren Treue zu wahren ist, müssen bestehen oder durch Verhandlungen begründet werden. |
4. Die Bund und Ländern gemeinsame Pflicht zur Wahrung und Herstellung der grundgesetzlichen Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates, aus der sich ein im Verfassungsrechtsstreit verfolgbarer Anspruch eines Landes gegen den Bund ergeben kann, bezieht sich nur auf die Bestimmungen des Grundgesetzes, die die Ausübung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern abscheiden oder die das Verfassungsleben im Bund und in den Ländern materiell bestimmen, dagegen nicht auf die Bestimmungen des Grundgesetzes, die nur das organschaftliche Zusammenwirken der Bundesorgane ordnen oder die den Bund ermächtigen, einseitig Maßnahmen gegenüber den Ländern zu ergreifen. |
5. Die Heimatbünde, die sich zur Betreibung der Volksbegehren nach Art. 29 Abs. 2 GG gebildet haben, sind, anders als die politischen Parteien, nicht notwendige Institutionen des Verfassungslebens; sie besitzen daher keine Parteifähigkeit im Organstreit. |
6. a) Die Volksbegehren nach Art. 29 Abs. 2 sind ein in sich abgeschlossenes Vorverfahren zu dem Gesetzgebungsverfahren, das erst mit der Einbringung des Gesetzentwurfs beginnt. |
b) Gegenstand des Volksentscheides nach Art. 29 Abs. 3 GG ist nicht das Volksbegehren, sondern das aus der Entscheidung des Bundesgesetzgebers hervorgegangene Neugliederungsgesetz. Die Volksbefragungen, die in Art. 29 Abs. 2 und 3 als Volksbegehren und Volksentscheid bezeichnet werden, sind also nicht aufeinander bezogen und darum nicht Bestandteile eines Volksgesetzgebungsverfahrens. |
c) Der Bürger, der beim Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 GG seine Stimme abgibt, nimmt nicht an einem Akt entscheidender Willensbildung eines Bundesorgans teil. |
7. Das Recht auf Teilnahme am Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 entsteht erst, wenn der Bundesgesetzgeber das Neugliederungsgesetz beschlossen hat. Es ist etwas anderes als das Recht auf Wahlen, so daß die Anführung des Art. 38 GG in § 90 Abs. 1 BVerfGG nicht im Wege der Analogie auf das Recht zur Teilnahme am Volksentscheid ausgedehnt werden kann, und die Verfassungsbeschwerde zur Verfolgung dieses Rechts nicht gewährt ist. |
8. Im System der Verfassungsgerichtsbarkeit nach deutschem Verfassungsrecht ist der einzelne Staatsbürger im Organstreit nicht parteifähig. |
Urteil |
des Zweiten Senats vom 11. Juli 1961aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. und 12. April 1961 |
- 2 BvG 2/58 -- |
in den Verfahren betreffend die Pflicht der Bundesregierung, den Entwurf des Gesetzes über die Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Artikel 29 Absatz 1, Absatz 2 Satz 3, Absatz 6 Satz 2 des Grundgesetzes einzubringen, |
1. nach Artikel 93 Absatz 1 Nummer 3 des Grundgesetzes: Antragsteller: für das Land Hessen die Hessische Landesregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten, - Bevollmächtigte: ...; Antragsgegner: für die Bundesrepublik Deutschland die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister des Innern, - Bevollmächtigte: ...; |
2. nach Artikel 93 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes: Antragsteller: 1. der Heimatbund Hessen-Nassau, vertreten durch den Ersten Vorsitzenden W. ... S. ..., Diez a.d. Lahn, 2. der Rheinhessenbund e.V., vertreten durch den Ersten Vorsitzenden W. ... M. ..., Worms, - Bevollmächtigter: ...; Antragsgegner: die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister des Innern, - Bevollmächtigte: ...; |
3. nach § 90 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht: Verfassungsbeschwerdeführer: 1. der Heimatbund Hessen-Nassau, vertreten durch den Ersten Vorsitzenden W. ... S. ..., Diez a.d. Lahn, 2. der Rheinhessenbund e.V., vertreten durch den Ersten Vorsitzenden W. ... M. ..., Worms, - Bevollmächtigter: ...; |
4. nach § 90 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht: Verfassungsbeschwerdeführer: 1. W. ... S. ..., Diez a.d. Lahn, 2. W. ... M. ..., Worms, - Bevollmächtigter: ...; |
5. nach Artikel 93 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes: Antragsteller: 1. W. ... S. ..., Diez a.d. Lahn, 2. W. ... M. ..., Worms, - Bevollmächtigter: ...; Antragsgegner: die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister des Innern, - Bevollmächtigte: ...; |
ENTSCHEIDUNGSFORMEL: |
1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. |
2. Die Anträge werden als unzulässig verworfen. |
Gründe: |
A. -- I. |
Art. 29 Abs. 1 GG gebietet die Neugliederung des Bundesgebietes durch Bundesgesetz. Nach Art. 29 Abs. 6 soll diese Neugliederung vor Ablauf von drei Jahren nach Verkündung des Grundgesetzes geregelt sein. Da das Inkrafttreten des Artikels 29 zunächst durch die Besatzungsmächte suspendiert war, begann diese Frist erst mit der Beendigung des Besatzungsregimes am 5. Mai 1955. Erst an diesem Tage begann auch die Jahresfrist, binnen deren nach Art. 29 Abs. 2 in Gebietsteilen, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszugehörigkeit geändert haben, durch Volksbegehren eine bestimmte Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung gefordert werden konnte. Acht derartige Volksbegehren sind auf Grund des "Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid bei Neugliederung des Bundesgebietes nach Artikel 29 Absatz 2 bis 6 des Grundgesetzes" vom 23. Dezember 1955 (BGBl. I S. 835) in der Zeit vom 9. bis 22. April und vom 3. bis 16. September 1956 durch geführt worden; sechs haben die in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 geforderte Zustimmung von einem Zehntel der wahlberechtigten Bevölkerung erreicht. In den zum Land Rheinland-Pfalz gehörenden Regierungsbezirken Montabaur und Rheinhessen sprachen sich 23,2 v. H. und 20,2 v. H. der Stimmberechtigten für eine Angliederung der Eintragungsgebiete an das Land Hessen aus. Der Antrag auf Zulassung der Volksbegehren war gemäß § 2 Abs. 3 des Volksbegehrensgesetzes im Regierungsbezirk Montabaur von dem Vorstand des Heimatbundes Hessen-Nassau und im Regierungsbezirk Rheinhessen von dem Vorstand des Rheinhessenbundes e.V. gestellt worden.
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Nach Art. 29 Abs. 6 soll eine Neugliederung des Bundesgebietes, die als Folge des Beitrittes eines anderen Teiles von Deutschland notwendig wird, innerhalb von zwei Jahren nach dem Beitritt geregelt sein. Während des Laufes der Dreijahres frist für die allgemeine Neugliederung wurde das Saarland durch Bundesgesetz vom 23. Dezember 1956 (BGBl. I S. 1011) mit Wirkung vom 1. Januar 1957 in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert. Das Saarland wurde jedoch entsprechend Art. 1 und Art. 3 des Saarvertrages erst mit Wirkung vom 6. Juli 1959 an das deutsche Zoll- und Währungsgebiet angeschlossen (Bekanntmachung über die Beendigung der Übergangszeit im Saarland vom 30. Juni 1959, BGBl. I S. 401). |
II. |
Auf Ersuchen des Bundestages (Beschluß vom 13. Juni 1951: BT 1. WP StenBer. S. 5987 ff., 5996 ff.; Drucks. Nr. 2222) berief die Bundesregierung am 15. Januar 1952 einen Sachverständigenausschuß zur Erörterung und Planung der Neugliederung des Bundesgebietes. Den Vorsitz in diesem Ausschuß übernahm Reichskanzler a.D. Dr. Luther. Dieser Ausschuß schloß seine Arbeiten am 29. August 1955 ab und legte der Bundesregierung einen Bericht vor unter dem Titel "Die Neugliederung des Bundesgebietes. Gutachten des von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenausschusses."
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Der Bundesrat nahm in seiner Sitzung vom 24. Juni 1955 anläßlich der Beratung des Volksbegehrensgesetzes auf Antrag Hamburgs gegen die Stimmen Bayerns und Hessens und bei Stimmenthaltung Baden-Württembergs folgende Entschließung an (BR 143. Sitzung StenBer. S. 167 ff.):
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Der Bundesrat ist der Auffassung, daß die Neugliederung des Bundesgebietes endgültig erst nach der Wiedervereinigung erfolgen kann.
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Er hält sich daher für verpflichtet, darauf hinzuweisen, daß es angesichts der politischen Lage notwendig werden kann, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob und inwieweit die Neugliederung nach Art. 29 des Grundgesetzes im Hinblick auf die Wiedervereinigung zurückgestellt werden sollte.
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Die Ausschüsse des Zweiten Deutschen Bundestages für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Prot. der 80. Sitzung vom 14. Ok tober 1955 S. 5) und für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Kurzprot. der 47. Sitzung vom 19. Oktober 1955 S. 11) lehnten die Entschließung des Bundesrates ab. |
Die Bundesregierung hat nach Angabe des Ministerialdirektors Dr. Schäfer im Rechtsausschuß des Dritten Deutschen Bundestages (Prot. der 37. Sitzung vom 3. Dezember 1958 S. 14) zu dieser Entschließung u. a. bemerkt:
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Soweit sich die Entschließung des Bundesrates gegen die - unabhängig von den Volksbegehren - nach Art. 29 Abs. 1 GG vorgeschriebene Neugliederung richtet, darf darauf hingewiesen werden, daß Art. 29 Abs. 6 Satz 2 GG, der für die Neugliederung eine Frist von drei Jahren setzt, lediglich eine Sollvorschrift ist. Bei Vorliegen zwingender Gründe wird die Neugliederung daher auch ohne Verfassungsänderung über die Frist von drei Jahren hinaus zurückgestellt werden können. Wieweit hierzu eine Notwendigkeit besteht, wird von der Bundesregierung im weiteren Verlauf der Frist geprüft werden.
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Am 12. Dezember 1957 erwiderte der Bundesminister des Innern auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Dr. Werber im Bundestag (BT 3. WP StenBer. S. 169):
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Die Bundesregierung ist der Meinung, daß bei den gegebenen Verhältnissen eine Neugliederung des Bundesgebiets zur Zeit nicht zur Entscheidung gestellt werden sollte. Sie läßt sich bei dieser Auffassung nicht zuletzt davon leiten, daß die Probleme der Wiederherstellung der deutschen Einheit und der Rückgliederung des Saarlandes in Betracht gezogen werden müssen ... Die Bundesregierung hält Teillösungen nicht für zulässig...
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Am 17. Januar 1958 äußerte sich der Bundesminister des Innern im Ausschuß für Inneres des Dritten Deutschen Bundestages (Kurzprot. der 2. Sitzung S. 10) wie folgt:
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Hinsichtlich der Neugliederung habe die Bundesregierung derzeit nicht die Absicht, entsprechende Vorlagen einzubringen, und zwar schon mit Rücksicht auf die Saar und die künftige Wiedervereinigung. Wenn ein zwingender Notstand auftrete, werde kein Mensch sich wehren, für dessen Abstellung zu sorgen. Er glaube jedenfalls nicht, daß das Volk derzeit ein zwingendes Interesse an einer Neugliederung habe. Im übrigen halte er persönlich im Au genblick auch aus psychologischen Gründen eine Neugliederung nicht für zweckmäßig. |
Schließlich erklärte der Leiter der Verfassungsabteilung im Bundesministerium des Innern, Ministerialdirektor Dr. Schäfer, am 3. Dezember 1958 im Rechtsausschuß des Dritten Deutschen Bundestages (Prot. der 37. Sitzung S. 13 f.; vgl. auch Prot. der 42. Sitzung des Rechtsausschusses vom 21. Januar 1959 S. 8):
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Die Bundesregierung sei ... im Hinblick auf die Probleme der Wiederherstellung der deutschen Einheit und der Rückgliederung des Saarlandes zur Zeit nicht in der Lage, von sich aus die Neugliederung des Bundesgebietes in Gang zu bringen ... Die Bundesregierung sei heute mehr denn je der Auffassung, daß es nicht richtig sei und daß sie rechtlich auch nicht verpflichtet sei, die Neugliederung in Gang zu bringen.
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Ein Entwurf für das von Art. 29 GG geforderte Bundesgesetz über die Neugliederung des Bundesgebietes ist bisher weder von der Bundesregierung noch von einem anderen zur Gesetzesinitiative befugten Verfassungsorgan eingebracht worden.
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III. |
1. Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 1958, beim Bundesverfassungsgericht eingegangen am 3. November 1958, hat die Hessische Landesregierung den gegen die Bundesregierung gerichteten Antrag eingereicht:
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Das Bundesverfassungsgericht möge erkennen: Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen Artikel 29 Absatz 6 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes und gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens verstoßen, indem die Bundesregierung es unterlassen hat, bis zum 5. Mai 1958 im Bundestag einen Gesetzentwurf über die Neugliederung des Bundesgebietes einzubringen.
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In der mündlichen Verhandlung ist der Antrag wie folgt gefaßt worden:
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Das Bundesverfassungsgericht möge erkennen: Der Bund hat gegen Artikel 29 Absatz 6 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes und gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens verstoßen, indem die Bundesregierung es unterlassen hat, bis heute im Bundestag einen Gesetzentwurf über die Neugliederung des Bundesgebietes einzubringen. |
Die Bundesregierung hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
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2. Die Hessische Landesregierung ist der Auffassung, die Bundesregierung sei gemäß Art. 29 Abs. 6 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 GG verpflichtet gewesen, dem Bundestag bis zum 5. Mai 1958 den Entwurf des Neugliederungsgesetzes vor zulegen. Indem sie dies unterlassen habe, habe sie auch eine dem Land Hessen gegenüber bestehende Pflicht verletzt. Diese Meinungsverschiedenheit über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder im Rahmen des Verfahrens nach Art. 29 GG könne das Land Hessen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung unterbreiten.
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Hessen verfolge nicht einen Anspruch auf bestimmte Gebietsveränderungen zu seinen Gunsten, sondern das grundsätzliche Recht der Länder auf Neugliederung. Die Unterlassung der Bundesregierung berühre die Rechtssphäre der Länder, da Art. 29 Abs. 1 diesen einen Anspruch auf Stärkung der föderativen Struktur der Bundesrepublik Deutschland durch eine den dort aufgestellten Grundsätzen entsprechende Neugliederung gewähre; damit hätten die Länder auch einen Anspruch auf Einhaltung der hierfür gesetzten Frist.
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In dem dreigliedrigen Bundesstaat, den das Grundgesetz voraussetze, sei die Neugliederung des Bundesgebietes als eine ergänzende Verfassunggebung Aufgabe des Gesamtstaates Bundesrepublik Deutschland. Durch Art. 29 werde der Bund als Zentralstaat vom Gesamtstaat ermächtigt und damit diesem gegenüber zugleich verpflichtet, diese Aufgabe durch ein Bundesgesetz zu erfüllen. Die Länder seien als Hüter der Bundesverfassung berufen, die Pflicht des Bundes gegenüber dem Gesamtstaat im Klagewege vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen. Würde den Ländern dieser Rechtsweg nicht gewährt, so käme das einer stillschweigenden Verfassungsänderung gleich, da dann Art. 29 nicht vollzogen werde. |
Die Pflicht der Bundesregierung, das Neugliederungsverfahren durch Einbringung des Gesetzentwurfs fortzuführen, ergebe sich auch aus dem Grundsatz der Bundestreue, da bis zum Abschluß der Neugliederung nicht feststehe, welches Gebiet die Bundesländer endgültig umfassen werden. Das führe aber zu Unsicherheit und Unruhe, erschwere die Rechtsetzung und stehe allen gebietsbezogenen Maßnahmen der Länder zur Ordnung der Verwaltung hindernd im Wege.
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Wo immer im Grundgesetz eine Rechtspflicht eines Hoheitsträgers statuiert werde, bestehe eine Vermutung dafür, daß dieser Pflicht auch eine subjektive Berechtigung anderer Rechtspersonen entspreche. Für den Bund/Länder-Streit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG genüge überdies eine Auseinandersetzung über Pflichtverletzungen des Bundes, durch die Landesinteressen betroffen würden; die Verletzung eines subjektiven Rechtes des Landes sei nicht Voraussetzung. Das rechtliche Interesse Hessens an der Neugliederung ergebe sich schon daraus, daß zwei Volksbegehren die Angliederung von Gebieten an das Land Hessen gefordert hätten. Das Antragsrecht der Länder zum Bundesverfassungsgericht müsse schließlich schon dann anerkannt werden, wenn die Länder geltend machten, der Bund habe gegen objektives Verfassungsrecht verstoßen.
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Art. 29 Abs. 6 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 gebiete der Bundesregierung, den Gesetzgebungsorganen des Bundes den Entwurf eines Neugliederungsgesetzes so rechtzeitig vor Ablauf der Frist vorzulegen, daß eine fristgemäße Verabschiedung möglich gewesen wäre. Die Entstehungsgeschichte bestätige, daß die Fristbestimmung zwingendes Recht sei. Das Wort "soll" in Art. 29 Abs. 6 Satz 2 sei nur gewählt worden, um zu verhindern, daß aus einem "muß" auf eine Ausschlußfrist geschlossen werden könne. Die Bundesregierung habe die ihr von der Verfassung auferlegte Initiativpflicht verletzt und verstoße durch ihre Weigerung, einen Gesetzentwurf einzubringen, weiterhin ständig gegen Art. 29 GG. |
Die Pflicht der Bundesregierung, den Entwurf eines Neugliederungsgesetzes vorzulegen, ergebe sich auch aus dem Selbstbestimmungsrecht der Einwohner solcher Gebietsteile, in denen Volksbegehren nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 und 2 erfolgreich durchgeführt worden seien. Die nach Art. 29 Abs. 3 Satz 2 in diesen Gebieten durchzuführenden Volksentscheide setzten voraus, daß die Bundesregierung gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 3 in den Gesetzentwurf eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit dieser Gebietsteile aufnehme. Die Bundesregierung sei daher verpflichtet gewesen, unverzüglich nach Abschluß der Volksbegehren einen Gesetzentwurf vorzulegen.
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Die Bundesregierung könne sich ihrer Initiativpflicht nicht unter Hinweis auf die Wiedervereinigung und auf die Eingliederung des Saarlandes entziehen. Der Verfassungsbefehl zur Neugliederung sei in Art. 29 gerade für die Übergangszeit gegeben, für die die vom Grundgesetz geschaffene Ordnung überhaupt nur in Kraft bleiben solle. Nach Art. 146 GG verliere das Grundgesetz seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Die Neugliederung eines wiedervereinigten Gesamtdeutschlands könne also nur nach den Vorschriften der neuen Verfassung erfolgen. Bis dahin sei Art. 29 verbindlich. Politische Zweckmäßigkeitserwägungen könnten dem Verfassungsbefehl nicht entgegengehalten werden. Bei der Eingliederung des Saarlandes handle es sich um den Beitritt eines anderen Teiles von Deutschland, für den Art. 29 Abs. 6 Satz 2 GG eine besondere Regelung vorsehe, von der die allgemeine Neugliederung im übrigen Bundesgebiet unabhängig sei.
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Die Hessische Landesregierung hat "Ausgewähltes Kartenmaterial zur Frage der Neugliederung im Mittelrheingebiet nach Art. 29 GG" sowie Rechtsgutachten der Professoren Hans Schneider und Lärche vorgelegt.
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3. Die Bundesregierung erhebt Einwendungen gegen die Änderung des Antrages und hält den Antrag für unzulässig, weil mit ihm eins weder im Grundgesetz noch im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vorgesehene versteckte Organklage verfolgt werde. Die Antragstellerin rüge nicht eine Unterlassung des Bundes, sondern eine Unterlassung der Bundesregierung, die nicht dem Bund als solchem zugerechnet werden könne. Die Gesetzesinitiative sei ein reines Internum des Gesetzgebungsverfahrens des Bundes und habe als solche keine Rechtswirkung nach außen, insbesondere auch nicht gegenüber den Ländern. |
Der Antrag sei weiter unzulässig, weil ein materielles gegenseitiges Rechte- und Pflichtenverhältnis, wie es der Bund/Länder-Streit voraussetze, zwischen Hessen und der Bundesrepublik Deutschland in bezug auf die Neugliederung nicht bestehe. Wenn auch der Bundesgesetzgeber zur Neugliederung verpflichtet sei, so obliege ihm diese Pflicht doch nicht gegenüber den Ländern; darum könnten die Länder auch kein Recht auf Neugliederung haben. Rechtliche Belange des Landes Hessen würden durch das Neugliederungsgesetz nicht betroffen. Die Berührung wirtschaftlicher oder politischer Interessen reiche nicht aus, um einen Anspruch Hessens zu begründen. Im übrigen seien die Interessen der einzelnen Länder in der Neugliederung naturgemäß gegeneinander gerichtet. Daher verbiete es sich auch, die Interessen eines einzelnen Landes unter dem Gesichtspunkt der Bundestreue zu berücksichtigen.
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Die Sollvorschrift des Art. 29 Abs. 6 Satz 2 GG begründe keine strikte Verpflichtung zur Einhaltung der Frist. Von der Erfüllung der grundsätzlich anzuerkennenden und von der Bundesregierung ernstgenommenen Pflicht zur Vorlage des Gesetzentwurfes könne nach gewissenhafter Prüfung aus schwerwiegenden, im allgemeinen Interesse liegenden Gründen abgesehen werden. Die Bundesregierung habe ihre weiteren Bemühungen um ein Neugliederungsgesetz vorläufig zurückgestellt, weil die Wiedervereinigung Deutschlands als Hauptaufgabe der deutschen Politik die Konzentration aller Kräfte auf dieses Ziel fordere und verbiete, in diesem Zeitpunkt Kraft an innerdeutsche Probleme zu wenden, die, obwohl für das Gesamtschicksal nicht entscheidend, zu schweren Auseinandersetzungen Anlaß geben und so die Bundesrepublik für die Aufgabe der Wiedervereinigung schwächen würden. Es handle sich also um vorrangige staatspolitische Notwendigkeiten, die auch der Bundesrat als das Organ, durch das die Länder gemäß Art. 50 GG bei der Gesetzgebung des Bundes mitwirken, durch seinen Beschluß vom 24. Juni 1955 anerkannt habe. Schließlich habe die am 1. Januar 1957 vollzogene Eingliederung des Saarlandes in dem für Maß nahmen der Neugliederung wichtigsten und umstrittensten mittelrheinischen Gebiet nicht nur neue Verhältnisse geschaffen, sondern auch formell eine Fristverlängerung für die Neugliederung bewirkt. Die besondere Zweijahresfrist habe erst mit der Beendigung der für das Saarland geltenden Übergangszeit am 6. Juli 1959 begonnen. |
Die Bundesregierung hat zur Unterstützung ihrer Ausführungen ein Rechtsgutachten von Professor Bettermann vorgelegt.
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4. Keines der übrigen Länder, denen der Antrag Hessens gemäß § 69 in Verbindung mit § 65 BVerfGG zur Kenntnis gebracht wurde, ist dem Verfahren auf der Seite des Landes Hessen beigetreten. Das Land Rheinland-Pfalz hat mit Schriftsatz vom 25. Februar 1959 seinen Beitritt "auf seiten der Bundesregierung" erklärt. Dieser Beitritt ist durch Beschluß des Gerichts vom 11. April 1961 für unzulässig erklärt worden.
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IV. |
1. Am 15. Juli 1959 haben der Heimatbund Hessen-Nassau und der Rheinhessenbund e.V., die Träger der in den Regierungsbezirken Montabaur und Rheinhessen durchgeführten Volksbegehren, ebenfalls gegen die Bundesregierung gerichtete Anträge beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie haben beantragt festzustellen:
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Die Bundesregierung hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
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2. Die Heimatbünde gehen davon aus, daß "das Volk von Montabaur und Rheinhessen" nach dem Erfolg der Volksbegehren in diesen Gebieten durch den in Art. 29 Abs. 3 Satz 2 vorgesehenen Volksentscheid zur Teilnahme an der Bildung des Bundeswillens im Neugliederungsgesetz berufen sei. Das Gebietsvolk sei ein ursprüngliches, nicht formiertes Verfassungsorgan des Bundes und stehe mit der Bundesregierung nach Art. 29 Abs. 2 und 3 in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis, aus dem sich gegenseitige Rechte und Pflichten ergäben. Die Heimatbünde seien Sprachrohr der vom Volk ausgeübten Staatsgewalt; ihre verfassungsrechtlich notwendige Funktion sei durch die §§ 2, 12 und 24 des Volksbegehrensgesetzes anerkannt. Im Volksinitiativverfahren zur Neugliederung nach Art. 29 Abs. 2 und 3 nähmen die Heimatbünde jene Aufgaben wahr, die bei den Wahlen von den politischen Parteien erfüllt würden. Wie den politischen Parteien käme daher auch ihnen die Klagebefugnis im Organstreit zu. Die Heimatbünde machten die dem Gebietsvolk zustehenden Rechte im Verfassungsstreitverfahren geltend. Sie seien aber auch in ihrem eigenen verfassungsrechtlichen Status verletzt, da Art. 29 notwendig voraussetze, daß freie politische Vereinigungen die Initiative im Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 29 GG trügen; die Erfüllung dieser Aufgabe würde aber unmöglich werden, wenn die Bundesregierung sich beharrlich weigere, dem Volksgesetzgebungsverfahren Folge zu geben. Ungeachtet der Sollvorschrift des Art. 29 Abs. 6, der nur den Abschluß der Neugliederung betreffe, ergebe sich aus Art. 29 Abs. 2 und 3 die Pflicht der Bundesregierung, die Neugliederung jedenfalls der Volksbegehrensgebiete unverzüglich nach Gelingen der Volksbegehren in die Hand zu nehmen.
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3. Die Bundesregierung bestreitet die Parteifähigkeit der Heimatbünde im Organstreit. Ihnen sei weder durch die Verfassung noch durch das Volksbegehrensgesetz ein verfassungsrechtlicher Status beigelegt worden. Das Gesetz habe ihnen nur das Recht eingeräumt, ein Volksbegehren zu beantragen. Sie könnten auch nicht als Vertreter des Gebietsvolkes handeln, da ihnen eine solche Funktion nirgends übertragen worden sei, zu dem weder die in den Heimatbünden zusammengeschlossene Minderheit noch auch die von ihr aktivierte Volksbegehrensminderheit mit der stimmberechtigten Bevölkerung dieser Gebietsteile identisch sei. Der Vergleich mit der Parteifähigkeit der politischen Parteien im Organstreit treffe auch deswegen nicht zu, weil die politischen Parteien nur über ihre eigenen Rechte einen Organstreit austragen könnten; um Organisation, Struktur und Funktion der Heimatbünde gehe es aber im Neugliederungsverfahren nicht. Eine Initiativpflicht der Bundesregierung bestünde, wenn überhaupt, jedenfalls nicht gegenüber den Heimatbünden. Der Antrag sei zudem verspätet eingereicht, da den Antragstellern nach ihrem eigenen Vorbringen die von ihnen gerügte Haltung der Bundesregierung spätestens durch die Erklärung des Ministerialdirektors Dr. Schäfer im Rechtsausschuß des Bundestages am 3. Dezember 1953 bekannt geworden sei. Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Begriff des Gebietsteils im Sinn des Art. 29 Abs. 2 (BVerfGE 5, 56 [63 ff.]; 5, 66 [68 ff.]) sei schließlich zweifelhaft, ob das Volksbegehren im Regierungsbezirk Montabaur überhaupt hätte zugelassen werden dürfen. Im übrigen sei das Neugliederungsverfahren auch für die Volksbegehrensgebiete in das allgemeine Gesetzgebungsverfahren übergegangen. Von ihrer Verpflichtung, einen Gesetzentwurf für das Neugliederungsgesetz vorzulegen, fühle sich die Bundesregierung derzeit nach gewissenhafter Prüfung aus schwerwiegenden, im allgemeinen Interesse liegenden Gründen entbunden. |
V. |
Für den Fall, daß die Parteifähigkeit der Heimatbünde im Organstreit verneint werden sollte, halten die Heimatbünde ihre Anträge als Verfassungsbeschwerde aufrecht. Die Bundesregierung hält diese Verfassungsbeschwerde für unzulässig, da die Heimatbünde nicht die Verletzung eines ihnen zustehenden und in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechtes rügen könnten.
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VI. |
1. Die Vorsitzenden der Heimatbünde, W... S... (Diez) und W... M... (Worms), haben auch im eigenen Namen Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie haben beantragt festzustellen:
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Die Bundesregierung verletzt das den Antragstellern nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 GG verliehene Recht auf Abstimmung über ihre Landeszugehörigkeit, indem sie es unterläßt, dem Bundestag den Entwurf eines Neugliederungsgesetzes vorzulegen.
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Die Bundesregierung, der die Verfassungsbeschwerde gemäß § 94 Abs. 1 BVerfGG zur Kenntnis gebracht worden ist, hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
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2. Die Beschwerdeführer machen geltend, sie seien durch die Untätigkeit der Bundesregierung in ihrem vom Grundgesetz gewährten Recht auf Abstimmung über ihre Landeszugehörigkeit verletzt. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ergebe sich aus § 90 BVerfGG in Verbindung mit Art. 33, 38 und 17 GG. Dem könne nicht entgegengehalten werden, § 90 BVerfGG führe nicht das Recht auf Veranstaltung der in der Verfassung vorgesehenen Volksabstimmung auf. Diese Lücke müsse das Bundesverfassungsgericht an Hand von Generalklauseln und der Grundgedanken des Gesetzes sowie nach bewährter Lehre und Überlieferung schließen. Angesichts des sonst geschlossenen Rechtsschutzsystems, das dem Grundgesetz zugrunde liege, wäre es unerträglich, wenn der durch die erfolgreichen Volksbegehren erworbene Anspruch der Bürger auf einen Volksentscheid über die Landeszugehörigkeit ohne Rechtsschutz bliebe. Das Verhalten der Bundesregierung verletze die subjektiv öffentlich-recht lichen Ansprüche der wahlberechtigten Bürger der Regierungsbezirke Montabaur und Rheinhessen auf Veranstaltung der grundgesetzlich vorgeschriebenen Volksabstimmung. Das Recht der stimmberechtigten Bürger gehe nicht nur auf bloße Teilnahme am Volksentscheid, sondern auch auf dessen Veranstaltung. Indem die Bundesregierung untätig bleibe mit der Erklärung, sich derzeit zur Vorlage eines Gesetzentwurfes nicht veranlaßt zu sehen, entwerte sie das zustande gekommene Volksbegehren zu einer bloßen Petition und taste das Recht der Beschwerdeführer auf Abstimmung im Rahmen des Volksgesetzgebungsverfahrens in seiner Substanz an. |
3. Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerden für unzulässig und für unbegründet.
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Die Beschwerdeführer könnten durch die von ihnen gerügte Unterlassung der Bundesregierung nicht in eigenen Rechten verletzt sein, da die Ausübung oder Unterlassung einer Gesetzesinitiative nicht ein nach außen gegen Dritte gerichteter Hoheitsakt sei. Die Verfassungsbeschwerde gestatte dem einzelnen Bürger nicht, in interne Beziehungen der Verfassungsorgane zu einander einzudringen. Jedenfalls aber sei für eine Verfassungsbeschwerde gegen die Unterlassung der Bundesregierung die Frist des § 93 Abs. 2 BVerfGG versäumt.
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Würde man die Verfassungsbeschwerde dahin umdeuten, daß sie sich gegen ein Unterlassen des Bundesgesetzgebers wendet, so sei zu beachten, daß die Erfüllung des dem Bundesgesetzgeber in Art. 29 Abs. 1 und 6 erteilten Gesetzgebungsauftrages nicht dem Staatsbürger gegenüber obliegen könne. Dieses rein organisatorische Gesetz habe Gestaltungswirkung nur für die territoriale Gebietseinteilung und keine Drittwirkung zum Staatsbürger hin.
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Ein Recht auf Veranstaltung des Volksentscheides nach Art. 29 Abs. 3 finde sich nicht unter den durch § 90 Abs. 1 BVerfGG geschützten Rechten. Zwar sei durch die Anführung des Art. 38 GG auch das Recht auf fällige Wahlen gestützt. Gleichwohl könne die Ähnlichkeit, die zwischen den Wahlen und den übrigen volksunmittelbaren Organschaftshandlungen, wie Volksbegehren, Volksentscheiden und Volksbefragungen bestünde, nicht dazu führen, aus Art. 38 ein durch Verfassungsbeschwerde geschütztes Recht auf Veranstaltung des Volksentscheides nach Art. 29 Abs. 3 abzuleiten. In der besonderen Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 29 Abs. 2 bis 6 sei die Veranstaltung des Volksentscheides abhängig von einem vorhergehenden Willensakt des Bundesgesetzgebers, der unabhängig vom Wählervolk gesetzt werde. Über die Abstimmungsmodalitäten hinaus könne es folglich für diese Abstimmung einen durch ein Grundrecht geschützten Anspruch, etwa auf Erzwingung des Volksentscheids, nicht geben. Die von den Beschwerdeführern erkannte "Lücke" könne auch das Verfassungsgericht nicht schließen, da es sich dabei nicht um eine Frage des Prozeßrechtes, sondern um eine Ausweitung des Bereichs der materiellen Grundrechte handeln würde. |
VII. |
Die Vorsitzenden der Heimatbünde wollen ihre als Verfassungsbeschwerden angebrachten Anträge auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer gegen die Bundesregierung gerichteten Organklage geprüft sehen. Sie sind der Ansicht, daß der Bürger als Teil des obersten Verfassungsorgans Aktivbürgerschaft ebenfalls Verfassungsorgan sei und seine Organschaftsrechte daher im Wege des Organstreites gegen andere Verfassungsorgane des Bundes verteidigen könne. Zu den Organschaftsrechten gehöre nicht nur das Wahlrecht, sondern auch das Recht auf Abstimmung im Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3; das in Art. 29 gewährleistete Selbstbestimmungsrecht stehe nicht nur kollektiv dem Gebietsvolk zu, sondern sei auch ein Individualrecht der abstimmungsberechtigten Bürger. Dadurch, daß die Bundesregierung den Entwurf des Neugliederungsgesetzes nicht einbringe, komme es nicht zum Volksentscheid und werde das den Antragstellern durch die erfolgreichen Volksbegehren erwachsene Recht auf Abstimmung verletzt. Da der als Verfassungsbe schwerde gestellte Antrag sich ausdrücklich gegen ein anderes Bundesorgan, nämlich die Bundesregierung, richte, die Bundesregierung dazu Stellung genommen und seine Abweisung begehrt habe, seien auch die formellen Voraussetzungen einer Organklage erfüllt. |
Die Bundesregierung meint, der einzelne Bürger könne nie Partei in einem Organstreit sein. Die Anführung des Art. 38 GG in § 90 Abs. 1 BVerfGG ergebe vielmehr, daß die Verfassungsbeschwerde gerade auch zur Verteidigung des wichtigsten individuellen Organschaftsrechts gegeben sei. Verfassungsbeschwerde und Organklage schlössen sich aber gegenseitig aus. § 90 BVerfGG widerspreche insoweit auch nicht dem Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Der Bürger sei nicht Bundesorgan im Sinn dieser Bestimmung. Nur Streitigkeiten aus dem organisatorischen Bereich der Verfassung gehörten auf den Weg des Organstreites. Zur Geltendmachung der Individualrechte des Bürgers, mögen sie sich aus dem status negativus oder aus dem status activus herleiten, sei das Individualrechtsschutzmittel der Verfassungsbeschwerde der gemäße Rechtsbehelf.
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B. -- I. |
1. Der Antrag Hessens hat zwar die Unterlassung einer Gesetzesinitiative der Bundesregierung zum Gegenstand, aber diese Initiative ist nicht Streitgegenstand als Teil des zwischen Bundesorganen sich abspielenden Gesetzgebungsverfahrens, sondern als der nach Auffassung Hessens notwendige erste Schritt zu einem den Ländern vom Bund geschuldeten Gesetz. Unterstellt man ein Recht der Länder auf Tätigwerden des Bundes nach Art. 29 GG, so wird nicht die Bundesregierung für eigenes organschaftliches Unterlassen in Anspruch genommen, sondern ihr Unterlassen wird dem Bund zugerechnet, der nach der Auffassung des Antragstellers in dieser Phase des Neugliederungsverfahrens nur durch die Bundesregierung tätig werden kann. Es geht also nicht um Rechte und Pflichten der Bundesregierung im organschaftlichen Bereich des Bundes, sondern um Rechte und Pflichten des Bundes gegenüber den Ländern. Insofern könnte die Unterlassung der Bundesregierung Gegenstand eines Bund/Länder-Streites im Sinn des Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG sein. |
2. Der Bund kann aber durch die Unterlassung der Bundesregierung nicht das Land Hessen in seinen aus dem Grundgesetz sich ergebenden Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet haben. Nach § 69 in Verbindung mit § 64 BVerfGG ist der Antrag Hessens also unzulässig.
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a) Aus der in § 69 vorgeschriebenen entsprechenden Anwendung des für den Organstreit gefaßten § 64 BVerfGG ergibt sich, daß auch im Bund/Länder-Streit der Antragsteller geltend machen muß, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen Rechten oder Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. Das bedeutet gegenüber Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG kein zusätzliches und damit verfassungswidriges Erfordernis, sondern nur die Umsetzung der allgemeinen Verfassungsnorm in das besondere Verfahrensrecht. Wenn auch Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 nur von "Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder" spricht, so führen doch der geschichtliche Zusammenhang (Art. 19 der Weimarer Reichsverfassung), die angeführten Beispiele (Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und Ausübung der Bundesaufsicht) sowie der systematische Zusammenhang mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 ("andere öffentlich-rechtliche Streitigkeiten") und mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 (besonderes Antragsrecht der Bundesregierung und der Landesregierungen im objektiven Verfahren zur abstrakten Normenkontrolle) zu dem Schluß, daß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 das Bundesverfassungsgericht nur zur Entscheidung von verfassungsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern eingesetzt hat. Ein solcher Rechtsstreit entsteht nicht dadurch, daß Bund und Land über die Interpretation einer Bestimmung des Grundgesetzes verschiedener Meinung sind, sondern er liegt nur vor, wenn der Antragsteller gegen den Antragsgegner Ansprüche erhebt, die sich aus einem beide Teile umschließenden materiellen Verfassungsrechtsverhältnis ergeben (vgl. BVerfGE 2, 143 [155, 159]). Allen Anträgen, über die das Bundesverfassungsgericht bisher im Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 entschieden hat, lag ein Verfassungsrechtsverhältnis zwischen Bund und Land zugrunde, aus dem sich der im Klageweg geltend gemachte Anspruch möglicherweise ergeben konnte (vgl. BVerfGE 1, 14 [30]; 3,52 [55]; 4, 115 [122]; 6, 309 [323, 328]; 8, 122 [128 f.]; 11, 6 [13]; Fernsehurteil vom 28. Februar 1961, C I, E III). |
b) Zwischen dem Land Hessen und dem Bund besteht aber kein Rechtsverhältnis, aus dem Hessen einen Anspruch auf Erlaß des Neugliederungsgesetzes herleiten könnte. Der Bund hat weder in den Zuständigkeitsbereich des Landes eingegriffen, noch eine Norm der Verfassung mißachtet, die Rechte des Landes sichert. Art. 29 Abs. 1 Satz 1 bezeichnet als Objekt der Neugliederung ausdrücklich nur das Bundesgebiet und macht die Neugliederung zu einer ausschließlichen Angelegenheit des Bundes. Sie erfolgt durch Bundesgesetz "von Bundes wegen", wie es in den Entwürfen zu Art. 29 GG gelautet hatte; die Streichung dieser Worte durch den Allgemeinen Redaktionsausschuß hat an der Sache nichts geändert (vgl. JöR N. F. 1, 262 ff.). Die Länder sind in das Verfahren nicht eingeschaltet. Das Gesetz bedarf nicht einmal der Zustimmung des Bundesrats als des Bundesorgans, durch das die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mitwirken. Gerade wenn man mit Hessen das Neugliederungsgesetz als einen Akt ergänzender Verfassunggebung auffaßt, ergibt sich, daß er als aus der verfassunggebenden Gewalt des Deutschen Volkes (Präambel) hervorgehend gedacht werden muß. Er wäre aber nicht, wie das Grundgesetz als Ganzes, an die Ratifikation durch eine qualifizierte Mehrheit der Länder gebunden. Der Bund soll nach Art. 29 Abs. 1 Satz 2 erst die Länder schaffen, die für das von der bundesstaatlichen Verfassung geordnete Zusammenwirken von Bund und Ländern vorausgesetzt werden. Daher kann der Verfassungsartikel der dem Bund die Neugliederung aufträgt, nicht ein Rechtsverhältnis zwischen dem Bund und den gegenwärtig bestehenden Ländern begründen. Die Neugliederung ist nicht im Interesse der bestehenden Länder vorgesehen, sondern nur im Interesse des Ganzen, und sie erfolgt auch nur nach den übergeordneten Gesichtspunkten des Ganzen (Art 29 Abs. 1). Sie kann daher auch zur Beseitigung bestehender Länder oder zu einer solchen territorialen Umgestaltung führen, daß die umgestalteten Länder nicht mehr identisch sind mit den Ländern in ihrer gegenwärtigen Gestalt. Auch daraus folgt, daß die Länder keinen gegen den Bund verfolgbaren Anspruch auf Neugliederung haben können. |
Die Rechtslage kann auch nur für alle Länder gleich sein. Die Tatsache daß in zwei Gebietsteilen mehr als ein Zehntel der stimmberechtigten Bevölkerung durch Volksbegehren den Wunsch auf Anschluß an Hessen geäußert hat, ist zunächst nur Material für den Bundesgesetzgeber, der eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit dieser Gebietsteile in das Gesetz aufnehmen muß. Nicht aber kann Hessen daraus irgendeinen Anspruch gegen den Bund herleiten.
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c) Die bei Erlaß des Grundgesetzes bestehenden, nach seinen Vorschriften inzwischen umgestalteten oder eingegliederten Länder sind legitime Glieder des deutschen Bundesstaates wie das Gericht bereits in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 1951 (BVerfGE 1, 14 [51]) festgestellt hat. Ihr Status im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung ist nicht etwa minderen Ranges gegenüber dem der Länder, die nach der Neugliederung bestehen werden. Die im Grundgesetz enthaltene Bundesverfassung, die den Bereich der gliedstaatlichen Freiheit (grundsätzlich Art. 30 GG) und des gliedstaatlichen Einflusses bei der Bildung des Bundeswillens (grundsätzlich Art 50 GG) umschreibt, gilt in gleicher Weise für die jeweils bestehenden Länder. Daraus folgt, daß der verfassungsrechtliche Status der gegenwärtig bestehen den Länder durch die Unterlassung der Neugliederung nicht betrogen sein kann. Die gegenwärtig bestehenden Länder sind vollwertige Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerfGE 1,14 [34]); sie werden als solche auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, wie sich schon aus der Anwendung des Prinzips der Bundestreue auf den Bundesstaat in der gegenwärtigen Gliederung ergibt. Das Grundgesetz stellt allerdings den territorialen und personalen Bestand, ja die Existenz einzelner Länder zur Disposition der Bundes Gewalt und zwar unter der Voraussetzung eines verfassungsändernden Gesetzes auch in der Zeit nach der Neugliederung. Der Bund bestimmt dadurch, welchen Gebieten der Status eines Landes zukommt. Nicht aber kann der Status eines bestehen den Landes dadurch verletzt werden, daß in Eingriff in den territorialen Bestand eines anderen Landes oder die gewünschte Vergrößerung des eigenen Staatsgebietes unterbleibt. Die Neugliederung schafft nicht einen neuen Status für die bestehenden Länder, sondern gegebenenfalls neue Länder für den durch die Bundesverfassung bestimmten Status als Gliedstaat. Die lediglich passive Beteiligung der Länder als Objekte der von Bundes wegen vorzunehmenden Neugliederung kann nicht einen Status der gegenwärtig bestehenden Länder erzeugen, aus dem sich ein Anspruch auf Neugliederung ergeben könnte. |
d) Das Prinzip der Bundestreue, auf das Hessen sich beruft, konstituiert oder begrenzt Rechte und Pflichten innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses zwischen Bund und Ländern (vgl. Fernsehurteil vom 28. Februar 1961, E II Abs. 2), begründet aber nicht selbständig ein Rechtsverhältnis zwischen ihnen. Die wechselseitigen rechtlichen Beziehungen, innerhalb deren Treue zu wahren ist müssen bestehen oder durch Verhandlungen begründet werden. In der Rechtsprechung des Gerichts ist die Bundestreue bisher herangezogen worden bei der Ausschöpfung von Kompetenzen (vgl. BVerfGE 1, 117 [131]; 3, 52 [57]; 4,115 [140]; Fernsehurteil vom 28. Februar 1961, D II 7b, E I 4 d), bei der Herstellung eines Einverständnisses, an das das Gesetz rechtliche Folgen knüpft (vgl. BVerfGE 1, 299 [315]), bei der Erfüllung der Bund und Ländern gemeinsamen Pflicht zur Bewahrung und Herstellung der grundgesetzlichen Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates (vgl. BVerfGE 8, 122 [138 ff.]), schließlich bei der Gestaltung der Verhandlungen, die im Bereich der Gleichordnung von Bund und Ländern zu einem Vertrag führen sollten (Fernsehurteil E II). |
Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Insbesondere ist Art. 29 nicht ein Bestandteil der grundgesetzlichen Ordnung, die zu wahren Bund und Ländern gemeinsam aufgegeben ist. Er begründet vielmehr ausschließlich ein Recht und eine Pflicht für den Bund, der diese Aufgabe in Überordnung über die Länder erfüllt. Bei der Neugliederung kann der Bund begrifflich Bundestreue im Verhältnis zu den bestehenden Ländern nicht einhalten, da die Wahrung der Interessen der bestehenden Länder bewußt aus diesem Vorgang ausgeklammert ist und ein Land sogar beseitigt werden kann. Wahrung der Bundestreue setzt wechselseitige Rechte und Pflichten voraus. Da der Bundesstaat ein gegliederter Staat ist, müssen Bund und Länder bei der Ausübung des ihnen zufallenden Anteils an der Staatsgewalt auf die Interessen des anderen Teils Rücksicht nehmen. Die Neugliederung ist dem Bund aber gerade nicht im Interesse der bestehenden Länder auferlegt. Sie soll sich nur am Wohl des Ganzen orientieren. Da Zeitpunkt und Gestalt der Neugliederung in dem durch Art. 29 bestimmten Rahmen in die Verantwortung der zuständigen Bundesorgane gelegt sind, müssen die Länder sich damit abfinden, daß die Ungewißheit ihrer Fortexistenz und ihres territorialen Bestandes ihre Gesetzgebungs- und Verwaltungstätigkeit erschwert. Das gemäße Mittel, ihr politisches Interesse an der Fixierung ihres Territorialbestandes durchzusetzen, ist nicht die Klage beim Bundesverfassungsgericht, sondern sind die politischen Mittel der Einwirkung auf die Bundes organe, vor allem durch den Bundesrat als dem Organ, das die politischen Interesse der Länder im Bund zur Geltung bringen soll. Art. 29 Abs. 2 Satz 3 geht zwar davon aus, daß der Gesetzentwurf über die Neugliederung von der Bundesregierung eingereicht wird, weil das angesichts der komplizierten Materie naheliegt, begründet aber keineswegs ein Initiativmonopol für die Bundesregierung; auch andere nach dem Grundgesetz initiativberechtigte Verfassungsorgane sind befugt, den Entwurf für ein Neugliederungsgesetz vorzulegen (BVerfGE 5, 34 [41]). |
e) Auch die Konzeption eines dreigliedrigen Bundesstaates, wie sie von Hessen vertreten wird, vermag dem Antrag nicht zu stützen.
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Das Bundesverfassungsgericht hat zwar im Konkordatsurteil von der Bundesrepublik Deutschland als dem Bundesstaat gesprochen, dessen Glieder der Bund und die Länder sind (vgl. BVerfGE 6, 309 [340, 364]). Damit sollte aber nur zum Ausdruck gebracht werden, daß die Aufteilung der staatlichen Befugnisse im Innern des Bundesstaates zwischen den Organen des Bundes und den Organen der Länder keine Wirkung nach außen hat, daß vielmehr nach außen alle Organe, die im Innern staatliche Befugnisse ausüben, die völkerrechtliche Einheit Bundesrepublik Deutschland darstellen. Nicht aber ist daraus zu folgern, daß zwischen einem Zentralstaat und einem Gesamtstaat als zwei verschiedenen Rechtsträgern und Subjekten gegenseitiger verfassungsrechtlicher Rechte und Pflichten unterschieden werden kann. Es gibt nicht neben dem Bundesstaat als Gesamtstaat noch einen besonderen Zentralstaat, sondern nur eine zentrale Organisation, die zusammen mit den gliedstaatlichen Organisationen im Geltungsbereich des Grundgesetzes als Bundesstaat alle die staatlichen Aufgaben erfüllt, die im Einheitsstaat einer einheitlichen staatlichen Organisation zufallen. Das Grundgesetz hat die Aufteilung der Kompetenzen nur zwischen den Organen des Bundes und denen der Länder vorgenommen, wobei unter Bund der durch Zusammenschluß der Länder entstandene Gesamtstaat verstanden wird. Es gibt weder besondere Organe eines Zentralstaates und eines Gesamtstaates, noch ist eine Aufteilung der den Ländern nicht zugewiesenen staatlichen Aufgaben zwischen einem Gesamtstaat und einem Zentralstaat vorgenommen worden. Auch das Fernsehurteil vom 28. Februar 1961 spricht in Abschnitt E II, der von der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten handelt, nur von dem "gesamten verfassungsrechtlichen Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedern" und setzt den Gesamtstaat gleich Bund und die Glieder gleich Länder. |
Die bundesstaatliche Verfassung umschließt mehrere Rechtskreise: den Verfassungsrechtskreis zwischen den Organen des Gesamtstaates, den Rechtskreis zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten, den Rechtskreis zwischen den Gliedstaaten. Der Verfassungsrechtskreis ist der Schauplatz der Organstreitigkeiten innerhalb des Bundes, aber dieser Bund ist kein Zentral-"Staat" im Unterschied zu einem Gesamt-"Staat", sondern nur die oberstaatliche Organisation, die zugleich im Verhältnis zu den Gliedstaaten den Bundesstaat repräsentiert. Die Rechtskreise zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten und zwischen den Gliedstaaten werden durch das Bündnis der Gliedstaaten geschaffen, das der Bundesstaat begrifflich voraussetzt. Zwischen dem so geschaffenen Oberstaat und den Gliedstaaten kann aber nicht ein weiteres Bündnis bestehen, aus dem ein sogenannter Gesamtstaat hervorgehen würde.
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Wenn das Grundgesetz vom Bund im Gegensatz zu den Ländern spricht und insbesondere Bund und Länder als mögliche Parteien eines Verfassungsstreites vor dem Bundesverfassungsgericht bezeichnet, dann versteht es unter Bund den Oberstaat, der durch die Verbindung der Länder zu einem Bundesstaat bewirkt wird. Dieser Oberstaat ist den Ländern prinzipiell übergeordnet (vgl. BVerfGE 1, 14 [51]); nur in den Bereichen, die die Bundesverfassung nicht geordnet hat, besteht Gleichordnung. Den Organen des Bundes sind Kompetenzen zuge wiesen, die die Überordnung der Gesamtgewalt über die Gliedstaatsgewalt erkennen lassen, insbesondere die Kompetenz-Kompetenz (vgl. Art. 79, 24 GG). Im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung ist grundsätzlich den Organen des Bundes die Wahrung der Gesamtverfassung allein anvertraut (vgl. Art. 28 Abs. 3, Art. 32 Abs. 3, Art. 37, Art. 91 Abs. 2 GG); lediglich in den seltenen Fällen, in denen die Bundesverfassung in die Landesverfassungen unmittelbar verpflichtend hineinwirkt, können die Länder unter Umständen als Hüter der Gesamtverfassung im Verhältnis zu den Zentralorganen in Erscheinung treten. |
Die Konstruktion, daß der Bund als Zentralstaat der Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat gegenüber zur Neugliederung verpflichtet sei, findet im Grundgesetz keine Stütze. Auch ergibt sich weder aus dem materiellen Verfassungsrecht noch aus dem Verfahrensrecht der Verfassungsgerichtsbarkeit, daß die Länder befugt sind, in Prozeßstandschaft für einen hypothetischen Gesamtstaat dessen Rechte gegenüber dem Zentralstaat geltend zu machen.
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f) Die im Fernsehurteil (E III) offengelassene Frage, ob ein Land gegen den Bund einen im Verfassungsrechtsstreit verfolgbaren Anspruch darauf hat, daß der Bund die "gemeinsame Verfassungsordnung" nicht mißachtet, bezieht sich nicht auf alle Bestimmungen des Grundgesetzes. Die Frage ist schon im Fernsehurteil auf die Fälle begrenzt, in denen Interessen der Länder als Gliedstaaten des Bundesstaates durch eine solche Mißachtung verletzt werden. Im Fall des Art. 29 GG fehlt es an dieser Voraussetzung; die Nichtausführung des Verfassungsauftrages der Neugliederung kann nicht rechtliche Interessen der gegenwärtig bestehenden Länder gerade in ihrer verfassungsrechtlichen Eingliederung in die gesamtstaatliche Verfassung verletzen. Ein Anspruch der Länder gegen den Bund auf Achtung der gemeinsamen Verfassungsordnung kann nur insoweit bestehen, als darunter die materiellen Verfassungsnormen verstan den werden, die die Bundesgewalt auch in ihrer Auswirkung auf das Verfassungsleben in den Ländern beherrschen und damit eine rechtliche Beziehung zwischen Bundesgewalt und Landesgewalten herstellen. Dazu gehört nicht der Art. 29, der den Bund zu dem organisatorischen Akt der Neugliederung ermächtigt, bei dem auf die Interessen der bestehenden Länder keine Rücksicht genommen zu werden braucht. Wenn das Gericht in dem Urteil über die Volksbefragung in hessischen Gemeinden (BVerfGE 8, 122 [138]) davon ausgeht, daß im Bundesstaat Bund und Länder die gemeinsame Pflicht zur Wahrung und Herstellung der grundgesetzlichen Ordnung in allen Teilen und Ebenen des Gesamtstaates haben, so kann sich diese Pflicht nur auf die Bestimmungen des Grundgesetzes beziehen, die die Ausübung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern abscheiden oder die das Verfassungsleben in Bund und Ländern materiell bestimmen, also weder auf die Bestimmungen des Grundgesetzes, die nur das organschaftliche Zusammenwirken der Bundesorgane ordnen, noch auf die Vorschriften, die den Bund ermächtigen, einseitig Maßnahmen gegenüber den Ländern zu ergreifen. Insofern ist der im Fernsehurteil anerkannte Anspruch der Länder gegen den Bund auf Achtung der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Rundfunkfreiheit das Spiegelbild zu dem im Urteil über die Volksbefragung in den hessischen Gemeinden anerkannten Anspruch des Bundes gegen die Länder, Einmischungen der Gemeinden in den Kompetenzbereich des Bundes zu unterbinden. Die in Art. 5 Abs. 1 enthaltene Garantie der Freiheit des Rundfunks ist für das gesamte öffentliche, politische und verfassungsrechtliche Leben in den Ländern von fundamentaler Bedeutung; sie ist ein Teil der in die Landesverfassungen hineinwirkenden Bundesverfassung. Ein staatlich gelenkter bundeseigener Rundfunk würde nicht nur die Sphäre der zentralen Organisation berühren, sondern unmittelbar auf die gesamtstaatliche Ordnung, damit also auch auf die verfassungsrechtliche Ordnung in den Ländern, einwirken. In einem solchen Fall haben die Länder das Recht, die Einhaltung der gemeinsamen Verfassungsordnung vom Bund auch im Klageweg zu fordern. Art. 29 hingegen ist nicht eine Norm der gemeinsamen Verfassungsordnung. Er erteilt nur und ausschließlich der Bundesgewalt den Auftrag zu einem organisatorischen Eingriff, der die Länder territorial bestimmt, für die dann die gemeinsame Verfassungsordnung gilt. Aus der Bejahung des Anspruchs der Länder gegen den Bund zur Wahrung der Rundfunkfreiheit kann also nichts gefolgert werden für einen Anspruch der Länder auf Vollzug der Neugliederung. Die Länder können nicht in jedem Fall, in dem die Anwendung oder Nichtanwendung des Grundgesetzes durch Bundesorgane umstritten ist, das Bundesverfassungsgericht anrufen, vielmehr nur dann, wenn ihre Rechte und Pflichten im Streit sind. |
II. |
Der von den Heimatbünden im Organstreit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG gestellte Antrag ist unzulässig, weil die Heimatbünde für ein solches Verfassungsstreitverfahren nicht parteifähig sind.
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1. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG sind parteifähig im Organstreit nur die obersten Bundesorgane und andere Beteiligte, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Unter obersten Bundesorganen werden hier die durch das Grundgesetz eingesetzten und formierten obersten Organe verstanden, die § 63 BVerfGG aufzählt. Als sonstige "Beteiligte" des Verfassungsrechtskreises, die durch das Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet sind, hat das Bundesverfassungsgericht über die Aufzählung in § 63 BVerfGG hinausgehend nur die politischen Parteien anerkannt. Diese Ausweitung des verfahrensrechtlichen Parteibegriffs konnte und mußte erfolgen, weil die politischen Parteien formierte Einheiten sind, ohne die die Durchführung von Wahlen und die Besetzung der obersten Staatsämter in der modernen Massendemokratie nicht möglich ist. Die politischen Parteien sind nach Art. 21 GG integrierende Bestandteile des Verfassungsaufbaus und des verfassungsrechtlich geordneten politischen Lebens (BVerfGE 1, 208 [225]), also verfassungsrechtlich notwendige Institutionen. |
2. Die Heimatbünde sind weder oberste Bundesorgane, noch sind sie Beteiligte, die durch das Grundgesetz oder durch eine als Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans zu wertende Norm mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Sie werden im Grundgesetz nicht erwähnt; sie sind auch keine verfassungsrechtlich notwendige Institution. Der von ihnen gezogene Vergleich mit der Stellung der politischen Parteien im Staat ist also verfehlt.
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a) Wahlen sind notwendig, damit die demokratische Verfassung funktioniert, und sie können in der modernen Massendemokratie ohne politische Parteien nicht durchgeführt werden. Volksbegehren und Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 2 und 3 GG sind nicht gleichermaßen notwendig für das Funktionieren der Verfassung der Bundesrepublik, sondern sie sind einmalige Willenskundgebungen der Aktivbürger bestimmter Gebietsteile, die - letztlich nicht entscheidend - zur Landeszugehörigkeit der Gebietsteile Stellung nehmen.
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b) Volksbegehren und Volksentscheid können ablaufen, ohne daß besondere Vereinigungen bestehen, die sich ihre Veranstaltung zum Ziel gesetzt haben. Das Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid bei Neugliederung des Bundesgebiets kennt grundsätzlich nur die Antragsteller, die in bestimmter Anzahl den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens unterschreiben müssen. Von der Beibringung dieser Unterschriften kann gemäß § 2 Abs. 3 abgesehen werden, wenn der Vorstand einer Vereinigung den Antrag stellt und glaubhaft macht, daß die erforderliche Anzahl von unterschriftsberechtigten Mitgliedern den Antrag unterstützt. Nur in dieser Eigenschaft kann dann der Vorstand der Vereinigung als Vertrauensmann der Antragsteller auch die durch Spezialvorschrift des § 5 Abs. 3 eingeräumte Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht gegen Ablehnung des Zulassungsantrages einlegen. Aus dieser engbegrenzten Spezialvorschrift kann nichts für eine Parteistellung der Heimatbünde im Organstreit gefolgert werden. Es handelt sich um ein besonders ausgestaltetes Anfechtungsrecht, für das die Heimatbünde als Antragsteller nicht ausdrücklich genannt sind. Außerdem aber hat das in der Verfassung gewährte und in dem Gesetz näher ausgestaltete Recht auf Zulassung eines Volksbegehrens, zu dessen Verfolgung der Beschwerdeweg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet ist, systematisch nichts zu tun mit dem angeblichen Recht auf Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens. |
c) Der Akt der Wahl hat unmittelbaren Bezug auf die politischen Parteien, nicht aber hat der Akt der Stimmabgabe bei Volksbegehren und Volksentscheid nach Art. 29 Bezug auf die Heimatbünde. Bei der Wahl geht es um die Auswahl unter den von den Parteien präsentierten Kandidaten oder um die Zustimmung zu den von den Parteien aufgestellten Wahlprogrammen; beim Volksbegehren und Volksentscheid geht es um das Ja oder Nein zu der speziellen Sachfrage, welche Landeszugehörigkeit die Gebietsteile haben sollen. Die Parteien sind unmittelbar als solche in den Wahlakt hineingezogen; im Hinblick auf das Wahlvorschlagsrecht sowie auf den Erfolgswert der Stimmen, der über ihre Kandidaten der Partei als solcher zugute kommt, kann man daher von einem "Wahlrecht der Parteien" (BVerfGE 4, 27 [30]) sprechen, und es muß den Parteien, die untereinander in Konkurrenz treten, die Gleichheit der Chancen durch die Gestaltung des Wahlrechts gewahrt bleiben. Von all dem kann bei den Heimatbünden keine Rede sein. Die Bürger entscheiden sich nicht für oder gegen Heimatbünde, wie sie sich bei der Wahl für oder gegen eine Partei entscheiden. Die Heimatbünde sind freie gesellschaftliche Gebilde, die sich selbst das Ziel gesetzt haben, verfassungsrechtlich erlaubte, aber nicht notwendige Meinungsäußerungen der Bürger im Volksbegehren und Volksentscheid über eine bestimmte Änderung der Landeszugehörigkeit zu propagieren. In dem organschaftlichen Akt der Eintragung oder Abstimmung treten die Heimatbünde als solche nicht in Erscheinung. Insbesondere ist nicht zu erkennen, wie es hier einen Anspruch auf Chancengleichheit der Heimatbünde sollte geben können, den die Antragsteller für sich behaupten. |
d) Die Parallele zu den politischen Parteien kommt schließlich auch deshalb nicht in Frage, weil den politischen Parteien die Parteifähigkeit im Organstreit nur zuerkannt worden ist zur Verfolgung ihrer eigenen Rechte. Sie sind befugt, die Verletzung der Rechte im Verfassungsstreit geltend zu machen, die sich aus ihrem besonderen verfassungsrechtlichen Status ergeben (BVerfGE 4, 27 [30f.]). Ein eigenes, verfassungsrechtlich verbürgtes Recht der Heimatbünde, das durch Nichteinbringung des Gesetzentwurfs und dadurch bedingte Hinausschiebung des Volksentscheids verletzt sein könnte, besteht aber nicht.
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3. Das Antragsrecht der Heimatbünde kann auch nicht damit begründet werden, daß sie "für das Volk von Montabaur und Rheinhessen" handelten. Der Antragsteller im Organstreit kann grundsätzlich nur eigene Rechte geltend machen. Prozeßstandschaft, d. h. Geltendmachung fremder Rechte im eigenen Namen, ist in § 64 BVerfGG nur insoweit zugelassen, als der Antragsteller auch geltend machen kann, daß das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Antragsteller in Prozeßstandschaft können also nur die Teile der obersten Bundesorgane sein, die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen der obersten Bundesorgane mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Wesentlich ist, daß auch das Organ selbst, dessen Rechte ein Organteil geltend macht, Parteifähigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht besitzt. Es kann sich also nur um formierte oberste Bundesorgane oder formierte andere Beteiligte handeln, die an und für sich auch selbst in der Lage wären, ihre Rechte vor dem Bundesverfassungsgericht zu verfolgen. Nur ein formiertes Organ oder ein Teil desselben kann durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines ober sten Bundesorgans mit "eigenen Rechten ausgestattet" sein. Wenn das Bundesvolk, das nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen ausübt, als "oberstes Bundesorgan" bezeichnet wird, so ist es dies in einem anderen Sinn als jene "obersten Bundesorgane", die Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG meint. Beim Bundesvolk oder bei Teilen des Bundesvolkes handelt es sich nicht um stets präsente, handlungsfähige Einheiten, auf die der Begriff des Organs im engeren Sinn beschränkt ist. Nur zwischen solchen Organen im engeren Sinn kann ein verfassungsrechtlich geordnetes gegenseitiges Rechte- und Pflichtenverhältnis bestehen, aus dem ein Verfassungsrechtsstreit hervorgehen könnte. Da "das Volk" selbst nicht als Partei vor dem Bundesverfassungsgericht erscheinen kann, hätte ihm durch das Grundgesetz oder durch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ein Vertreter bestellt werden müssen. Indessen kommt ein solches Vertretungsrecht nicht einmal den politischen Parteien zu. "Rechte des Volkes" werden nur in den subjektiven öffentlichen Rechten des aktiven Status des Bürgers greifbar. Zum Schutz gerade auch dieser Rechte ist aber die Verfassungsbeschwerde bestimmt, worauf das Bundesverfassungsgericht in dem Plenarbeschluß vom 20. Juli 1954 (BVerfGE 4, 27 [30]) hingewiesen hat. |
4. Zu Unrecht berufen sich die Antragsteller auf die Entscheidung des Gerichts im Lippe-Fall (BVerfGE 4, 250). Lippe war nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Einheitsstaates als deutsches Land unter der Besatzungsherrschaft wieder erstanden. Seine Repräsentanten hatten mit Nordrhein-Westfalen über die Eingliederung Lippes in dieses Land verhandelt. Es wurde geltend gemacht, daß Nordrhein-Westfalen Versprechungen nicht gehalten habe, die es Lippe vor der Eingliederung gemacht habe. Es wurde also über Rechte eines untergegangenen Landes gegen das aufnehmende Land gestritten; der Fall wurde darum "prozessual entsprechend dem in § 71 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ausdrücklich genannten Fall einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit zwischen Ländern" behandelt (aaO S. 267). In Weiterführung eines Grundsatzes, der bereits von der Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit entwickelt und von dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich anerkannt worden war, hat das Gericht den obersten Selbstverwaltungskörperschaften im Gebiet des ehemaligen Landes Lippe die Aktivlegitimation zuerkannt, die Rechte des untergegangenen Landes geltend zu machen. Die Abstimmungsgebiete für einen Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 GG sind nun aber niemals selbständig berechtigte Länder oder anders geartete öffentlich-rechtliche Körperschaften gewesen; sie sind es auch nicht durch die erfolgreichen Volksbegehren geworden. Sie sind vielmehr nur Bezirke, in denen eine Volksbefragung stattfindet. Weder Verfassung noch Gesetz noch Vertrag haben das Gebiet oder die Bevölkerung zu einer rechtlichen Einheit formiert und mit einem Recht gegen die Bundesregierung ausgestattet. Nur die Bürger können von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen und für oder gegen eine bestimmte Landeszugehörigkeit des Gebietes votieren. Im Gegensatz zu Lippe ist hier also kein Träger eines Anspruchs vorhanden oder vorhanden gewesen, für den ein Repräsentant gesucht werden müßte, der aktivlegitimiert wäre, den Anspruch im Verfassungsstreitverfahren geltend zu machen. Überdies könnten auch die Heimatbünde als freie gesellschaftliche Gebilde ohne öffentlich-rechtlichen Charakter nicht den öffentlich- rechtlichen Gebietskörperschaften gleichgestellt werden, die im Fall Lippe als Antragsteller zugelassen worden sind. Selbst wenn man annehmen wollte, daß durch die Abgrenzung des Gebietes im Zulassungsantrag und den Erfolg des Volksbegehrens die Bevölkerung des Gebietes als Träger eines Rechtes hinreichend determiniert sei, so könnte doch ein Recht auf Durchführung des Volksentscheids nicht ihr zustehen, weil sie noch gar nicht aktiv geworden ist. Bisher steht nur fest, daß die Volksbegehrensminderheit den Volksentscheid herbeiführen will und eine Voraussetzung dafür geschaffen hat. Nur sie oder genauer für sie die Initianten des Volksbegehrens könnten also ein Recht auf Durchführung des Volksentscheids nach Annahme des Gesetzes haben. |
Selbst beim echten Volksgesetzgebungsverfahren hat nicht das Staatsvolk oder der Aktivbürger als Glied des Staatsvolks ein Recht auf den Volksentscheid, wenn das Volksbegehren Erfolg gehabt und vom ordentlichen Gesetzgeber nicht zum Gesetz erhoben worden ist, sondern dieses Recht kann nur der Gruppe von Aktivbürgern zustehen, die das Volksbegehren betrieben hat. Nur in diesem Sinn hat der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich der Deutschnationalen Volkspartei in Preußen als Trägerin des Volksbegehrens "Freiheitsgesetz" die Aktivlegitimation in einem Verfahren zuerkannt, in dem es um das Recht der preußischen Beamten auf Teilnahme an dem Volksbegehren ging (Lammers/Simons Bd. 2 S. 80 ff.). |
5. Die Heimatbünde können auch nicht als Antragsteller für die Zulassung der Volksbegehren gemäß Art. 29 Abs. 2 eine verfassungsrechtliche Funktion im Rahmen eines Volksgesetzgebungsverfahrens in Anspruch nehmen, die es erlauben würde, in ausdehnender Interpretation des in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG festgelegten Begriffs der Organstreitigkeit ihre Parteifähigkeit in einem Verfassungsstreitverfahren anzuerkennen. Sie wären Beteiligte des Verfassungsrechtskreises, wenn sie durch ihre Initiative in einen Willensbildungsprozeß des Bundes eingeschaltet wären. Die Antragsteller verkennen aber, daß die Volksbefragungen, die in Art. 29 Abs. 2 und 3 als Volksbegehren und Volksentscheid bezeichnet werden, nicht aufeinander bezogen und darum nicht Bestandteile eines Volksgesetzgebungsverfahrens sind. Selbst wenn man die Forderung nach einer bestimmten Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung als möglichen Inhalt eines Gesetzes anerkennt, so fehlt es doch daran, daß dieses Volksbegehren zum Volksentscheid gebracht werden muß, wenn es nicht unverändert vom ordentlichen Gesetzgeber angenommen wird (vgl. Art. 73 Abs. 3 WRV). Von einem Volksgesetzgebungsverfahren kann man aber nur sprechen, wenn der Volksentscheid über das Volksbegehren befindet, es verwirft oder zum Gesetz erhebt. Ganz anders ist das Verfahren nach Art. 29 Abs. 2 bis 4 gestaltet. Die Bevölke rung der Abstimmungsgebiete ist nicht in den Willensbildungsprozeß des Bundesgesetzgebers, dem allein der Erlaß des Neugliederungsgesetzes aufgetragen ist, eingeschaltet. Die Volksbegehren des Absatzes 2 sind Material für den ordentlichen Bundesgesetzgeber, der zwar in das Gesetz eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit der Gebietsteile aufnehmen muß, aber nicht genötigt ist, das Gesetz entsprechend den Volksbegehren zu gestalten. Art. 29 Abs. 1 erwähnt unter den Leitgrundsätzen für die Neugliederung im Gegensatz zu Art. 18 Abs. 1 WRV nicht die "möglichste Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung". Gegenstand des Volksentscheides nach Absatz 3 ist nicht das Volksbegehren, sondern das aus der souveränen Entscheidung des Bundesgesetzgebers hervorgegangene Neugliederungsgesetz. Der Volksentscheid findet auch nicht nur in den Volksbegehrensgebieten statt, sondern primär in den Gebieten, deren Landeszugehörigkeit das Gesetz ändern will. Der Volksentscheid hat also eher den Charakter eines Referendums. Er ist aber auch kein echtes Referendum, da die Gebietsbevölkerung nicht endgültig über das Schicksal des Gesetzes entscheidet. Stimmt sie zu, so bleibt es bei dem vom ordentlichen Gesetzgeber beschlossenen Gesetz, das seine Verbindlichkeit aus den Beschlüssen von Bundestag und Bundesrat bezieht, nicht aus der Zustimmung der Gebietsbevölkerung. Nur die Ablehnung des Gesetzes durch den Volksentscheid hat rechtliche Folgen, indem nunmehr das Gesetz, wenn es nicht vom ordentlichen Gesetzgeber dem Volksentscheid angepaßt wird, dem gesamten Bundesvolk zur Entscheidung vorgelegt wird. In dieser Phase des Neugliederungsverfahrens könnte man also allenfalls von einem Volksgesetzgebungsverfahren sprechen, wenn man den Volksentscheid nach Absatz 3 als das Volksbegehren ansieht, das dem Bundesvolk als außerordentlichem Bundesgesetzgeber zur Entscheidung vorgelegt wird, wenn es vom ordentlichen Gesetzgeber nicht akzeptiert wird. In der Phase, in der sich das Neugliederungsverfahren bezüglich der Volksbegehrensgebiete derzeit befindet, kann es nach der Gestaltung des Gesetzgebungsver fahrens in Art. 29 Abs. 1 bis 4 keine verfassungsrechtliche Stellung der Initianten des Volksbegehrens nach Absatz 2 im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geben. Die Volksbegehren nach Art. 29 Abs. 2 sind ein in sich abgeschlossenes Vorverfahren zu dem Gesetzgebungsverfahren, das erst mit der Einbringung des Gesetzentwurfs beginnt. Der Inhalt des Volksbegehrens hat keinen sachlichen Bezug zum Gesetz oder zum späteren Volksentscheid, sondern die Tatsache, daß das Volksbegehren zustande gekommen ist, hat nur die formale Bedeutung, daß eine Bestimmung über das Gebiet in das Gesetz aufgenommen werden muß, und daß dann eine Volksentscheid genannte informative Befragung der regionalen Bevölkerung stattfindet, die entweder das Gesetz unberührt läßt oder zu einem echten Volksentscheid des Bundesvolkes führt. Unabhängig davon bleibt die Bundesregierung verfassungsrechtlich verpflichtet, dem Verfahren Fortgang zu geben, damit die Gebietsbevölkerung in die Lage versetzt wird, gemäß Art. 29 Abs. 3 im "Volksentscheid" ihre Meinung über die Landeszugehörigkeit zu bekunden. |
III. |
Die Heimatbünde können auch keine Verfassungsbeschwerde erheben. Sie meinen zwar, für den Fall einer Verneinung ihrer Organstellung ihren Antrag als Verfassungsbeschwerde aufrechterhalten zu können, haben dafür aber eine Begründung nicht gegeben. Die Verfassungsbeschwerde würde voraussetzen, daß ein den Heimatbünden selbst zustehendes, in § 90 Abs. 1 BVerfGG genanntes Grundrecht oder grundrechtsähnliches Recht durch die öffentliche Gewalt verletzt sein könnte. Im Zusammenhang mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs über die Neugliederung des Bundesgebietes durch die Bundesregierung kann ein solches Recht der Heimatbünde nicht bestehen. Sollten grundrechtsähnliche Rechte der Bürger verletzt sein, die sich für das Volksbegehren eingetragen haben oder beim Volksentscheid stimmberechtigt sind, so könnten höchstens diese Bürger selbst Verfassungsbeschwerde einlegen, nicht aber könnten die Heimat bünde in Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder selbst Verfassungsbeschwerde erheben (vgl. BVerfGE 2, 292 [294]; 10, 134). |
IV. |
Die von den Vorsitzenden der Heimatbünde, den stimmberechtigten Bürgern S... und M..., erhobenen Verfassungsbeschwerden sind unzulässig, weil mit ihnen nicht die Verletzung eines der in § 90 Abs. 1 BVerfGG erschöpfend aufgezählten Rechte geltend gemacht werden kann. Die Beschwerdeführer berufen sich auf Art. 17, Art. 33 und Art. 38 GG.
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1. Art. 17 kann nicht verletzt sein. Wenn man das Volksbegehren nach Art. 29 Abs. 2 als Petition an den Bundesgesetzgeber wertet, bei der Gestaltung des Neugliederungsgesetzes den Wunsch der Bevölkerung zu berücksichtigen, so kann die Bundesregierung dieses Recht nicht dadurch verletzt haben, daß sie es bisher unterlassen hat, den Gesetzentwurf einzubringen. Das Petitionsrecht verpflichtet die angegangene Behörde, die Petition entgegenzunehmen und sachlich zu prüfen. Wenn das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus die Pflicht statuiert hat, dem Petenten zum mindesten die Art der Erledigung schriftlich mitzuteilen (BVerfGE 2, 225), so ist in Übertragung auf das Volksbegehren diese Pflicht dadurch erfüllt, daß die Bundesregierung öffentlich bekanntgegeben hat, daß und warum sie sich derzeit aus von ihr für gewichtig erachteten Gründen außerstande sieht, den Gesetzentwurf vorzulegen. Die sachliche Prüfung des Volksbegehrens wird und muß erfolgen, wenn die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf aufstellt. Sowenig die normale Petition einen Anspruch auf Erledigung im Sinn des Petenten gibt, sowenig gibt das Volksbegehren nach Art. 29 Abs. 2 ein subjektives Recht auf Berücksichtigung der Forderung im Gesetz oder auf Vorlage des Gesetzentwurfs innerhalb einer bestimmten Frist. Trotzdem bleibt die Bundesregierung nach objektivem Verfassungsrecht verpflichtet, innerhalb angemessener Frist den Gesetzentwurf vorzulegen und darin eine Bestimmung über das Volksbegehrensgebiet aufzunehmen.
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2. Von Art. 33 haben die Absätze 3 bis 5 keinen denkbaren Zusammenhang mit den Volksbefragungen nach Art. 29 Abs. 2 und 3. Wenn die Beschwerdeführer auf Absatz 1 zielen, so haben sie verkannt, daß diese Bestimmung nur den gleichen Genuß der staatsbürgerlichen Rechte für alle Deutschen in jedem Land garantiert, nicht aber Anspruch auf Einräumung irgendwelcher staatsbürgerlichen Rechte gibt. |
3. Art. 38 bezieht sich nur auf die Wahl zum Bundestag und legt die Wahlrechtsgrundsätze fest. Eine mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbare Verletzung des in Art. 38 enthaltenen subjektiven Rechts kommt also zunächst nur in Betracht, wenn ein Wahlgesetz gegen die Allgemeinheit, Unmittelbarkeit, Freiheit und Gleichheit der Wahl oder das Wahlgeheimnis verstößt. Da zum geschriebenen oder ungeschriebenen objektiven Verfassungsrecht des demokratischen Staates der Grundsatz gehört, "daß den Wahlberechtigten das Wahlrecht nicht auf einem in der Verfassung nicht vorgesehenen Wege entzogen oder verkürzt wird" (BVerfGE 1, 14 [33]), "daß eine Volkswahl in bestimmten angemessenen Zeitabständen wiederholt werden muß" (BayerVerfGH in VGH N. F. 11 II 1), könnte man weiter aus Art. 38 ein subjektives Recht folgern, daß fällige Wahlen auch durchgeführt werden. Das von den Beschwerdeführern geltend gemachte Recht auf Abstimmung im Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 ist aber etwas wesentlich anderes als das Recht auf Wahlen, das in Art. 38 geschützt sein mag.
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Die Rechte, deren Verletzung im Wege der Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann, sind in § 90 Abs. 1 BVerfGG erschöpfend aufgezählt. Der Bundesgesetzgeber hat Art. 29 offenbar deshalb nicht in § 90 Abs. 1 aufgenommen, weil die Vorschrift in ihrer Formulierung jede Wendung vermeidet, die auf ein subjektives Recht hindeutet. Die Stimmrechtsgrundsätze allerdings müssen als ungeschriebenes demokratisches Verfassungsrecht auch hier gelten, und insoweit ist die Rechtsähnlichkeit so zwingend, daß die Anführung des Art. 38 GG in § 90 Abs. 1 BVerfGG dahin ausgelegt werden muß, daß auch ihre Ver letzung beim Volksentscheid im Wege der Verfassungsbeschwerde gerügt werden kann. Hinsichtlich des Rechts auf Teilnahme am Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 - der nicht nur in den Volksbegehrensgebieten stattfindet- gibt es aber keine vergleichbaren Elemente, die dazu zwingen würden, dieses Recht analog dem Recht auf Wahlen zu behandeln und aus diesem Grunde die Verfassungsbeschwerde zu gewähren. Überdies besteht das von den Antragstellern behauptete Recht der stimmberechtigten Bürger im Volksbegehrensgebiet auf Veranstaltung des Volksentscheids nach der positiven Regelung des Art. 29 Abs. 2 und 3 derzeit noch nicht. Das Recht auf Teilnahme am Volksentscheid kann erst ausgeübt werden, nachdem der Bundesgesetzgeber ein Neugliederungsgesetz beschlossen und in dieses Gesetz eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit der Volksbegehrensgebiete aufgenommen hat. An dieser Voraussetzung fehlt es aber zur Zeit noch. Die Antragsteller machen in Wahrheit nicht ein Recht auf Veranstaltung des Volksentscheids geltend, sondern sie behaupten ein Recht auf Erlaß des Neugliederungsgesetzes, damit sie alsdann ihre Stimme im Volksentscheid abgeben können. Ein solches Recht auf Erlaß eines Gesetzes ist etwas wesentlich anderes als ein Recht auf Veranstaltung fälliger Wahlen. Keines der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte gibt aber den später stimmberechtigten Bürgern ein subjektives Recht auf Erlaß des Neugliederungsgesetzes. Dieses Gesetz betrifft nicht die Rechtsstellung des Einzelnen. |
Zwischen der Wahl zur Volksvertretung und dem Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 besteht ein fundamentaler Unterschied. Die periodisch wiederkehrende Volkswahl des Parlaments ist eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit in der Demokratie; in der Wahl entscheidet das Volk über die Zusammensetzung der Volksvertretung. Der regionale Volksentscheid bei Gebietsveränderungen innerhalb eines Bundesstaates ist hingegen auch für die Verfassung einer Demokratie nicht notwendig; nach der positiven Ordnung des Art. 29 entscheidet nicht die Gebietsbevölkerung im Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 über die Landeszugehörigkeit. Der Auftrag, das Bundesgebiet neu zu gliedern, ist an den Bundesgesetzgeber gerichtet. Das Verfahren des Bundesgesetzgebers steht im Vordergrund, nicht, wie bei der Wahl, der Akt des Volkes. Das Gesetzgebungsverfahren, in dessen Nichteinleitung die Antragsteller die Verletzung ihres "Grundrechtes" sehen, ist nicht in dem Sinn Vorbereitung des Volksentscheids, wie die Ausschreibung der Wahl Vorbereitung der Wahl ist, sondern es zielt auf die Neugliederung selbst ab. Der Volksentscheid kann auf dem Weg dahin lediglich den weiteren Verfahrensgang beeinflussen. Wenn der wahlberechtigte Bürger als Glied des Bundesvolks die Abgeordneten zum Bundestag wählt, so trägt sein Wille unmittelbar die Entscheidung; wenn er beim Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 seine Stimme abgibt, so nimmt er nicht an einem Akt entscheidender Willensbildung eines "Bundesorgans" teil. Der Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 bleibt der Entscheidung des Bundesgesetzgebers untergeordnet. Es ist danach unmöglich, aus dem Stimmrecht des Bürgers nach Art. 29 Abs. 3 Satz 2 ein grundrechtsgleiches Recht auf Veranstaltung des Volksentscheides abzuleiten, so wie aus dem Wahlrecht des Bürgers ein grundrechtsgleiches Recht auf termingemäße Wahlen entnommen wird. Sicherlich gehört zum Recht des status activus für die Bewohner der Volksbegehrens gebiete auch das Recht auf Teilnahme am Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 3 Satz 2, aber dieses Recht erschöpft sich in der Teilnahme an der Abstimmung, und es kann erst geltend gemacht werden, wenn der Gesetzgeber gesprochen hat. Da das Grundgesetz die Gebietsänderung nicht als eine Angelegenheit der Bevölkerung betrachtet und nicht ihre Entscheidung für maßgebend erklärt, brauchte es auch den stimmberechtigten Bürgern der Volksbegehrensgebiete nicht ein grundrechtsgleiches Recht auf Abstimmung zu gewähren. |
4. Ein "Selbstbestimmungsrecht", wie es die Beschwerdeführer geltend machen, gibt es jedenfalls nicht im deutschen Bundesstaatsrecht. Den Bewohnern der Gebiete, die nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszugehörigkeit geändert haben, kommt nicht etwa kraft einer dem Grundgesetz übergeordneten Norm das Recht zu, ihre Zugehörigkeit zu einem deutschen Land frei zu bestimmen. Art. 29 läßt klar erkennen, daß die Verfügung über das Landesgebiet und damit die Bestimmung über die Landeszugehörigkeit der Bewohner nach dem deutschen Bundesstaatsrecht ausschließlich in der Hand des Bundesgesetzgebers liegt. Wenn Art. 29 Abs. 2 und 3 in einem eng gezogenen Rahmen den Bürgern bestimmter Gebiete die Möglichkeit einräumt, ihre Meinung über die Landeszugehörigkeit zu äußern, so handelt es sich um Sätze des objektiven Verfassungsrechts, die den Gang des Gesetzgebungsverfahrens regulieren, nicht aber um die Zuerkennung eines subjektiven Rechtes der Selbstbestimmung an die regionale Bevölkerung als solche. Es wird nicht ein gegen den Staat gerichtetes ursprüngliches Selbstbestimmungsrecht anerkannt, sondern ein Willensprozeß innerhalb des Staates geregelt, in den in besonderer Weise die Befragung der regionalen Bevölkerung eingebaut ist. |
V. |
1. Die Vorsitzenden der Heimatbünde haben in der mündlichen Verhandlung gebeten, ihre als Verfassungsbeschwerde angebrachten Anträge auch unter dem Gesichtspunkt einer Organstreitigkeit zu prüfen. Verfahrensrechtlich bestehen dagegen keine Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht ist Herr des Verfahrens. Es kann nicht nur eine Änderung des prozeßeinleitenden Antrages zulassen, wenn es das für zweckmäßig erachtet und legitime Interessen des Gegners nicht beeinträchtigt werden, sondern unter denselben Voraussetzungen auch den Übergang in eine andere Verfahrensart. Es hat sogar von Amts wegen zu prüfen, ob ein Antrag, der in der gewählten Verfahrensart unzulässig ist, in einer anderen Verfahrensart zur Sachentscheidung gebracht werden könnte. Das Recht der Antragsteller in ihrer angeblichen Eigenschaft als Bundesorgane, das die Bundesregierung als Antragsgegner verletzt haben soll, ist dasselbe, dessen Verletzung als grundrechtsähnliches Recht in der Verfassungsbeschwerde gerügt wird; die Bundesregierung ist zur Verfassungsbeschwerde schriftlich und mündlich gehört worden; sie hat einen Abweisungsantrag gestellt, der nur im Organstreitverfahren, nicht aber im Verfassungsbeschwerdeverfahren gestellt werden kann. Es muß also geprüft werden, ob der Antrag im Organstreit zulässig ist. |
2. Im System der Verfassungsgerichtsbarkeit nach deutschem Verfassungsrecht ist der einzelne Staatsbürger im Organstreit nicht parteifähig. Die Parteifähigkeit im Organstreit hängt davon ab, ob der Antragsteller Organ oder Organteil im Sinn des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und des § 63 BVerfGG ist, nicht aber davon, ob er in irgendeinem Sinn als Staatsorgan oder Organteil betrachtet werden kann. Die Formulierung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 läßt erkennen, daß der Kreis der Beteiligten im Verfassungsprozeß möglichst eingeschränkt werden sollte; diese Tendenz wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt (vgl. Geiger, Komm. zum BVerfGG, Anm. 3 zu § 63, S. 208).
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Die Aktivbürgerschaft ist zwar Verfassungsorgan, weil "das Volk" nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen ausübt (vgl. BVerfGE 8, 104 [113 ff.]). Sie ist aber keine organisierte handlungsfähige Einheit, die Partei eines Organstreites sein könnte. Auch hat weder das Grundgesetz noch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz den einzelnen stimmberechtigten Bürger ermächtigt, die Rechte der Aktivbürgerschaft geltend zu machen. Insbesondere greift die Prozeßstandschaft nach § 64 BVerfGG hier nicht ein, da sie nach der positiven Regelung des § 64 in Verbindung mit § 63 BVerfGG nur insoweit besteht, als Teile eines an sich parteifähigen Organs Rechte des Organs im eigenen Namen geltend machen können.
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Der wahl- und stimmberechtigte Bürger als Teil der Aktivbürgerschaft kann also nicht als oberstes Bundesorgan im Sinn des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 oder als Organteil angesehen werden. Er ist aber auch nicht ein sonstiger "Beteiligter", der durch das Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet ist. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, daß "als Beteiligte nur solche Inhaber von Staatsgewalt in Betracht kommen können, die nach Rang und Funktion den obersten Bundesorganen gleichstehen, insbesondere Rechte aus dem Verfassungsrechtskreis besitzen" (Geiger, aaO S. 208). Diese Rechtsähnlichkeit mit der Stellung oberster Bundesorgane weist aber die Rechtsstellung des Aktivbürgers nicht auf. Er ist also nicht parteifähig im Organstreit. Auch unter diesem Gesichtspunkt waren daher die Anträge der Vorsitzenden der Heimatbünde als unzulässig zu verwerfen. |
C. |
Die Anträge mußten als unzulässig verworfen werden, weil die Antragsteller in den in Betracht kommenden Verfahrensarten entweder nicht parteifähig oder nicht aktiv legitimiert sind. Das Grundgesetz hat zwar die Verfassungsgerichtsbarkeit stark ausgebaut; daraus ist aber nicht zu folgern, daß jede verfassungsrechtliche Streitfrage von einem an ihrer Entscheidung Interessierten dem Bundesverfassungsgericht unterbreitet werden kann. Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ist vielmehr in den Vorschriften des Grundgesetzes und des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht erschöpfend geregelt. Nur wenn seine Zuständigkeit nach diesen Vorschriften gegeben ist, darf das Bundesverfassungsgericht judizieren (vgl. BVerfGE 1, 396 [408 f.]).
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Nicht jeder im objektiven Verfassungsrecht begründeten Pflicht muß also ein vor dem Bundesverfassungsgericht verfolgbarer Anspruch eines anderen Beteiligten gegenüberstehen. Es bedarf vielmehr in jedem Fall der Prüfung, ob der Verfassungsrechtssatz ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten oder ein in § 90 BVerfGG gestütztes Recht begründet. Nur dann kann der in seinen Rechten Verletzte einen Antrag im Verfassungsstreit- oder Verfassungsbeschwerdeverfahren stellen. Andererseits sind die Fälle, in denen ohne diese Voraussetzung ein Antrag im objektiven Verfahren gestellt werden kann, eng begrenzt.
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Es kann also verfassungsrechtliche Pflichten geben, deren Fest stellung durch das Bundesverfassungsgericht die Interessierten nicht betreiben können. Eine solche verfassungsrechtliche Pflicht hat aber nicht geringere Bedeutung als eine solche, deren Erfüllung zum Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens gemacht werden kann. Wenn auch die hier gestellten Anträge als unzulässig verworfen werden mußten, so folgt daraus doch nicht, daß die Verfassung im Hinblick auf Artikel 29 "geändert" wäre oder daß diese Bestimmung dadurch obsolet werden würde, wie die Antragsteller meinen. Das Gericht hat vielmehr schon in seiner Entscheidung vom 30. Mai 1956 (BVerfGE 5, 34 [39]) festgestellt, daß die Pflicht zur Neugliederung des Bundesgebietes den zuständigen Verfassungsorganen als bindender Auftrag erteilt worden ist. Da das ganze Grundgesetz nach der Präambel in Verbindung mit Art. 146 dem staatlichen Leben für die Übergangszeit bis zur Wiedervereinigung eine neue Ordnung geben soll, die Neugliederung zudem sofort nach Verkündung des Grundgesetzes in Angriff genommen werden sollte, wie sich aus der Fristbestimmung des Art. 29 Abs. 6 ergibt, schließlich für eine Neugliederung, die wegen des Beitrittes eines weiteren Teiles von Deutschland notwendig werden sollte, eine besondere Frist gesetzt ist, ist der Verfassungsauftrag zur allgemeinen Neugliederung ohne Rücksicht auf die Wiedervereinigung und die Eingliederung des Saarlandes zu vollziehen. Art. 29 ist schon aus dem Grunde nicht obsolet geworden, weil in mehreren Gebietsteilen Volksbegehren nach Art. 29 Abs. 2 zustande gekommen sind und die Gebietsbevölkerung nunmehr im Rahmen des Neugliederungsverfahrens über ihre Landeszugehörigkeit gehört werden muß. |